JOHN SIBLEY / ACTION IMAGES / SPORTIMAGE IMAGES / ACTION JOHN SIBLEY Chelsea-Star Verón (r.), Kollegen: „Abramowitsch hat seine Panzer auf unserem Rasen geparkt“

FUSSBALL Kalinka an der Stamford Bridge Zuerst erwarb Roman Abramowitsch für 215 Millionen Euro den FC Chelsea, dann kaufte er für 158 Millionen Euro neue Spieler. Der russische Oligarch sucht in Spaß und Anerkennung. Und seine Profis erfreuen sich eines Clubs, der monströse Gagen zahlt.

oman Arkadjewitsch Abramowitsch, Frau Irina, ein blondes Ex-Model, ein Dut- sponserte der Stahl-Magnat Jack Walker 36, pflegt einen eigenwilligen Reise- zend öliger Typen, über deren Maßanzügen den Provinzclub Blackburn Rovers, der Rstil. Wenn der russische Geschäfts- VIP-Ausweise baumelten, und zehn Leib- 1995 Meister wurde, mit 144 Millionen mann am Londoner Flughafen Heathrow wächter mit stattlicher Nackenmuskulatur. Euro. Auch der Industrielle Sir Jack aus seiner Boeing 767 steigt und weiter in Die Mannschaft des FC Chelsea hatte Hayward pumpte in den letzten 20 Jahren die City will, nimmt er kein Taxi. Er bucht einen glänzenden Tag und siegte 5:0. Doch über 140 Millionen in die Wolverhampton auch keine Limousine mit Chauffeur. Ab- das Match geriet zur Nebensache. Bereits Wanderers, damit sie endlich wieder erst- ramowitsch chartert einen Hubschrauber. eine Stunde nach Abpfiff hatte die regio- klassig wurden. Selbst der Pop-Barde Elton Es war also nicht erstaunlich, dass der nale Zeitung „Express & Star“ eine Son- John hielt sich schon einmal einen Verein neue Herrscher des Premier-League-Clubs derausgabe gedruckt. Der Spielbericht fand – und entlohnte für eine Weile die ziem- FC Chelsea auch zum Auswärtsspiel nach sich irgendwo im hinteren Teil des Blatts, lich mittelmäßigen Kicker des FC Watford. Wolverhampton, einer tristen Industrie- die Titelstory war der bizarre Auftritt des Eine Figur wie den jugendlich wirken- stadt rund 200 Kilometer nordwestlich von osteuropäischen Milliardärs mit seiner En- den und undurchsichtig agierenden Olig- London, den Luftweg nahm. tourage im Stadion „Molineux“. archen Abramowitsch indes hat es auch in Auffällig war allerdings, dass der russi- Dabei ist es im englischen Profi-Fußball der englischen bislang sche Rohstoff-König für den Trip am vor- nicht einmal ungewöhnlich, dass sich ein nicht gegeben; einen Mann, der es bei der vergangenen Samstag gleich fünf Helikop- steinreicher Exzentriker einen Club kauft, Privatisierung der russischen Schwerindu- ter gemietet hatte. Mit im Gefolge: seine um dann am großen Rad zu drehen. So strie dank dubioser Allianzen sehr früh zu

140 der spiegel 40/2003 Sport einem Milliardenvermögen gebracht hat und der nun die internationale Fußball- szene aufmischt, um den FC Chelsea „zum besten Club der Welt zu machen“. Die Summen, die Abramowitsch dafür lockermacht, sind monströs. 215 Millionen Euro setzte er Anfang Juli ein, um den Club vor der Pleite zu bewahren und sich die Mehrheit der Anteile zu sichern. Das war der Beginn der russischen Re- volution an der Stamford Bridge. Seither hat der FC Chelsea für 158 Millionen Euro elf neue Spieler gekauft – mehr als ein Drit- tel der Ausgaben, die in diesem Sommer auf dem europäischen Transfermarkt be- wegt wurden. Unter den neuen Gehaltsempfängern bei den „Blues“ finden sich nun erlesene Na- men: der Argentinier Hernán Crespo von Inter Mailand etwa, sein Landsmann Juan Sebastián Verón von Manchester United, der Franzose Claude Makelele von Real

Madrid oder der Ire Damien Duff von den / SPORTIMAGE IMAGES / ACTION GARETH BUMSTEAD Blackburn Rovers. Stadionbesucher Abramowitsch (M.), Ehefrau: Mit der Boeing zum Heimspiel

seinem Statthalter beim FC Chelsea mach- Kaufrausch Die teuersten Transfers in Europa vor der Saison 2003/04 te, empfindet Creitzman „als einen Job wie jeden andern: Du musst ihn gut machen“. Spieler von nach Mio. ¤ In weißem Hemd, grauer Anzughose David Beckham...... Manchester United...... Real Madrid...... 35,0 und schwarzen Lederschuhen sieht er der Mannschaft beim Training zu. Um seinen Ronaldinho...... Paris Saint-Germain ...... FC Barcelona...... 30,0 Hals hängt ein Kettchen, an der er eine Damien Duff...... Blackburn Rovers...... FC Chelsea...... 24,5 Plastikkarte befestigt hat. Darauf ist ein Hernán Crespo...... Inter Mailand...... FC Chelsea...... 24,2 Bild mit seinem Gesicht gedruckt, sein Name und der Hinweis: „Unbeschränkt zu- Claude Makelele ...... Real Madrid...... FC Chelsea...... 24,0 gangsberechtigt“. Ohne diese Karte wür- Adrian Mutu...... AC Parma...... FC Chelsea...... 22,75 den ihn die Sicherheitskräfte nicht in den Juan Sebastián Verón ...... Manchester United ...... FC Chelsea...... 21,6 Kabinentrakt lassen, denn Creitzman ist hier draußen auf der Anlage noch nicht so Roy Makaay...... Deportivo la Coruña...... FC Bayern München ...... 18,75 gut bekannt. ...... Ajax Amsterdam...... AS Rom...... 18,0 Fast ununterbrochen klingelt sein Mobil- Cristiano Ronaldo...... Sporting Lissabon...... Manchester United...... 18,0 telefon. Creitzman schaltet es für ein paar Minuten ab. Plötzlich hört man Trainer über den Platz brüllen. Er Längst zeigen sich die Konkurrenten Argument – dem Vernehmen nach kassiert staucht sein Ensemble gerade zusammen, alarmiert. Denn hemmungslos versucht der Marketingexperte allein als Handgeld weil die Stars seine taktischen Anweisungen Abramowitschs Chefemissär, der israeli- für den Wechsel rund vier Millionen Euro. unzureichend befolgt haben. „This is bull- sche Spielervermittler Pini Zahavi, in Zei- Know-how in Chelseas Chefetage ist shit“, schreit der Italiener, dessen Akzent ten allgemein rückläufiger Gehälter ihre nach der faktischen Entmachtung des bis- dem des Schauspielers Roberto Benigni besten Kräfte mit Traumgagen abzuwer- herigen Vereinsbosses Ken Bates allerdings ähnelt, „this is fucking important.“ ben: Stürmer wie Raúl von Real Madrid auch dringend nötig. Denn die Vertrau- Creitzman grinst. Vielleicht hat er gera- oder Christian Vieri von Inter Mailand, ensleute, die Abramowitsch aus seinem de etwas von Ranieri gelernt. Dann ver- aber auch aufstrebende Kicker wie den bei Umfeld kürzlich in den Vorstand gehievt sucht er zu rekapitulieren, wie viel Geld Bayern München angestellten englischen hat, wissen zwar, wie man Gewinn brin- Chelsea in den letzten Wochen für wel- Nationalspieler Owen Hargreaves. David gend Aluminiumfabriken verschachert. chen Spieler ausgegeben hat. Verón, Duff, Dein, Vorstandsvorsitzender des FC Arse- Von den Gesetzmäßigkeiten der Fußball- Mutu, Geremi, Makelele. Er bringt die eine nal, machte schon mal Front gegen den branche indes haben sie wenig Ahnung. oder andere Million durcheinander. „Pea- Eindringling: „Abramowitsch hat seine Derzeit wichtigster Mann aus Abramo- nuts“, sagt er abwiegelnd, „Abramowitsch Panzer auf unserem Rasen geparkt und witschs Inner Circle beim FC Chelsea ist investiert in die Mannschaft, weil er Spaß feuert mit 50-Pfund-Noten auf uns.“ der Engländer Richard Creitzman, 32. Der haben will.“ Mehr noch: Der kaufwütige Russe wil- Ökonom ging bereits Anfang der neunziger Der „FC Chelski“ („The Sun“), das dert bei den besten Adressen selbst in den Jahre nach Moskau, lernte fließend Rus- Spielzeug eines Superreichen. Dass die Führungsetagen. Sein jüngster Coup: die sisch zu sprechen und heuerte bei der Einkaufspolitik des Clubs nicht von wirt- Verpflichtung von Peter Kenyon, dem Vor- Westdeutschen Landesbank an. Kurz dar- schaftlichem Kalkül gelenkt wird, sondern standsvorsitzenden von Manchester Uni- auf wechselte er zu Abramowitschs Erdöl- von der Prestigesucht seines Finanziers, ted, der seit 1997 erfolgreich daran gear- Konzern Sibneft und arbeitete sich zu ei- behauptet auch Edward Freedman, als beitet hat, ManU zur weltweit bekanntes- nem der einflussreichsten Manager des Un- Marketingmann jahrelang bei Manchester ten Fußballmarke zu machen. Auch bei ternehmens hoch. Dass Abramowitsch, der United tätig und heute als Berater des Kenyon war die Gage das überzeugende nur bruchstückhaft Englisch spricht, ihn zu ukrainischen Clubs Schachtjor Donezk en-

der spiegel 40/2003 141 Sport gagiert. Freedman sitzt im Arbeitszimmer einer Bibliothek der Jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, der „Wiener Library“ in London, wo er als historisch Interes- sierter einige Stunden pro Woche lesend verbringt. Dort räsoniert er über Abramo- witschs Motive. „Im Hintergrund Geld zu scheffeln ist ihm langweilig geworden“, sagt Freedman, „Abramowitsch will jetzt mit einem Einsatz, der für ihn überschaubar und für andere unermesslich ist, berühmt werden – und das geht auf keiner Bühne so gut wie im Fußball.“ Das Größenwahnsinnige an dem Unter- fangen ist am besten zu erkennen, wenn man die Weltstars des FC Chelsea unter der Woche beim Training beobachtet. Denn der Club, der mit den Millionen um sich wirft wie kein anderer jemals zuvor, hat keine eigenen Übungsplätze.

Eine gemietete Schulsportanlage zwi- / SPORTIMAGE IMAGES / ACTION MORTON ALEX schen dem Flughafen Heathrow und der Deutscher Chelsea-Profi Huth Autobahn M 4 am Rande des im Londoner „Extrem harter Konkurrenzkampf“ Westen gelegenen Stadtteils Harlington – mehr kann der FC Chelsea seinen neu an- selte ihn in der zweiten Halbzeit ein. Es gekommenen Stars nicht bieten. Ein arm- war Huths achtes Premier-League-Spiel als seliger Untergrund, verglichen mit den Profi. Für diesen Einsatz hatte er einen Edelflächen, auf denen Künstler wie Verón Prominenten der A-Kategorie aus der zu arbeiten gewohnt sind. Mannschaft verdrängt: den französischen Der Boden ist hart und uneben, der Ra- Welt- und Europameister Marcel Desailly. sen an manchen Stellen gar verdörrt. Die Seinen Vertrag mit Chelsea hat Huth in Triebwerke der startenden Jets heulen bis- der vorigen Saison um zwei weitere Jahre weilen so laut auf, dass die Spieler sich ge- bis Juni 2006 verlängert. Damals ahnte er genseitig nicht mehr verstehen. An den To- noch nicht, dass Abramowitsch den Club ren hängen die dünnen Eisenlatten durch, im Sommer auf den Kopf stellen würde. und wenn die Profis mittwochs nicht recht- Huths Chancen, regelmäßig zu spielen, zeitig in der Kabine sind, kann es sein, dass sind nun so gering wie nie zuvor – obwohl aus den Duschen nur noch kaltes Wasser er, wie Trainer Ranieri versichert, im letz- rinnt. Denn Mittwoch ist der Tag, an dem ten Jahr „große Fortschritte“ gemacht die Schüler des „Imperial College“ zeit- habe. Der Deutsche aus Berlin-Marzahn gleich mit den Profis Sport treiben. sagt nur: „Da muss ich durch.“ Auf was sich die Edelkicker, in ih- Wie unberechenbar das Leben beim ren ehemaligen Teams fast durchgängig FC Chelsea geworden ist, seit Roman Stammkräfte, sonst noch so alles eingelas- Abramowitsch die Bedingungen diktiert, sen haben, wird den meisten erst bewusst, erfährt indes niemand so direkt wie Trainer wenn das nächste Spiel ansteht – und sie Ranieri. Obwohl die Ausbeute des Ita- sich nicht auf der Namensliste wiederfin- lieners, der bei Spielen vorzugsweise in den, die Coach Ranieri nach jedem Ab- Designeranzügen an der Außenlinie steht, schlusstraining an die Kabinentür hängt. in Premier League und Champions League „In jeder Übungseinheit geht es wahn- beinahe optimal ist, seine Welt-Auswahl sinnig zur Sache“, berichtet der Verteidiger bisweilen genialen Fußball spielt und die Robert Huth, 19, der vor drei Jahren von Chelsea-Fans ihn zwischen ihren eksta- Union Berlin nach London wechselte, „der tischen Kalinka-Songs immer wieder hoch- Konkurrenzkampf ist extrem hart.“ Huth, leben lassen, muss er ständig damit rech- ein groß gewachsener und kompromiss- nen, gefeuert zu werden. loser Abwehrspezialist, der den Chelsea- „Alles Müll“, sagt der Italiener gelas- Spähern bei einem Jugendländerspiel auf- sen, der einen Vertrag bis Juni 2007 be- gefallen war, musste sich an die rauen sitzt, „ich habe mit Herrn Abramowitsch Sitten erst gewöhnen. Gerade aus der gesprochen, und er vertraut mir.“ Juniorenabteilung aufgestiegen, hänselte Das Dumme daran: Der englische Na- ihn der holländische Stürmer Jimmy Floyd tionalcoach Sven-Göran Eriksson hat den Hasselbaink anfangs als „Weichei“. Es dau- Chelsea-Besitzer bereits im Juli in dessen erte eine Weile, bis Huth sich wehrte. Dann Londoner Apartment besucht. nahm er sich den bulligen Angreifer bei Neulich hat Abramowitsch in seinem einem Tackling vor, und seither hat Has- Werben nachgelegt, und zwar auf seine un- selbaink Respekt. „Jetzt verstehen wir nachahmliche Weise. Er bietet dem Schwe- uns“, sagt Huth. den von 2004 an einen Vierjahresvertrag – Zum Match gegen Wolverhampton und bis zu 50 Millionen Euro. nahm Ranieri den Youngster mit und wech- Michael Wulzinger

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