1.Einführung
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
1 1.Einführung 1.1 Warum gerade Death Metal? „’Death Metal’ - die Welt zertrümmern“ (taz vom 23.6. 1992). „Eine weitere ‘real satanic band’ sind Immortal aus Norwegen. Sie wollen der Erde die Massenvernichtung bringen“ (Kai Wendel im Rock Hard 74, Juli 1993, S. 5). „Satanische Rituale sind blutig und verherrlichen Gewalt. Ich denke, es ist für die jüngeren Kids gefährlich, mit satanischen Ideen konfrontiert zu werden, da einige blind gewissen ‘Idolen’ folgen“ (zitiert nach Helsper, S. 15). Solche und ähnliche Äußerungen liest und hört man immer wieder in den Medien, aber auch von vielen Lehrern, Vertretern der Kirche oder Politikern, wenn die Sprache auf die bei vielen Jugendlichen beliebte Musik des (Hard) Rock, Heavy Metal oder verwandte Musikrichtungen, insbesondere die extremeren Formen „Death Metal“ und „Black Metal“, kommt. Etikettierungen dieser Art tragen auch nicht gerade dazu bei, betroffene Eltern, deren Kinder im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren Anhänger dieser Musik sind, ruhig schlafen zu lassen. Außerdem stellt sich die Frage: inwieweit sind solche Meinungen von Vorurteilen belastet, und inwieweit beruhen sie auf objektiven Informationen über die Metal-Szene? Könnte es nicht auch sein, daß Menschen, die (Heavy) Metal schlichtweg verdammen, es sich zu einfach machen und auf in der Sensationspresse verbreitete Klischees zurückgreifen, anstatt sich zu bemühen, mit Kennern der Szene über die Inhalte, Texte und Symbole oder über die Musik zu sprechen und sich vorher zu informieren, bevor sie ein Urteil abgeben? Die Tendenz, Anhängern einer für den Durchschnittsmenschen in unserer Gesellschaft befremdlichen Jugendkultur oder Spezialkultur aufgrund von Kleidung oder Symbolen mit Vorurteilen zu begegnen, beschränkt sich nicht auf Verhaltensweisen gegenüber (Heavy) Metal-Fans. Solche Reaktionen hat Helsper bei Jugendlichen aus der Grufti- Szene in ähnlicher Weise beobachtet, die durch schwarze Kleidung, schwarzgefärbte Haare, Schminke und okkulter oder Todessymbolik auffallen, und ist zu dem Schluß gekommen: „Es geht letztlich um die sensationsgerechte Erzeugung von Klischeebildern, gleichgültig, ob sie mit der Alltagsrealität der betreffenden Jugendlichen übereinstimmen oder nicht“ (Helsper, S. 15). Diese Untersuchung soll dazu beitragen, Vorurteile, die gegenüber dem Heavy Metal als Musikrichtung und eigenständiger (jugendlicher) Spezialkultur bestehen, abzubauen, indem sie versucht, die Musik, Texte und Symbole sowie die soziale Alltagsrealität der betroffenen - meist jugendlichen - Fans aus deren eigener Sichtweise, also aus der Innenperspektive, zu betrachten. Weiterhin soll sie Anregungen geben, sich selbst mit dem Thema eingehender zu beschäftigen, aber auch anderen kulturellen Phänomenen, 2 die nicht zum eigenen alltäglichen Erfahrungsschatz zählen, nicht mit Vorurteilen zu begegnen, sondern sich zunächst sachlich zu informieren und zugleich die Sichtweise des anderen zu verstehen versuchen. Dazu muß noch angemerkt werden, daß auch ich als Autorin nicht den Status eines gänzlich Unbeteiligten innehabe, da ich selber Metal-Fan und in die Szene involviert bin. Das bietet natürlich insofern Vorteile, als daß es sehr viel leichter ist, durch die vielfältigen Kontakte Informationen zu erhalten. Ich bekomme durch meine eigenen Erfahrungen und die meiner Freunde und Bekannten aus der Metal-Szene die Innensicht sozusagen frei Haus geliefert. Somit nehme ich im Spektrum der empirischen Forschungsmethoden, die unter dem Begriff „teilnehmende Beobachtung“ subsumiert werden, die Position eines „engagierten Mitspielers“ ein. Ich arbeite dabei nicht- verdeckt, gebe also meine Identität als Soziologin bekannt, bin aber gleichzeitig Teil der „kleinen Erlebniswelt“ und genieße das Vertrauen der Szene-Insider (vgl. Honer, S. 301). Andererseits muß ich mich natürlich bemühen, trotz meines Informationsvorsprungs als Fan die Death und Black Metal-Szene allgemeinverständlich und ohne Wertung zu porträtieren, indem ich die Sicht der von mir befragten Fans darlege und in soziologischen Worten beschreibe. Um das Thema inhaltlich einzugrenzen, soll nicht die gesamte Metal-Szene, die im Übrigen seit den Achtziger Jahren eine starke Ausdifferenzierung in verschiedene Subgenres durchgemacht hat und dadurch sehr inhomogen geworden ist (vgl. Weinstein, S. 43ff), sondern schwerpunktmäßig der Teilbereich der Death und Black Metal-Szene untersucht werden. Da sich diese Metal-Subgenres bzw ihre Anhänger nicht scharf von anderen Metal-Fans trennen lassen, wird an verschiedenen Stellen von der Gruppe der „Metal-Fans“ im Allgemeinen die Rede sein, in der die Black und Death Metal-Fans mit eingeschlossen sind. Die in diesen (Teil-)Szenen verwendeten Symbole und Texte werden von Kritikern wie Anhängern besonders heftig diskutiert, so daß ein besonderes Interesse an der Darstellung der Fan-Perspektive besteht. 1.2 Methodische Vorbemerkungen An eben diesen Kontroversen zwischen Fans und Kritikern jugendkultureller Stile (worunter auch die Death und Black Metal-Szene zählt) wird deutlich, daß sich das „Exotische“, Fremde für unsere Gesellschaft nicht unbedingt in großer geographischer Enfernung befinden muß. Es handelt sich hierbei also um eine Untersuchung des Fremden in nächster Nähe, - durch diese Analogie zu ethnologischen Beobachtungen fremder Kulturen wird diese Art der empirischen Sozialforschung als „lebensweltliche Ethnographie“ bezeichnet (vgl. Honer, S. 297f). Dabei steht der qualitative Aspekt im Vordergund, denn es wurden nicht die Häufigkeiten bestimmter fanspezifischen 3 Phänomene oder Aussagen statistisch ausgewertet, sondern es sollen typische in der Szene vorhandene Perspektiven beleuchtet werden (vgl. Wilson, S. 496f). Basierend auf dem interpretativen Paradigma (in diese Richtung lassen sich auch der symbolische Interaktionismus von Goffman und die verstehende Soziologie Max Webers einordnen - vgl. dazu Esser, S. 238) soll auf diese Weise die subjektive Interpretation sozialer Realitäten beleuchtet werden. Die Gewinnung in Zahlen auszudrückender, „objektiv“ meßbarer Daten verliert damit an Bedeutung. 1.2.1 Fragestellung und Forschungsperspektive Bei der Erforschung einer „kleinen Lebenswelt“ wie der Fankultur des Death und Black Metal mit der ethnographischen Methode ist eine genaue Festlegung der Fragestellung besonders wesentlich, um das Problem unübersichtlicher Datenberge aus offenen Interiews mit zahlreichen Beteiligten aus der Szene zu vermeiden (vgl. Flick, S. 152f, Aufenanger, S. 35). Ferner ist es so gut wie unmöglich, eine allumfassende Darstellung der ins Auge gefaßten Forschungsfelds zu leisten. Vielmehr muß ein Ausschnitt ausgewählt werden, auf den sich die Untersuchung konzentriert. Im Vordergrund des folgenden Textes steht daher die Deskription aller wesentlichen Aspekte der Death und Black Metal- Lebenswelt (vgl. Flick, S. 152). Anhand einer strukturierten Darstellung der Fankultur werden die wesentlichen Aspekte des sozialen Handelns in dieser Spezialwelt beschrieben. Als Einstieg dient eine allgemeine soziologische Theorie der Szene. Der Schwerpunkt liegt dabei auf medialen Szenen, die sich um ein Mediun bzw. um mediale Texte bilden, bei denen Medien als Kristallisationspunkte fungieren. Um sich den Blick des Fans zu eigen zu machen, werden die medialen Texte der Death und Black Metal-Szene kurz vorgestellt, und dadurch der Mittelpunkt des Faninteresses phänomenologisch näher beleuchtet. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt schließlich auf der Organisation und Funktionsweise der Fankultur, auf der Charakterisierung von Fans und ihrer systematischen Klassifizierung. Dazu gehören u. a. folgende Fragestellungen: • Wie sieht die Organisation der Fankultur aus? (4.2) • Welche Rollen spielen gemeinsame - oder unterschiedliche - Aneignungspraktiken der medialen Texte bei Fans? (4.3) • Welche Funktionen erfüllt das Fandom für seine Mitglieder? (4.4) • Wie wird die fanspezifische Wirklichkeit konstruiert? (4.4) 4 Anschließend wird anhand einer detaillierten Fallstudie eine typische Fankarriere dargestellt, die verschiedene Aspekte des Fanverhaltens veranschaulicht. Zum Abschluß werden noch auf einige Vermarktungsaspekte dargestellt, die gerade im Zusammenhang mit Medienkulturen von Bedeutung sind. 1.2.2 Annäherung an das Feld Die empirischen Untersuchungen für die vorliegende Abhandlungen wurden in Form von Gruppendiskussionen und problemzentrierten Interviews mit verschiedenen Fans aus der Death und Black Metal-Szene durchgeführt. Wie eingangs schon erwähnt, war es aufgrund der guten Kontakte zu vielen Metal-Fans ein zu vernachlässigendes Problem, gesprächsbereite Interviewpartner zu finden. So konnte bei der Durchführung der problemzentrierten Interviews, bei denen sich eine Konzeption als dreiphasige Intensivinterviews als praktikabel erwies, die erste Phase, die der Erzeugung eines „quasi-normalen Gesprächsverhaltens“ (Honer, S. 304) dient und die ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen Interviewer und Interviewtem generieren soll, bei den Fan-Interviews vernachlässigt werden. Dagegen bereitete die zweite Phase - Narrationen, mitunter biographischer Art - manchmal Schwierigkeiten, wenn der Interviewpartner der Meinung war, dies sei völlig unnötig, da ich diese Dinge sowieso längst wüßte, weil wir uns schon länger kennen würden usw (was in den meisten Fällen eher unbewußt in die Gespräche mit einfloß). Das stimmt natürlich in manchen Fällen, doch mein Interesse galt ja nicht nur dem „Was“, sondern auch dem „Wie“. Die dritte Phase war die interessanteste und ergiebigste, denn sie gestaltete sich als offene Diskussion