1 1.Einführung

1.1 Warum gerade ?

„’Death Metal’ - die Welt zertrümmern“ (taz vom 23.6. 1992).

„Eine weitere ‘real satanic band’ sind Immortal aus Norwegen. Sie wollen der Erde die Massenvernichtung bringen“ (Kai Wendel im Rock Hard 74, Juli 1993, S. 5).

„Satanische Rituale sind blutig und verherrlichen Gewalt. Ich denke, es ist für die jüngeren Kids gefährlich, mit satanischen Ideen konfrontiert zu werden, da einige blind gewissen ‘Idolen’ folgen“ (zitiert nach Helsper, S. 15).

Solche und ähnliche Äußerungen liest und hört man immer wieder in den Medien, aber auch von vielen Lehrern, Vertretern der Kirche oder Politikern, wenn die Sprache auf die bei vielen Jugendlichen beliebte Musik des (Hard) Rock, Heavy Metal oder verwandte Musikrichtungen, insbesondere die extremeren Formen „Death Metal“ und „Black Metal“, kommt. Etikettierungen dieser Art tragen auch nicht gerade dazu bei, betroffene Eltern, deren Kinder im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren Anhänger dieser Musik sind, ruhig schlafen zu lassen. Außerdem stellt sich die Frage: inwieweit sind solche Meinungen von Vorurteilen belastet, und inwieweit beruhen sie auf objektiven Informationen über die Metal-Szene? Könnte es nicht auch sein, daß Menschen, die (Heavy) Metal schlichtweg verdammen, es sich zu einfach machen und auf in der Sensationspresse verbreitete Klischees zurückgreifen, anstatt sich zu bemühen, mit Kennern der Szene über die Inhalte, Texte und Symbole oder über die Musik zu sprechen und sich vorher zu informieren, bevor sie ein Urteil abgeben? Die Tendenz, Anhängern einer für den Durchschnittsmenschen in unserer Gesellschaft befremdlichen Jugendkultur oder Spezialkultur aufgrund von Kleidung oder Symbolen mit Vorurteilen zu begegnen, beschränkt sich nicht auf Verhaltensweisen gegenüber (Heavy) Metal-Fans. Solche Reaktionen hat Helsper bei Jugendlichen aus der Grufti- Szene in ähnlicher Weise beobachtet, die durch schwarze Kleidung, schwarzgefärbte Haare, Schminke und okkulter oder Todessymbolik auffallen, und ist zu dem Schluß gekommen: „Es geht letztlich um die sensationsgerechte Erzeugung von Klischeebildern, gleichgültig, ob sie mit der Alltagsrealität der betreffenden Jugendlichen übereinstimmen oder nicht“ (Helsper, S. 15). Diese Untersuchung soll dazu beitragen, Vorurteile, die gegenüber dem Heavy Metal als Musikrichtung und eigenständiger (jugendlicher) Spezialkultur bestehen, abzubauen, indem sie versucht, die Musik, Texte und Symbole sowie die soziale Alltagsrealität der betroffenen - meist jugendlichen - Fans aus deren eigener Sichtweise, also aus der Innenperspektive, zu betrachten. Weiterhin soll sie Anregungen geben, sich selbst mit dem Thema eingehender zu beschäftigen, aber auch anderen kulturellen Phänomenen,

2 die nicht zum eigenen alltäglichen Erfahrungsschatz zählen, nicht mit Vorurteilen zu begegnen, sondern sich zunächst sachlich zu informieren und zugleich die Sichtweise des anderen zu verstehen versuchen. Dazu muß noch angemerkt werden, daß auch ich als Autorin nicht den Status eines gänzlich Unbeteiligten innehabe, da ich selber Metal-Fan und in die Szene involviert bin. Das bietet natürlich insofern Vorteile, als daß es sehr viel leichter ist, durch die vielfältigen Kontakte Informationen zu erhalten. Ich bekomme durch meine eigenen Erfahrungen und die meiner Freunde und Bekannten aus der Metal-Szene die Innensicht sozusagen frei Haus geliefert. Somit nehme ich im Spektrum der empirischen Forschungsmethoden, die unter dem Begriff „teilnehmende Beobachtung“ subsumiert werden, die Position eines „engagierten Mitspielers“ ein. Ich arbeite dabei nicht- verdeckt, gebe also meine Identität als Soziologin bekannt, bin aber gleichzeitig Teil der „kleinen Erlebniswelt“ und genieße das Vertrauen der Szene-Insider (vgl. Honer, S. 301). Andererseits muß ich mich natürlich bemühen, trotz meines Informationsvorsprungs als Fan die Death und Black Metal-Szene allgemeinverständlich und ohne Wertung zu porträtieren, indem ich die Sicht der von mir befragten Fans darlege und in soziologischen Worten beschreibe. Um das Thema inhaltlich einzugrenzen, soll nicht die gesamte Metal-Szene, die im Übrigen seit den Achtziger Jahren eine starke Ausdifferenzierung in verschiedene Subgenres durchgemacht hat und dadurch sehr inhomogen geworden ist (vgl. Weinstein, S. 43ff), sondern schwerpunktmäßig der Teilbereich der Death und Black Metal-Szene untersucht werden. Da sich diese Metal-Subgenres bzw ihre Anhänger nicht scharf von anderen Metal-Fans trennen lassen, wird an verschiedenen Stellen von der Gruppe der „Metal-Fans“ im Allgemeinen die Rede sein, in der die Black und Death Metal-Fans mit eingeschlossen sind. Die in diesen (Teil-)Szenen verwendeten Symbole und Texte werden von Kritikern wie Anhängern besonders heftig diskutiert, so daß ein besonderes Interesse an der Darstellung der Fan-Perspektive besteht.

1.2 Methodische Vorbemerkungen

An eben diesen Kontroversen zwischen Fans und Kritikern jugendkultureller Stile (worunter auch die Death und Black Metal-Szene zählt) wird deutlich, daß sich das „Exotische“, Fremde für unsere Gesellschaft nicht unbedingt in großer geographischer Enfernung befinden muß. Es handelt sich hierbei also um eine Untersuchung des Fremden in nächster Nähe, - durch diese Analogie zu ethnologischen Beobachtungen fremder Kulturen wird diese Art der empirischen Sozialforschung als „lebensweltliche Ethnographie“ bezeichnet (vgl. Honer, S. 297f). Dabei steht der qualitative Aspekt im Vordergund, denn es wurden nicht die Häufigkeiten bestimmter fanspezifischen

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Phänomene oder Aussagen statistisch ausgewertet, sondern es sollen typische in der Szene vorhandene Perspektiven beleuchtet werden (vgl. Wilson, S. 496f). Basierend auf dem interpretativen Paradigma (in diese Richtung lassen sich auch der symbolische Interaktionismus von Goffman und die verstehende Soziologie Max Webers einordnen - vgl. dazu Esser, S. 238) soll auf diese Weise die subjektive Interpretation sozialer Realitäten beleuchtet werden. Die Gewinnung in Zahlen auszudrückender, „objektiv“ meßbarer Daten verliert damit an Bedeutung.

1.2.1 Fragestellung und Forschungsperspektive

Bei der Erforschung einer „kleinen Lebenswelt“ wie der Fankultur des Death und Black Metal mit der ethnographischen Methode ist eine genaue Festlegung der Fragestellung besonders wesentlich, um das Problem unübersichtlicher Datenberge aus offenen Interiews mit zahlreichen Beteiligten aus der Szene zu vermeiden (vgl. Flick, S. 152f, Aufenanger, S. 35). Ferner ist es so gut wie unmöglich, eine allumfassende Darstellung der ins Auge gefaßten Forschungsfelds zu leisten. Vielmehr muß ein Ausschnitt ausgewählt werden, auf den sich die Untersuchung konzentriert. Im Vordergrund des folgenden Textes steht daher die Deskription aller wesentlichen Aspekte der Death und Black Metal- Lebenswelt (vgl. Flick, S. 152). Anhand einer strukturierten Darstellung der Fankultur werden die wesentlichen Aspekte des sozialen Handelns in dieser Spezialwelt beschrieben. Als Einstieg dient eine allgemeine soziologische Theorie der Szene. Der Schwerpunkt liegt dabei auf medialen Szenen, die sich um ein Mediun bzw. um mediale Texte bilden, bei denen Medien als Kristallisationspunkte fungieren. Um sich den Blick des Fans zu eigen zu machen, werden die medialen Texte der Death und Black Metal-Szene kurz vorgestellt, und dadurch der Mittelpunkt des Faninteresses phänomenologisch näher beleuchtet. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt schließlich auf der Organisation und Funktionsweise der Fankultur, auf der Charakterisierung von Fans und ihrer systematischen Klassifizierung. Dazu gehören u. a. folgende Fragestellungen:

• Wie sieht die Organisation der Fankultur aus? (4.2) • Welche Rollen spielen gemeinsame - oder unterschiedliche - Aneignungspraktiken der medialen Texte bei Fans? (4.3) • Welche Funktionen erfüllt das Fandom für seine Mitglieder? (4.4) • Wie wird die fanspezifische Wirklichkeit konstruiert? (4.4)

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Anschließend wird anhand einer detaillierten Fallstudie eine typische Fankarriere dargestellt, die verschiedene Aspekte des Fanverhaltens veranschaulicht. Zum Abschluß werden noch auf einige Vermarktungsaspekte dargestellt, die gerade im Zusammenhang mit Medienkulturen von Bedeutung sind.

1.2.2 Annäherung an das Feld

Die empirischen Untersuchungen für die vorliegende Abhandlungen wurden in Form von Gruppendiskussionen und problemzentrierten Interviews mit verschiedenen Fans aus der Death und Black Metal-Szene durchgeführt. Wie eingangs schon erwähnt, war es aufgrund der guten Kontakte zu vielen Metal-Fans ein zu vernachlässigendes Problem, gesprächsbereite Interviewpartner zu finden. So konnte bei der Durchführung der problemzentrierten Interviews, bei denen sich eine Konzeption als dreiphasige Intensivinterviews als praktikabel erwies, die erste Phase, die der Erzeugung eines „quasi-normalen Gesprächsverhaltens“ (Honer, S. 304) dient und die ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Interviewer und Interviewtem generieren soll, bei den Fan-Interviews vernachlässigt werden. Dagegen bereitete die zweite Phase - Narrationen, mitunter biographischer Art - manchmal Schwierigkeiten, wenn der Interviewpartner der Meinung war, dies sei völlig unnötig, da ich diese Dinge sowieso längst wüßte, weil wir uns schon länger kennen würden usw (was in den meisten Fällen eher unbewußt in die Gespräche mit einfloß). Das stimmt natürlich in manchen Fällen, doch mein Interesse galt ja nicht nur dem „Was“, sondern auch dem „Wie“. Die dritte Phase war die interessanteste und ergiebigste, denn sie gestaltete sich als offene Diskussion mitunter mehrerer Personen, die sich an einem thematisch gebundenen Leitfaden und einiger konkret vorformulierter Fragen zu orientieren hatte. Anders liefen die Interviews mit diversen Musikern: Auch hier habe ich mich an dem eben beschriebenen Drei-Phasen-Schema orientiert, mußte es jedoch aus zeitlichen Gründen in eine einmalige Befragung komprimieren. (Die befragten Musiker befanden sich immer auf einer Tour, sodaß an nur einem Zeitpunkt Gelegenheit zum Interview gegeben war.) Besonders die erste Phase war hier nicht immer leicht. So mußte David Vincent, damals Bassist und Sänger von Morbid Angel, einer Death Metal-Band aus Florida/ USA (einige seiner Statements werden später noch Verwendung finden, das komplett transkribierte Interview befindet sich im Anhang IIIa) ), der kurz zuvor sehr schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht hatte, erst davon überzeugt werden, daß ich meine Ergebnisse nicht einem beliebigen Magazin überlassen würde. Um ein möglichst genaues Bild der Metal-Kultur zu vermitteln und das Verständnis für das „Fremde“ zu erleichtern, wurden als „ergänzende Erhebungsstrategien und - materialien“ (Eckert et al., S. 41) Ton-, Bild-und Textdokumente verwendet, die in

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Auszügen im Anhang (III b)-d) ) enthalten sind und in Punkt 3.1.2 anhand einiger ausgewählter Beispiele exemplarisch erläutert werden. Zusätzlich wurden zur Ergänzung Datenquellen „aus zweiter Hand“ hinzugezogen, wie Szenemagazine, Fanzines und eine Videodokumentation. Gerade den Fanzines ist deswegen eine besondere Bedeutung zuzumessen, weil sie von Fans selbst erstellt werden. Insbesondere die Bereitstellung repräsentativer medialer Texte ermöglicht es allen Interessierten, sich ansatzweise den Blick des Fans zu eigen zu machen und fordert zu dem Versuch auf, nicht nur kognitiv, sondern auch emotional nachzuvollziehen, was die Texte für die Fankultur bedeuten. Gerade die Dimension des Klangs kann durch Sprache nur unzureichend vermittelt werden (vgl. Weinstein, S. 27f), anders als bei Texten oder (bewegten) Bildern: „If you want to know what Heavy Metal sounds like, there is nothing to do short of listening to it“ (Weinstein, S. 277).

1.2.3 Auswertung der empirischen Daten

Die meisten Interviews und Gesprächsrunden mit Fans und Musikern wurden auf Tonband festgehalten und später so originalgetreu wie irgend möglich in eine schriftliche Form transkribiert. Einige der Interviews wurden aus praktischen und zeitlichen Gründen mit Hilfe schriftlicher Fragebogen durchgeführt, viele Aussagen von Fans und eigene Beobachtungen am Ort des Geschehens unmittelbar schriftlich festgehalten. Die Auswertung dieses Materials erfolgte in Form einer Themensynopse (vgl. Eckert et al., S. 43), bei der die verschiedenen Materialien themenbezogen zusammengefaßt wurden. So können sich repräsentative Fantypen und typisches Fanverhalten herauskristallieren und als Idealtypen im Sinne Max Webers zur Schaffung einer klaren und anschaulichen Begrifflichkeit verwendet werden (vgl. Weber 1991, S. 82f). In manchen Punkten werden durch die Darstellung der medialen Texte einerseits und zahlreicher Fanaussagen andererseits zwangsläufig Redundanzen enstehen. So werden z.B. die Texte einiger Death Metal-Bands durch Bezugnahme aus unterschiedlichen Zusammenhängen mehrfach thematisiert. Die Kenntnis der medialen Ausdrucksformen ist jedoch wichtig, um die Aussagen der Szene-Insider in den jeweils richtigen Kontext einordnen zu können. Außerdem können sich verschiedene Aspekte eines Phänomens ergänzen und eine vollständigere und lebensnahere Darstellung der Szenerealität liefern.

2. Zur Geschichte und Entstehung der modernen Rockmusik

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2.1 Ursprünge der Rockmusik

Bevor ich mit dem eigentlichen Thema beginne, halte ich es für sinnvoll, den Lesern einen Abriß über die Entstehungsgeschichte der modernen Rockmusik zu geben, aus dem heraus auch die Entwicklung des Metal sowie seiner verschiedenen Ausprägungen in der gegenwärtigen Musiklandschaft erfaßbar werden. Sowohl verschiedene Spielarten des Metal als auch Rock- oder Popmusik werden von der Musikindustrie im weitesten Sinne unter der Sparte „Pop“ zusammengefaßt. Im Gegensatz dazu stehen z.B. Klassik wie J.S. Bach oder W.A. Mozart u.a., worauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Wichtig ist lediglich, sich für den restlichen Verlauf der Arbeit auf die Verwendung der Begriffe zu einigen. Der Begriff „Popmusik“ bedeutet im eigentlichen Sinne nichts anderes als populäre, massentaugliche Musik ohne hohen künstlerischen Anspruch, die rein der Unterhaltung dient. Sie wird in der Fachliteratur auch oftmals als „U-Musik“ (Unterhaltungsmusik) bezeichnet und beinhaltet sämtliche Musikrichtungen vom Schlager, Chanson über Tanzmusik bis zu den verschiedenen Formen der Rockmusik. Dagegen wird die Bezeichnung „Rockmusik“ im engeren Sinne für diejenigen Stilrichtungen gebraucht, die auf dem von Afroamerikanern bereits im 19. Jahrhundert entwickelten Blues basieren (vgl. Binkowski, S. 103). Diese Definition von Rockmusik wird auch im weiteren Verlauf der Arbeit beibehalten werden.Wie der Negro Spiritual oder Gospelsong, die eine Form von (christlicher) geistlicher oder Kirchenmusik darstellen, entstand auch der Blues oder Worksong als weltliche Variante in der afroamerikanischen Bevölkerung auf dem Erlebnishintergrund der Sklaverei in den USA. Der Blues beschäftigt sich dabei mit Themen wie Armut, sozialer Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung, aber auch Tod und Unglück im allgemeinen. Die Grundstimmung ist düster, traurig, melancholisch bis völlig lebensverneinend, aus der damaligen sozialen Situation der versklavten afroamerikanischen Bevölkerung jedoch völlig verständlich (vgl. Binkowski, s. 129ff). Wie auch die traditionelle, „klassische“ europäische Musik kennen Gospelsong und Blues die Mehrstimmigkeit (im Gegensatz zu anderen in afrikanischen oder sonstigen außereuropäischen Kulturen entwickelten Formen musikalischer Artikulation), bereichern die klassischen Harmonien jedoch um sogenannte „blue notes“, messen der instrumentalen und vokalen Improvisation eine wesentlich größere Bedeutung bei und verstärken das rhythmische Element, das in der europäischen Tradition eher unterentwickelt ist. In der Mitte dieses Jahrhunderts hatte sich in US-amerikanischen Großstädten aus der afroamerikanischen Blues-Tradition heraus der Rhythm & Blues entwickelt, eine leichtere, auf Unterhaltung ausgerichtete Ausdrucksform des schwarzen Lebensgefühls. Diese Musikrichtung stellt gleichsam den Urahn aller heute existierenden Spielarten des Rock dar und wurde Mitte der Fünfziger Jahre von weißen Amerikanern mit in den

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Rock’n’Roll genommen, der die erste große Jugendrevolution des Post-War-Zeitalters begleitete und vielleicht sogar mitauslöste. Die junge, damals 15 - 25-jährige Generation hatte die romantische Schlagermusik der 30er und 40er Jahre satt und wandte sich dem rhythmusbetonten, impulsiven und lauten Rock’n’Roll zu, dessen große Interpreten und Stars Bill Haley, Chuck Berry, Little Richard und natürlich Elvis Presley waren. Der im Vergleich zu den Schlagern und der Tanzmusik der 40er und 50er Jahre revolutionäre Rock’n’Roll hat sich mittlerweile etabliert und ist spätestens im Zuge der Nostalgiebewegung seit Mitte der 80er Jahre selbst zum „Klassiker“ geworden. Darüberhinaus ist der Impuls, der von der Rock’n’Roll-Bewegung ausging, auch heute noch in den verschiedenen Musikszenen spürbar. So verband der Rock’n’Roll erstmals bestimmte Formen der musikalischen Ausdruckweise mit einer spezifischen Lebenseinstellung und Weltanschauung, die bewußt auf einen Generationenkonflikt, auf die Konfrontation mit dem Establishment ausgerichtet waren und traditionelle Werte und Normen ablehnten (vgl. Kemmelmeyer/ Nykrin, S. 256f). Seitdem hat sich dieser Prozeß, meistens von den Vereinigten Staaten oder England ausgehend, mit jeder musikalischen Erneuerungswelle in mehr oder minder starkem Maße wiederholt und zu stark veränderten musikalischen Verhaltensweisen von Jugendlichen in den westlichen Industrienationen geführt (vgl. Wiechell, S. 83). Zwischen Zeitgeschichte und Rockgeschichte lassen sich Querverbindungen aufzeigen, so stand die Leder-Jeans- Cowboystiefel-Ausstattung der Rock’n’Roller nicht nur für ein verändertes ästhetisches Empfinden der jungen Generation (mit Vorbildern wie den Hollywood-Schauspielern James Dean oder Marlon Brando), sondern auch für die Ablehnung des ordentlichen, sauberen amerikanischen Gesellschaftsideals jener Zeit (vgl. Binkowski, S. 103).

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Graphik 1: Stammbaum der Rockmusik Quelle: Binowski, S. 102

In Graphik 1 sind in schematischer Form die Entwicklungen der wichtigsten Arten von Rockmusik auf der Basis von Blues, Folk (ein nicht zu unterschätzendes Element in der von weißen US-Amerikanern gespielten Musik) und europäischer Klassik dargestellt. Hierbei wird sogenannte „U-Musik“ mit „E-Musik“ (ernster Musik) oder „Kunstmusik“unterschieden. Auf viele der hier eingezeichneten Musikrichtungen soll nicht weiter eingegangen werden, da es sich teilweise um Bezeichnungen handelt, die keinerlei Aktualität mehr besitzen und nur noch im hiosdtorischen Kontext verwendet werden. Wie aus der Graphik 1 ersichtlich, haben sich aus dem Blues Rock, eine Richtung, die kompositorische Elemente des Blues mit der Lautstärke und Energie des Rock’n’Roll auf elektrisch verzerrten Instrumenten (E-Gitarre, E-Baß, lautes Schlagzeug) verband, ab ca. 1970 der Hard Rock und später der Heavy Metal, für dessen frühes Entwicklungsstadium auch die Bezeichnungen Heavy Metal Rock oder Heavy Rock gebraucht werden, herausgebildet. Damit beginnt die Phase, die für die Herausbildung der Death und Black Metal-Szene von Bedeutung ist.

2.2 Zur historischen Entwicklung des Heavy Metal

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Die Ursprünge jeder Art von Rockmusik, die im weitesten Sinne zum Heavy Metal zählt, liegen bei der Band aus England, die sich bereits 1969 Jahre gründete und seit ihren großen Erfolgen in den Siebzigern Kultstatus genießt. Diese und andere Gruppen, die damals auch als Hardrock oder Heavy Rock bezeichnet wurden, wie Deep Purple, AC/DC, Led Zeppelin oder Aerosmith, experimentierten bereits mit extrem verzerrten E-Gitarren und kreierten so den für Hardrock und frühen Heavy Metal typischen Klang. Seit Mitte der Siebziger Jahre bestimmten auch Bands wie , Motörhead, später Mercyful Fate, , Accept oder Savatage - um nur einige wenige zu nennen - die „klassische“ Metal-Szene. Mittendrin schlug mit der „New Wave of British Heavy Metal“ (NWoBH), die 1979 von der Untergrund-Metalszene Großbritanniens ausging, dann die Geburtsstunde des „modernen“ Metal. Von vielen Szenekennern wird die NWoBHM als die erste und einzige „Revolution“ im sich sonst immer auf Traditionen berufenden Heavy Metal angesehen. Die NWoBHM holte Metal zurück auf die Straße, nachdem Bands wie Black Sabbath Millionen von Platten verkauften, entsprechende Hallen füllten und von vielen Fans als zu kommerziell erachtet wurden (vgl. Moder et al, S. 6f). Seitdem hat die NWoBHM alles beeinflußt, was sich in der Metal-Szene entwickelt hat, einschließlich der Death und Black Metal-Wellen. Die ersten Alben, die schon als Black Metal und z.T. als Vorläufer des Death Metal bezeichnet werden können, kamen bereits ab 1982 auf den Markt, als die Heavy Metal- Szene weniger ausdifferenziert war. Es handelt sich hierbei um das Album „Welcome to Hell“ der (für damalige Verhältnisse) Krawallcombo Venom aus England, die von vielen als zur NWoBHM zugehörig gesehen wird. Zunächst erfuhr diese Veröffentlichung nicht gerade sehr viel Beachtung, denn in den darauffolgenden Jahren wurde erst einmal eine andere Metal-Welle populär: der Speed und Thrash aus USA, besonders , , Testament oder Exodus. In der Zwischenzeit veröffentlichten Venom in Europa weiterhin Platten, gefolgt von Bands wie Hellhammer oder Sodom, die auch zum europäischen Thrash zählen - zusammen mit Bands wie Kreator oder Destruction. Der stilmäßige Durchbruch für den Ur-Death kam mit Hellhammers Nachfolgeband (Schweiz) - , die heute noch Kultstatus genießt. Darauf hin gründeten sich auch in USA Death Metal-Bands, allen voran Death, deren Debut 1987 „Scream Bloody Gore“ musikalisch und textlich genau das enthielt, was auch heutzutage unter Death Metal verstanden wird. Weitere Bands folgten (1988-1990), so Massacre, Terrorizer, Morbid Angel und Obituary aus USA, die dem Death Metal zum Erfolg verhalfen. Gleichzeitig kamen sowohl aus England mit Bolt Thrower und Napalm Death als auch aus Schweden mit Grave, Unleashed, Entombed und Dismember neue Impulse (vgl. Frank Albrecht im Rock Hard Death Metal-Sonderheft, 1992, S. 5ff). Die meisten dieser Bands existieren heute noch, obwohl sie 1996 nicht mehr so „im Trend“ liegen wie 1992. Ab 1994 entstanden immer

10 mehr Varianten von Death Metal, die von sehr unterschiedlichen nicht-metallischen musikalischen Elementen geprägt wurden und werden. Obwohl Black Metal die gleichen Wurzeln wie Death Metal hat, nämlich die Musik von Bands wie Venom oder Hellhammer, entwickelte es sich von Anfang an in sehr kleinen Fan-Gemeinden abseits der erfolgreicheren Metal-Varianten zu einem eigenständigen Subgenre. Eine weitere bedeutende Band, die die meisten der heutzutage existierenden (besonders skandinavischen) Black Metal-Bands stark beeinflußt hat, ist Bathory aus Schweden. Desweiteren steht „Metal“ abgesehen von seiner historischen Entwicklung auch heute nicht für eine homogene Musikrichtung, sondern läßt sich in viele Unterbereiche aufgliedern, von denen sich einige mit benachbarten Stilrichtungen überschneiden. Die wichtigsten bzw. diejenigen Bezeichnungen für Stilrichtungen innerhalb des Metal, worüber sich die meisten in der Szene hinsichtlich ihrer Verwendung und ihres Inhalts einigermaßen einig sind, sind in folgendem Schema dargestellt:

Graphik 2: Verschiedene Stilrichtungen innerhalb der Metal-Szene Quelle: Eigene Darstellung Ergänzend soll eine kurze Erläuterung zu den verschiedenen Stilrichtungen gegeben werden:

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Hard Rock: Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre entstandene Variante des Rock mit verzerrten E- Gitarren, Standardinstrumentation: E-Gitarre, E-Bassgitarre, Schlagzeug, Gesang, evtl. Keyboard.

Heavy Metal: Erweitert gegenüber dem Hardrock die Möglichkeiten zum Einsatz der (stärker) verzerrten E-Gitarren, Black Sabbath erfinden die „Riffs“: besondere Technik beim Spielen der E-Gitarre, bei dem eine Abfolge von Tönen gegriffen (angeschlagen, nicht gezupft) wird und der Klang nicht verhallt, sondern gedämpft wird, sodaß ein dem Streichorchester ähnlicher Effekt langgezogener Töne entsteht. Hinzu kommt eine stark betonte Rhythmussektion (Bass und Schlagzeug).

Speed Metal: Grundsätzlich ähnlich wie Heavy Metal aufgebaut, aber härtere (stärker verzerrte) Gitarren, durchgehend sehr schnelles Grundtempo, Gesang wird oft durch Geschrei in meist hoher Tonlage ersetzt.

Doom Metal: Langsamer als Heavy Metal, schwere Riffs, düstere Wirkung.

Thrash Metal: Wesentlich härtere Gitarren und Beats als beim Heavy Metal, oft schreiende, verzerrte Vocals, mittelschnelle bis sehr schnelle Rhythmen, oftmals fehlende oder nur angedeutete Melodielinie (teilweise Einflüsse aus dem Punk- und Hardcorebereich).

Zur Charakterisierung von Death und Black Metal siehe Punkt 4.1.1.

2.3 Exkurs: Das aktuelle Panorama der verschiedenen Musikszenen

Um die Einordnung der Metal-Szene, speziell der Death Metal-Szene, in das Panorama aktueller Musikrichtungen zu erleichtern, wird im folgenden ein kurzer Überblick über die Musikszenen gegeben. Die meisten dieser Musikrichtungen, die auch irreführenderweise unter dem sehr elastischen Oberbegriff „Pop“ zusammengefaßt werden, spielen vor allem - aber nicht ausschließlich - für Jugendliche eine wichtige Rolle: „Nach wie vor gehört diese Musik in erster Linie der Jugend - auch wenn sogar 50jährige ‘Ein schöööner Tag’ summen. Für die Jugend ist Pop traditionell mehr als bloß nette Musik, die man hin und wieder

12 mitträllert. Pop - in seiner gesamten Bandbreite von Rock, Punk, und Heavy Metal über Soul und Reggae bis zu Dancefloor und HipHop ist seit den 50er Jahren das Nonplusultra der Jugendkultur“ (Janke/ Niehus, S. 53f). Einen kleinen Überblick über die verschiedenen (wichtigsten) Musikstile, die die Poplandschaft maßgeblich prägen, gibt Graphik 3:

Graphik 3: Aktuelle Musikrichtungen Quelle: Eigene Darstellung Es ist auffällig, daß, obwohl der westlichen postindustriellen Gesellschaft ein starker Trend zur kulturellen Vereinheitlichung nachgesagt wird, besonders im Bereich der

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Popkultur durch globale Sender wie MTV, sich gerade hier eine ungeheure divergierende Vielfalt an musikalischen Spezialkulturen findet, die oft miteinander in irgendeinem Zusammenhang stehen (z.B. gemeinsame Ursprünge haben), aber sich dennoch sehr unterschiedlich entwickelt haben. Die Anzahl und die Auswahl der verschiedenen Musikstile ist natürlich Definitionssache, aus einer Befragung von an Popmusik interessierten Jugendlichen würden wahrscheinlich mindestens ebensoviele Meinungen resultieren wie befragte Kandidaten. Dennoch soll ein Versuch unternommen werden, eine Kurzcharakterisierung der aktuellen musikalischen Stilrichtungen zu geben (vgl. Janke/ Niehus, S. 59ff):

Mainstream (Pop/ Rock/ Dancefloor): Radiotaugliche Popmusik im weitesten Sinne, die von einer großen Anzahl Menschen gehört wird und dementsprechend viele verkaufte Tonträger bzw. Hitparadenplätze aufweist.

Alternative: Moderne (90er) Spielart des Hardrockmit depressiver oder wütender Grundstimmung.

Independent: Sammelbegriff für alle Rock- und Pop-Musik, die mit einem bewußt antikommerziellen Anspruch auftritt.

Gothic: Atmosphärische und/ oder düstere Variante von Rock und Pop, manchmal mit klassicher Rockband-Besetzung, manchmal mit elektronischen (mit Synthesizern erzeugten) Klängen.

Industrial: Oberbegriff für alle Mischungen aus Noise (Krach), z.T. mit verzerrten E-Gitarren, und elektronischen Elementen.

EBM (Electronic Body Music)/ Elektro: Am Computer oder Synthesizer überwiegend für den Dancefloor komponierte Musik, die atmosphärische und düstere Meodien/ Samples mit harten elektronischen Beats kombiniert.

Techno:

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Durch Computer erzeugte Musik, die nur für den Dancefloor komponiert wird. Kaum Melodien oder Vocals, überwiegend rhythmisch kombinierte elektronische Sounds in allen Variationen und Tempi.

House: Am Computer hergestellte Dancefloormusik, im Unterschied zu Techno mit afroamerikanisch beeinflußten Rhythmen, oft mit Gesang.

Reggae: Tanzmusik aus Jamaika, die auf dem zweiten Schlag betont wird. Verbindet afrikanische Rhythmuselemente mit Karibik-Folklore.

Raggamuffin: Verbindung von schnellen Reggae-Rhythmen und HipHop-ähnlichem Sprechgesang, „Toasting“ genannt.

TripHop: Reggaebeeinflußte, vor sich hinplätschernde („Dub“-orientierte) Musik zum „Relaxen“ und lansamem Tanzen.

Soul/Funk: Kommerzielle afroamerikanische Musik der späten Sechziger und Siebziger Jahre. Mit Soul ist meist sehr ausdruckstarker, melodischer Gesang verbunden, mit Funk lockere, zum Tanzen animierende Rhythmen.

Rap/ HipHop: Ursprünglich die Musik der in den Ghettos lebenden Afroamerikaner in den USA. Dabei wird Sprechgesang, der sogennante Rap (= Rhythmic American Poetry), mit synthetischen, teilweise sehr harten Rhythmen unterlegt. Melodien spielen keine große Rolle.

Crossover: Afroamerikanische HipHop-Rhythmen, „gekreuzt“ mit den verzerrten E-Gitarren- Klängen aus Metal und Hardcore.

Hardcore: Ähnlich wie Punk, aber weniger eingängig, mit wütendem, aggressiven Geschrei und hartem Gitarren- und Bass-Sound. Punk:

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3-Akkorde-Musik mit verzerrten E-Gitarren, schnell, eingängig und mit Refrains zum Mitsingen.

Nicht jeder Musikstil zieht automatisch die Entstehung einer eigenständigen Szene oder Fankultur mit sich. Das trifft besonders für die sogenannten „massentauglichen“ Musikrichtungen zu, die oftmals ursprünglich aus dem Umfeld einer Untergrundbewegung heraus entstanden sind. Nach einer Phase der politisch-gesellschaftlichen oder ästhetischen Rebellion verpufft die „Schockwirkung“ einer bestimmten Musikrichtung für den durchschnittlichen Hörer, und die einstmals avantgardistischen Einflüsse gehen in der Mainstreamkultur auf. Die weltweit führenden multinationalen Tonträgerfirmen und Medien greifen den Trend auf und nehmen oft ehemalige Außenseiterbands unter Vertrag. Dies ist z. B. beim sogenannten Alternative Rock oder Grunge passiert, deren bekannteste Vertreter die Band Nirvana aus Seattle/USA sein dürfte. Die „Unkommerzialität“ und rauhe Ursprünglichkeit dieser Musik wurden so geschickt vermarktet, daß innerhalb kürzester Zeit Millionen von Tonträgern dieser Band über die Ladentische gingen und großen Teilen der jugendlichen „Alleshörer“, unterstützt durch ständige Präsenz in Radio- und Fernsehsendungen, diese Musikrichtung, insbesondere die Band Nirvana, ein Begriff wurde (vgl. Janke/ Niehus, S. 64f).

16 3. Medien als Kristallisationspunkte von Fankulturen und Szenen

3.1 Strukturwandel der Gesellschaft und Individualisierung

Über das Phänomen der „Moderne“ wird sowohl in Philosophie als auch in Geschichts- und Sozialwissenschaften heftig diskutiert, vor allem, woran man den Beginn der Moderne festmachen könne und „ob es überhaupt einen kategorial bestimmbare deutliche Kluft gibt, die die Moderne von früheren Epochen trennt“ (Hahn 1984, S. 178). Unbestritten ist wohl, daß es auch zwischen vorangegangenen geschichtlichen Epochen radikale Schnitte gab, so etwa von der Phase der Jäger und Sammler oder auch der Nomaden zur Seßhaftwerdung und zum Ackerbau. Ebenso traten viele Merkmale der Moderne in früheren Epochen schon auf, allerdings nicht „als Massenerscheinung - und darauf kommt es an“ (Max Weber 1986, S. 42). Außerdem übertrifft die Geschwindigkeit, mit der seit Beginn der industriellen Revolution Veränderungen sowohl im technologischen als auch im gesellschaftlichen Bereich stattfinden, alles, was bisher aus historischer Zeit bekannt ist. Modernisierung bezieht sich typischerweise weiterhin auf alle Lebensbereiche. Max Weber führt diesen Strukturwandel auf eine umfassende Rationalisierung zurück, die sich (verkürzt gesagt) sowohl im öffentlich-staatlichem (z. B. Berufsbeamtentum) als auch im privaten Sektor (asketische Lebensführung) niederschlägt und letztlich in der Entstehung des modernen Kapitalismus mündet (vgl. Weber 1986, S. 11). Die Moderne ist durch ein hohes Maß an struktureller und funktionaler Differenzierung gekennzeichnet, was dazu führt, daß die Individuen ihre Verankerung in ihrer ursprünglichen Gruppe (Stamm, gesellschaftliche Schicht) verlieren. (vgl. Hahn 1986, S. 215). Dieser Strukturwandel bringt eine Tendenz zur Individualisierung mit sich, die bereits mit Beginn der Moderne einsetzt, aber nach Beck (1986) vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidenden Einfluß gewinnt: „Modernisierung führt nicht nur zur Herausbildung einer modernen Staatsgewalt, zu Kapitalkonzentrationen und einem immer feinkörnigerem Geflecht von Arbeitsteilungen und Marktbeziehungen, zu Mobilität, Massenkonsum usw., sondern eben auch - und damit sind wir bei dem allgemeinen Modell - zu einer dreifachen Individualisierung“ (Beck, S. 206). Individualisierungsprozesse haben nach Beck eine Schlüsselfunktion in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, die sich gegenwärtig in einer Umbruchsphase befindet, nämlich auf dem Weg von der Mangelgesellschaft in die Risikogesellschaft (vgl. Beck, S. 27) lassen sich aber auch auf andere moderne westliche Gesellschaften übertragen. Die von ihm postulierten drei Dimensionen der Individualisierung charakterisiert Beck folgendermaßen: „Herauslösung aus historisch vorgegebenen Sozialformen und -bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts-und Versorgungszusammenhänge (‘Freisetzungsdimension’), Verluste von traditionalen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungsweisen, Glauben und leitende Normen

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(‘Entzauberungsdimension’) und - womit die Bedeutung des Begriffes gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird - eine neue Art der sozialen Einbindung (‘Kontroll- und Integrationsdimension’)“ (Beck, S. 206). Dabei kann Individualisierung nicht bloß als Herausbildung individualisierter Lebensstile aufgefaßt werden, sondern steht für eine „Veränderung von Lebenslagen“, was insbesondere im Hinblick auf die Reintegrationsfunktion von Bedeutung ist. Historisch betrachtet begann der Individualisierungsschub, auf den Beck sich bezieht, mit der Neuordnung der (west)deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, hatte seinen Vorläufer aber in der Herauslösung des Individuums aus dem ständisch geprägten Klassensystem bereits zur Jahrhundertwende, einer Entwicklung, die sich mit der Auflösung des proletarischen Milieus, der Entstehung großstädtischer Zentren und schließlich der Umstrukturierung zur Dienstleistungsgesellschaft fortsetzte. Eine besondere Rolle kommt dabei der emanzipatorischen Frauenbewegung, deren Ursprünge bereits im 19. Jahrhundert liegen, die aber erst in den Sechziger Jahren dieses Jahrhunderts politische Durchschlagskraft erreichte, zu. „Die Frauen werden aus der Eheversorgung - dem materiellen Eckpfeiler der traditionellen Hausfrauenexistenz - freigesetzt“ (Beck, S. 208). Damit können Frauen in bisher nicht gekanntem Maße ihre Biographie selbst gestalten und dabei auch in traditionell Männern vorbehaltene Berufe vordringen. Unter anderem durch diese Loslösung der Frau von der traditionellen Hausfrauenrolle als einziger Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten, hält der gesellschaftliche Wandel auch in Kleingruppenstrukturen Einzug, so auch in die Familie als „letztem stabilem Bezugsrahmen“ (Beck). Das zeigt sich an dem Infragestellen der Ehe als Quasi- Notwendigkeit und heiliger Institution, wie die gegenüber der ersten Jahrhunderthälfte gestiegenen Zahlen von Scheidungen einerseits und Singles andererseits beweisen und an radikal veränderten Vorstellungen von dem, was Familie leisten kann und soll, wenn beispielsweise Forderungen nach der Möglichkeit zur Erziehung von Kindern durch homosexuelle Partner laut werden. „Der oder die einzelne selbst wird zur lebensweltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen“ (Beck, S. 209). Dennoch folgt aus der Individualisierung in letzter Konsequenz durch den Zerfall sämtlicher Strukturen nicht ein gleichsam anomischer Zustand. Ebensowenig wird dem Klischee sozialer Isolierung des Individuums Genüge getan (vgl. Charlton/ Neumann-Braun, S. 109). Vielmehr formuliert Beck als weitere Konsequenz der Industrialisierung eine Standardisierung der Individuen, insbesondere durch das Programm der Massenmedien. Aus dieser Perspektive gesehen könnte man diese Entwicklung mit Blick auf die Massenmedien auch mit Habermas den Weg von einem „kulturräsonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum“ (Habermas, S. 93) nennen. An die Stelle der bürgerlichen Bildung tritt Berieselung durch die Konsumindustrie. Diese greift die „niedere Unterhaltung von einst“ (Adorno, S. 32) auf und verfielfältigt sie zum Massenprodukt, das als Kunst verkauft wird, aber in Wirklichkeit diese Bezeichnung nicht verdient, und noch mehr: die zu einer „Entkunstung der Kunst“ (Adorno, ebd.)

18 führt. Es bleibt jedoch die Frage bestehen, ob die Konsequenzen des Strukturwandels und des Fortschritts der Kommunikations- und Informationstechnologie tatsächlich als „Instrumente zur Totalisierung einer entpolitisierten Öffentlichkeit“ (Dröge, S. 77) bezeichnet werden können und eine „Gleichschaltung“ der gesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Aktivitäten bedeuten (vgl. Baacke 1991, S. 340). Daß die moderne - im Sinne von gegenwärtiger - Massenkommunikation in der Tat eine bedeutende Rolle bei der Neuordnung und Neustrukturierung sozialer Gefüge in der heutigen Gesellschaft spielt, ist jedoch unbestritten.

3.2 Szenen als neuer Modus der Vergesellschaftung

Gesellschaftliche Strukturen zielen immer auch auf eine Reduktion der Komplexität der Welt ab. Handelnde Individuen benötigen eine Sicherheit bezüglich des Verhaltens und der Absichten anderer, eine Reduktion der Interpretationsmöglichkeiten des Verhaltens ihrer Mitakteure. Deswegen entstehen auch in stark individualisierten Gesellschaften im Sinne von Beck Mechanismen, die an die Stelle der sogenannten traditionalen Sicherheiten wie ständisch organisierter Gesellschaft, starker staatlicher Autorität und einem religiös geprägten Moral-und Wertesystem treten. Die wuchernde Komplexiät muß durch neue Formen der Ordnung reduziert werden: „Die enorme Verdichtung von Erlebnisangeboten stiftet ständig neue Verwirrung. Im raschen Pulsieren alltagsästhetischer Episoden verlören die Erlebniskonsumenten immer mehr den Überblick, würde diese wuchernde Komplexität nicht durch neue Formen der Ordnung reduziert“ (Schulze, S. 464). Schulze verwendet zwei Begriffe, um die neu aufkommenden Ordnungsstrukturen in der stark individualisierten Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu beleuchten: Publikum und Szene. Unter einem Publikum versteht Schulze Menschen, die das gleiche Erlebnisangebot konsumieren, ein „Personenkollektiv, das durch den gleichzeitigen Konsum eines bestimmten Erlebnisangebotes konstitutiert wird“ (Schulze, S. 743), wobei es charakteristisch ist, daß sie es nicht miteinander, sondern nebeneinander konsumieren. Das kann sich z.B. um eine Gruppe von Leuten handeln, die sich im gleichen Kinosaal einen Film ansehen, im gleichen Modegeschäft einkaufen oder die gleiche Frisur tragen. „Wegen der unterschiedliche zeitlichen Ausdehnung der publikumsrelevanten Phase von Erlebnisangeboten kommt es unvermeidlich zur Kumulation von Publikumszugehörigkeiten, Die Besucher einer Diskothek sind nicht einfach nur Diskothekenpublikum, sondern gleichzeitig Konsumenten von Kleidung, Schmuck, Musik, Autos, Zigaretten, Getränken, Möbeln und anderem“ (Schulze, S. 461). Die Industrialisierung der Erlebnisproduktion (insbesondere die Massenmedien) haben es ermöglicht, daß die einzelnen Teilnehmer an einem Erlebnisangebot nicht zwangsläufig

19 mehr miteinander kommunizieren, ja sich nicht einmal kennen müssen, so zum Beispiel bei der Publikumszugehörigkeit „Zuschauer der Tagesschau“. Bei einer Szene verdichtet sich das soziale Kommunikationsnetz wieder, es muß eine Zusammenarbeit von Publikum und Erlebnisanbietern gegeben sein. „Aus meist unklaren Anfängen heraus entwickeln sich prägnante atmosphärische Charakteristika, auf die sich nach einem kollektiven Lernprozeß beide Seiten einstellen: die Anbieter durch die Bereitstellung der Opportunitässtrukturen zur Erzeugung einer bestimmten Atmosphäre (Raumaufteilung, Beleuchtung, akustischer Hintergrund, Programmangebot u.a.), so werden je nach erwartetem Publikum die Hintergründe anders gestaltet (vgl. Winter/ Eckert, S. 66), die Nachfrager durch selektiven Besuch eines bestimmten Ensembles von Einrichtungen, die dadurch atmosphärisch miteinander verbunden werden wie durch ein System kommunizierender Röhren“ (Schulze, S. 465). Dabei bezieht sich Schulze, wenn er von einer Szene spricht, immer auf eine physikalisch greifbare Lokalität, wie etwa Kneipen, Restaurants, Kinos usw. Wie aber noch zu zeigen sein wird, sind „Szenelokale“ zwar fast immer fester Bestandteil einer Szene, aber nicht unbedingt der Mittelpunkt. Teile des bereits angesprochenen industriell gefertigten Massen-Erlebnisangebots, das den überall verfügbaren anonymen Massenkonsum erst ermöglicht, kann selbst in den Mittelpunkt von Szenen rücken. So verlagert sich bei medialen Szene der Schwerpunkt von Lokalen auf massenmediale Konsumgüter. Dennoch bleiben die Grundzüge, wie Anbieter (von Erlebnisangeboten) und Erlebnisnachfrager eine Szene „erarbeiten“, sehr ähnlich. „Wenn die ästhetische Schematisierung einer Szene einmal kollektiv erarbeitet ist, führt das Zusammenspiel der Rationalitäten von Anbietern und Nachfragern zu ihrer langfristigen Stabilisierung“ (Schulze, ebd.). Beim Publikum bildet sich eine bestimmte Erwartungshaltung heraus, bei den Anbietern wird ein „Produktionsprogramm“ erstellt, das die Generierung eines bestimmtes Images miteinschließt. Die einzelnen Anbieter erstellen somit auch Codes, die nur für ein bestimmtes Zielpublikum verständlich sind und Gültigkeit besitzen. Auch durch die Benutzung spezifischer Kanäle, um Werbung für ihr Erlebnisangebot zu machen, können die Anbieter sichergehen, daß ihr Angebot das richtige Zielpublikum erreicht. Außerdem werden erwünschte Verhaltensmuster, die innerhalb einer Szene Gültigkeit haben sollen, festgelegt. Szenen als Sammelbecken von Individuen mit gleichen oder ähnlichen Konsum- und Erlebnispräferenzen werden somit in einer Gesellschaft mit stark individualisierten Lebensstilen und -biographien zum neuen Modus der Vergesellschaftung, zum Orientierungsschema für die Individuen und führen somit zur Reduktion der Komplexität im Alltag.

3.3 Medien im Mittelpunkt von Fankulturen und Szenen

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Wie im vorangegangenen Abschnitt dargelegt, spielen Szenen eine wichtige Rolle im Leben des Menschen in den Industrienationen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Doch abgesehen davon, daß eine Szene im Sinne von Schulze sich auf ein Netzwerk von Lokalitäten bezieht, die von Mitgliedern einer bestimmten Szene, die einen gemeinsamen Lebensstil entwickelt haben, frequentiert werden, entwickeln mediale Szenen weitere besondere Eigenschaften. Zum einen sind die „Szeneanbieter“ nicht gleichzusetzen mit Kneipen- oder Diskothekenbetreibern, zum anderen ist es fraglich, ob zwischen „Anbietern“ und „Nachfragern“ überhaupt scharf getrennt werden kann. In diesem Sinne erfahren Szenen, deren Mitglieder sich durch den Konsum und die Rezeption bestimmter massenmedialer Texte definieren, sowohl eine Globalisierung als auch eine interne Umstrukturierung. Auch ihre Rolle in der kulturellen Landschaft der Gesamtgesellschaft wird neu definiert. Solche Szenen stellen Nischen für spezialisierte Bedürfnisse und Interessen dar. Individuen, die sich in diesen kulturellen Nischen aufhalten, werden als Fans (von englisch „fanatic“ abgeleitet), bezeichnet. Laut Konversationslexikon ist ein Fan „jemand, der sich leidenschaftlich für etwas begeistert“ (dtv-Brockhaus, S. 223, Sp.2), doch oft schwingt bei diesem Begriff eine negative Konnotation mit, Fans sind nach gängigen Vorstellungen „obsessive, ‘lobotomisierte’ Anhänger der Massenkultur, die sich alles kaufen und konsumieren, was mit ihrem von der Kulturindustrie gesteuerten Interesse zusammenhängt“ (Winter 1995, S. 129). Das „Objekt der Begierde“ der Fans medial produzierter Texte können Fernsehserien, Filmgenres oder einzelne Filme, musikalische Stilrichtungen oder bestimmte Künstler sein. Entgegen der Vorstellung der von der Kulturindustrie gesteuerten Interessen und Konsumgewohnheiten der Fans sind es aber nicht nur - und gerade nicht - die Kulturgüter des Massengeschmacks, um die herum sich ein ausgeprägtes Fandom bildet, auch wenn die Vermittlung auf massenmedialem Wege erfolgt. Solche um durch Massenmedien wie Fernsehen, Video oder Tonträger kreierte Texte herum kristallisierten Fankulturen sind schon mehrfach thematisiert worden, so von Eckert et al. 1990 am Beispiel der Fankulturen von Horror- und Pornofans, für die die entsprechenden Videos zum Mittelpunkt ihrer Sozialwelt werden. Auf die Lebenswelt besonders jugendlicher Horror-Video-Fans geht „Jugendliche Videocliquen“ (Vogelgesang 1991) ein, „Der produktive Zuschauer“ (Winter 1995) behandelt eher cineastisch ausgerichtete Horrorfans jeden Alters und Anhänger trivialkultureller Medientexte (Lindenstraße, Star Trek) im Allgemeinen. Neben dem Übertreten lokal bedingter Szenegrenzen weisen die Ergebnisse o.g. Untersuchungen auf die Vermischung hochkultureller und massenkultureller Elemente (vgl. Winter 1995, S. 43), ein eigenes Kommunikationsnetz (vgl. Vogelgesang/ Winter 1990) und differenzierte Rezeption und Aneignung der medialen Texte durch die Fans

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(vgl. Eckert/ Vogelgesang/ Wetzstein/ Winter 1990: „Von der Medienmarionette zum aktiven Rezipienten“, S. 26) hin. Die Überlokaliät medialer Szenen erscheint einleuchtend. Das Fernehprogramm z.B. ist in der ganzen Bundesrepublik, bis auf einige wenige regionale Besonderheiten, nahezu identisch, viele Serien und Spielfilme werden auch in anderen Ländern im Fernsehen gezeigt; die meisten Tonträger und Videocassetten sind auf der ganzen Welt erhältlich (notfalls über spezielle Importwege, was zu dem faneigenen Kommunikationsnetz überleitet), also haben alle Fans fast gleichen Zugang zu allen medialen Texten. Das Kommunikationsnetz bezieht sich auf Informationsmedien, Kommunikationskanäle sowie -codes und Rahmung, die für jede Fankultur (Horror, Porno, Science Fiction, Metal...) eine jeweils eigene Ausprägung besitzen (vgl. Vogelgesang/ Winter 1990, S. 43). Schließlich ergibt sich aus der Erforschung der Fankulturen, daß die Fans solcher medialen Texte (entgegen weit verbreiteter Vorstellungen und der bereits angesprochenen Skepsis gegenüber der Massenkommunikation einger Kulturkritiker) sich offensichtlich nicht einfach berieseln lassen, sondern vielfältige Mehtoden zur Auseinandersetzung mit Medieninhalten entwickeln und zu regelrechten Experten auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet (z.B. Horrorvideos) werden. „Damit treten wir auch der in bestimmten Kreisen der Kulturkritik immer noch verbreiteten Überzeugung entgegen, Kommunikationsmedien seien die großen kulturellen Gleichmacher oder gar die Produzenten einer farblos-eindimensionalen Massenkultur. Im Gegenteil, ihre rasche Diffusion und Diversifikation erweitert den bereits hochspezialisierten Freizeitbereich um neue medialkulturelle Sonderwelten und schafft damit gleichsam eine Börse für vielfältige individuelle Interessen, Selbstdefinitionen und Stilbildungen“ (Eckert et al. 1990, S. 31f.).

3.4 Die Bedeutung jugendlicher Fans für mediale Szenen

Der Strukturwandel der Gesellschaft, der in Punkt 3.1 thematisiert wird, läßt sich anhand einzelner Beispiele konkretisieren und veranschaulichen. So schlagen sich Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur in nicht unerheblichem Maße im Verständnis vom Lebensabschnitt der Jugend und im Lebensstil der Jugendlichen nieder. Gerade zu den als Nischen in der Gesellschaft bezeichneten Szenen und Fandoms, besonders zu den um mediale Texte zentrierte, zeigen Jugendliche eine extrem hohe Affinität. Der Begriff der „Jugendlichen“ an sich hat in den letzten Jahrzehnten eine Wandlung durchgemacht: die Zeitspanne der Jugend zieht sich zeitlich in die Länge, die Jugend fängt früher an und hört später auf (vgl. Vogelgesang 1994 S. 9f), was eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Biographiemuster zur Folge hat. An dieser Stelle soll nicht näher auf die strukturellen Veränderungen der Jugendzeit und der

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Position der Jugend in der heutigen Gesellschaft eingegangen werden, es genügt, einen Punkt näher zu beleuchten, der den Bogen zurück zu den Medienkonsumenten und den medialen Szenen schlägt: Der Verhältnis von Jugendlichen zu den modernen Massenmedien. Denn obwohl es falsch wäre, „die“ Jugend als homogene Einheit zu betrachten, da sich die sogenannten Jugendkulturen, die eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensstile (die sich nicht nur aus dem verhalten gegenünber den Medien definieren) beinhalten, in den letzten Jahren stark vermehrt haben (vgl. Vogelgesang 1994, S. 2), kann eine wichtige Beobachtung des Umgangs Jugendlicher mit Medien festgehalten werden: Jugendliche sind besonders intensive Medienkonumenten. „Auch Freizeit, Medien und Konsum werden immer mehr zu wichtigen Lebensbereichen - um nicht zu sagen: Domänen - der Jugendlichen“ (Vogelgesang 1994, S. 10). 89,3 % aller Jugendlichen haben ein eigenes Radio, 58,9 % einen eigenen Fernseher, 80,9 % einen Casettenrecorder, über 50 % eine Stereoanlage (vgl. Charlton/ Neumann- Braun, S.16), aber auch „Zeitschriften, Bücher, Kino sind aus dem Medienalltag der Heranwachsenden nicht mehr wegzudenken“ (Vogelgesang 1994, S. 12f). Am weitesten vorne liegen also auditive Medien (vgl. auch Baacke 1988, S. 21), der Trend scheint sich jedoch in Richtung Computer (besonders in den Bereichen Internet und Multimedia-Anwendungen) und interaktive elektronische Spiele zu verschieben.

Graphik 4: Persönlicher Medienbesitz Jugendlicher (Angaben in %) Quelle: Eigene Darstellung nach Charlton/ Neumann-Braun, S. 16

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Weitaus geringere Chancen werden aktuellen Innovationen wie dem digitalen Fernsehen (Pay-per-View, Video-on-Demand) vorausgesagt. Da wundert es nicht, daß sich medial fokussierte Szenen zum großen Teil aus Jugendlichen/ jungen Leuten im Alter zwischen 14 und 25 Jahren rekrutieren. Jugendliche eignen sich im Umgang mit Medien und medialen Texten besondere Kompetenzen an, die die der Erwachsenen oft übertreffen; insofern sind sie keine „ferngesteuerten Medienopfer“ (Vogelgesang 1994, S. 13), sondern sie wissen was sie tun und selektieren aus dem Medienangebot entsprechend ihren Wünschen und Bedürfnissen. Besonders die emotionale und (in geringerem Maße) die soziale Erlebnisdimension der Jugendlichen wird von Medien angesprochen, während die Schule sich mehr auf den kognitiven und rational gesteuerten Bereich konzentriert. Somit bieten Medien „ein entschieden umfassenderes Spektrum an Vorstellungswelten und thematischer Breite an als die Schule“ (Baacke 1988, S. 20). Und obwohl Jugendliche Medien sehr intensiv und in bewußter Abgrenzung gegenüber der realen Welt nutzen, sind sie dennoch in der Lage, bei Bedarf in die Alltagsrealität zurückzuschalten (vgl. Baacke/ Frank/ Radde, S. 91), selbst Kinder beherrschen schon techniken zur Auseinandersetzung mit medialen Texten (vgl. Charlton/ Mutz, S. 209). Wie gerade jugendliche Fans mit „ihren“ Medien und medialen Texten umgehen und wie Medien zum Kristallisationspunkt (überwiegend - aber nicht ausschließlich) jugendlicher Fankulturen werden, soll in den folgenden Kapiteln anhand der Death und Black Metal-Fans erläutert werden.

24 4. Der schwarze Musikhabitus: Über die Arten der Aneignung

4.1 Phänomenbeschreibung

„Music is the master emblem of the heavy metal subculture. It is its official raison d’être. But the apparent centricity of the music is deconstructed when what is meant by the term ‘the music’ is examined. Is it the sounds, and, if so, which ones or combinations of them? Is it the lyrics, and, if so, does that mean equating lyrics with poetry? Is it the visual elements that have always accompanied the sounds, such as album covers, stage settings, and music videos? Finally, does the music include the memories of the social relations that it seems to nurture? With reservations, all of these questions can be answered affirmatively. ‘The music’ is a bricolage“ (Weinstein, S. 121).

„For the heavy metal subculture the sonic elements of the music take precedence over its textual, visual or social components“ (Weinstein, S. 122).

Als Einführung in die Sozialwelt des Death und Black Metal dient demzufolge eine kurze Phänomenbeschreibung der Musik; aber auch die Texte, Bilder und Symbole sollen vorgestellt werden, denn das erste, dem man sich als teilnehmender Beobachter der Death und Black Metal-Szene aussetzen sollte, ist die Musik selbst, in erster Linie als akustisches Phänomen aufzufassen. Auch eine gewisse Vertrautheit mit verschiedenen Bands sowie textlichen und visuellen Phänomenen, die meist außerhalb der (all)täglichen Erfahrungen des durchschnittlichen Mitglieds unserer Gesellschaft liegen, ist von Vorteil, um zu erfassen, was die Death und Black Metal-Fans interessiert, womit sie sich beschäftigen und worum sich ein wichtiger Teil ihres Lebens dreht. Death und Black Metal-Musik ist in Form von Compact Discs (CDs), Langspielplatten (LPs) und anderen Vinylformaten (Singles, EPs, Maxis) sowie Audiocassetten (Tapes) auf dem Tonträgermarkt erhältlich. Die zur Musik gehörigen Texte (Lyrics) sind in der Mehrzahl der Fälle in Form eines „Booklet“ abgedruckt und beigelegt. Die Oberseite der CD oder LP ziert ein Bild, Foto, Zeichnung oder Collage (Cover), auch auf der Rückseite oder im Booklet können sich weitere visuelle Elemente befinden. Ein weiteres Medium, das auch im Death und Black Metal-Bereich immer öfter genutzt wird, sind Musikvideos, die außer den musikalischen ebenso wie die Cover visuelle Zeichen übermitteln, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit jedoch nicht näher eingegangen weren soll, da sie im Vergleich zu den Tonträgern eine untergeordnete Rolle spielen und die meisten visuellen Elemente bereits anhand der Darstellungen auf den Covern thematisiert werden können.

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4.1.1 Musik

Auf die Geschichte und musikalische Entwicklung des Heavy Metal bzw. auf seine Einordnung in die gegenwärtige besonders für Jugendliche relevante Musiklandschaft ist in Punkt 2 schon eingegangen worden, die verschiedenen Metal-Subgenres werden ebenfalls als bekannt vorausgesetzt. Die durchschnittliche Death oder Black Metal-Band kommt mit der Standardinstrumentation einer Rock-Band aus, bestehend aus elektrisch verstärkter und verzerrter Gitarre (im Sprachgebrauch der Rockmusik-Hörer E-Gitarre genannt), E- Baßgitarre (Baß oder englisch: Bass), Schlagzeug (Drums) und einem Sänger (Vocals), aus. Dieses Ensemble wird meistens um eine zweite E-Gitarre ergänzt, dabei wird (wie auch in anderen Metal-Bereichen) in Rhythmus-Gitarre und Solo-Gitarre (auch Lead- Gitarre genannt) unterschieden. Auch Keyboard, seltener klassische Instrumente wie Geige oder Cello, oder aber ein zweiter Sänger (oder Sängerin, um die weibliche Stimme, meist lyrischer Sopran, als Kontrast einzusetzen) werden gelegentlich eingesetzt, um einem Stück (Song) mehr atmosphärische Wirkung zu verleihen. Im Vergleich zu anderen Spielarten des Metal arbeitet der Death Metal mit noch stärker verzerrten Gitarren, die oft ein bis zwei Töne unter der Standardstimmung (a’) gestimmt sind, um einen dunklen und dumpfen Klang (Sound) zu erzeugen. Dabei werden die Baßlinien (auch Baßparts genannt) stärker in den Vordergrund gemischt als beim Heavy Metal. Das Schlagzeugspiel ist sehr variabel und beherrscht eine Vielzahl von Rhythmen, Tempi und Rhythmuskombinationen, besonders beliebt sind sehr schnelle Passagen mit zwei Bass-Drums (Doublebass). Der Gesang ist sehr tief, was gelegentlich durch besondere Effektgeräte erreicht wird, und hat mehr mit Grunzen als mit dem klassischen Bel Canto gemeinsam. Durch den Einsatz dieser musikalischen Stilmittel wirken die Riffs im Death Metal besonders wuchtig und voll („brutal“), aber auch düsterer als beim manchmal etwas hektischen Thrash (vgl. dazu Anhang IIId) ). Die Tempi rangieren von mittelschnell („midtempo“) bis extrem schnell, chrakteristisch sind die häufigen Tempo- und Taktwechsel (Breaks), die es ermöglichen, eine Vielzahl verschiedener Riffs und Gitarren-Soli in einem einzigen Stück unterzubringen. Der Idee des Death Metal liegt dabei maßgeblich die Suche nach einem nie zuvor dagewesenen Extrem im musikalischen Bereich zugrunde. Immer wieder gibt es zwischen den Bands dieses Genres regelrechte Wettkämpfe, wer das tiefste Grunzen, die schnellsten Drum- Parts oder die „brutalsten“ Gitarrenriffs erzeugen kann. Auch der Black Metal bedeutet eine Suche nach Extremen, bedient sich aber zum Teil anderer musikalischer Ausdrucksmittel. Grundsätzlich herrschen im Black Metal simplere musikalische Strukturen vor als im Death Metal, besonders bei der Rythmussektion (Baß und Schlagzeug). Die Songs sind einfach aufgebaut, verarbeiten nur wenige Riffs und weisen wenig unvorhergesehene oder abrupte Taktwechsel auf, wobei auch hier alle Tempi von midtempo bis sehr schnell vertreten sind. Der Gesang

26 ist, wie der Sound im Gesamten, sehr rauh und erreicht selten so tiefe Oktaven wie im Death Metal, sondern rangiert von aggressiven (ähnlich wie im Thrash) bis zu heiseren, schrillen Schreien. Die Produktion hebt sich bewußt von glatten und ausgefeilten Rock- Kompositionen ab und gibt sich oft „low-fi“ (low fidelity, Ausdruck für schlechte Aufnahemqualität), mit holperigem, scheppernden Schlagzeug und geringer Trennschärfe für die einzelnen Instrumente (vgl. Anhang IIId) ). Einige Black Metal- Bands, besonders die skandinavischen (deren Vorreiter Bathory waren), benutzen einen sehr charakteristischen hellen bis schrillen, verwaschenen Gitarrensound und fast ausschließlich relativ helle, heisere Vocals mit einem eigentümlichen permanenten Hintergrundrauschen. Sicherlich existieren auch im Black Metal komplexere Kompositionen und klarere Sounds, aber zum einen ist dies nicht der idealtypische Black Metal, zum anderen bleiben die fundamentalen Merkmale der Klangfarben dennoch erhalten. Eine Besonderheit stellen im Bereich des Black Metal die „Ein-Mann-Projekte“ dar, die, obwohl auch hier als Standard die gängige Rock-Instrumentation gilt, keine „richtigen“ Bands sind. Sie veröffentlichen zwar Platten bzw. CDs, können aber nie live auf der Bühne auftreten, weil sie aus nur einem Musiker bestehen, der im Studio sämtliche Instrumentalparts und den Gesang selbst einspielt, und sich bestenfalls einen Drumcomputer oder Studio-Musiker als Aushilfe nimmt. Dies ist eine Ausnahmeerscheinung im Metal-Bereich, weil Metal-Fans normalerweise sehr viel Wert darauf legen, daß sie ihre Bands auch „in echt“ auf der Bühne bewundern können. Unter den Fans ist es allerdings eine Streitfrage, ob diese musikalische Differenzierung zwischen Death und Black Metal sinnvoll ist. Fan C. meint dazu, „die Lieder sind meist im schneller Tempo angesiedelt, der Gesang, als besonders markantes Merkmal ist oft ‘kreischend’ verzerrt, ... das spielerische Niveau der Lieder ist durchschnittlich, dafür eher eingängig“, andere Fans dagegen (vgl. dazu Weinstein, S. 54f) vertreten die Meinung, daß sich Black Metal einzig durch die textliche Ausrichtung auszeichnet und sich dadurch vom Death Metal unterscheidet, daß er sich ausschließlich mit Satanismus und dem „Bösen“ beschäftigt, während Death Metal ein breiteres thematisches Spektrum aufgreift. Doch ob Death oder Black Metal, Grunzvocals oder heisere Schreie - all diese musikalischen bzw akustischen Phänomene verletzen in ungewohnter Weise die Hörgewohnheiten des durchschnittlichen Musikkonsumenten, der die Klänge der Klassik oder moderner Pop-Kompositionen gewohnt ist. Der Gesang ist nicht „schön“, sondern erinnert mehr an Urlaute oder das hysterische Kreischen eines Geisteskranken, die Instrumente produzieren für die Ohren der meisten Hörer nur „Krach“. Doch selbst wertende Kunstbetrachtung kann sich nicht auf die Verwendung der Begriffe „Kunst“ und „Unkunst“ beschränken, - so müssen etwa Kriterien wie der Grad der Erfüllung technischer oder selbstauferlegter Ansprüche miteinbezogen werden (vgl. Weber 1991, S. 211) - , daher ist es für das Verständnis und die Einordnung dieser Musikgattung

27 hilfreich, sich über die Hintergründe und die Entstehung der musikalischen Konventionen in der europäischen Kultur im Klaren zu werden. Werke von J.S. Bach, W.A. Mozart oder L. van Beethoven gelten in unserer heutigen Gesellschaft als ästhetisch und moralisch wertvolle künstlerische Leistungen, die der Hochkultur zuzuordnen sind; einen Dreiklang oder Melodien, die im Radio gespielt werden, empfinden die meisten Hörer als angenehm und führen dies darauf zurück, daß das menschliche Gehör aus biologischen und pysikalischen - also natürlichen und von Menschen nicht beeinflußbaren - Gründen mit einigen geschmacklich bedingten Unterschieden auf bestimmte Klänge und Klangfarben positv, auf andere negativ reagiert. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß das, was von der Mehrzahl der Individuen in unserer Gesellschaft als „harmonische“ und „schöne“ Musik empfunden wird, letzendlich nichts anderes als das Ergebnis verschiedener kultureller und technischer Entwicklungen ist, die in Europa seit dem Mittelalter stattgefunden haben. So ist auch die in der Hochkultur am höchsten geschätzte klassische Musik nicht „naturgegeben“, sondern ein Produkt eben dieser Entwicklungen, als deren wichtigste Stufen von Weber die Erfindung der rationalen Notenschrift durch die Mönche des nord-westlichen Europas und die Schaffung des rationalen polyphonen Gesangs angesehen werden (vgl. Weber 1991, S. 214). Nicht zuletzt die seit dem 16. Jahrhundert gebauten Tasteninstrumente machten aus spieltechnischen Gründen die Einteilung der Oktave in zwölf gleich große Halbtonschritte, wobei zwischen den gleichnamigen Tönen jeder Oktave jeweils der gleiche Abstand ist (und somit zwölf Quinten sieben Oktaven entsprechen), notwendig, bewirkten so die enharmonische Verwechslung (Temperierung der Stimmung) und ermöglichten die Entstehung der barocken/ klassischen Harmonielehre. Und nicht nur das: alle anderen Instrumente, auch diejenigen mit weitergehenden technischen Möglichkeiten als Tasteninstrumente wie dem Klavier (insbesondere Streichinstrumente), paßten sich - hauptsächlich unter dem Einfluß des „Wohltemperierten Klaviers“ von J.S. Bach - diesem Zwölfton-System an: „’Temperierung’ war auch das letzte Wort unserer akkordharmonischen Musikentwicklung“ (Weber 1956, S. 918). So stellt sich natürlich die Frage, wie die europäische Musikgeschichte verlaufen wäre, wenn an irgendeinem der entscheidenden Punkte andere Einflüsse die Oberhand gewonnen hätten (vgl. Weber 1991, S. 214). Insofern sind die jeweiligen Erscheinungsformen von Musik sowie die Hörgewohnheiten und Geschmacksurteile einer bestimmten Kultur durch soziale Konventionen festgelegt und nicht als ästhetische, sondern als soziale Phänomene zu verstehen (vgl. Blaukopf, S. 173ff), und diese Konventionen haben einen großen Einfluß auf die emotionale Empfindung und Beurteilung von Musik (vgl. Tessarolo, S. 169f). Andererseits lassen sich einige musikalische Elemente des (Death und Black) Metal, obwohl diese in vielerlei Hinsicht mit den in unserer Gesellschaft gültigen musikalischen Konventionen brechen, bei genauer Analyse auf klassische Strukturen

28 und Kompositionstechniken, insbesondere auf die Kontrapunktik und klassische Harmonielehre, zurückführen. So werden nicht nur bereits existierende klassische Stücke von J.S. Bach oder anderen berühmten Komponisten der Hochkultur neu instrumentiert und nachgespielt (eine sowohl im Metal- als auch im Pop- und Rock- Bereich durchaus gängige Praxis), sondern sich hochkultureller Kompositionstechniken wie z.B. der Kontrapunktik bedient, um neue, eigene Stücke zu komponieren und die eigenen künstlerischen Werke in etwas Neues zu transformieren (so z.B. bei den schwedischen Bands At The Gates, Dark Tranquility, Eucharist oder In Flames - vgl. Anhang IIId)). Hier läßt sich durchaus eine kunstsoziologische Parallelle zu der Beobachtung ziehen, die Vogelgesang (1991) für extrem gewalttätige Horrorvideos gemacht hat: gerade die zu einem ästhetischen Grenzbereich gehörigen Splatter- und Exploitationfilme, die durch ihre hyperrealistische Darstellungen von der Zerstückelung und Vernichtung des menschlichen Körpers Sehgewohnheiten sprengen und Kulturkritiker auf den Plan rufen, basieren auf einer langen künstlerischen Tradition in der europäischen Hochkultur (vgl. Vogelgesang 1991, S. 41ff). Man denke nur an die Darstellung christlicher Martyrien oder Folterszenen in der Hölle in Gemälden aus der Zeit des Mittelalters und der Renaissance oder an die Gewaltdarstellungen in der als höchstem Kulturgut gewerteten Weltliteratur wie den Werken von Homer oder Shakespeare (wobei bei letzteren noch nicht einmal irgendein moralisch erhobener Zeigefinger in Verbindung mit den Gewaltdarstellungen geltend gemacht werden kann). Winter (1995) postuliert in diesem Zusammenhang, anknüpfend an die Arbeiten von Susan Sontag, eine Aufhebung der Trennlinie zwischen Massen-oder Trivialkultur und Hochkultur in der Postmoderne als Reaktion auf die elitäre Inbesitznahme der Hochkultur durch reaktionäre und restaurative Tendenzen. Auf einer spezifisch musikalischen Ebene bedeutet das auch die Verwischung der Grenzen zwischen den umstrittenen Begriffen Unterhaltungsmusik (U-Musik) und Ernster Musik (E-Musik). Zur Definition von E- und U-Musik existiert ohnehin keine einheitliche Meinung. So besteht die Auffassung, daß über U-Musik weder zustimmend noch abweisend, sondern überhaupt nicht geurteilt werden könne, vielmehr beträfe der Streit über E- und U-Musik weniger die ästhetische Qualität als den sozialen Rang einer Musik, einzig der soziale Prestigewert sei von Bedeutung (vgl. Dahlhaus, S. 94), was als Weiterführung von der Theorie des ästhetischen Empfindens als sozialer Konvention aufgefaßt werden kann, andererseits äußert sich der Komponist Ernst Vogel folgendermaßen: „Harmonik, Melodik, Rhythmik und Form müssen gegeben sein. Fehlt eins dieser Elemente, so ist ein Stück der U-Musik zuzurechnen.“ (Zitiert nach Haselauer, S. 181). Ob und inwieweit dieser Versuch einer Definition auf die heutigen musikalischen Stilrichtungen anzuwenden ist, bleibt fraglich. Die gängigen Kriterien zur Unterscheidung von E- und U-Musik bezeichnen U-Musik als leicht konsumierbar und massenkompatibel, E-Musik als komplex und ästhetisch (vgl. Haselauer, S. 181f). Die Problematik solcher Einteilungen zeigt sich spätestens am konkreten Beispiel: obwohl

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Death und Black Metal grundsätzlich (vgl. Punkt 2) unter den Oberbegriff „Popmusik“ (synonym zu U-Musik) fallen, sind sie weder leicht konsumierbar noch massenkompatibel oder radiotauglich. Sie durchbrechen (durchaus nicht als einzige) solche Kategorien wie E- und U-Musik, indem sie als Teil der Trivialkultur ständig auf strukturelle Elemente der Hochkultur zurückgreifen

4.1.2 Texte, Bilder, Symbole

Ebenso wie die musikalischen Ausdrucksformen verletzen die in der Szene des Death und Black Metal verwendeten Texte, visuellen Elemente (insbesondere Platten- bzw. CD-Cover) und Symbole die gesellschaftlich gültigen ästhetischen Konventionen oder religiöse, insbesondere christliche Normen und Werte. Viele der Motive auf CD-Covern stellen Monster oder Zombies dar, manchmal auch solche, die Menschen verletzen, töten oder fressen; im Unterschied zu den Horrorfilmen handelt es sich jedoch in den seltensten Fällen um Fotos, sondern meistens um gemalte oder gezeichnete Darstellungen von Gewalt. Andere beinhalten antichristliche Symbole wie umgedrehte Kreuze, umgedrehte Pentagramme und Baphomet-Zeichnungen (Teufel in Gestalt eines Ziegenbocks), oftmals eingebettet in fantastische Motive der düsteren Art. Als Gemeinsamkeit fast aller in der Death und Black Metal-Szene aktiven Bands kann dabei festgehalten werden, daß sie sich außer über ihre Musik auch über einen bestimmten Stil definieren, der Texte und visuelle Elemente in ein Gesamtkonzept integriert. Viele dieser Konzepte sind einander sehr ähnlich, was aber angesichts der großen Zahl an Death und Black Metal-Bands und des relativ eng gefaßten Themenspektrums nicht weiter verwundert. Black Metal-Bands verwenden dabei bewußt fast ausschließlich eine satanische oder „böse“ Begriffswelt, bei Death Metal-Bands ist das Spektrum wesentlich breiter. Da jedoch in der Realität der Szene die Einteilung in Death und Black Metal nicht nur nach musikalischen (wie in Punkt 4.1.1 angedeutet), sondern auch nach textlichen Gesichtspunkten nicht klar vollzogen werden kann und die Verwirrung durch Bezeichnungen wie „Dark Metal“ oder „Occult Metal“ noch vergrößert wird, soll im folgenden lediglich nach den in Texten und Bildern thematisierten Inhalten unterschieden werden. Im Wesentlichen können folgende Themenkomplexe herausgefiltert werden:

• Der spirituelle Aspekt: Blasphemie, Tod, Hölle/ „Tod und Teufel“-Symbolik, die sich in drei Unterthematiken aufteilen läßt: ∗ heidnisch (z.B. nordische Mythologie, altsumerische Mythologie)

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∗ satanisch (z.B. Church of Satan, individualistische antichristliche Konzepte) ∗ okkult-fantastisch (z.B. Fantasy-Geschichten, Vampirismus)

• Der materielle Aspekt: Zerstörung, Tod, Verwesung/ „Horror und Splatter“-Symbolik, der sich grob in zwei größere Themenkomplexe aufteilen läßt: ∗ individuell erlebter Horror (z.B. Zombies, Serienkiller) ∗ kollektiv erlebter Horror (z.B. Sozialkritik, Katastrophenszenarien)

Sowohl bei der „Tod und Teufel-Symbolik“ als auch bei dem „Horror und Splatter“- Konzept sind die Übergänge zwischen den einzelnen Unterthemen fließend, nur selten liegt eines von ihnen bei einer einzelnen Band in „Reinform“ vor. So beinhalten die Texte und Bilder der meisten „Tod und Teufel“-Bands eine Fülle von Versatzstücken aus verschiedenen heidnischen Religionen, satanische Symbole, okkulte Ideen, aber auch Einflüsse aus der düster-romantische Poesie in der Tradition der gotischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Dennoch soll anhand einiger typischer und in der Szene sehr bekannter Bands die künstlerische Umsetzung der beiden Themenkomplexe verdeutlicht werden. Die Death Metal-Band Morbid Angel aus Florida/ USA (vgl. Anhang III a) - d) ), die seit 1984 existiert und nach eigenen Aussagen ungeachtet muskalischer Trends „ihr Ding“ durchzieht (vgl. Bang, Heft 1, November 1993, S. 36) verbindet in ihren Texten und Symbolen heidnisches, satanisches und allgemein okkultes Gedankengut. Die Texte treffen oft radikale Aussagen gegen das Christentum und erzählen von einer heidnischen Philosophie, die auf jenseits der menschlichen Vorstellungskraft und vor der historischen Zeit auf der Erde existierenden Göttern („Ancient Ones“) beruht, die ihren Ursprung in der altsumerischen Mythologie haben. So äußerte sich der Gitarrist und Songschreiber Trey Azagthoth in dem Szenemagazin „Metal Hammer“:

„...Mit meiner gesamten Musik versuche ich, die Stimme der ‘Ancient Ones’, der alten Götter, einzufangen...die sumerischen Götter, über die ich schon immer sprach. Diese alten Götter sind alles, was unsere Musik ausmacht.“ (Metal Hammer 8/ 1993, S. 37.)

Viele ihrer Symbole stellen eine Perversion von christlichen oder auch weißmagischen Zeichen dar: Die Zeichnung enthält ein umgedrehtes Kreuz - die Negation des Christentums - , ein umgedrehtes Pentagramm- Symbol zur Beschwörung böser Geister - und landläufig dem Teufel zugeschriebene „Accessoires“, wie ein Dreizack und die nach unten zeigende Pfeilspitze des Teufelsschwanzes.

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Graphik5: Band-Logo von Morbid Angel aus Florida/USA

Die antichristliche und diffus heidnische Einstellung, die Morbid Angel - zumindest nach außen - zeigen, spiegelt sich auch in folgendem Auszug aus dem Text von „Chapel of Ghouls“ deutlich wieder:

Chapel Of Ghouls

Ghouls attack the church Crush the holy priest Turning the cross towards hell Writhe in satan's flames

Crush the priest The feeble church Dead - your god is dead Fools - your god is dead Useless prayers of lies Behold satan's rise ... (Text: Trey Azagtoth/ Mike Browning, aus: Morbid Angel - „Altars of Madness“, Earache 1989)

David Vincent, ehemaliger Bassist und Sänger von Morbid Angel, erklärt seine Aversion gegenüber dem Christentum folgendermaßen:

„No, no, well, I do not like christianity, that’s not a secret...; the average christian person may be a very good person and there may be a lot of things that I have... that I could share in common with them, but the religion... I just can’t agree with the religion... with the way it propagated itself, you know, the way it spread...; I don’t think that it’s natural, for even though my grandparents and my greatgrandparents were christians, before them, they were pagans. And christianity came and opressed them...“ (Aus einem Interview mit David Vincent am 2.4. 1994, vollständige Fassung s. Anhang IIIa))

Die nordische Mythologie ist ein weiterer sehr wichtiger Themenkomplex, auf den einige Bands zurückgreifen, u.a. deswegen, weil sich ein bedeutender Teil der Death und Black Metal-Szene in Schweden und Norwegen konzentriert. Dazu gehören z.B. die Black Metal-Pioniere Bathory (vgl. Anhang IIIb) - d) ) aus Schweden, die Death Metal- Band Unleashed (ebenfalls aus Schweden) und die Black Metaller Enslaved aus Norwegen. Hier findet man das Tod-und Teufel-Motiv etwas abgewandelt wieder:

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Satan, Lucifer und andere der jüdisch-christlichen Tradition entnommenen Teufelsgestalten spielen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt stehen nordische Göttergestalten, Symbole wie Thor’s Hammer und trotz der vorherrschenden Düsternis (in Bildern von Winter, Kälte und Schlachten dargestellt) „positve“ Werte wie Stärke, Ehre und Heldentum. Umgedrehte Kreuze und andere „satanische“ Symbole wenden sich - Songtexten zufolge - gegen das Christentum als dem Vernichter der alten heidnischen Traditionen, werden aber nicht in einen satanischen Zusammenhang gebracht. Dafür typische Songtitel sind z.B.:

„Valhalla“ (aus: Bathory - „Hammerheart“)

„Odens Ride over Nordland“ (aus: Bathory - „Blood, Fire, Death“)

„Onward Into Countless Battles“,

„Land of Ice“ (aus: Unleashed - „Shadows in the Deep“)

Ein anschaulisches Beispiel für eine Band, die ihre Platten-und CD-Cover wie Horrofilmplakate gestaltet und entsprechende Texte schreibt, sind Cannibal Corpse aus USA. Mit bewußt ekelerregenden Splattertexten über Massenmörder und verfaulende Leichen schaffen sie eine Ästhetik des Ekels, die nicht nur, aber sicherlich auch auf Provokation abzielt. Dazu ein Ausschnitt aus dem Songtext „Edible Autopsy“, entnommen aus ihrem ersten Album, „Eaten Back to Life“ (vgl. dazu Anhang III b) -d)):

Edible Autopsy ... Guts and blood, bones are broken As they eat your pancreas Human liver, for their dinner Or maybe soup wich eyes ... (Text: Chris Barnes, aus: Cannibal Corpse - „Eaten Back to Life“, Metal Blade 1990)

Auch in den Vereinigten Staaten, dem Heimatland von Cannibal Corpse, gibt es Bestrebungen, ihre Bilder und Texte zu zensieren, jedoch ist die Toleranzgrenze in Bezug auf Gewalt und Horror in Wort und Bild dort relativ hoch (im Gegensatz zur Darstellung von sexuellen Handlungen), so daß die Vorwürfe und Anklagen von Elternvereinigungen gegen sie mittlerweile fallengelassen worden sind (vgl. „666 - At Calling Death“, Videodokumentation von Matt Vain), aber in einigen deutschen Städten wurden schon Auftrittsverbote für Cannibal Corpse wegen jugendgefährdender, gewaltverherrlichender und sexistischer Texte bei den Behörden erwirkt. Dazu Alex Webster, Bassist von Cannibal Corpse:

“Mich erinnert der Versuch, Bands wie uns verbieten zu lassen, an Bücherverbrennungen im Dritten Reich. Zensur hat für mich mehr mit Faschismus zu tun als ein paar Freaks, die Horrorgeschichten erzählen” (Rock Hard 77, Oktober 1993, S. 39).

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Zur Verteidigung bzw. Erklärung solcher Texte wird auch auf den fiktionalen Charakter dieser Horrorgeschichten hingewiesen, die, auch wenn sie teilweise der Realität entnommen, dennoch erfunden oder phantastisch ausgeschmückt seien - im Gegensatz zu den grausamen Bildern von Katastrophen- und Kriegsopfern in den Nachrichten. Zudem könne man die Texte aufgrund ihrer Death Metal-typischen eigenwilligen Grunz-Artikulation ohnehin kaum verstehen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Bands, die ein völlig andere Bilder und Texte verwenden, die sich nicht ohne weiteres einordnen lassen. So parodiert z.B. die finnische Band Impaled Nazarene die satanischen Lyrics und Symbole anderer Bands und macht daraus eine Satire, wie folgenden Songtiteln zu entnehmen ist:

Goatified,

Chaos Goat Law,

Cyberchrist (aus: Impaled Nazarene - „Ugra Karma“)

Nach Aussagen von Mika Luttinen, Sänger von Impaled Nazarene, liegt es in seiner Absicht, den satanischen Anstrich humoristisch zu brechen. Ebenso gibt es einige Death Metal-Bands mit christlichen Texten, z.B. die Australier Mortification, (ihr aktuelles Album nennt sich „Envision Evangelene“) oder Gruppen, die eine Science Fiction-Geschichte erzählen (z.B. Detest aus Dänemark mit der CD „Dorval“). Diese Auswahl ist völlig willkürlich, zeigt aber die Vielfalt der Themen, die im Death und Black Metal verarbeitet werden.

4.1.3 Exkurs: Was ist Satanismus? - Ein kulturhistorischer Überblick

Im Zusammenhang mit Heavy Metal, ganz besonders aber mit Death - und noch extremer - Black Metal kann man Begegnungen mit im weitesten Sinne satanischen oder antichristlichen Symbolen und Songtexten nicht umgehen. Allerdings stiftet die Vielzahl unterschiedlicher Auslegungen des Begriffes „Satanismus“ durch verschiedene Bands, Fans, Medien, kirchliche Organisationen oder andere Institutionen beträchtliche Verwirrung. Daher sollen hier in stark verkürzter Form einige Hintergründe dargestellt werden, die den Sinn und die Verwendung dieses Begriffs in verschiedenen Zusammenhängen näher beleuchten. „Satanismus“ steht umgangssprachlich für Satansanbetung oder Anbetung des Bösen, die zu pathologischen Gewalttaten verleitet - Szenarien, die von der Presse detailreich präsentiert werden. Doch ungeachtet der häufig inakkuraten Berichterstattung mancher Medien, wenn es sich um skandalträchtige Themen handelt (vgl. Helsper, S. 77ff) muß

34 man zwischen verschiedenen Interpretationen von „Satanismus“ stärker differenzieren. Als erstes soll zwischen einer Außendefinition und einer Innendefinition unterschieden werden. Von außen wird Satanismus heutzutage (noch) in erster Linie durch die christliche Weltanschauung definiert. Satan ist ein Name des Teufels (als dem Urfeind Gottes und der Menschheit), der schon im Alten Testament auftaucht , aber erst mit dem Neuen Testament und in der christlichen Tradition (unter dem Einfluß dualistisch geprägter Glaubensformen aus dem Orient) einerseits den Status des „Oberteufels“ und andererseits des Antichristen erhielt (vgl. di Nola, S. 199). Als Folge des universalistischen Wahrheitsverständnisses des Christentums (vgl. Tenbruck, S. 95) wurde alles, was nicht christlich war, automatisch des Teufels oder satanisch. Und in dem Moment, wo Satanismus als Synonym für die Verehrung des gegen Gott gerichteten bösen Prinzips wird, läßt sich damit alles etikettieren, was nicht der eigenen - wie auch immer gearteten - Meinung oder Glaubensrichtung entspricht. So wurden zur Zeit der Christianisierung Europas alle heidnischen Religionen und Kulte als „des Teufels“ erklärt und damit ihre Vernichtung legitimiert, obwohl ihnen die christliche Teufelsfigur fremd war und sie, ebenso wie die christlich geprägte Kultur, positiv wie negativ belegte Begriffe kannten (vgl. die Nola, S. 13ff), aber kein Selbstverständnis als Vernichter der Menschheit hatten. Kleine Glaubensgemeinschaften oder einzelne Individuen, die nach der Verbreitung des Christentums in Europa polytheistische (heidnische) Kulte und magische Rituale weiter praktizierten, wurden von allen Amtskirchen und verschiedenen christlichen Gruppierungen bis in die Neuzeit hinein als Hexen und Schwarzmagier verfolgt und des Pakts mit dem „christlichen“ Teufel angeklagt, obwohl sie keinen „Antichrist“ verehren konnten, weil sie sich nicht im Rahmen des christlichen Weltbilds bewegten. Andererseits manifestierte sich diese Interpretation von Satanismus im Mittelalter in den Privatkriegen christlicher Splittergruppen oder der Rebellion christlicher Sekten gegen die Amtskirche,- so waren die Katharer, Albigenser oder Templer des 13. und 14. Jahrhunderts für papsttreue Christen Satansanbeter, obwohl sie ihren eigenen Aussagen zufolge das „Gute“ und die Erlösung der Menschheit durch Christus anstrebten (vgl. Dvorak, S. 261ff) - und gipfelte schließlich in den erbitterten Kämpfen zwischen Katholiken und Protestanten des 16. Und 17. Jahrhunderts, die sich gegenseitig der Dämonie und teuflischen Besessenheit beschuldigten. Ebenso wurden kommunistische Theorien von der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert als Werk des Teufels deklariert, obwohl Kommunisten weder an einen Gott noch an einen Teufel oder Satan glauben, sondern Atheisten sind. Nach dieser Auslegung wären wären sämtliche (Death/ Black) Metal-Bands als satanisch zu klassifizieren die antichristliche oder nichtchristliche Symbole verwenden, z.B. auch solche aus der nordischen Mythologie.

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Die Innendefinition von Satanismus nimmt dagegen eine wesentliche Einschränkung vor: alle nicht-christlichen Religionen, seien es Weltreligionen, heidnische oder Naturreligionen und andere Kulte werden von vornherein von der Bezeichnung „Satanismus“ ausgeschlossen. So heißt es beispeilsweise zu heidnischen Glaubensrichtungen im Internet auf einer FAQ (Frequently Asked Questions)-Seite über Satanismus: „Secondary Satanists: follow a faith outside the christian mainstream... most would not consider themselves as being ‘Satanic’... but the ignorant often categorize them as Satanists. Voodoun and Santiera could be grouped here, as could medeaval witchcraft“ (http://webpages.marshall.edu.allen12/altsatanism.faq). Was übrigbleibt, sind Individuen und Gruppen, die ihrem Selbstverständnis nach Satanisten sind. Die verbreitetste Form des „echten“ Satanismus wird von ihren Anhängern gerne als Philosophie, nicht als Religion verstanden, hat ihre Wurzeln jedoch in der jüdisch- christlichen Tradition. Es wird nicht der Teufel/ Satan oder irgendeine andere „böse“ Wesenheit als Ersatz für einen christlichen Gott verehrt, sondern die individuelle Freiheit des Menschen propagiert. Der Mensch müsse sich frei machen von den Fesseln, die ihm die Religionen, ganz gleich ob christlich oder nicht, auferlegen, um zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen zu können (vgl. Dvorak, S. 158). Ebenso wenig wie die Anhänger solchen Gedankenguts ein gehörntes Wesen mit Dreizack anbeten, halten sie es für ihre Pflicht, „böse“ Taten zu begehen. Ideen wie Individualismus und Selbstbestimmung kennt man selbstverständlich von vielen philosophischen Schulen, die sich sicherlich nicht als Satanisten bezeichnen würden, doch charakterisischerweise kommen beim Satanismus zur Forderung nach freier Erkenntnis und Entfaltung häufig Elemente aus okkulten Traditionen hinzu, die im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit hatten. Viele Satanisten organisieren sich in Gruppen, z.B. in der „Church of Satan“ von Dr. Anton LaVey oder anderen Zirkeln, andere lehnen jedoch jeden von einer Gemeinschft ausgeübten Zwang ab und praktizieren eine Art Individualphilosophie oder Individualreligion (vgl. Dvorak, S. 97ff). Folgende Aussage dient als Beispiel für die Denkweise eines „unabhängigen“ Satanisten:

“Yeah, at first I was really into the way you say ‘satanist’, because I was like searching for something. I don’t think like I really found it now, but at least I do not want to follow anybody else. [...] And first I was like I wanted to follow somebody else, because I guess you need some help, you know, you’re a bit lost. If you follow the normal religion, it’s easy, because you don’t have to think by your own. But as long as you wanna get your own path... at the beginning you really feel lost, because you don’t know what you can think, what is wrong, what is right, what is good, what is bad. At the end, I don’t care... I just go my own path, and ok... that’s what I mean being a satanist. It’s like a man free of god:”(Aus einem Interview mit Vorphalack, Sänger und Gitarrist von Samael/ Schweiz am 2.4. 1994)

Die einzelnen Ausprägungen des Satanismus bzw. die Anzahl der verschiedenen Lehren, die von denjenigen propagiert werden, die sich als Satanisten bezeichnen, sind außerordentlich zahlreich. Das stellt Dvorak einprägsam in seinen Ausführungen über

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„Erscheinungen einer ‘Subreligion’“ dar (Dvorak, S. 87ff). Satanismus ist letztendlich immer das, was jeder einzelne für sich selbst als solches definiert - deshalb werden heftige Diskussionen darum geführt, was nun der „richtige“ Satanismus sei, wie die Aussage von Baard Faust, ehemaliger Drummer der Black Metal-Band Emperor aus Norwegen zeigt:

„Those who have read the ‘Satanic’ bible know that Anton LaVey stands for everything that’s good in life and the worship of all kinds of pleasures which leads to big gratification for him and the members of the Church fo Satan. In the book ‘Church of Satan’ these words are written clearly and are impossible to misunderstand or read between the lines. This has absolutely nothing to do with the classical and original sort of Satanism (whom the Christians presented). Satanism is a religion on the same level as Christianity, and LaVey says that his philosophpy is anti religion and he also says you have to be an atheist to be a Satanist. I mean, what’s the point? He scorns the old traditional way of Satanism. LaVey and his followers hate Christianity because they are so evil while they (the Satanists) are the good ones. He want’s to make sure that Satanism gets a good reputation and that it can become something acceptable And this is exactly how it is not meant to be. When people hear the word Satanism they freeze on their backs and they shall be really afraid of the Satanists...“ (aus: Slayer-Mag Nr.X, 1993, Fanzine aus Norwegen).

Wirklich kompliziert wird eine Diskussion über die „Ideologie des Bösen“ erst dann, wenn unter Satanismus nicht mehr das relative Böse, sondern das absolute Böse verstanden werden soll. Alle Kulturen, Religionen und Weltanschauungen haben Namen für das Böse, Schädliche, Bedrohliche oder Unerwünschte gefunden, und obwohl die Vorstellungen sicher von Kultur zu Kultur stark differieren, dürfte die Tatsache, daß Bezeichnungen für das Böse existieren, eine universelle menschliche Konstante sein (vgl. di Nola, S. 13f). Das absolute Böse bedeutet in diesem Zusammenhang die Indentifikation mit den in Relation zum Wertesystem jeder beliebigen Kultur als böse definierten Ideen. So kann man z.B. auch innerhalb des nordischen Mythen-Kosmos die Position des Bösen, zerstörerischen Elements einnehmen, das zwar aufgrund der polytheistischen und nicht-dualistischen Struktur der germanischen Kulte dort eine grundlegend andere Rolle spielt als im Christentum oder anderen monotheistischen Religionen, aber dennoch u.a. in Gestalt des zwielichtigen Feuergottes Loki oder eines seiner Söhne, des Fenriswolfs, vorhanden ist. Ähnliches gilt für die Mythologie der ehemals in der Euphrat/ Tigris-Region ansässigen Kulturen wie den Sumerern. Die Beschäftigung mit dem absoluten Bösen spielt vor allem in manchen Kreisen der Black Metal-Szene (besonders in Norwegen, vgl. die oben zitierte Aussage von Baard Faust), die in der Sozialwelt als „extrem“ angesehen werden, eine Rolle. Im religiösen Pluralismus der Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Meinung der christlichen Kirchen nur noch eine unter vielen; doch das rational-wissenschaftliche Paradigma, das das Denken und Handeln in unserer heutigen Gesellschaft erheblich mitbestimmt, hat den universalistischen Geltungsanspruch der christlichen Religion übernommen, „denn die Wissenschaft war mit der Erwartung angetreten, die sinnhafte

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Ordnung zu enträtseln und Gewißheit über die Stellung der Menschen zu erlangen“ (Tenbruck, S. 90). Das führt wiederum dazu, daß es heutzutage, besonders in „progressiven“ Kreisen, immer weniger die nicht-christlichen Religionen, sondern vielmehr alle Theorien oder Weltanschauungen, die in irgendeiner Form okkulte Elemente beinhalten oder sich mit übernatürlichen und übersinnlichen Phänomenen befassen, sind, die mit Satanismus in Verbindung gebracht werden. Dadurch wird Satanismus bzw. alles, was unter diesen Begriff fällt, als neues Feindbild des rational denkenden Menschen in der zivilisierten Welt aufgebaut.

4.2 Organisation der Szene

Unter dem Oberbegriff der Organisation können eine Vielzahl von Strukturen subsumiert werden, die für die Herausbildung und die Lebensfähigkeit einer medialen Szene wie der des Death und Black Metal notwendig sind. Dazu gehören z.B. die Organisation künstlerischer Produktionsprozesse, die Vorbereitung von Tourneen, die Vertriebs-Infrastruktur, die es den Fans überhaupt ermöglicht, Tonträger oder andere für die Szene interessante Artikel zu kaufen und die Rolle der modernen Massenmedien für die Enstehung einer solchen Szene. An dieser Stelle soll jedoch das Augenmerk auf diejenigen organisatorischen Leistungen gerichtet werden, die den Fan direkt betreffen und ihm die soziale Interaktion innerhalb der Fangemeinde ermöglichen. Die Gemeinsamkeiten der Death und Black Metal-Fans beruhen auf gleichen oder ähnlichen textuellen Vorlieben für Musik, Texte und sonstige künstlerische Ausdrucksformen dieses im vorangehenden Abschnitt beschriebenen Metal-Subgenres. Die meisten Fans konsumieren jedoch, wie die Gespräche und Interviews immer wieder zeigten, nicht im stillen Kämmerlein, sondern tauschen sich mit Gleichgesinnten aus und wollen z.B. über neuveröffentlichte CDs/ LPs informiert sein, um das wiederum zum Gesprächsthema mit anderen Fans zu machen. Wichtig sind also die Informationskanäle, durch die Fans über die künstlerischen Aktivitäten der Bands auf dem Laufenden bleiben, sowie die Kommunikationskanäle zu anderen Fans, die das Mit-Teilen und Mit-Erleben der medialen Rezeptionspraktiken ermöglichen und den Angehörigen der Sozialwelt das Bewußtsein für die Existenz eben dieser Spezialkultur vermitteln. Die meisten der im Folgenden dargestellten Kommunikationskanäle und Informationsmedien dienen sowohl der Kommunikation als auch der Information und dem Informationsaustausch innerhalb der Szene; die Trennung von Information und Kommunikation wurde vorgenommen, um der im Vordergrund stehenden Funktion des jeweiligen Kanals gerecht zu werden und so das Verständnis für die Praktiken der Fans zu erleichtern.

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Zusammengenommen bilden die Informationsmedien und Kommunikationsstrukturen ein Gerüst, das die Szene durchzieht und zusammenhält, für eine gemeinsame Wissenbasis der Fans sorgt und selbst die (geographisch) abgelegensten Mitglieder der Szene an diese bindet und mit den notwendigen Informationen versorgt. Dadurch konstituiert es den mechanischen Aufbau des Fandom.

4.2.1 Kommunikationsstrukturen

Cliquenbildung und Klatsch

Einfachste und oft erste Form der Kommunikation zwischen Fans in der Sozialwelt des Death und Black Metal ist die Bildung von Cliquen und Gruppen von Gleichgesinnten innerhalb übergeordneter sozialer Strukturen und Insititutionen, wie der Schule, der Hochschule oder dem Arbeitsplatz, unter Umständen auch dem nachbarschaftlichen Wohnumfeld. Die meisten Metal-Fans (nicht nur die Anhänger von Death und Black Metal) gehören aufgrund ihrer Kleidung (insbesondere schwarze T-Shirts mit Bandaufdrucken) und ihrem äußeren Erscheinungsbild (lange Haare) zu einer stigmatisierten Gruppe, die sich von den „Normals“ (Goffman) oder, um einen jugendkulturellen Ausdruck zu gebrauchen, den „Normalos“ unterscheidet. Vielfach wird ihnen ihr Anderssein immer wieder vor Augen gehalten, Kommentare wie „wird Zeit, daß der mal zum Friseur geht“ oder „kannst du auch mal was Anständiges anziehen“ seitens der Mitschüler, Arbeitskollegen oder der Lehrer, Professoren und Vorgesetzten sind keine Seltenheit. Diejenigen, die einem derart Stigmatisierten am ehesten Sympathie entgegenbringen, sind mit dem gleichen Stigma behaftete Individuen (vgl. Goffman 1968, S. 31). So finden Metal-Fans, die sich gegenseitig oft an den als Stigmata empfundenen Merkmalen identifizieren, rasch zueinander: „What one does find is that the members of a particular stigma category will have a tendency to come together into small social groups whose members all derive from that category“ (Goffman 1968, S. 35f). Solche Gruppen oder Cliquen gehen gemeinsam in die Kantine oder Mensa, nutzen jede nur erdenklich Gelegenheit, sich in Pausen oder bei einem Kaffe zu treffen und über ihr Hobby zu reden (wie Winter das auch für Horrorfans festgestellt hat, vgl. Winter 1995, S. 154), und üben oftmals in ihrer Freizeit gemeinsame Aktivitäten aus. Ein Beobachter charakterisiert die Clique von Metal-Fans, die er während seiner Schulzeit kennengelernt hat, als „a pretty close-knit group that did most things together“ (zitiert nach Weinstein, S. 139). In solchen Peer-Groups findet auch oft die erste mehr oder weniger zufällige Begegnung mit der metallischen Spezialkultur statt. Der Gesprächsstoff in den Cliquen besteht in erster Linie aus den Neuigkeiten der Szene, wie Besetzungswechsel bei Bands, neue Alben, Videos oder angekündigte

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Tourneen, aber auch musikalische und textliche Details. Es wird über die Vorzüge und Fehler bestimmter Bands oder Musiker diskutiert, so berichtet Fan E:

„Wir reden eben über alles, was uns so interessiert. Und das is’ halt hauptsächlich Metal, was es da Neues gibt und was sich da tut. Oder wir unterhalten uns über was am Wochenende war... Über die Bands, die wir alle kennen, reden wir auch oft. Was die im Moment machen, wie jemand einen bestimmten Song findet,wann die auf Tour kommen, ... es bringt echt am meisten, wenn man da mit Leuten zusammensitzt, die echt Ahnung haben.“

Für die meisten Fans „bringt“ es nicht viel, wenn sie sich nur alleine Gedanken über die Musik machen; sie möchten anderen Fans ihre Gedanken mitteilen und sich mit ihnen austauschen. Allerdings bevorzugen sie dabei solche, die sie selbst für kompetent halten und unterhalten sich selten mit Außenstehenden über ihr Hobby. Auch die Rezeption der Musik macht laut Fan M „am meisten Spaß, wenn andere dabei sind, denen das auch gefällt.“

Treffpunkt Live-Konzert

Der wichtigste Treffpunkt für Metal-Fans ist das Ereignis Live-Konzert. Hier können sie sicher sein, daß sie unter sich sind, hier erleben sie das befreiende Gefühl, das einem Stigmatisierten zuteil wird, wenn er sich nicht verstellen muß und sich in seiner eigenen Sprache und Ausdrucksweise artikulieren kann, ohne mißverstanden zu werden (vgl. Goffman 1968, S. 32). Die Live-Darbietung von Musik hat für Metal-Fans einen sehr hohen Stellenwert. Die Bands auf der Bühne verkörpern „livehaftig“ die musikalischen Ideale der Spezialkultur, wie die Virtuosität und die Beherrschung der Instrumente: „The concert is the event that epitomizes the cultural form and brings it to fulfillment“ (Weinstein, S. 199). Das Image, das sich aus den Bildern, Symbolen und Texten zusammensetzt, manifestiert sich nun real und greifbar, es ist „an opportunity to represent and affirm the heavy metal subculture’s values and norms“ (Weinstein, S. 217f). Metal-Fans scheuen keine Mühe und langen Fahrten, um bis zum Ort des Konzerts zu gelangen. So erzählt Fan C: „Kein Weg war zu weit, kein Wetter zu schlecht, um viele km bis in eine Metal-Disco oder zu einem Konzert zurückzulegen.“ Besonders in ländlichen und dünn besiedelten Gegenden können sich bei einem solchen Ereignis auch Fans, die räumlich weit entfernt voneinander wohnen, treffen, und unter Umständen bestehende Brieffreundschaften auffrischen oder neue knüpfen. Ein Konzert ist auch eine gute Möglichkeit, innerhalb der Fangemeinde diejenigen Bekannten oder Freunde zu finden, die sich besonders für eine bestimmte Stilrichtung oder eine bestimmte Band innerhalb des Metal-Spektrums begeistern.

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Es herrscht „Stimmung“, es wird ausgelassen gefeiert, die Livequalitäten der Bands werden im Gegensatz oder im Vergleich zu ihren Leistungen auf Tonträger diskutiert, Informationen und Erfahrungen verschiedenster Art ausgetauscht. Konzerte erfüllen somit eine wichtige soziale und kommunikative Funktion innerhalb der Fangemeinde. Ähnlich verhält es sich mit Kneipen und Discos, in denen hauptsächlich Metal-Musik gespielt wird. Auch diese können zum Treffpunkt von Metal-Fans werden, speziell am Wochenende, erreichen aber nie die symbolische Bedeutung des Live-Konzerts, sondern sind eher mit privaten Parties und gemeinsamen Kneipenbesuchen auf eine Stufe zu stellen.

Brieffreundschaften und Tape-Trading

Kontakte zu Fans aus aller Welt, nicht nur aus der näheren Umgebung oder aus dem eigenen Land, sind wichtig für den Zusammenhalt in der Metal-Sozialwelt. Die Kontakte innerhalb dieser Spezialwelt dehnen sich sozusagen durch Kettenreaktionen aus: „Wenn man mal einige Leute richtig kennt, dauert es nicht lange, bis man die nächsten, nicht unwichtigen Typen kennt usw...“ (Fan C). Bei den Kontakten zu ausländischen Metal-Fans spielen vor allem die „exotischen“ Länder, wie Brasilien, Kolumbien, Peru und in den letzten Jahren auch Singapur und Malaysia eine große Rolle (vgl. Weinstein, S. 119f), Briefkontakte zu Fans und Musikern aus diesen Ländern, die nicht selten zu Tape-Trading führen, werden als große Bereicherung des eigenen Erfahrungshorizonts und Wissenspektrums angesehen. Außerdem beweisen sie, daß Metal eine universell verständliche Sprache ist, die die Bedürfnisse gleich oder ähnlich gesinnter Menschen auf der ganzen Welt, ungeachtet ihres kulturellen Hintergrundes, anspricht: „Metal’s popularity in non-Western areas has become a cause for rejoicing in the metal community since it demonstrates the universal appeal of the music“ (Weinstein, S. 120). Eine Erweiterung und Bereicherung der Brieffreundschaften zwischen stark in der Sozialwelt integrierten Fans, die viele Kontakte zu anderen Fans haben, die teilweise auf der ganzen Welt verstreut sind, ist das bereits erwähnte Tape-Trading. Fan C erklärt das folgendermaßen:

„Vieles lief damals über ‘Tape-Trading’ ab, d.h. es wurden Listen erstellt, wer welches ‘Material’ besitzt, diese wurden dann im In- und Ausland ausgetauscht und die Musik wurde gegenseitig überspielt (z.B. 1 x Demo von Band A, 1 x LP von Band B gegen Demos von Bands C, D, E).“

Auch Fan E hat damit Erfahrungen gemacht:

„Oft kommt auch jemand mit ‘nem neuen Tape, was die anderen noch nicht kennen, und erzählt was davon... meistens leiht sich das dann jemand aus, wenn er denkt, das wär’ was für ihn. So lernt man auch mal unbekannte Bands kennen, und dafür kann man dem anderen was überspielen, was der noch nicht hat.“

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Eine Fanstimme aus dem Internet:

„At heart, we're collectors and archivists and like to trade with others on a non-profit basis.“

Auf diese Weise können Mitglieder unterschiedlicher lokaler Szenen miteinander in Kontakt kommen und Informationen austauschen. Nebenbei erfährt so ein Deutscher, welche neuen Bands es z.B. in Kolumbien gibt, und die kolumbianischen Metal-Fans bekommen „frische Ware“ aus Deutschland oder USA, während der Fan in USA mit Leuten aus Malaysia tauscht. Basis für solche Praktiken ist ein fast uneingeschränktes gegenseitiges Vertrauen, daß der Tauschpartner, zumal wenn er so weit entfernt wohnt, daß er kaum persönlich zur Rechenschaft gezogen weden kann, nicht betrügt. Dies kommt hin und wieder vor („Rip-Off“), wird aber als schwerer Verstoß gegen den Ehrenkodex des internationalen Metal-Fandom gewertet. Für Bands ergibt sich durch das Tauschen von Tapes mit weit entfernt lebenden Partner eine sehr wirkungsvolle und preiswerte Werbung (Promotion), die an Effizienz der von professionell organisierten Firmen in nichts nachsteht.

Internet

Ein weiteres Kommunikationsmedium, was unabhängig von Entwicklungen in der Black und Death Metal- oder anderen Musikszenen in den letzten Jahren durch die globale Vernetzung von Computern enorm expandiert hat, ist das Internet, das diverse Nutzungsmöglichkeiten anbietet. Durch die schnelle und bequeme Kommunikation via E-Mail rückt die Welt noch näher zusammen, die bei Metal-Fans so beliebten Kontakte nach Lateinamerika werden so noch unkomplizierter. Aber auch innerhalb Europas oder nach USA verbessert sich die Kommunikation, da kurze Nachrichten billiger und schneller übermittelt werden können. Viele Fans nutzen auf diesem Wege die Möglichkeit, mit Bands in Briefkontakt zu treten. Andere Internet-Dienste wie Newsgroups oder das World Wide Web (WWW) werden ebenfalls intensiv genutzt. Beim WWW tritt der Informationscharakter dieses Mediums stärker zutage: es funktioniert als eine Mischung aus Datenbank und Magazin. Über das WWW können auf meist von Fans erstellten Homepages Texte, Bilder, Film- und Tonsequenzen zu verschiedenen Bands abgerufen werden. Auf einer von einem Fan zusammengestellten Seite (www.geocities.com/SunsetStrip/8791/index.html) sind mehr als 1700 Verbindungen (Links) zu anderen Metal-Seiten eingetragen; zu bestimmten Subgenres wie Black Metal (www.lut.fi/~mega/muzac/blacklist_hoard.html#bands) oder Death Metal (www.student.nada.kth.se/~d90-two/music/metal_lists/Deathlist) existieren Listen, in denen Hunderte von Bands mit Kurzcharakterisierung eingetragen

42 sind. Aktuelle Neuigkeiten wie Besetzungswechsel bei Bands oder Tourdaten stehen meistens als erstes in einer Newsgroup oder im WWW.

4.2.2 Informationsmedien

Fanzines und Mailorderlisten

Während bei Live-Konzerten und in Szenekneipen der Austausch von Informationen eine erwünschte Begleiterscheinung ist, dienen Magazine und Fanzines gezielt dem Publizieren von Informationen in und für die Szeneöffentlichkeit. Inhaltlich zählen dazu Besprechungen (Reviews) bzw. Kritiken von CDs/ LPs und anderen Tonträgern, vornehmlich Demo-Tapes, Berichte von Live-Auftritten und Interviews mit Musikern und anderen als interessant erachteten Persönlichkeiten der Szene. Dabei ist zwischen Fanzines und Szenemagazinen zu unterscheiden. Unter einem Fanzine (Wortkomposition aus „Fan“ und „Magazine“, vgl. Janke/ Niehus, S. 48) versteht man eine von Fans für Fans herausgegebene Zeitschrift, die sehr spezialisiert über bzw. aus einer bestimmten Szene oder den Teil einer Szene berichtet. Die meisten Fans beziehen einen beträchtlichen Teil ihrer Informationen über die Szene aus solchen Fanzines. Fan C meint dazu:

„Kenntnis über diese Tatsachen erhält man vor allem aus Underground-Fanzines, das sind Zeitungen, die von Fans gemacht werden, meist wird damit kein oder kaum Gewinn erwirtschaftet, was aber auch nicht der Sinn dieser Szene-Organe ist. Der besteht darin, daß man so sehr in die Szene integriert wird und wird motiviert durch Enthusiasmus für die Szene und das Drumherum. Lohnen tut sich das Ganze insofern, daß die Editoren solcher Hefte meist freien Eintritt zu Konzerten haben und sie oft Vorabversionen der neuesten Veröffentlichungen erhalten (natürlich kostenlos), um diese zu beurteilen. Nachteil dieser Fanzines ist das finanzielle Risiko und das unregelmäßige Erscheinen, so daß manche Aussagen in Interviews oder auch Rezensionen von Neuveröffentlichungen ziemlich überaltert sind. Ich persönlich habe ziemlich viele Fanzines bzw. gute Kontakte zu diesen, basierend auf meine musikalische Tätigkeit.“

Ein Fanzine vermittelt Insiderwissen, das in anderen Medien nicht veröffentlicht wird. Dadurch baut es für seine Addressaten eine Gegenöffentlichkeit auf (vgl. Winter 1995, S. 153), die allerdings selten aggressiv gegen die von den „großen“ Medien aufgebaute Publizität arbeitet, sondern meistens subversiv. Obwohl die wenigsten Fanzines illegal sind oder in bewußter Geheimhaltung erstellt werden, sind sie durch ihre szenespezifichen und auf die jeweilige Szene beschränkten Vertriebskanäle für Außenstehende oder die breite Öffentlichkeit sozial unsichtbar: nur selten findet man Fanzines im Zeitschriftenhandel, im Allgemeinen werden sie unter den Fans durch persönliche Kontakte nach einer Art „Schneeballsystem“ weitergegeben. In jedem

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Fanzine werden außerdem wichtige Kontaktaddressen aus der jeweiligen Szene sowie Werbung für andere Fanzines abgedruckt. Durch ein solches Vertriebssystem ist es für die Fans realisierbar, gesetzliche Vorschriften beispielsweise für Gewaltdarstellungen in Wort und Bild zu ignorieren - so können (bei Musik-Fanzines) indizierte Plattencover oder Texte abgedruckt werden, in Horror-Fanzines wird über indizierte und zensierte Filme berichtet (vgl. Winter 1995, S. 154). Auch Importe aus dem Ausland, besonders Holland und den skandinavischen Ländern, in denen die Gesetzgebung einen liberaleren Umgang mit Darstellungen von Gewalt und Sexualität zuläßt, gelangen durch Fankontakte nach Deutschland. Im Gegensatz zu professionellen Magazinen sind die Redakteure nur hobbymäßig an der Erstellung der Zeitschrift beteiligt, gedruckt wird, wenn überhaupt (es existieren auch einige „xeroxed“, d.h. kopierte Fanzines) in Eigenregie, die Erscheinungstermine sind oft unregelmäßig und richten sich nach den zeitlichen und finanziellen Kapazitäten der Herausgeber. Die Ersteller von Fanzines arbeiten in der Regel (bestenfalls) kostendeckend und nicht profitorientiert. In der Death und Black Metal-Szene als einer „Sub-Szene“ des Metal spielen Fanzines eine besonders wichtige Rolle, da sich größere Musik- oder Metal-Zeitschtiften nur am Rande mit diesem Teilgebiet der Metal-Spezialkultur befassen und meist nur über die kommerziell erfolgreichsten Bands berichten. Außerdem stören sich die meisten Fans an der Art der Berichterstattung der großen Magazine: sie ist nicht fanorientiert, häufig inkompetent und (ihrer Meinung nach) von mächtigen Plattenfirmen gesteuert. Im Gegesatz dazu liefern Fanzines authentische Informationen und ungeschönte Interviews, in denen Musiker oder andere Personen der Szene einerseits fair behandelt - indem die Journalisten sie zu Wort kommen lassen und mit dem Interview keine Selbstdarstellung ablieferen - andererseits aber auch kritisch hinterfragt werden. Die meisten Fanzines erscheinen auf Englisch, damit sie ohne Probleme welteit distribuiert werden können. Einige Fanzines sind z.B. Artifact Magazine, Chaos Magazine, Deathbanger, Decompozine, Descent, Drakula Zine, Mystical Music, Isten, Slayer Mag, Soluzen, Supremacy 'zine, Tales of the Macabre. Ein weiteres Informationsmedium, das besonders im Death und Black Metal eine beachtliche Position errungen hat, ist die Mailorderliste. Mailorderlisten sind nichts anderes als Kataloge, in denen ein sehr spezialisiertes CD/Platten/Tape-Sortiment angeboten wird, was selbst in den meisten Musikfachgeschäften, besonders in kleineren Städten und Dörfern, nicht vorrätig ist oder nur zu überteuerten Preisen beschafft werden kann. Außerdem bieten auf Metal spezialisierte Versände alle Arten von sogenannten Merchandising-Artikeln an. Dazu gehören T-Shirts und andere Kleidungsstücke mit Motiven und Logos von Bands, aber auch Flaggen, Aufnäher, Bücher und ähnliches. In solchen Katalogen findet man seit ca. zwei Jahren auch Kurzbeschreibungen von Neuerscheinungen, z.T. sogar ausführliche Kritiken einzelner Alben, Interviews mit aktuellen Bands und sonstige Informationen aus der Szene. Die

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Tendenz geht mittlerweile dahin, daß diese Mailorderlisten besser und umfassender informieren als etablierte Szenemagazine. Um über das aktuelle Szene-Geschehen auf dem Laufenden zu bleiben, ist es für die Fans unerläßlich geworden, regelmäßig Fanzines und Kataloge zu lesen. Zu den wichtigesten Mailorderfirmen gehören Nuclear Blast Records, Malibu und EMP.

Szenemagazine

Der Begriff „Szenemagazin“ wird hier synonym für Fachzeitschrift verwendet, also einer regelmäßig erscheinenden Publikation, die auf ein bestimmtes fachspezifisch interessiertes Publikum zugeschnitten ist (wie Waffenmagazine, Fußballmagazine, Antiquitätenmagazine), aber ansonsten kommerziell organisiert ist wie jede andere im Buchhandel oder Kiosk erhältliche Zeitung oder Zeitschrift, d.h. von hauptamtlichen Redakteuren hergestellt und von einem größeren Verlagshaus gedruckt wird sowie überregionale Verbreitung besitzt (vgl. Winter/ Eckert, S. 40). Auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt zählen zu dieser Kategorie das „Rock Hard“ (Auflage ca. 80 000 Exemplare, Erscheinungsweise monatlich) und der „Metal Hammer“, darüber hinaus gibt es (in sehr viel kleinerer Auflage als die letztgenannten) z.B. „Heavy, oder was?“ oder „Horror Infernal“. Viele dieser Zeitschriften, wie z.B. das „Rock Hard“, sind aus Fanzines hervorgegangen. Die meisten Fans haben, wie schon angedeutet, von den „großen“ Magazinen keine besonders hohe Meinung, wie Fan C:

„Weitere Info-Quellen sind natürlich die regelmäßig erscheinenden ‘großen Blätter’, diese geben jedoch herzlich wenig her und sind in der Regel ziemlich ausgelutscht (mit Ausnahme der Berichte von R. Müller im Metal Hammer!)“.

Besonders das Rock Hard hat sich in den letzten Jahren unbeliebt gemacht, u.a. durch ein Interview mit David Vincent, in dem er nach Meinung der Fans auf ungerechtfertigte Weise wegen angeblich politischer Äußerungen angegriffen wurde (vgl. Rock Hard 74, 1993), aber auch durch vermehrte Berichterstattung über Bands außerhalb der Metal- Szene, mit denen die meisten Metal-Fans nichts anfangen können.

Radio- und Fernsehsendungen

Auch die auditiven bzw. audiovisuellen Massenmedien Radio und Fernsehen stellen spezielle Sendungen für Metal-Fans her, die sich meistens jedoch mit dem gesamten Spektrum des Metal befassen und nicht auf ein Teilgebiet spezialisieren. Während metal-orientierte stundenweise gesendete Radio-Specials in Deutschland wenig

45 verbreitet sind und nur einen kleinen Senderadius besitzen, ist Metal im Fernsehen europaweit über Kabel und Satellit im Programm der Jugend-Musiksender „MTV Europe“ und „VIVA“ vertreten. Journalistisch betrachtet sind „Headbanger’s Ball“ von MTV Europe und „Metalla“ von VIVA, die einmal wöchentlich in einer Länge von ca. zwei Stunden meist am späten Abend ausgestrahlt werden, ähnlich wie die großen Szenemagazine konzipiert. Sie konzentrieren sich in ihrer Berichterstattung auf die kommerziell erfolgreichsten Bands der Szene und legen wenig Wert auf „insiderbetonte“ Informationen. Ihr Programm besteht aus Video-Clips, deren Zahl auch im Bereich des Metal steigend ist (zur Videowelt vgl. Altrogge/ Amann), Reportagen und Interviews mit Bands, Konzertaufnahmen und Neuigkeiten aus dem Musikbusiness. Ebenso wie die Szenemagazine werden diese Sendungen von den meisten Fans - gleichgültig welcher speziellen Richtung innerhalb des Metal - als zu kommerziell abgelehnt. Der einzige Nutzen besteht darin, daß „manchmal doch noch etwas Gutes dabei ist“, d.h. daß vereinzelt Videoclips oder Live-Aufnahmen von Bands gezeigt werden, die in der Fanwelt ein hohes Ansehen genießen, und auf anderem Wege nicht zu beschaffen sind.

4.3 Typologie der Fans nach Arten der Aneignung

Wenn - wie in Abschnitt 4.2 behauptet - die Kommunikationskanäle und Informations- medien im Metal-Fandom den mechanischen Aufbau darstellen, kann man an den Fans selbst, die sich der CDs, Platten, Texte und Bilder sowie der Informationsmedien im unterschiedlichen Maße bedienen und sich unterschiedlich stark an einer szeneinternen Kommunikation beteiligen, den organischen Aufbau der Szene ablesen. Tatsächlich kann man die Rezeption der medialen Inhalte betreffend von „heterogenen Aneignungspraktiken“ (Winter 1995, S. 162) der Fans sprechen, die zur Herausbildung unterschiedlicher Typen von Fans innerhalb der Death und Black Metal-Szene führen. Winter (1995) hat für die Horrorfans eine Einteilung in vier unterschiedliche soziale Typen nach Arten der Aneignung gefunden, die sich auf die Death/ Black Metal Fans mühelos übertragen läßt, und diese sollen in Anlehnung an Winter Novize, Tourist, Buff und Freak genannt werden.

4.3.1 Der Novize: Der erste Kontakt

Als Novizen seien hier Medienkonsumenten bezeichnet, die zum ersten Mal mit den Phänomenen der Death und Black Metal-Szene in Berührung kommen, ganz gleich ob es sich um die auditiven, visuellen oder textlichen Elemente handelt.

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In den meisten Fällen findet die erste Begegnung von Jugendlichen im Alter zwischen 12 und achtzehn Jahren mit einem Death/ Black Metal-Song durch den Kontakt mit Gleichaltrigen aus Schule, Beruf oder Sportverein statt, die solche Musik hören. Auf die Frage, wie sie zum ersten Mal auf diese Musik aufmerksam geworden seien, geben Fans häufig Antworten wie die folgende von Fan A:

„Ich bin eigentlich zweimal auf Death Metal aufmerksam geworden, beide Male durch Kumpels. Das erste Mal waren das die ganz alten Sachen, so Death die erste Platte... später hat ein anderer Kumpel von mir, der vorher auf Punk war, die erste Obituary gehört, und dann fing die Death Metal-Welle an.“

Seltener werden sie auf Songs oder CD/Platten-Cover selbst aufmerksam, da Death und Black Metal in den Massenmedien wie Radio und Fernsehen wenig präsent ist und selbst bei Metal-Spezialsendungen wie „Headbangers Ball“ von MTV oder „Metalla“ von VIVA nur einen kleinen Anteil des Programms ausmacht. Auch in den Tonträgerabteilungen der Kaufhäuser und den Musikfachgeschäften findet sich, wenn überhaupt, meist nur ein kleines Sortiment an Death und Black Metal-Tonträgern. Dennoch ist auch diese Form der „Kontaktaufnahme“ anzutreffen, besonders bei Fans, die zu anderen Formen des Metal bereits Zugang hatten. So hat es z.B. bei Fan B angefangen:

„In dem Plattenladen, wo ich öfter mal was gekauft habe, hat mich der Verkäufer damals auf die erste Dismember aufmerksam gemacht. Weil ich damals schon gerne so harte Thrash-Sachen wie Slayer gehört habe, hat er gemeint, das wär’ was für mich. Ich hab’ reingehört und es mir direkt gekauft.“

Die Reaktionen beim ersten Hören eines solchen Songs sind oft schockierend und negativ. Typisch für den ersten Eindruck sind Aussagen wie „Alles nur Krach“ oder „Das hört sich ja alles gleich an“. Besucherinnen einer Diskothek, die zu ihren ersten Eindrücken beim Hören von Death Metal befragt wurden, äußerten sich mit Kommentaren wie:

„Ich hab Angst dabei, wenn’ ich sowas hör’... ich finde, sowas gehört einfach verboten“,

„Ich muß sagen, ich hab’ jetzt noch Gänsehaut, wenn ich so Musik hör’, da läuft’s mir kalt den Rücken runter. Ich find’s irgendwie gruslig, in der Öffentlichkeit so was zu spielen, solche Klänge, Musik kann man das ja schon gar nicht mehr nennen, find’ ich, ja, gehört halt verboten“ (aus dem Video „666 - At Calling Death“ von Matt Vain).

Die Novizen nehmen bei Death Metal-Songs nur den „Krach“ wahr, sind aber nicht in der Lage, die Struktur des Songs zu erfassen oder die akustischen Phänomene als Musik zu identifizieren, weil er ihre Vorstellungen von dem, was „Musik“ oder was ein „Song“ ist, nicht erfüllt. Besonders der Gesang, der im Death und Black Metal als „Gegrunze“ respektive „Gekreische“ bezeichnet wird, schreckt die meisten „Fremden“ (vgl. Winter,

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S. 164f) ab. Das hohe Tempo und der oft unkonventionelle und komplexe (besonders im Death Metal) Aufbau der Songs erschweren es dem ungeübten Gehör zusätzlich, dieses musikalische Genre in die eigene Vorstellungswelt einzuordnen. Auch die visuellen und textlichen Elemente wie satanische Symbole oder Splatterszenen und -texte konfrontieren den durchschnittlichen Rezipienten mit moralischen und ästhetischen Normverstößen. Das Fehlen von Vergleichsmöglichkeiten, die erst ein Unterscheidungsvermögen innerhalb der Kategorie „Death Metal“ entstehen lassen könnten, und systematischem Hintergrundwissen führt bei den Ersthörern zu einer Desorientierung (vgl. Winter, S. 165). Das kann - in selteneren Fällen - selbst bei solchen Hörern passieren, die mit anderen Subgenres des Metal oder dem traditionellen Heavy Metal bereits vertraut sind. Diese schreckt vor allem die Art der stimmlichen Artikulation ab. Diese generelle gesellschaftliche Ablehnung der death/ black-typischen Ausdrucksformen übt speziell auf viele Jugendliche, die diese Musikrichtung kennenlernen, einen besonderen Reiz aus; die Faszination resultiert aus der Überschreitung der gesellschaftlich gültigen Grenzen des „guten Geschmacks“, die insbesondere die Erwachsenenwelt schockiert. Aber auch Gruppeneffekte können für jugendliche Novizen eine Rolle spielen. Dadurch, daß jugendliche Rezipienten dem Death und Black Metal in Peer-Groups, die eine nicht zu unterschätzende sozialisierende Funktion in der Biographie von Jugendlichen übernehmen (vgl. Baacke 1983, S. 234), begegnen, kann die Reaktion dieser Novizen in eine bestimmte Richtung beeinflußt werden: gerade durch die musikalischen und textlichen Extreme wird „Death Metal-Hören“ zu einer Art Mutprobe in Gruppen von Jugendlichen, besonders unter männlichen Jugendlichen, die gegenüber den Gleichaltrigen beweisen wollen, wie „hart“ und abgebrüht sie sind (vgl. dazu Wagner- Winterhager, S. 360, und die Beobachtungen bei jugendlichen Horrorfans von Vogelgesang 1991, S. 219f). Der Einzelne verhält sich in Situationen gemeinsamen Rezipierens von Death Metal und bei den Gesprächen darüber konform zur Gruppe und wagt es unter Umständen nicht, sich Zeichen von Unbehagen anmerken zu lassen, zuzugeben, daß ihn der „Krach“ schockiert, sondern muß deutlich machen, daß er die Musik ertragen kann oder daß ihm von den Splatter-Texten (z.B. die akribischen pathologischen Abhandlungen, die die englische Grindcore/ Death Metal-Band Carcass aus England als Songtexte eingesetzt hat) nicht übel wird und er sogar Gefallen daran findet. Der Konformitätsdruck innerhalb der Gruppe kann sich weiterhin dahingehend auswirken, daß Jugendliche sich dem musikalischen Trend ihrer Clique anpassen und sich an gemeinschaftlichen Aktivitäten wie Disco- oder Konzertbesuchen im Umfeld der Death und Black Metal-Sozialwelt beteiligen. Solche Rezipienten halten sich erfahrungsgemäß allerdings nur während einer kurzen Phase ihrer Jugendzeit am Rande einer solchen Sozialwelt auf.

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Bei erwachsenen Novizen fällt die Reaktion auf Death und Black Metal in der Regel durchweg negativer aus. Belassen es die meisten Hörer bei einem vernichtenden (Geschmacks)- Urteil, fühlen andere sich durch die ästhetischen und moralischen Grenzüberschreitungen zu politischer Aktivität motiviert. Eine solche Kritikerin, die öffentliches Aufsehen erregt und Diskussionen sowohl in der Metal-Presse (vgl. Rock Hard 67, 68/ 1992, 71/ 1993) als auch in verbreiteten Printmedien wie dem Spiegel entfacht hat, ist die Saarbrücker Lehrerin und Vorsitzende des Vereins für Friedenserziehung Christa Jenal. Sie stand durch ihr öffentliches Auftreten (offene Briefe an Politiker, Anträge zur Indizierung von Tonträgern und dem behördlichen Verbot von Death Metal-Konzerten) gegen Gewaltdarstellungen in musikalischen Jugendkulturen im Allgemeinen und Death Metal im Speziellen besonders in den Jahren 1992 - 1994 im Mittelpunkt von Kontroversen um Zensur von gewaltverherrlichenden und/ oder rechtsradikalen medialen Texten. Mit Aussagen wie „Die Darstellung von Gewalt zur Unterhaltung verführt die Jugendlichen immer zur Identifizierung - ganz egal, ob es sich dabei um den Satan oder um Rechtsradikalismus handelt“ (zitiert aus: „Gitarren zu Pflugscharen“ in Spiegel Spezial 2/1994), reiht sie sich in eine lange Tradition von Medienkritikern ein, die Jugendliche vor der Verrohung bewahren wollen (vgl. Vogelgesang 1991, S. 3ff). Doch sie läßt nicht nur mit einer solchen Gleichstellung von fiktiver (Fantasy-Horror in Gestalt des Satan) und realer Gewalt wie rechtsradikalen Denk- und Handlungsweisen neuere Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung außer Acht (vgl. u.a. Eckert et al. 1990, Vogelgesang 1991, Winter 1995), sie hat nach Aussage des Spiegel-Autors „den Death Metal keine Sekunde lang begriffen“ (Spiegel Spezial 2/1994). Gemeint ist damit, daß sie als Novize nicht in der Lage ist, die Darstellungen von Gewalt-und Splatterszenen in Lyrics und Covern im Kontext zu deuten, weil ihr ein geeigneter Relevanzrahmen fehlt (vgl. Winter 1995, S. 164). Die Rahmen, die sie zur Interpretation von Ereignissen anzuwenden gewohnt ist, scheinen nicht adäquat zu sein, andere Rahmen stehen nicht zur Verfügung (vgl. Goffman 1993, S. 409). Das daraus folgende Mißverstehen und die Desorientierung führen zu einer ablehnenden, ja sogar aggressiven Haltung gegenüber der Metal-Spezialkultur: „... Carcass mit ihren Exkrementenkollagen. Zum Kotzen für mich!“ (Rock Hard 71/ 1993). Diese generationsspezifischen Unterschiede im Rezeptionsstil sind im Wesentlichen darauf zurückzuführen, daß Kinder und Jugendliche besondere Kompetenzen beim Lesen medialer Texte ausbilden, die Erwachsenen nicht zu eigen sind (vgl. Vogelgesang 1994, S. 13f). Ähnliche Unterschiede bei den Reaktionen auf mediale Texte hat auch Winter in Bezug auf Horrorfilme festgestellt (vgl. Winter 1995, S. 166f). Erwachsene, die zum ersten Mal in Kontakt mit Black/Death Metal-Songs und -Symbolen kommen, lehnen diese eher ab als Jugendliche mit vergleichbarem (geringen) Wissenstand über die Szene.

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4.3.2 Der Tourist: „Explorierende Aktivitäten“ (Winter 1995, S. 168)

Wenn sich die anfängliche Schockwirkung und Desorientierung angesichts der ungewohnten und verwirrenden Eigenschaften der medialen Texte in Neugierde und Abenteuerlust verwandeln, kann der Rezipient mit einem Touristen verglichen werden, der auf der Suche nach außeralltäglichen Erfahrungen ist, die ihm in seinem heimischen Umfeld nicht geboten werden (vgl. Winter 1995, S. 167f). Ein solcher Rezipient interessiert sich über den ersten Kontakt hinaus für die Musik des Death und Black Metal und hat beschlossen, zumindest für einen gewissen Zeitraum in der Sozialwelt zu verweilen und sich näher mit ihr zu befassen. Kennzeichnend für den Touristen ist der emotionale Bezug zur musikalischen Spezialkultur des Death und Black Metal, die ihm außergewöhnliche Erlebnisse und neue Erfahrungshorizonte verspricht, was ihn veranlaßt, gerade hier auf die Suche zu gehen. Als erstes sucht er Kontakte zu Fans, die durch langjährige Mitgliedschaft in der Sozialwelt ein fundierteres und detaillierteres Wissen angesammelt haben und ihm dadurch als „Fremdenführer“ dienen und ihm helfen können, sich weiterzubilden. Dadurch möchte er auch Zugang zu solchen Songs und Alben erhalten, die nicht jeden Tag im Radio gespielt werden; er erhofft sich von den „Einheimischen“ Informationen über wichtige und aktuelle Platten/CDs, Magazine, Fanzines und Mailorderlisten, um sich die Tonträger beschaffen zu können. Er legt sich mit Hilfe dieser Informationen oder auch Leihgaben der anderen Fans (das Kopieren von Platten und CDs auf Tape ist eine sehr verbreitete und geldsparende Praxis unter Fans, besonders, wenn jemandem eine „Kostprobe“ einer Musikrichtung oder einer Band präsentiert werden soll) eine kleine Sammlung von Alben derjenigen Death und Black Metal-Gruppen zu, die ihm besonders zusagen oder die ihm als besonders wichtig für die Szene empfohlen wurden. Obwohl er bereits ein gewisses - allerdings unsystematisches und bruchstückhaftes - Wissen über Bands, Alben und die aktuellen Geschehnisse in der Szene (z.B. Neuveröffentlichungen, Tourdaten) besitzt, ist er noch auf Informationen aus zweiter Hand (aus den ihm bekannten Magazinen oder evtl. Fanzines) und die Meinung anderer Fans angewiesen. Wegen des starken emotionalen Bezugs zu den medialen Erlebnissen, die mittels der Songs, Texte und Bilder im Death und Black Metal möglich werden, interessieren sich die Touristen, entsprechend ihren sonstigen kulturellen Interessen oder ihrer Weltanschauung, oft nur für bestimmte Aspekt innerhalb der Spezialkultur. So gibt es Fans, die ein besonderes Interesse an satanischen Themen und Lyrics entwickeln, und sich daher zu Bands mit einer solchen Thematik hingezogen fühlen, wie z. B. Deicide oder Acheron aus den USA oder Immortal aus Norwegen. Daneben beschäftigen sie sich mit Literatur über Satanismus und hören auch Musik von Bands aus den Bereichen

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Industrial, Gothic oder Black Ambient, die in diese weltanschauliche Richtung tendieren (wie z.B. Maschinenzimmer 412, Mortiis). Dazu meint Fan G:

„Mich interessiert vor allem das Düstere an der Musik. Das ist z.B. bei den meisten Black Metal-Sachen der Fall. Bands wie Cannibal Corpse oder Konkhra interessieren mich nicht so. Ich mag Sachen, wo es um satanische Themen geht, weil ich darüber auch gerne Bücher lese. Deswegen höre ich auch Sachen, die nicht unbedingt was mit Metal zu tun haben, z.B. Vond oder Mortiis, wo nur Keyboards drauf sind, oder so düstere Elektro-Sachen.“

Fans, die Musik mit harten und stark verzerrten Gitarren bevorzugen, die sich durch die hemmungslos artikulierte Aggressivität solcher Songs angezogen fühlen, mögen Hardcore-Bands wie Biohazard oder Propain (USA) genauso wie die Death Metal-Acts Obituary (USA) oder Bolt Thrower (England), eine solche sehr selektierende Einstellung bezüglich der Bands und der von ihnen thematisierten Inhalte ergab sich im Gespräch mit Fan F:

Q: Welche Arten von Musik hörst du so hauptsächlich? F: Vor allem Death Metal, aber auch so Industrial, und alles, was hart und schnell ist. Q: Gibt es Bands, die Du besonders gerne hörst? F: Ja, z.B. Napalm Death, also mehr so Grindcore, Bolt Thrower, Ministry, aber auch Entombed, Obituary... Q: Liest Du die Texte? F: Ja, meistens. Q: Was hältst Du von den Texten? Beschäftigst du Dich damit? F: Ja, manche Sachen finde ich sehr gut, wenn sie z.B. gegen Krieg und irgendwelche schlimmen Sachen gehen. Q: Du findest also, daß die meisten Texte durchdacht und nicht dumm und gewaltverherrlichend sind? F: Manche schreiben totalen Blödsinn, mit so Satanszeug... aber es gibt eben auch kritisches... Q: Was hältst du von Okkultismus? F: Interessiert mich nicht so.

Auch andere speziellen Interessen von Fans sind möglich, manche begeistern sich für Carcass (England), Cannibal Corpse (USA) oder Autopsy (USA) wegen ihrer Metzel- Ästhetik in Wort und Bild. Touristen bewegen sich also oft gleichzeitig und mitunter mit dem gleichen Interesse in anderen Szenen, die nicht unbedingt mit Metal kompatibel sein müssen. Dazu gehören insbesondere, wie aus den Fan-Aussagen ersichtlich, z.B. Hardcore, Industrial, oder Gothic, die ihrerseits eine Fangemeinde besitzen. Dadurch sind Black/ Death Metal- Touristen oft auch Touristen in den eben genannten Szenen. Der Tourist selektiert aus der Sozialwelt des Death und Black Metal, was ihn emotional am meisten anspricht und ihm am besten gefällt, und nutzt die medialen Möglichkeiten und Angebote gemäß seinen Wünschen und Bedürfnissen. Er „versteht“, worum es im Death und Black Metal geht, weil er passende Interpretationsrahmen für die medialen Texte entwickeln kann (vgl. Winter 1995, S. 172). Das ermöglicht es ihm, die Musik zu

51 genießen und gewährt ihm so viel Einblick in die Spezialwelt, daß er zumindest ausschnittsweise mit den anderen Fans „mitreden“ kann. Oft verläßt er jedoch die Death und Black Metal-Szene nach einer bestimmten Zeit (meist ca. zwei Jahre), entweder, weil seine speziellen Wünsche und Bedürfnisse eine Entwicklung durchgemacht und sich verändert haben - was in der Entwicklungsphase der Jugend keine Seltenheit ist - oder weil er schon alles kennengelernt hat und sich nun wieder auf die Suche nach neuen außeralltäglichen Erlebnissen begibt. Oftmals taucht auch ein neues mediales Phänomen auf, das sein Interesse weckt oder seinen jeweils aktuellen emotionalen Bedürfnissen stärker entgegenkommt, und so steigt er nicht abrupt, sondern schrittweise aus der Death und Black Metal-Sozialwelt wieder aus, während er seine Freizeit mehr und mehr einer (für ihn) neuen oder neu entstehenden Szene widmet. Dies war bei einigen von den Fans der Fall, mit denen für diese Arbeit Gespräche geführt wurden. Sie sind nach dem Abebben des Death Metal-Booms, der in etwa von 1992 bis 1994 dauerte, entweder ganz aus der Landschaft jugendlicher Spezialkulturen in den Mainstream verschwunden, oftmals aber auch in die Hardcore/Crossover- oder häufiger noch in die Techno-Szene abgewandert. Dazu befragt, äußerte sich Fan K folgendermaßen:

„Naja, ich finde halt, irgendwann wird man doch zu alt für sowas. Meine Freundin hört sowas nicht, und deswegen gehen wir öfter mal mit Leuten in mehr so normale Discos... wo auch Techno läuft... immerhin ist das auch ziemlich hart, und so ganz harter Techno gefällt mir ganz gut.“

Auch Fan I ist Techno-Fan geworden:

„Industrial oder harten Techno finde ich total geil und hat auch viel mit Death Metal gemeinsam, weil es so Extreme sind... gibt mir inzwischen irgendwie mehr, ist mehr die Musik der Zukunft... ausbaufähig, oder eben wie Cubanate, die Metal-Gitarren mit total den Techno-Rhythmen mischen.“

Fan E kann solche „Aussteiger-Geschichten“ aus eigener Erfahrung bestätigen:

„Genauso war's bei einem ehemaligen Kumpel von mir. Wir kennen uns schon lange, und vor zwei, drei Jahren war er noch voll auf Metal. Wenn er mich jetzt sieht, sagt er noch 'Hallo', aber er hat mir mal erzählt, er wär' froh, daß er den Absprung noch rechtzeitig geschafft hätte.“

Wer allerdings, wie auch Fan E selbst, sein Interesse an den medialen Ausdrucksformen der Sozialwelt auch nach zwei oder drei Jahren noch bewahren kann, nimmt meist intensiver an ihr teil und verläßt den Status des Touristen.

4.3.3 Der Buff: Traditionsbewußtsein und „Proud Pariah“ (Weinstein, S. 93)

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Sind die Novizen und die Touristen unter den Rezipienten des Death und Black Metal anhand weniger Begriffe leicht von anderen Rezipientengruppen zu trennen, so treten bei der Charakterisierung der Buffs - hier als Bezeichnung für die „im Zentrum der Sozialwelt“ (Winter, 1995, S. 174) befindlichen Fans gebraucht - Probleme bei einer scharfen Abgrenzung gegenüber anderen, verwandten Fangruppen zutage. Die Schwierigkeiten verdeutlicht eine Aussage von Fan E:

„Was im Death und Black Metal die ‘echten’ Fans sind... ist gar nicht so einfach zu erklären. Da gibt es auf der einen Seite die alten Fans. Die so aus dem letzten Jahrzehnt. Die hatten meist weniger Bildung, kamen aus dem Arbeitermilieu. Die hatten mehr mit den Rockern gemeinsam. Die tragen eine Kutte, trinken viel Bier, waren irgendwie schmuddeliger, kann man sagen. Die neuen Fans, die legen mehr Wert auf Äußerlichkeiten. Die haben gepflegte lange Haare, und achten mehr auf ihr Image. Sie sind nicht mehr so aufgeschlossen. Früher hat man auf einer Kutte einen Kiss-Aufnäher neben einem von Slayer gesehen. Kiss wär’ für die heutigen Fans, die die extremen Sachen hören, nicht mehr hart genug. Die wollen vor allem cool sein, und werden dadurch irgendwie unnahbar, sind zu cool, um einfach so mit anderen Leuten zu reden. Das mit dem Black und Death Metal war eigentlich ein bißchen eine Gegenreaktion auf den Trend Ende der Achtziger, wo dieser Fun-Metal mit Anthrax und Overkill, in Richtung Skater, angesagt war. Da war das düstere Element weg, und das wird jetzt im Black Metal extra betont. Da ist alles viel ernster, und so sind auch die Fans. Aber das ist vorübergehend. So in ein, zwei Jahren, da ist der Black Metal nicht mehr Trend, und da normalisiert sich das wieder. Death Metal ist ja heute auch nicht mehr so groß wie noch vor’n paar Jahren. Das Ganze mit den Fans ist sehr komplex. Da gibt es welche, die Venom hören aber sowas wie Dio nicht gut finden. Bei anderen ist es umgekehrt. Andere hören Beides. Da ist es schwer, genau zu sagen, wer Black Metal-Fan ist.“

Auch aus Beobachtungen auf Konzerten und anderen Gesprächen mit Fans geht hervor, daß es keine eigentlichen Death und Black Metal-Buffs gibt, sondern daß sich die Insider der Black und Death Metal-Szene als Metal-Fans im weiteren Sinne verstehen, deren Vorlieben im Death und Black Metal-Bereich liegen. Sie unterscheiden sich nicht grundlegend von den Fans des traditionellen Heavy Metal. Es gelingt auch nicht, eine durchgehende, konsitente Einteilung in Fangruppen nach den Subgenres des Metal (Heavy, Thrash, Speed, Progressive...) aufzustellen, weil die musikalischen Präferenzen bei jedem Rezipienten individuell zusammengestellt und über die verschiedenen Subgenres verteilt sind. Die Charakteristika der Death und Black Metal-Buffs lassen sich somit nur als Charakteristika von Metal-Buffs auffassen, die auch im Mittelpunkt aller weiteren Ausführungen stehen werden, wobei der Schwerpunkt bei den thematisierten medialen Texten im Bereich des Death und Black Metal liegen wird. In einem Gespräch wurden die Fans A, C und D nach ihrer Meinung über ihre Identität als „Metal-Fans“ befragt:

Q: Versteht ihr Euch selbst als Metal-Fans? D, A: Ja.

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C: Ja, weil es fast die einzige Musik ist, die ich mir anhöre, die mit meinen Emotionen in Einklang zu bringen ist. No politics, just provocation. Q: Was zeichnet Eurer Meinung nach einen (Death/ Black) Metal-Fan aus? D: Klamotten, lange Haare, lesen die Szenemagazine... A: Kauft sich viele CDs, will immer den neuesten Kram haben. C: Metal ist für den Fan sein Leben. Er lebt durch diese Musik; sie ist nicht nur angenehme Nebensache, sondern eins der Dinge, um die sich sein Leben dreht. Er verteidigt seine Musik gegen alles. Q: Jetzt konkret: wie wirkt sich diese bedeutende Rolle, die die Musik im Leben des Fans spielt, aus? A: Metal-Fans sind irgendwo auch konservativ, in ihrer eigenen Welt gefangen, intolerant... Q: Welche Rolle spielt die Musik? Welche Rolle spielen die Texte? C: Gute Texte sind ein wichtiger Pluspunkt. Die Musik ist das Wichtigste. A: Der Metal-Fan will Subkultur sein. Er grenzt sich selber ab, durch seine Kleidung, er grenzt sich aus. D: Er entspricht irgendwo dem Klischee. Q: Was für ein Klischee? C: Es gibt nur drei wichtige Dinge auf der Welt. Ficken, Saufen, Musik. Von mir aus noch bekifft sein... Q: Ok, aber mal ernsthaft... das ist ja Rock'n'Roll. D: Klar, auch, aber das hängt ja zusammen. [...] A: Metal hat ja auch viel von altem Rock übernommen, das kann man nicht anders sagen... C: Sicher, als Metal-Fan verehrst du heute immer noch Sachen wie ... A: Die sind ja auch Kult... [...] Q: Würdet Ihr Euch heute nochmal solche Platten kaufen? A: Ja, natürlich. Schau dir doch mal an, wenn bei uns Plattenbörse ist. Die Leute würden sich doch am liebsten die ganzen Sachen doppelt und dreifach kaufen. [...]

Damit sind in wenigen Worten schon einige wichtige Punkte genannt, die für die Buffs unter den Metal-Fans typisch sind.

Die „echten Fans“

Die Buffs betrachten sich selbst als die „echten“ Fans. Sie zeichnen sich durch ein ausgeprägtes Elitebewußtsein und den Anspruch auf Exklusivität aus. „Death to false Metal“ ist ein vielzitierter Spruch der Band Manowar (USA), die bei den meisten Metal- Fans Kultstatus genießt und die ihren eigenen Aussagen zufolge „true metal“ spielt , im Gegensatz zu vielen Nachahmern und „Fakes“, die ihre Musik als Metal „tarnen“ und leichtgläubigen Unwissenden unreinen Wein ausschenken. Doch nicht nur „falsche“ Musik, auch die „Fakes“ unter den Fans sind verpönt, wenn sie beispielsweise mit lückenhaften Wissen prahlen wollen. Auch die Aufforderung „Wimps and Posers leave the hall!“, ebenfalls von Manowar, schließt unechte Möchtegern-Fans, „Wimps“ und Poser“, symbolisch aus der Gemeinschaft der wahren Metal-Fans aus. „Ein Wimp ist einer, der einfach nicht die nötige Härte hat. Er tut so, als wär’ er was Besonderes, dabei hat er mit Metal rein gar nichts zu tun“ (Fan E). Als „Poser“ werden Hörer bezeichnet,

54 die die Codes und Regeln der Metal-Sozialwelt zwar nach außen hin scheinbar akzeptieren, aber sie nicht verinnerlichen und nicht wirklich verstehen. Die Grenzen zwischen „echten“ und „unechten“ Fans sind affektiv besetzt (vgl. Winter 1992, S. 124). Speziell unter den Black Metal-Fans gab es zeitweise sehr kleine Kreise, die den Elitismus auf die Spitze getrieben haben (und die z.T. heute noch existieren), so z.B. manche Gruppen von Fans in Norwegen oder auch in Österreich. Fan C berichtet von seinen Informationen aus Norwegen:

„Diese Entwicklung kulminierte dann schließlich durch die Aktionen des ‘Black- Metal Council of Norway’. Varg Vikernes, mit Pseudonym ‘Count Grishnakh’, seinerseits einzig echtes Mitglied der Ein-Mann-Band Burzum, tat sich hier besonders durch das Abfackeln von Kirchen hervor... Vorausgegangen waren neben dem Anzünden von Kirchen auch Anschläge auf den Tourbus der ‘Weicheier’ Paradise Lost und diverse Mitglieder von ‘nicht satanischen’ Bands, so z.B. gegen das Haus von , Sänger und Gitarrist von Therion.“

Wurden manche dieser Meldungen im Nachhinein auch relativiert, allein die Tatsache der Verbreitung solcher Nachrichten in der Fanwelt zeigt einen gewissen Hang zum Fanatismus, was eine bestimmte Art von Musik oder von Weltanschuung betrifft. Allerdings wurden viele der Ereignisse in der norwegischen Szene - wie auch immer sie sich in Wirklichkeit abgespielt haben mögen - durchaus nicht von allen Fans positiv beurteilt. Was unterscheidet aber nun für die Mehrzahl der Fans den „echten“ vom „unechten“ Fan? Was ist es, was die Buffs unter den Metallern immer wieder betonen und was ihre Identität als „true metal fans“ konstituiert? Buffs lassen eher als Touristen ihre Identität als Metal-Fans durch Äußerlichkeiten erkennen. Sie haben einen eigenen Stil entwickelt, der sich in äußeren Merkmalen wie Kleidung, Frisur, Schmuck und besonderen Körperschmuck wie Tätowierungen manifestiert. Das typische Metal-Outfit besteht aus Jeans oder Motorradlederhosen, schwarzem T-Shirts oder Sweat-Shirts mit Logos und anderen Aufdrucken von Metal- Bands, Jeans- oder Lederjacken, Jeanswesten mit Aufnähern (Patches) von Bands (diese mit Aunähern und aufgemalten Schriftzügen versehenen Westen werden Kutten genannt), Stiefeln oder Turnschuhen. Der Kleidungsstil ähnelt in vielen Punkten dem der Rocker oder Biker, ist allerdings weniger auf die Tauglichkeit beim Motorradfahren fixiert. Schmuck in Form von Kettenanhängern, Ansteckern (Pins) oder Ringen ist im Allgemeinen aus Bronze oder Silber und stellt Kreuze und Pentagramme (auch umgedrehte als Symbol des „Bösen“), Totenköpfe, Drachen, Spinnen, Schlangen, Fantasymonster, Schwerter oder Ähnliches dar (vgl. Weinstein, S. 128). Doch während Insignien wie Kleidungsstücke oder Schmuck jederzeit am Wochenende oder für ein spezielles Ereignis wie ein Konzert angelegt werden können, auch wenn die betreffende Person die ganze Woche über bürgerliche Kleidung wie Anzug und Krawatte trägt, stellt ein so auffälliges Merkmal - besonders bei männlichen Fans - wie lange Haare, der

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Standard für Metaller, ein permanentes Zugehörigkeitszeichen zur Spezialkultur dar, wie Weinstein bestätigt: "Long hair is significant because it cannot be concealed. It is the only feature that excludes 'weekend warriors', those with parttime commitment for heavy metal" (Weinstein, S. 129). Noch deutlicher wird dies bei (so gut wie) irreversiblen Kennzeichnungen wie Tätowierungen, die sich bei vielen Metal-Fans - seien es Anhänger des traditionellen Heavy Metal oder des Death und Black Metal - großer Beliebtheit erfreuen: "The tattoo is a special mark of loyalty to the heavy metal subculture; it is permanent" (Weinstein, S. 129). Die Fans nehmen durch solche äußeren Kennzeichen bewußt eine Stigmatisierung in Kauf (vgl. Punkt 3.2.1), die sie sowohl von der konservativen bürgerlichen Gesellschaft und ihrem hochkulturellen Stil als auch von anderen Jugendkulturen deutlich abgrenzt. Dabei stempeln z.B. Tätowierungen oder Piercings als echte körperliche Stigmata, die aber freiwillig angenommen werden, ihre Träger in besonderer Weise zu Außenseitern ab (vgl. Elias 1990, S. 32). Diese Abgrenzung ist beabsichtigt, Fan A sagt dazu, „er will Subkultur sein“ (s.o.), in einem anderen Statement spricht er von einer „Ausgrenzung aus den Normalhörern“. Das ist es genau, was Weinstein als den „Proud Pariah“ bezeichnet: Der Stigmatisierte, der stolz darauf ist, anders zu sein als eine Gesellschaft, deren Verhalten er für verlogen und unaufrichtig hält und die ihm nichts bedeutet - Goffman hält das für eine seltene, aber in Verbindung mit einem sehr starren Werte- und Normensystem durchaus existente Reaktion von Stigmatisierten: „Also, it seems possible for an individual to fail to live up to what we effectively demand of him, and yet be relatively untouched by this failure; insulated by his alienation, protected by identity beliefs of his own, he feels that he is a full-fledged human being, and that we are the ones who are not quite human. He bears a stigma but does not seem impressed or repentant about doing so“ (Goffman 1968, S. 17). Somit ist der spezifische Kleidungs- und Modestil, an dessen prinzipiellen Merkmalen seit Bestehen des Heavy Metal festgehalten wird, auch als Praxis zur Demonstration dieser Indifferenz gegenüber gesellschaftlicher Anerkennung zu verstehen. Beobachtet man das Publikum eines beliebigen Metal-Konzerts, wird dieser Kleidungsstil sicherlich auf die Mehrheit der Anwesenden zutreffen, doch er stellt keineswegs das einzige, und auch nicht das wichtigste Kriterium dar, um in der Sozialwelt als „echter“ Fan anerkannt zu werden. Einerseits sind z.B. lange Haare bei Männern auch bei Anhängern von Alternative Rock, Grunge, Independent und anderen jugendkulturellen Stilen anzutreffen, und Tätowierungen erfreuen sich gesamtgesellschaftlich wachsender Akzeptanz und Beliebtheit; andererseits reichen Äußerlichkeiten nicht aus, um einen Fan als „echt“ auszuweisen. Weitaus entscheidender sind die „inneren Werte“.

Expertenwissen

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Eins der wichtigsten Merkmale des Buffs, was ihn deutlich vom Novizen und Touristen abgrenzt, ist sein Wissen über die Szene. Das Wissen des Buffs ist jedoch keine oberflächliche Ansammlung von „hier und da zusammengelesenen Informationen“ (aus einem Interview mit Fan G), sondern sowohl systematisch geordnet als auch detailliert. Manche Buffs sind „wandelnde Enzyklopädien“ und besitzen ein extensives und intensives Wissen von unzähligen Einzeldaten und -fakten. Entscheidend ist dabei jedoch immer das kontextuelle Wissen, die Querverweise und Parallelen, das synoptische Lesen der medialen Texte. Die Fans sind in der Lage, Bands zu klassifizieren, ihre Bedeutsamkeit für die Szene zu erkennen und ihr Wissen über die Bandbiographie, die Titel und den Zeitpunkt der von ihnen veröffentlichten Tonträger in ein stilistisches wie chronologisches System einzuordnen. Buffs erkennen sofort, wenn es sich bei einer Band um eine Kopie einer anderen, älteren oder bekannteren Band handelt, und bemängeln die fehlende Originalität. Das ist z.B. bei einigen neueren schwedischen Death und Black Metal-Bands der Fall (Naglfar, Gates of Ishtar), die die ebenfalls aus Schweden stammenden At The Gates kopieren. Das zeigte sich z.B. in einem Gespräch zwischen zwei Fans, die miteinander über einige Bands diskutierten:

Fan E: Im Moment gibt es einfach zu viele Black Metal-Sachen, vor allem, was alles aus Schweden und Norwegen kommt... Fan B: Ja, vieles davon ist nur ‘ne Kopie von ‘was anderem... die meisten Bands da machen Bathory nach. Fan E: Was Bathory am Anfang gemacht haben, ist ja wohl mit als der Ursprung vom Black Metal heute zu bezeichnen... Fan B: Klar, und später haben die auf „Blood, Fire, Death“ oder „Twilight of the Gods“ nur schon gemacht, was Paradise Lost später gemacht haben... Fan E: ...und die wurden dann voll Trend.

Auch Details über einzelne Songs, ihre Entstehungsgeschichte, ihre Auswirkungen (so werden bestimmte „Klassiker“ von anderen Bands immer wieder - bewußt - nachgespielt (gecovert), wie z.B. „Countess Bathory“ von Venom [England]), die musikalischen und textlichen Strukturen sowie die optische Gestaltung von Platten und CDs werden durch ständiges „Re-reading“ (vgl. Winter 1995, S. 178) quasi auswendiggelernt. Dadurch kennt der Fan von seinen am meisten favorisierten Musikern auch die Songtexte: „Knowing the lyrics to the songs of one’s favorite group is a pledge of allegiance to the group and a sign that one is a devotee in good standing“ (Weinstein, S. 125). Dieses Wissen, was der Fangemeinde durch die Kommunikation der Fans untereinander kollektiv zur Verfügung steht, konstituiert den Code, der „several sets of rules“ (Weinstein, S. 23) beinhaltet, die letztendlich festlegen, was unter dem Begriff „Metal“ zu subsumieren ist und was nicht. Diese Regeln sind flexibel und können im Verlauf der Zeit variieren, sind aber dennoch unmißverständlich für alle, die sich innerhalb der

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Metal-Sozialwelt bewegen und können als Interpretationsrahmen im Sinne Goffmans (1993) interpretiert werden. Die Kenntnis dieser Rahmen ermöglicht den Buffs, was Novizen mißlingt: das kontextuelle Deuten und Verstehen der medialen Texte. Ein Songtext wie der in Punkt 3.1.1 zitierte Auszug aus „Edible Autopsy“ von Cannibal Corpse gewinnt so einen eigenen ästhetischen Wert innerhalb des Splatter-Rahmens (vgl. Eckert et al., S. 79). Fans diskutieren aber auch den Einfluß von Cannibal Corpse auf spätere Bands des Genres, und spekulieren über die Quellen, aus denen Cannibal Corpse ihre Inspirationen bezogen haben. Die Vergleiche und systematischen Einteilungen ermöglichen es, die Musik, die Texte, die Bilder und die Symbole, also die Gesamtheit des künstlerischen Produkts, nicht mehr nur nach „primitiv“-emotionalen, sondern auch nach ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen, wie dies ein Musikwissenschaftler respektive Literatur- und Kunstkritiker tun würde. Dazu ist auch die Entwicklung und Kenntnis einer Szenesprache, insbesondere die Schaffung adäquater Fachtermini, notwendig (vgl. den Abschnitt zur Begriffswelt). Insofern ist der Zugang zu der Musik und den Texten nicht mehr nur rein emotional, durch Erlebnishunger und Neugierde gekennzeichnet wie beim Touristen. Das Wissen und der kognitive, intellektuelle Zugang zur Musik und zu den Texten läßt aber dennoch genügend Freiraum für das emotionale Erlebnis, was mit dem Hören der Musik oder auch mit dem Lesen der Texte und Betrachten der Bilder verbunden ist. Durch die Kenntnis der erforderlichen Rahmen wird das Erlebnis dann zum - durchaus auch sinnlichen - Kunstgenuß. Hier darf jedoch nicht fälschlicherweise der Eindruck entstehen, daß es sich bei der Mehrzahl der Metal-Fans um den sozialen Typus eines „sensiblen“ und sehr kultivierten intellektuellen Kunstkenners handeln würde, für den die Kunst ein bewußtes Mittel zur ästhetischen Verbesserung seines Lebens ist, vielmehr wird allzu große Kultiviertheit und Intellektualität von den Fans im Allgemeinen abgelehnt. Notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit des „Re-reading“ und das Erlangen von Wissen ist die Tätigkeit des Sammelns (vgl. Winter, S. 178). Buffs besitzen im Allgemeinen eine große Sammlung von Platten, CDs und Cassetten, die einen hohen materiellen und ideellen Wert darstellen. Raritäten, schwer zu beschaffende Editionen oder vergriffene Titel, Picture-Discs (Platten mit einem aufgemalten Motiv) und Shapes (in bestimmten Formen ausgeschnittene Platten oder CDs) gelten dabei als besonders wertvoll (vgl. Hellion-Katalog 1996, S. 67ff). Dabei überwiegt bei den letzten beiden Sammelobjekten die Funktion des Sammelns als Selbstzweck, deren Besitz allein schon einen Wert darstellt und Vergnügen bereitet (vgl. Winter 1995, S. 152f), da Picture- Discs und Shapes so gut wie nie abgespielt werden und von der Klangqualität auch nicht besonders gut dafür geeignet sind.

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Traditionsbewußsein

Der Buff hat ein ausgeprägtes Traditionsbewußtsein. Er bekennt sich stolz zu den Wurzeln, die Heavy Metal kulturell begründet haben, selbst wenn er sich auf Black und Death Metal spezialisiert hat. Winter hat für die Horror-Buffs festgestellt: „Nach Meinung der Buffs interessiert sich der 'wahre Fan' für die klassischen Horrorfilme aus Hollywood oder aus den Hammerstudios [...] mindestens genauso stark wie für die neueren Filme“ (Winter, S. 176). Eben diese Einstellung gilt auch für die Metal-Buffs. Die „alten“, „klassischen“ Bands wie beispielsweise Black Sabbath, Judas Priest oder Iron Maiden, um nur einige wenige zu nennen, oder z.B. Venom, Slayer, Hellhammer, Celtic Frost, Death, Bathory als Ikonen des Death und Black Metal werden kultisch verehrt. Für die Original-Platten dieser Bands werden auf Plattenbörsen Preise in dreistelliger Höhe erzielt. Die wichtigste Aufgabe eines Touristen, der einsteigen will, besteht darin, sich Platten und CDs der oben aufgezählten Bands zu beschaffen, bevor er mit dabeisein und „mitreden“ kann. Das zeigt auch ein Auszug aus einem Interview mit Fan N:

Q: Welche Bands wüdest du heutzutage als bedeutsam für die (Black) Metal-Szene einstufen? N: Auf jeden Fall Bands der guten, alten 80er, wie z.B. Sodom, Venom, Slayer, Hellhammer, Kreator, Destruction etc. Natürlich gibt es auch „jüngere“ Bands wie Dark Throne, Satyricon, Immortal etc., die mit ihren ersten Platten Meisterwerke ablieferten...

Traditionsbewußtsein bedeutet aber auch das Festhalten an traditionellen Werten und Normen, die oft denen der schärfsten Kritiker der Metal-Spezialkultur, nämlich den konservativeren Verfechtern der Hochkultur, nicht unähnlich sind (vgl. Weinstein, S. 137). Dieses konservative, oft als reaktionär verschrieene Element bedingt eine große Skepsis gegenüber neuen und fremden Einflüssen, besonders im musikalischen Bereich. So sind Metal-Fans typischerweise aufgeschlossen gegenüber dem Einsatz von Folk- Elementen und mittelalterlichen Melodien in Metal-Songs (Skyclad, Storm, Satyricon), dagegen haben Bands, die Rap oder Funk mit Hard Rock- oder Metal-Riffs kombinieren (Body Count, Clawfinger, Gurd, Down) zwar (momentan) ein relativ großes Publikum, werden sich aber nie bei den Buffs etablieren und als Metal-Bands anerkannt werden können. Der Metal-Fan ist stolz auf seine Tradition, die jüngere Fans veranlaßt, sich Platten und CDs zu kaufen, die doppelt so alt sind wie sie selbst, von Bands, deren Musiker die Väter oder sogar die Großväter der jüngsten Fans sein könnten. Fan E begründet dieses Phänomen damit, daß „Manche Alben [...] einfach klassisch, zeitlos [sind]. ‘Black Sabbath’, ‘Master of Reality’ - das sind Klassiker, die man auch heute noch hören kann, die man auch in 20 Jahren noch hören wird.“ Diese Beständigkeit und Kontinuität der Metal-Szene resultieren aus der Reproduktion der Sozialwelt durch die fortlaufende

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Tradierung von Werten und Normen, aber auch von als kulturell wertvoll erachteten Werken, die von den „alten“ an die jüngeren Fans weitergegeben werden. „Older members initiate younger ones into the rituals and the lore of heavy metal, fostering a stronger sense of community than schorter-lived subcultures“ (Weinstein, S. 137). Das Fazit für die „wahren“ Fans - darunter Fan E - lautet daher:

„Heavy Metal sachen sind zeitlos, auch 20-jährige Platten verkaufen sich heute noch gut. Metal wird es immer geben. es wird immer ein Verlangen nach Metal oder harter gitarrenorientierter Musik geben, sowas wird immer populär sein. Ich denk’ da nur an den Song von Twisted Sister - ‘You Can’t Stop Rock’n’Roll’.“

Ein weiteres, für die emotionale Bindung an die Musik entscheidendes Kriterium ist die Authentizität im Metal. Metal-Fans legen großen Wert darauf, daß Musik „handgemacht“ ist und nicht mit Hilfe von Computern erzeugt wurde. Auch Helsper hat bei seinen Befragungen von Metal-Fans festgehalten, daß sie der „Ehrlichkeit“ und dem „Echten“ im Heavy Metal besonderen Wert beimessen (vgl. Helsper, S. 132f). Daraus erwächst auch der hohe Stellenwert, den Konzerte von Metal-Bands für die Fans innehaben (vgl. Weinstein, S. 199ff: „The Concert - Metal Epiphany“), der weitaus höher ist als bei Fans von Pop-Musik oder anderen musikalischen Spezialkulturen. Im Gegensatz zu der Situation bei Touristen ist bei Buffs eine starke, über einen langen Zeitraum dauernde Bindung an die Sozialwelt die Regel. Während über die Dauer des Verweils speziell von Death und Black Metal-Fans bis jetzt nur Mutmaßungen angestellt werden können - Fan E meint allerdings: „Einmal Metal-Fan - immer Metal- Fan“ -, da dieses Subgenre im weitesten Sinne erst seit Mitte der Achtziger Jahre existiert, zeigen Beobachtungen bei Konzerten der englischen Band Motörhead (die bereits seit den Siebziger Jahren aktiv ist), daß sich im Publikum erstaunlich viele 30 Jahre und ältere Fans befinden, die dem Heavy Metal aus den Siebziger und Achtziger Jahren treu geblieben sind, und die sich auch nach ihrer Jugendphase und in einer veränderten biographischen Lage (Heirat, Familiengründung) weiterhin zu den Fans zählen. Hier handelt es sich überwiegend um Fans aus der Rocker- und Biker-Szene, für die z.B. die Mitgliedschaft in einem Motorradclub ohnehin auf Lebenszeit ist und die für ihr Traditionsbewußtsein bekannt sind. Für Buffs sind auch die Kommunikationstrukturen in der Sozialwelt von wesentlich höherer Bedeutung, da sie intensiver an der Sozialwelt partizipieren. Auch die Informationsmedien in Form von Szenemagazinen, Fanzines oder entsprechenden Seiten im Internet werden stärker genutzt als von den Touristen.

Begriffswelt

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Die besondere Sprache der Metal-Szene soll hier nur kurz angesprochen werden. Ansätze zur Herausbildung einer eigenen Szenesprache, die von Außenstehenden nur teilweise verstanden wird, sind durchaus vorhanden. Für Buffs, die sich viel in der Metal-Sozialwelt aufhalten, ist es selbstverständlich, sich in dem szeneüblichen Jargon, der sich aus musikalischen und musiktechnischen Fachbegriffen, meistens auf Englisch, sowie Elementen eines subkulturelllen Jargons zusammensetzt, fließend ausdrücken zu können. Einige der „Fachtermini“, die in den Szenemagazinen und Fanzines verwendet werden, wurden schon in den vorangegangenen Abschnitten eingebracht und kurz erläutert, eine detaillierte Darstellung der Sprachstruktur würde hier jedoch zu weit führen. Als anschauliches Beispiel für szeneeigene „Fachbegriffe“ seien die unzähligen Bezeichnungen für sehr eingegrenzte Stilrichtungen innerhalb des Metal genannt, die möglicherweise nur von einigen, manchmal einer einzigen Band gespielt werden und z.T. von selbigen erfunden wurden, aber von Fans zur genauen Klassifizierung „ihrer“ Musik verwendet werden. So ergab ein Gespräch mit Fan E eine Vielfalt von Namen für Spielarten innerhalb des Metal, die im folgenden aufgelistet sind. In Klammern dahinter stehen die Bands, die für den jeweiligen Begriff repräsentativ sind.

Alcoholic Metal (Tankard/ BRD) Atmospheric Metal (Katatonia/ Schweden) Avantgarde Metal (Celtic Frost/ Schweiz, Misantrophe/ Frankreich) Biker Metal (Motörhead/ GB, Highlander/ GB) Dark Metal (Betlehem/ BRD) Medieval Metal (Satyricon/ Norwegen) Epic War Metal (Nightfall/ Griechenland) Fantasy Metal/ Fantasy Thrash (Blind Guardian/ BRD, Skyclad/ GB) Folk Metal (Skyclad/ GB, Storm/ Norwegen) Funk Metal (Mordred/ USA) (Paradise Lost/ GB, Katatonia/ Schweden) Gore Metal (Carcass/ GB) Hate Metal (Warpath/ BRD) Holocaust Metal (Immortal/ Norwegen, eig. Black Metal) Nuclear Metal (Virus/ GB) Orthodox Black Metal (Countess/ Holland) Pagan Metal (Dark Funeral/ Schweden) Piracy Metal (Running Wild/ BRD) Power Metal (Vicious Rumours/ USA, Savatage/ USA, Morgana Lefay/ Schweden) (Fates Warning/ USA, Queensryche/ USA, Tad Morose/ Schweden) Prolo Metal (Mentors/ USA) Renaissance Metal (At The Gates/ Schweden, Eucharist/ Schweden)

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Techno Thrash (Sieges Even/ BRD, Despair/ BRD, Anacrusis/ USA) Techno Death (Atheist/ USA, Death/ USA) True Metal (Manowar/ USA) Viking Metal (Enslaved/ Norwegen) War Metal (Blasphemy/ Kanada, Holocausto/ Brasilien) White Metal (mit christlichen Texten; Believer/ USA)

E ist sich der Existenz und seiner eigenen Verwendung dieser Szenesprache durchaus bewußt und steht ihr teilweise kritische gegenüber. So behauptet er, viele dieser Bezeichnungen seien nur „ein Suchen nach einer Marktlücke, ein Vermarktungstrick“, (und das trifft sicherlich für relativ aussagearme Termini wie „Alcoholic Metal“was die Band Tankard irgendwann einmal selbst erfunden hat, zu), Bezeichnungen wie „Medieval Metal“ oder „Techno Thrash“ hingegen verraten viel über die Struktur der Musik, die gespielt wird. Bei ersterem werden Elemente mittelalterlicher Musik, z.B. Melodiebögen, Tonleitern, Musikinstrumente, Klanggfarben in das Metalgerüst integriert - es ergibt eine neuartige Synthese; letzteres bezeichnet die Art, die Songs aufzubauen, nämlich so komplex wie nur irgend möglich, um die technischen Fähigkeiten der beteiligten Musiker beim Komponieren und Interpretieren zu präsentieren. Die in der Szene übliche Terminologie ist für Außenstehende so vielschichtig und verwirrend, daß es durchaus denkbar ist, daß ein gut informierter Fan einen Außenstehenden davon überzeugt, daß z.B. im Moment „War Metal“ der neueste Trend sei, dessen Hauptanliegen darin bestehe, den Krieg zu glorifizieren. Szeneinsider wissen, daß es einige wenige Bands aus dem Black Metal-Bereich gibt, die diese Bezeichnung für sich erfunden haben, aber weder einen besonderen Trend setzen noch daran interessiert sind, militärische Aktionen zu unterstützen.

4.3.4 Der Freak: Kontakte zum Untergrund

Die Charakteristika der Buffs treffen in vollem Maße auch auf diejenigen Fans zu, die als „Freaks“ eine besonders wichtige Rolle in der Metal-Sozialwelt spielen. Die Übergänge zwischen den beiden Fantypen sind fließend, aus den Beobachtungen, Gesprächen und Interviews mit den Fans sind in der Metal-Sozialwelt zwischen Buffs und Freaks weniger Unterschiede festzustellen als in der von Winter (1995) untersuchten Horrorsozialwelt. Die Aneignungspraktiken der beiden Fantypen sind identisch. Die Freaks kristallisieren sich jedoch aus der Gruppe der Buffs heraus, indem sie innerhalb der Fangemeinde besondere Funktionen übernehmen. Ebenso wie der Buff zeichnet sich der Freak durch Expertenwissen, ein ausgeprägtes Traditionsbewußtsein und intensive Teilnahme an der szeneinternen sozialen Interaktion aus; allerdings rückt

62 für den Freak die Metal-Sozialwelt so sehr in das Zentrum seines Lebens, daß die meisten anderen Freizeitaktivitäten an den Rand gedrängt, wenn nicht sogar ausgeblendet werden. Die Freaks organisieren aktiv Teile der Sozialwelt mit, sie sind die „Macher“ (Winter 1995, S. 182). Während man zum Buff durch langjährige Mitgliedschaft in der Sozialwelt, durch das in dieser Zeit erworbene spezialisierte Wissen und Kenntnis der Interpretationsrahmen wird, benötigt man zum Freak darüber hinaus Engagement in der Sozialwelt und Anerkennung durch andere Freaks und durch die Buffs.

Die Notwendigkeit der Beziehungen zu anderen Fans (vgl. Winter 1995, S. 193f)

Für die Freaks stellen, anders als für die Touristen und in höherem Ausmaß als für die Buffs, die Beziehungen und Kontakte zu anderen Fans in der Metal-Sozialwelt nicht nur eine freiwillige Auswahl der sozialen Kommunikationspartner, sondern eine Notwendigkeit dar. Das erklärt sich zum einen dadurch, daß die Gruppe der Freaks durch ihre vielfältigen Aktivitäten in der Metal-Sozialwelt noch stärker als die Buffs nach außen hin von einer Stigmatisierung betroffen ist. In dem Maße, in dem die Stigmatisierung durch Außenstehende zunimmt, steigt jedoch das Prestige innerhalb der Sozialwelt (vgl. Goffman 1970, S. 35f, Winter 1995, S. 193). Zum anderen wird der Kontakt zu den anderen Fans durch die vielfältigen organisatorischen Tätigkeiten der Freaks automatisch aufrechterhalten, und ist durch die Funktionen bedingt, die die Freaks innerhalb der Sozialwelt ausüben. Intensive Kontakte mit Gleichgesinnten werden dadurch gefördert und von vielen Freaks auch aufgrund zeitlicher Restriktionen fast ausschließlich gepflegt (vgl. Winter 1995, S. 189). Kontakte zum Untergrund

Eine der wichtigsten Funktionen, die die Freaks auszeichnet, ist der Kontakt zum sogenannten „Untergrund“ („Underground“). Damit ist derjenige Teil der Sozialwelt gemeint, der teilweise hobbymäßig von Musikern, Tonträgerfirmen und Fanzineherausgebern ohne kommerzielle Interessen organisiert wird. Durch ihr „intensives Engagement“ (Winter 1995, S. 187) haben die Freaks Zugang zu musikalischem Material und Informationen aus dem Untergrund und kennen Kommunikationskanäle, die von der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen werden, und auch vielen Touristen völlig unbekannt sind. Dieses Kommunikationsnetz, das mittels in- und ausländischer Fanzines, Brieffreundschaften und Tape-Trading mit Metalfans aus aller Welt und seit der rasant wachsenden Verbreitung von verschiedenen Internet-Kommunikationsdiensten auch via E-Mail, Newsgroups und World Wide Web funktioniert, nutzen die Freaks zur Produktion und Verbreitung ihrer eigenen medialen Texte, wie Fanzines oder Demotapes.

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Die Untergrundszene produziert zwar nur einen Teil der medialen Texte, die von den Buffs und den Freaks konsumiert werden, repräsentiert aber den Nachwuchs für die gesamte Szene. Hoffnungsvolle neue Bands, die heute im Untergrund aktiv sind, Demo- Tapes aufnehmen und durch untergrundspezifische Kanäle an die Fans vertreiben, können die „Stars“ (innerhalb der Metal-Sozialwelt) von morgen werden. Es gehört zu den Aufgaben der Freaks, ständig über die Geschehnisse im Untergrund auf dem Laufenden zu sein und die anderen Fans darüber mit Informationen und neuem musikalischem und sonstigem künstlerischen Material zu versorgen. Der Untergrund ist nicht nur ein Reservoir für Nachwuchstalente, der die Szene am Leben hält, sondern fungiert auch als Refugium für alle Szenemitglieder, die sich aus diversen Gründen aus dem „Rampenlicht“ des kommerziellen Teils der Szene zurückziehen müssen (durch anhaltende kommerzielle Mißerfolge) oder wollen (aus Enttäuschung über das kommerzielle Musikbusiness, aus Gründen der persönlichen biographischen Lage). Eine funktionierende Untergrundszene ist einer der wichtigsten Stützpfeiler der Metal-Szene überhaupt, denn sie stellt im Bewußtsein vieler Metal-Fans letztlich das Refugium für die gesamte Sozialwelt dar, beispielsweise für den Fall, daß Platten und CDs wegen Gewaltdarstellungen in Bildern und Texten zensiert oder Konzerte und andere Veranstaltungen (wie bereits bei Auftritten von Cannibal Corpse geschehen, vgl. Punkt 4.1.1) von den Behörden verboten werden. Dazu meint Fan E:

„Was soll schon sein, wenn sie irgendwas zensieren und den Bands verbieten zu spielen? Dann gehen wir einfach in den Untergrund, das ist alles.“

Fan N befürwortet die „Rückkehr“ in den Untergrund:

„Der wahre Black Metal kehrt wieder zurück in den richtigen Untergrund, wo er meines Erachtens auch hingehört.“ Ganz ähnliche Reaktionen zeigen auch jugendliche Videofreaks, die „mit Kritik, Abschottung und prononcierten Ausweichmanövern“ (Vogelgesang 1991, S. 239) auf die Indizierung von Horrovideos und Zugangsrestriktionen mittels gesetzlicher Alterbeschränkungen antworten.

Autorität durch spezialisiertes Wissen

Die Freaks stehen in der Hierarchie der Sozialwelt am höchsten. Durch ihr besonderes detailliertes und systematisiertes Wissen, der Kenntnis der Interpretationsrahmen, einer vom Hang zum Komplettismus geprägten Sammelleidenschaft aller mit der Sozialwelt in Verbindung stehenden medialen Produkte stellen sie eine Autorität für andere Fans dar, auf die man im Zweifelsfall zurückgreifen kann. Außerdem demonstrieren sie ihr Spezialwissen bewußt gegenüber den anderen Fans (vgl. Winter 1995, S. 188f). Häufig äußert sich das sehr spezialisierte „Fachwissen“ z.B. in der exakten Kenntnis aller Einzelheiten, die eine bestimmte Band betreffen: „When talking about a group, a

64 person will often defer to the expertise of a friend whose god is that group. ‘You gotta speak with my buddy Paul. He’s really into Nuclear Assault and knows all about them’. The constant chatter on which is a group’s best album or which lineup worked best reflects deference to specialized authority: ‘Well, my friend Jim, who is really into Maiden, says that Number of the Beast is their best album’“ (Weinstein, S. 141). Freaks beanspruchen aufgrund ihrer besonders weitreichenden Kenntnisse Autorität, mitzubestimmen, wie bestimmte Bands zu bewerten und wie die Interpretationsrahmen zu setzen sind. Dennoch müssen sie sich mit ihrer Meinung der Diskussion, die mit anderen Freaks oder auch den Buffs stattfindet, stellen, und können ihre Sichtweise nicht diktatorisch durchsetzen, sondern sind darauf angewiesen, von den übrigen Mitgliedern der Sozialwelt als Autorität anerkannt und legitimiert zu werden. Dies geschieht in nicht unerheblichem Maße durch das Ausmaß und die Qualität ihrer Bemühungen in den eben schon angesprochenen Beziehungen zum Untergrund und den zahlreichen möglichen Aktivitäten innerhalb des Untergrunds, die ihnen eine Karriere ermöglichen, die über das bloße „Fandasein“ hinausgeht.

Vom Fan zum Musiker, Labelinhaber und Fanzineschreiber

Den Freaks gelingt am ehesten, durch ihr Engagement und ihre Kontakte, der „Karrieresprung“ zum Mitorganisator und Mitproduzenten der Metal-Sozialwelt. Der Freak beschränkt sich nicht darauf, die medialen Texte zu konsumieren oder sie mit anderen Fans zu diskutieren, sondern er produziert sie selbst. Am häufigsten ist die Herausgabe von Fanzines, in denen der Freak sein Wissen über die Szene und seine Kompetenz durch Kritiken von Platten und CDs, Berichten über Liveauftritten und Interviews mit verschiedenen Bands demonstrieren kann. Auch die Gründung einer eigenen Band, aus Enthusiasmus für die Musik, ist keine Seltenheit, wie der Auszug aus einem Interview mit Fan H zeigt:

Q: Wie bist Du dazu gekommen, selbst Musik zu machen? H: Durch Kumpels, bei uns in der Gegend haben sie halt alle so Musik gehört,... irgendwann hatten wir die Idee, es selbst mal zu probieren. Q: Habt Ihr vorher schon Instrumente gespielt? H: Unser jetziger Drummer ja, und einer von den Gitarristen, der schreibt jetzt auch die Songs und so, aber am Anfang hat's sich furchtbar angehört, ist ja klar, bis man da mal Ahnung hat, auch von der Technik und alles... Q: Also habt Ihr Euch gedacht, was die Bands können, können wir auch? H: Wenn man vergleicht mit manchen Bands am Anfang, die jetzt bekannt sind, die waren damals auch nicht besser, wie z.B. Sodom oder so... aber war eigentlich mehr, wenn die Musik hören schon so geil ist, muß selber spielen noch besser sein... und da haben wir einfach mal gemacht... Q: Meinst Du, daß viele Bands so angefangen haben? H: Klar, die meisten fangen ja im Untergrund an, bringen'n Demo 'raus und so... Q: Du würdest Dich trotzdem als Fan von anderen Death Metal-Bands bezeichnen? H: Ja, auf jeden Fall.

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Obwohl er jetzt zu den Aktiven, zu den „Produzenten“ in der Sozialwelt gehört, distanziert sich H keineswegs von den Fans, er bezeichnet sich selbst weiterhin als Fan. Die in der Popkultur übliche Dichotomie zwischen den „Stars“ und dem Publikum wird hier aufgehoben, indem die Fans gleichzeitig Musiker sein können, bzw. die Musiker Fans bleiben. Der Weg zur Gründung eines eigenen Labels, d.h. die Gründung einer Firma zur Veröffentlichung von Tonträgern anderer Bands aus der Szene gestaltet sich um Einiges schwieriger und aufwendiger. Insbesondere die finanziellen Voraussetzungen müssen in besonderem Maße gegeben sein. Dennoch sind sogar einige von den größeren Metal- Labels von Musikern (mit)begründet worden, die gleichzeitig Fans waren, und die nicht nur die finanziellen Mittel, sondern auch den nötigen Idealismus für ein solches Unterfangen mitbrachten, so z.B. Century Media Records aus Dortmund oder Black Mark Productions mit Sitz in und Berlin. Die diversen organisatorischen und produktiven Funktionen von Fans in der Metal- Szene faßt Rock Hard-Herausgeber Holger Stratmann folgendermaßen zusammen:

„Heavy Metal ist, wenn man als Fan über den Tellerrand des bloßen Konsumierens schauen kann, eine solche [Subkultur]. Nicht wenige arbeiten kreativ in dieser Szene. Sei es als Journalist, Künstler, Musiker, Organisator, sei es im großen oder kleinen Rahmen. Gerade die von Frau Jenal [vgl. dazu Abschnitt 4.3.1] angesprochene Death Metal-Szene wird von ihren Mitbegründern geprägt. Die Inhaber der wichtigsten D.M.-Labels sind fast immer ehemalige Musiker oder Fans, noch eher trifft dieses auf die vielen Klein- und Kleinstunternehmer zu“ (Rock Hard 67/ 1992, S.7).

Im Laufe einer solchen „Karriere“ kann es durchaus passieren, daß das ehemalige Hobby eines Fans, was seine komplette Freizeit in Anspruch genommen hat, schließlich zu seinem Beruf wird. In dem Maße, in dem die Professionalisierung voranschreitet, kommt es auch zu einer Kommerzialisierung, da der Fan nun durch seine Funktion in der Sozialwelt auch seinen Lebensunterhalt verdienen muß. Diese Art von Karriere führt unweigerlich einen Bruch zwischen der Identität als ehemaligem Fan und der neuen Identität als Produzenten herbei. Aus dem Grund wird eine solche Enwicklung nicht von allen Fans positiv bewertet.

4.3.5 Schlußfolgerungen aus der Fantypologie

Anhand der verschiedenen Fantypen kann man erkennen, daß die Mitglieder der (Death/ Black) Metal-Sozialwelt eine Art „Karriere“ durchlaufen können, die sie vom anfänglichen Novizen schließlich zum Buff oder Freak macht. Allerdings „schaffen“ es nur die wenigsten Novizen bis zum Freak, und das ist den „echten“ Fans, also den Buffs und Freaks, auch sehr wohl bewußt, so äußert sich auch Fan E: „Im Metal gibt es nur... entweder man ist dabei oder man ist es nicht. Die Leute sind entweder echt oder nicht“.

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In Graphik 6 ist veranschaulicht, wo sich die Buffs und Freaks als „Kern“ der Sozialwelt im Gegensatz zu den zuströmenden Touristen verschiedener Metal-Subgenres oder verwandter Szenen und den außenstehenden Novizen befinden.

Graphik 6: Die Sozialwelt der Metal-Fans Quelle: Eigene Darstellung In der Tat wenden sich die meisten Novizen nach kurzer Zeit wieder von der Death und Black Metal-Szene ab, und die meisten Touristen verweilen nur eine bestimmte Zeit in der Sozialwelt, bis ihr Erlebnishunger gestillt ist. Diese Tatsache macht die Zugehörigkeit zur Sozialwelt für die Fans um so wertvoller, da ein solches „Aussieben“, vergleichbar mit Auswahlverfahren von besonders Begabten bei Elitestudiengängen oder militärischen Spezialeinheiten, ihr Elitebewußtsein verstärkt. Die Buffs und Freaks dagegen sind dauerhafte Mitglieder der Sozialwelt, wobei die Beständigkeit selbst einen Wert in der Szene darstellt. Innerhalb der Metal-Szene besteht eine Wissenshierarchie, bei der die Freaks am höchsten Rang einnehmen. Ihnen wird in der Sozialwelt dafür Respekt entgegengebracht und Fachautoriät zuerkannt. Sie sind allerdings auf die Anerkennung und Akzeptanz der anderen Fans angewiesen. Während bei den Buffs und auch bei den Touristen von aktiven Medienrezipienten gesprochen werden kann, da zu ihren Aneignungspraktiken die systematische Ansammlung von Wissen, das Klassifizieren und Einordnen von Bands und medialen

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Texten sowie eine aktive Teilnahme an der Sozialwelt gehören, sind die Freaks am ehesten in der Lage, vom Medienrezipienten zum Medienproduzenten zu werden (Musiker, Labelinhaber, Fanzine- oder Magazinschreiber), manchmal wird dadurch das Hobby zum Beruf. Mit der Fankarriere bzw. den verschiedenen Typen von Fans geht auch ein Lernprozeß der Medienrezeption einher. Es wird nicht nur Faktenwissen akkumuliert, sondern die Fans machen sich ebenso mit den Interpretationsrahmen vertraut. Sie deuten Musik, Symbole und Texte innerhalb ihrer szeneüblichen Interpretationsrahmen, die sich deutlich von den Interpretations- und Verständnismöglichkeiten unterscheiden, die einem Novizen zur Verfügung stehen. Doch auch innerhalb der Gruppe der Buffs und Freaks herrscht keine einheitliche Meinung bezüglich der Bewertung und Einordnung aller medialer Texte. Die musikalischen, textlichen und visuellen Präferenzen der einzelnen Fans liegen innerhalb des musikalischen Genres „Metal“ z.T. sehr weit auseinander, manche von ihnen befassen sich auch mit verwandten Stilrichtungen. Die „core audience“ (Weinstein) stimmt jedoch zu größten Teilen darin überein, wann das „Prädikat: Metal“ zu vergeben ist und wann nicht.

4.4 Das Fandom als Bühne für die Inszenierung der Außeralltäglichkeit

Nachdem die wichtigsten Punkte für die Charakterisierung der Szene anhand der verschiedenen Typen von Fans und ihren Funktionen für die Sozialwelt dargestellt wurden, bleibt noch die Frage offen: welche Funktionen erfüllt die Sozialwelt für die Fans? Wenn Rezipienten in der Lage sind, spezifische Kompetenzen im Umgang mit Medien zu enwickeln, um sie gemäß ihren Wünschen und Bedürfnissen zu nutzen, welches sind die Wünsche und Bedürfnisse, insbesondere von jugendlichen Fans, die vom Metal-Fandom angesprochen werden? Dazu können an dieser Stelle nur einige Gedanken skizziert werden, weil eine eingehende psychologische Untersuchung der Motive von Mediennutzern (nicht nur) ein Buch füllen wprde. Ebenso soll auch die Problematik, der sich die Medienwirkungsforschung annimmt, ausgespart werden, insbesondere die Fragestellung, ob der Konsum von medialen Gewaltdarstellungen zu realen Gewaltakten führt. Stattdessen soll abschließend noch einmal explizit die Konstruktion der Szenewirklichkeit durch die Fans mit Hilfe der Rahmenanalyse Goffmans thematisiert werden.

4.4.1 Das Metal-Fandom als kulturelle Bricolage

Die Traditionen

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Charakteristisch für viele jugendliche Fankulturen ist ein „Zusammenklauen“ von Zeichen und Bedeutungen aus unterschiedlichen Quellen, die oftmals wenig miteinander gemeinsam haben. Diese Zeichen werden vielfach umgedeutet und in einen neuen Kontexte gestellt, nach Belieben miteinander kombiniert und von ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang entfremdet. Diese Praktik der Neuschöpfung kulturellen und sozialen Sinns wird als Bricolage bezeichnet. Auch die lose Ansammlung verschiedener kultureller Elemente in der Metal-Spezialkultur kann als Bricolage interpretiert werden, weil sie durch ästhetische Affinitäten, Interdependenzen und historische Bezüge miteinander verbunden sind, aber keineswegs ein in sich geschlossenes logisches System darstellen (vgl. Weinstein, S. 5). Dennoch konstituieren diese unterschiedlichen, ursprünglich zum Teil sogar widersprüchlichen, aus völlig gegensätzlichen kulturellen Zeichenvorräten entnommenen Symbolen, die die Metal-Kultur übernommen hat, die Bedeutungsebene der Sozialwelt. Die Fans konstruieren eine neue kulturelle Wirklichkeit, sie agieren als Bricoleure, indem sie Zeichen und Texte aus verschiedenen Traditionen miteinander verbinden und zum Stil der Metal-Spezialkultur zusammenfügen. Weinstein sieht die Ursprünge der Metal-Kultur in den jugendlichen Revolten und den Versuchen einer „Gegenkultur“ aus den Sechziger Jahren: „The heavy metal subculture, then, is a legitimate offspring of the 1960s youth culture, inheriting and preserving some of its central symbols, attitudes, practices and fashions, and carrying them forward into the next historical period“ (Weinstein, S. 101). Kleidungsstil und modische Merkmale wie lange Haare, Schmuckstücke und Tätowierungen erinnern an das (damals) provokante Auftreten jugendlicher Rebellen. Dabei ist Metal innerhalb der gegenkulturellen Tradition der Sechziger eine Bricolage verschiedener Stile: auf der einen Seite steht die Hippie-Kultur, deren Motto „Make Love Not War“, verbunden mit gesteigertem sinnlichen Erleben durch Drogenkonsum, dem Heavy Metal die starke sinnliche Erlebnisfähigkeit von Kunst, insbesondere von Musik, vererbt hat. Dem gegenüber präsentiert sich die „Biker-orientierte“ Seite der rebellischen Jugendkultur eher mit Werten wie Gemeinschafts- und Gruppenorientierung, Demonstrationen von Stärke und Männlichkeit, die sich auf die Metal-Kultur übertragen hat: „(Metal) is a bricolage of its parent cultures“ (Weinstein, S. 127). Aber nicht nur die „Gegenkultur“ beliefert(e) das Metal-Fandom; Elemente wie ein ausgeprägtes Traditionsbewußtsein, Hochachtung traditioneller Normen und Werte wie Ehrlichkeit, Authentizität, Mut und Stärke sind auch der Hochkultur bzw. dem traditionellen hochkulturellen Zeichenvorrat entnommen, wie er in einigen der „klassischen“ Kunstwerke vermittelt und idealisiert wird, und entsprechen in vielen Punkten den Werten und Idealen konservativer Gruppierungen in der Gesellschaft, die

69 die Heavy Metal-Spezialkultur mitunter scharf kritisieren (vgl. Interview mit Johnny Hedlund, Rock Hard 78, 1993). Im Death und Black Metal gesellen sich zusätzlich weitere Einflüsse hinzu, insbesondere aus dem Bereichen Okkultismus, Satanismus und aus heidnischen Kulten, aber auch aus anderen jugendkulturellen Stilen wie Hardcore, Punk, Gothic oder Independent. Auch für die Herausbildung eines speziell für den Death und Black Metal charakteristischen Stils ist entscheidend, daß die meisten Elemente umgedeutet und in einen neuen Kontext gesetzt werden, die in der Ursprungsform vorhandenen Gegensätze und Widersprüchlichkeiten zwischen den verarbeiteten Elementen werden durch „special additions of its own“ (Weinstein, S. 127) ausgeglichen.

Die Erlebnisdimensionen

Vieles von der Faszination, die die Fankultur des Heavy bzw. Death und Black Metal auf ihre Anhänger, darunter besonders Jugendliche, ausübt, geht auf die Bereitstellung von Erlebnisdimensionen und die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse zurück, die in der heutigen Gesellschaft fast oder gänzlich fehlen bzw. größtenteils verdrängt werden. Diesem Ausblenden bestimmter Aspekte menschlichen Handelns und menschlicher Kultur liegt ein seit dem Beginn der Neuzeit in der westlichen Zivilation ablaufender Prozeß zugrunde, den Max Weber als „Entzauberung der Welt“ bezeichnet (vgl. Weber 1956, S. 308). Die erste Konsequenz daraus ist die Neuorganisation der Welt auf rationaler Basis, die „Magie, Mythos, Religion und Metaphysik“ (Tenbruck, S. 128) aus der Wirklichkeit verbannte. Das rationalistisch-wissenschaftliche Paradigma bestimmt nun das Denken und Handeln der Menschen, sodaß sowohl dem speziell magischen als auch „dem religiösen Weltbild insgesamt keine Dominanz mehr zukommt“ (Helsper, S. 36) Die übriggebliebenen religiösen Kräfte, die noch einen Anspruch auf eine transzendentale Bedeutung erheben, erschöpfen sich im Wesentlichen in den christlichen Amtskirchen, die entweder an mittelalterlichen Dogmen festhalten, ohne kulturelle Entwicklungem im Geringsten zu berücksichtigen, oder aber sich dem Prozeß der Entmythologisierung kritiklos anschließen, und auf diese Weise christliche Religion und Wissenschaft miteinander zu verbinden suchen (vgl. Tenbruck, S. 105), z.B. in der sogenannten „kritischen Bibelforschung“. „Doch der Mensch kann nicht ohne Mythen leben“ (Panikkar, S. 50), und trotz wissenschaftlichen Fortschritts bleiben die entscheidenden Menschheitsfragen nach wie vor ungelöst (vgl. Tenbruck, S. 90f). So setzt unbewußt mit der Entzauberung oder Entmythologisierung der Welt an anderer Stelle ungeplant und unvorhergesehen eine Wiederverzauberung oder Remythisierung ein: „Wenn die alten Mythen entmythologisiert sind - und sie sind es noch nicht, weder in der gesamten Welt noch dort vollständig, wo sie den meisten Angriffen ausgesetzt sind -, sucht der Mensch sich andere Mythen. Diese neuen Mythen beginnen als einfacher Ersatz für die alten, aber

70 langsam bereichern sie sich und nehmen allmählich all das wieder in sich auf, was urspünglich abgelehnt worden war. Dem Abbau der alten Mythen entspricht der Aufbau der neuen, die sich aus den Trümmern der früheren zusammensetzen“ (Panikkar, S. 50). Nach Vollbrecht (1988), ist es (besonders für Jugendliche) vor allem die Rock- und Popmusik, die eine Wiederverzauberung der Welt außerhalb rationalisierter alltäglicher Schemata und Routinen versucht und für ihre Hörer bewirkt, noch mehr trifft dies für eine von der Hochkultur und von der populären Mainstreamkultur abgeschottete Lebenswelt wie dem Death- und Black Metal-Fandom zu. Gerade durch die schwerpunktmäßige Thematisierung längst vergangener epischer Szenarien, heldenhafter Mythen, fantastischer Monster und die Versetzung dieser Elemente in neue kontextuelle Zusammenhänge bewirkt es eine Remythisierung der Welt auf medialem Wege. So übernehmen Spezialkulturen wie das Heavy Metal-Fandom manche Funktionen, die in anderen Zivilisationsstufen Sagen, außeralltägliche kultische Handlungen oder religiöse Vorstellungen innehatten, ohne jedoch in der Form einer Religion im westlich-monotheistischen Sinne aufzutreten, allein schon, weil ihnen der universalistische Wahrheitsbegriff und der missionarische Eifer fehlen (vgl. Tenbruck, S. 89). Eine weitere Folge der Entzauberung der Welt, die sich im alltäglichen sozialen Handeln äußert, ist die Affektkontrolle. Mit dem Fortschreiten des Zivilisationsprozesses nimmt auch die Affektkontrolle zu, die Räume für körperlich- expressive Selbstdarstellung werden in der rationalisierten Kontroll-Kultur der modernen Gesellschaft immer enger (vgl. Elias 1976). Besonders die Erscheinungsformen des Todes werden aus dem Alltag entfernt und in spezielle sozial deutlich gekennzeichnete Außenbezirke (Krankenhäuser, ärztliches Fachpersonal, Sterbeinstitute) ausgelagert, der Umgang mit dem Tod und mit dem Sterben wird als peinlich empfunden und unterliegt einer Art „passiver Tabuisierung“, im Gegensatz zur aktiven Tabuisierung, die bestimmte Handlungen oder Sprechakte mit Strafe oder Fluch belegt, ein „In-Vergessenheit-geraten-lassen“ und Verdrängen von sozialen Inhalten. Nicht viel anders ergeht es anderen „dunklen“ Seiten des Lebens - der Nacht, dem Dämonischen und dem „Unheimlichen“ - in symbolischen Sinne (vgl. Helsper, S. 325ff). Doch allein durch die Unterdrückung bestimmter psychischer und sozialer Aspekte des Menschen und der Gesellschaft ist es nicht möglich, diese aus der Welt zu schaffen (vgl. Vogelgesang1991, S. 247). Wo das „Böse“, der Tod oder die dunkle Seite des Lebens real verbannt werden, tauchen sie medial wie aus dem Unterbewußtsein wieder auf - und das durchaus nicht nur im Bereich des Heavy Metal in Form von Monstern, umgedrehten Kreuzen und anderen Zeichen des Schreckens, sondern z.B. auch bei der Horrorfilm-Rezeption jugendlicher Videocliquen (vgl. Vogelgesang 1991) oder in anderen musikalischen Spezialkulturen wie Gothic oder Industrial. Insofern stellen Fankulturen aller Art, besonders solche, die sich selbst immer wieder im provokantem Gegensatz zur herrschenden Kultur inszenieren, einen

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Ausbruchsversuch aus der für das Alltagsleben erforderlichen Domestizierung der Triebe dar, den besonders Jugendliche reizvoll finden. Weinstein charakterisiert diesen Ausbruch, der im Rahmen der Metal-Kultur stattfindet, durch zwei Motive, die sich immmer wieder in dieser Spezialkultur nachweisen lassen: das Dyonisische und das Chaos. Beide betreffen Bereiche des menschlichen Erlebens, die in der modernen Gesellschaft größtenteils ausgeklammert werden, sind aber in dieser Kombination und Zusammenstellung für die Metal-Kultur charakteristisch und grenzen diese wiederum gegen andere Fankulturen ab. Das Dyonisische steht für ein ungezügeltes Ausleben von sinnlicher Erfahrung, die z.B. durch eine intensiv erlebte Musikrezeption gewonnen werden kann. Im Chaos spiegeln sich zum Teil die geheimnisvollen, nicht kontrollierbaren Kräfte des Universums wider, die von vielen Menschen zwar empfunden werden, für die die Gesellschaft aber keine Namen mehr hat, aber auch die - besonders jugendliche - Aggressivität, ein prometheisches Aufbegehren gegen äußere Zwänge, die Rebellion gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit, die in der Verwendung von Gewalt- und Monsterbildern, aber auch in Texten über Schlachten, Kriege und Helden, oftmals eingebettet in alte Mythologien (wie bei Bathory oder Unleashed die Sagenwelt des europäischen Nordens) ihren Niederschlag findet. Die Kombination beider Elemente macht auf psychosozialer Ebene den Heavy Metal aus und grenzt ihn sowohl gegen hochkulturelle Weltanschauungen als auch - ganz besonders - gegen andere jugendkulturelle Stile ab: während Gothic nur die dunkle Seite der Existenz thematisiert und sich in eine düstere Romantik zurückzieht, „Weltschmerz“-Atmosphäre produziert, kennt Metal auch die ungebändigte, laute „dyonisische“ Lebensfreude. Wo beispielsweise Industrial Depression, Destruktivität und Hoffnungslosigkeit ausdrückt, herrscht im Metal ein (wenn es sein muß letztes) heroisches Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit in der Welt. Wo Hardcore oder - musikalisch zwar unterschiedlich, aber mit ähnlicher „attitude“ - Crossover und Rap die ungezügelte Wut ohne Rücksicht auf Verluste herausschreien, achtet Metal auf musikalische Struktur und ästhetische Kriterien mehr als auf die politische Botschaft. Obwohl in vielen speziellen Ausprägungen des Metal einige der in den zuvor genannten musikalischen Spezialkulturen vorherrschenden Stile innerhalb der kulturellen Bricolage stärker integriert werden, gewisse Aspekte weiter geführt werden, als es im „traditionellen“ Heavy Metal der Fall ist, bleibt der harte Kern dessen, was die Fans unter „ihrer“ Musik verstehen und womit sie sich identifizieren, gleich, und wird lediglich, wie auch am Beispiel des Death und Black Metal ersichtlich, erweitert und modifiziert (vgl. Weinstein, S. 53f). Obwohl also im Heavy Metal-Fandom sowohl strukturelle Elemente und Zeichen religiöser Art, ebenso wie politische Aussagen gegen soziale Mißstände oder Umweltverschmutzung auftauchen, findet die Rebellion weder auf einer rein religösen noch auf einer politischen, sondern auf einer sozialen und soziokulturellen Ebene statt

72 und führt zu der Stil-Bricolage, wie sie die Gesamtheit der Texte des Metal-Fandoms und ihrer Rezipienten repräsentiert.

Stiftung von Gemeinschaft

Wenn medial vermittelte Spezialkulturen vorhandene Wünsche und Bedürfnisse von Jugendlichen, die von Schule, Beruf und Elternhaus oder, allgemein gesagt, der Gesellschaft, nicht genügend berücksichtigt werden, erfüllen, dann gehört dazu sicherlich auch die Leistung der Stiftung von Gemeinschaft. Im Gegensatz zur Vorstellung von den isolierten Medienfreaks, die aufgrund ihres devianten Geschmacks und der ständigen Beschäftigung mit ihrem Hobby zur sozialen Interaktion nur bedingt fähig sind, entsteht in solch einer Sozialwelt ein verstärktes Gemeinschaftsgefühl. Das Wesen der Gemeinschaft im Sinne von Tönnies wird als „reales und organisches Leben begriffen“ - im Gegensatz zur Gesellschaft, die als „mechanische Bindung“ verstanden wird (Tönnies, S. 3). Die Stiftung der Gemeinschaft als eine durch Gemeinsamkeiten und Sympathie begründete Bindung zwischen Menschen (im Gegensatz zur Zwangs-„Gemeinschaft“ der Gesellschaft) wird grundsätzlich von jeder Spezialkultur, jeder Subkultur erbracht und macht die Eingliederung in eine solche Subkultur für viele, die sich nach „diffusen persönlichen Beziehungen, nach affektiver Geborgenheit in unmittelbarer Reziprozität“ (Ecker, S. 24), sehnen, erst attraktiv und sinnvoll. Doch zusätzlich ist in der Metal-Fankultur Gemeinschaft und Solidarität unter den Fans eines der zentralen sozialen Themen (vgl. Weinstein, S. 135). Der Zusammenhalt und die Gemeinschaft der Metal-Fans wird immer wieder in Ritualen wie gemeinsamem Feiern und Trinken, Zuprosten und anderem bestätigt. Besonders deutlich werden solche gemeinschaftsstiftende Praktiken auf Metal-Konzerten: „...the members of the audience create a gemeinschaft... Goods are shared with others, including those who are not known to one another except as members of the audience“ (Weinstein, S. 211); Applaus für die Bands, Headbangen und Mitsingen der Text verstärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. So stark, wie die Gemeinschaft nach innen ist, so stark ist auch die deutlich demonstrierte Abgrenzung gegenüber anderen. Diese Abgrenzung bezieht sich nicht nur auf die „Rebellion gegen das Establishment“ sondern auch auf die deutliche Distanzierung von anderen jugendlichen Gruppen und Fankulturen. Man kann daher von einem sehr starken „Wir“-Gefühl zumindest innerhalb der „core membership“ (Weinstein) des Metal-Fandom ausgehen. „Je stärker das Wir-Gefühl einer Gruppe, umso deutlicher wird zwischen Mitgliedern und Außenstehenden unterschieden, und um so schwieriger wird es, die Gruppe zu verlassen oder ihr beizutreten“ (Crott, S. 229). Das zeigt sich in einer ausgeprägten Ablehnung von „Poppern“ und Disco-Musik (vgl. Helsper, S. 131ff), aber auch aktuellen „trendigen“ Musikrichtungen wie Techno,

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Alternative, Rap, Crossover und Hardcore. Wirklich ernstzunehmen sind für einen Metal-Fan nur andere Metal-Fans: „Those who claim that metal does not evoke a great experience are met with disbelief by an enthusiast. Their judgments on metal cannot be taken seriously and the rest of their judgments on life are therefore suspect“ (Weinstein, S. 143), was nicht heißt, das sich seine sozialen Kontakte auf die Metal-Sozialwelt beschränken würden, aber sicherlich darauf konzentrieren. Auch durch die Angriffe diverser Kritiker, die Weinstein in das konservative und das progressive Lager teilt (vg. Weinstein, S. 239ff), wird die Abschottung nach außen, die Abgrenzung gegenüber anderen und das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Fangemeinde gefördert. Die Arbeit, eine scharfeTrennlinie zwischen Metal und Nicht- Metal zu ziehen, wird den Fans in der Regel von den Kritikern abgenommen, die an einigen von den Fans selbst thematisierten Punkten ansetzen (vgl. das Interveiw mit Cannibal Corpse im Metal Hammer Thrash-Special). So fällt häufig der Vorwurf der Entpolitisierung der Jugend durch Heavy Metal: „Metal ist eine stark hedonistische Musik, in der die Aggressivität lediglich dem Austoben dient, dem ‘have a good time’- die politischen Inhalte gehen, sofern überhaupt vorhanden, kaum über eine institutionalisierte, an Symptomen doktorenden Kritik hinaus... gerade weil es innerhalb der Metal-Szene keine tiefer verwurzelte Systemkritik gibt, kein nennenswertes politisches Bewußtsein, verwischen die Grenzen von rechts nach links je nach musikalischen Vorlieben...“(Büsser, S.42) Bemerkenswerterweise haben solche Kritiker, die, wie der oben zitierte Autor, aus dem politisch bewußten und engagierten Hardcore-Lager kommen, keinerlei Überschneidungspunkte mit den christlichen und konservativen Kritikern, kommen aber zum selben Ergebnis, wie auch Weinstein für die amerikanische Situation bestätigt: „The notion of being politically correct is completely alien to its [the heavy metal subculture’s] members“ (Weinstein, S. 242), was zur Folge hat, daß Metal von den „progressiven“ Kritikern als antiquiert und überholt, von christlichen und konservativen Beobachtern als dekadent und zu liberal eingestuft wird. Die „gemeinsamen Feinde“ aller, die sich zum Metal-Fan-Sein bekennen, tragen zusätzlich zur Stärkung der Solidarität innerhalb des Fandom und der Bekräftigung der Identität des einzelnen Fans bei (vgl. die Reaktionen der Rock Hard-Leser auf die Vorwürfe von Christa Jenal in Punkt 4.3.1, und Weinstein, S. 251).

4.4.2 Grenzüberschreitung und Grenzziehung durch Rahmung

Der Begriff des Rahmens oder Interpretationsrahmens im Sinne von Goffman ist bereits einige Male gefallen. Gemeint ist damit, daß jedes beliebige Ereignis von den Mitgliedern unserer Gesellschaft so in einen bestimmten vorgegebenen Kontext gesetzt wird, daß das Ereignis für den einzelnen einen Sinn innerhalb seiner Weltsicht ergibt.

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Diese Fähigkeit, Dinge automatisch in einen bestimmten Sinnzusammenhang zu setzen, wird durch die Rahmen bedingt, die der Interpretation der Ereignisse zugrunde liegen. Die meisten Rahmen sind sehr diffus und nicht in ihre einzelnen organisatorischen Bestandteile zerlegbar und benennbar, die meisten Menschen wenden sie dennoch zwar unbewußt, aber ständig und im allgemeinen mit Erfolg an (vgl. Goffman 1993, S. 31). Das Verständnis der zugrundeliegenden und angewendeten Rahmen einer Gesellschaft oder gesellschaftlichen Gruppe ist notwendig, um die Lebens- und Handlungsweisen dieser Gruppen richtig zu interpretieren: „Man muß sich ein Bild von dem oder den Rahmen einer Gruppe, ihrem System von Vorstellungen, ihrer ‘Kosmologie’ - zu machen versuchen“ (Goffman, S. 37), denn „Zusammengenommen bilden die primären Rahmen einer sozialen Gruppe einen Hauptbestandteil von deren Kultur“ (Goffman, S. 37). Die Bedeutung der kultur- oder gruppenspezifischen Rahmung in der „kleinen Lebenswelt“ (Honer) der Death und Black Metal-Fans zeigte sich insbesondere bei der Analyse der Fantypen etwa in den Unterschieden zwischen dem Verhalten und den Reaktionen eines Novizen im Vergleich zu denen eines Buffs, die sich nicht zuletzt in dem Grad der Kompetenz beim Umgang mit den für die Metal-Spezialkultur gültigen Rahmen erheblich unterscheiden. Nicht das lose, unzusammenhängende Faktenwissen ist für das Verständnis des Death und Black Metal und die Praktiken seiner Fans entscheidend, sondern die Kenntnis der adäquaten Rahmen - das wird besonders dann deutlich, wenn Außenstehende, um den Vorwurf unbegründeter Vorurteile gegenüber Metal-Fans zu umgehen, sich Fakten über Musik, Texte und andere Informationen aus der Sozialwelt aneignen, und sie dann innerhalb ihrer eigenen Erfahrungen und Rahmen zu deuten versuchen, was zum Scheitern verurteilt ist. Aus den spezifischen Erlebnisdimensionen und der Sinngebung der (Death/Black) Metal-Sozialwelt wird ersichtlich, daß die medialen Texte und Codes dieser Spezialkultur in vielfältiger Weise eine Überschreitung der Grenzen, die die Gesellschaft den medialen Ausdrucksformen und der Mainstream-Freizeitkultur auferlegt, bedeuten. Nicht durch politischen Aktivismus oder der Schaffung einer radikal neuen Religion, Philosophie oder Weltanschauung werden die Normen der Gesellschaft verletzt, sondern durch die Konstruktion von kulturellen und sozialen Wirklichkeiten, die innerhalb spezifischer eigener Interpretationsrahmen Bedeutung erlangen. Dazu gehört auch, daß in der Gesellschaft bereits vorhandene Elemente umgedeutet und in einen neuen Kontext gestellt werden. Was mit den gesellschaftlichen Interpretationsrahmen meist nicht erkannt werden kann, ist, daß es sich bei vielen Handlungen bzw. medialen Texten um ein Modul handelt, also einem „System von Konventionen, wodurch eine bestimmte Tätigkeit, die bereits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligen aber als etwas ganz anderes gesehen wird“ (Goffman 1993, S. 55), also einer ursprünglichen Handlung nachgebildet ist, die

75 durchaus in den gesellschaftlich gültigen Rahmen definiert ist. So war z.B. da Tourmotto von Obituary/ Napalm Death/ Dismember 1993, „Campaign of Destruction“ eine solche Modulation, denn keiner der Musiker oder Beteiligten dachte an eine für die Gesellschaft „wirkliche“ oder „ernsthafte“ Zerstörungskampagne gegen „wirkliche“ Wesen oder Objekte. Die in dieser Spezialkultur inszenierte außeralltägliche Wirklichkeit verletzt und sprengt auf diese Weise wiederum diejenigen Rahmen, die in der Gesellschaft üblich sind und zur Verfügung stehen, das einzige, gegen die sich die „Campaign of Destruction“ also wirklich richtet, sind die gesellschaftlich gültigen Rahmen. Es stellt sich also heraus, daß andere Rahmen nötig sind, um diese Transformation als solche zu erkennen, ebenso wie wenn, um in Goffmans Beispielwelt zu bleiben, Zuschauer des Theaterstückes „Hamlet“ entrüstet aus dem Saal laufen und nach der Polizei rufen, wenn eine Figur auf der Bühne umgebracht wird. Sie haben dann die Transformation nicht als solche erkannt. Schließlich ist all das, was die Metal-Spezialkultur ausmacht, auch eine bewußte Inszenierung der Außeralltäglichkeit. Die Grenzen des „guten Geschmacks“ und der allgemein gängigen Hörgewohnheiten werden nicht nur überschritten, es werden durch die Rahmung auch Grenzen um die Sozialwelt und ihre Ereignisse herum gezogen. Für die Sozialwelt bedeutsame Ereignisse werden so inszeniert, daß eine Art Eingang in eine „andere Welt“ geschaffen wird. Am deutlichsten ist dies beim Live-Konzert zu beobachten: die Fans ziehen ihre typische Metal-Kleidung an, es wird um das Ereignis Live-Konzert herum eine entsprechende Atmosphäre generiert. Oft sind längere Anfahrten zum Konzertort vonnöten, was die Spannung und die Vorfreude steigert, am Konzertort selbst herrscht schon die entsprechende Stimmung (vgl. Weinstein, S. 205ff). Innerhalb des Ereignisses „Konzert“, oder auch „Metal-Fete“ oder „Metal-Disco“ gelten diese anderen Rahmen. So sind z.B. im Gegensatz zu entsprechenden hochkulturellen Veranstaltungen eine hohe Lautstärke und Begeisterungsstürme im Zuschauerraum während des Konzerts erwünscht. Die kulturelle und soziale Wirklichkeit, die von der Fangemeinde geschaffen wird, ist nur innerhalb dieser Rahmung gültig und hört auf zu existieren, sobald das Konzert oder die Party beendet sind und der „normale“ Alltag wieder beginnt. Diese Rahmensetzung kann zeitliche oder auch räumliche Grenzen erzeugen - zeitliche z.B. durch die zeitliche Begrenzung einer Veranstaltung, räumliche durch die Grenzziehung beim Überschreiten der Schwelle zu einem bestimmten Veranstaltungsort - setzt aber in jedem Fall ein gewisses Maß an Rexflexivität und bewußter Planung voraus. Wie die Aussagen von Fans, insbesondere von Buffs oder Freaks, immer wieder zeigen, betreiben die Organisatoren und Insider der Szene, aber auch alle anderen Fans in abgeschwächter Form, ein bewußtes „Rahmungs- Management“, das ihnen erlaubt, ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse, ihre (jugendliche) Gegenkultur mit Hilfe der medialen Texte und den sozialen Strukturen der Fangemeinde innerhalb gewisser Freiräume umzusetzen, ohne sich automatisch ins

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Abseits der Gesellschaft mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen (keine Arbeits- oder Ausbildungsstelle, Konflikt mit dem Gesetz, „Ausstieg“im ökonomischen und politischen Sinne) zu stellen.

4.5 Fallstudie - Eine prototypische Fankarriere: „Vom Meßdiener zum Rockstar“

Anhand dieser Fallstudie von Fan C, die nach dem u.a. von Baacke (vgl. Baacke/ Sander/ Vollbrecht 1990) verwendeten biographischen Ansatz erstellt wurde, sollen die wichtigsten typischen Merkmale der Karriere eines Fans, der sich erst nach und nach die für die Mitwirkung in der Sozialwelt nötigen Medienkompetenzen aneignet, dargestellt werden. Wichtig ist hierbei der ganzheitliche Ansatz, der auch solche biographischen Fakten mitberücksichtigt, die in keinem direkten Kausal- oder Wirkungszusammenhang mit den fadomrelevanten Merkmalen stehen.

„The master was spawned out under the purity of the autumn moon on the7th of October 1971.

Ich habe vier Geschwister, davon zwei ältere Schwestern, eine jüngere Schwester und einen älteren Bruder. Mein Vater ist Amtsrat, meine Mutter Angestellte als Halbtagskraft. Ich war schon immer wohnhaft in N. Mit drei Jahren ging ich in den katholischen Kindergarten, später in die Grundschule, anschließend ins Gymnasium in B. Nach dem Abitur machte ich meinen Zivildienst in einer Behindertenwerkstatt, danach (WS 1992/1993) begann ich mit dem Studium an der Uni T. Wir leben in einer erzkatholischen Gegend, zumindest was die älteren Generationen angeht. Mit vier Jahren schon bekam ich meine erste Schallplatte: ein Dracula-Hörspiel! Ich wäre beim Höre vor Angst beinahe gestorben, aber sie hat mich dennoch (oder gerade deshalb?) fasziniert. Ich bin erst im Sommer 1978 in die Grundschule, obwohl ich vorher den Eignungstest zur Früheinschulung bestanden hatte. Ich konnte bereits vorher lesen und schreiben, als kleines Kind schon war ich (laut Aussagen meiner Mutter) sehr aktiv, wißbegierig, intelligent, zerstörerisch, aber auch kreativ, chaotisch. In der Grundschule hatte ich gute bis sehr gute Noten, ich war eher ein Musterschüler, ich hatte nur ab und zu kleine Aussetzer im Verhalten. Später im Gymnasium bin ich mit der Zeit immer mehr in die Rolle des „Schulchaoten“ geschlüpft, und fand auch zunehmend Gefallen daran. Mit 12 Jahre fing ein gesteigertes Interesse an Musik an, jedoch waren das damals primär die „Standardsachen“ wie Madonna, Duran Duran, Toten Hosen, vereinzelt DIO oder Megadeth (so mit 14). Ich war auch Meßdiener von 9-15 (!!!). Früher war meine einzige Liebe Fußball, ich habe jede freie Minute damit verbracht, Alkohol spielte keine Rolle. Interesse für Mädchen war zwar vorhanden, aber dem Fußball untergeordnet.

Mit 16 hörte ich dann nur noch Metal-Musik. Das wurde mit völligem Fanatismus betrieben und änderte meinen gesamten Lebensstil. Der Durchbruch kam mit 16 auf einer Klassenfahrt nach München, hier konnte man relativ billig Platten der günstigeren Sorte erwerben. Dies tat ich dann auch, zudem suchte ich, wieder daheim angekommen, den einen oder anderen hier im Dorf auf, der ebenfalls Metal- LPs besaß, um mir diese zu überspielen. Der Virus hatte mich befallen, einige

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Platten kaufte ich mir in Läden, die meisten aber bestellte ich. Das ist billiger, zudem ist die Auswahl größer. Die Kleidung änderte sich (Metal-T-Shirts), ich ließ die Haare lang wachsen, wollte Provokation und Auffallen um jeden Preis. Besonders wichtig war die Neudefinierung/ -absteckung des Freundeskreises. Die Musik stand mehr und mehr im Mittelpunkt des Lebens, durch Exzesse und Eskapaden wurde ich schnell in die Metal-Gemeinde integriert. Meinen ersten Alkoholrausch hatte ich im Dezember 1988, danach war ich in den nächsten zwei bis drei Jahren öfter und intensiver betrunken als andere Leute im gesamten Leben, ich konsumierte auch weiche Drogen (Hasch), - harte Drogen (die durch die Nase konsumiert werden...) habe ich auch probiert, aber zum Glück den „Genuß“ sofort wieder eingestellt. Die Wochenenden und auch die anderen Tage habe ich fast immer mit anderen Metallern verbracht, davon waren übrigens - zumindest damals - relativ viele in der Gegend vorhanden. Nach einigen Monaten Iron Maiden und Metallica bin ich direkt zu Death, Kreator und Sodom übergegangen und war damals der erste, der solch extremen Kram hörte, allerdings kamen viele nach, was sich auf meinen „Status“ sehr positiv auswirkte. Neben Exzessen gab es auch Sexzesse, häufig wechselnde Liebschaften und sexuelle Partnerinnen. Kein Weg war zu weit, kein Wetter zu schlecht, um viele km bis in eine Metal- Disco oder zu einem Konzert zurückzulegen. Metal wurde zum Lebensgefühl und zur Sucht. Die Schule wurde dann öfters blau gemacht, wir fuhren in sämtliche Plattenläden Deutschlands (u.a. Saturn in Köln), ich nahm Nebentätigkeiten an (z.B. Zeitungen austragen) und jeder Pfennig wurde in CDs/ LPs investiert. Im Sommer 1989 kam mir die Idee der Bandgründung mit meinem besten Kumpel, nach anfänglichen Phantasierereien (und intensivem Üben!) folgten dann im Winter 1991 festere Konturen und erste Eigenkompositionen (ich schrieb die Texte), nachdem ein zweiter Gitarrist und ein Aushilfsdrummer gefunden worden waren. Das war das eigentliche Datum der „Bandgeburt“. Zwischendurch habe ich meinen Zivildienst in einer Behindertenwerkstatt abgeleistet, wurde von jedem „interviewt“, da die Leute dort (u.a. Personal) noch nie einen „Metaller“ richtig gesehen hatten bzw. mit einem zu tun gehabt oder gesprochen hatten. Ich war aber aufgrund meiner positiven fußballerischen Erfolge sehr schnell bei den männlichen Angestellten bestens gelitten. Interessant anzumerken: die Behinderten kümmerten sich kaum um Kleidung, Aussehen etc. ..für sie war das Verhalten ihnen gegenüber wichtig, zu 90% von ihnen hatte ich ein Superverhältnis. Im Juni 1992 hatten wir den ersten Auftritt mit der Band, im Februar 1993 brachten wir unser erstes Demo heraus. Es war ein großer Erfolg, damals war es fast sensationell für viele Leute aus der Gegend, daß es eine solche Band gab und diese auch noch Aufnahmen machte - viele „Normalos“ zeigten auf einmal Interesse (das wäre heute sicherlich nicht mehr so). Im Februar 1994 erschien die unsere MCD, ein wichtiger Schritt nach vorne. Es war ein Eigenrelease (500 Stück) und schnell ausverkauft, danach gab es eine Nachpressung, ich übernahm den Vertrieb, bisher sind weltweit etwa 1500 Einheiten verkauft worden. Das ist natürlich nicht gerade weltbewegend, aber für uns der erste ernsthafte eintritt in die internationale Metal-Szene. Danach gab es einige interne Probleme und Meinungsverschiedenheiten, wir haben aber trotzdem weitergemacht. Ende 1996 haben wir eine neue CD aufgenommen, da führte zum Vertrag über vier Alben mit einer Firma aus England. Da diese eines der größten Indie-Labels in der extremen Metal-Szene sind, dürften wir mit einem Schlag viele Bands, die vorher „in der Tabelle“ über uns plaziert waren, hinter uns lassen.

Noch zu meinem Studium: Ich habe nach dem Zivildienst mit Geschichte und Politik an der Uni T. begonnen, das sagte mir aber hauptsächlich wegen der Mitstudenten nicht zu, somit habe ich nach drei Semestern abgebrochen (wovon ich zwei Semester sinnlos verbracht habe, z.B. schlafend im Proberaum o.Ä., um den Schein zu Hause zu wahren, ich hatte aber keine Lust irgendwas anderes zu machen). Schließlich habe ich dann auf Pädagogik und Soziologie gewechselt, jetzt mache ich Pädagogik auf Diplom und Medienwissenschaft, evt. führe ich Soziologie (auf Magister) auch noch zu Ende.

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Mit meinem Fanatismus für Metal entwickelte sich nach und nach auch das Interesse/ die Begeisterung für Satanismus und Okkultismus. Vampyre und Horrorfilme hatten mich schon immer - auch vor der Metal-Zeit - interessiert und fasziniert. Anfangs zielte mein Interesse so auf den Bravo/ Bild/ Mediensatanismus, da die Bezugsquellen für echten Satanismus schwer zu finden waren. Mit 19 bin ich aus der Kirche ausgetreten, das war für meine Mutter zu Anfang erschütternd. Somit kam es auch zu höchst „satanischen“ Riten wie Friedhofskreuze stehlen und zerstören. Später habe ich mich intensiver mit dem befaßt, was Satanismus eigentlich bedeutet - das veränderte mein Weltbild, mein Leben ist jetzt nach der satanischen Philosophie ausgerichtet. Insgesamt lese ich sehr gerne, entweder Satanismus/ Okkultismus (ich habe mittlerweile eine recht umfangreiche Bibliothek zu Hause, aufgebaut u.a. durch Ausleihe an der Uni) oder was über Vampyre und Horror , Sachen aus der „romantic period“ aus Deutschland und England, auch Nietzsche (may the „Übermensch“ rise). Ich höre auch gerne Klassik und Darkwave, Soundtracks, es muß halt nur majestätisch, düster oder melancholisch klingen.

Inzwischen habe ich nicht nur eine Band, sondern engagiere mich auch sonst in der Szene. Ich bin Konzertorganisator von Black und Death Metal-Sachen (über Agenturen oder in Eigenarbeit), habe einen Vertrieb von einigen CDs, bin also auch in Nebentätigkeiten außer Studium, Band und Fußball auf Metal fixiert.

Allerdings fällt mir schon auf, daß sich gegenüber früher, wo wir angefangen haben, Metal zu hören, einiges geändert hat: ich war früher ein Sonderling, bewußt auffällig (Haare, Kleidung, Verhalten...), inzwischen ist das alles fast schon gesellschaftlich akzeptiert. Das beraubt diese Szene einer ihrer wichtigsten grundlagen, nämlich der Rebellion! Im Endeffekt ist Metal und Satanismus (Einstiegsdroge war Metal!) mit allen Drumherum (Konzerte, Freunde, Filme, Bücher...) Zentrum meines Lebens.“

C scheint von klein auf ein recht intelligenter und aufgeweckter Junge gewesen zu sein, der sich in der Grundschule vielleicht sogar unterfordert fühlte, was sich in seinen „Aussetzern im Verhalten“ niederschlug. Er war immer sehr aktiv, was man an seinem schon früh entwickelten Interesse für Fußball merkt. Das Leben in der „erzkatholischen Gegend“ war ruhig und gesichert, seine Eltern haben beide eine feste Position in der bürgerlichen Welt. Dennoch will er mehr, er interessiert sich für außeralltägliche Erlebnisse: schon als Kind ist er von einem „Dracula“-Hörspiel fasziniert, und selbst wenn dieser Tatsache nicht unbedingt allzuviel Bedeutung zugemessen werden sollte, so dann doch dem Umstand, daß er sich heute, mit 25 Jahren, noch genau daran erinnert und diese Episode für erwähnungswürdig hält. Ansonsten war er im normalen bürgerlichen Leben integriert, eben durch sein Hobby Fußballspielen, aber auch durch seine Gemeindetätigkeit als Meßdiener. Diese Tatsache erscheint ihm rückblickend völlig absurd, und dennoch ist sie völlig logisch: gerade weil er so stark in das gesicherte, enge Gemeindeleben eingebunden war, weil er aus einer erzkatholischen Gegend kommt, verspürt er in der Pubertät das Bedürfnis, dagegen zu rebellieren. Das äußert sich auch in seiner Rolle als „Schulchaot“, die er offensichtlich freiwillig spielt. Zunächst genügt ihm das, zusammen mit dem Konsum von Popmusik, der im Alter von zwölf bis 13 Jahren fast ausschließlich über den Kollektiv-Geschmack in Peer-Groups definiert wird.

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Mit 16 kommt der „Durchbruch“ - fast so, als hätte er die ganze Zeit über darauf gewartet. Von da an ist sein Leben wie umgekrempelt, er knüpft neue Freundschaften, überspielt sich Platten und bemüht sich um Bildung in der Metal-Sozialwelt. In dieser Zeit legt er deutliche Anzeichen des Touristenverhaltens an den Tag. Seine Kontakte in der Sozialwelt intensivieren sich jedoch, und nachdem er ein gewisses Basiswissen gesammelt hat, wird er selbst zum Meinungsführer der Gruppe jugendlicher Metal-Fans, da er der erste ist, der „solch extremen Kram“ wie Sodom, Kreator und Death hört. Er lebt alle Aspekte jugendlicher Rebellion im Metal-Fandom aus. Insbesondere seiner Aversion gegen die katholische Kirche, die ihm in seiner Kindheit ihre Autorität aufgezwungen hat, kann er jetzt freien Lauf lassen: er tritt aus der Kirche aus und führt „’satanische’ Riten“ durch. Durch seine Beschäftigung mit Metal erfährt er auch Sachen über Satanismus, zu Anfang handelt es sich nur um „Bravo/ Bild/ Mediensatanismus“. Das zeigt, daß seine Kompetenzen beim Lesen medialer Texte damals noch nicht so weit entwickelt waren, wie er jetzt selber erkennt. Die Tatsache, daß er diese Kompetenzen entwickelt hat und nicht nach seiner „rebellischen Phase“ aus der Sozialwelt wieder ausgestiegen ist, zeigt, daß er sich über das Stadium der Sensationslust hinaus für die medialen Texte interessiert. Zwischendurch kam ihm die Idee, selber Musik zu machen und eine Band zu gründen. Die Entstehungsgeschichte seiner Band kann als repräsentativ für viele andere Bands gesehen werden. Der spätere Erfolg seiner Band ist sicherlich seinem großen Engagement in der Sozialwelt zu verdanken. Je länger er sich in der Sozialwelt aufhält, desto mehr verschiedene Funktionen nimmt er wahr. Er organisiert über die Tätigkeit in seiner Band hinaus Konzerte und den Vertrieb von CDs, besitzt außerdem viele Kontakte in der Metal-Sozialwelt. Seinen äußerst aktiven und vielseitigen Lebensstil hat er beibehalten: er spielt, neben seinen Tätigkeiten im Metal-Fandom, weiterhin Fußball, außerdem betreibt er noch ein Studium. Im Grunde nimmt ihn die Metal-Sozialwelt völlig in Anspruch, so daß man von einer Karriere sprechen kann, die ihn vom Novizen zum Freak und darüber hinaus aktivem Produzenten in der Sozialwelt gemacht hat.

80 5. Kommerzielle Aspekte im Death und Black Metal-Fandom

5.1 Underground versus Kommerz

Allen Szenen und Spezialkulturen, die sich um mediale oder im weitesten Sinne künstlerische Themen gruppieren, ist es zu eigen, daß sie in einem Spannungsfeld zwischen den kommerziellen Interessen der „Kulturindustrie“ und der un- oder sogar antikommerziellen, non-profit-orientierten Ideologie des künstlerisch kreativen Untergrunds stehen. Für beide Pole - „Underground“ wie „Kommerz“ - läßt sich ein idealtypisches Szenario innerhalb der Kulturlandschaft unserer Gesellschaft entwerfen und beschreiben: Den einen Pol bilden die marktwirtschaftlichen Interessen von Massenmedien und Konsumartikelherstellern. So werden z.B. Bands und Musiker in der Pop/Rock/ Unterhaltungsmusikbranche von den Tonträgerfirmen nur dann unter Vertrag genommen, wenn die Firma aus dem Verkauf von CDs und Platten, aber auch Konzertkarten, T-Shirts und anderen Merchandising-Artikeln einen Gewinn zu erwirtschaften hofft. Die künstlerischen Fähigkeiten der vertraglich gebundenen Künstler sind im allgemeinen sekundär, die Produkte sollen sich nur möglichst gut verkaufen, d.h. möglichst viele Konsumenten ansprechen. Das Ergebnis besteht daher in einer Musik, die möglichst wenig aneckt, niemanden verletzt, im sogenannten Trend (der durch ausgeklügelte Systeme der Marktforschung ermittelt wird) liegt und darüber hinaus ein Image für sich sprechen läßt. Die künstlerische Integrität und Kreativität der Musiker, Photographen, Designer und sonst an dem Prozeß der Produktherstellung Beteiligten wird somit prinzipiell untergraben. Pop-Musik in diesem Sinne ist eine von der Unterhaltungsindustrie hergestellte Massenware, in der die Bedürfnisse der Konsumenten als kleinster gemeinsamer Nenner von verschiedenen Ideen und Geschmäckern artikuliert werden (vgl. Adorno, S. 33). Ein solches Horrorszenario, Tod jeder Kunst, in dem das Kunstwerk zum Instrument zur Verdummung und Gleichschaltung der Massen degradiert wird, ist das Feindbild der kritischen Kulturtheorie, aber auch vieler Künstler, gegen das es zu kämpfen heißt. In dieser extremen Ausprägung trifft das Szenario in der Realität nicht zu, wie verschiedene Untersuchungen zu Medien und Medienkonsum belegen (z.B. Eckert et al., Winter 1995). Aber auch von Produzentenseite ist das totale Diktat der Ökonomie über die Kunst eine Wunschvorstellung, denn selbst bei großen Konzernen der Unterhaltungsindustrie, die in erster Linie Mainstream-Musik (vgl. Punkt 2.3 und Janke/ Niehus, S. 57) herstellen und in erster Linie marktwirtschaftlich arbeiten, können weder künstlerische Entstehungsprozesse forciert oder gar emuliert noch die Wünsche des Publikums gänzlich ignoriert werden. Denn der Trend kann nicht ohne weiteres „von oben“ aufgezwungen werden, und die von der Industrie generierten Trends geraten schnell zum Hype (vgl. Janke/ Niehus, S. 123).

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Den idealtypischen Gegenpol dazu bildet der Underground (oder Untergrund), wo die Musiker und andere Künstler selbstbestimmt entscheiden können, was, wann, wo, für wen und wie sie künstlerisch aktiv werden und produzieren. Die Bewegungen im Underground sind immer von großem Idealismus geprägt, wo kommerzielle Interessen deutlich hinter den künstlerischen zurückstehen müssen. Eine solche Mentalität manifestiert sich in den Underground-Sektionen der meisten medialen Spezialwelten, sei es Metal, Hardcore, Punk oder auch Horrorfilme. Es besteht eine wechselseitige Beziehung zwischen dem exklusiven Anspruch, „underground“ zu sein und dem tatsächlichen mangelnden finanziellen Erfolg. Auf der einen Seite bedingt die bewußt anti-kommerzielle Haltung, daß nur wenige Konsumenten auf die künstlerischen Produkte aufmerksam werden - sei es, weil sie sich bewußt vom „Massengeschmack“ distanzieren, sei es durch ihre ausschließlich szeneninterne Verbreitung - andererseits bewirkt der geringe Bekanntheitsgrad, daß finanzieller Erfolg unmöglich wird, und zwingt somit die Produzenten in den Untergrund, da sie keine Chance haben, im Fernsehen, Radio oder den großen Printmedien für sich zu werben. Genau das bezwecken die Undergroundakteure im idealtypischen Fall: Man will nicht nur künstlerisch unabhängig sein, man will vor allem durch finanziellen Mißerfolg und mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit demonstrieren, daß man es ist. Diese Einstellung („attitude“) wurzelt letztendlich in der Kritik am Kapitalismus der Jugendkultur der Sechziger Jahre. Dort wurde insbesondere Pop- und Rockmusik als Ausdruck der Rebellion gegen die Erwachsenenwelt zum Zeichen gegen die kommerzielle Ausbeutung von Kunst und gegen die Vorherrschaft kommerzieller Interessen. Wie die Kultur- und Musikgeschichte zeigt, wurde (vgl. Punkt 2) das rebellische Potential jeder Generation von Popmusik seit den Fünfziger Jahren (Rock’n’Roll) bis heute nach einer unterschiedlich langen Außenseiterphase in die Mainstream-Kultur integriert, aber das Konzept des Untergrunds wurde an die nachfolgenden Generationen weitervererbt. Auch Punk und Hardcore haben verzweifelt versucht, gegen die Kommerzialisierung zu kämpfen, selten wurde Anti-Kommerzialität so idealisiert und als Selbstzweck betrieben wie in dieser Szene (vgl. Büsser, S. 50ff). Im Hardcore entstand ein Netz von kleinen Plattenfirmen und Vertrieben, und noch heute sind Hardcore-Anhänger stolz auf ihre Musik, die für politisches Bewußtsein anstelle von kommerziellen (oder fast gleichbedeutend: ästhetischen) Kompromissen steht und somit in ihren Augen sowohl das Erbe der 68er-Generation antritt als auch die Kultur- und Konsumkritik von Horckheimer und Adorno in weniger intellektueller Sprache artikuliert (vgl. Büsser, S. 55). Doch auch bei diesem idealtypischen Szenario der antikommerziellen, künstlerisch freien und idealistischen Underground-Bewegung zeigen sich tiefe Risse, sobald man auf die Realität schaut. Als erstes stellt sich das Problem der Existenz und Subsistenz der Künstler, Plattenfirmen und Vertriebe. Denn selbst wenn diese hehre Ideale haben,

82 müssen sie sich auf irgendeine Art ihren Lebensunterhalt verdienen. Natürlich besteht die Möglichkeit, die Musik als Hobby zu betreiben, doch Konflikte mit dem Job, der dem Lebensunterhalt dient, sind vorprogrammiert, sobald eine Band weitergehende Verpflichtungen wie z.B. eine ausgedehnte Tournee eingeht. Und solche Verpflichtungen wird sie höchstwahrscheinlich eingehen, weil die Musiker trotz des Undergroundstatus letztendlich nach Anerkennung ihrer Kunst und nach Erfolg streben. Hierin besteht das grundsätzliche Dilemma der Künstler: Einerseits wollen sie ihre Kunst nicht verraten, nicht dem Ausverkauf preisgeben, und möglicherweise dabei (durch vertraglich Bindungen an millionenschwere Konzerne, die ihnen die Form der Endprodukte vorgeben) ihre künstlerische Integrität verlieren oder zumindest aufs Spiel setzen, andererseits streben sie aber nach Anerkennung ihrer Kunst und nach beruflichen Erfolg (wie dies die meisten anderen Menschen in ihren Berufen auch tun) und nicht zuletzt auch nach finanzieller Gratifikation. Dieses Dilemma der Künstler zieht den Rest der Untergrundstrukturen - wie Independent-Plattenfirmen (vgl. Janke/Niehus), Fanzines und Vertriebskanäle - mit, was dazu führt, daß das idealtypische Szenario „Underground“ genauso eine Utopie seiner Verfechter ist wie das Szenario „Kommerz“ ein Alptraum seiner Gegner. Häufige Folge aus dieser Kommerzialisierung des Untergrunds ist das Paradoxon der Vermarktung der Unkommerzialität, in etwa vergleichbar mit der Tarnung von alter, verschmutzter oder zerrissener Kleidung als Designermode. Diese Art von Kommerzialisierung beschreiben Janke/ Niehus anschaulich in ihren Ausführungen über die Einstellung und die Mode von Jugendszenen wie Acid Jazz oder Alternative Rock/ Grunge (vgl. das Beispiel Nirvana in Punkt 2.3). Doch diese Kommerzialisierung des Unkommerziellen und die Enteignung des Untergrunds sollte nicht ohne weiteres als zusätzliches Element des Horrorszenarios „Kommerz“ gedeutet werden. Vielmehr entwickeln die verschiedenen (jugendlichen) Spezialkulturen jeweils eigene Techniken, die Balance zwischen Underground und Kommerz zu halten und in einer Kombination von beidem ihre Identität zu finden. Dieses „Identitätsmanagement“ kann auch mißlingen - dann geht entweder die Spezialkultur im Mainstream auf, oder sie verschwindet unbemerkt von der Bildfläche. Wie die Metal-, insbesondere die Death und Black Metal-Szene dieses Identitätsmanagement, diesen Balanceakt gestalten, und welche speziellen Probleme damit verbunden sind, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

5.2 Identitätsmanagement als Balanceakt zwischen Kommerz und Underground

Viele Spezialkulturen füllen, wirtschaftlich gesehen, eine Marktlücke, indem sie die Bedürfnisse einer kleinen Gruppe von Individuen ansprechen, dies dafür aber sehr gezielt tun. Sie bilden Nischen für speziell Interessierte, die sich z.B. in der Metal-Szene

83 vom Novizen zum Buff durchgekämpft haben. Insofern besitzen solche Szenen ein bestimmtes Stammpublikum. Zusätzlich zu diesem Stammpublikum existiert ein Touristenpublikum, was sich vorübergehend für eine bestimmte Szene - d.h. einen bestimmten Stil, eine Kunstrichtung oder Musikgattung - interessiert. Wann eine bestimmte Szene sehr großen Zulauf von Touristen bekommt, ist durch sogenannte Trends und Moden bestimmt, diese wiederum sind von einer Reihe von Faktoren abhängig, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll (vgl. Janke/ Niehus, S. 116ff). Doch genau dieses phasenweise gesteigerte Interesse von Touristen an einer bestimmten Szene wird von langjährigen Mitgliedern der Szenen, also den Buffs und Freaks, als problematisch angesehen - sie sind diejenigen, die den Ausverkauf einer Szene, ihren Untergang in der Mainstream-Kultur bewirken. Auch die Metal-Szene, in den letzten Jahren besonders zuerst die Death und später die Black Metal-Szene, sind trotz der starken Gruppenkohäsion ihrer Mitglieder und der damit einhergehenden Abschottung nach außen gegen die Auswirkungen solcher Trendmechanismen nicht gefeit. Fan C hat sich sehr ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt und charakterisiert sie folgendermaßen:

„In der Szene sind gewaltige Veränderungen in Struktur und Konstitution erkennbar. Früher gab’s jedesmal einen Adrenalinstoß, wenn z.B. eine Bestellung geliefert wurde, es war kein Aufwand zu groß, um an bestimmte Scheiben oder Shirts zu kommen. Heute ist der Karstadt der bestsortierte Metal-Laden in T.! Das wäre früher eine Horrovision gewesen wegen des ‘Undergroundfeelings’! Ich glaube, das CD-Zeitalter spielt hier eine entscheidende Rolle. [...]

Jetzt sind die Trendies vom Death Metal-Boom (etwa ‘92-’94) ausgezogen, gingen so schnell wie sie kamen, wollten halt mal cool sein oder dazugehören. Momentan sind die letzten Ausläufer des Black Metal-Trends zu spüren, der wollte das Undergroundasein wiederbeleben, wurde aber mindestens ebenso trendy wie Death Metal seinerzeit (became exactly what it wanted to fight against: a big shitty trend!). Black Metal ging zu Anfang neue Wege, Versuche zur rebellion und Provokation eskalierten auf nicht für möglich gehaltene Weise... das zog viele ‘unwissende’, blinde Nachahmer mit in en Bann. Ganz zu Beginn dieser Entwicklung wurden wieder einige Spannungsbögen erzeugt, da war ein gesteigertes Interesse an neuen Releases, nach etwa einem Jahr kam jedoch nur noch Plagiat auf Plagiat, und es gibt nur noch wenige hochwertige/ originelle Bands. Viele versuchten die Scheinpropaganda etablierter Acts auf dümmliche, oft peinliche Art zu kopieren - das führte leider dazu, daß Images (meist dämlich und an den Haaren herbeigezogen) wichtiger wurden als die Musik. Tausende von neuen Bands enstanden... zum Glück gingen sie so schnell wie sie kamen, die musikalischen/ kompositorischen Fähigkeiten waren oft sehr dürftig, daher kam’s zu einer hoffnungslosen Überschwemmung der Szene mit beschissener, lächerlicher Quantität statt kultiger Qualität. Ein weiteres Merkmal der neuen Szene: jeder hat iregendeine ‘wichtige’ Funktion, und so kommt es, daß zu viele Schnorrer und Dummvolk sich aufspielen (z.B. ein DIN A5-Heft mit 24 kopierten Seiten aus Norwegen, mit Interviews mit Emperor, Katatonia und Immortal für 7$...) da ist das Image wichtiger als die Musik, der oft ungewollten Peinlichkeit und Dümmlichkeit sind keine Grenzen gesetzt. [...] in 90% der Fälle sind das irgendwelche hobbywichtigen Arschlöcher, die sich möglichst schnell einen Status verschaffen wollen und auf einem der 412 jeden

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Monat neu aus dem Boden sprießender Labels auf ein paar schnelle ’Bucks’ hoffen.“

Die Probleme liegen in den Augen der Fans an der Überschwemmung des Marktes mit Quantität statt Qualität, was aus reiner Geldgier geschieht. Schuld daran sind die „Trendies“ - Fans wie Musiker - die das Image höher bewerten als die Musik und so der qualitativen Verschlechterung und Verflachung der Produkte Vorschub leisten. Diese Verwässerung der Szene-Codes führt schließlich zum Tod der Szene. Doch die Metal-Szene hat spezifische Praktiken entwickelt, mit diesen Problemen umzugehen. Zum einen schöpfen die „echten“ Metal-Fans, wie sie in Punkt 4.3.2 beschrieben werden, aus einer langen und hartnäckigen Tradition („The Beast that Refuses to Die“, Weinstein, S. 11), die es ihnen ermöglicht, - zumindest zeitweise - auf einen älteren Zeichenvorrat auszuweichen, ohne zwangsläufig in einen Nostalgie-Kult zu verfallen, denn die Traditionen werden andauernd gepflegt und sind höchst lebendig, wie die häufigen Neuauflagen der „Klassiker“ (z.B. Black Sabbath- vgl. Weinstein, S. 56) zeigen. Zum anderen verdammen Metal-Fans, im Gegensatz beispielsweise zu Anhängern von Hardcore, kommerziellen Erfolg nicht generell, sondern knüpfen seine Akzeptanz lediglich an gewisse Bedingungen und sind so in der Lage, neben dem Untergrund auch einen kommerziellen Bereich in die Szene zu integrieren. Die Metal-Kultur hat ihre eigenen Regeln, wie groß (und bekannt) ein Vertrieb, eine Plattenfirma, eine Band oder ein Magazin sein dürfen, um noch zum Underground zu zählen. Alles, was darüber hinausgeht, gehört zum „Mainstream“ - dem „Mainstream“ innerhalb der Metal-Szene natürlich. Es werden zwei Partitionen herausgebildet, die beide wichtig sind, aber zum Teil völlig unterschiedliche Funktionen innehaben. Wirklich wichtig sind nur die Codes, die bestimmen, wann eine Band zum Metal zu zählen ist und wann nicht (vgl. Weinstein, S. 56f). Ob sie dabei auch kommerziell erfolgreich ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Iron Maiden waren (und sind immer noch) im Laufe ihrer mittlerweile mehr als 15-jährigen Karriere kommerziell äußerst erfolgreich, gehören aber trotzdem zu den wenigen Ikonen der gesamten Metal-Kultur. Dagegen dürfte die Electro-Band Numb aus Kanada nur wenige Metal-Fans interessieren, obwohl sie harte Gitarrenriffs in ihre Musik integriert und sicherlich keine Millionen scheffelt, sondern als Geheimtip in der Elektroszene gehandelt wird. Obwohl Anpassung aus kommerziellen Gründen verpönt ist (Anpassung würde auch Anpassung an die Popkultur und damit den Ausstieg aus der Metal-Sozialwelt bedeuten), wird die eigentliche Tatsache des kommerziellen Erfolgs nicht von vornherein negativ bewertet. Ein Beispiel für Kommerzialisierung, die zum Ausstieg aus der Metal-Sozialwelt geführt hat, ist die Band Metallica. Einstige Helden des kalifornischen Bay-Area- Thrashs, veröffentlichten sie 1996 eine Mainstream-Rock-Platte, was die alten Fans ihnen sehr verübelt haben. Kommerziell ist das Album einschließlich diverser Single- Auskopplungen ein großer Erfolg geworden. Ihr Fehler war aber nicht, mit diesem oder

85 irgendeinem anderen Album viel Geld zu verdienen, sondern die Codes der Metal- Spezialkultur zu brechen und die Fans zu verraten, um kommerziell erfolgreich zu sein. Das Phänomen der Moden und Trends kann sich aber auch genau andersherum negativ auf eine Szene auswirken. Das Schwinden der Fans, ganz gleich ob Touristen („Trendies“) oder nicht, kann zu einer bedeutenden Schwächung und schließlich zu einer stillschweigenden Auflösung einer Fankultur führen. So behaupten z.B. Janke/ Niehus: „Die Bedeutung der Heavy Metal-Musik sinkt angesichts der Konkurrenz von Grunge und Alternative Rock“ (Janke/ Niehus, S. 61). In diesem Fall käme das Fehlen des kommerziellen Erfolgs dem Untergang der Szene gleich. Tatsächlich scheinen die Mitglieder des Metal-Fandoms kreativ genug zu sein, um sowohl gegen solche Probleme, wie Fan C sie anspricht (Ausverkauf der Szene) als auch gegen eine Auflösung ihrer Szene mangels Personal, ihre Identität zu behaupten. So wurde im Szene-Magazin Rock Hard 104 (1996) die Frage gestellt: „Ist der Metal tot?“ - was viele Buffs und Freaks veranlaßte, sich vom Rock Hard abzuwenden, da diese Frage zwar nicht geradeheraus mit „Ja“ beantwortet wurde, aber für eine stärkere Offenheit des Metal gegenüber Einflüssen aus anderen Musikrichtungen plädiert wurde, um diese Frage nicht eines Tages bejahen zu müssen. Mittlerweile ist „Ist der Metal tot - was sagst Du dazu?“ eine Standardfrage für Interviews in allen Magazinen geworden, was beweist, daß in der Fankultur über diese Problematik reflektiert und bewußt für eine Aufrechterhaltung der Traditionen gekämpft wird. Doch diese defensive Haltung ist nicht die einzige Antwort der (Death und Black) Metal-Fankultur gegenüber dem Auf und Ab der Trends und des kommerziellen Erfolgs. Durch ihr ungeheures Potential an künstlerischer Kreativität, in erster Linie der Musiker - die meistens selbst Fans sind - aber auch aller anderen Produzenten medialer Texte, ihr geordnetes Werte- und Normensystem und ihr Gemeinschaftsgefühl sind die Mitglieder der Metal-Spezialkultur in der Lage, ihre Identität in einer Mischung aus Underground und Kommerz zu bewahren.

6. Schlußwort und Ausblick

Sicherlich bleibt noch vieles über die Spezialkultur des Death und Black Metal zu sagen, auf keinen Fall konnte das Thema erschöpfend behandelt werden. Interessant wäre beispielsweise eine genauere Untersuchung der kulturellen Bricolage- Praktiken der Fans, die innerhalb der Spezialkultur von Freundeskreis zu Freundeskreis stark variieren können. Ebenso lohnend wäre eine intensivere musikologische und musiksoziologische Befassung mit der Musik, auch, weil dies bis heute bei der Erforschung der meisten jugendlichen Fandoms immer vernachlässigt wurde, schließlich ist das Augenmerk meistens auf die soziale Interaktion bzw. auf Songtexte, Bücher, Videos oder Filme gerichtet.

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Ein paar Ergebnisse können jedoch jetzt schon festgehalten werden: Das Death und Black Metal-Fandom als solches ist - im Gegensatz zur Musik des Death und Black Metal - eine vorübergehende Erscheinung, überwiegend von Touristen getragen. Seine Wurzeln hat es im Metal-Fandom, wobei die Buffs unter den Death/ Black-Fans nicht von den anderen Metal-Buffs zu unterscheiden sind und meistens sich selbst als Metal-Fans sehen, deren Präferenzen im Black/Death-Bereich liegen. Die Metal-Fans bewegen sich in einer sehr abgesonderten Szene, um die herum sich alles in ihrem Leben dreht. Von der Gesellschaft werden sie stigmatisiert, immer wieder versuchen Privatpersonen und Behörden, die Texte dieser Spezialkultur zu zensieren, doch das gibt dem Zusammenhalt unter den Fans nur neuen Auftrieb. Sie gehören zur Kategorie der aktiven Medienrezipienten, weil sie sich nicht damit begnügen, Musik zu konsumieren, sondern selber als Musiker, Fanzineschreiber oder sogar Produzent anderer Bands aktiv sind. Im Umgang mit ihren medialen Texten eignen sie sich eine hohe Kompetenz an, die vor allem auf der Setzung spezieller Interpretationsrahmen basiert. Dadurch eröffnen sich ihnen fanspezifische Karrieren innerhalb der Spezialkultur. Entgegen den landläufigen Vorurteilen gegenüber Metal haben wir es hier mit einer recht komplexen Form der musikalischen Bricolage zu tun, die viele Elemente der Hochkultur, ebenso wie solche aus dem Rock, Blues und Rythm and Blues beinhaltet. Es ist zu hoffen, daß diese Abhandlung, die eigentlich nur einen flüchtige Momentaufnahme der gegenwärtigen Situation im Heavy Metal-Fandom darstellt, ein wenig dazu beiträgt, zu begreifen, daß es außerhalb der eigenen vier Wände auch noch Welten geben kann.

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- Helsper, W.: Okkultismus - die neue Jugendreligion? Die Symbole des Todes und des Bösen in der Jugendkultur, Leske und Budrich, Opladen 1992

- Honer, A.: Einige Probleme lebensweltlicher Ethnographie, in: Zeitschrift für Soziologie, Jahrgang 18, August 1989, S. 297 - 312

- Janke, K./ Niehus, S.: Echt abgedreht. Die Jugend der 90er Jahre, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1995

- Kemmelmeyer, K.-J./ Nykrin, R. (Hrsg.): Spielpläne - Musik 2, Ernst Klett, Stuttgart 1991

- di Nola, A.: Der Teufel. Wesen, Wirkung, Geschichte, dtv-Wissenschaft, München 1993

- Panikkar, R.: Rückkehr zum Mythos, Insel, Frankfurt am Main 1995

- Schulze, G.: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart Campus Verlag, Frankfurt am Main 1992

- Tenbruck, F.H.: Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft. Der Fall der Moderne, Westdeutscher Verlag, Opladen 1989

- Tessarolo, M.: L’espressione musicale e le sue funzioni, Guiffrè, Mailand 1983

- Tönnies, F.: Gemeinschaft und Gesellschaft Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972

- Vogelgesang, W.: Jugendliche Videocliquen. Action- und Horrorvideos als Kristallisationspunkte einer neuen Fankultur, Westdeutscher Verlag, Opladen 1991

90

- Vogelgesang, W.: Lebenswelten Jugendlicher im Wandel, Manuskript, Trier 1994

- Vogelgesang, W./ Winter, R.: Die neue Lust am Grauen. Zur Sozialwelt der erwachsenen und jugendlichen Horrorfans, in: Psychosozial Nr.44, 1990, S. 42-49

- Vollbrecht, R.: Rock und Pop - Versuche der Wiederverzauberung von Welt, in: Radde, M./ Sander, U./ Vollbrecht, R. (Hrsg.): Jugendzeit - Medienzeit, Juventa, München 1988

- Wagner-Winterhager, L.: Warum haben Jugendliche Lust zu grausamen Filmen?, in: Neue Sammlung 4/ 1984, S. 356-370

- Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Band 1 und 2, JCB Mohr, Tübingen 1956

- Weber, M.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, JCB Mohr, Tübingen 1972

- Weber, M.: Schriften zur Wissenschaftslehre, Reclam, Stuttgart 1991

- Weber, M.: Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, in: Wirtschaft und Gesellschaft, Band 2, JCB Mohr, Tübingen 1956

- Weinstein, D.: Heavy Metal, Lexington, New York 1991

- Wiechell, D.: Musikalisches Verhalten Jugendlicher Diesterweg, Frankfurt am Main 1977

- Wilson, Thomas P.: Qualitative 'oder' quantitative Methoden in der Sozialforschung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jahrgang 34, 1982, S. 487 - 508

- Winter, R.: Filmsoziologie. Eine Einführung in das Verhältnis von Film, Kultur und Gesellschaft, Quintessenz, München 1992

- Winter R.: Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozeß, Quintesssenz, München 1995

- Winter, R./ Eckert, R.: Mediengeschichte und kulturelle Differenzierung, Leske und Budrich, Opladen 1990

91

II. Ergänzende Quellen und Materialien

- 666 - At Calling Death, Videodokumantation von Matt Vain

- Bang Heft 1, November 1993

- Masterliste Nr. 11/ 96, Hellion-Mailorder-Katalog 1996

- Metal Hammer 9/1991: Interview mit Johnny Hedlund, Sänger und Bassist der Death Metal-Band Unleashed (Schweden)

- Metal Hammer 8/1992: Interview mit Johnny Hedlund.

- Metal Hammer 3/ 1993: Bericht über die Death/ Black Metal-Band Samael (Schweiz).

- Metal Hammer 8/ 1993: Interview mit Trey Azagtoth, Gitarrist und Komponist der Death Metal-Band Morbid Angel (USA)

- Metal Hammer 11/ 1993: Bericht über David Vincent, ehemaliger Bassist und Sänger bei Morbid Angel.

- Metal Hammer 8/ 1994: Interview mit Johnny Hedlund.

- Metal Hammer Thrash-Special 10/ 1991: Interview mit Chris Barnes, ehemaliger Sänger bei Cannibal Corpse.

- Rock Hard 67, 1992: Diskussion über die Proteste von Christa Jenal gegen Death Metal, Teil 1

- Rock Hard 68, 1992: Diskussion über die Proteste von Christa Jenal gegen Detah Metal, Teil 2

- Rock Hard 71, 1993: Offener Brief von Christa Jenal an die Leser des Rock Hard.

- Rock Hard 73, 1993: Diskussion über Gewaltdarstellungen und Zensur von CD/ Platten-Cover.

- Rock Hard 74, 1993: Interview mit David Vincent. Diskussion über Black Metal

92

Interview mit dem Eigentümer des Black Metal-Labels Osmose (Frankreich), Hervé Herbaut

- Rock Hard 77, 1993: Interview mit Alex Webster.

- Rock Hard 78, 1993: Interview mit Johnny Hedlund.

- Rock Hard 83, 1994: Interview mit Vorphalack, Sänger und Gitarrist von Samael.

- Rock Hard 104, 1996: „Ist der Metal tot?“ - Teil 1

- Rock Hard Death Metal-Special, 1992: Interview mit David Vincent. „Spiel mir das Lied vom Tod“ - kurze Geschichte des Death Metal

- Slayer Mag X, 1993

- Spiegel Spezial 2/ 1994: „Pop und Politik“: Gitarren zu Pflugscharen

- taz , 23.6. 1992

93 III. Materialsammlung b) Textbeispiele

Children of the Grave

Revolution in their minds - the children start to march Against the world they have to live in: Oh! the hate that’s in their hearts They’re tired of being pushed around and told just what to do They’ll fight the world until they’ve won and love comes flowing through.

Children of tomorrow live in the tears that fall today Will the sunrise of tomorrow bring in peace in any way Must the world live in the tears that fall today peace in any way Must the world live in the shadow of atomic fear Can they win the fight for peace or will they disappear?

So you children of the world listen to what I say If you want a better place to live in spread the words today Show the world that love is still alive you must be brave Or you children of today will be children of the grave

Text: Black Sabbath, aus: Black Sabbath, „Master of Reality“, Castle Copyrights Ltd. 1971

94

Hell Bent For Leather

Seek him here, seek him on the highway Never knowing when he'll appear All await, engine's ticking over Hear the roar as they sense the fear

Wheels! A glint of steel and a flash of light! Screams! From a streak of fire as he strikes!

Hell bent, hell bent for leather Hell bent, hell bent for leather

Black as night, faster than a shadow Crimson flare from a raging sun An exhibition, of sheer precision Yet no one knows from where he comes

Fools! Self destruct cannot take that crown Dreams! Crash one by one to the ground

Hell bent, hell bent for leather Hell bent, hell bent for leather

There's many who tried to prove that they're faster But they didn't last and they died as they tried

There's many who tried to prove that they're faster But they didn't last and they died as they tried

Hell bent, hell bent for leather Hell bent, hell bent for leather Hell bent, hell bent for leather Hell bent, hell bent for leather

Text: Glenn Tipton, aus: Judas Priest, „Killing Machine“, CBS 1978

95

Aces High

There goes the siren that warns of the air raid Then comes the sound of the guns sending flak Out for the scramble we've got to get airborne Got to get up for the coming attack.

Jump in the cockpit and start up the engines Remove all the wheelblocks there's no time to waste Gathering speed as we head down the runway Gotta get airborne before it's too late.

Running, scrambling, flying Rolling, turning, diving, going in again Run, live to fly, fly to live, do or die Run, live to fly, fly to live. Aces high.

Move in to fire at the mainstream of bombers Let off a sharp burst and then turn away Roll over, spin round and come in behind them Move to their blindsides and firing again.

Bandits at 8 O'clock move in behind us Ten ME-109's out of the sun Ascending and turning our spitfires to face them Heading straight for them I press down my guns

Rolling, turning, diving Rolling, turning, diving, going in again Run, live to fly, fly to live, do or die Run, live to fly, fly to live, Aces high.

Text: Steve Harris, aus: Iron Maiden, „Powerslave“, Capitol Records 1984

96

Black Metal

Black is the night, metal we fight Power amps set to explode. Energy screams, magic and dreams Satan records the first note. We chime the bell, chaos and hell Metal for maniacs pure. Fast melting steel, fortune on wheels Brain haemorrhage is the cure. For BLACK METAL lay down your souls to the gods rock 'n roll

Freaking so wild, nobodys mild Giving it all that you got. Wild is so right, metal tonight Faster than over the top. Open the door, enter hell's core Black is the code for tonight. Atomic force, feel no remorse Crank up the amps now its night BLACK METAL lay down your souls to the gods rock 'n roll metal ten fold through the deadly black hole riding hell's stallions bareback and free taking our chances with raw energy

Come ride the night with us Rock hard and fight United my legions we stand Freak hard and wild for us Give up your soul Live for the quest satan's band

Against the odds, black metal gods Fight to achieve our goal Casting a spell, leather and hell Black metal gods rock 'n roll Building up steam, nuclear screams War-heads are ready to fight Black leather hounds, faster than sound Metal our purpose in life BLACK METAL lay down your souls to the gods rock 'n roll BLACK METAL

Text: Venom, aus: Venom, „Black Metal“, Neat Records 1982

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Angel of Death Text: Jeff Hanneman, aus: Slayer, „Reign in Blood“, Def Jam Recordings 1986 Auschwitz, the meaning of pain The why that I want you to die Slow death, immense decay Showers that cleanse you of your life Forced in Like cattle You run Stripped of Your life’s worth Human mice, for the Sangel of death Four hundred thousand more to die Angel of Death Monarch to the kingdom of the dead Sadistic, surgeon of demise Sadist of the noblest blood

Destroying without mercy To benefit the aryan racee

Surgery, with no anesthesia Feel the knife pierce you intensely Inferior, no use to mankind Strapped down screaming out to die Angel of death Monarch to the kingdom of the dead Infamous butcher, Angel of death

Pumped with fluid inside your brain Pressure in your skull begins pushing Through your eyes Burning flesh, drips away Test of heat burns your skin, Your mind starts to boil Frigid cold, cracks your limbs How long can you last In this frozen water burial? Sewn together, joining heads Just a matter of time ‘Til you rip yourselves apart Millions laid out in their Crowded tombs Sickening ways to achieve The holocaust Seas of blood, bury life Smell your death as it burns Deep inside of you Abacinate, eyes that bleed Praying for the end of Your wide awake nightmare Wings of pain, reach out for you His face of death staring down, Your blood running cold Injecting cells, dying eyes Feeding on the screams of

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The mutants he’s creating Pathetic harmless victims Left to die Rancid angel of Death Flying free

A Skull Full of Maggots

Lying there cold after a torturous death Your life ended fast, you took your last breath Dead in a grave, your final place The maggots infest your disfigured face Puss through your veins takes the place of blood Decay sets in, bones begin to crack Thrown six fet down left to rot Brains oozing back down the side of your broken neck

Skull full of maggots

They enter your tomb-maggots-beginning to feast-maggots Crawling on you -maggots-now they eat you-maggots Rotting maggots-maggots-infesting your corpse-maggots Parasites of the dead-maggots-now dwell in your head

Lying there cold after a torturous death Your life ended fast, you took your last breath Dead in a grave, your final place The maggots infest your disfigured face Puss through your veins takes the place of blood Decay sets in, bones begin to crack Thrown six fet sown left to rot Brains oozing back down the side of your broken neck

Text: Chris Barnes, aus: Cannibal Corpse, „Eaten Back to Life“, Metal Blade 1990

99

Caesar’s Palace

Just close your eyes.. can you remenber The generations not so long ago I feel the shameless urge that we must restore Our former king to his rightful throne And with me lords and maidens We wait for the chosen son’s return

I come alive It’s a time for celebration our will to restore Make our past become the future once more

Still he lives! 2000 years have passed And still we’re yearning for his return We fulfill a wishful prophecy And so the chanting begins: Hail Caesar... Hail Caesar... we render unto you What is still yours

Share the wish as it must be our king and palace... mode it be! Gods enlsaved, traitors burning Might and splendor forever return

Text: David Vincent, aus: Morbid Angel, „Domination“, Earache 1995

100

Primal Breath

Look the herons in the greenbilled water their wet-ash wings wear medalions of patience We drift on... We have stories as old as the great seas breaking through the chest Flying out the mouth Noisy tongues that once were silenced All the oceans we contain, coming to light

All the birds rush from the river Leaving only the stillness of their language There are no clocks to measure time, bur the beating of our singing hearts You will know it is winter by the way your dreams tremble like stones when the wind comes through Te wind, full of hearts that beat quick and strong

Text: Sioux-Tribe Poem, aus: At The Gates, „With Fear I Kisss the Burning Darkness“, Deaf 1993

101

Blood On Ice

The old Crows cry the first warning, The rumbling frozen ground the last. Hooves thundering on the three feet snow. The icy dawn yet to begin.

„Bursting through the icy morning four times five black shadows ahorse. Steel glimmering in the awakening sun’s light. And blood colours the white snow red. Cries echoes through the dark deep woods. Open wounds steam in the cold morning air. And the new day was greeted with a burden both raped and dead.“

Long golden scalps hung by the old twin headed beasts standard black. Women and children brought far north into the land of no turning back. The burning village spread by the wind across the tundra.

Cry old Crow cry

Long tall beautiful people fallen lifeless to the ground. Headless scattered still graceful bodies. Blood coloured the white snow all around. Through the dark deep woods to the mountains towering to the sky. The wind carries the quest for revenge and the tale of Blood on Ice...

Text: Quorthon, aus: Bathory, „Blood On Ice“, Black Mark 1996

102

III. Materialsammlung d) Hörbeispiele mit Erläuterungen

Vorbemerkung

Die Zusammenstellung von Metal-Songs auf der beiligenden Cassette (die hier in der Internet- Version natürlich nicht vorliegt) trifft eine willkürliche Auswahl aus den repräsentativsten Bands quer durch die Metal-Geschichte. Natürlich fehlen einige sehr wichtige Gruppen, wie z.B. Mercyful Fate, Metallica, Manowar, Kreator... die Liste ist endlos, und jeder Fan würde seine eigenen Lieblingsbands dazuschreiben. Doch hier geht es nur darum, unerfahrenen Hörern einen Eindruck zu vermitteln, was Metal ist und wie er sich entwickelt hat - bis hin zum Death Metal von Cannibal Corpse. Auf der B-Seite der Cassette werden Stücke von Death/Black Metal-Bands in direkten Bezug zu einer klassischen Komposition gesetzt. Dadurch wird die Technik der Bricolage, die im Metal auf allen Ebenen mit den verschiedensten Zeichen betrieben wird, auch auf musikalischem Gebiet deutlich. Denn obwohl die Instrumentation und besonders die Rhytmik letztendlich aus dem Rock und Blues stammen, verwenden viele Metal-Bands an klassische Strukturen angelehnte Techniken, die teilweise geradezu verblüffend „hochkulturell“ klingen. Die Erläuterungen zu den einzelnen Bands sollen lediglich eine grobe Orientierung zu Zeitpunkt der Veröffentlichung und stillistischer Einordnung geben, bei dem Vergleich der Metal- und klassischen Stücke wurde bewußt auf eine komplette musikologische Analyse verzichtet - ein paar Anregungen sollen reichen, damit jeder Hörer seinen eigenen Eindruck gewinnen kann.

103

A-Seite

1. Children of the Grave

Musik: Black Sabbath, aus: Black Sabbath, „Master of Reality“, Castle Copyrights Ltd. 1971

„Ur“-Heavy Metal mit den typischen Black Sabbath-Riffs, die dem Song Düsternis und Schwere („Heavyness“) geben.

2. Hell Bent For Leather

Musik: Glenn Tipton, aus: Judas Priest, „Killing Machine“, CBS 1978

Klassischer rauher Heavy Metal mit deutlichem Hardrock-Einschlag.

3. Aces High

Musik: Steve Harris, aus: Iron Maiden, „Powerslave“, Capitol Records 1984

Iron Maiden als die Pioniere des „modernen“ Heavy Metal bringen deutlich mehr Aggressivität, Härte und Geschwindigkeit, kombiniert mit virtuoser Technik, in die Musik hinein, bleiben aber kompakt und nachvollziehbar.

4. Black Metal

Musik: Venom, aus: Venom, „Black Metal“, Neat Records 1982

Relativ simple Hardrock-Strukturen werden neu umgesetzt: stark verzerrte Gitarren, brutaler, rauher Sound, sehr betonte Rhythmussektion, rauher, brüllender Gesang

5. Dethroned Emperor

Musik: Celtic Frost, aus Celtic Frost, „Morbid Tales“, Noise 1984

Dunkle, wuchtige Riffs, ansatzweise grunzender Gesang, deutlich als Vorläufer des moderneren Death Metal zu erkennen.

6. Angel of Death

Musik: Jeff Hanneman, aus: Slayer, „Reign in Blood“, Def Jam Recordings 1986

7. Jesus Saves

Musik: Jeff Hanneman, Kerry King, aus: Slayer, „Reign in Blood“, Def Jam Recordings 1986

Thrash-Klassiker, bei dem die Punk-Einflüsse des amerikanischen Thrash noch deutlich erkennbar sind. Typisch: aggressive Schreie, stark verzerrte Gitarren, hohe Geschwindigkeit. Im Gegensatz zum Death Metal ist der Sound heller, die Atmosphäre aggressiv und hektischer.

8. A Skull Full of Maggots

Musik: Cannibal Corpse, aus: Cannibal Corpse, „Eaten Back to Life“, Metal Blade 1990

Musikalische Anleihen beim Thrash, jedoch Grunzen und extrem schnelle Double-Bass-Passagen, tiefe Gitarren

104

B-Seite

9. Caesar’s Palace/ Dreaming/ Inquisition (Burn With me)

Musik: Trey Azagtoth, aus: Morbid Angel, „Domination“, Earache 1995

10. Symphonie Nr. 6 a-moll, Auszug aus dem 1. Satz: Allegro energico, ma non troppo

Musik: Gustav Mahler, dirigiert von E. van Lindenberg, Jägel 1996

Außer in den Klangfarben unterscheiden sich die Kompositionsstile von Trey Azagtoth und Gustav Mahler in der Betonung der Rhythmussektion - sie steht bei „Caesar’s Palace“, besonders aber bei „Inquisition“, stark im Vordergrund. Morbid Angel greifen auf Strukturen und Harmonien der späten Klassik zurück, und wirken damit sehr symphonisch (trotz Gesang), .bedienen sich des starken Pathos, der sehr freien Harmonik außerhalb der Dreiklangsakkorde und des relativ offenen Aufbaus, der für die „dekadente“ Spätklassik typisch ist.

11. Primal Breath

Musik: At The Gates, aus: At The Gates, „With Fear I Kisss the Burning Darkness“, Deaf 1993

12. Arie Nr. 2 - Kantate 80, „Eine feste Burg ist unser Gott“

Musik: Johann Sebastian Bach, dirigiert von K. Münchinger, Decca Rec. Company Ltd 1985

Im Gegesatz zur spätklassischen Symphonik wirken beide Stücke - bei aller Unterschiedlichkeit in den Klangfarben und der Betonung des Rhythmus - sehr spärlich instrumentiert, sehr klar und filigran. Über dem Baß (Rhythmussektion bzw. Basso continuo) liegen mehrere Melodiestimmen (Gesang und Instrumente), die gleichberechtigt gegeneinander laufen.

13. Blood On Ice

Musik: Quorthon, aus: Bathory, „Blood On Ice“, Black Mark 1996

14. Der Ritt der Walküren

Musik: Richard Wagner, aus: Die Walküre, dirigiert von D. Barenboim, Deutsche Grammophon 1984

Wieder zwei sehr pathetische spätklassiche Werke, die aber im Gegensatz zu Mahler/ Morbid Angel beide aus einem opernähnlichen Gesamtwerk stammen. Bei beiden Stücken wechseln sich immer wiederkehrende rhythmisch akzentuierte Parts mit sehr freien Passagen ab, die auch unterschiedliche Effekte beinhalten können. Quorthon ist sowohl vom textlichen wie vom musikalischen Konzept stark von Wagner beeinflußt, wie er selber sagt: „I was also a long time fan of the life and works of Richard Wagner, addicted to his operas and aware of what he read when finding inspiration for them... From the works of Wagner I more or less stole the legend of Siegfried and the ageing and dying gods of the Götterdämmerung, as well as the sword Notung“ (zitiert aus dem Begleittext zu „Blood On Ice“).