Zeitschrift für Naturschutz und angewandte Landschaftsökologie Fotomontage: Nicole Höhna

Foto: Else Englmaier Foto: Peter Strum

„Land schafft Vielfalt” Schwerpunktthema 2020 Sortiert, maschinenfreundlich und wirtschaftlich hoch effizient genutzt: so stellt sich unsere Kulturlandschaft in großen Teilen dar. Auf der Strecke bleibt die Vielfalt. Für Pflanzen, Tiere und auch Erholungssuchende ist in dieser Landschaft kaum noch Platz. In unserem Schwerpunkt werfen die Autoren daher einen Blick in die nahe Zukunft unserer Landschaft: Wie können wir wieder mehr Vielfalt schaffen? Was sollte sich dafür ändern? Wo, wie und mit wem setzen wir die notwen- digen Maßnahmen um? Welche Rahmenbedingungen brauchen wir für die nötigen Änderungen?

2020 wollten wir auch in unseren Veranstaltungen die Kulturlandschaft in den Mittelpunkt rücken. Aufgrund der Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona- Pandemie haben wir einen Großteil der Veranstaltungen in das nächste Jahr verschoben: Gelegenheit, einige der Ideen persönlich zu diskutieren und voranzubringen. ANLIEGEN NATUR Zeitschrift für Naturschutz und angewandte Landschaftsökologie

Heft 42(2), 2020 ISSN 1864-0729 ISBN 978-3-944219-41-7

Herausgeber Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) Inhalt

Land schafft Vielfalt 5

5 Biotopverbund in Deutschland – Anspruch und Wirklichkeit [Artikel] Karin Ullrich, Peter Finck und Uwe Riecken

15 Blühstreifen und Pestizide – Falle oder Lebensraum? [Artikel] Gerti Fluhr-Meyer und Wolfram Adelmann

27 Biosphärenreservate in Bayern – Mut zu mehr [Artikel] Michael Succow

33 Das FFH-Gebiet Rohrachschlucht – ein Allgäuer Schatzkästchen für Europas Naturerbe [Artikel] Boris Mittermeier

41 Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitgrün – eine Chance, nicht nur für den Biotopverbund [Artikel] Andreas Zehm, Sabine Muhr, Matthias Wenzel und Paul-Bastian Nagel

47 Sieben Punkte für einen Naturschutz in Bauernhand – das Projekt „Schützen durch Nützen“ [Artikel] Konrad Steiner und Johann Reschenhofer

53 Fokus-Naturtage in Bayern – Neue Methode der Naturschutzberatung in der Landwirtschaft [Artikel] Katharina Schertler, Christine Feucht und Wolfram Güthler

57 Die Land(wirt-)schaft der Zukunft [Artikel] Jürgen Metzner und Beate Krettinger

61 Mehr Artenvielfalt durch ökologische Landwirtschaft [Artikel] Karin Stein-Bachinger, Frank Gottwald und Almut Haub

65 Mähversuche und Mähkonzept an Kreisstraßen [Artikel] Markus Breier

69 Ausrufung von Nationalerbe-Bäumen Deutschlands gestartet [Artikel] Andreas Roloff

Artenschutz 73

73 Haselmaus-Untersuchungen mit selbstgebauten Niströhren – Ergebnisse zu bevorzugten Vegetationsstrukturen [Artikel] Raja Wipfler, Christian Strätz und Elisabeth Obermaier

79 Stolpersteine bei der telemetrischen Quartiererfassung von Fledermäusen [Artikel] Tobias Richter und Jonas Hagge

83 Groß-Schutzgebiete als letzte Refugien: Die Nachtfalter der Berchtesgadener Alpen [Notiz] Monika Offenberger

84 Ursachen für Insektenrückgänge in Grünland und Wald sind auf Landschaftsebene zu finden [Notiz] Sebastian Seibold und Wolfgang W. Weisser

86 „Bremsenfallen“ – ein überflüssiger (und wahrscheinlich illegaler) Beitrag zum Insektensterben [Notiz] Nina Jäckel

87 Artenschutz in der Baumkontrolle [Notiz] Stefanie Weigelmeier

Waldnaturschutz 89

89 Zwischen Licht und Schatten: Naturschutz versus Naturgefahrenabwehr am Beispiel des Karbonat-Trockenkiefernwaldes [Artikel] Susanne Reichhart und Wolfram Adelmann

2 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Inhalt

Landschaftsplanung und -pflege 105

105 Vom Modellprojekt zum Praxisleitfaden Ziegenbeweidung [Artikel] Daniel Elias, Sandra Mann, Matthias Necker und Sabine Tischew

111 Grünlandqualität verschlechtert sich besonders in hohen Lagen – Ein Früherkennungssystem kann helfen [Artikel] Steffen Boch, Angéline Bedolla, Klaus T. Ecker, Christian Ginzler, Ulrich Graf, Helen Küchler, Meinrad Küchler, Tobias Moser, Rolf Holderegger und Ariel Bergamini

115 Gewässer- und Auenrenaturierung – ein Beitrag zur Förderung der Insekten? [Artikel] Kathrin Januschke

119 Empfehlungen zum Erhalt von Almen und Alpen und ihren Leistungen für den Naturschutz [Artikel] Bettina Burkart-Aicher

Recht und Verwaltung 123

123 Aktuelles zum Düngerecht: Novelle der Düngeverordnung [Artikel] Paul-Bastian Nagel

127 Neue Arbeitshilfe zur speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung [Notiz] Christine Schindelmann und Paul-Bastian Nagel

128 Neue Arbeitshilfe zur speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung – Zauneidechse [Notiz] Christine Schindelmann Verschiedenes 129

129 Dramatischer Schwund an Futterpflanzen für Insekten [Notiz] Pressemitteilung der Uni Bonn, verändert von Bernhard Hoiß

130 EU-Projekt SOLUTION: Neue Methoden zur Bewertung der Wasserqualität [Notiz] Monika Offenberger

132 Bayerns Fliegen und Mücken sind weitgehend unerforscht [Notiz] Monika Offenberger

134 Naturschutzgeschichte(n) – zum Lesen, Sehen und Hören „Mein Leben für die Natur“ – Zeitzeugen berichten [Notiz] Gerti Fluhr-Meyer

135 Ideenwettbewerb: Natura 2000-BayernOskar [Notiz] Franziska Albrecht Interview 137

137 Interview mit Prof. Dr. Beate Jessel – Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz [Artikel]

143 Interview mit Hans Glück – Bio-Bauer seit fast 40 Jahren [Artikel] Rezensionen 149

149 Rezensionen

Aus der Akademie 151

151 Neue Mitarbeiter

153 Publikationen der ANL

157 Impressum

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 3

Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Karin Ullrich, Peter Finck und Uwe Riecken Das Grüne Band, eine länderüber- Biotopverbund in Deutschland – Anspruch greifend bedeut- same Achse des und Wirklichkeit Biotopverbunds, bei Pferdsdorf/ Thüringen (Foto: Uwe Riecken). Bereits seit 2002 sind die Bundesländer nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) verpflichtet, einen länderübergreifenden Biotopverbund auf mindestens 10 % der terrestrischen Landesfläche einzurichten. Inzwischen haben fast alle Bundesländer landesweite Biotopver- bundplanungen. Diese wurden allerdings noch nicht in hinreichendem Maße in regionale und lokale Planungen übernommen und werden auch daher nicht ausreichend berücksichtigt und umgesetzt. Dabei bieten Fachkonzepte und Forschungsergebnisse umfassende Grundlagen und Erkenntnisse zur qualitativen und räumlichen Ausgestaltung des Biotopverbunds, auch als Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Wie der Biotopverbund effektiv und funktional umgesetzt werden kann, zeigen auch zahlreiche Best practice-Beispiele sowie ein 2018 erschienenes umfassendes Handbuch. In diesem Beitrag stellen wir Grundlagen und Anforderungen an den Biotopverbund vor und zeigen, wo es Handlungsmöglichkeiten und -bedarf gibt.

1. Einleitung genutzten Flächen. Nach lokalem Aussterben Isolierte Populationen von Arten können in ihrer werden Lebensräume umso wahrscheinlicher Überlebensfähigkeit sehr eingeschränkt sein. wiederbesiedelt, je geringer die Abstände Diese Erkenntnis kommt aus der Übertragung zwischen potenziellen Lebensräumen sind. der Inseltheorie (MacArthur & Wilson 1963) auf Daher müssen a) die (Rest-)Lebensräume optimiert terrestrische Ökosysteme (zum Beispiel Mader und ihre Widerstandsfähigkeit (Resilienz) erhöht 1981; McCoy 1983) sowie von vielen wissen- werden und b) die Durchdringbarkeit der Land- schaftlichen Untersuchungen zur Zerschneidungs- schaft verbessert werden (Abbildung 1). Beide wirkung von technischer Infrastruktur und intensiv Ansätze bilden die Eckpfeiler des Biotopverbunds.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 5 Ullrich, Finck & Riecken: Land schafft Vielfalt Biotopverbund in Deutschland

Steigende Temperaturen, damit verbundene häufige sommerliche Wasserdefizite und häufigere Wetterextreme erfordern Anpassungen für viele Arten und sind damit eine weitere Herausfor- derung für den Biotopverbund: Es gilt die Resilienz bestehender Kernflächen gegenüber den Ein- flüssen des Klimawandels zu erhöhen, den Arten innerhalb der Kernflächen bei ungünstigen Bedin- gungen Ausweichbewegungen zu ermöglichen sowie geeignete Ersatzlebensräume neu zu schaffen (Reich et al. 2012). Die Länderfachbe- hörden für Naturschutz sollten besonders ältere Biotopverbundplanungen im Hinblick auf den Klimawandel zeitnah fortschreiben (siehe auch Kapitel 4.1).

Um Arten diese Ausweichmöglichkeiten zu bieten, Abbildung 2 sind in Kerngebieten des Biotopverbunds idealer- Luftbild des Bereits seit 2002 existiert im Bundesnaturschutz- weise Gradienten vielfältiger Standortverhältnisse Schaalsees, eines gesetz (BNatSchG) eine Vorschrift, nach der die wie Höhenlage, Exposition, Beschattungsver- großen Klarwasser- sees, mit umge- Bundesländer gehalten sind, mindestens 10 % hältnisse, Feuchtigkeit und Vegetationsstruktur benden naturnahen ihrer terrestrischen Fläche als länderübergreifenden vorhanden (Reich et al. 2012). Die Chancen, dass Wäldern, Gewäs- Biotopverbund zu entwickeln und rechtlich zu solche heterogenen Verhältnisse vorhanden sern und Mooren – sichern (§§ 20, 21 BNatSchG). Auch die 2007 verab- sind, erhöhen sich mit zunehmender Größe des eine Kernfläche schiedete Nationale Biodiversitätsstrategie enthält Gebietes. Fehlen solche Gradienten, sollten sie des Biotopver- bunds von länder- vielfältige Bezüge zu dem Ziel, einen adäquaten – wo möglich – durch Erweiterung des Gebietes übergreifender Be- Biotopverbund zu entwickeln. einbezogen oder entwickelt werden. deutung (Foto: Klaus Leidorf). Zwischen 2004 und 2010 beauftragte das Bundesamt Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) für Naturschutz (BfN) in mehreren Forschungs- stellte jedoch schon 1985 fest, dass in bestehenden und Entwicklungsvorhaben ein Fachkonzept Schutzgebieten lediglich 30 bis 40 % der heimi- zum länderübergreifenden Biotopverbund. Darin schen Arten in überlebensfähigen Populationen wurden national bedeutsame Flächen für den erhalten werden können. Diese Aussage gilt Biotopverbund, die notwendigen Lebensraum- ähnlich auch für die aktuellen Kernflächen des netzwerke und Korridore sowie deren interna- Biotopverbunds. Daher ist es erforderlich, tionale Anbindung ermittelt (Fuchs et al. 2010). a) Entwicklungsflächen als Puffer- oder Arron- 2. Kernflächen erhalten, entwickeln und dierungsflächen anzulegen (Burkhardt et al. rechtlich schützen 2004), Damit Populationen von Arten langfristig über- leben, müssen naturnahe Kernflächen des Biotop- b) Kernflächen neu zu entwickeln und gegen verbunds so erhalten und weiterentwickelt werden, negative Außeneinflüsse abzupuffern, dass sie die Lebensraumansprüche der Arten erfüllen und ausreichend groß sind (Abbildung 2). c) Kernflächen durch geeignete Strukturen zu vernetzen, damit Individuen zwischen diesen Kernflächen des Biotopverbunds können nur Gebieten wandern oder diese neu besiedeln erhalten und entwickelt werden, wenn diese können, ausreichend – in der Regel rechtlich – gesichert sind. Dies ist für die in § 21 BNatSchG aufgeführten d) die Funktion tierischer Vektoren (zum Beispiel Schutzgebietskategorien per se gegeben; für die wandernder Weidetiere) zu stärken und dort genannten „weitere(n) Flächen und Elemente“ gilt das jedoch nur zum Teil. Die so geschützten e) die umgebende Landschaftsmatrix insge- Flächen werden allerdings nur dann als Bestand- samt zu verbessern. So wird die Landschaft teil des Biotopverbunds erachtet, wenn sie für viele Arten wieder durchlässiger und hinsichtlich Ausstattung, Qualität und Größe kann Arten der extensiv genutzten Agrar- dafür geeignet sind (§ 21 Absatz 3 BNatSchG). landschaft wieder als Lebensraum dienen.

6 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Ullrich, Finck & Riecken: Biotopverbund in Deutschland Land schafft Vielfalt

3. Biotopverbundplanung Für fast alle Bundesländer existieren landesweite Biotopverbundplanungen, entweder als eigen- ständige Fachplanungen oder im Rahmen der Landschaftsplanung. In Sachsen ist die landes- weite Biotopverbundplanung im Landesent- wicklungsplan planerisch und kartographisch verankert (Bannas et al. 2017) und damit Bestand- teil der Raumordnung. Diese Verankerung in der Raumordnung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Biotopverbundplanungen im hinrei- chenden Maße auch bei anderen raumrelevanten Planungen berücksichtigt werden.

Häufig werden diese landesweiten Planungen jedoch nicht konsequent in die regionalen und lokalen Pläne der Raumordnung und der Land- schaftsplanung übernommen und konkretisiert. Zudem müssen regionale und lokale Vernetzungs- elemente (beispielsweise Hecken, Feldgehölze und Feldraine) bei diesen Planungen untersetzt und ergänzt werden (Abbildung 3). Darauf verweist Abbildung 3 explizit auch das Bundesnaturschutzgesetz im Räumliche § 21 Absatz 6: Dort wird vorgegeben, diese Dimensionen Elemente „zu erhalten und dort, wo sie nicht des Biotopver- bundes. im ausreichenden Maße vorhanden sind, zu schaffen“ (BNatSchG 2009). Kreise und Kommunen sind daher aufgerufen, in ihren raumrelevanten Planungen den Biotopverbund auch in der Praxis zu realisieren.

Maßnahmen, um den Biotopverbund umzu- setzen, sind häufig bereits in den länderspezifi- schen Kulturlandschaftsprogrammen verankert oder werden als Agrarumweltmaßnahmen und/ tungsvektoren dienen, unterstützt werden oder im Rahmen des Vertragsnaturschutzes (Fischer et al. 1996). gefördert (siehe auch Kapitel 4.3). Förderpro- gramme der Länder sollten jedoch die Umset- 4.1 Verbindungselemente und Verbundstrukturen zungen der Biotopverbund-Planungen auf erhalten, entwickeln und neu anlegen kommunaler Ebene noch besser unterstützen. Lineare Landschaftsstrukturen aller naturnahen und halbnatürlichen Biotoptypen sind groß- 4. Geeignete Ausgestaltung der Verbindungs- räumig zu erhalten und zu optimieren. Diese elemente und Verbundstrukturen Strukturen kommen zum Beispiel entlang von Bei Verbindungselementen und Verbundstruk- Fließgewässern mit ihren angrenzenden Auen- turen handelt es sich in der Regel um Trittsteine bereichen, entlang der Hangschultern von Tälern, und Korridore. Sie ermöglichen den Austausch aber auch als kleinräumige Strukturen, wie zum von Individuen, Diasporen und Pollen zwischen Beispiel in Form von Hecken, Mantel- und Saum- (Teil-)Populationen und begünstigen so die Neu- strukturen, Uferrandstreifen oder auch Trocken- beziehungsweise Wiederbesiedlung von Habitaten mauern, vor (Abbildung 4). Auch noch bestehende, sowie Wanderungsbewegungen. In vielen Fällen kleinräumige Dauerlebensräume, wie Waldreste, kommt diesen Verbundstrukturen zusätzlich Feldgehölze, Streuobstwiesen, Lesesteinhaufen, eine Funktion als Habitat bestimmter Arten zu. Tümpel oder auch kleine Brachflächen, sind als Habitat-Inseln zu erhalten. Ausbreitungs- und Wanderungsbewegungen einiger Arten können außerhalb dieser orts- Ausgehend vom in regionalen beziehungsweise festen Landschaftselemente zudem durch lokalen Biotopverbundplanungen festgestellten wandernde Wild- und Weidetiere, die als Ausbrei- Bedarf, sollte zudem nach Möglichkeiten gesucht

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 7 Ullrich, Finck & Riecken: Land schafft Vielfalt Biotopverbund in Deutschland

Abbildung 4 Landschaftsaus- schnitt mit vielen großen und klei- nen Verbundstruk- turen und Verbin- dungselementen in der Kuppen- rhön/Thüringen (Foto: Uwe Riecken).

werden, zusätzliche Korridore und Trittsteine Kreisen und Kommunen, Naturschutzverbänden, zu entwickeln. Dieses Unterfangen stellt ange- Flächeneigentümern und Landbewirtschaftern sichts der zunehmenden Flächenkonkurrenz erforderlich. Dies umzusetzen ist sehr personalin- eine große Herausforderung dar. Hier könnten tensiv und mit der vorhandenen Personaldecke Ökokonten und Kompensationsflächenpools zu häufig kaum zu leisten. einer Lösung beitragen (vergleiche 4.3). Dabei sind insbesondere für Arten, die angesichts des 4.2 Wichtige Faktoren bei der Ausgestaltung Klimawandels für ihre langfristige Bestands- der Verbundstrukturen sicherung neue, potenziell klimatisch geeignete Fläche ist eine knappe Ressource und damit auch Lebensräume erreichen müssen, geeignete für Verbundstrukturen häufig ein limitierender Verbundstrukturen zu entwickeln. Aus bundes- Faktor. Dementsprechend ist es wichtig, dass weiter Sicht wurden von Reich et al. (2012) entspre- Verbundstrukturen in ihrer Dimension, Struktur, chende regionale Defizite und Entwicklungsbe- Habitatqualität und Lage möglichst effektiv in darfe festgestellt. Bestehende Biotopverbund- die Landschaftsmatrix mit allen darin enthaltenen planungen sind diesbezüglich zu überprüfen Nutzungen und Strukturen eingebettet sind. und zu ergänzen (siehe auch Kapitel 2). 4.2.1 Mindestbreiten Neben den dauerhaften Verbindungselementen Arten unterscheiden sich in ihrer Mobilität und und Verbundstrukturen, kann der funktionale in ihren Ansprüchen an den Lebensraum sowie Biotopverbund auch durch räumlich-zeitlich an vorübergehend genutzte Strukturen. Daher wechselnde, kleinflächigere Elemente – zusätz- ist es schwierig, pauschale Aussagen zu den lich zu den 10 % Fläche für den länderübergreifenden Dimensionen zu treffen, die eine Verbundstruktur Biotopverbund – ergänzt werden. Beispiele sind haben sollte. Prinzipiell gilt, dass der Austausch Brachflächen oder Blühstreifen, die in ihrer von Individuen zwischen zwei Lebensräumen konkreten Lage wechseln können, jedoch dauer- über einen Korridor gefördert wird, dieser Effekt haft mit einem bestimmten Flächenanteil im jedoch mit zunehmender Distanz abnimmt gleichen Landschaftsausschnitt mit Verbund- (Gilbert-Norton et al. 2010). Umgekehrt steigen bedarf vorhanden sein sollten. mit zunehmender Distanz, die ein Korridor über- brückt, die Anforderungen an dessen Breite und Verbindungselemente und Verbundstrukturen Lebensraumqualität, damit ihn möglichst viele sind noch enger in die land- und forstwirtschaft- Arten erfolgreich nutzen (Beier & Loe 1992). Die liche Nutzfläche eingebunden, als Kernflächen. Anforderungen an einen Korridor hängen zudem Um sie zu erhalten, zu pflegen und vor allem vom Aktionsradius der jeweiligen Arten ab sowie um sie neu anzulegen, ist daher eine enge Koope- davon, ob sie nur als Wanderungsstrecken dienen ration zwischen Naturschutz (Verwaltung bei oder für die Arten auch eine vorübergehende

8 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Ullrich, Finck & Riecken: Biotopverbund in Deutschland Land schafft Vielfalt

Habitatfunktion erfüllen müssen (Drobnik et al. 4.2.3 Lage der Verbundstrukturen im Verhältnis 2013). Daneben beeinflussen auch die Lebens- zur „Grauen Infrastruktur“ raumdynamik beziehungsweise Management- Die Landschaft wird durch die „Graue Infrastruktur“, intensität im Korridor sowie die Qualität der das heißt vor allem das Verkehrsnetz und bebaute umgebenden Landschaftsmatrix die Funktion Bereiche vielfach stark zerschnitten. Dement- und erforderliche Mindestbreite eines Korridors. sprechend ist der Biotopverbund an den Kreu- zungspunkten zur „Grauen Infrastruktur“ häufig Aßmann et al. (2016) geben für unterschiedliche unterbrochen und muss wiedervernetzt werden. räumliche Ebenen des Biotopverbunds ungefähre Dies kann durch Grünbrücken, Tunnel oder Dimensionen an, die halboffene Verbundkorridore Durchlässe an Straßen oder Bahnlinien erreicht haben sollten: werden. Damit diese von den jeweiligen Ziel- arten erfolgreich angenommen und genutzt • Lokaler Biotopverbund: Breite mindestens werden, müssen sie gut in das Biotopnetz einge- 40 Meter, Länge höchstens 500 Meter, zudem bunden sein. Dazu bedarf es geeigneter Korri- möglichst direkter Anschluss an die Ausgangs- dore und Trittsteine, die bis direkt an das Bauwerk lebensräume heranführen und sich über dieses hinweg fort- setzen (Reck et al. 2019). • Regionaler großräumiger Verbund: Breite mehrere Hundert Meter, Länge bis zu einigen Kilometern, Biotopverbundstrukturen sollten zudem nicht zudem diverse Quervernetzungen erforderlich entlang vielbefahrener Straßen oder Bahnlinien angelegt werden. Verschiedene Studien zeigen, • Verbundachse nationaler Bedeutung: Land- dass zum Beispiel in straßenbegleitenden Hecken schaftskorridore, bestehend aus verschiedenen häufig eine schlechte Ernährungssituation, hohe Abschnitten (halboffene Biotope, Wald, Offen- Prädation, hohe Immissionsbelastung und land), die große Kernflächen verbinden und verkehrsbedingte Mortalität den ökologischen durch Querachsen mit der umgebenden Wert dieser Strukturen herabsetzen können. So Landschaft verknüpft sind (Abbildung 5). können diese Strukturen gegebenenfalls sogar gefährliche Populationssenken darstellen (zum 4.2.2 Bedeutung von halboffenen Beispiel Bairlein & Sonntag 1994). Keilsohn et al. Verbundkorridoren (2018) weisen auf weiteren Forschungsbedarf Halboffene Verbundkorridore bestehen aus hin, um sicherzugehen, dass Biotopstrukturen einem kleinräumigen Wald-Offenland-Mosaik an Straßenrändern nicht als ökologische Fallen mit graduellen Übergängen, das die Funktionen für genau die Arten wirken, deren Schutz sie beider Lebensräume bietet. Das Konzept orientiert dienen sollen. Abbildung 5 sich an historischen Biotoptypen mit halboffenem Das Grüne Band, Charakter (zum Beispiel Wacholderheiden, Hute- 4.3 Finanzielle Förderung eine Verbund- wälder, halboffene Weidelandschaften (Abbildung 6). Biotopverbundprojekte können befördert werden, achse nationaler indem eine Flächenkulisse für den Biotopverbund Bedeutung, bei Wiedersberg in Halboffene Verbundkorridore sind überall dort einschließlich der nötigen Strukturen festgelegt Sachsen (Foto: sinnvoll, wo sowohl offene Lebensräume als auch Klaus Leidorf). Waldlebensräume vernetzt werden sollen. Beispiele sind Kreuzungspunkte von Verbund- achsen oder auf engem Raum parallel verlau- fende Längsachsen beider Typen. Ein vom BfN gefördertes Forschungsvorhaben hat gezeigt, dass halboffene Verbundkorridore in verschie- denen Regionen Deutschlands unter unterschied- lichen Standortbedingungen sowohl von steno- topen Arten des Offenlandes als auch des Waldes genutzt werden (Aßmann et al. 2016). Zudem weisen die halboffenen Korridore eigene Lebens- raumqualitäten auf, die auch Arten der oben genannten halboffenen Biotoptypen nutzen (Aßmann et al. 2016).

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 9 Ullrich, Finck & Riecken: Land schafft Vielfalt Biotopverbund in Deutschland

wird. So können etwa Anreize geschaffen werden, Hier sind insbesondere die Bundesländer gefor- um dort gezielt die gewünschten Biotope und dert, die entsprechenden Förderprogramme Strukturen zu fördern. Hierfür geeignete Instru- (Vertragsnaturschutz/AUKM) in geeigneter mente sind zum Beispiel: Weise auszugestalten, sodass für die Landbe- wirtschaftenden attraktive Angebote entstehen. Kompensationsmaßnahmen: Kompensations- maßnahmen können gezielt in die Biotopver- 5. Mindestanforderungen an die Landschafts- bundflächenkulisse gelenkt werden. Dabei matrix muss natürlich der Funktionsbezug zwischen Ein funktionaler und funktionierender Biotop- Eingriff und Kompensation und artenschutz- verbund ist umso wichtiger, weil insbesondere rechtlichen Belangen beachtet werden (Frobel die Wirtschaftsflächen in der Agrarlandschaft et al. 2018). Im Idealfall liegt ein räumlich kohä- als Lebensraum für die Mehrzahl der Arten rentes Kompensationskonzept vor, in das die verlorengegangen sind. Dies ist sehr eindrück- Ziel- und Flächenkulisse des Biotopverbunds lich durch den dramatischen Rückgang insbe- integriert ist. Dabei können Ökokonten und sondere von Vögeln (Gerlach et al. 2019) und Kompensationsflächenpools viele kleinere Insekten (Hallmann et al. 2017) in den letzten Maßnahmen bündeln und damit die Wirksamkeit Jahren und Jahrzehnten belegt. Im einge- auch im Kontext des Biotopverbunds stärken. schränkten Maße gilt dies auch für intensiv genutzte Forste. Aber auch Schutzgebiete sind Vertragsnaturschutz: Auch für den Vertrags- betroffen, da sie unter anderem von der Verdrif- naturschutz können Flächenkulissen festgelegt tung von Pestiziden, zumindest in den Randbe- werden, die den Biotopverbund berücksichtigen. reichen, betroffen sind (Habel et al. 2016). Dies So kann der Biotopverbund gezielt gefördert ist vor allem für die vielen kleinflächigen und werden (Schwarz-von Raumer et al. 2014). relativ isoliert in der intensiv genutzten Agrar- landschaft gelegenen Schutzgebiete relevant. Weitere Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM): Mit weiteren AUKM können zum Beispiel Letztlich wird aber ein rein segregativer Ansatz nur ein bis wenige Jahre bestehende Landschafts- (Biotopverbund- beziehungsweise Schutzge- elemente wie Blühstreifen, Ackerrandstreifen oder bietsflächen einerseits und sehr intensiv genutzte Brachflächen gezielt in der Flächenkulisse des umgebende Landschaftsmatrix andererseits) Biotopverbunds gefördert werden. Ziel dabei alleine keine Trendwende bei dem zu beob- ist, dass dort eine dynamische, aus diversen achtenden Verlust der Artenvielfalt in Deutsch- Teilelementen bestehende Verbundstruktur land bewirken. Dafür müssen wir die Landschafts- entsteht und die Landschaftsmatrix durchlässiger matrix wieder als Lebensraum aufwerten, sodass Abbildung 6 wird. Darüber hinaus könnte der reduzierte Einsatz eine gewisse Grunddurchlässigkeit für die Halboffene Weide- von Dünger und Pflanzenschutzmitteln auf Puffer- Wanderungs- und Ausbreitungsbewegungen landschaft im flächen, die an Kernflächen des Biotopverbunds von Arten gegeben ist. Naturschutzgebiet und Verbundstrukturen angrenzen, gezielt „Höltigbaum“, Stadt gefördert werden. So würde sich auf diesen In diesem Zusammenhang ist es von zentraler Hamburg (Foto: Uwe Riecken). Flächen ein Teil der Randeffekte reduzieren. Bedeutung, einerseits vor allem das artenreiche Grünland und andererseits die sogenannten Ackerbegleitbiotope wie Feldgehölze, Säume und Feldraine als (Teil-)Lebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen (Abbildung 7). Auch muss der Einsatz von Pestiziden in der Landbe- wirtschaftung begrenzt werden. Dabei muss insbesondere verhindert werden, dass diese auf Ackerbegleitbiotope und angrenzende naturnahe Flächen gelangen (Habel et al. 2016). Aber auch auf den Wirtschaftsflächen selbst sollte der Einsatz von Pestiziden weiter reduziert werden. Besonders kritisch sind in diesem Zusammen- hang hochtoxische Verbindungen mit einer unspezifischen Breitenwirkung wie Glyphosat oder Neonicotinoide. Diese betreffen nicht nur die Zielorganismen, sondern beeinträchtigen oder töten eine Vielzahl von anderen Organismen,

10 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Ullrich, Finck & Riecken: Biotopverbund in Deutschland Land schafft Vielfalt

Abbildung 7 die zu einem großen Teil für die Wirtschafts- 6.1 Quervernetzung Grünes Band Feldgehölze, Gebüsch- pflanzen unschädlich beziehungsweise sogar Das Grüne Band Deutschlands beschreibt den streifen und ungemähte nützlich sind. ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen, der Weg- und Grabenränder in der typischen sich aufgrund seiner Abgeschiedenheit und Agrarlandschaft der Ein weiteres Problem stellt der übermäßige Eintrag geringen Nutzungsintensität zu einem zirka „Holsteinischen Schweiz“, von Stickstoffverbindungen als Düngemittel in 1.400 km langen, meist durchgehenden Band Schleswig-Holstein die Landschaft dar. Auch diese müssen schnell naturnaher und halbnatürlicher Lebensräume (Foto: Uwe Riecken). und wirksam begrenzt werden, da hierdurch entwickelt hat. Das Grüne Band ist heute die viele Lebensräume und Arten, die von nährstoff- längste länderübergreifende Biotopverbundachse armen Bedingungen abhängig sind, in ihrem in Deutschland. Dennoch bestehen darin Lücken Bestand gefährdet sind (für gefährdete Biotop- und Defizite bei der Quervernetzung. Hier setzen typen siehe Finck et al. 2017). – neben verschiedenen Naturschutzgroßvor- haben in einzelnen Abschnitten – zwei größere, Für einen funktionierenden Biotopverbund im Rahmen des Bundesprogramms Biologische brauchen wir also Mindestanforderungen an Vielfalt durch das Bundesumweltministerium (BMU) die Landschaftsmatrix. Hierzu muss es zu einer und das BfN geförderte Vorhaben des Bund für grundlegenden Änderung in der gemeinsamen Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Agrarpolitik der Europäischen Union kommen. an. In dem weitgehend abgeschlossenen Vorhaben Es muss den Landbewirtschaftenden erleichtert „Lückenschluss Grünes Band“ konnten durch werden, ihre Flächen nachhaltiger und natur- Flächenankäufe, den Erwerb von Nutzungsver- verträglicher zu bewirtschaften. Bestrebungen, zichten und verschiedene Maßnahmen des den ökologischen Landbau in Deutschland Managements die bestehenden Lücken verklei- deutlich zu erweitern, gehen sicher in die richtige nert und teils geschlossen werden (BfN, URL 2). Richtung. Allerdings sind auch hier oft noch mehr ungenutzte Landschaftselemente nötig. Seit Ende 2019 fördert das BfN das neue Vorhaben Aber auch in der sogenannten konventionellen „Quervernetzung Grünes Band“. In fünf Modell- Landwirtschaft müssen die Mindestanforde- regionen soll die Queranbindung des Grünen rungen an die Landbewirtschaftung steigen, Bandes an seine Umgebung verbessert werden. um den fortschreitenden Verlust der Artenviel- Im Zentrum steht dabei, durch fachliche und falt in unserem Land zu stoppen. finanzielle Unterstützung Landwirtinnen und Landwirte zu motivieren und dabei zu unter- 6. Umsetzungsbeispiele stützen, geeignete Vernetzungsflächen langfristig Mittlerweile existiert eine Vielzahl von beispielhaften naturschonend zu bewirtschaften (BfN, URL 3). Umsetzungsprojekten zum Biotopverbund. Diese betreffen sehr unterschiedliche räumliche Skalen 6.2 Wildkatzensprung und Zielorganismen. Im Folgenden sollen drei Ein weiteres Vorhaben aus dem Bundesprogramm bemerkenswerte Beispiele aus dem Bundespro- Biologische Vielfalt ist das vom BUND Thüringen e.V. gramm Biologische Vielfalt (BfN, URL 1) stellvertretend durchgeführte Vorhaben „Wildkatzensprung“. Ein für alle anderen Vorhaben vorgestellt werden. Ziel des Vorhabens war, in 10 Bundesländern den

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 11 Ullrich, Finck & Riecken: Land schafft Vielfalt Biotopverbund in Deutschland

7. Praktische Umsetzung des Biotopverbunds in der Fläche Die praktische Umsetzung des Biotopverbunds kann hier nicht umfassend behandelt werden. Ausführliche Hinweise und Hilfen von der Planung über die Antragsstellung und Finanzierung bis hin zum Projektmanagement wurden vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in einem vom BfN geförderten Verbändevorhaben erarbeitet und im „Handbuch Biotopverbund Deutschland: Vom Konzept bis zur Umsetzung einer Grünen Infrastruktur“ veröffentlicht (Frobel et al. 2018). In diesem Handbuch werden neben einer umfangreichen Recherche der planerischen und fachlichen Grundlagen, die Erfahrungen aus einer Vielzahl abgeschlossener und noch laufender Biotopverbundprojekte aus ganz Deutschland ausgewertet und daraus die Empfeh- Abbildung 8 Bestand und die genetische Struktur der lungen und Handreichungen für die Umsetzung Die Wildkatze benötigt für ihre Ausbreitung zwischen deutschen Wildkatzenbestände zu untersuchen von Biotopverbundprojekten abgeleitet. Weitere verschiedenen Waldle- (Abbildung 8). Die genetischen Untersuchungen Hinweise zur Entwicklung halboffener Verbund- bensräumen gehölzreiche zeigten, dass die Teilpopulationen bereits gene- korridore finden sich bei Aßmann et al. (2016). Korridore und struktur- tisch isoliert sind, sodass die Wiederherstellung reiche Kulturlandschaften. der Konnektivität zwischen den einzelnen besie- 8. Fazit und Ausblick (Foto: Uwe Riecken, Gehe- geaufnahme im Wildkat- delten Regionen von großer Bedeutung ist. Dem Biotopverbund kommt eine zentrale Rolle zendorf Hütscheroda am Diese umfassenden Daten bilden eine wesent- beim Schutz der biologischen Vielfalt, insbeson- Hainich/Thüringen). liche Grundlage für die Konzipierung und Umset- dere auch vor dem Hintergrund der Auswirkungen zung eines bundesweiten Waldverbunds für des Klimawandels, zu. Das Bundesnaturschutz- diese gefährdete Tierart (BUND, URL 5), stellver- gesetz verpflichtet seit fast zwei Jahrzehnten tretend für eine große Zahl weiterer gefährdeter die Bundesländer, ein entsprechendes Biotop- Waldarten mit hohem Raumanspruch (zum verbundsystem zu schaffen und rechtlich zu Beispiel den Luchs). sichern. Während bei der Ermittlung und Siche- rung auch größerer Kerngebiete in den letzten 6.3 Insektenfreundliches Günztal Jahren deutliche – wenngleich nicht hinreichende Der Biotopverbund Günztal zeichnet sich durch – Fortschritte erreicht werden konnten, mangelt die Schwerpunktlebensräume Grünland und es an der Herstellung der ökologischen Konnek- Aue zwischen Allgäu und Donautal aus. tivität (Vernetzung). Die fachlichen Grundlagen dafür liegen längst vor. Bislang sind jedoch nur Über eine Fließstrecke von rund 92 km verläuft wenige, oft kleinräumige Anstrengungen die Günz durch eines der größten Grünlandge- erkennbar, diese Vernetzung auch umfassend biete Deutschlands mit intensiver Landnutzung. umzusetzen. Das Projekt „Grünes Band Deutsch- Das Gebiet ist im besonderen Maße vom Rück- land“ stellt in diesem Kontext eine beispielhafte gang der Insektenfauna betroffen. Mit Hilfe von Ausnahme dar. Auf der anderen Seite schreitet grünlandspezifischen Naturschutzmaßnahmen die Zersiedelung und Zerschneidung der Land- (Flächenankauf, Biotopgestaltung und -neuanlage, schaft weiter voran. Auch die Auswirkungen des Nutzungsextensivierung) und Bewirtschaftungs- Klimawandels machen sich immer deutlicher methoden, soll die Situation vor allem in den bemerkbar. Es besteht somit dringender Hand- intensiv genutzten Grünlandlebensräumen für lungsbedarf. Dieser besteht in planerischer Hinsicht die heimische Insektenfauna nachhaltig verbessert aber auch im Hinblick auf die Bereitstellung der werden. Neben der Aufwertung der Grünland- nötigen personellen und finanziellen Ressourcen. biotope, soll auch (aufbauend auf Vorgänger- Auch die verschiedenen staatlichen Förderpro- projekten; Stiftung Kulturlandschaft Günztal, gramme sollten kritisch überprüft und ange- URL 6) der Biotopverbund entlang der Günz passt werden. wieder verbessert werden (BfN, URL 4). Wie in allen Projekten aus dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt, wird dieses Vorhaben durch entsprechende Erfolgskontrollen begleitet.

12 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Ullrich, Finck & Riecken: Biotopverbund in Deutschland Land schafft Vielfalt

Schlüsselfaktoren Ausgewählte Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Umsetzung von Biotopverbund- projekten:

• Gute fachliche Grundlagen

• Zielkonzept erarbeiten, von dem Leitbilder und Planungen abgeleitet werden

• Flächenverfügbarkeit klären, bei Bedarf Instrumente wie freiwilliger Flächentausch und vereinfachtes Flurneuordnungsverfahren verstärkt einsetzen

• Konfliktträchtigkeit der Maßnahmen und Akzeptanz in der Bevölkerung prüfen und berücksichtigen

• Möglichst frühzeitige und fortlaufende Information und Abstimmung mit allen Betei- ligten (Flächeneigentümer und -nutzerinnen, Interessenvertreter, zuständige Verwaltungen, Verbände aus Naturschutz, Wasserwirtschaft und Forst, ortskundige interessierte/ engagierte Personen), Bildung von Arbeitskreisen

• Öffentlichkeit fortlaufend informieren

• Zuständigkeiten frühzeitig klären: Projektträgerschaft, Zuständigkeiten für die Umset- zung bestimmter Arbeitsschritte und Maßnahmen

• Kosten realistisch kalkulieren und erforderliche Finanzmittel akquirieren

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ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 13 Ullrich, Finck & Riecken: Land schafft Vielfalt Biotopverbund in Deutschland

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[email protected] Peter Finck Zitiervorschlag [email protected] Ullrich, K., Finck, P. & Riecken, U. (2020): Biotop- verbund in Deutschland – Anspruch und Uwe Riecken Wirklichkeit. – ANLiegen Natur 42(2): 5–14, [email protected] Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen.

14 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Diskussionspapier Außerhalb der ökolo- Gerti Fluhr-Meyer und Wolfram Adelmann gischen Landwirtschaft werden auf gut 90 % der landwirtschaft- Blühstreifen und Pestizide – Falle oder lichen Nutzfläche in Deutschland Pflanzen- Lebensraum? schutzmittel ausge- bracht (Foto: Kristin Goebel/Piclease). Blühstreifen sind eine beliebte Maßnahme zur Struktur- und Lebensraumanreicherung in der Agrarlandschaft. Doch wie wirkt sich hier der Einsatz von Pestiziden in den benachbarten Kulturen aus? Die Wechselwirkungen der eingesetzten Wirkstoffe und Präparate, unbekannte Wirkintensitäten auf Nicht-Ziel-Organismen und unzureichende Kontrollen, erschweren die Bewertung der Anwendungspraxis. Blühstreifen außerhalb des Kulturlandschaftsprogramms (KULAP) sowie weite Teile der Agrarlandschaft sind von Abstandsregelungen beim Ausbringen von Pestiziden ausgenommen. Es ist daher anzunehmen, dass Blühstreifen durch Abdrift von Pestiziden belastet werden; potenziell besonders betroffen sind schmale Streifen mit weniger als drei Meter Breite. Das Konzept der Blühstreifen sollte daher hinsichtlich der Einführung einer Mindestflächenbreite überdacht werden, um ihren an sich positiven Effekt zu verstärken. Ansätze liegen bei sechs bis neun Meter Breite. Das Interview mit dem Experten Dr. Carsten Brühl in dieser Veröffentlichung verdeutlicht den Handlungsbedarf.

Mehr Blühangebote in ausgeräumten Agrar- von Blühflächen und Blühstreifen Pestizide landschaften für Insekten schaffen – so lautet ausgebracht werden? Experten warnen davor, seit dem erfolgreichen Volksbegehren „Arten- dass Blühflächen dann unter Umständen sogar vielfalt & Naturschönheit in Bayern“ im Frühjahr zur tödlichen Falle werden können (zum Beispiel 2019 in Bayern vielerorts die Devise. Doch was Fleischmann 2018). Dieser Einschätzung möchten ist, wenn in der unmittelbaren Nachbarschaft wir nachgehen:

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 15 Fluhr-Meyer & Adelmann: Land schafft Vielfalt Blühstreifen und Pestizide

0,75 Meter Feldspritze Unterschiedlich starke Abdrift abhängig von: • Ausbringungshöhe • Düsentyp • Windstärke und -richtung

Feld/ Rand äche Acker äche zu Beisiel Blühstreifen

Überspritzen Abdrift Abbildung 2 Schema des Pestizid- bis 50 % eintrags in angren- der Feldrate zende Flächen durch unmittelbares Über- spritzen und durch Abdrift; werden keine Sind Blühangebote vor diesem Hintergrund Auf diesen Flächen dürfen grundsätzlich keine Randdüsen eingesetzt, überhaupt sinnvoll? Und wenn ja, welche Pestizide eingesetzt werden. Wenn sie sich aller- ist ein Überspritzen bis Bedingungen sollten sie erfüllen – wie breit dings in einer Gemeinde befinden, die einen 50 % der Feldrate in sollten sie beispielsweise sein und welcher ausreichenden Anteil sogenannter Kleinstruk- zirka 0,75 m nachweis- bar (nach Brühl 2015, Abstand sollte beim Ausbringen von Pflanzen- turen hat, bestehen diese Beschränkungen nicht. verändert). schutzmitteln eingehalten werden? In der Das Verzeichnis der regionalisierten Kleinstruk- Diskussion darüber zeigt sich, dass viele Fragen turanteile des Julius Kühn-Instituts gibt hierzu derzeit nicht eindeutig beantwortet werden Auskunft (mehr unter Punkt 3.). Inwieweit die können. Hier ein Versuch, ein wenig Licht ins Ausnahme in der Praxis angewendet wird, ist Dunkel zu bringen. nicht dokumentiert.

Vorbemerkung: „Pestizide“ und „Pflanzenschutzmittel Wurde nichts anderes vereinbart, können Pesti- (PSM)“ werden im Text gleichbedeutend verwendet. zide nach geltendem Recht auch unmittelbar Zu den Pestiziden zählen unter anderem Insektizide angrenzend an eine KULAP-Blühfläche ausge- (Mittel gegen Insekten), Herbizide (Mittel gegen bracht werden. Daraus resultierende Beein- Pflanzen) und Fungizide (Mittel gegen Pilze). Die trächtigungen hängen maßgeblich von der Inhalte des Artikels beziehen sich auf Bayern. Flächengestaltung ab: Eine Mindestbreite ist bei KULAP-Blühflächen nicht einzuhalten, jedoch 1. Blühstreifen, Blühflächen und blühende eine Mindestflächengröße bei a) jährlich wech- Rahmen – was ist der Unterschied? selnden KULAP-Blühflächen von mindestens Blühstreifen und Blühflächen sind Areale, die 0,1 ha oder b) bei fünfjährigen Blühflächen Landwirte zeitlich begrenzt aus der Nutzung mindestens von 0,2 ha pro Feldstück. Die maximal nehmen und dort Blühmischungen zur Insekten- förderfähige Fläche umfasst 3 ha pro Betrieb förderung oder als Wildlebensraum ansäen (StMELV & StMUV 2018). Durchschnittlich sind (Übersicht gibt Ghasemi & Volz 2019). KULAP-Blühflächen etwa 0,9 ha groß (Ghasemi & Volz 2019). Über die Flächenform liegt keine Grundsätzlich zu unterscheiden sind Blühflä- Veröffentlichung vor. chen, welche in Bayern über das Kulturland- schaftsprogramm (KULAP) als EU-Agrarumwelt- Unter den Nicht-KULAP-Blühstreifen sind die und Klimamaßnahme (AUKM) gefördert und für sogenannten „blühenden Rahmen“ weit ver- ein bis fünf Jahre angelegt werden, und solche breitet, die auf eine Aktion des Bayerischen außerhalb des Programms (Nicht-KULAP-Blüh- Bauernverbandes zurückgehen. Die Maschinen- streifen). ringe stellen hierfür das Saatgut (teils kostenlos) zur Verfügung. Blühende Rahmen sind in der KULAP-Blühflächen können sowohl flächig als Regel ein bis drei Meter breit (Ghasemi & Volz auch streifenförmig angelegt werden. Sie 2019). Sie werden streifenförmig entlang eines machen den Großteil der Blühflächen in Bayern Ackerschlags zum Beispiel von Mais oder aus und nehmen stetig zu (Ghasemi & Volz 2019). Sommergetreide gesät.

16 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Abstand Abstand Ackerbau Ackerbau [m] [m] 1. Anwendung,1. Anwendung,2. Kultur Anwendung, < 50cm2. Kultur Anwendung,3. Kultur Anwendung, < 50cm < 50cm3. Kultur Anwendung,4. Kultur Anwendung, < 50cm < 50cm4. Kultur Anwendung,5. Kultur Anwendung, < 50cm < 50cm5. Kultur Anwendung,8. Kultur Anwendung, < 50cm < 50cm8. Kultur Anwendung, Kultur < 50cm < 50cm Kultur1. Anwendung, < 50cm1. Anwendung,2. Kultur Anwendung; > 50cm2. Kultur Anwendung;3. Kultur Anwendung, > 50cm > 50cm3. Kultur Anwendung,4. Kultur Anwendung, > 50cm > 50cm4. Kultur Anwendung,5. Kultur Anwendung, > 50cm > 50cm5. Kultur Anwendung,8. Kultur Anwendung, > 50cm > 50cm8. Kultur Anwendung, Kultur > 50cm > 50cm Kultur > 50cm 1 2,771 2,772,38 2,382,01 2,011,85 1,851,75 1,751,52 1,52 3 3 8,02 8,027,23 7,23 6,9 6,96,71 6,716,59 6,596,26 6,26 5 0,575 0,570,47 0,470,41 0,410,38 0,380,36 0,360,31 0,31 3,62 3,623,22 3,223,07 3,072,99 2,992,93 2,932,78 2,78 10 100,29 0,290,24 0,240,20 0,200,19 0,190,18 0,180,16 0,16 1,23 1,231,07 1,071,02 1,020,99 0,990,98 0,980,93 0,93 15 150,20 0,200,16 0,160,14 0,140,13 0,130,12 0,120,11 0,11 0,65 0,650,56 0,560,54 0,540,52 0,520,51 0,510,49 0,49 20 200,15 0,150,12 0,120,10 0,100,10 0,100,09 0,090,08 0,08 0,42 0,420,36 0,360,34 0,340,33 0,330,33 0,330,31 0,31 30 300,10 0,100,08 0,080,07 0,070,06 0,060,06 0,060,05 0,05 0,22 0,220,19 0,190,18 0,180,17 0,170,17 0,170,16 0,16 40 400,07 0,070,06 0,060,05 0,050,05 0,050,05 0,050,04 0,04 0,14 0,140,12 0,120,11 0,110,11 0,110,11 0,11 0,1 0,1 50 500,06Fluhr0,06-M0,05eyer &0,05 Adel0,04mann0,04: 0,04 0,040,04 0,040,03 0,03 0,1 0,10,08 0,080,08 0,080,08 0,080,08 0,080,07 0,07

Blühstreifen und Pestizide Höhe > 50 Höhecm > 50 cm Land schafft Vielfalt [m] [m] 3 3 5 5 10 10 15 15 20 20 AbdrifteckwerteAbdrifteckwerte von vonPflanzenschutzmitteln Pflanzenschutzmitteln 30 30 für Ackerbau/Gemüsefür Ackerbau/Gemüse < 50 cm < 50 Kulturhöhe cm Kulturhöhe (grüne (grüne Punkte) Punkte) und und 40 40 50 50 für Gemüsefür Gemüse > 50 cm > 50 Kulturhöhe cm Kulturhöhe (orange (orange Punkte) Punkte) Werte: https://www.juliusWerte: https://www.julius-kuehn.de/at/ab/abdrift-kuehn.de/at/ab/abdrift-und-risikominderung/abdrifteckwerte/-und-risikominderung/abdrifteckwerte/

9,00 9,00

8,00 8,00 1. Anwendung,1. Anwendung, Kultur < Kultur50cm < 50cm 2. Anwendung,2. Anwendung, Kultur < Kultur50cm < 50cm 7,00 7,00 3. Anwendung,3. Anwendung, Kultur < Kultur50cm < 50cm 4. Anwendung,4. Anwendung, Kultur < Kultur50cm < 50cm 5. Anwendung, Kultur < 50cm 6,00 6,00 5. Anwendung, Kultur < 50cm 8. Anwendung,8. Anwendung, Kultur < Kultur50cm < 50cm 1. Anwendung,1. Anwendung, Kultur > Kultur50cm > 50cm 2. Anwendung; Kultur > 50cm 5,00 5,00 2. Anwendung; Kultur > 50cm 3. Anwendung,3. Anwendung, Kultur > Kultur50cm > 50cm Tabelle derTabelle der 4. Anwendung,4. Anwendung, Kultur > Kultur50cm > 50cm AbdrifteckweAbdrifteckwe 5. Anwendung, Kultur > 50cm 4,00 4,00 5. Anwendung, Kultur > 50cm rte für rte für 8. Anwendung,8. Anwendung, Kultur > Kultur50cm > 50cm EinfachanweEinfachanwe ndungen ndungen BodensedimBodensedim3,00 3,00 ente in % derente in % der AufwandmenAufwandmen ge berechnetge berechnet 2,00 2,00 auf Basis derauf Basis der 90. 90. Perzentile Perzentile Erfasste Bodensedimente in in % der Bodensedimente Aufwandmenge Erfasste 1,00 in % der Bodensedimente Aufwandmenge Erfasste 1,00 Auszug ausAuszug aus BundesanzeiBundesanzei ger (Stand:ger (Stand: 0,00 0,00 27. März 27. März 2006) 2006) 0 0 10 10 20 20 30 30 40 40 50 50 60 60 EntfernungEntfernung von der vonApplikation der Applikation in Metern in Metern Abbildung 3 Je höher die Kultur und Zusätzlich gibt es private Initiativen, die Blüh- nebels ist neben der Abschwemmung der wesent- folglich die Lage der flächen oder -streifen für Patenschaften oder liche Eintragsweg, über den Pestizide in Saum- Spritzdrüsen, desto grö- Zuwendungen anlegen. Blühpaten zahlen in biotope wie Blühflächen gelangen (Swarowski ßer ist die Abdrift von diesem Fall einen bestimmten Betrag pro et al. 2019). Pestiziden in benachbar- te Flächen. Mit zuneh- Quadratmeter. Diese sogenannten Blühpaten- mendem Aufwuchs der schaften sind jedoch kaum flächenrelevant. Werden so kritische Eintragsraten überschritten, Kulturen nimmt die Ab- können Artengemeinschaften in Saumbiotopen drift leicht ab (sichtbar im Außerhalb der KULAP-Förderung gibt es keine geschädigt werden (Swarowski et al. 2019). Die Unterschied zwischen Vorgaben für die zu verwendende Saatgutmi- Abdrift unter Praxisbedingungen ist ein wich- den Anwendungen). Grafik nach Werten eines schung oder die Breite und Größe der Fläche. tiges Kriterium bei der Zulassung von Pflanzen- experimentellen Designs So entstehen angrenzend an Ackerschlägen schutzmitteln, um das Risiko auf angrenzende des Julius Kühn-Instituts zwar bunte, jedoch auch nicht heimische Arten terrestrische Lebensräume zu bewerten. Die (URL 3). enthaltende, schmale Blühstreifen. Für diese Abschwemmung wird nur zur Beurteilung der Nicht-KULAP-Blühstreifen gelten keine geson- Auswirkungen auf Gewässer herangezogen derten Beschränkungen bei der Anwendung (Hötker et al. 2018). von Pestiziden, da sie als Wirtschaftsfläche weitergeführt werden. Auch wenn eine einheit- Ohne Abstand wird der erste Meter überspritzt liche Regelung fehlt, ist jedoch davon auszu- gehen, dass vielfach die Einsicht besteht, ange- Besonders kritisch für Insekten ist der Blühstrei- legte Blühflächen oder -streifen nicht unmit- fenbereich, der direkt an eine Agrarfläche grenzt. telbar mit Pestiziden zu behandeln. Effekte Wenn beim Spritzen kein Abstand eingehalten durch benachbarte PSM-Applikationen sind wird, wird vor allem der erste angrenzende Meter allerdings sehr wahrscheinlich. der Randstrukturen zusätzlich zur Abdrift direkt überspritzt (Schmitz et al. 2013; Brühl et al. 2015; 2. Wie weit werden Pflanzenschutzmittel in Botias et al. 2016; vergleiche Abbildung 2). Der Blühflächen und Saumstrukturen verdriftet? direkte Eintrag kann 50 % der auf dem Feld PSM können insbesondere während der Ausbrin- aufgewendeten Menge betragen. Werden die gung auf Nichtzielflächen abdriften (vergleiche äußeren Düsen der Feldspritze ausgeschaltet Koch et al. 2005). Diese Abdrift des feinen Sprüh- oder durch geeignete Randdüsen ausgetauscht,

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 17 Fluhr-Meyer & Adelmann: Land schafft Vielfalt Blühstreifen und Pestizide

Pflanzenschutzmittel Rechtsmarke Für Dosis [g/ha] Letale Dosis LD50 [ng/Biene] Toxizität im Vergleich zu DDT

DDT Dinocide Insektizid 200,0–600,0 27.000 1,0

Thiaclopride Proteus Insektizid 62,5 12.600 2,1

Acetamiprid Supreme Insektizid 30,0–150,0 7.100 3,8

Methiocarb Mesurol Insektizid 150,0–2.200,0 230 117,0

Carbofurane Curater Insektizid 600,0 160 169,0

λ-Cyhalothrine Karate Insektizid 150,0 38 711,0

Thiamethoxam Cruiser Insektizid 69,0 5 5.400,0

Fipronil Regent Insektizid 50,0 4 6.475,0

Imidacloprid Gaucho Insektizid 75,0 4 7.297,0

Clothianidin Poncho Insektizid 50,0 3 10.000,0

Deltamethrin Decis Insektizid 7,5 3 10.800,0

Tabelle 1 Toxizität verschie- kann dieser Effekt jedoch vermindert werden In Raumkulturen werden Pestizide meist im dener Insektizide (URL 1). Hersteller von Randdüsen gehen so Sprühverfahren (Vernebelung) ausgebracht, auf Honigbienen von einer Minderung des direkten PSM-Eintrags sodass die Abdrift höher ist als bei Flächenkul- im Vergleich zu DDT, dessen Aus- von 50–70 % aus (URL 2). Über die tatsächliche turen (Hötker et al. 2018). bringung 1972 in Anwendungspraxis (Kontrolle im Feld) und Deutschland ver- -häufigkeit der Randdüsen konnten keine Wie stark die Applikationshöhe der Spritzanlage boten wurde Veröffentlichungen gefunden werden. die Abdrift beeinflusst, zeigen Berechnungen (Quelle: verändert des Julius Kühn-Instituts (Abbildung 3, Original- nach Bonmatin Der Eintrag durch Abdrift ist abhängig von [URL 5]). daten unter URL 3). Je höher die Ausbringung vielen Faktoren stattfindet, desto stärker ist die Abdrift. So werden bei einer Kulturhöhe von über 50 cm und einem Die Abdrift von Pestiziden hängt unter anderem entsprechend größeren Abstand der Spritzdüsen ab von der benachbarten Kultur und den dort zum Boden in einer Entfernung von drei Metern angewendeten Pflanzenschutzmitteln, dem noch zirka 8 % der Applikationsmenge nachge- horizontalen Abstand zur behandelten Fläche wiesen. In fünf Metern sind es zirka 3 % und in beim Ausbringen, den eingesetzten Geräten, zehn Metern noch zirka 1 % der Feldaufwand- der Höhe der Applikation, der Fahrgeschwin- menge, also der Menge, welche die Düse verlässt. digkeit, dem Druck der Düsen und den Wetter- Mit zunehmendem Aufwuchs der Kulturpflanzen bedingungen, ganz besonders von der Wind- sinkt die Abdrift (in der Abbildung an der stei- geschwindigkeit während des Spritzens (Hötker genden Anzahl der Anwendungen ablesbar) – et al. 2018). hier wirkt wohl die zunehmende Rauigkeit der heranwachsenden Kulturpflanzen wie eine Generell gilt: Je feiner die Tröpfchen, je höher Barriere. Die Daten vom Julius Kühn-Institut die Spritzanlage und je geringer der Abstand zeigen deutlich, dass bis zu einem Abstand von zu Randflächen, desto höher ist der Eintrag von 50 Metern von der Behandlungsfläche eine PSM in Nichtzielflächen. Es macht zum Beispiel Abdrift in Minimalmengen stattfindet (URL 3). einen Unterschied, ob Flächenkulturen, wie Getreide, Kartoffeln, Rüben, Mais, Raps und Gemüse, Unklar ist leider, welche ökologischen Auswir- behandelt werden oder hochwachsende Raum- kungen 8 % eines x-beliebigen Pestizids haben, kulturen, wie Obst, Wein oder Hopfen (Hötker die auf einem Blühstreifen in 3 Meter Entfernung et al. 2018). Bei Flächenkulturen sind die Düsen ankommen. Das ist selbstverständlich vom zu den Pflanzen und zum Boden hin ausgerichtet. eingesetzten Mittel abhängig. Auch welche

18 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Fluhr-Meyer & Adelmann: Blühstreifen und Pestizide Land schafft Vielfalt

Tabelle 2 Kultur Behandlungshäufigkeit Behandlungsindex Behandlungshäufigkeit und -index wichtiger Zuckerrübe 4,6 3,8 Kulturen in Deutschland in 2018 (URL 9); Index Winterweizen 3,8 4,9 beinhaltet die Anzahl der Mittel durch Ausbrin- gungen von Mischungen. Wintergerste 3,3 4,2

Winterraps 5,6 6,9

Wein 9,6 18,1

Apfel 18,5 26,9 weiteren Präparate dort eventuell vorhanden festgelegt und im Pflanzenschutz-Merkblatt für sind, wird eine Rolle spielen. Leider gibt es nur die Anwender zusammengefasst (URL 6). Bei wenige Studien, welche die Wirksamkeit von vielen Mitteln beträgt etwa der einzuhaltende Pflanzenschutzmitteln in diesen geringen Mengen Abstand zu Randstrukturen 20 Meter. Blühstreifen in Randstrukturen untersuchen (Bundschuh et sind von diesen Vorgaben des Pflanzenschutz- al. 2012; Hahn et al. 2015; Botías & Sánchez-Bayo merkblatts in den meisten Fällen jedoch ausge- 2018). Das Umweltbundesamt bemängelt die nommen: Denn in der Nähe aller Saumstruk- hierzu fehlenden Angaben schon länger und turen, die weniger als 3 m breit sind, sowie in fordert die Einführung von Wirkungsäquivalenten allen Gemeinden mit einem ausreichend hohen bei Pflanzenschutzmitteln, die Präparate nicht Anteil von Saumstrukturen, sogenannte Klein- nach der ausgebrachten Menge, sondern nach strukturen, gelten die Regeln aus dem Pflan- ihrer Wirkungsintensität beurteilen. Denn Insek- zenschutzmerkblatt nicht oder nur teilweise tizide sind heute teilweise bis zu 10.000-fach (Bvl 2019, zitiert in Swarowski et al. 2019). wirksamer (letaler) als DDT und auch schon in geringsten Mengen effektiv (vergleiche Tabelle 1 Hinter der Kleinstrukturregelung steckt die nach URL 4). Um einzelne Mittel wie Fipronil, Überlegung, dass sich die Populationen ein systemisches PSM, ringen seit Jahren Gerichte PSM-geschädigter „Nichtzielarten“ wieder um Verbote. erholen können. Überprüft wurde diese These in der Praxis jedoch nie. Nichtzielarten sind die Politische Forderungen, Pflanzenschutzmittel Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen, gegen um 50 % zu reduzieren, sind zwar ein Schritt in die ein Pflanzenschutzmittel eigentlich nicht die richtige Richtung, sollten jedoch nicht an gerichtet ist. Voraussetzung dafür ist eine der Menge, sondern zwingend an der Wirksam- ausreichende Ausstattung an Saumstrukturen, keit ansetzen. wie Hecken oder Streuobstwiesen, von denen Tiere wieder einwandern können (URL 7). Die Verbreitung von über die Luft verdrifteten Pestiziden kann sehr weit sein. Im Südtiroler Zu den dafür notwendigen Kleinstrukturen Vinschgau hat das Umweltinstitut München zählen neben Hecken oder Streuobstwiesen 2018 Wirkstoffe aus Pestiziden mehrere Kilo- zum Beispiel auch Kleingehölze, nicht genutztes meter von den nächsten Obstplantagen entfernt, Grünland oder Gewässerrandstreifen (URL 7). in 1.600 Höhenmetern in einem Seitental, nach- Anmerkung: Blühstreifen und -flächen sind als gewiesen (Hofmann et al. 2018). Im Vinschgau Kleinstrukturen nicht anerkennungsfähig, da sie gibt es von Mitte März bis Ende August eine nicht dauerhaft bestehend, sondern im Jahres- kontinuierliche Pestizidbelastung von Mensch oder Mehrjahresrhythmus neu angelegt werden. und Umwelt, meist befinden sich mehrere Wirkstoffe in der Luft (Hofmann et al. 2018). Ob eine Agrarlandschaft ausreichend mit Klein- strukturen ausgestattet ist oder nicht, lässt sich 3. Welche Umweltauflagen müssen bei Rand- im Kleinstrukturenverzeichnis des Julius Kühn- strukturen wie Blühstreifen zum Ausbringen Instituts nachlesen (URL 7): Deutschlandweit von Pestiziden eingehalten werden? haben 81 % der dort gelisteten Gemeinden Bei der Neuzulassung von Pestiziden werden und 72,5 % der gelisteten Agrarfläche die erfor- Auflagen und Anwendungsbestimmungen derliche Mindestausstattung an Kleinstrukturen,

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0 2 4 0 Abbildung 4 Geschätzter Eintrag von Pestiziden in Flächen mit Kompen- damit Abstandsregelungen zu Kleinstrukturen auch im Pollen und Nektar von bestäubenden sationsmaßnahmen aus dem Pflanzenschutzmerkblatt nicht zu Insekten nachgewiesen werden, und zwar in im Abstand zur beachten sind (siehe Enzian & Gutsche 2004 in Konzentrationen, die Studien zufolge schon jeweiligen Kultur. Swarowski et al. 2019). Dies ist also eher die unterhalb der letalen Dosis eine schädliche Purpur: MTI > 1,0 Rosa: MTI >/gleich 0,5 Regel als eine Ausnahme. Wirkung auf Insekten haben (EFSA 2018). 0,1 < 0,5 Nach Swarowski et al. (2019) kann es durch die Die Wirkung von Pestiziden auf sogenannte Grün: MTI

20 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Fluhr-Meyer & Adelmann: Blühstreifen und Pestizide Land schafft Vielfalt

Instituts (JKI) wurden Anbauflächen in Deutsch- land beispielsweise 2018 von durchschnittlich „Blühflächen intelligent anlegen, mehr inte- 3- bis 4-mal (Getreide) bis zu 19-mal (Apfel) mit grierter Pflanzenschutz und weniger Pestizide“ Pestiziden behandelt (siehe Tabelle 2, aktuali- Carsten Brühl ist Wissenschaftler am Institut siert nach Swarowski et al. 2019). Im Ackerbau für Umweltwissenschaften an der Universität wurden Kartoffeln (8-mal) am häufigsten gespritzt, Koblenz-Landau. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren gefolgt von Winterraps (zirka 6-mal), Winter- mit den Auswirkungen von Pflanzenschutzmit- weizen (3,8-mal) und Wintergerste (3,3-mal) teln auf Ökosysteme. Als Experte ist er mit den (URL 9). Weiter wichtig: Oft kommen gleich- deutschen und europäischen Zulassungsbe- zeitig mehrere Pflanzenschutzmittel in Mischungen hörden an Entwicklungen in der Risikobewer- zum Einsatz (Swarowski et al. 2019). Dies ist in tung von Pestiziden beteiligt und im Wissen- der Tabelle 2 an den Behandlungsindizes ablesbar. schaftlichen Beirat der Bundesregierung zum Diese berücksichtigen zusätzlich zur Behand- Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen lungshäufigkeit die Zahl der eingesetzten Mittel Anwendung von Pflanzenschutzmitteln tätig. und liegen deshalb oft höher als die Behand- lungshäufigkeit S( warowski et al. 2019). Gerti Fluhr-Meyer: Blühstreifen können für Insekten zur tödlichen Falle werden, wenn beim Spritzen Das Zusammenwirken verschiedener Pflanzen- benachbarter Flächen Pestizide eingetragen werden. schutzmittel auf die Umwelt Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen?

Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln CB: Die Fallenwirkung selbst nachzuweisen, ist wird jeweils nur ein Pestizid bewertet. Dies sehr schwierig. Wir müssten dazu die gesamte verkennt, dass verschiedene Produkte kumu- Population einer Insektenart in einer Landschaft lativ auf Umwelt und Organismen einwirken. über mehrere Jahre betrachten – in einem großen So enthält zum Beispiel Bienen- und Hummel- Umkreis um den Blühstreifen rundherum. Es gibt Pollen von Ackersäumen an Rapsfeldern ein aber Arbeiten zu Blühstreifen, die Insekten zur breites Spektrum von Pestiziden – darunter Schädlingsbekämpfung, sogenannte Nützlinge, Neonikotinoide und Fungizide, die sich in der anlocken sollen: Wenn ich dort ein Insektizid Wirkung ergänzen. Fungizide verursachen bei- einsetze, sind alle Insekten weg. spielsweise bei Hummeln Schädigungen in der Brut, weil Pilze wichtige Nährstoffe für diese GFM: Welche Insektizide sind besonders kritisch? herstellen (David et al. 2016). CB: Momentan wird da sehr auf Neonikotinoide Der sogenannte Margin Treatment Index (MTI) fokussiert, aber generell sind alle Insektizide berücksichtigt Abdrift und verfügbare Informa- kritisch. Durch das Verbot dreier wichtiger tionen zur Anzahl der Pestizidanwendungen Neonikotinoide hat sich kaum etwas geändert. (Brühl et al. 2015). Ein MTI von 1 bedeutet, dass Es sind neue Moleküle dieser Insektizidgruppe über das Jahr die im Feld aufgewendete Pflan- auf dem Markt. Die Hauptgefahr ist nicht vom zenschutzmittelmenge auf der Untersuchungs- Tisch. Die Frage ist allerdings auch, ob Herbi- fläche erreicht wird. Dies ist angrenzend an zide wie zum Beispiel Glyphosat nicht noch Obstplantagen bis zu einem Streifen von 10 Metern schädlicher für Insekten sind. Wenn alle Blüten- der Fall, während der Bereich für Getreide relativ und Wirtspflanzen in einem Acker ausgeräumt gering ist (unter 1 Meter; Hötker et al. 2018). sind, gibt es für Insekten, die Pflanzen fressen, Angrenzend an Obst-, Weinbau- und – in Bayern keine Nahrung und keinen Lebensraum mehr! besonders wichtig – Hopfenflächen, ist die Anlage 35 Prozent der Fläche Deutschlands sind Acker- von Blühstreifen und anderen Naturschutzflä- flächen! Wenn ich dort seit 50 Jahren jedes chen aufgrund der höheren Abdrift und häufi- Jahr ein Insektizid oder Herbizid einsetze, hat geren Pestizidanwendungen daher kritischer das Auswirkungen auf die Insekten. zu bewerten, als beispielsweise an Getreide- und KartoffelflächenH ( ötker et al. 2018, vergleiche GFM: Wie breit sollte ein Blühstreifen mindestens Abbildung 4). sein, damit Insekten eine Chance haben?

CB: Ein Meter bringt gar nichts. Der erste Meter ist verloren, da hat man noch eine Übersprit- zung. Ab einer Breite von sechs bis acht Metern beginnt es für Insekten wirklich interessant zu

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Abbildung 5 Dr. Carsten Brühl (Foto: Sigrid Lohner).

werden. Das zeigen Untersuchungen aus England. sind inzwischen weg. Die Landwirte sind unter Generell gilt für Blühflächen: Möglichst breit und Druck. Sie schauen, dass die Flächen unter drei möglichst groß. Man muss sich auch überlegen: Meter breit sind, damit sie beim Ausbringen Welche Insekten kommen in einem Habitat vor von Pflanzenschutzmitteln keinen Abstand oder könnten vorkommen? Was will ich? Es bringt einhalten müssen. beispielsweise nichts, wenn ich etwas für Wild- bienen mache und ich im kältesten Bereich in GFM: Also keine Abstandsregelungen? den Voralpen bin. Für Wildbienen brauche ich auch keine Sonnenblumen, die im August blühen. CB: Sinnvoll wäre ein Abstand zu staatlich Die sind gut für Honigbienen. Viele Wildbienen geförderten Maßnahmen in jedem Fall. Schließ- sind aber im Frühjahr aktiv. lich handelt es sich um öffentliche Gelder, die hier ausgegeben wurden. Da sollte dann schon GFM: Welche Abstände zu Blühangeboten sollten etwas Positives daraus resultieren. Landwirte beim Spritzen halten? Bedenken sollte man: Bei hohen, sogenannten „Raum“-Kulturen, also zum Beispiel im Apfel- „Blühflächen intelligent und Obstanbau, müssten die aus der Abdrift berechneten Sicherheitsabstände für manche anlegen, mehr integrierter Mittel 20 Meter sein! Ein solcher Abstand ist für die Praxis grundsätzlich problematisch. Dazu Pflanzenschutz und weniger kommt: Auch nach diesen 20 Metern sind viele Pflanzenschutzmittel noch toxisch. Und sie werden Pestizide“ noch viel weiter verdriftet. Entscheidender als Abstandsregelungen wäre, Blühstreifen geschickt CB: Sollten generelle Abstandsregelungen anzulegen. kommen, ist meine Befürchtung, dass beste- hende Drei-Meter-Flächen (Anmerkung: 3 m GFM: Das heißt? breite Flächen) untergepflügt werden. Die Tendenz dazu sieht man schon jetzt. Viele Feldsäume CB: Wenn ich die Hauptwindrichtung – meistens aus unseren Untersuchungen vor zehn Jahren Westwind – kenne, ist davon auszugehen, dass

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es keine großartigen Drifteinträge gibt, wenn Wir müssen den Einsatz von Pestiziden in der ich das Blühangebot auf der windabgewandten Landwirtschaft erheblich herabsetzen. Das Seite habe. Darauf könnte man sich ja einigen. sollte ein Ziel sein, mit dem sich Landwirte positiv identifizieren können. Es geht auch um GFM: Ist das realistisch? ihre Zukunft! Die Kinder von Landwirten wollen weitermachen. Im Moment ist das schwierig. CB: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Land- Man muss den Landwirten zusagen: Das kriegt wirte ein großes Interesse haben, möglichst ihr hin. Da wird sich die Gesellschaft beteiligen. viele Insekten und Frösche zu töten. Man muss zusammen an einer Lösung arbeiten. Das passiert Das Interview führte Gerti Fluhr-Meyer. aber nicht. Der Landwirt wird in die Enge gedrängt, auch durch die eigenen Verbandsspitzen, die die Situation dramatisieren. Angeblich wird gesagt, der Landwirt sei als Giftspritzer Schuld 5. Fazit für die Praxis und politische am Artenrückgang. Das behauptet die Wissen- Weichenstellung schaft aber auf gar keinen Fall. Der Bauernver- Die für einen großen Teil der landwirtschaftli- bandssprecher erklärt, dass alles so weitergehen chen Fläche in Deutschland geltende Ausnahme, müsse wie bisher. Auch das kann auf gar keinen dass bestimmte Umweltauflagen zur Pestizid- Fall sein! Man muss leider ganz klar sagen: Wenn ausbringung in Gemeinden mit ausreichend man jetzt meint, man tue mit einem ein Meter Kleinstrukturen nicht gelten, sollte sehr kritisch breiten Blühstreifen mit Sonnenblumen irgend- überdacht werden. etwas für Insekten, ist das ein Witz. Das ist nur ein bisschen Schönreden, wenn die Insekten- Ein direktes Überspritzen der Blühstreifen/-flächen biomasse in Deutschland tatsächlich in der sollte trotz der fehlenden Verpflichtung sowohl Fläche in den letzten 30 Jahren um 80 Prozent aus ökologischer, als auch aus ökonomischer zurückgegangen ist. Dann muss man jetzt Sicht immer unterbleiben. Bislang geschieht massiv ran. dies vermutlich freiwillig. Kontrollierbar ist es jedoch nicht. GFM: Das heißt? Durch die diffusen Randwirkungen (übersprühter CB: Das Wichtigste wäre, Pestizide nur noch Randbereich und Abdrift) in Kombination mit dann anzuwenden, wenn man sie tatsächlich einer stetig steigenden Wirksamkeit der Mittel, braucht. Das war in den 1980er-Jahren der sind Abstände zwingend einzuführen und zu Ansatz des integrierten Pflanzenschutzes. kontrollieren. Im „Aktionsprogramm Insekten- Wenn es Schaderreger gibt, muss man versu- vielfalt“ des Bundes sind Vorschläge enthalten, chen, sie anders zu regulieren – zum Beispiel, um in ökologisch schutzbedürftigen Bereichen indem man Nützlinge, wie Marienkäfer, durch (Naturschutzgebieten, geschützte Biotopen, die Anlage geeigneter Strukturen wie Blühstreifen Natura 2000-Gebieten und so weiter) bestimmte fördert. Entscheidend wird aber vor allem sein, PSM zu verbieten. Auch sollen sogenannte Refu- ob es große, zusammenhängende Flächen gialräume vor bestimmten PSM geschützt werden, ohne Pestizideinträge in der Landschaft gibt. welche auch in die Kulturflächen hineinreichen Brachen sollten gefördert werden und man muss (hierzu BMU 2019 in URL 10). Blühflächen fehlen sich auch darüber Gedanken machen, ob man in dieser Betrachtung noch völlig und sind zu deren Anteil nicht auf 20 oder 30 Prozent der ergänzen. In dem Zuge erscheint es sinnvoll, Agrarfläche hochfährt. Zumindest für ein paar die Förderung der ökologischen Landwirtschaft Jahre, um zu sehen, ob die Insekten darauf besonders bei angrenzenden Naturschutzflächen reagieren. Uns muss auch bewusst sein, dass stärker voranzutreiben. der Handlungsspielraum zeitlich sehr begrenzt ist: Wenn 80 Prozent der Biomasse in 30 Jahren Es sollte selbstverständlich sein, dass zumindest verloren gegangen sind, können wir nicht nochmal die in der Risikobewertung von Pestiziden 10 oder 20 Jahre warten, bis die Landwirtschaft ermittelten kritischen Schwellen nicht über- entsprechend reagiert! Und je länger wir damit schritten werden. Dafür wären jedoch beim warten, desto aufwendiger und kosteninten- Spritzen bei einer Vielzahl von Pestiziden Sicher- siver wird die Umstellung! heitsabstände von 20 Metern und mehr notwendig. Wünschenswert wäre es jedoch, für Blühflächen – nach PSM-Mitteln definiert – die gleichen

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Abstände gelten zu lassen, wie für naturschutz- Außerdem sollte betrachtet werden, welche empfindliche Flächen (zum Beispiel Oberflächen- Effekte PSM auf der Agrarfläche selbst auf gewässer). Dies stellt für die Kombination von Nichtzielarten haben und wie sich diese auf kleinräumig strukturierter Landschaft und deren Populationen auswirken. Allgemein gilt konventioneller landwirtschaftlicher Praxis eine es, den PSM-Eintrag, vor allem hinsichtlich der besondere Herausforderung dar. Hier gilt es, Wirkungsäquivalente auf Agrarflächen, deutlich zusammen mit den Landwirten ökologisch zu reduzieren. sinnvolle und praktikable Lösungen zu finden. Das heißt zum Beispiel die Blühstreifen/-flächen Insgesamt besteht aus unserer Sicht somit ein nicht in der Hauptwindrichtung weg vom Feld großer Forschungsbedarf. Notwendig sind Unter- zu planen und optimalerweise anstelle von suchungen, Erhebungen und Experimente zu Blühstreifen vollständige Feldstücke als Blühflä- folgenden Fragestellungen: chen einzubeziehen. Werden Pestizide ausge- bracht, ist der Einsatz von Randdüsen und Abdrift A. Einführung von Wirkungsäquivalenten bei mindernder Technik an der direkten Grenze zu PSM; Vorschlag: Was wären sinnvolle Wirkungs- Blühangeboten grundsätzlich notwendig. Zumin- äquivalente für Pflanzenschutzmittel? dest sollte der Randdüseneinsatz bei der Förde- rung (KULAP) vorgeschrieben werden. B. Wie sieht die gängige Praxis beim Ausbringen von Pestiziden innerhalb und außerhalb der Prinzipiell gilt für Blühangebote: Je breiter, Kleinstrukturregelung aus? desto besser. Das absolute Minimum erscheint aus naturschutzfachlicher Sicht eine Breite ab C. Welche Abstände zu Blühflächen/anderen sechs (vergleiche Wix et al. 2018), besser ab neun ökologisch wirksamen Randstrukturen sind beim Metern. Je höher die Kultur, desto breiter sollte Ausbringen von Pestiziden sinnvoll? Experimen- die Blühfläche sein. Dies fördert zumindest die telle Ansätze zu Abständen von PSM und wirk- Generalisten unter den Insekten, welche sich in samen Randstrukturen. der modernen Landwirtschaft noch halten können. Für Spezialisten werden Blühstreifen D. Wie breit sollte ein Blühstreifen sein, damit er und -flächen auch dann uninteressant bleiben für Insekten wirksam ist? Beurteilung der Blühflä- (vergleiche Dietzel et al. 2019). Blühstreifen alleine chenbreiten zur Definition von Mindestgrößen. sind damit kein Mittel, das Artensterben in der Agrarlandschaft aufzuhalten. Klar muss sein: Forschung und die Anlage von Blühstreifen und -flächen alleine genügen nicht. Eine Idee wäre es, zwischen Ackerflächen und Grundsätzlich sollten alle Anstrengungen Blühstreifen zusätzliche Pufferflächen (erwei- unternommen werden, den Pestizideinsatz in terte Biodiversitätsflächen) zu schalten (vergleiche der Landwirtschaft zu reduzieren. Swarowski et al. 2019; BMU 2019 in URL 10). Grundsätzlich wünschenswert ist, Brachflä- chenanteile in der Landschaft zu erhöhen.

Eine Änderung der Zulassung von Pflanzen- schutzmitteln erscheint zwingend nötig:

Es ist nicht nur der Effekt einzelner Mittel zu betrachten, sondern auch ihre Wirkung in Kombination mit anderen Präparaten. Solche Wechselwirkungen werden bislang nicht berücksichtigt, obwohl meist mehrere PSM gleichzeitig zum Einsatz kommen.

Auch indirekte PSM-Effekte, wie die Auswirkungen fehlender Futterpflanzen auf Insekten und Vögel, sollten in die ökologische Beurteilung einfließen.

24 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Fluhr-Meyer & Adelmann: Blühstreifen und Pestizide Land schafft Vielfalt

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Dr. Wolfram Adelmann, Jahrgang 1974. Studium der Biologie und Geografie in Düssel- dorf und Marburg, Promotion und Wissen- schaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität München von 2001 bis 2009. Im Anschluss Wissenschaftler an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft und seit 2012 an der ANL im Fachbereich Angewandte Forschung und internationale Zusammenarbeit beschäftigt. Zitiervorschlag Bayerische Akademie für Fluhr-Meyer, G. & Adelmann, W. (2020): Blühstreifen Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) und Pestizide – Falle oder Lebensraum? – +49 8682 8963-55 ANLiegen Natur 42(2): 15–26, Laufen; [email protected] www.anl.bayern.de/publikationen.

26 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Das Murnauer Moos im Michael Succow bayerischen Alpenvor- raum ist eine der beein- Biosphärenreservate in Bayern – Mut zu mehr druckendsten und viel- fältigsten Moorland- schaften Deutschlands. Sie könnte eine wich- Das bayerische Alpenvorland ist bislang überwiegend von einer agrarindustriellen Landnut- tige Kern- und Pflege- zung verschont worden. Hierdurch ist diese historisch gewachsene Kulturlandschaft noch als zone eines Biosphären- eine Einheit aus Nützlichkeit, Lebensfülle und Schönheit erlebbar. Um die Funktionstüchtig- reservates bilden (alle keit und regionale Wirtschaftskreisläufe dieses Naturraumes in die Zukunft zu führen, hat sich Fotos: Michael Succow). weltweit die Umsetzung des UNESCO-Konzeptes „Men and the biosphere (MAB)“ bewährt: Ideen für ein weiteres Biosphärenreservat in Bayern werden vorgestellt.

Das UNESCO-Programm „Man and the Biosphärenreservate (World Network of Biosphere Biosphere (MAB)” Reserves [WNBR]) eingeführt. Die Sevilla-Strategie Das MAB-Programm wurde zunächst als inter- erarbeitete hierfür internationale Leitlinien mit disziplinäres Wissenschaftsprogramm der UNESCO vier Leitzielen: 1970 ins Leben gerufen. Es war das erste inter- national ausgerichtete Umweltprogramm, das • Biosphärenreservate als Modellregionen zum der Erforschung der Mensch-Umwelt-Beziehungen Erhalt der natürlichen Artenvielfalt und der dienen sollte. kulturellen Vielfalt

Auf dem zweiten Weltkongress der Biosphären- • Biosphärenreservate als Modellregionen für reservate in Sevilla 1995, wurde das Weltnetz der eine nachhaltige Landbewirtschaftung

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 27 Succow: Land schafft Vielfalt Biosphärenreservate in Bayern

Abbildung 2 Das Alpenvorland • Nutzung der Biosphärenreservate für Forschung, Biosphärenreservate in Bayern bietet ein einzigar- Umweltmonitoring, ökologische Bildung und Mit der deutschen Wiedervereinigung und auf tiges Mosaik ver- schiedenster Lebens- Ausbildung Anregung des damaligen Bundesumweltministers räume – hier eine Klaus Töpfer wurde vorgeschlagen, die damals extensiv genutzte • Umsetzung des Konzepts durch die vermehrte bestehenden Nationalparke der alten Bundes- Orchideenwiese ent- Ausweisung von Biosphärenreservaten länder gleichzeitig zu Biosphärenreservaten zu lang der Loisach. führen. Die Idee war dabei, die bestehenden Aktuell gibt es weltweit 701 Biosphärenreservate Nationalparke mit einer Trägerregion als Biosphären- in 124 Ländern. reservat zu umgeben. In der Region Bayerischer Wald lehnten weite Teile der Bevölkerung das Die Umsetzung des MAB-Programms ab („Ein Nationalpark reicht uns!“), sodass dieses in Deutschland Vorhaben scheiterte. In Berchtesgaden wurde Gegenwärtig existieren in Deutschland 17 Biosphä- eine Region im Vorland des Nationalparkes als renreservate mit UNESCO-Zertifizierung. Dabei Biosphärenreservat vorgeschlagen, durch das ist anzumerken, dass die Deutsche Demokratische zuständige deutsche MAB-Nationalkomitee Republik (DDR) bereits Ende der 1970er-Jahre befürwortet und 1990 von der UNESCO anerkannt. dieses Programm aufgriff. Und so entstanden 1979, 2010 wurde die Biosphärenregion um weitere vor nunmehr über 40 Jahren, die ersten zwei Gemeinden erweitert und umfasst aktuell den deutschen, von der UNESO anerkannten, Biosphä- gesamten Landkreis Berchtesgadener Land. renreservate: Mittlere Elbe im Raum Dessau und Vessertal im Thüringer Wald. In der Endphase der Eine Erfolgsgeschichte ist das Biosphärenreservat DDR konnten mit dem sogenannten „National- Rhön. Ausgangspunkt dafür war das mit dem parkprogramm“ neben fünf Nationalparken auch Nationalparkprogramm der DDR in der letzten vier weitere Biosphärenreservate in den Einigungs- Regierungssitzung festgesetzte Biosphärenreservat vertrag eingebracht werden sowie die beiden Thüringische Rhön. Die Idee, die gesamte Rhön bestehenden Biosphärenreservate wesentlich wieder als einen Landschaftsraum durch ein erweitert werden. Biosphärenreservat zusammenzuführen, faszinierte

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große Teile der Anwohner in Hessen und Bayern. dazu bei, in vielen weiteren Ländern dieser Erde So wurde in Erweiterung der thüringischen Rhön UNESCO-Biosphärenreservate festzusetzen. schon 1990 neben Hessen auch im bayerischen Teil eine Zusammenführung zu einem Biosphä- Persönliche Gedanken zu einem neuen renreservat Rhön erarbeitet und 1991 von der UNESCO-Biosphärenreservat Bayerisches UNESCO anerkannt. Eine Kernzone im bayerischen Alpenvorland Teil der Rhön war schon seit Beginn das Natur- Dieses gelungene Modell Rhön war für mich schutzgebiet Schwarzes Moor, eines der beein- Anlass, über weitere Biosphärenregionen in Bayern druckendensten Regenmoore in Mittelgebirgen. nachzudenken. Denn das Potenzial dieses Bundes- landes ist sehr geeignet, um wenigstens eine Mit Beginn der Jahrhundertwende begannen weitere Modellregion in das deutsche Netzwerk Diskussionen, die Flächen in Bayern deutlich zu einzubringen! Gegenwärtig laufen vor allem in erweitern. 2014 wurde die Erweiterung des baye- den alten Bundesländern mehrere Initiativen, rischen Teils auf 129.585 ha beschlossen. Eines neue Biosphärenreservate zu schaffen und ich der „härtesten“ Kriterien wurde erfüllt: Der gefor- empfehle sehr, dass das große Bayern nicht zu derte Flächenanteil von mindestens 3 % als Kern- lange zögern sollte – „denn wer zu spät kommt, zone, also ein nutzungsfrei zu erhaltender Raum, den bestraft das Leben…“. Denn 20 bis maximal und das sind in der Regel Waldstandorte. Mich 25 Biosphärenreservate dürften die obere Grenze beeindruckte damals sehr, dass alle Kommunen darstellen. Mit dem Biosphärenreservat Schorf- bereit waren, ihren öffentlichen Waldbesitz hierfür heide-Chorin (Brandenburg) ist eine Modellregion zur Verfügung zu stellen! Auch Staatswaldflächen in der Jungmoränenlandschaft Nordostdeutsch- wurden aus dem regulären Betrieb genommen lands bereits ausgewiesen. Es fehlt aber ein und Entschädigungen für den Nutzungsverzicht Pendant im Süden. gezahlt. Heute ist das Biosphärenreservat Rhön eines der gelungensten Biosphärenreservate Argumente, die dafürsprechen: Deutschlands und noch dazu als bundesländer- übergreifende Landschaftseinheit. Zahlreiche • Die Jungmoränenlandschaft des Bayerischen Exkursionen mit Gästen aus aller Welt konnte Alpenvorlandes weist innerhalb Deutschlands ich in den letzten 30 Jahren in die Rhön führen einen der besterhaltenen Naturräume auf und und das dort Gesehene und Erlebte trug mit hat damit ein großes Zukunftspotenzial.

Abbildung 3 Die Osterseen südlich vom Starnberger See zählen zu den attrak- tivsten Erholungsland- schaften.

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Abbildung 4 Blick von den Moor- • Es ist eine historisch gewachsene, noch immer • Die Grundwasserspeisung erfolgt aus einem wiesen auf das Kloster in großen Teilen harmonische Kulturlandschaft Kalkgebirge mit ständiger Basenanreicherung Benediktbeuern. Touristisch ist das mit einem noch immer existierenden Bauerntum und Mineralstoffzufuhr. Alpenvorland bereits mit Naturverbundenheit und darin verankerter bestens erschlossen. Kultur. • Die Kleinräumigkeit der Jungmoränenland- Erlebbare Naturvielfalt schaft begünstigt noch immer vielfältige wird hier zum wich- • Noch gibt es hier intakte Senkensysteme mit Landschaftsstrukturen. tigsten Schutzgut eines möglichen Bio- ihrer Filter- und Speicherfunktion: nährstoffarme sphärenreservates. Seen, lebende Moore und saubere Fließgewässer. • Ökosysteme, Tiere und Pflanzen mit kühlen (borealen) Lebensansprüchen können hier in • Noch dominieren zumindest ab der mittleren höhere Lagen „hochwandern“. Höhenlage Landschaften, die nicht überversorgt mit Nährstoffen sind und damit einer Vielzahl • Noch gibt es kaum eine Überprägung der von Blumen, Insekten und Vögeln Lebensraum Landschaft durch Windkraftanlagen. Zumindest bieten. in den höheren Lagen hat der großflächige Maisanbau noch nicht stattgefunden. • Diese Kulturlandschaft ist an ihrem Gebirgs- rand eingerahmt von meist noch naturnahen • Die bayerischen Streuwiesenprogramme erhalten Wäldern mit ihren ökologischen Funktionen. noch immer beispielhaft für Deutschland Blumenwiesen in ihrer Schönheit und Vielfalt. • Trotz Klimawandels ist die Region des nördli- chen Alpenrandes auch zukünftig durch hohe • All das ist verbunden mit einer starken Heimat- Niederschläge geprägt, dürfte so durch den verbundenheit, Spiritualität und immer noch Klimawandel in seiner Stabilität weniger betroffen beeindruckender Gemeinwohlorientierung. werden. • Die Erzeugung hochwertiger regionaler Produkte, ihre Vermarktung im Verbund mit

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Was zeichnet Biosphärenreservate aus? Neben dem Schutz der Biosphäre steht die Erprobung nachhaltiger Lebens- und Wirt- schaftsweisen im Vordergrund, für die das Biosphärenreservat modellhaft wirken soll.

Ziele sind: • Entwicklung einer standortgerechten nachhaltigen Landnutzung mit Modellcharakter

• Schutz/aktive Restauration von natürlichen Lebensräumen und Erhalt der Biodiversität

• Bildung, Forschung und Erholung

Die Einrichtung von Biosphärenreservaten ist in Deutschland im BNatSchG (§25 Absatz 1) geregelt, für eine Anerkennung durch die UNESCO sind darüber hinaus weitere Kriterien bindend. Biosphärenreservate sind „einheitlich zu schützende und zu entwickelnde Gebiete, die

1. großräumig und für bestimmte Landschaftstypen charakteristisch sind,

2. in wesentlichen Teilen ihres Gebietes die Voraussetzungen eines Naturschutzgebiets, im Übrigen weitgehend eines Landschaftsschutzgebiets erfüllen,

3. vornehmlich der Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung einer durch vielfäl- tige Nutzung geprägten Landschaft mit ihrer historisch gewachsenen Arten- und Biotopvielfalt, einschließlich Wild- und früherer Kulturformen wirtschaftlich genutzter oder nutzbarer Tier- und Pflanzenarten, dienen und

4. b eispielhaft der Entwicklung und Erprobung von den Naturgütern besonders schonenden Wirtschaftsweisen dienen.“

Repräsentativität: Das Biosphärenreservat muss Landschaften und Lebensräume umfassen, die bislang nicht ausreichend repräsentiert werden und die aufgrund ihrer natur- und kulturräumlichen wie auch gesellschaftlichen Gegebenheiten in besonderer Weise geeignet sind, das MAB-Programm der UNESCO umzusetzen und international zu repräsentieren (MAB 2007).

Flächengröße und Abgrenzung: Mindestens 30.000 ha, maximal 150.000 ha (Länderübergreifende dürfen größer sein) (MAB 2007)

Zonierung: Das Biosphärenreservat muss in eine Kernzone (mindestens 3 % der Gesamtfläche), eine Pflegezone (mindestens 10 %) und eine Entwicklungszone (mindestens 50%) gegliedert sein. Kernzone und Pflegezone müssen zusammen mindestens 20 % der Gesamtfläche betragen. Die Kernzone soll von der Pflegezone umgegeben sein (MAB 2007).

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einem noch vorhandenen Handwerk ist ein keit, das Bundesland Bayern kennenzulernen, wichtiger Wirtschaftsfaktor. seine Landschaften, seine Menschen, die noch erhaltene bäuerliche traditionelle Wirtschafts- • Beste Voraussetzungen für einen heimatge- weise und auch die noch vorhandene Lebens- bundenen, naturorientierten Tourismus. Eine fülle an Pflanzen und Tieren. Ursprünglich hatte intakte harmonische Kulturlandschaft ist Sehn- ich als Biosphärenreservat an die Region des suchtsort für Menschen aus den Stadtkulturen. Allgäus gedacht, es hat aber im letzten Jahr- zehnt durch Intensivierung der Landnutzung, • Wir brauchen drängender denn je Beispiel- vor allem den unsäglichen Maisanbau und die regionen für gelebte Nachhaltigkeit – und da Ausweitung der Güllewirtschaft, deutlich bezüg- sind Biosphärenreservate das weltweit beste lich des Naturkapitals gelitten. In den Kreisen Instrument. Garmisch-Partenkirchen und Bad Tölz fand ich noch in stärkerem Maße großräumig unverdor- Schlussgedanken bene Landschaften mit wachsenden Mooren, Damit sich Biosphärenreservate erfolgreich klaren Seen, sauberen Fließgewässern sowie entfalten, ist es nach weltweiten Erfahrungen blumenreichen Wiesen und Weidelandschaften immer wieder entscheidend, dass die in einer – kurz Naturräume mit Nützlichkeit, Vielfalt und Region lebenden und arbeitenden Menschen Schönheit. Auch im weiter östlich anschließenden von der Idee beseelt sind, ihre Region „enkel- Alpenvorland fand ich immer wieder historisch tauglich“ in die Zukunft zu führen. Biosphären- gewachsene harmonische Kulturlandschaften. reservate müssen sich „von unten“ entwickeln. Ich wünsche mir, dass Menschen in tiefer Verbun- Heimatverbundenheit ist dabei eine wichtige denheit zu ihrer Heimat, mit Herz und Verstand Triebkraft, ebenso wie der Wunsch nach einer die Initiative ergreifen, hier eine weitere Biosphären- nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung. Der Raum region für Deutschland zu schaffen – ich bin gern des bayerischen Alpenvorlandes verdient es in bereit, hierbei mitzuhelfen. ausgewählten Teilen, diese internationale Zerti- fizierung zu erhalten. In den letzten drei Jahr- Literatur zehnten hatte ich immer wieder die Möglich- MAB (2007): Deutsches Nationalkomitee für das UNESCO-Programm „Der Mensch und die Biosphäre“ (MAB): Kriterien für die Anerkennung und Über- prüfung von Biosphärenreservaten der UNESCO in Autor Deutschland.

Prof. em. Dr. Michael Succow, Jahrgang 1941.

Studium und Promotion im Fach Biologie an der Universität in Greifswald, 1981 Habilitation. 1987 Ernennung zum Professor an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, entwickelte 1990 maßgeblich das Nationalparkprogramm als stellvertretender Umweltminister der Modrow- Regierung der DDR, 1992 Berufung zum Univer- sitätsprofessor an die Universität Greifswald, Direktor des Botanischen Institutes und des Bota- nischen Gartens. 1997 Verleihung des Alterna- tiven Nobelpreises der Right Livelihood Award Foundation in Stockholm, 1999 Gründung der Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur, 2006 Emeritierung, von 1992 bis 2018 Mitglied des deutschen MAB-Nationalkomitees, Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienst- ordens der Bundesrepublik Deutschland. Zitiervorschlag Succow, M. (2020): Biosphärenreservate in Bayern – Michael Succow Stiftung Mut zu mehr. – ANLiegen Natur 42(2): 27–33, [email protected] Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen.

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Abbildung 1 Boris Mittermeier Totholzreicher Buchen- Tannen-Altbestand im FFH-Gebiet Rohrachschlucht Das FFH-Gebiet Rohrachschlucht – ein (Foto: Boris Mittermeier). Allgäuer Schatzkästchen für Europas Naturerbe

Innerhalb des bayerischen Natura 2000-Netzes ist die Rohrachschlucht im Landkreis Lindau mit 170 Hektar Größe ein eher kleines Flora-Fauna-Habitat (kurz: FFH)-Gebiet. In der kleinstruktu- rierten, bäuerlich geprägten Landschaft des südwestlichen Allgäus nimmt sie mit ihren struktur- reichen Tannen- und Plenterwäldern sowie zahlreichen seltenen Artvorkommen dennoch eine herausragende Stellung ein. Um diese auch künftig zu erhalten, werden die Grundbesitzer durch die Forstverwaltung sowie die Gebietsbetreuung vor Ort intensiv beraten. Der überaus starke Zugriff auf ökologische Förderprogramme wie dem Vertragsnaturschutzprogramm Wald (VNP Wald) zeigt beispielhaft den Nutzen einer intensiven Betreuung der Eigentümer in kleinbäuer- lich geprägten, überwiegend forstlich genutzten Schutzgebieten. Verbunden mit dem Ankauf besonders wertvoller Trittsteinflächen durch Verbände und Gebietskörperschaften ist so ein wertvolles Mosaik aus naturnah bewirtschafteten und ungenutzten Flächen entstanden, das als Beispiel für den Ausgleich aller Waldfunktionen dienen kann.

1. Nutzungsgeschichte und Besitzstruktur Einzelbäume in Höhe des Holzzuwachses regel- Die umfangreichen Waldflächen wurden bereits mäßig entnommen werden und die auch heute seit Jahrhunderten im Sinne der kleinbäuerlichen noch eine wesentliche Ursache für die hohen Plenterung bewirtschaftet – einer für den Bregenzer Weißtannen- und Altholzanteile des Gebietes Wald ganz typischen Nutzungsform, bei der starke darstellt (Köstler 1956).

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 33 mittermeier: Land schafft Vielfalt Rohrachschlucht

Naturräumliche Grundlagen

Abbildung 2 Lage des FFH- und

Naturschutzgebietes v—ge2und2e˜grenzung2des2qe˜ietes Rohrachschlucht sowie des im Jahr 2018 aus- pprEqe˜iet2und2x—turs™hutzge˜iet2‚ohr—™hs™hlu™ht

gewiesenen, gleichna- x—turw—ldreserv—t2‚ohr—™hs™hlu™ht2@IHDT2h—A migen Naturwaldreser- vates im südwestlichen Bereich des Land- kreises Lindau an der Landesgrenze zu Vorarl- berg (Geobasisdaten: Bayerische Vermes- sungsverwaltung, Fachdaten: Bayerisches StMELF).

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Sogar den meisten Allgäu-Kennern ist „Rohrach“ allenfalls von der gleichnamigen Straße her bekannt. Die angrenzende Rohrachschlucht dagegen ist, mit Ausnahme der touristisch ausgebauten Scheidegger Wasserfälle, aufgrund ihrer extremen Topo- grafie kaum erschlossen und noch weitgehend unbeeinträchtigt. Unmittelbar an der Grenze zu Vorarlberg im vorderen Bregenzer Wald gelegen, ist die zu über 90 % bewaldete Rohrachschlucht daher bis heute ein herausragendes Beispiel einer völlig unverbauten, voralpinen Bachschlucht und ihrer typischen Lebensgemeinschaften.

Gebietscharakteristik Gebietsgröße: 170 Hektar

Geologie: Nagelfluh-Gestein der Oberen Süßwassermolasse (labiles Gestein mit überaus hoher Standortsdynamik), tief eingeschnittener Bach-Canyon

Klima: Präalpide Staulage des Alpennordrandes mit 1.400–1.700 mm Niederschlag und 7–9 Grad Durchschnittstemperatur

Potenziell natürliche Vegetation (hpnV): Auf Normalstandorten Waldmeister-Tannen- Buchenwald (Asperulo-Fagetum), in feuchten Bereichen krautreiche Tannenwälder (Galio- und Pyrolo-Abietetum) – klimatisches Optimum der Weißtanne. Zahlreiche Sonder- standorte mit Orchideen-Kalkbuchenwald (Carici-Fagetum), eschenreichem Schluchtwald (Adoxo-Aceretum) und Winkelseggen-Erlen-Eschenwald (Carici remotae-Fraxinetum)

Aktuelle Vegetation: Entspricht in hohem Maße der heutigen potenziell natürlichen Vegetation – hohe Naturnähe infolge extensiver Bewirtschaftung

Schutzstatus: FFH-Gebiet, Naturschutzgebiet (seit 1992), Naturwaldreservat (seit 2018 auf 10,6 Hektar im Nordosten), Geotop (Scheidegger Wasserfälle), zahlreiche gesetzlich geschützte Biotope nach § 30 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)

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Abbildung 3 Brennholznot sowie Reparationshiebe nach zudem vom Bayerischen Landesamt für Umwelt 200-jähriger, urwaldähn- Ende des zweiten Weltkriegs führten aber auch als Geotop erfasst. licher Tannenbestand und im Scheidegger Gebiet zu großflächigen Abhol- tannenreicher Plenterwald zungen. Dass die Rohrachschlucht hiervon größ- Durch beträchtliche Flächenankäufe von Seiten in der Rohrachschlucht tenteils unbeeinflusst blieb, lag wohl vor allem des BUND Naturschutz bereits in den 1970er- (Fotos: Boris Mittermeier). an ihrer Unzugänglichkeit. Dafür galt die Schlucht Jahren gelang es schließlich 2018, auch auf deut- in diesen Zeiten als berüchtigte Schmugglerroute scher Seite ein 10,6 Hektar großes Waldgrund- zwischen Österreich und Bayern. stück an der Südflanke der Schlucht als Naturwald- reservat „Rohrachschlucht“ auszuweisen. Es ist Typisch für das kleinbäuerlich geprägte Westallgäu somit das 165. Naturwaldreservat in Bayern, das sind der hohe Anteil an Kleinprivatwald sowie das erste im Landkreis Lindau und umfasst ein für das Fehlen von Staatswaldflächen. Seit einigen Jahren Gebiet repräsentatives Mosaik aus Buchenmisch-, kommt es vermehrt zu Ankäufen ökologisch Schlucht- und Quellrinnenwäldern. wertvoller Grundstücke durch Naturschutzver- bände, Landkreis oder Kommunen, die teilweise Neben diesen offiziellen Schutzkategorien als ökologische Ausgleichsflächen dienen sollen. fallen wesentliche Flächen des Gebietes in So stehen aktuell 39,5 Hektar (23 % des Gebietes) die Kategorie der „gesetzlich geschützten im Eigentum von Gebietskörperschaften oder Biotope“ nach § 30 BNatSchG. Naturschutzverbänden, die restlichen Flächen sind in zumeist kleinbäuerlichem Privatbesitz. In der Waldfunktionskarte für den Landkreis Lindau ist nahezu die gesamte Waldfläche des Durch die verbesserten technischen Möglich- Gebietes mit besonderer Bedeutung für den keiten der Holznutzung durch Seilbahnbringung Bodenschutz ausgewiesen. Fast ebenso großen sind in den letzten Jahren auch in steilen Lagen Flächen – besonders im östlichen Teil – wurde der Rohrachschlucht einzelne größere Hiebe eine besondere Bedeutung als Lebensraum durchgeführt worden. Auf den dadurch entstan- beziehungsweise für das Landschaftsbild zuge- denen, stark aufgelichteten Flächen wird die wiesen. Im Arten- und Biotopschutzprogramm Naturverjüngung der Baumarten durch den (ABSP) für den Landkreis Lindau ist die Rohrach- starken Aufwuchs von Brombeere teilweise schlucht als landesweit bedeutsam ausgewiesen. deutlich erschwert. 3. Ergebnisse der FFH-Kartierung 2. Schutzstatus und Waldfunktionen Die 2014/15 durchgeführte FFH-Kartierung Bereits 1992 wurde die einzigartige Bachschlucht erbrachte vor allem bei den Wald-Lebensraum- als Naturschutzgebiet ausgewiesen, im Jahr 2000 typen gute (B+) bis hervorragende (A) Erhal- erfolgte deckungsgleich die Meldung als FFH-Ge- tungszustände, die besonders auf äußerst biet. Auf österreichischer Seite wurden die direkt naturnahe Habitatstrukturen zurückzuführen angrenzenden Teile der Schlucht ebenfalls 1992 sind. So werden bei den auf fast ¾ der Gebiets- auf knapp 50 Hektar Größe als Naturwaldreservat fläche stockenden Leitgesellschaften Wald- ausgewiesen, in dem seit dieser Zeit keinerlei meister-Buchenwälder (9131) und Krautreiche forstliche Nutzung mehr stattfindet G( rabherr et Tannenwälder (9134) jeweils über 60 % von al. 1999). Die den östlichen Eingang der Schlucht ökologisch wertvollen (weil reifen) Verjüngungs-, markierenden Scheidegger Wasserfälle wurden Plenter- oder Altersstadien eingenommen.

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Tabelle 1 EU-Code FFH-Lebensraumtyp Fläche/ha Erhaltungs- Gemeldete FFH-Lebensraum- zustand typen und deren Erhaltungszu- 3220 Alpine Flüsse mit krautiger Ufervegetation 1,9 C stände. 6410 Pfeifengraswiesen 0,2 B

6430 Feuchte Hochstaudenfluren 0,4 C

7220* Kalktuffquellen 0,1 C

8120 Kalk- und Kalkschieferschutthalden 10,3 B

8210 Kalkfelsen mit Felsspaltenvegetation 1,6 B

9131 Waldmeister-Buchenwald 52,6 B+

9134 Krautreiche Tannenwälder 69,5 A-

9150 Orchideen-Kalk-Buchenwald 7,6 B+

9180* Schlucht- und Hangmischwälder 13,1 A-

91E3* Winkelseggen-Erlen-Eschenwald 5,8 B+

Summe gemeldeter LRT (ha) 163,1

Hohe Vorräte besonders an stehendem und Jahren nicht mehr bewirtschaftet und konnte stärker dimensioniertem Totholz (Gesamtvor- mittlerweile durch den Landkreis Lindau mit räte zwischen 45 und 75 m3/ha) sowie mehr- dem Ziel angekauft werden, ihn langfristig für schichtige Waldstrukturen auf mehr als 2/3 der den Naturschutz zu sichern. Fläche tragen ebenfalls zu den hervorragenden Erhaltungszuständen bei. Der mit 31 % (LRT 9131) Die auf den extrem steilen, flachgründigen beziehungsweise sogar 42 % (LRT 9134) überaus Südflanken der Schlucht stockenden Orchideen- hohe Anteil der Weißtanne im Altbestand zeigt Kalkbuchenwälder (LRT 9150) sind, besonders zum einen das vorliegende klimatische Optimum im Komplex mit den immer wieder anstehenden, für diese Baumart, andererseits aber auch ihre offenen Nagelfluh-Bändern (LRT 8210 – Kalkfelsen bisherige Förderung im Rahmen der traditio- mit Felsspaltenvegetation), wertgebend für das nellen Plenterwirtschaft. Auch die Jagd hatte Gebiet. Sie beherbergen neben seltenen Baum- und hat mit dem Erhalt waldfreundlicher Scha- arten wie Mehlbeere, Feldahorn oder Eibe auch lenwilddichten sicher großen Anteil an den hohen zahlreiche Orchideenarten und wurden, wie auch Weißtannen-Anteilen. Die Rohrachschlucht dürfte die kleinflächig auf Quellfluren stockenden somit eines der tannenreichsten FFH-Gebiete Winkelseggen-Erlen-Eschenwälder (LRT 91E3*) Bayerns sein. insgesamt mit „B“ (gut) bewertet. An den labilen Rutschhalden der Unterhänge wurde Totholz kommt im Gebiet deutlich geklumpt der prioritäre Giersch-Bergahorn-Eschen- vor. Unzugängliche Bereiche der Schlucht ohne Schluchtwald kartiert (LRT 9180*), der aufgrund erkennbare Nutzung weisen dabei die höchsten der hohen Standortdynamik vielfach Sukzessi- Werte auf. Allerdings konnten in einem zirka 3 onsstadien durchläuft und kaum einer Nutzung Hektar großen, 200-jährigen Weißtannenbestand unterliegt. Der Erhaltungszustand wurde daher mit Buche und Fichte im gut erschlossenen mit A (hervorragend) bewertet. Randbereich des Gebietes bei der FFH-Inventur nahezu 100 m3 Totholz/Hektar erfasst werden. Ein typisches Merkmal der Tobelwälder ist Dieser ökologisch höchst wertvolle, urwaldähn- schließlich auch die hohe Beteiligung der Eibe liche Bestand in Privatbesitz wurde seit über 30 (Taxus baccata) in der Zwischenschicht.

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Spechtart Nachweisjahr RL BY/D Quelle Tabelle 2 Nachgewiesene Spechtarten in der Buntspecht (Dendrocopos major) 1997 ASK Rohrachschlucht.

Schwarzspecht (Dryocopus martius) 2017 ASK

Grauspecht (Picus canus) 2017 3/2 ASK

Kleinspecht (Picus minor) 2017 V/V ASK

Grünpecht (Picus viridis) 2017 ASK

Mittelspecht (Dendrocopos medius) 2017 ASK

Dreizehenspecht (Picoides tridactylus) 2015 */2 FFH-Kartierung

Weißrückenspecht (Dendrocopos leucotos) 2014 3/2 FFH-Kartierung

Die hohe Zahl starker Altbäume dürfte die sekundär entstandenen Kleingewässern wie Rohrachschlucht zu einem der eibenreichsten wassergefüllten Fahrspuren oder Wegegräben Waldgebiete in ganz Bayern machen. Eine abhängig und besiedelt daher überwiegend Naturverjüngung dieser seltenen Baumart ist die forstlich genutzten Randbereiche der aktuell jedoch kaum vorzufinden. Begünstigt Schlucht. Die Population ist (mit 15 adulten durch das subatlantisch getönte Klima des nahen Unken im Kartierjahr 2014) entsprechend indi- Bodensees sind zudem einzelne Exemplare der viduenarm und befindet sich daher auch nur in Stechpalme (Ilex aquifolium) zu finden. einem mäßig-schlechten Erhaltungszustand (C). Dagegen kommt der Frauenschuh (Cypripe- Von den sonst nur sehr kleinflächig vertretenen dium calceolus) mit zahlreichen Teilbeständen Lebensraumtypen des Offenlandes sind neben auf den flächig geeigneten Habitaten der den bereits erwähnten Kalkfelsen besonders Südhänge vor. Er weist derzeit einen guten noch die Kalkschutthalden (LRT 8120) zu nennen, Erhaltungszustand auf (B). die auf über 10 Hektar vertreten sind und mit „B“ (gut) bewertet wurden. Der Rickenbach Beim Blick auf das Ganze fallen in erster Linie selbst konnte dagegen nur im westlichen die guten Erhaltungszustände der waldgeprägten Bereich des Gebietes als LRT 3220 (Alpine Flüsse Schutzgüter auf – Ergebnis des gebietstypischen mit krautiger Ufervegetation) kartiert werden Mosaiks aus strukturfördernden Nutzungsformen und weist in erster Linie aufgrund von Beein- und ungenutzten Waldparzellen. trächtigungen einen nur mäßig-schlechten Erhaltungszustand auf (C). 4. Sonstige Kartierungen und bedeutende Artvorkommen Insgesamt werden 97 % der Gebietsfläche von Xylobionte Käfer FFH-Lebensraumtypen eingenommen – eine Bei einer von der Regierung von Schwaben bemerkenswert hohe Abdeckung, die für die im Jahr 2017 initiierten Kartierung xylobionter große Naturnähe der Rohrachschlucht spricht. Käfer in Westallgäuer Tobelwäldern wurde auch der bereits oben genannte, urwaldähn- Bei den Arten nach Anhang II der FFH-Richt- liche Tannenbestand untersucht. Das Ergebnis linie wurden unterschiedliche Erhaltungszu- von insgesamt 113 Spezies – darunter die stände festgestellt: Die Groppe (Cottus gobbio) beiden überaus seltenen Urwaldreliktarten ist im gesamten Lauf des Rickenbach mit guten Derodontus macularis und Rhyncolus sculpuratus Beständen vertreten und wurde daher mit „B“ sowie eine für die Wissenschaft neue Art aus (gut) bewertet. Allerdings ist die Gewässer- der Familie der Rindenkäfer (Schmidl & Bußler durchgängigkeit aufgrund eines Ausleitungs- 2018) – ist Beleg für die Wertigkeit strukturrei- wehres knapp außerhalb des Gebietes beein- cher Tannenwälder im Allgemeinen sowie die trächtigt, was langfristig zu einer Isolation der Ausnahmestellung dieses Altbestandes im Population führen könnte. Die Gelbbauchunke Speziellen. (Bombina variegata) ist im Gebiet stark von

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Abbildung 4 Dreizehenspecht Spechte ab, dass sie auch ein überaus bedeutendes und Tannen- Stachelbart als Eine weitere Artengruppe, die stark von den Gebiet für den Pilzartenschutz in Bayern ist Naturnähezeiger naturnahen Waldstrukturen des Gebietes profi- (Karasch 2018). Bei mehreren Arten, wie dem der Wälder in der tiert, sind die Spechte. Nach Auswertungen der Cyanblättrigen Klumpfuß (Cortinarius riederi) Rohrachschlucht Artenschutzkartierung (ASK), Nachweisen bei oder dem Schwärzenden Wasserfuß (Hydropus (Fotos: Boris der FFH-Kartierung sowie den Ergebnissen eines atramentosus), gelang der Zweit- beziehungs- Mittermeier). Glücksspirale-Projektes über die Avifauna des weise Drittfund für Bayern. Besonders an die Gebietes (BUND Naturschutz in Bayern 2017), Weißtanne gebundene und zum Teil als Natur- konnten in der Rohrachschlucht acht Specht- nähezeiger (Blaschke et al. 2009) geltende Arten arten nachgewiesen werden. Gerade im Hinblick wie Tannen-Stachelbart (Hericium flagellum, auf Nahrungs- und Habitatkonkurrenz dieser RL 2), Tannen-Kugelschwamm (Camarops tubu- Arten ist das für ein Gebiet dieser Größe äußerst lina, RL 2) oder Schwarzgrüner Klumpfuß (Corti- bemerkenswert und zeugt von der Vielfalt an narius atrovirens, RL 2) zeugen von der ökologi- Strukturen und Nischen in den Wäldern. Beson- schen Bedeutung dieser Baumart für das Gebiet. ders die Erstnachweise der hinsichtlich Totholz- mengen besonders anspruchsvollen Arten Drei- 5. Umsetzung des Managementplanes zehen- (Picoides tridactylus), Weissrücken- (Dendro- und weitere Behandlung copos leucotos) und Mittelspecht (Dendrocopos Die auffallend guten Erhaltungszustände der medius) festigen den Eindruck, dass dieses FFH-Schutzgüter sind auch das Ergebnis einer wichtige Strukturelement erst in den letzten über Jahrhunderte hinweg strukturfördernden Jahrzehnten durch eine Extensivierung der Waldwirtschaft durch die Grundbesitzer. Dies forstlichen Nutzung in vielen Bereichen stark wird im Managementplan durch die Maßnahme zugenommen hat. „Fortführung der naturnahen Behandlung“ dokumentiert und verdient hohe Anerkennung. Pilze Speziell die gebietstypische, kleinbäuerliche Im Jahr 2018 wurde zudem von der Regierung Plenterwald-Wirtschaft gilt es auch künftig zu von Schwaben eine Kartierung von Pilzarten in fördern, um die Weißtanne als Trägerin der ausgewählten Probeflächen der Westallgäuer Artenvielfalt (und zukunftsträchtigen Brotbaum Tobelwälder (darunter auch die Rohrachschlucht) der Forstwirtschaft) langfristig und mit hohen in Auftrag gegeben. Auch wenn die Kartierung Anteilen zu erhalten. noch nicht abgeschlossen ist, zeichnet sich bereits

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Die forstliche Nutzung – unter besonderer und Naturschutzverbände ist eine Möglichkeit Berücksichtigung von Totholz und Biotop- zur Umsetzung des Managementplans, sofern bäumen – ist daher ein Schlüssel für den dadurch wichtige Trittsteine für besonders Struktur- und Artenreichtum des Gebietes. anspruchsvolle Arten dauerhaft erhalten werden. Kleinflächige, motormanuelle Verjüngungsver- Auf der großen, weiterhin bewirtschafteten Rest- fahren mit schleppergestützter Holzrückung fläche wurde und wird versucht, den Waldbe- sorgen – im Gegensatz zu seilkrangestützten sitzern mit Hilfe des Vertragsnaturschutzpro- Hieben mit überaus hohem Holzanfall – auch gramms Wald (VNP Wald) besonders den Erhalt für die regelmäßige Entstehung dringend von Totholz und Biotopbäumen in wertvollen benötigter Laichgewässer für die Gelbbauchunke Altbeständen auch einen kleinflächigen, (in Form von wassergefüllten Fahrspuren oder temporären Nutzungsverzicht finanziell auszu- Wegegräben; Gollmann & Gollmann 2002). gleichen. Aktuell werden bereits 31,2 Hektar – also fast 20 % des Gebietes – über das VNP Viele wichtige Erhaltungsmaßnahmen, wie Wald-Programm gefördert. Durch eine Anhe- Auflichtungen im Bereich von Frauenschuh- bung der Fördersätze, verbunden mit einer Standorten, Anlage von Weiserzäunen (für Moni- aktiven Beratung im Rahmen der genannten toring und Förderung der Eiben-Naturverjün- Gebietsbetreuung, ist wohl auch künftig noch gung) oder auch die Aufklärung von Grundbe- mit zusätzlichen Förderflächen zu rechnen. sitzern und Landnutzern werden in der Rohrach- schlucht bereits seit Jahren umgesetzt – Dank Im Bereich der wenigen Offenland-Flächen einer vom BUND Naturschutz getragenen und wird in den nächsten Jahren besonders die dem Bayerischen Naturschutzfonds geförderten Fortführung beziehungsweise Wiederaufnahme Gebietsbetreuung (für Moore und Tobelwälder) der jährlichen Streuwiesenmahd, im Fall der im Landkreis Lindau sowie der gemeinwohl- mageren Flachland-Mähwiesen auch der zwei- orientierten Beratung durch die Bayerische schürigen Mahd, angestrebt. Hier ist der örtliche Abbildung 5 Forstverwaltung. Landschaftspflegeverband (LPV) bereits aktiv. Die Scheidegger Wasserfälle am Ost- rand des FFH-Gebietes Auch der Ankauf einzelner, besonders wert- Ganz im Sinne von Natura 2000 wäre auch eine Rohrachschlucht voller Flächen durch Gebietskörperschaften künftige grenzübergreifende Zusammenarbeit (Foto: Boris Mitter- meier).

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 39 mittermeier: Land schafft Vielfalt Rohrachschlucht

mit den angrenzenden Vorarlberger Kollegen – Werden dazu auch in den bewirtschafteten beispielsweise im Rahmen eines gemeinsamen Flächen weiterhin essenzielle Strukturelemente Interreg-Projektes zur Förderung der Plenter- wie Totholz und Biotopbäume über Förderpro- wirtschaft als gemeinsames Kulturerbe oder gramme (VNP Wald) erhalten und erfolgt eine einem länderübergreifenden Monitoring über Holznutzung auf naturnahe Art und Weise, so die Entwicklung der Naturwaldflächen. kann die Rohrachschlucht als Beispiel für eine integrative Waldwirtschaft dienen, die inner- 6. Diskussion: Extensive Bewirtschaftung halb unserer kleinstrukturierten Kulturlandschaft mit Netz an ungenutzten Trittsteinen auch die Belange des Naturschutzes optimal als Vorbildmodell abdeckt. Mehrere aktuelle Untersuchungen haben ergeben, dass speziell der Weißtanne als Träger Literatur

der Artenvielfalt im Gebiet eine herausragende Blaschke, M. et al. (2009): Naturnähezeiger – Holz be- Bedeutung zukommt (Schmidl & Bußler 2018; wohnende Pilze als Indikatoren für Strukturqualität Karasch 2018). Die überaus hohen Tannen-Vor- im Wald. – Natur und Landschaft 84(12): 560–566. räte sind allerdings primär als Folge der jahr- BUND Naturschutz in Bayern e. V. (Hrsg., 2017): Untersu- hundertelangen Plenterwaldwirtschaft ent- chung der Tobelwälder im Westallgäu hinsichtlich standen und erhalten worden. Eine Fortsetzung der Eibenbestände, ihrer natürlichen Verjüngung, beziehungsweise Wiederbelebung dieser regi- der Totholzmengen im Wald sowie der Avifauna onaltypischen Bewirtschaftung ist daher auch (Abschlussbericht). – Glücksspirale-Projekt Nr. unter ökologischen Aspekten einer großflächigen 300/17. Stilllegung vorzuziehen, die langfristig wohl zu Gollmann, B. u. G. (2002): Die Gelbbauchunke – Von einer Verschiebung der Baumartenanteile in der Suhle zur Radspur. – Zeitschrift für Feldherpe- Richtung Buche führen würde. Auch Kultur- tologie, Beiheft 4, Bielefeld. folger wie die Gelbbauchunke sind von einer Grabherr, G. et al. (1999): Ein Wald im Aufbruch – weiteren Bewirtschaftung abhängig und würden Das Naturwaldreservat Rohrach (Vorarlberg, Öster- als Folge großflächigen Nutzungsverzichtes reich). – Bristol-Schriftenreihe 7, Bristol-Stiftung. wohl mittelfristig aus dem Gebiet verschwinden Karasch, P. (2018): Aktuelle Erfassung von xylobionten (Gollmann & Gollmann 2002). Die in der Rohrach- Pilzen und Großpilzen zur Zustandserfassung und schlucht vorkommenden, anspruchsvollen Arten Weiterentwicklung der NSG „Rohrachschlucht“, der Alters- und Zerfallsphasen, wie zum Beispiel „Eistobel“, „Trogener Moore“, „Degermoos“ sowie der Weißrückenspecht oder diverse xylobionte NSG-würdiger Tobelwälder in den Landkreisen Lin- dau und Oberallgäu. – Zwischenbericht, unveröf- Käferarten, werden dagegen durch segregative fentlichtes Fachgutachten im Auftrag der Regie- Elemente in Form von mosaikartig eingestreuten, rung von Schwaben. ungenutzten Trittsteinen bestmöglich geschützt Köstler, J. N. (1956): Allgäuer Plenterwaldtypen. – (Krum & Kraus 2013; Mergner 2015). Forstw. Cbl. 75: 423–458.

Krum, F. & Kraus, D. (2013): Integrative approaches as an opportunity for the conservation of forest bio- diversity. – European Forest Institute.

Mergner, U. (2015): Waldtrittsteine statt Großschutzge- Autor biete. – AFZ-Der Wald Nr. 21: S. 18.

Boris Mittermeier, Schmidl, J. & Bußler, H. (2018): Totholzkäfer-Kartierung Jahrgang 1974. Tobelwälder Schwaben. – Entomologisches Fach- Studium der Forstwirtschaft an der Fachhoch- gutachten im Auftrag der Reg. v. Schwaben (unver- öffentlicht). schule (FH) Weihenstephan in Freising. Seit 2005 Kartierer und Stellvertretender Leiter des Regio- nalen Natura 2000-Kartierteams Schwaben am AELF Krumbach mit Schwerpunkt Hochgebirge und Moore. Zitiervorschlag Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Mittermeier, B. (2020): Das FFH-Gebiet Rohrach- Krumbach (Schwaben) schlucht – ein Allgäuer Schatzkästchen für Regionales Kartierteam Natura 2000 Schwaben Europas Naturerbe. – ANLiegen Natur 42(2): +49 8321 7870490 33–40, Laufen; www.anl.bayern.de/publikati- [email protected] onen.

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Abbildung 1 Andreas Zehm, Sabine Muhr, Matthias Wenzel und Paul-Bastian Nagel Verkehrswege bieten je nach Ökologische Aufwertung von Straßen- Kategorie un- terschiedlich umfangreiche begleitgrün – eine Chance, nicht nur für Begleitflächen (Foto: Andreas den Biotopverbund Zehm).

In Bayern sollen die Begleitflächen von Bundes- und Staatsstraßen ökologisch aufgewertet werden, damit sie – richtig angelegt und gepflegt – zum Biotopverbund in Bayern beitragen können. Das „Konzept zur ökologischen Aufwertung von Straßenbegleitflächen entlang von Bundes- und Staatsstraßen in Bayern“ ist ein wertvoller Schritt, die Flächenpotenziale für den Naturschutz besser zu nutzen als bislang, auch wenn die Pflegeoptionen technisch und rechtlich eingeschränkt sind.

Im Nachgang zum Volksbegehren „Artenvielfalt schaftlichkeit und Verkehrssicherheit ermöglichen, und Naturschönheit in Bayern – Rettet die Bienen!“ extensiv als Magergrünland bewirtschaftet werden. wurde unter anderem Artikel 19 des Bayerischen Dies soll dazu beitragen, die biologische Vielfalt Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) geändert: zu sichern und den Biotopverbund zu verbessern. So soll der Biotopverbund unter anderem entlang von Gewässern, Waldrändern und Verkehrswegen Als ersten Schritt für die Umsetzung haben das ausgebaut werden. Artikel 30 des Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG) legt (StMB) und das Staatsministerium für Umwelt und parallel fest, dass Straßenbegleitgrün mit dem Verbraucherschutz (StMUV) ein Konzept zur ökolo- Ziel zu bewirtschaften ist, die Luftreinhaltung, gischen Aufwertung von Straßenbegleitflächen die Artenvielfalt und den Biotopverbund zu erarbeitet (StMB 2020). Das Konzept richtet sich fördern. So sollen die verschiedenen Straßen- an die für die Bundes- und Staatsstraßen zustän- begleitflächen (Abbildung 1), soweit dies Wirt- digen Staatlichen Bauämter.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 41 Zehm, Muhr, Wenzel & Nagel: Land schafft Vielfalt Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitgrün

1. Zielsetzung und Schwerpunkt des Konzeptes Bei der Pflege der rund 20.000 km Bundes- und Ökologische Ziele werden bereits seit Längerem Staatsstraßen müssen gleichzeitig aber auch die bei der Pflege der Wiesenflächen und Gehölze Verkehrssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Leistungs- berücksichtigt, und das Straßenbegleitgrün wird fähigkeit des Straßenbetriebsdienstes, die Arbeits- je nach Lage zur Straße und entsprechend seiner sicherheit und das Nachbarrecht gewährleistet Funktion in unterschiedlicher Intensität gepflegt. werden (Box 1). Die Wiesenflächen werden in einen Intensiv- und einen Extensivbereich unterteilt. Der Intensiv- 2. Pflegekonzept für Wiesenflächen bereich umfasst die Bankette sowie die Flächen, Im Intensivbereich werden ökologische Belange die aus Gründen der Verkehrssicherheit regel- so weit wie möglich berücksichtigt, spielen aber bei mäßig und häufiger zu pflegen sind. Die restli- der Pflege eine untergeordnete Rolle. Zukünftig chen Wiesenflächen werden dem Extensivbereich kann eine Mahdhöhe von mindestens 10 cm einge- zugeordnet. Hier können landschaftsökologische halten werden, um weniger Tiere zu töten und Ziele in den Vordergrund treten, da die Pflege Problempflanzen wie Beifußblättriges Traubenkraut im Allgemeinen keinen direkten Einfluss auf die keine offenen Bodenstellen zum Keimen zu bieten. Verkehrssicherheit hat. Eine wesentliche Neuerung des Konzepts ist, den Wegen des Volksbegehrens wurde die bisherige Extensivbereich differenziert zu betrachten und Praxis überprüft und weiterentwickelt. Ausgehend ihn in Normal- und Auswahlflächen zu unterteilen. von den neuen Regelungen im Bayerischen Natur- Auch die Normalflächen können als extensiv schutzgesetz (BayNatSchG) und im Bayerischen genutzte Flächen naturschutzfachlich wertvoll Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) sollen insbe- sein, sind aber meist durch „Allerweltsarten“ sondere Grün- und Offenlandflächen („Magergrün- geprägt. Doch auch diese Arten sind in unserer land“) im Extensivbereich entwickelt sowie ökolo- intensiv genutzten Kulturlandschaft vielfach gisch verbessert werden. Durch arten- und insbe- seltener geworden. Durch eine alternierende sondere kräuterreiches Grünland, das extensiv Pflege sollen die Flächen als Lebensraum erhalten und ohne Einsatz von Dünge- und Pflanzen- und, wenn möglich, optimiert werden. Auf den schutzmittel bewirtschaftet wird, soll das Straßen- Auswahlflächen hingegen sollen durch spezifische begleitgrün einen größeren Beitrag zum Biotop- Pflegepläne gezielt Biotope entwickelt als auch verbund und für die Biodiversität liefern. seltene Pflanzen und Tiere gefördert werden.

Das neue Konzept verfolgt die Ziele, Die Pflege der extensiven Normalflächen erfolgt zwar standardisiert, die Ausrichtung ist aber • das Lebensraum- und Nahrungsangebot für deutlich ökologischer als im Intensivbereich. Insekten, insbesondere mit Magergrünland Die Pflege erfolgt auf größeren zusammenhän- und blütenreichen Pflanzenbeständen, zu genden Bereichen abschnittsweise, das heißt erhalten und zu erhöhen, räumlich und zeitlich versetzt. So wird den Tieren eine Fluchtmöglichkeit gegeben. Die Böschungen • individuelle Tier- und Pflanzensamenverluste werden dazu entweder parallel oder senkrecht bei den Pflegegängen durch abschnittsweise zur Fahrbahn in Abschnitte eingeteilt, die dann alle Pflege und eine angehobene Schnitthöhe zu zwei Jahre im Wechsel früh oder spät gemulcht vermeiden als auch möglichst auf Mulchen werden. Somit wird sichergestellt, dass die bestands- zu verzichten, bildenden Pflanzenarten auf der Teilfläche weitest- gehend aussamen können und der Lebensraum • den Strukturreichtum zu verbessern (zum den Tieren möglichst lange zur Verfügung steht, Beispiel durch Rohbodenstandorte, Stein-, damit der Entwicklungszyklus der Jungtiere Holz- und Reisighaufen, Totholz), abgeschlossen werden kann. Temporäre Brache- streifen sind Ausgangspunkte für die Wieder- • Saumbiotope zu entwickeln, besiedlung der gepflegten Bestände. Die zeit- weiligen Brachestreifen bieten darüber hinaus • Habitatstrukturen von Bäumen (vor allem Höhlen ein entsprechendes Lebensraumangebot im und Totholz) zu fördern, Winterhalbjahr.

• vertikal und horizontal gut strukturierte, vitale Schon diese alternierende Pflege wirft jedoch Gehölze zu entwickeln sowie Baumreihen und Probleme auf, wie ein Praxistest in ausgewählten Alleen zu schützen als auch Straßenmeistereien zeigte. Sie erfordert eine Mindestbreite von zwei Metern, wobei die diffe- • geschützte/gefährdete Arten zu fördern.

42 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Zehm, Muhr, Wenzel & Nagel: Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitgrün Land schafft Vielfalt

renzierte Pflege ohne Kennzeichnung der Streifen nur schwer möglich ist. Damit das Mulchgut vor Box 1 dem Winter verrottet, sollte der Mulchzeitpunkt Aspekte, die bei der Pflege (Häufigkeit, Zeitpunkt und Arbeits- auf spätestens September gesetzt werden. Dies technik) des Straßenbegleitgrüns zu berücksichtigen sind: ist mit der bestehenden Geräte- und Personal- ausstattung bislang nicht umsetzbar. Mulchar- Funktion des Straßenbegleitgrüns sicherstellen beiten müssen regelmäßig auch im Herbst statt- • Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleisten finden. Außerdem müssen gehölznahe Wiesen- flächen mitunter jährlich gemulcht werden, um • Straßenkörper ingenieurbiologisch sichern zu verhindern, dass sich die Gehölze (zum Beispiel Hartriegel, Schlehe) ausbreiten. Aus ökonomischen • Anlieger schützen Gründen werden die Normalflächen, wie heute allgemein üblich, weiterhin gemulcht. Das Mulchgut • Straßenkörper landschaftsökologisch und landschaftsgerecht verbleibt somit auf der Fläche, dem Standort einbinden werden keine Nährstoffe entzogen. Weitere Optimierungen sind erst möglich, wenn effiziente • Erholungs- und Aufenthaltsfunktion von Rast- und Parkanlagen Mähgeräte mit Schnittgutaufnahme durch die Her- entwickeln steller entwickelt werden und das Schnittgut flächen- deckend und bezahlbar verwertet werden kann. Wirtschaftliche und leistungsfähige Grünpflege sowie Arbeits- und Verkehrssicherheit Die naturschutzfachlichen „Highlights“ werden • Maschinelle Pflege (handgeführte Maschinen nur im Ausnahmefall) künftig die Auswahlflächen sein. Besonders eignen sich hierfür Flächen in geringer Entfer- • Wenige Pflegegänge mit jeweils wenigen Arbeitsschritten nung zu anderen naturschutzfachlich besonders wertvollen Flächen. Aus dem Pool potenzieller • Pflegearbeiten nur in Zeiten mit niedrigem Verkehrsaufkommen, Auswahlflächen werden auf Basis einer fachlichen um Staus und Unfälle zu vermeiden Priorisierung diejenigen ausgewählt, die aufgrund ihrer Lage im Raum und den Standortbedin- • Steinwurfgefahr (bei schnell drehenden Geräten) vermeiden gungen das größte Potenzial zur ökologischen Aufwertung besitzen, den Biotopverbund stärken • Langhalmschnitt mit Abräumen des Mähguts (Verwehen auf die können und die besten Pflegemöglichkeiten Fahrbahn verhindern) bieten. Um in der Bewertung auch größere räum- liche Zusammenhänge zu berücksichtigen, fließen • Flexible Pflegezeitpunkte (Organisation, Abwicklung der Arbeiten) unter anderem die Daten der Lebensraumnetz- werke des Bundesamts für Naturschutz (BfN) oder die Daten des Arten- und Biotopschutz- programms Bayern (ABSP) in die Analyse mit ein. Pflegekonzept für Auswahlflächen Grundsätzlich werden, um die ökologischen Für die Auswahlflächen werden entsprechend Entwicklungsziele für Auswahlflächen zu erreichen, dem Ausgangsbestand und den Zielarten bezie- einige Pflege-Grundsätze aufgestellt: hungsweise der -vegetation spezifische Pflege- und Entwicklungspläne entwickelt, die vor allem • Um Rohboden-Standorte zu entwickeln, sind Häufigkeit, Zeitpunkt, Mähgut-Entnahme und insbesondere flachgründige Standorte auf Arbeitsverfahren festlegen. Die Aufwertung der Sand, Kies oder Kalkschotter geeignet. Auswahlflächen erfolgt durch eine verbesserte oder optimierte Pflege, in begründeten Einzel- • Qualitativ hochwertige Habitatstrukturen fällen gegebenenfalls auch gekoppelt mit flan- werden – zum Schutz der Tiere vor straßen- kierenden baulichen Maßnahmen. Prioritär sind bedingten Verlusten – möglichst straßenfern hier artenreiche Grün- und Offenlandbiotope zu angelegt. erhalten oder zu entwickeln, insbesondere Mager- grünland, blütenreiche Pflanzenbestände und • Restbestände mit blütenreicher Vegetation Saumbiotope. Zusätzlich können die Flächen als innerhalb oder am Rande von Nitrophyten- Pufferzonen für angrenzende Biotope oder Schutz- Fluren (insbesondere Brennnessel) werden gebiete dienen, die selbst eine Trittsteinfunktion bestmöglich ausgehagert – sofern sie nicht im Biotopverbund haben und/oder das Land- als Lebensräume für Schmetterlinge oder schaftsbild bereichern. Blütenbesucher erhalten bleiben sollen.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 43 Zehm, Muhr, Wenzel & Nagel: Land schafft Vielfalt Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitgrün

Abbildung 2 Schema von Intensiv- und Ex- tensivbereich mit Normal- und Aus- wahlflächen, die abschnittsweise gemäht werden (nach StMB 2020).

• Grundsätzlich wird auf eine Mulchmahd ver- zichtet und stattdessen ein schneidendes tige Ansaaten wird nur gebietseigenes, zum Mähgerät (zum Beispiel Balkenmäher) einge- Standort passendes Saatgut verwendet (Bloemer setzt. Dabei wird eine Mindest-Schnitthöhe 2016; Krautzer et al. 2007). Dies beinhaltet auch eine von rund 10 cm eingehalten. Soweit möglich, angepasste Saatbett-Vorbereitung, gegebenen- soll das Mähgut entfernt werden. Allerdings falls einen Schröpfschnitt gegen unerwünschten bestimmen die örtlichen Verhältnisse sowie Aufwuchs und eine Fertigstellungspflege. die verfügbare Technik, wie und mit welchen Maschinen die Pflege erfolgt. • Sofern der Gehölzaufwuchs nicht zu groß ist, werden artenreiche Säume zwischen Wiesen- • Sofern besondere Zielarten vorhanden sind, flächen und Gehölzen entwickelt (VM BaWü 2016). wird auf deren jährlichen und tageszeitlichen Bei starkem Gehölzaufwuchs verhindert eine min- Aktivitäts-/Entwicklungsrhythmus soweit wie destens einmal jährliche Mahd eine Verbuschung. möglich Rücksicht genommen. • Sofern Gehölze gepflanzt werden, werden nur • Die Auswahlflächen werden möglichst nicht gebietseigene Herkünfte von vorwiegend inten- gleichzeitig mit den benachbarten Flächen siv blühenden Arten (zum Beispiel Weiden, gemäht, um Tieren jederzeit Rückzugsmöglich- Holunder, Traubenkirsche, Schneeball) verwendet. keiten zu gewähren. Aufgrund des Wanderbrache- Wo möglich, wird alternativ die natürliche Anteils bleibt aber grundsätzlich immer ein Teil Sukzession zugelassen (Reck & Müller 2018). ausgespart (Reck & Müller 2018; VM BaWü 2016). • Finden sich Problempflanzen im Umfeld, wird • Sofern sich eine wertgebende Vegetation präventiv ein Einwandern in die Auswahlflächen durch Mähgut-Übertragung oder Selbstbe- verhindert. grünung entwickeln lässt, wird auf eine Ansaat verzichtet (Reck & Müller 2018). • Ein Verzicht auf Düngung und Pestizide ist selbstverständlich. • In Einzelfällen kann eine flächige oder streifen- hafte Neuanlage in Betracht kommen. Für derar- 3. Umsetzung

44 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Zehm, Muhr, Wenzel & Nagel: Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitgrün Land schafft Vielfalt

Abbildung 3 Magergrünland und Rohbodenstandorte im Extensivbereich einer Straße mit An- schluss an Gehölz- bestände und Wälder, wie hier an einer Bun- desstraße, eignen sich besonders gut als Auswahlflächen (Foto: StMB).

Das Konzept wird unter Berücksichtigung der zur anschaulichen Broschüre herausgegeben Verfügung stehenden Personal- und Finanz- (StMB 2020). ausstattung sukzessive ab dem Jahr 2020 umge- setzt. Der erste Schritt ist die Schulung des Ausblick und Herausforderungen Betriebsdienstpersonals zur Umstellung der Pflege Mit dem Konzept werden erste zukunftsweisende im Normalbereich. Parallel werden im Jahr 2020 Schritte in Richtung Insektenschutz und Biotop- die Auswahlflächen identifiziert. Hierfür wurden verbund an Straßen gegangen. Dennoch muss von den 19 Staatlichen Bauämtern mit Straßen- an zentralen Fragestellungen weitergearbeitet bauaufgaben die Planungsleistungen an Land- werden, um beispielsweise wie oben bereits schaftsplanungsbüros vergeben. Das StMB hat dargestellt, auch auf den Normalflächen auf das für die Flächenauswahl ein bayernweit einheitliches Mulchen verzichten zu können. So entwickelt die Vorgehen erarbeitet, um die Auswahlflächen fest- Staatsbauverwaltung bereits zusammen mit zulegen. Für die von der Staatsbauverwaltung Herstellern von Landschaftspflegemaschinen (in Abstimmung mit den Fachbehörden des Natur- innovative und schonende Verfahren, die in einem schutzes) festgelegten Auswahlflächen werden Mähgang auch das Mähgut aufnehmen. Mittels dann von den Fachbüros die Pflegekonzepte erar- geschickter, durch Klappen gesteuerter Belüftung, beitet. Ziel ist es, so schnell wie möglich auf die sollen beim Absaugen Verluste von Tieren und optimierte Pflege umzustellen. Ab 2021 sollen Pflanzensamen reduziert werden. die ersten spezifischen Pflegemaßnahmen durch externe Dienstleister (zum Beispiel Landschafts- Aufwendig zu entwickeln – aber notwendig – pflegeverbände, Fachfirmen oder Maschinen- ist zudem eine Verwertungskette für den Grün- ringe) umgesetzt werden. schnitt, um bei möglichst vielen Flächen die Eutrophierung durch das Mulchgut zu verringern. Die neuen Wege in der Grünpflege, die die Staats- Denkbare Ansätze sind Kompostierung oder eine bauverwaltung beschreitet, sollen auch den Verwendung in Biogasanlagen (Gyimothy & Schu- kommunalen Straßenbaulastträgern ein Vorbild macher 2019), sofern das Mähgut nicht durch Müll sein. Letztlich bieten sie auch Anknüpfungs- verunreinigt ist. punkte für die Pflege anderer Infrastrukturein- richtungen, wie Bundeswasserstraßen, Strom- Um Magerrasen schnell und dauerhaft zu leitungen oder Bahntrassen. Um die Ideen einer etablieren wäre es entscheidend, bei neu anzu- breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, legenden Straßenböschungen möglichst nähr- wurde vom Bayerischen Staatsministerium für stoffarmes Substrat als Oberschicht aufzubringen Wohnen, Bau und Verkehr das Konzept in einer (Bloemer 2003; Krautzer et al. 2007; Reck & Müller

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 45 Zehm, Muhr, Wenzel & Nagel: Land schafft Vielfalt Ökologische Aufwertung von Straßenbegleitgrün

2018). Ungelöst ist in dem Zusammenhang aller- Krautzer, B., Graiss, W. & Blaschka, A. (2007): Standort- dings, wie der beim Erdbau anfallende Oberboden gerechte Wiederbegrünung im Straßenbau. – so verwertet werden kann, dass er der Mager- Projektbericht, Irdning: 20 S. rasen-Entwicklung nicht mehr im Weg ist. Reck, H. & Müller, K. (2018): Straßenbegleitgrün und biologische Vielfalt – Potentiale und Realität. – Literatur Straßenverkehrstechnik 7: 469–480.

t ayerisches taatsministerium für ohnen au Bloemer, S. (2003): Erosionsschutz und Begrünung von S MB (= B S W , B Böschungen im Verkehrswegebau: Optimierung und Verkehr; 2020): Ökologische Aufwertung von durch Rohbodenbegrünung statt Oberbodenan- Straßenbegleitflächen entlang von Bundes- und deckung. – Straßenverkehrstechnik 2: 90–95. Staatsstraßen in Bayern. – Broschüre, München: 50 S. a ü erkehrsministerium aden ürttemberg Bloemer, S. (2016): Begrünungen mit Regiosaatgut und VM B W (= V B -W , naturraumtreuem Saatgut aus Sicht der Praxis. – 2016): Straßenbegleitgrün – Hinweise zur ökolo- Straße und Autobahn 11: 903–910. gisch orientierten Pflege von Gras- und Gehölz- flächen an Straßen. – Broschüre, Stuttgart: 63 S. Gyimothy, A. & Schumacher, J. (2019): Landschaftspflege- gras. Energetische Verwertung und Artenschutz. – Klima- und Naturschutz: Hand in Hand 9, Berlin: 31 S.

Autoren

Dr. Andreas Zehm, Jahrgang 1970. Nach dem Studium an der Technischen Universität Darmstadt tätig im Förderschwerpunkt Sozial-Ökolo- gische Forschung (SÖF). Anschließend tätig am Landes- amt für Umwelt, der Regierung von Schwaben, dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung und der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege. Seit 2020 am Bayerischen Staats- ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz.

Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz +49 89 9214-3225 [email protected]

Sabine Muhr Landesbaudirektion Bayern +49 991 386-525 [email protected]

Matthias Wenzel Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr +49 89 2192-3604 [email protected] [email protected]

Zitiervorschlag

Paul-Bastian Nagel Zehm, A., Muhr, S., Wenzel, M. & Nagel, P.-B. (2020): Bayerische Akademie für Naturschutz und Ökologische Aufwertung von Straßenbegleit- Landschaftspflege (ANL) grün – eine Chance, nicht nur für den Bio- +49 8682 8963-47 topverbund. – ANLiegen Natur 42(2): 41–46, [email protected] Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen.

46 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 So sehen erfreute Finder Konrad Steiner und Johann Reschenhofer aus der Perspektive der Ackerwildkräuter aus, Sieben Punkte für einen Naturschutz in hier im Vordergrund ein Acker-Wachtelweizen (Melampyrum arvense) Bauernhand – das Projekt „Schützen (Foto: Konrad Steiner). durch Nützen“

Die Landwirtschaft prägt seit Jahrhunderten unsere Kulturlandschaft. Unter dem ökonomischen Druck und den technischen Möglichkeiten haben sich die Bewirtschaftungsformen jüngst markant gewandelt und ein besonderes Verhältnis von Landwirtschaft und Naturschutz geschaffen. Am Beispiel des Stiegl-Gutes in oberösterreichischen Wildshut stellen wir hier sieben Punkte vor, wie Naturschutz in Bauernhand funktionieren kann und welche Voraus- setzungen es braucht, damit ein Landwirt – von sich aus motiviert – Naturschutz betreibt.

Einführung: Projekt „Schützen durch Nützen“ In einer bislang einzigartigen Zusammenarbeit am Stiegl-Gut Wildshut zwischen dem Stiegl-Gut Wildshut, der Bezirks- In der Nähe von Sankt Pantaleon, dort wo das hauptmannschaft (BH) Braunau und der Höheren Salzburger Land, Oberösterreich und Bayern Bundeslehranstalt (HBLA) für Landwirtschaft in aufeinandertreffen, liegt das erste Biergut Öster- Ursprung wurde das Projekt „Schützen durch reichs. Es wird von der Brauerei Stiegl als biolo- Nützen“ ins Leben gerufen. So wurden die Artenviel- gisch-landwirtschaftlicher Betrieb, Brauerei und falt in Getreideäckern, aber auch in einer seit Jahren Ideenschmiede betrieben. extensiv genutzten Glatthafer-Wiese erhoben.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 47 Steiner & Reschenhofer: Land schafft Vielfalt Projekt „Schützen durch Nützen“

Abbildung 2 Platz für Ackerwild- angrenzenden Region dauerhaft zu erhalten. kräuter – hier durch „Schützen durch Nützen“ ist das Motto, kein einen bewussten „Glassturz-Naturschutz“, sondern praktikable Anbaufehler, in Vorschläge mit geringem Aufwand für die Land- dem zwischen den wirte werden erarbeitet. Naturschutz darf sich Saatspuren ein Ab- stand gelassen dabei für den Bauern auch rechnen. Dieses Know- wurde (Foto: how soll in Wildshut mit dem langfristig ange- Konrad Steiner). legten Projekt generiert werden.

In dieser Bio-Landwirtschaft wird auch Urgetreide wie Heines Goldthorpe, Ebners Rotkorn, Alpine Pfauengerste, Chevallier-Gerste und die regionale Sorte Laufener Landweizen angebaut. Die Ernte wird vor Ort gemälzt, geröstet und zu beson- deren Bieren verarbeitet. Die alten Getreidesorten haben bedeutend weniger Ertrag als moderne Sorten, entfalten aber beim Bier – richtig verar- beitet – eine ganz besondere Geschmacksvielfalt. Da dieses Getreide am Acker lichter gesät wird, sieht man über die Jahre immer mehr Acker- beikräuter blühen.

Die Maßnahmen und Erfahrungen am Biergut Wildshut zeigen, wie biologische Urgetreide- bewirtschaftung die Artenvielfalt bei Pflanzen, Insekten, Vögeln und Kleinsäugern erhalten und fördern kann. Das Gut in Wildshut soll künftig eine Informations-Drehscheibe für Biodiversität in der Landwirtschaft und Bodengesundheit werden.

Sieben Punkte für Naturschutz in Bauernhand: 1. Naturschutz darf oder sollte sogar ein „Geschäft“ sein Einerseits möchte der Landwirt seinen Grund und Boden möglichst ertragreich bewirtschaften, um bei sinkenden Preisen für seine Erzeugnisse im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Andererseits ist nachhaltige Landwirtschaft ohne Schutz der natürlichen Ressourcen als eigene Produktionsgrundlage nicht denkbar. Viele Land- wirte leisten daher bereits freiwillig einen erheb- lichen Beitrag zur Sicherung der Biodiversität. Besondere Naturschutzleistungen müssen jedoch honoriert werden, Naturschutz sollte sich für die Bauernschaft idealerweise sogar wirtschaftlich auszahlen, zum Beispiel durch Wertschätzung und somit höhere Preise beim Kunden. Am Stiegl-Gut Wildshut wird dies durch das Verarbeiten der Urge- treidesorten zu besonderen Biersorten erreicht.

Als Naturschutzbeauftragter der BH Braunau Nur eine Win-Win-Strategie garantiert nachhaltig gibt Johann Reschenhofer dabei sein Wissen an die Zusammenarbeit von Naturschutz und Land- die Schülerinnen und Schüler und zukünftigen wirtschaft. Dafür braucht es eine Öffentlichkeits- Landwirte der HBLA weiter. Stiegl unterstützt deren arbeit, welche die Vorteile für die Naturlandschaft, Forschungen und Feldversuche für die Biodiversität Kulturlandschaft und für die Gesellschaft, aber auf über 20 Hektar. Ziel ist es, wünschenswerte auch die zusätzlichen Mühen und die möglichen Pflanzenarten mit Samen aus der unmittelbar Probleme für den Landwirt kommuniziert. Nur

48 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Steiner & Reschenhofer: Projekt „Schützen durch Nützen“ Land schafft Vielfalt

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Abbildungen 3a und 3b Kleinstrukturen, wie Totholz, Sand- und Kiessubstrate werden am Rand eines Ackers angelegt beziehungs- weise ausgebracht, um Wildbienen und Totholzbewohner zu 3a fördern (Foto: Konrad Steiner) – oder auch für diese bereits ge- 3. Fachliches Verständnis für die auf dem fundene Zauneidech- hierdurch können die Konsumenten mündig se (kleines Foto: Peter werden und den Mehrwert dieser naturschonend eigenen Betrieb vorkommenden Arten beim Kaufmann, Haus der produzierten Lebensmittel verstehen und den Bauern generieren – hier Ackerwildkräuter Natur). Mehraufwand des Landwirts respektieren und und Ackermoose honorieren. Beispiele sind einige aktuelle Initia- Für viele Landwirte ist es sehr motivierend, tiven des österreichischen Lebensmittelhandels wenn sie sehen, welche und wie viele Arten sich zu den Themen Humusaufbau, alte Gemüsesorten, durch ihr Tun auf ihren Flächen einstellen und vom tiergerechte Haltungsmethoden, Bienen- und Fachmann erklärt bekommen, warum deren Schmetterlingsschutz. Sie alle zeigen, dass die eigene Biodiversität so wertvoll für uns alle ist. Marketingexperten die Chancen bereits erkannt In Wildshut werden daher Varianten in der haben. Bewirtschaftung getestet und neben den wirt- schaftlichen Aspekten auch untersucht, wie sich 2. Fachliche Betreuung durch den Naturschutz diese auf die Artenvielfalt auswirken. auf Augenhöhe – beide Seiten kommen sich entgegen 2016 wurde erstmals auf den Ackerflächen in Erfahrungen in der Vergangenheit zeigten, dass Wildshut die Arten erhoben. Wir stellten erfreu- Naturschutz und Landwirtschaft aufgrund oft licherweise eine typische bodensaure Getreide- gegensätzlicher Interessen „aneinanderkrachen“ beikrautflur fest, in denen sich der Stickstoffdruck können. Meist basieren die Konflikte auf Kommu- nicht so gravierend auswirkt. Typische Charakter- nikationsfehlern, beiderseitigen Informations- arten sind: Gemeiner Windhalm (Apera spica-venti), oder gar Bildungslücken und gegenseitigen Ver- Ackerfrauenmantel (Aphanes arvensis), Kornblume ständnisproblemen. Dem Bauer soll klar werden, (Cyanus segetum), Echte Kamille (Matricaria chamo- warum der Naturschützer welche Ziele verfolgt, milla), Klatschmohn (Papaver rhoeas), Ackerröte und der Naturschützer soll die Sorgen und Ängste (Sherardia arvensis) und der Große Venusspiegel des Bauern verstehen und vor allem dessen lang- (Legousia speculum-veneris). Insgesamt wurden jährige Praxiserfahrungen nutzen können. 33 Pflanzenarten kartiert. Gemeinsam haben diese Bio-Äcker, dass die Hauptbodenbearbei- Dabei ist wichtig, dass bereits von Beginn an Bauer tung und Einsaat im Herbst durchgeführt wird. und Naturschützer an einem Tisch sitzen und sich Reges Treiben von der Dunklen Biene, eine der entgegenkommen: Die praktischen Erfahrungen seltenen Tierrassen am Stiegl-Gut Wildshut, wurde des Landwirts sollen in die Planung des Natur- beobachtet – sowie jede Menge an Wildbienen. schutzexperten mit einfließen. Intensive land- wirtschaftliche Flächen mit besten Bonitäten Besonders förderlich für die Ackerwildkräuter müssen erhalten bleiben, wie auch Flächen mit zeigte sich die reduzierte Saatdichte. 2017 redu- besonders wertvoller Ökologie. Es geht hierbei zierten die Schülerinnen und Schüler der HBLA um die Erarbeitung von gemeinsamen Zielen, die auf kurzen Streifen (maximal 150 m x 3 m) die ein Betrieb freiwillig, das heißt ohne äußeren Saatdichte beim Getreide auf 50 %. Sie sperrten gesetzlichen Druck erreichen kann. dazu einfach jede zweite Sä-Schar an der Drillsä-

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Abbildung 4 Der Ackerfrauen- spiegel (Legousia speculum-veneris) ist ein zierliche, aber höchst attrak- tive Art (Foto: Konrad Steiner).

maschine ab und erhielten so einen doppelten „normalen“ Getreidewirtschaft und Fruchtfolge Reihenabstand des Getreides. Dadurch kommt erhalten bleiben. In den nächsten Jahren führen mehr Licht auf den Boden und die Ackerwild- wir die Artensuche, die Samenernte und die acker- kräuter können sich besser und leichter entwickeln. wildkrautfreundliche Getreidewirtschaft weiter. Auf ähnliche Weise kann man das natürliche Unsere neuen Erkenntnisse und Erfahrungen in Samenpotenzial fördern, wenn man ein paar der Bewirtschaftung wollen wir an interessierte dünne Streifen von maximal 20 bis 30 cm freilässt, Landwirte weitergeben. wie dies manchmal auch versehentlich passiert, wenn man keine moderne Spurführung beim Werden nach der Ernte schmale Streifen an Traktor einsetzt. Stoppelbrache stehen gelassen, kann sich neben der Ackerwildkrautflora auch eine weitere, eher Unsere Beobachtungen zeigen außerdem, dass unscheinbare Pflanzengruppe, nämlich die Acker- die Samen der Ackerwildkräuter mit der 8-jährigen moose, gut entwickeln. In Wildshut sind das Arten Fruchtfolge zurechtkommen und problemlos wie das Großsporige Bläschenmoos (Sphaerocarpos Kleegras- und Maisanbau überdauern können. texanus), das Staubfrüchtige Sternlebermoos Durch die jahrelange extensive Bewirtschaftung (Riccia sorocarpa), das Blaugrüne Sternlebermoos ist das vorhandene Samenpotenzial der Acker- (Riccia glauca), das gespitzte Glanzmoos (Phascum wildkräuter sehr gut erhalten geblieben. Ein Einsatz cuspidatum) oder das Abgestutzte Pottmoos eines Pfluges nur alle 3 bis 5 Jahre, der nach den (Pottia truncata). Hackfrüchten die Bodenschichten mit den einge- lagerten Samen wieder nach oben dreht, scheint 4. Der Landwirt sucht selber die Flächen aus, unterstützend zu wirken. welche die Natur zurückerobern darf Eine 0,5 ha große Glatthaferwiese mit minderem Um das Artenset auf den Feldern noch zu er- Ertrag wurde in den letzten Jahren unbewusst gänzen, suchen wir in der Umgebung nach guten immer „vernachlässigt“, weil sie ungünstig liegt, Vorkommen. Gemeinsam mit den Schülerinnen umgangssprachlich als „Gstetten“ bezeichnet wird und Schülern sammeln wir Samen, vermehren und zur Vermeidung von Anrainerbschwerden diese und säen sie auf unseren Flächen ein. Auf nicht mit Gülle gedüngt wurde. Nur kleinere diese Weise sollen weitere Zielarten der vorhan- Mengen Festmist wurden hin und wieder ausge- denen Ackerwildkrautgesellschaft auf den Getreide- bracht und das auch nicht jedes Jahr. Gleich 49 flächen des Biergutes Wildshut dauerhaft etab- Pflanzenarten wurden hier bestimmt, darunter die liert und somit als integrativer Bestandteil der Wiesen-Glockenblume, das Wiesen-Kammgras

50 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Steiner & Reschenhofer: Projekt „Schützen durch Nützen“ Land schafft Vielfalt

Abbildung 5 Eine Obstbaumhecke mit alten Sorten wird von Schülerinnen und Schülern der HBLA Ursprung mitten im Acker gepflanzt – exakt passend zur Ma- schinenbreite, um die Ackerbewirtschaftung nicht zu behindern (Foto: Konrad Steiner).

oder das Mittlere Zittergras. Einzig der Wiesensalbei mähen). Gleichermaßen gilt es, Zu- und Abfahrt und die Aufrechte Trespe fehlen noch, um eine sowie Wendemöglichkeiten, aber auch Wind- und Zusammensetzung laut Literatur herzeigen zu Sonnenrichtung zu beachten. können. Diese Samen wurden bereits in der Region gesammelt. Die Lage gleich am Parkplatz beim 6. Hecken und andere Strukturen sollen öko- Biergut lädt im Mai rund um den Muttertag zum logischen und ökonomischen Nutzen bringen. Pflücken von Wiesenblumen ein. Daher stammt 2021 wird die Hecke nach Anleitung der ANL mit auch die Bezeichnung „Muttertagswiese“. 2019 Sträuchern verdichtet. Zwischen den Urgetreide- startete ein Insekten-Monitoring, beginnend mit äckern werden 49 (!) Urpflaumensorten (umgangs- den Laufkäufern und Wildbienen, sowohl am Acker sprachlich „Kriecherl“, „Ziparte“, „Bidling“) inklusive als auch bei der sogenannten „Muttertagswiese“, besonderer Strukturen für Wildbestäuber, Käfer, in enger Kooperation mit der Bayerischen Akademie Vögel und so weiter gepflanzt. Die Hecke liegt für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL). quer zur Hauptwindrichtung und soll somit die Jeder Bauer hat so Flächen, wie steile Böschungen Windgeschwindigkeit bis zu 60 % verringern. Bei oder andere ökonomisch ungünstige Lagen, die geringerer Windstärke nimmt die Taubildung zu mit seinem Maschinenpark umständlich zu bewirt- und die Bodenfeuchtigkeit wird erhöht, während schaften sind und meist mit Mehraufwand gemäht die Verdunstung verringert wird. Ein wichtiger werden müssen. Lässt er diese Flächen von der Effekt in Zeiten des Klimawandels. Wir gehen davon Natur zurückerobern, spart er sich zumindest Arbeit. aus, dass diese Hecke den Getreideertrag im Schlag erhöhen kann (in trockenen Jahren bis zu 5. Die Pflege der Kleinhabitate soll an die 20 % höher) oder zumindest stabilisiert, trotz Bewirtschaftungsmethoden/Maschinen des der Schattenwirkung. landwirtschaftlichen Betriebes angepasst sein. 2019 wurde eine Obstbaumhecke mit alten Obst- 7. Selbst angelegte Strukturen sollten auch sorten auf Hochstämmen inmitten eines 8 ha wieder entfernt werden dürfen. Sollte sich großen Ackers gesetzt. Die Lage wurde nach den eine schützenswerte Art angesiedelt haben, Spurbreiten der landwirtschaftlichen Maschinen hilft die Behörde bei der Umsiedelung. ausgewählt, damit die Feldbearbeitung nicht Sollte es notwendig werden, in späteren Jahren gestört wird. Wenn kein finanzieller Vorteil entsteht, aufgrund der Änderung der Feldmaschinen- dann zumindest ein arbeitstechnischer Vorteil größen die „Heckendurchfahrt“ zu verbreitern (nicht umständlich mit großen Traktoren fahren/ oder eine Wendemöglichkeit für den Mähdrescher wenden müssen oder weniger oft mit der Hand zu schaffen, ist es essenziell, dass der Landwirt

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die Hecke – in Abstimmung mit der Naturschutz- behörde – auch wieder entfernen darf. Nur hier- durch ist eine flexible Planung möglich. Wenn sich eine schützenswerte Art angesiedelt hat, wird diese unter der Anleitung der Behörde schonend umgesiedelt. Es darf beim Bauern zu keiner „gefühlten Enteignung“ seines Grundes kommen. Es besteht der klare Wunsch: Wenn der Landwirt die Hecke selbst angelegt hat, dann soll er auch die Hoheit darüber haben. Es gilt die maximal mögliche Bestimmungsfreiheit über den eigenen Grund und Boden zu bewahren, auch für die Nachfahren.

Autoren

Prof. Dr. Konrad Steiner Jahrgang 1969.

Konrad Steiner ist Nebenerwerbslandwirt in Berndorf, unterrichtet an der Höheren Bundes- lehranstalt für Landwirtschaft in Ursprung (Salz- burg) und betreibt ein Ingenieurbüro aus dem Fachgebiet Biologie und Erdwissenschaften. Zu seinen Themengebieten gehören nachhaltige Kreislaufwirtschaft, Ressourcenmanagement, Ökoeffektivität, Biodiversität und agrarische Bildungsprojekte. [email protected]

WissOR Dr. Johann Reschenhofer Jahrgang 1965.

Johann Reschenhofer maturierte nach der Aus- bildung zum landwirtschaftlichen Facharbeiter an der Höheren Bundesanstalt für alpenländische Landwirtschaft in Raumberg/Irdning/Steiermark). Er studierte in Salzburg Biologie (Botanik) und arbeitet seit 2000 bei der Bezirkshauptmannschaft Braunau als Amtssachverständiger für Natur- und Landschaftsschutz. Zu seinen Aufgabengebieten zählen neben der Gutachtertätigkeit als Amts- Zitiervorschlag sachverständiger für Naturschutz die Abwicklung Steiner, K. & Reschenhofer, J. (2020): Sieben Punkte und Begutachtung der naturschutzfachlich und für einen Naturschutz in Bauernhand – das ökologisch orientierten Förderangebote in Ober- Projekt „Schützen durch Nützen“. – ANLiegen österreich. Natur 42(2): 47–52, Laufen; www.anl.bayern.de/ [email protected] publikationen.

52 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Katharina Schertler, Christine Feucht und Wolfram Güthler Beraterin Anita Sinner und die Landwirts- familie präsentieren Fokus-Naturtage in Bayern – Neue Methode stolz die Ergebnisse ihres Fokus-Naturtags der Naturschutzberatung in der Landwirtschaft (Foto: LPV Rottal-Inn).

Die Biobauern Naturschutz gGmbH und der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) haben in einem vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) geförderten Projekt die Beratungsmethode „Fokus-Naturtag“ mit 30 landwirtschaftlichen Betrieben getestet. Die einzelbetriebliche Beratung zeichnet sich durch eine klare Struktur und eine Viel- zahl an Beratungshilfsmitteln aus. Durch eine exakte Dokumentation der Beratungen und einer anschließenden Befragung der Landwirte können Aufwand und die Erfolge ermittelt und gegenübergestellt werden.

Einzelbetriebliche Naturschutzberatung kann Projekt die Beratungsmethode „Fokus-Naturtag“ die Akzeptanz für Naturschutzmaßnahmen in jetzt auf bayerische Betriebe angepasst und der Landwirtschaft wesentlich verbessern. Dadurch getestet. wird ein wichtiger Beitrag geleistet, die gesamt- gesellschaftlichen Herausforderungen im Hinblick Naturschutzberatung mit Methode auf den fortschreitenden Biodiversitätsverlust in Die Fokus-Naturtag-Beratung setzt auf der betriebs- der Agrarlandschaft zu bewältigen. individuellen Ebene an und versucht in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen In den Jahren 2013 bis 2015 entwickelte die Bioland Beraterin und Landwirt Entwicklungspotenziale Beratung GmbH die Methode des Fokus-Natur- für mehr Naturschutz im Gesamtbetrieb zu finden. tags (www.fokusnaturtag.de). Die Biobauern Natur- Bereits der gesamtbetriebliche Blickwinkel im schutz gGmbH (als Tochter von Bioland) und Gegensatz zum sonst meist verbreiteten, einzel- der DVL haben in einem vom StMUV geförderten flächenorientierten Ansatz bietet neue Chancen.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 53 Schertler, Feucht & Güthler: Land schafft Vielfalt Fokus-Naturtage in Bayern

Abbildung 2 Die Fokus-Naturtag- Die entwickelten Maßnahmen passen oft besser Statt in einem Bericht, dokumentieren die Beraterin beratung läuft nach zur Situation und in die Arbeitsabläufe des Betriebes und der Landwirt die Ergebnisse gemeinsam auf vorgegebenen und haben so eine langfristige Perspektive. einem Poster. Das Materialset für den Fokus- Arbeitsschritten ab, Naturtag umfasst einen Posterrohling, Maßnah- die durch verschie- Inzwischen gibt es in Deutschland eine Vielzahl menaufkleber, Tier- und Pflanzensticker sowie dene Hilfsmittel unterstützt werden. an Naturschutzberatungsangeboten und -projekten. einen Fotodrucker (Abbildung 3). Was für skep- Der Fokus-Naturtag zeichnet sich dabei durch tische Betriebsleiter zunächst nach „Bastelstunde“ eine klare methodische Struktur (Abbildung 2), klingt, entwickelt sich in der Regel zu einem definierte Arbeitsschritte und zeitsparende intensiven Prozess, in dem die Maßnahmen Beratungshilfsmittel aus. Er wurde vor dem konkretisiert und weiterentwickelt sowie offene Hintergrund entwickelt, dass Beratungsangebote Fragen geklärt werden. Der Tag schließt mit einer kompakt und kosteneffizient sein müssen, wenn fertigen Darstellung der Ergebnisse ab. Die Land- sie langfristig vielen Landwirten zur Verfügung wirte schätzen das Poster gerade im Alltag sehr, stehen sollen. weil die Maßnahmenvorschläge im Arbeitsleben präsent bleiben. Im Nachgang bekommt der Beraterin und Landwirt verbringen gemeinsam Betrieb ein Info-Buch, das die Beraterin mit Hilfe einen Tag auf dem Betrieb und stellen dabei die einer Datenbank individuell für jeden Betrieb Naturschutzpotenziale in den Mittelpunkt. Während zusammenstellt. Es enthält Umsetzungsanlei- eines Rundgangs wird die Situation vor Ort tungen, Hintergrundbeschreibungen, weiter- gemeinsam analysiert und in Form von Maßnah- führende Literatur und aktuelle Informationen menvorschlägen nach Verbesserungsmöglich- zur rechtlichen Situation und den bestehenden keiten gesucht. Für die Betriebsleiter ist der Fokus- Fördermöglichkeiten. Die von Bioland entwickelte Naturtag eine gute Gelegenheit, Tier- und Pflan- Datenbank sowie das Material-Set sind wesentliche zenarten zu beobachten und Biotope und Land- Voraussetzungen für die effiziente Durchführung schaftselemente zu beurteilen. Spaß am Natur- des Fokus-Naturtags. erleben und Freude an der heimatlichen Land- schaft bilden einen wichtigen Aspekt des Felder- Ergebnisse aus dem bayerischen Projekt rundgangs. Es ist die Aufgabe des Beraters, ein Drei Berater der Landschaftspflegeverbände breites Fachwissen zur Verfügung zu stellen. Die Eichstätt, Forchheim und Rottal-Inn sowie eine Beratung umfasst auch, rechtliche oder förder- Beraterin der Biobauern Naturschutz gGmbH technische Rahmenbedingungen zu klären, um führten im Sommer 2019 auf 30 landwirtschaft- Maßnahmen zu entwickeln, die individuell passen. lichen Betrieben Fokus-Naturtage durch. Darunter waren 10 biologisch und 20 konventionell wirt-

54 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Schertler, Feucht & Güthler: Fokus-Naturtage in Bayern Land schafft Vielfalt

schaftende Betriebe mit einer durchschnittlichen Größe von 107 ha. Im Mittel wurden rund 14 Maßnahmen je Betrieb dokumentiert, welche sich auf die verschiedenen Bereiche der Betriebe verteilten (Abbildung 4). Dies zeigt deutlich, dass die Landwirte bereit sind, auch auf den Wirtschafts- flächen und in der Landschaft aktiv zu werden.

Ergänzend zur ursprünglichen Methode, die mit der Übergabe des Info-Heftes endete, unter- stützten die Berater die Betriebe auch bei der Umsetzung. Die ergänzende Umsetzungsbe- gleitung war in vielen Fällen ausschlaggebend für den Abschluss von Maßnahmen aus dem Vertragsnaturschutzprogramm (VNP) sowie weiterer Förderprojekte, zum Beispiel im Rahmen der Landschaftspflege- und Naturpark-Richtlinien. So konnten rund 39 ha zusätzliche Vertrags- naturschutzflächen sowohl auf Wiesen als auch auf Ackerflächen in die Förderung aufgenommen werden. Einzelne Landwirte hatten vorher noch nie von den Fördermöglichkeiten gehört und waren froh über die umfassende Begleitung durch die Berater.

Eine Befragung im Nachgang der Beratungen ergab, dass die Betriebe bereits nach neun Monaten 43 % der Maßnahmen umgesetzt und weitere 42 % in Planung hatten. Nur 15 % der Maßnahmen wurden aus verschiedenen Gründen verworfen. 97 % der Landwirte glauben, dass der Fokus-Naturtag bei ihnen zu mehr oder zumindest zu etwas mehr Naturschutz auf ihrem Betrieb geführt hat. Rund 75 % berücksichtigen die Vorschläge und Inhalte der Beratung bei ihrer täglichen Arbeit.

Auch die grundsätzliche Rückmeldung zeigt, wie positiv die Betriebe das Beratungsangebot angenommen haben. Alle 30 Betriebe gaben an, „zufrieden“ oder „äußerst zufrieden“ mit der Abbildung 3 Methodik des Fokus-Naturtags gewesen zu sein. Für die Dokumentation Indem die Berater den Unteren Naturschutzbe- gibt es ein Materialset aus Die Auswertung der Dokumentation durch die hörden detaillierte Informationen über poten- einem Posterrohling und Berater ergab eine gesamte Beratungsdauer – zielle Flächen und Maßnahmen weitergaben verschiedenen Aufkle- von der Kontaktaufnahme bis zu Umsetzungs- und die Landwirte hinreichend informierten, bern zur Dokumentation und Illustration der Maß- begleitung – von durchschnittlich 16 Stunden. konnten die Behörden zeitlich entlastet werden. nahmen (Bildautor: Kilian Rund die Hälfte davon wurde im direkten Kontakt Dies bestätigt Michael Urbanczyk von der Unteren Wasmer). mit dem Landwirt verbracht. Die andere Hälfte Naturschutzbehörde in Forchheim: „Ein Vorteil entfällt auf Vor- und Nachbereitung, Informations- ist, dass der Berater auch Betriebe ansprechen beschaffung und die Fahrzeit zum Betrieb. konnte, die noch Berührungsängste mit den Damit erreicht die Fokus-Naturtag-Methode Behörden haben. Nach der Beratung haben wir die gewünschte Konzentration auf die Arbeit alle notwendigen Informationen über die Flächen mit den Landwirten und eine starke Reduktion vom Berater bekommen und konnten schließlich der schriftlichen Dokumentationszeit. Die direkt mit den Landwirten die Maßnahmen Umsetzungsbegleitung betrug im Durchschnitt abschließen. In unserem Landkreis konnten rund drei Stunden. durch die Fokus-Naturtag-Beratungen 25 ha

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 55 Schertler, Feucht & Güthler: Land schafft Vielfalt Fokus-Naturtage in Bayern

Abbildung 4 Verteilung der Maßnahmentypen Verteilung der neu in den Vertragsnaturschutz aufgenommen Maßnahmentypen. werden. Die Beratung hat uns bei den Vertrags- abschlüssen erheblich entlastet.“

Ausblick Ziel des Projektes war es, die Methodik des Fokus-Naturtages in Bayern zu erproben und anzupassen. Das Projekt zeigte, dass der Bera- tungsansatz einfach umzusetzen ist und im Vergleich zu anderen Beratungsansätzen im Naturschutz deutlich effizienter ist. Dies liegt einerseits an einer klaren Struktur, die den Schwerpunkt auf die Beratung der Landwirte vor Ort legt, und andererseits an der Verwen- dung qualifizierter Materialien und Datenbank. Diese erleichtert es wesentlich, die Ergebnisse für den Landwirt zu dokumentieren und wich- tige begleitende Informationen bereitzustellen. Das Umweltministerium plant, diese Form von Acker Grünland Beratung über Vollzugshinweise als pauschal Landschaftselemente Wald zu fördernde Maßnahme in den Landschafts- pflege- und Naturparkrichtlinien zu verankern. Streuobst Hofstelle Insbesondere in Gebieten, in denen Landwirte Naturschutzmaßnahmen noch kritisch sehen, soll die Methode zukünftig verstärkt eingesetzt werden. Damit können politische Ziele, wie die Verdoppelung der Vertragsnaturschutzfläche, und gesetzliche Vorgaben, wie die Schaffung Autoren von 10 % Spätmahdflächen und 15 % Biotop-

Katharina Schertler verbundfläche im Offenland, erreicht werden. Eine qualifizierte Naturschutzberatung gewinnt hier weiter an Bedeutung. Die Methodik des Studium der Landschaftsökologie in Oldenburg, seit 2008 als Naturschutzberaterin für Biobauern Fokus-Natur-Tages kann dabei nicht nur in beim Anbauverband Bioland tätig. Seit 2017 Förderprojekten, sondern auch in der Arbeit Geschäftsführerin der Biobauern Naturschutz der Naturschutzverwaltung zum Einsatz kommen. gGmbH. Arbeitsschwerpunkte: Beratungs- und Bildungsprojekte für landwirtschaftliche Betriebe, besonders im ökologischen Landbau; Begleitung von Naturschutzmaßnahmen auf Biobetrieben.

Biobauern Naturschutz gGmbH +49 821 34680-121 [email protected]

Christiane Feucht

Deutscher Verband für Landschaftspflege (DVL) e. V. +49 981 180099-0 [email protected]

Wolfram Güthler Zitiervorschlag

Bayerisches Staatsministerium für Schertler, K., Feucht, C. & Güthler, W. (2020): Umwelt und Verbraucherschutz Fokus-Naturtage in Bayern – Neue Methode der Referatsleiter Landschaftspflege und Naturschutzberatung in der Landwirtschaft. – Naturschutzförderung ANLiegen Natur 42(2): 53–56, Laufen; [email protected] www.anl.bayern.de/publikationen.

56 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Landwirt Walter Siegel Jürgen Metzner und Beate Krettinger stattete seinen Hoflader für die Arbeiten im Moor- Die Land(wirt-)schaft der Zukunft gebiet mit Drillingsreifen aus, um zu verhindern, dass er in den weichen Moorböden versinkt Wie sollen in Zeiten des Artensterbens, des Klimawandels, aber auch des Bauernhöfe- und die sensible Moor- Sterbens Kulturlandschaften mit reicher Naturausstattung erhalten werden? Diese Frage vegetation verletzt treibt nicht nur die Landschaftspflegeverbände um. Viele Menschen und ganze Branchen (Foto: Uwe Kießling/ sind angesprochen – der heimische Tourismus, der von unserer Kulturlandschaft lebt, DVL). Gemeinden in Mittelgebirgsregionen, die sich gegen eine schleichende Bewaldung ihrer Bergwiesen und Täler wehren, und die Landwirtschaftsbetriebe, die im Spannungsfeld von Verbrauchern und gesetzlichen Vorgaben wirtschaften und gleichzeitig abhängig von Klima und Natur sind. Es ist eine schwierige Gemengelage und es gibt eine Reihe von Lösungsan- sätzen. Egal von welcher Seite wir aber denken, immer bildet bei der Kulturlandschaft die Landbewirtschaftung selbst die unersetzliche Basis und die Lösung für anstehende Heraus- forderungen. Die Landschaftspflegeverbände wissen das. Modelle und Best-practice in der Landschaftspflege sind deshalb immer auch ein Blick auf die Landwirtschaft, die die arten- reichen Kulturlandschaften prägt und erhält.

Was ist die Landwirtschaft der Zukunft? Chemiekonzernen. Modern wurde hier immer Landwirtschaft der Zukunft wird oft gleichge- gleichgesetzt mit hochtechnisierter, leistungs- setzt mit „moderner Landwirtschaft“. Dieser starker, produktiver Landwirtschaft. Die „unmo- Begriff wurde aktiv vom „Forum moderne Land- derne Landwirtschaft“, so folgern wir, sind die wirtschaft“ besetzt, einen Zusammenschluss anderen – weniger produktiv, weil es vielleicht von Bauernverbänden, Agrarunternehmen und der Standort nicht zulässt, weniger leistungs-

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 57 Metzner & Krettinger: Land schafft Vielfalt Die Land(wirt-)schaft der Zukunft

Deutschen Verbandes für Landschaftspflege (DVL) werden die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft deutlich an Wert gewinnen, was sich auch im Preis dieser Leistungen nieder- schlagen wird.

Gemeinwohlleistungen einen Preis geben Wie die geforderten Gemeinwohlleistungen Biodiversitätsschutz, Klimaschutz oder Gewässer- schutz den Landwirten durch die Gesellschaft entgolten werden, dafür gibt es unterschiedliche Modelle, die auch von den Landschaftspflege- verbänden offensiv umgesetzt werden. Bestes Beispiel hierfür sind Produkte aus der Landschafts- pflege wie Apfelsaft oder Weidefleisch. Der Verbraucher kauft sich Genuss aus der Landschaft und unterstützt damit diejenigen Betriebe, die bestimmte Gemeinwohlleistungen erbringen. Ökonomen bezweifeln aber, dass sich über solche Produkte allein Entwicklungen zu einer Kultur- landschaft der Zukunft steuern lassen. Hierzu bedarf es vielmehr angepasster Fördersysteme und einer Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP). Für eine Reform der Förder- politik schlägt der DVL die sogenannte Gemein- wohlprämie vor. Mit der Gemeinwohlprämie werden Gemeinwohlleistungen der Landwirt- schaft bewertet und betriebsindividuell entlohnt, denn – auch bei der Weiterentwicklung der GAP hin zu mehr Gemeinwohl, müssen wir von den Betrieben aus denken und einem Biodiversitäts-, Klima-, oder Gewässerschutz eine wirtschaft- liche Komponente geben. Gemeinwohlleistungen müssen also, neben der klassischen Produktion, Elemente der sogenannten „landwirtschaftlichen Tätigkeit“ werden. Das ist bisher noch nicht der Fall. Immer noch wird die Förderung der Betriebe an der Produktion gemessen. Agrarumwelt- Abbildung 2 Landwirt Walter stark, weil es vielleicht Familienbetriebe oder maßnahmen errechnen sich am Ertragsausfall. Siegel bewirt- Nebenerwerbsbetriebe sind, weniger technisiert, Direktzahlungen werden nur dort gezahlt, wo schaftet 33 Hek- weil sich die Technik in einer klein parzellierten eine Produktion stattfindet. Ein lohnender tar Grünland, Landschaft und unter den Produktionsbedin- landwirtschaftlicher Betriebszweig, der sich auf sowie sensible gungen nicht lohnt. Aus Sicht der Landschafts- Gemeinwohlleistungen spezialisiert, lässt sich Moorgebiete (Foto: Peter pflegeverbände ist diese Einteilung mehr als damit nicht aufbauen. Dabei brauchen wir Roggen- unpassend. Innovationskraft und Diversifizierung dringend moderne „Mischbetriebe“. Betriebe, thin/DVL). sind in hohem Maße von Menschen abhängig, die neben der Urproduktion aus einem bäuerli- die bereit sind, unter schwierigen Rahmenbe- chen Selbstverständnis heraus auch Gemein- dingungen zu wirtschaften – egal ob in Gäulagen wohlleistungen planen, kalkulieren und produ- oder in Mittelgebirgen, egal ob die Produktion zieren. Die DVL-Gemeinwohlprämie arbeitet oder das Erbringen von Gemeinwohlleistungen mit diesem Prinzip und bietet deutschlandweit im Vordergrund stehen. Und die Landwirtschaft insgesamt 19 Maßnahmen auf Grünland, Acker, scheint verstanden zu haben: Während im Forum in Sonderkulturen oder im Bereich der Hoftor- Moderne Landwirtschaft mittlerweile Obstbaum- bilanzen an (www.dvl.org). Die Betriebe sollen pflanzungen und Artenschutzmaßnahmen selbst berechnen, in welchem wirtschaftlichen beworben werden, bauen sich Betriebe in der Umfang Gemeinwohlleistungen erbracht Landschaftspflege dank neuer Technik neue werden, welche Maßnahmen auf Betriebs- betriebliche Standbeine auf. Aus Sicht des ebene Sinn machen und welche nicht. Land-

58 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Metzner & Krettinger: Die Land(wirt-)schaft der Zukunft Land schafft Vielfalt

Abbildung 3 Übersicht über die Verteilung der Landschaftspflege- verbände in Bayern (DVL).

wirte, die jetzt schon ein hohes Maß an Gemein- 10.000 Quadratmeter großen Moors, die er wohlleistungen erbringen, haben einen Vorsprung. gemeinsam mit anderen Landwirten nach Viele solcher Betriebe zählen zu den Partnern den Vorgaben des Landschaftspflegeverbands der Landschaftspflegeverbände und zu den Kern- Oberallgäu pflegt. betrieben des Naturschutzes. Walter Siegel ist Ortsobmann des Bayerischen Der moderne Mischbetrieb Bauernverbands. Dass er vor einigen Jahren Landwirt Walter Siegel, der seinen Betrieb 2009 begonnen hat, das Moor wieder zu mähen und auf biologische Landwirtschaft umstellte, betreibt sogar die Gräben anzustauen, versteht nicht auf seinen 33 Hektar Flächen im Landkreis Ost- jeder seiner Landwirtskollegen. Moorerhalt dient allgäu einen solchen Zukunftsbetrieb im Voller- hier nicht nur dem Erhalt der Artenvielfalt, sondern werb. Typisch für die Regionen im regenreichen auch dem Klimaschutz, denn Moorböden spei- Süden Bayerns ist Milchvieh sein wichtigstes chern Kohlendioxid. Standbein. Er besitzt 35 Milchkühe und 25 Färsen, dazu noch 3 Schweine und 13 Hühner. Die 33 Der Einsatz von Handbalkenmäher, Motorsense Hektar Grünland nutzt Walter Siegel teils als und Heugabel – das sieht nach der sogenannten Weide, teils mäht er diese bis zu viermal jährlich. guten, alten Zeit aus. Aber auf Nostalgie steht Walter Siegel nicht. Er denkt wirtschaftlich und Die Anzahl der Milchkühe ist für ihn insoweit zukunftsorientiert. Zudem sind Ideenreichtum ausreichend, da ihm so noch genügend freie und technisches Know-how gefragt. So stattete Arbeitskapazität für die Landschaftspflege bleibt. er zum Beispiel seinen Hoflader für die Arbeiten Zu seinen Flächen gehören auch Teile eines im Moorgebiet mit Drillingsreifen aus, um zu

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 59 Metzner & Krettinger: Land schafft Vielfalt Die Land(wirt-)schaft der Zukunft

verhindern, dass er in den weichen Moorböden einzigartigen biologischen Vielfalt und ihren versinkt beziehungsweise die sensible Moor- vielfältigen Ökosystemleistungen zu erhalten, vegetation verletzt. Für die anstrengenden, harten zu entwickeln und noch mehr ins Bewusstsein Pflegearbeiten erhält Walter Siegel Fördergelder der Bevölkerung zu bringen. aus dem bayerischen Landschaftspflegeprogramm. Das Konstrukt der Landschaftspflegeverbände Betrieblich denken – überbetrieblich handeln ist bundesweit einzigartig. Es schafft Vertrauen Die Land(wirt-)schaft der Zukunft braucht mehr und ist in vielen Gebieten zum Garanten einer Menschen, die wie Walter Siegel denken und erfolgreichen Naturschutzarbeit geworden. Im handeln. Bei geeigneten Rahmenbedingungen Biodiversitätsprogramm 2030 der Bayerischen werden sich mehr Betriebe umorientieren – und Staatsregierung sind die Landschaftspflegever- sei es nur aus wirtschaftlichen Erwägungen. Ob bände als zentrales Instrument des kooperativen Schutzgebiete oder die normale Agrarflur – Maß- Naturschutzes in Bayern benannt und deren nahmen für Biodiversität, Klimaschutz und intakte flächendeckender Ausbau als Ziel formuliert. Gewässer müssen flächendeckend angepackt Dieses Ziel wurde im zweiten Gesetz zugunsten werden. Hierfür braucht es regionale Konzepte der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern und überbetriebliche Zusammenarbeit. Bestes (Gesamtgesellschaftliches Artenschutzgesetz – Beispiel ist der Moorschutz, da durch die Wieder- Versöhnungsgesetz) nochmals bekräftigt. vernässung oft mehrere Betriebe betroffen sind. Aber auch beim Wiesenbrüterschutz oder der Stand Juli 2020 gibt es in Bayern 64 Landschafts- Biotopvernetzung lohnt die abgestimmte pflegeverbände und vergleichbare Organisationen. Zusammenarbeit mehrerer Betriebe. Betrieb- Sie sind auf 80 % der Landesfläche tätig. Inzwi- liche Interessen überbetrieblich bündeln und schen greifen 15 kreisfreie Städte, 56 Landkreise an Gemeinwohlzielen ausrichten! Das ist und und über 1.600 Gemeinden als Mitglieder auf die wird eine wichtige Aufgabe der Landschafts- organisatorische Leistungsfähigkeit der Land- pflegeverbände. schaftspflegeverbände zurück. Neben der Pflege und Entwicklung geschützter Biotope, beispiels- Landschaftspflegeverbände in Bayern weise in Naturschutz-, Landschaftsschutz- oder Mitte der 1980er-Jahre wurden in Bayern die Natura 2000-Gebieten, spielen zunehmend ersten Landschaftspflegeverbände in Deutsch- kommunale Grünflächen, Ausgleichsflächen oder land gegründet. Bayern ist damit die Keimzelle die sogenannten „Eh-da-Flächen“ eine Rolle. einer Idee, die mittlerweile in zahlreichen Bundes- ländern Nachahmung findet. Das Arbeitsprinzip der gemeinnützigen Organisationen beruht auf Kooperation. Vertreter von Land- und Forstwirt- schaft, Kommunalpolitik und Naturschutz setzen sich in den Vorständen gleichberechtigt dafür ein, bayerische Kulturlandschaften mit ihrer

Autoren

Jürgen Metzner

Diplom-Biologe, Promotion Universität Bayreuth. Von 2003 bis 2009 DVL-Landeskoordinator Bayern und seit 2009 Geschäftsführer des DVL. [email protected]

Beate Krettinger Zitiervorschlag Diplom-Biologin. Von 1993 bis 2009 Mitarbeiterin Metzner, J. & Krettinger, B. (2020): Die Land(wirt-) Landschaftspflegeverband Mittelfranken. Seit schaft der Zukunft. – ANLiegen Natur 42(2): 2009 DVL-Landeskoordinatorin Bayern. 57–60, Laufen; www.anl.bayern.de/publikati- [email protected] onen.

60 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Karin Stein-Bachinger, Frank Gottwald und Almut Haub Ökologische Landwirt- schaft fördert nachweis- Mehr Artenvielfalt durch ökologische lich die Artenvielfalt, besonders, wenn zu- sätzliche Strukturen Landwirtschaft und Landschaftsele- mente vorhanden sind. Hier ein Distelfalter Der Ökolandbau hat eindeutig positive Auswirkungen auf die Artenvielfalt im Vergleich zur (Vanessa carduus; Foto: konventionellen Landwirtschaft. Dies ist das Ergebnis einer umfangreichen, quantitativen Wolfram Adelmann/ANL). Literaturauswertung von 75 Studien von 1990 bis 2017. Über alle Artengruppen betrachtet zeigten sich bei 86 % (Flora) beziehungsweise 49 % (Fauna) der Vergleichspaare deutliche Vorteile durch ökologischen Landbau. Die aktuellen Ergebnisse bestätigen beziehungsweise übertreffen zum Teil sogar die Aussagen bisheriger Literaturstudien hinsichtlich der positiven Wirkungen des ökologischen Landbaus.

Hintergrund Auswirkungen des Ökolandbaus auf die Die Art der Landnutzung hat einen maßgeblichen Artenvielfalt Einfluss auf die biologische Vielfalt in der Agrar- Der Ökolandbau hat eindeutig positive Auswir- landschaft. Viele Arten, wie Feldvögel und Amphi- kungen auf die Artenvielfalt im Vergleich zur bien, leben teilweise auf landwirtschaftlich ge- konventionellen Landwirtschaft. Dies ist das nutzten Flächen. Ackerwildkräuter würden ohne Ergebnis einer umfangreichen Literaturauswer- regelmäßige Bodenbearbeitung verschwinden. Der tung, in der die ökologische und konventionelle alarmierende Rückgang der Biodiversität wird Bewirtschaftung verglichen wurde. Für das Themen- zu einem großen Teil der intensiven Landbe- feld Biodiversität wurden 75 Studien mit 312 Ver- wirtschaftung zugeschrieben (Schmidt-Traub et gleichspaaren, die von 1990 bis 2017 in gemäßigten al. 2019). Nährstoffüberschüsse, hoher Einsatz Klimazonen durchgeführt wurden, einbezogen an Pestiziden und der Anbau nur noch weniger (Stein-Bachinger et al. 2019). Untersucht wurden Fruchtarten sind wesentliche Faktoren, die den neben blütenbesuchenden Insekten wie Bienen, Rückgang fördern. Tagfalter und Schwebfliegen auch die Acker-

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 61 Stein-Bachinger, Gottwald & Haub: Land schafft Vielfalt Mehr Artenvielfalt durch ökologische Landwirtschaft

Abbildung 2 Effekte der ökologischen Landwirtschaft auf P anzen mittlere Artenzahl und Häufigkeit verschiedener

Organismengruppen im A R T E N Z A H L 86 % 13 % 1 % A

Vergleich zur konventio- R O L

nellen Landwirtschaft. F R E

Falls in den Studien keine K C Angaben zur Signifikanz A H Ä U F I G K E I T 100 % vorlagen, erfolgte die Klassi- fizierung mithilfe prozen-

tualer Schwellenwerte. K N A R T E N Z A H L A 83 % 17 % B

Legende: N Anteil der E SA M Vergleichspaare mit - R E

- K H Ä U F I G K E I T 100 % C Grün/„Öko +“ = positiver A

Effekt durch ökologischen N O I -

Landbau (signifikant be- T M A A R T E N Z A H L T 71 % 29 %

ziehungsweise > + 20 %), E SA U G - E V Blau/„Öko=“ kein Unter- schied (nicht signifikant beziehungsweise Tiere +/- 20 %), L

- E G Ö

Lila/„Öko-“ = negativer V A R T E N Z A H L 69 % 31 % D L

Effekt (signifikant bezie- E hungsweise < - 20 %). F

H Ä U F I G K E I T 50 % 50 %

E D

N A R T E N Z A H L

E 41 % 59 % H N C E U T S K E E B S - N N I E H Ä U F I G K E I T 42 % 41 % 17 % LÜ T B

Öko + Öko = Öko -

wildkräuter, die Ackersamenbank und Saum- Auswirkungen allerdings nicht so deutlich wie vegetation sowie die Feldvögel. Diese Arbeiten sind bei den Pflanzen, da Tiere sehr mobil sind und Teil der Studie zu den „Leistungen des ökologi- stärker von der Landschaftsstruktur und dem schen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft“, Vorhandensein von Begleitbiotopen (für Repro- die unter Federführung des Thünen-Institutes duktion/Überwinterung) abhängen (Stein-Bachinger und der Universität Kassel durchgeführt wurde et al. 2019). Über alle Artengruppen betrachtet (Sanders & Heß 2019). Darin wurden die Themen- zeigten sich bei 86 % (Flora) beziehungsweise bereiche Wasserschutz, Bodenfruchtbarkeit, Klima- 49 % (Fauna) der Vergleichspaare deutliche Vorteile schutz und -anpassung, Ressourceneffizienz durch ökologischen Landbau (Abbildung 2). sowie Tierwohl untersucht. Die aktuellen Ergebnisse bestätigen beziehungs- Die mittleren Artenzahlen der Ackerwildkräuter weise übertreffen zum Teil sogar die Aussagen lagen auf ökologischen Flächen im Durchschnitt bisheriger Literaturstudien hinsichtlich der posi- um 95 % höher als im konventionellen Anbau. tiven Wirkungen des ökologischen Landbaus auf Besonders stark im Feldinnern. Bei den Feldvo- die biologische Vielfalt (unter anderem Hole et geln wurden gut ein Drittel höhere Artenzahlen al. 2005; Tuck et al. 2014). Demnach kommt der in ökologisch bewirtschafteten Flächen festge- ökologischen Landbewirtschaftung eine hohe stellt. Ähnlich positive Effekte gab es bei den Bedeutung für den Erhalt der Artenvielfalt zu. Insekten. Hier sind die bewirtschaftungsbedingten

62 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Stein-Bachinger, Gottwald & Haub: Mehr Artenvielfalt durch ökologische Landwirtschaft Land schafft Vielfalt

Die Gründe dafür sind vielfältig: Im ökologischen Landbau wird auf chemisch-synthetische Pflanzen- schutzmittel, beispielsweise zur Bekämpfung von ungewünschten Beikräutern oder Schädlingen, verzichtet. Problemunkräuter werden über eine vielseitige Fruchtfolge beziehungsweise mecha- nisch reguliert. Futterleguminosen wie Klee und Luzerne sowie Körnerleguminosen wie Lupinen und Erbsen werden angebaut. Sie binden Luft- Stickstoff und sind somit eine wichtige Nährstoff- quelle. Gleichzeitig lockern sie die Fruchtfolge auf und bieten Insekten Nahrung und Lebens- räume. Der Verzicht auf Mineralstickstoff, die flächengebundene Tierhaltung und die Begren- zung des Futtermittelzukaufs sorgen für ein geringeres Nährstoffniveau. Daraus ergeben sich geringere Kulturdichten, in denen wildlebende Tier- und Pflanzenarten mehr Lebensraum und Nahrung finden. Vielfältige Fruchtfolgen sind als vorbeugende Maßnahme zur Gesunderhaltung Abbildung 3 der Bestände wichtig. Teil nicht oder extensiv genutzten Strukturen. Eine extensiv genutzte, Auch bei der Mahd, sei es im Kleegras oder Grün- artenreiche Mähwiese, Entwicklungspotenziale im Ökolandbau land, können die Tiere in die Säume flüchten hier im ökologischen Landbau (Foto: Wolfram Über die systemimmanenten Leistungen des öko- und von dort die Flächen mit nachwachsendem Adelmann/ANL). logischen Landbaus hinaus besteht ein weiteres Bestand wieder besiedeln. Die Artenvielfalt der Aufwertungspotenzial durch angepasste Anbau- Agrarlandschaft hängt also neben den Bewirt- und Nutzungsverfahren, da bestimmte Arten schaftungsverfahren auf der Fläche entscheidend durch die gängige Praxis nicht erhalten oder vom Anteil und der Qualität dieser Landschafts- gefördert werden können (Gottwald & Stein- elemente ab. Bachinger 2016, 2018). Nicht zu unterschätzen ist der ökonomische Druck, der zur Intensivierung Das vom WWF in Kooperation mit Biopark, dem und Spezialisierung im Bioanbau führen kann mit ZALF und EDEKA im Jahr 2015 eingeführte Natur- negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt. schutzmodul „Landwirtschaft für Artenvielfalt“ Durch veränderte Anbau- und Nutzungsverfahren soll die Artenvielfalt auf landwirtschaftlichen auf einem Teil der Nutzflächen kann den speziellen Betrieben fördern und die Naturschutzleistungen Ansprüchen vieler Arten begegnet werden. Stark für den Verbraucher transparent machen gefährdete Ackerwildkräuter, wie der Acker- (www.landwirtschaft-artenvielfalt.de). Ein Katalog Schwarzkümmel oder die Kleine Wolfsmilch, die von über 100 Naturschutzmaßnahmen für Acker- erst ab August reife Früchte bilden, können durch land, Grünland, Landschaftselemente und Hofstelle späte Stoppelbearbeitung (ab Mitte September) bietet den Landwirten viele individuelle Auswahl- und Verzicht auf Striegeln auch kleinflächig am möglichkeiten (Gottwald & Stein-Bachinger 2016). Ackerrand gezielt gefördert werden. Vögel, wie Darin enthalten sind Maßnahmen, die in den die Feldlerche, brüten auf Äckern und im Grün- Betrieben bereits umgesetzt und zum Teil im land. Um ihre Jungen erfolgreich aufzuziehen, Rahmen von Agrarumwelt- oder Vertragsnatur- benötigen sie einen störungsfreien Zeitraum von schutzprogrammen honoriert werden. Das Natur- zirka 8 Wochen in der Brutzeit. Lassen die Land- schutzmodul stellt eine zusätzliche Qualifikation wirte bei der ersten oder zweiten Mahd im Klee- für Naturschutzleistungen auf Gesamtbetriebs- gras oder Grünland-Streifen stehen, wirkt sich ebene dar, die Teilnahme ist freiwillig. Aktuell das besonders positiv auf Insekten aus und sind rund 130 Landwirte aus Deutschland mit beansprucht nur einen kleinen Teil der Fläche. zirka 45.000 Hektar beteiligt und können, wenn Davon profitieren zum Beispiel Tagfalter, wie sie die erforderliche Punktsumme unter Berück- der Kleine Perlmutterfalter und der Hauhechel- sichtigung aller im Betrieb erbrachten Natur- Bläuling. Viele Insektenarten und Spinnen hängen schutzleistungen erreichen, eine finanzielle stark von Landschaftselementen, wie Hecken Honorierung bei der Vermarktung bestimmter oder Säumen, ab. Während sie im Sommer ganz Produkte über EDEKA erhalten. Der Verbraucher oder teilweise auf dem Acker leben, benötigen kann mit seiner Kaufentscheidung somit aktiv sie zur Überwinterung diese angrenzenden, zum zum Artenschutz beitragen und eine Umsetzung

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 63 Stein-Bachinger, Gottwald & Haub: Land schafft Vielfalt Mehr Artenvielfalt durch ökologische Landwirtschaft

von Naturschutzmaßnahmen unterstützen. wirtschaft für Artenvielfalt“ wird erreicht, dass Wissenschaftliche Begleituntersuchungen in Naturschutzmaßnahmen nicht nur einzelschlag- der Praxis verbessern die Effektivität der Natur- bezogen, sondern gesamtbetrieblich bewertet schutzleistungen und damit die Akzeptanz. werden. Das Naturschutz-Zertifikat ist eine zusätzliche Qualifikation für besondere Natur- Schlussfolgerungen schutzleistungen und kann für die Vermarktung Die ökologische Landwirtschaft leistet einen genutzt werden. hohen Beitrag zur Verbesserung der Artenviel- falt und kann diese durch gezielte Maßnahmen Literatur

weiter verbessern. Die Vergleichsstudie belegt, Gottwald, F. & Stein-Bachinger, K. (2016): Landwirtschaft dass aufgrund des systemischen Ansatzes posi- für Artenvielfalt – Ein Naturschutzmodul für ökolo- tive Wirkungen für weitere Bereiche des Umwelt- gisch bewirtschaftete Betriebe. – 208 S.; www.land- und Ressourcenschutzes wie Wasser-, Klima- und wirtschaft-artenvielfalt.de.

Erosionsschutz resultieren (Sanders & Heß 2019). Gottwald, F. & Stein-Bachinger, K. (2018): “Farming for Mehr Ökolandbau fördert somit gleichzeitig viele Biodiversity” – a new model for integrating nature positive Ökosystemleistungen. conservation achievement on organic farms in north- eastern Germany. – Organic Agriculture, 8: 70–86.

Für die gezielte Förderung der Artenvielfalt ist Hole, D. G., Perkins, A. J., Wilson, J. D. et al. (2005): Does eine kostenfreie Naturschutzberatung sehr wichtig, organic farming benefit biodiversity? – Biological um Maßnahmen effektiv an den Bedürfnissen Conservation, 122: 113–130. der Zielarten auszurichten und gleichzeitig die Meyer, S., Wesche, K., Krause, B. et al. (2014): Diversitäts- betriebswirtschaftlichen Aspekte im Blick zu haben. verluste und floristischer Wandel im Ackerland seit Mit der Einführung des Naturschutzmoduls „Land- 1950. – Natur und Landschaft (89): 392–398. Sanders, J. & Heß, J. (Hrsg., 2019): Leistungen des öko- logischen Landbaus für Umwelt und Gesellschaft. – Thünen Report 65: 362 S.; DOI:10.3220/ Autoren REP1547040572000.

Schmidt-Traub, G., Obersteiner, M. & Mosnier, A. (2019): Karin Stein-Bachinger Fix the broken food system in three steps. – Nature 569: 181–183.

Frau Dr. Karin Stein-Bachinger arbeitet am Stein-Bachinger, K., Haub, A. & Gottwald, F. (2019): Biodi- Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung versität. – In: Sanders, J. & Heß, J. (Hrsg.), siehe oben, als stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe Thünen Report 65: 129–163. „Bereitstellung von Ökosystemleistungen in Tuck, S. L., Winqvist, C., Mota, F. et al. (2014): Land-use Agrarsystemen“. Seit dem Studium der Agrar- intensity and the effects of organic farming on bio- wissenschaften an der Universität Gießen und diversity: a hierarchical meta-analysis. – Journal of der Promotion an der Universität Bonn beschäf- Applied Ecology: 1–10. tigt sie sich in nationalen und internationalen Forschungsprojekten mit Fragen der Erhöhung der Nährstoffeffizienz und Biodiversität im ökolo- gischen Landbau.

Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. [email protected]

Frank Gottwald Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. [email protected]

Almut Haub Zitiervorschlag Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung Stein-Bachinger, K., Gottwald, F. & Haub, A. (2020): (ZALF) e.V. Mehr Artenvielfalt durch ökologische Landwirt- [email protected] schaft. – ANLiegen Natur 42(2): 61–64, Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen.

64 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Markus Breier Wiesensalbei, Margeriten und Labkraut blühen Mähversuche und Mähkonzept an Kreisstraßen im Intensivbe- reich, Anfang Juni (alle Fotos: Markus Breier). Der „Blühende Landkreis Traunstein“ hat das Ziel, mehr Biodiversität in den Gärten, Gemeinden und der Landschaft zu fördern – auch an den Rändern der Kreisstraßen. Hierfür passen wir unser Mähkonzept stetig an und testen neue Verfahren. Die Kreisfachberatung unterstützt dabei Bauhof und Tiefbauverwaltung. Die Fahrer der Mähgeräte werden geschult und einge- bunden. So können sie selber entscheiden: um etwa den Intensivstreifen so schmal wie möglich zu halten, Kleinflächen auszusparen oder die Mahd hinauszuzögern.

Mähen an den Kreisstraßen Straßenbegleitgrün (Verkehrsministerium Baden- Im Landkreis Traunstein liegen 380 km Kreisstraßen, Württemberg 2016, URL 3). Allen gemeinsam ist welche vom landkreiseigenen Bauhof instand- eine Unterscheidung des Straßenbegleitgrüns in gehalten und gepflegt werden. Parallel mit Rad- Abhängigkeit von der Entfernung zum Straßen- wegen sind davon beachtliche 120 km ausge- rand. Zum einen gibt es den Intensivbereich, stattet. Wie entlang dieser Strecken insekten- dessen Aufwuchs ungeachtet der Qualität kurz freundliche Wildblumen, Verkehrssicherheit und zu halten sei, um die Verkehrssicherheit zu gewähr- Arbeitswirtschaftlichkeit optimal verzahnt werden leisten (inklusive Trenngrünstreifen, Mittelstreifen können, sind Fragestellungen im Mähkonzept. sowie Entwässerungseinrichtungen mit Rinnen oder Senken). Zum anderen gibt es den Extensiv- Schon länger existieren Pflegeanleitungen für bereich, der sich nach außen anschließt. Hier sei das Straßenbegleitgrün „Ökologisch orientierte Platz für ökologische Entwicklungen. Grünpflege an Straßen“ (Hessisches Landesamt für Straßenbau 1992), das „Merkblatt für den Diese Unterscheidung lässt leider einen wichtigen Unterhaltungs- und Betriebsdienst an Straßen“ Aspekt außer Acht: ausgedehnte Extensivbe- (KIT 2013, URL 1), ein Merkblatt zur bienen- reiche (vergleiche Abbildung 2) für umfang- freundlichen Pflege von Grünflachen (Landkreis reiche ökologische Entwicklungen finden sich Passau 2010, URL 2) oder die Handreichung zum fast nur entlang von Autobahnen. Bei allen

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 65 Breier: Land schafft Vielfalt Mähversuche und Mähkonzept an Kreisstraßen

Das Grundprinzip ist einfach: die Mahd entlang der Traunsteiner Kreisstraßen erfolgt zweimal im Jahr. Beim ersten Mal wird nur der Intensiv- bereich gemulcht. Beim zweiten Mal wird dasselbe wiederholt und zusätzlich mit einem anderen Mähgerät der Extensivbereich in einem Arbeits- gang gemäht und abgesaugt. Der Mährhythmus folgt der Vegetationsentwicklung. Start ist im Norden, dann folgen die Mitte, der Osten sowie zuletzt der Süden des Landkreises entlang der Alpen. Die erste Mahd erstreckt sich über acht Wochen von Mitte Mai bis Mitte Juli. Daran schließt die dreimonatige zweite Mahd inklusive Extensivbereich von Mitte Juli bis Mitte/Ende Oktober an.

Mähversuche 2017 und 2018 2017 haben wir auf 40 km getestet, ob wir auf die erste Mulchmahd des Intensivbereichs ver- zichten könnten. Die erste Mahd wurde möglichst Abbildung 2 lange hinausgezögert. Versuchsziel wäre eine Straße trifft Feucht- anderen Straßen sind Extensivbereiche sehr einmalige Mahd im August gewesen. Der nasse wiese: Thymian mit lückenhaft, kaum oder meist gar nicht vorhanden. Sommer führte zu starkem Gräserwachstum, Schwarzer Nachtkerze Dies gilt auch für die Kreisstraßen im Landkreis besonders neben landwirtschaftlich genutzten und Großem Wiesen- Traunstein. Oft grenzen unmittelbar land- oder Flächen und bei alten Abschnitten mit starkem knopf, Anfang August; die gelbe Markierung forstwirtschaftliche Flächen an. Dennoch sind Oberbodenanteil. Um die Verkehrssicherheit zu zeigt die Grenze zwi- nach unserer Erfahrung artenreiche Wildblumen- gewährleisten, wurde der Versuch im Juli beendet. schen Intensiv- und bestände entlang von Straßen möglich! Ergebnis: Eine einmalige Mahd des Intensivbe- Extensivbereich. reichs reicht in keinem Fall großflächig aus. Am Mähkonzept arbeiten der Kreisbauhof, die Tiefbauverwaltung und die Kreisfachberatung Der Sommer 2018 war geprägt von wochenlanger zusammen. Ziel ist eine möglichst ökologische Trockenheit. Die Gräser wuchsen schwach, dafür Pflege, die arbeitswirtschaftlich ist und die blühten die Wildblumen umso kräftiger. Ziel war Abbildung 3 Verkehrssicherheit gewährleistet. Letztere ist die Mahd der 40 km Teststrecken im Intensiv- Neuer Kreisverkehr im zweiten Jahr – grundlegend und darf bei aller ökologischer bereich frühestens Mitte Juni und ein zweites Vielfalt auf Kies. Optimierung nicht vergessen werden. Mal frühestens Mitte September. Ergebnis: Eine hinausgezögerte Mahd des Intensivbereichs ist besonders auf mageren Abschnitten möglich – ohne Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit. In manchen Abschnitten könnte bei geringem Aufwuchs auf den ersten Schnitt verzichtet werden; dies gilt für unsere Region (Alpenrand) meist nur bei Neuanlagen auf Kies und ohne wesentlichen Gräseranteil.

Mähkonzept und Erfahrungen Die Versuche zeigen auf, dass die bisher schon etablierte zweiteilige Mahd eine gute Basis bildet. Optimiert wurden zusätzlich:

• Der Intensivbereich wird so weit wie möglich auf eine Mähbreite begrenzt. Die Entscheidung liegt im Ermessen des Mähgerätfahrers und ist abhängig von Geländeform, Sichtbeziehungen und Einmündungen von Straßen. Dadurch ergibt sich sogar entlang der meisten Kreisstraßen

66 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Breier: Mähversuche und Mähkonzept an Kreisstraßen Land schafft Vielfalt

ein immerhin schmaler Extensivbereich, in dem die Pflanzen bis in die zweite Jahreshälfte stehen TIPPS für ein Mähkonzept bleiben. Intensivbereich (direkt neben der Straße angrenzend, auch Entwässerungen • Blühende Abschnitte bleiben im Intensivbereich und Sickermulden umfassend) vorerst stehen und werden später gemäht. Auch Kleinstabschnitte oder Quadratmeter • Intensivbereich möglichst schmal halten, eine Mähbreite am voll blühender Vielfalt werden beim Mähen Straßenrand reicht meist aus, am Radweg kann eine halbe ausgespart. Die Entscheidung trifft der Mäh- Mähbreite gemäht werden gerätfahrer vor Ort. • möglichst nur zweimal pro Jahr mähen, notfalls mulchen • Trenngrünstreifen zwischen Straße und Rad- (nicht zu früh beginnen) weg sind besonders kiesreich ausgebildet und es findet kein unmittelbarer Nährstoffeintrag • blühende Abschnitte erst nach der Hauptblüte mähen, klei- aus der Umgebung statt. Sie zählen deshalb nere Blühbereiche aussparen zu den blütenreichsten Abschnitten. Eine zwei- malige Mahd reicht hier völlig aus. Aus techni- • Neuanlage mit möglichst viel Kies und Schotter, um offenen schen Gründen wird der Intensivbereich derzeit Rohboden zu schaffen gemulcht, wodurch zumindest das Saatgut auf der Fläche verbleibt. Durch den kiesreichen • Ausbesserungen mit Kies (zum Beispiel nach Winterschäden) Unterbau sammeln sich die Nährstoffe nur fördern die Artenvielfalt (frischer Rohboden) sehr langsam an. Bei breiten Trenngrünstreifen entsteht mittig sogar ein Extensivbereich.

• Die Extensivbereiche werden seit vielen Jahren Extensivbereich nur einmal im Jahr gemäht und zeitgleich abge- (am Intensivbereich anschließend, ohne Gehölzbestände) saugt. Dies ist ein Kompromiss aus ökologischen (Nährstoffe entnehmen, um magere Standorte • frühestens ab Juli mähen, möglichst nur einmal pro Jahr zu erhalten) und arbeitswirtschaftlichen Anfor- derungen (nur ein Arbeitsgang). Das Mähgerät • Schnittgut entfernen (wirkt sonst als Dünger), nur notfalls berücksichtigt viele ökologischen Anforderungen: mulchen Es fährt mit nur 4 bis 6 km/h, ein Kettenvorhang vor dem Mäher bringt potenziell vorhandene • wechselnde Teilbereiche nur alle zwei Jahre mähen, damit Insekten dazu, sich fallen zu lassen; die Schnitt- Insekten überwintern können höhe beträgt etwa 10 cm. Die Sogwirkung erfasst hauptsächlich das abgemähte Material und – das Wichtigste – durch den späten Schnitt- zeitpunkt (ab Mitte Juli) werden fast ausschließ- • Regionales Saatgut: Für Neuanlagen oder lich blütenarme bis blütenfreie Bestände gemäht. größere Ausbesserungen ist die Nutzung von Bei angrenzenden Flächen mit intensiver regional gewonnenem Saatgut über den Land- Düngung erbringt die einmalige Mahd kaum schaftspflegeverband angelaufen. Das Saatgut ausreichenden Nährstoffentzug. Entlang können wir zukünftig auch in artenarmen solcher Abschnitte können Magerflächen nicht Abschnitten einsetzen. entwickelt werden. Die Fahrer der Mähgeräte haben mehr Freiheiten • Überwinterungsstrukturen für Insekten: Seit bekommen, um Pflanzenbestände stehen lassen 2019 bleibt pro Kilometer Teststrecke ein zu können. Es ist nicht mehr Ziel, alles „sauber“ 100 m langer Streifen ungemäht, möglichst zu mähen, sondern blühende Bereiche zu erhalten. im Extensivbereich. Ist das nicht möglich, Diese Entscheidungsfreiheit wird auch in der bleibt im Intensivbereich ein niedriger Abschnitt Bevölkerung wahrgenommen und das differen- stehen. Die Abschnitte wechseln jährlich. Die zierte Mähen wertgeschätzt. Wegen der langen Auswahl trifft auch hier der Mähgerätfahrer Wegstrecken können aber nicht alle Bereiche vor Ort, um Gehölzaufwuchs, Entwässerungs- im Landkreis zum ökologisch idealsten Zeitpunkt einrichtungen und andere Hindernisse zu gemäht werden. Dennoch haben die jährlich berücksichtigen. Dieses Vorgehen soll jetzt etwa gleichen Schnittzeitpunkte zu einer dazu auf alle Straßenkilometer übertragen werden. passenden Artenzusammensetzung geführt.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 67 Breier: Land schafft Vielfalt Mähversuche und Mähkonzept an Kreisstraßen

Das anfallende Mähgut aus dem Extensivbereich mager zu halten, sollte Mähgut entfernt werden. ist kein Abfall, sondern Rohstoff, und wird von Das ist allerdings schwierig, wenn es als Müll Abnehmern im Landkreis kompostiert beziehungs- teuer entsorgt werden muss. Die Folge ist die weise energetisch genutzt. mittlerweile etablierte Mulchmahd.

Bemerkungen und Fazit Das Mähen entlang der Straßen ist und bleibt Ob eine ökologische Aufwertung und große ein Kompromiss verschiedenster Ansprüche. Blütenvielfalt am Straßenrand aus insekten- Die enge Zusammenarbeit vom ausführenden kundlicher Sicht gut ist, lässt die Forschung Bauhof, der planenden Tiefbauverwaltung, der derzeit offen (Hoiß 2020). Das Verkehrsauf- Unterstützung durch die Kreisfachberatung kommen hat sicher einen entscheidenden und weiterer Fachpersonen sind die Basis für Anteil, ebenso die Lage in der Landschaft und das Mähkonzept des Landkreises Traunstein. das Potenzial angrenzender Flächen. Damit Das Konzept ist nicht abgeschlossen, sondern können Autobahnen, Bundes-, Staats-, Kreis- befindet sich im laufenden Betrieb in ständiger und Gemeindestraßen nicht gleichgesetzt Weiterentwicklung und wird zukünftige werden. Richtig ist: das Netz des Straßenbe- Erkenntnisse und Neuerungen einbeziehen. gleitgrüns sollte auf alle Fälle als verbindende Struktur mitgedacht werden. Literatur

Hessisches Landesamt für Straßenbau (1992): Ökologisch Weiterzuentwickeln ist auch die Mähtechnik. orientierte Grünpflege an Straßen. – Heft 32: 286 S. Ökologische Aspekte standen in den vergangenen Hoiß, B. (2020): Roadkill von Insekten. – Anliegen Jahr(zehnt)en kaum im Fokus, sondern einfache Natur 42(1): 99–102; www.anl.bayern.de/publikati- Handhabung und Robustheit. Die Hersteller onen/anliegen/meldungen/wordpress/roadkill/. befassen sich mit der Materie und bringen die Unterweger, P. (2018): Sanfte Umwandlungen mit ökologischen Aspekte mit der Technik zusammen. Erfolg – vom Rasen zur Blumenwiese. – Natur und Ob aber wesentliche Verbesserungen allein Garten, März 2018: 34–35. dadurch erzielt werden können, bleibt abzu- warten. Entscheidend ist sicher das Gesamt- URL 1: KIT (= Karlsruher Institut für Technologie): Merk- blatt für den Unterhaltungs- und Betriebsdienst an paket des jeweiligen Mähkonzepts. Straßen – Teil Grünpflege;www.ise.kit.edu/Be - trieb_2013_KIT.pdf (letzter Zugriff 18.08.2020). Ein grundlegendes Problem ist und bleibt für URL 2: Landkreis Passau: Informationsblatt Grünpflege; viele die Verwertung des Mähguts. An der Straße www.landkreis-passau.de/media/1340/informati- kann die Belastung durch Schadstoffe oder Abfall onsblattgruenpflege.pdf (letzter Zugriff 18.08.2020). von Bedeutung sein. Hierfür bräuchte es eine fachübergreifende Beschäftigung. Um die Flächen URL 3: Verkehrsministerium Baden-Württemberg: Hinweise zur ökologisch orientierten Pflege von Gras- und Gehölzflächen an Straßen + Handreichung zur Pflege von Grasflächen an Straßen;vm.baden-wu - erttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mvi/intern/ Autor Dateien/Brosch%C3%BCren/Strassenbegleitgruen_ Handreichung.pdf (letzter Zugriff 18.08.2020). Markus Breier, Jahrgang 1985. Studium der Biologie in München mit den Schwerpunkten Systematik, Ökologie und Botanik. Gartenbaustudium an der Hochschule Weihenstephan mit Abschnitt an der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau. Seit 2016 am Landratsamt Traunstein als Kreisfach- berater für Gartenkultur und Landespflege mit Koordination des Blühenden Landkreises Traunstein. Kreisfachberater für Gartenkultur und Landespflege Landratsamt Traunstein Zitiervorschlag Dipl.-Biologe Univ., Ing. Gartenbau FH Breier, M. (2020): Mähversuche und Mähkonzept +49 861 58-385 an Kreisstraßen. – ANLiegen Natur 42(2): 65–68, [email protected] Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen.

68 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Land schafft Vielfalt

Abbildung 1 Andreas Roloff Sommer-Linde (Tilia platyphyllos) in Heede/ Emsland, der erste Ausrufung von Nationalerbe-Bäumen Nationalerbe-Baum Deutschlands (Foto: Deutschlands gestartet Andreas Roloff).

Seit Juli 2019 können herausragende, langlebige Bäume als Nationalerbe-Bäume erfasst und aus Sondermitteln gepflegt werden. Neben dem Alter und der einhergehenden oft beachtli- chen Dimension, sind Ökologie und Kulturgeschichte wichtige Kriterien für eine Ausweisung. Die Begeisterung, sich für diese Nationalerbe-Bäume einzusetzen und diese zu erhalten, ist enorm. Bereits 100 Bäume sind gemeldet. Dieser Artikel berichtet über die ersten Ausweisungen, welche Idee dahintersteckt und wie es weitergehen wird.

Die sogenannten langlebigen Baumarten können Bäume haben und dass alles daran zu setzen regelmäßig ein Höchstalter von über 400 Jahren ist, sie der Nachwelt zu erhalten. Es ist beein- erreichen, einzelne Exemplare zum Teil sogar druckend sich klarzumachen, dass sie also über über 1.000 Jahre. Solche Baumarten sind: Eibe, so lange Zeiträume alle Ereignisse, Veränderungen Stiel- und Trauben-Eiche, Ginkgo, Ess-Kastanie, und Variabilitäten von Standort, Umfeld und Sommer- und Winter-Linde, bisweilen auch Klima tolerieren können müssen. Demzufolge Platane und Flatter-Ulme. Im Gebirge sind es darf man bei ihnen auch von einem besonders Berg-Ahorn, Arve und Europäische Lärche. hohen Anpassungspotenzial ausgehen.

Hintergrund Es gibt in Deutschland fast keine über 1.000- Diese Baumarten stellen daher auch nachvoll- jährigen Bäume mehr, das hat auch historische ziehbar den höchsten Anteil unter den Baum- Gründe, aber heutzutage ist ganz wesentlich Naturdenkmalen – und das macht deutlich, die überzogene Sicherheitserwartung an alte welche Verantwortung wir für solche alten Bäume dafür verantwortlich: Sie werden zu

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 69 Roloff: Land schafft Vielfalt Nationalerbe-Bäume

Intention Pflegemaßnahmen an solchen Altbäumen sollten nur ausgewiesenen Experten überlassen werden, oder sie können reduziert werden beziehungs- weise teilweise sogar unterbleiben, da diese Bäume die Lebens- und Wachstumsprozesse oft in besonderer Weise selbst optimieren. Die Uraltbäume sind auch aus wissenschaftlicher Sicht hochinteressant, zum Beispiel in ihrer Baumbiologie (Alterungsprozesse, Kronenrückzug, Lebensgemeinschaften), Genetik (Mutationen an alten Ästen) und Pathologie (Resistenzen).

Die Zeit ist reif, solche (potenziellen) Uralt-Bäume dauerhaft verantwortungsvoll zu schützen und Abbildung 2 Queen Elizabeth I- häufig „zurechtgesägt“, damit nichts mehr an gegebenenfalls zu pflegen, um ihnen damit lang- Oak in Sussex/GB Ästen herunterfallen kann, mit der Folge eines fristig ein „Altern in Würde“ zu ermöglichen. (Trauben-Eiche, zunehmenden Siechtums und schließlich Abster- Dafür werden nun seit Juli 2019 insgesamt 100 Quercus petraea) mit bens, oder sie brechen auseinander wegen unter- „Nationalerbe-Bäume“ von den genannten fast 14 m Stamm- bliebener sinnvoller Sicherungsmaßnahmen. Weitere Baumarten mit über 400 cm Stammumfang umfang und etwa 1.400 Jahren wohl die Ursachen können Standortprobleme, Baumaß- und einem Alter von möglichst über 400 Jahren dickste und älteste nahmen und Beschädigung von Wurzeln sein. vom Kuratorium gesucht, ausgewählt und gekürt. Trauben-Eiche Europas Für diese Bäume werden dann aus Sondermit- (Foto: Andreas Roloff). Bäume mit einem solchen Alter oder zumindest teln notwendige Pflege-, Schutz- und Umfeld- dieser potenziellen Lebenserwartung sind neben Maßnahmen gefördert: Es liegt die Zusage einer Naturmonumenten auch Kulturgeschichte. Dies Stiftung vor, alle anfallenden Kosten für zunächst kann man lokal bei besonderen Veranstaltungen 5 Jahre zu übernehmen (die Perspektive dafür am beziehungsweise zum Baum erfahren. Bereits ist auch länger) – als Förderer hat die Eva Mayr- bestehende Schutzkategorien (Naturdenkmal, Stihl Stiftung, Waiblingen, ihre Bereitschaft dafür Naturschutzgebiet, Nationales Naturmonument) verbindlich zugesagt. reichen für solche national herausragenden Einzelbäume nicht aus, da die erstgenannte zu Stand der Aktivitäten und erste Ausrufungen lokal/regional ist und ihre Umsetzung/Einhal- Ein Kuratorium Nationalerbe-Bäume in der DDG tung zudem spürbar von den verfügbaren ist seit 05.07.2019 mit 5 Mitgliedern vollzählig Finanzen und ihren Prioritäten sowie der Moti- berufen. vation der dafür zuständigen Bearbeiter abhängig ist (Schröder 2019). Die beiden letztgenannten Inzwischen wurden 11 würdige erste Baum- Kategorien bezwecken einen Flächenschutz, Kandidaten ausgewählt, um für diese die Ausru- was zum Beispiel bei den Ivenacker Eichen sehr fung, Maßnahmenagenda, Pflege- und Schutz- sinnvoll ist (URL 1), nicht jedoch bei Einzelbäumen konzeption zeitnah auszuarbeiten und mit der im Stadtgebiet oder dörflichen Raum. Umsetzung zu beginnen. Hierzu erfolgt die Kontaktaufnahme zu den Baumverantwortlichen Anregung dafür waren zum Beispiel „National und Eigentümern, wie Gemeinden, Landkreise, Heritage Trees“-Ernennungen in anderen Ländern, Kirche und Privatpersonen. Für die ersten vier wie in England (Stokes & Rodger 2004), wo es Bäume ist die Vertragsunterzeichnung bereits seit etwa 40 Jahren ähnlich läuft (Abbildung 2). abgeschlossen. Text und Layout der repräsen- Dafür ist die Deutsche Dendrologische Gesell- tativen Tafeln am Baum wurden erarbeitet und schaft (DDG, www.ddg-web.de) ein optimaler sind inzwischen aufgestellt. und hochkompetenter Partner beziehungs- weise Akteur, deren Satzung einen solchen Die Ausrufungen haben am 05.10.2019 mit dem Vereinszweck auch ausdrücklich nennt: Bäume ersten Nationalerbe-Baum begonnen: Es ist die fördern und schützen. Zudem sind in der DDG Heeder Sommer-Linde (Niedersachsen), mit zirka besonders viele Baumkenner und -experten 17 m Stammumfang der dickste vollstämmige vereinigt und sie ist maßgeblich an der Cham- Baum Deutschlands, bei einem Alter von etwa pion Trees-Datenbank beteiligt, die viele poten- 600 bis 800 Jahren. Der Baum ist sicher einer zielle Kandidatenbäume enthält (www.champi- der bestgeeigneten ersten Kandidaten überhaupt ontrees.de). (siehe Abbildung 1). Vor Ort waren alle Beteiligten

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und Verantwortlichen sofort begeistert über diese Auszeichnung und beteiligten sich intensiv an der Vorbereitung der Veranstaltung. Bei der Zeremonie war dann einfach alles perfekt: Wetter, Teilnehmerzahl (etwa 150) und -stimmung, Grußworte (Bürgermeister, Bundestagsabge- ordnete, Landkreisvertreter, DDG-Präsident), Ablauf mit Musikverein und Verköstigung sowie eigens für die Ausrufung hergestellter Linden- blüten-Schokolade (mit Blüten der Heeder Linde), Info-Ausstellung der DDG sowie Holz-und Baum- exponate, Gespräche und positive Rückmeldungen der Teilnehmer, repräsentative Tafel zum Baum.

Dies war eine optimale und vor Ort hervorragend vorbereitete Premiere. Das Medienecho über- traf alle Erwartungen, ebenso die vielen begeis- Abbildung 3 terten Zuschriften über diese Initiative (hierzu Besonderheit der Ausrufung sehr beeindruckt. Der Ginkgo (Ginkgo biloba) im Schlosspark ein Video des Norddeutschen Rundfunks; Mit ihrem Alter von 600 bis 800 Jahren ist sie Riesa-Jahnishausen www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_ eine der ältesten Eiben des Landes, bei einem (Foto: Andreas Roloff). niedersachsen/Dicke-Linde-wird-zu-Nationaler- Stammumfang von 3,93 m in 1,30 m Höhe be-erklaert,hallonds54358.html). (Abbildungen 5 und 6). Sie steht auf Kirchen- grund nicht weit von der imposanten Holzkirche Am 19.10.2019 folgte dann die zweite Ausrufung entfernt auf einer Geländerippe, die nach Süden mit dem stärksten, frei zugänglichen Ginkgo und Westen unmittelbar hinter dem Baum etwa Deutschlands in Riesa-Jahnishausen (Sachsen) 10 m tief abfällt, was neben der von Natur aus mit einem Stammumfang von 5,15 m an der gegebenen Langsamwüchsigkeit der Eibe zur Taille bei einem Alter von etwa 210 Jahren – moderaten Stammstärke dieses alten Baumes einer der bestgeeigneten Ginkgo-Kandidaten geführt hat. Deutschlands (Abbildung 3). Dieser Baum beein- druckt vor allem durch seinen einmaligen Habitus Inzwischen treffen viele interessante (zu zum mit tief gegabeltem, wulstigen Stamm und den Teil noch völlig unbekannten Uraltbäumen), vielfach gebogenen Stämmlingen. Er ist daher bewegende (mit teils sehr starkem emotionalen schon jetzt ein „Charakterbaum“ (Hartig & Roloff Bezug der Meldeperson) und begeisterte (über 2018; Roloff 2018) und steht zudem im roman- die Initiative) Meldungen und Zuschriften aus tischen, denkmalgeschützten Schlosspark Jahnis- allen Teilen der Republik ein, mittlerweile sind hausen an prägnanter Stelle. Die Denkmalschutz- es etwa 100 Meldungen. Daraus wurden die Konzeption des Parks wird derzeit neu überar- Kandidaten des laufenden Jahres ausgewählt beitet und angepasst, dabei soll der Ginkgo und werden nun vor Ort geprüft, bevor sie nun einen noch höheren Stellenwert erhalten. öffentlich gemacht werden.

Auch hier übertraf die Ausrufungszeremonie Resümee und weiteres Vorgehen (Abbildung 4) die Erwartungen bei weitem, Die Rückmeldungen während der Veranstaltungen, sowohl die Teilnehmerzahl (250) betreffend als die Meldungen von Kandidaten und die Kommen- auch die Aktivitäten der Grundstückseigentümer- tare zu dieser neuen Baum-Kategorie in Deutsch- Gemeinschaft, welche 3 Wochen lang vorher land lassen bereits jetzt erkennen, dass es damit eigens dafür Fingerfood hergestellt hatten – auch gelingen wird, alte Bäume ganz allgemein mehr kurioses, wie gebackene Ginkgo-Blätter. wertzuschätzen, zu schützen und der Nachwelt zu erhalten. Dies erfüllt die Akteure mit großer Als dritter Nationalerbe-Baum folgte am 27.10.2019 Freude: Hier entsteht etwas ganz Neues an eine Eibe in Flintbek (bei Kiel, Schleswig-Holstein) Bewusstsein und Respekt, verbunden mit sehr mit einem bewegenden Sonntags-Gottesdienst persönlicher und emotionaler Kommunikation zum Baum, da es sich um einen Kirchenbaum und einer signifikant zunehmenden Zahl von handelt. Der Pastor hat dabei in seiner Predigt Baumliebhabern. Es wird sehr spannend, dies intensiv Bezug zu Bäumen und auf diese Eibe weiter zu verfolgen. Mehrere Uralt-Bäume sind genommen, auch die Lieder wurden danach bereits jetzt durch diese Initiative vor ihrem ausgewählt. Die 85 Gäste waren von dieser Absägen oder Verstümmeln bewahrt worden,

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 71 Roloff: Land schafft Vielfalt Nationalerbe-Bäume

Abbildung 4 weiteren Bundesländer berücksichtigen, da alle Eindrucksvoller, starker Stamm der zeitnah mit dabei sein sollen und wollen. Aufgrund etwa 800-jährigen der umfangreichen Vorarbeiten zu jedem Baum Eibe (Foto: und einer begrenzten Zahl infrage kommender Andreas Roloff). Wochenenden ist dabei maximal mit 10 Ausru- fungen pro Jahr zu rechnen. Somit könnte die erste Bundesländer-Runde 2021 abgeschlossen sein. Dann werden auch Baumarten und Bundes- länder zum zweiten oder dritten Mal drankommen. Die Reihenfolge wird sich dabei vor allem aus Baum- oder Pflege-Besonderheiten, der Lokation und einer angemessenen Berücksichtigung der Baumarten ergeben (siehe Roloff 2020).

Auf der Homepage www.nationalerbe-baeume.de finden sich tagaktuell mehr Informationen, auch über die weiteren Planungen und vertraglich festgelegte Kandidaten.

Mittlerweile steht auch der 4. Nationalerbe- Baum fest: die „1.000-jährige“ Eiche in Nagel/ Oberfranken. alleine deshalb, weil sie vorab auf die Liste möglicher Kandidaten gesetzt worden sind. Literatur

Hartig, A. & Roloff, A. (2018): Bäume mit Charakter. – Für jeden dieser Bäume wird ein Pflegekonzept BaumZeitung Heft 06: 33–36. erarbeitet, sofern sinnvoll und notwendig. Roloff, A. (2018): Der Charakter unserer Bäume – ihre Pflege-, Sicherungs- und Schutzmaßnahmen Eigenschaften und Besonderheiten. – Ulmer, Stuttgart. werden jeweils am konkreten Baum besprochen, Roloff, A. (Hrsg., 2020): Die starken Bäume Deutsch- festgelegt und – soweit der Eigentümer zustimmt lands – 111 faszinierende Naturerben und ihre – auch finanziert. Geschichten. – Quelle & Meyer, Wiebelsheim.

Das Kuratorium wird die weiteren Kandidaten Schröder, R. (2019): Ernste Gefahr für die Baum- Naturdenkmale: 90 von 212 Naturdenkmalen des beraten und dabei zunächst vorrangig sowohl Landkreises Görlitz sollen aufgehoben werden. – die noch fehlenden Baumarten als auch die Ginkgoblätter Heft 157: 19–26.

Stokes, J. & Rodger, D. (2004): The Heritage Trees of Britain and Northern Ireland. – Constable & Autor Robinson, London. URL 1: Nationale Naturmonumente (Bundesamt für Prof. Dr. Andreas Roloff, Naturschutz); www.bfn.de/themen/gebiets- Jahrgang 1955. schutz-grossschutzgebiete/nationale-naturmonu- mente.html (abgerufen 01.02.2020). Studium der Psychologie und Forstwissen- schaften in Göttingen, Promotion und Habili- tation an der Universität Göttingen von 1984 bis 1989. Im Anschluss Professur für Forstbotanik/ Dendrologie an der Universität Göttingen, seit 1994 Lehrstuhl für Forstbotanik an der Technischen Universität (TU) Dresden.

Technische Universität Dresden Institut für Forstbotanik und Forstzoologie Zitiervorschlag 01737 Tharandt Roloff, A. (2020): Ausrufung von National- erbe-Bäumen Deutschlands gestartet. – +49 0351-463 31202 ANLiegen Natur 42(2): 69–72, Laufen; [email protected] www.anl.bayern.de/publikationen.

72 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Artenschutz

Abbildung 1 Die Haselmaus Muscardinus Raja Wipfler, Christian Strätz und Elisabeth Obermaier avellanarius ist europaweit streng geschützt. Für Schutz- Haselmaus-Untersuchungen mit maßnahmen sind Kennt- nisse über die Lebensraum- ansprüche und Nachweis- selbstgebauten Niströhren – Ergebnisse zu methoden der Art essenziell bevorzugten Vegetationsstrukturen (Foto: Raja Wipfler).

Für den Nachweis der europaweit streng geschützten Haselmaus M. avellanarius werden häufig Niströhren verwendet. In einer Studie in Oberfranken wurde 2019 ein neuer selbstge- bauter Niströhrentyp getestet und untersucht, welche Habitat- und Vegetationsstrukturen eine Besiedlung begünstigen. Mehr als dreißig Prozent der im Untersuchungsgebiet ausge- brachten Niströhren wurden durch Haselmäuse besetzt – ein deutlich höherer Prozentsatz als mit herkömmlichen Nesttubes. Haselmäuse legen in den selbstgebauten Niströhren sehr häufig Nester an, was zum einen ihren Nachweis erleichtert und zum anderen eine potenziell nötige Umsiedlung ermöglicht. Als wichtige Habitatparameter zum effizienten Nachweis der Haselmäuse erwies sich in der Studie, neben vorhandenen Gehölzstrukturen (Hecken), vor allem eine hohe Deckung von Nahrungspflanzen in unmittelbarer Nähe der Nester. Überraschend und neu waren regelmäßige Nachweise im Schilfröhricht.

Die kleinste heimische Schlafmausart M. avellana- Das Ausbringen von Niströhren gilt besonders rius ist nach Anhang IV der europäischen Fauna- in Hecken und an Waldrändern als geeignete Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) streng geschützt. Erfassungsmethode, da diese ebenso wie Nist- Bei Eingriffsvorhaben muss daher auch regel- kästen die Rolle künstlicher Baumhöhlen ein- mäßig der Bestand erfasst werden, um die arten- nehmen und von Haselmäusen gerne als Nist- schutzrechtlichen Verbotstatbestände zu prüfen. platz angenommen werden. Der Nachweis

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 73 Raja Wipfler, Christian Strätz und Elisabeth Obermaier: Artenschutz Haselmaus-Untersuchungen

Dies bringt wiederum nicht nur Vorteile für die Nachweisführung, sondern auch für die Umsied- lung von Haselmäusen.

Im Jahr 2019 wurden die Röhren in einem extensiv genutzten Baggerseengebiet mit Gehölzbestand für eine Untersuchung zur Habitatwahl der Hasel- maus eingesetzt. In der Studie wurde die Nach- weis-Effizienz dieses neu entwickelten Fallentyps getestet und untersucht, ob Nahrungspflanzen und Deckungsgrad der Gehölzschicht entschei- dend für die Besiedlung sind.

Abbildung 2 Im Vergleich zu einer gelingt über die typischen Gras- beziehungs- Die Ergebnisse zeigen, wo man Haselmausröhren in Großbritannien ver- weise Gras-Laubkugel-Nester, die von den Tieren am besten installiert, um eine möglichst effiziente wendeten Nesttube, in die Röhren eingebaut werden. Häufig lassen Nachweisführung zu erzielen. Maße 6,7 x 6,7 x 29 cm sich die Tiere in den Röhren auch direkt beob- (unten) sind die selbst- achten, da Haselmäuse nachtaktiv sind und ihre Röhrenbau – Hintergründe und gebauten Niströhren praktische Details (oben) deutlich größer Nester tagsüber nur selten verlassen. und robuster (Foto: Die Niströhren bestehen aus zwei Bauteilen: Raja Wipfler). Christian Strätz und sein Team haben die Hasel- einer Weichplastikröhre wie sie für Aalreusen maus in Oberfranken mithilfe selbstgebauter benutzt wird (Maße: 70 cm lang, Durchmesser Niströhren seit 2017 mehrfach in Gebieten nach- 12 cm) und einem aufgeschnittenen Tetra Pak, gewiesen, für die bisher keine Vorkommen der hineingelegt und mit Draht befestigt wird. bekannt waren. Auf die Idee kam Christian Strätz, nachdem in einem Bauhof eingelagerte Reusen regelmäßig Die Besonderheit der selbstgebauten Niströhren von verschiedenen Kleinsäugern als Futterdepots Abbildung 3 liegt darin, dass sie im Vergleich zu den in Groß- und Versteckplätze genutzt worden waren. Die selbstgebauten britannien entwickelten und auch in Deutsch- Niströhren lassen sich land weitverbreiteten Nesttubes aus schwarzem Die Außenröhre ist auf beiden Seiten verschlossen, mit einem Bambusstab Kunststoff (Maße 6 x 6 x 20 cm; Chanin & Woods wobei der Deckel auf einer Seite bei Kontrollen leicht in Gehölzstruk- 2003) witterungsbeständiger und wesentlich einfach abgenommen werden kann. Rundherum turen ausbringen. Im Rahmen einer Bachelor- größer sind (siehe Abbildung 2). Deshalb nutzen befinden sich kleine Löcher, die für eine gute arbeit wurden sie um- Haselmäuse sie nicht nur als Tagesschlafplätze, Durchlüftung sorgen. Darüber hinaus wurden drei fangreich getestet (Foto: sondern insbesondere auch für die Aufzucht zirka 3,5 cm große Löcher in die Längsseite Christian Strätz). von Jungtieren in sogenannten Wurfnestern. gebohrt. Die Lochgröße sorgt dafür, dass aus- schließlich Kleinsäuger wie die Haselmaus in die Röhre gelangen können. Somit bietet die Außen- röhre nicht nur Schutz vor Regen, sondern auch vor Fressfeinden. Der Tetra Pak im Inneren der Röhre dient als großzügiger Hohlraum für die Nester der Haselmäuse.

Ein 120 cm langer Bambusstab, an dem die Röhre mit Kabelbindern befestigt wird, erleichtert das waagrechte Aufhängen der Röhren im Geäst (siehe Abbildung 3) und kann von den Hasel- mäusen als „Laufsteg“ zwischen zwei Sträuchern genutzt werden (siehe Abbildung 4).

Als kostengünstige Alternative zu Aalreusen können Hartplastikröhren, wie beispielsweise Drainagerohre, benutzt werden. Diese haben einen ähnlichen Durchmesser von etwa 12 cm und können auf eine Länge von 70 cm zuge- schnitten werden. Als Verschluss eignen sich beispielsweise alte CD.

74 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Raja Wipfler, Christian Strätz und Elisabeth Obermaier: Haselmaus-Untersuchungen Artenschutz

Nahrung und Deckung – Lebensraumansprüche der Haselmaus Der Haselmaus fehlt, wie allen Bilchen, ein ver- längerter Blinddarm. Deshalb ist sie auf einfach verdauliche Nahrung wie Blüten, Früchte, ölrei- che Samen, Nüsse und Insekten angewiesen. Eine hohe Diversität an Bäumen und Sträuchern bietet den Tieren ein ausreichendes Nahrungs- angebot über das ganze Jahr hinweg und gilt deshalb als Voraussetzung für Haselmaushabitate (Bright & Morris 1990; Bright & Morris 1996; Resch et al. 2015).

Abbildung 4 Daneben sind Strukturvielfalt und die räumliche Um herauszufinden, welche Parameter für die Haselmäuse sind gute Verteilung der Pflanzen entscheidend für die Besiedlung von Haselmausröhren entscheidend Kletterer und somit bestens Habitatwahl (Čsanády 2015). Wie Juškaitis & Büchner sind, wurden in einem Probekreis von 5 m um an den Lebensraum in der (2010) zusammenfassen, sind sich zahlreiche jede Röhre insgesamt 24 Vegetations- und Stand- Baum- und Strauchschicht Autoren über die große Bedeutung der Strauch- ortparameter erhoben. angepasst. Hier versucht eine junge Haselmaus bei schicht einig. Diese entwickelt sich vor allem der Kontrolle der Niströhre bei ausreichendem Lichtangebot, beispielsweise Ergebnisse – Vorkommen in allen über den Bambusstab zu an Wald- und Wegrändern, auf Lichtungen oder Biotoptypen entkommen (Foto: Kahlschlägen. Die Haselmaus ist als guter Kletterer In einem vergleichsweise kurzen Untersuchungs- Christian Strätz). an diese Vegetationsstrukturen bestens angepasst. zeitraum von drei Wochen waren 32 von 84 Niströhren wenigstens einmal von Haselmäusen Abbildung 5 Untersuchungsgebiet und Methode besetzt. Über die bereits bekannten Nachweise Die selbstgebauten Nist- Für die Studie wurde ein 46,8 ha großes Unter- in Hecken hinaus, waren auch in allen übrigen röhren werden von Hasel- suchungsgebiet zwischen Bamberg und Forch- beprobten Biotoptypen Röhren belegt (siehe mäusen nicht nur als Tages- heim nahe der Ortschaft Altendorf gewählt. Es Abbildung 6). Eine Überraschung stellte sich schlafplätze, sondern auch für die Aufzucht der Jungen zeichnet sich durch mehrere Kilometer lange bei der Kontrolle der Röhren im Schilfgürtel genutzt, was sie auch für Heckenstrukturen entlang der Bahnlinie Bamberg- heraus: trotz wiederkehrender Überflutungen Umsiedlungsmaßnahmen Nürnberg aus, in denen bereits in den Vorjahren des Standorts waren dort vier der sieben Röhren interessant macht. Zu sehen Haselmäuse nachgewiesen wurden. Östlich durch Haselmäuse besetzt. ist ein Weibchen vor einem angrenzend befinden sich mehrere Baggerseen fast fertigen Wurfnest (Graskugel), das anschlie- mit Schilfbestand sowie Freiflächen mit Ruderal- Häufig waren zwei oder drei Röhren nebenein- ßend noch mit einer schüt- und Altgrasfluren mit nur einzelnen Gehölz- ander belegt. Es ist möglich, dass benachbarte zenden Hülle aus Laub- strukturen. Röhren von demselben Individuum genutzt blättern versehen wurde (Foto: Christian Strätz). Um ein möglichst breites Spektrum an verschie- denen Vegetationsstrukturen abzudecken, wurden im April 2019 insgesamt 84 selbstgebaute Nist- röhren entlang von drei Transektlinien in allen vorkommenden Biotoptypen (naturnahe Hecke, Feldgehölz, Feuchtgebüsch, Gewässerbegleit- gehölz, ruderale Kraut- und Grasflur sowie Groß- röhricht) mit Ausnahme von reinen Wasser- und Sand-Kies-Flächen installiert. Dabei wurden die Röhren im Abstand von je 20 m und in einer Höhe von 1 m mit den Bambusstäben in Gehölz- strukturen gehängt. Im Schilfgürtel diente nieder- gedrücktes Schilf aus dem Vorjahr als Auflage- fläche.

Von Ende Mai bis Anfang Juni 2019 kontrollierten wir die Niströhren 3-mal im Abstand von je einer Woche. Hierbei wurden Nester von Wald- oder Gelbhalsmäusen entfernt, um den Einfluss von konkurrierenden Arten möglichst gering zu halten.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 75 Raja Wipfler, Christian Strätz und Elisabeth Obermaier: Artenschutz Haselmaus-Untersuchungen

Ein wichtiger Parameter hingegen war der Anteil der Baumschicht am Deckungsgrad der Vegetation (Koeffizient = 0,023, p = 0,048). Einen noch deutlicheren Effekt erzielte der Anteil Brombeeren Rubus caesius und R. fruticosus (Koeffizient = 0,114, p = 0,007). Sie gelten nicht nur als bevorzugte Nahrungsquelle der Hasel- maus (Juškaitis & Büchner 2010), sondern bieten durch ihre dornige Struktur und das dichte Geflecht aus Ruten und Blattwerk einen beson- ders guten Schutz vor Fressfeinden. Dement- sprechend steigt mit zunehmendem Flächen- anteil der Brombeere um eine Niströhre die Wahrscheinlichkeit, dass die Röhre von einer Haselmaus besetzt ist (siehe Abbildung 7).

Einen positiven Einfluss auf die Belegung der Röhren hatte außerdem der Deckungsgrad an Birken Betula pendula (p = 0,027) und spätblü- henden Weiden Salix alba, S. fragilis, S. purpurea und Salix x rubens (p = 0,059). Die Blütenkätzchen dieser Bäume stellen im Frühjahr eine wichtige Nahrungsquelle für Haselmäuse dar (Juškaitis & Büchner 2010).

Erkenntnisse für die Praxis In der Untersuchung haben sich die selbstge- bauten Niströhren aus Weichplastik bewährt, Abbildung 6 da sie robuster und größer sind als die englischen Die selbstgebauten Niströhren wurden im wurden, da Haselmäuse in der Regel mehrere Nesttubes aus plastifiziertem Karton. Sie stellen Untersuchungsgebiet Nester bauen. Andererseits überlagern sich einen attraktiven Ersatz für Baumhöhlen dar, (rot umrandet) in allen gerade in der Paarungszeit und während der bieten den Haselmäusen Schutz vor Witterung vorkommenden Biotop- Aufzucht der Jungen die Aktionsräume der und Fressfeinden und ermöglichen es ihnen, typen besiedelt. Sogar Tiere, sodass gegebenenfalls auch mehrere Nester anzulegen. im Schilfbestand (blau umrandet) konnten Individuen dieselbe Röhre nutzten. Aussagen Wurfnester nachgewie- über die Populationsdichte der Haselmaus im Die Studie zeigt, dass die selbstgebauten Nist- sen werden (Geobasis- Untersuchungsgebiet können deshalb nicht röhren sehr gut und vor allem sehr schnell von daten: Bayrische Ver- getroffen werden. Haselmäusen angenommen werden. Nach der messungsberatung). Ausbringung im April waren in einem Kontroll- Welche Vegetationsparameter waren für die zeitraum von nur 3 Wochen im Mai/Juni insge- Besiedlung der Röhren entscheidend? Die Aus- samt 32 von 84 Niströhren belegt. Im Vergleich wertung mithilfe eines binär logistischen Regres- dazu konnte mit den englischen Nesttubes in sionsmodells zeigt, dass die aufgenommenen ähnlichen Untersuchungsgebieten in Oberfranken Vegetationsparameter das Vorkommen der bisher nur eine Belegung von 10–15 % über die Haselmaus hochsignifikant erklären können gesamte Vegetationsperiode erzielt werden (R2Nagelkerke = 0,331, p = 0,001, n = 84). Die (Strätz, unveröffentlicht). Eine vergleichbare Ergebnisse ergeben im Einzelnen, dass die Studie von Resch et al. (2015) in Österreich zeigt Deckung der Strauchschicht keinen signifikanten ebenfalls geringere Belegungsdichten für Nest- Einfluss auf das Vorkommen der Haselmaus in tubes. Dort waren im ersten Jahr 23 von 100 und der Untersuchung hatte (Koeffizient = 0,027, im zweiten Jahr 14 von 100 Nesttubes von Hasel- p = 0,114). Dies deckt sich mit der Beobachtung, mäusen besetzt. dass Niströhren nicht nur im Biotoptyp „natur- nahe Hecke“, sondern auch auf der Freifläche Da die Tiere ihr Nest in die Röhren bauen und in einzelnen Gehölzstrukturen und sogar im sich tagsüber dort aufhalten (siehe Abbildung 5), Schilf besetzt waren. können sie in den Niströhren recht einfach nach-

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Abbildung 7 gewiesen werden. Dies bietet auch Vorteile für Der Anteil der Strauch- die Umsiedlung von Haselmäusen. Im Vergleich Strauchschicht schicht im direkten Um- zu Lebendfallen oder den kleineren englischen kreis der Röhren spielt Nesttubes können die Tiere mitsamt ihrem Nest für die Besiedlung keine entscheidende Rolle. Mit in ein anderes Gebiet gebracht werden, was ihnen einem relevanten Anteil die Eingliederung in einem neuen Habitat erheb- der Baumschicht und lich erleichtert. Außerdem hat sich gezeigt, dass von Brombeeren in der Haselmäuse bevorzugt auch ihre Wurfnester in Nähe der Niströhren die selbstgebauten Niströhren bauen. Somit bie- steigt jedoch die Wahr- scheinlichkeit des Nach- tet sich die Möglichkeit, ganze Familien umzu- weises von Haselmäusen. siedeln.

Wo sollten Röhren aufgehängt werden, damit sie möglichst gut angenommen werden? Die Studie zeigt, dass die Strauchschicht weniger Einfluss auf die Nistplätze hat, wenn im Gebiet insgesamt gute Gehölzstrukturen vorhanden sind. Eine erhöhte Deckung der Baumschicht Baumschicht kann die Besiedlung begünstigen. Wichtig ist auch, dass Nahrungspflanzen im direkten Umfeld der Niströhren vorhanden sind. Im Untersuchungs- zeitraum Mai bis Juni hatten besonders Brom- beeren, Birken und spätblühende Weiden einen positiven Effekt auf das Vorkommen der Haselmaus.

Warum ausgedehnte Schilfbestände von Hasel- mäusen besiedelt werden, wenn Niströhren angeboten werden, ist noch unklar. Berthold & Querner (1986) wiesen Haselmäuse im Schilfgürtel des Bodensees nach, die dort in Rohrsänger- Nestern neben kaputten Eierschalen angetrof- fen wurden. Denkbar wäre daher, dass Schilfge- biete als zusätzliche Nahrungshabitate genutzt werden. Eine weitere Erklärung wäre, dass Schilf- Brombeere gebiete einen konkurrenzärmeren Standort dar- stellen.

In keiner der Röhren im Schilf wurde eine andere Mausart beobachtet, während von den übrigen 77 Röhren 24 von Wald- oder Gelbhalsmäusen besiedelt wurden, die eine potenzielle Konkurrenz zur Haselmaus darstellen könnten. In einer weiter- führenden Studie sollen diese offenen Fragen experimentell überprüft und die Raumnutzung der Haselmaus in Schilfbeständen durch Tele- metrie ermittelt werden.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 77 Raja Wipfler, Christian Strätz und Elisabeth Obermaier: Artenschutz Haselmaus-Untersuchungen

Chanin, P. & Woods, M. (2003): Surveying Dormice Dank using Nest Tubes. Results and Experience from the Wir bedanken uns bei der Regierung von Ober- South West Dormouse Project. – English Nature franken für die Ausstellung der artenschutz- Research Reports (524): 34 pp. rechtlichen Ausnahmegenehmigung. Čsanády, A. (2015): Factors predicting summer nest construction of Muscardinus avellanarius in deci- duous woodland edges in Slovakia – Biologia 70(1): Literatur 132–140.

Berthold, P. & Querner, U. (1986): Die Haselmaus Juškaitis, R. & Büchner, S. (2010): Die Haselmaus – (Muscardinus avellanarius) in Nestern freibrütender Westarp Wissenschaften-Verlagsgesellschaft mbH, Singvögel – Zeitschrift für Säugetierkunde (51): Hohenwarsleben: 61–88. 255–256. Resch, S., Blatt, C. & Slotta-Bachmayr, R. L. (2015): Bright, P. W. & Morris, P. (1990): Habitat requirements Populationsdichte und Habitatnutzung der Hasel- of dormice Muscardinus avellanarius in relation to maus Muscardinus avellanarius in einem Nieder- woodland management in Southwest England – moor – Joannea Zoologie (14): 25–36. Biological Conservation (54): 307–326.

Bright, P. W. & Morris, P. (1996): Why are dormice rare? A case study in conservation biology – Mammal Review 26(4): 157–187.

Autoren

Raja Wipfler Jahrgang 1996. Masterstudentin der Geoökologie an der Uni- versität Bayreuth. Bachelorarbeit „Nahrungs- pflanzen und Deckungsgrad als besiedlungs- relevante Parameter für die Haselmaus (Muscardinus avellanarius)“ unter Betreuung von Elisabeth Obermaier und Christian Strätz.

Mitarbeit im Büro für ökologische Studien Bayreuth mit Schwerpunkt Kartierung von Haselmäusen. Ökologisch-Botanischer Garten Universität Bayreuth 95447 Bayreuth

+49 1573 8286351 [email protected] Christian Strätz, Dipl. Geoökologe Büro für ökologische Studien C. Strätz, Bayreuth +49 921 507037-34 [email protected] Zitiervorschlag

Prof. Dr. Elisabeth Obermaier Wipfler, R., Strätz, C. & Obermaier, E. (2020): Ökologisch-Botanischer Garten der Universität Haselmaus-Untersuchungen mit selbstge- Bayreuth bauten Niströhren – Ergebnisse zu bevor- +49 921 55-2974 zugten Vegetationsstrukturen. – ANLiegen [email protected] Natur 42(2): 73–78, Laufen; www.anl.bayern.de/ publikationen.

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Abbildung 1 Mopsfledermaus Tobias Richter und Jonas Hagge (Barbastella barbas- tellus) im Flug (Foto: Stolpersteine bei der telemetrischen Dietmar Nill). Quartiererfassung von Fledermäusen

Die genaue Verortung und Sicherung von Fledermausquartieren ist ein zentraler Bestandteil der speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung (saP), wenn durch Eingriffsvorhaben Fledermaus- Lebensstätten nach § 44 Absatz 1 Satz 3 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zerstört oder beschädigt werden können. Eine aktuelle Telemetrie-Studie aus dem Nationalpark Bayerischer Wald verdeutlicht die Schwierigkeiten und mögliche Fehldeutungen solcher Erfassungen und diskutiert diese im Kontext neuer Erkenntnisse zur Quartiernutzung der Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus).

Für Waldfledermäuse wie die Mopsfledermaus Die Quartierbäume befinden sich vor allem in stellt der Nationalpark Bayerischer Wald mit seiner durch Borkenkäferaktivität, Windwurf, Bachläufe heterogenen Waldstruktur und seinem hohen oder Zuwegung aufgelichteten, halboffenen Totholzangebot optimale Ruhe- und Jagdhabitate Bereichen, umgeben von lebenden und abge- bereit. Die Mopsfledermäuse profitieren dabei storbenen Buchen und Fichten (Richter et al. besonders von den Strukturen, die der Buch- 2019; Abbildung 3). drucker (Ips typographus, Borkenkäfer) schafft und nutzen dort fast ausschließlich abstehende Die in der Fledermaus-Fachzeitschrift „Nyctalus“ Rinde (Rindentaschen) von stark dimensionierten vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass bei einer und abgestorbenen Fichten als Quartiere (Kort- telemetrischen Quartiererfassung am Tag nach mann et al. 2018; Richter et al. 2019; Abbildung 2). einer Besenderung die Quartiernutzung von

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 79 Richter & Hagge: Artenschutz Quartiererfassung von Fledermäusen

Waldfledermausarten wie die Mopsfledermaus (stark gefährdet (RL-D 2; Meinig et al. 2009) bezie- hungsweise gefährdet (RL-BY 3; BayLfU 2017), Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) Anhang II und IV; Abbildung 1) sind dabei besonders auf Quartiere an Biotopbäumen und stehenden toten Bäumen angewiesen. Diese besitzen Strukturen wie Risse, Höhlen oder abstehende Rindentaschen, die den Tieren als ganzjährige Quartiere dienen (Abbildung 2).

Eine zuverlässige und genaue Erfassung von Fledermausquartieren ist besonders im Wald keine einfache Aufgabe. Hierzu werden mitunter Individuen mit Hilfe von Netzfängen gefangen, mit einem Sender versehen und anschließend Abbildung 2 per Telemetrie verfolgt. Die Batterie eines Senders Mopsfledermaus- Fledermäusen unzureichend ermittelt wird. hat je nach Fabrikat eine Kapazität von wenigen Quartier unter abste- Diese wichtige Erkenntnis muss in den Untersu- Tagen bis einigen Wochen und der mit Haut- hender Rinden- tasche einer abge- chungen zur saP zwingend berücksichtigt werden. kleber befestigte Sender löst sich dann wenig storbenen Fichte später von alleine wieder von der Fledermaus. (Foto: Marie Viehl). In der Eingriffs- und Ausgleichsplanung haben Die besenderten Tiere können geortet, ihre Quar- Fledermäuse aufgrund ihres Schutzstatus und tiere lokalisiert und die Habitat- und Quartier- ihres Indikationswertes einen hohen Stellenwert nutzung dokumentiert werden. Der Zeit- und und sind daher häufig Gegenstand der saP. Kostenaufwand ist hierfür jedoch beträchtlich. Maßgeblich ist dabei der Schutz ihrer Quartiere. Weiterhin benötigt es für Netzfang und die Für Fledermäuse sind sie als Ruhestätte, Orte der Besenderung Fachwissen zur Biologie der Arten, Fortpflanzung und Aufzucht der Jungtiere oder Erfahrung im Handling der Tiere und entspre- Quartiere für die Überwinterung von besonderer chende Ausnahmegenehmigungen (Artenschutz, Bedeutung und können ein limitierender Faktor Tierschutz). Für die Telemetrie und Lokalisierung für deren Vorkommen und Verbreitung sein. der Quartiere ist Verständnis im Umgang mit

Abbildung 3 Zu sehen sind durch Borkenkäferaktivität aufgelichtete Berei- che mit mehreren stark dimensionier- ten und abgestorbe- nen Fichten, die von vitalen Buchen und Fichten umgeben sind. Die gelben Pfeile markieren die Rindentaschen, die von Mopsfleder- mäusen als Quartiere genutzt wurden (Fotos: Tobias Richter).

80 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Richter & Hagge: Quartiererfassung von Fledermäusen Artenschutz

Abbildung 4 Schematische Darstel- lung der Flucht- und Quartierbäume im Untersuchungsgebiet und deren Nutzung nach der Besenderung. Erkennbar sind die Quartierverbünde, innerhalb derer die jeweiligen Kolonien regelmäßig wechseln, sowie die Fluchtquar- tiere, die nur am Tag 1 nach der Besenderung genutzt wurden.

der Technik und verschiedenen Störungsquellen Die Ergebnisse der Studie fordern klare Vorgaben nötig. Insbesondere bei nah zusammenstehenden bei der Erfassung von Fledermäusen. Die Tele- Bäumen ist die genaue Lokalisation der Quartiere metrie zur Festlegung der zu schützenden Quar- nicht immer direkt möglich und kann erst bei tierstandorte nur am Tag nach der Besenderung führt Ausflugbeobachtungen zur Erfassung der Kolonie- zu falschen Schlussfolgerungen und ermöglicht größe festgestellt werden. keine Sicherstellung der lebensnotwendigen Quartiere. Auch wenn die „Fluchtquartiere“ ebenso Die wichtigste Erkenntnis der aktuellen Studie ist schützenswert sind, ist die Prüfung der Verbots- das Aufsuchen einer Art „Fluchtquartier“ am Tag tatbestände nach § 44 Abs. 1 BNatSchG auf dieser nach der Besenderung, denn in der Praxis findet Grundlage nicht möglich. Für eine umfassendere die Telemetrie aus Zeit- und Kostengründen meist Erfassung der Quartierstandorte sollten besenderte ausschließlich am Tag nach der Besenderung statt. Fledermäuse an mehreren Tagen nach der Besen- Keines der „Fluchtquartiere“ wurde an den folgen- derung lokalisiert und damit die Batterielaufzeit den Tagen noch einmal genutzt (Richter et al. der Sender möglichst vollständig ausgenutzt 2019; Abbildung 4). Die Quartiere ab dem zweiten werden. Nur so lässt sich der Quartierverbund Tag wurden mehrmals und meist länger genutzt. einer Fledermauspopulation einschätzen und im Dabei wechselten Gruppen von teils über 40 Zusammenwirken mit weiteren Maßnahmen ein Tieren zwischen mehreren Bäumen im räumlich effektiver Schutz von Fledermäusen umsetzen. nahen Umfeld (Abbildungen 3a und 4). Die Dis- tanzen zwischen den Quartieren betrugen wenige Für den Freistaat Bayern raten das Bayerische Meter (Abbildung 3a) bis etwa einen Kilometer, Landesamt für Umwelt (LfU) und die Koordina- mit einer Ausnahme, bei der eine Mopsfledermaus tionsstellen für Fledermausschutz in Bayern am Tag nach der Besenderung ein Quartier in (Matthias Hammer, schriftliche Mitteilung) im über sechs Kilometer Entfernung aufsuchte. Regelfall vom Einsatz von Netzfängen und Tele- In dem möglichen Erfassungszeitraum von zwei metrie in der saP ab: Der Erkenntnisgewinn wird Wochen konnten für eine Mopsfledermaus bis bedingt durch die eingeschränkte Datenqualität zu sechs verschiedene Quartierbäume festgestellt (es können nie alle Fledermäuse eines Gebietes werden. Die Bedeutung eines solchen Quartier- per Telemetrie untersucht werden) als zu gering verbunds in räumlicher Nähe ist für mehrere eingestuft und der Einsatz aufgrund des metho- Fledermausarten bekannt (Kerth & König 1999; dischen Aufwands daher als unverhältnismäßig Meschede et al. 2000; Russo et al. 2005). bewertet. Auch aus Gründen des Tierschutzes

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 81 Richter & Hagge: Artenschutz Quartiererfassung von Fledermäusen

wird diese Methode kritisch vom LfU und den Literatur

Koordinationsstellen für Fledermausschutz in Kerth, G. & König, B. (1999): Fission, fusion and non- Bayern bewertet und sie empfehlen die erforder- random associations in female Bechstein’s bats lichen Maßnahmen hinsichtlich ihres Umfanges (Myotis bechsteinii). – Behaviour, 136(9): 1187–1202. und der Detailausführung dementsprechend Kortmann, M., Hurst, J., Brinkmann, R. et al. (2018): Beau- auf die Ergebnisse der Baumhöhlenerfassung ty and the beast: how a bat utilizes forests shaped zu stützen, also am Quartierpotenzial (worst case) by outbreaks of an insect pest. – Conserva- zu orientieren, und weniger an einzelnen Netz- tion, 21(1): 21–30.

fang- oder Telemetrie-Ergebnissen. Meinig, H., Boye, P. & Hutterer, R. (2009): Rote Liste und Gesamtartenliste der Säugetiere (Mammalia). – In: Die Forderungen und Empfehlungen zur Anwen- Bundesamt für Naturschutz: Rote Liste gefährdeter dung von Netzfang- und Telemetrie von Fleder- Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 1: mäusen in der saP fallen zwischen den Bundes- Wirbeltiere. – Naturschutz und Biologische Vielfalt ländern unterschiedlich aus und erschweren eine 70(1), 115–153, Bonn-Bad Godesberg. bundesweite einheitliche Planung und Bewertung. Meschede, A., Heller, K.-G., Leitl, R. (2000): Ökologie Erkenntnisse, wie in der vorliegenden Arbeit dar- und Schutz von Fledermäusen in Wäldern. – gestellt, sind dabei grundlegend, um Erfassungs- Bundesamt für Naturschutz, Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 66: 374 S. methoden hinsichtlich ihrer Aussagemöglich- keiten zu beurteilen. Richter, T., Jestädt, K., Leitl, R. et al. (2019): Quartier- nutzung der Mopsfledermaus (Barbastella bar- bastellus) im Nationalpark Bayerischer Wald und eine Evaluation von Erfassungsmethoden. – Nyctalus Autoren 19(3): 270–284.

BayLfU (Bayerisches Landesamt für Umwelt, Hrsg., 2017): Tobias Richter, Rote Liste und kommentierte Gesamtartenliste der Jahrgang 1991. Säugetiere (Mammalia) Bayerns.

Zunächst Ausbildung zum Werkzeugmecha- Russo, D., Cistrone, L. & Jones, G. (2005): Spatial and temporal patterns of roost use by tree-dwelling niker. Anschließend Abitur über zweiten Bil- barbastelle bats Barbastella barbastellus. – Ecography, dungsweg und Studium der Biologie in Würz- 28(6): 769–776. burg mit Schwerpunkt Verhalten und Ökolo- gie. Dreimonatiges Forschungspraktikum im BioHolz-Projekt im Nationalpark Bayerischer Wald. Aktuell Masterstudium im Studiengang Biodiversität und Naturschutz in Marburg.

[email protected]

Jonas Hagge, Jahrgang 1990.

Studium der Biologie und Geografie in Marburg. Promotion und wissenschaftlicher Mitarbeiter im BioHolz-Projekt am Lehrstuhl für Zoologie der Technischen Universität München (TUM). Im Anschluss wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald und seit 2019 als Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Waldnaturschutz der Georg-August-Universität Göttingen.

Georg-August-Universität Göttingen Fakultät für Forstwissenschaften und Zitiervorschlag Waldökologie Richter, T. & Hagge, J. (2020): Stolpersteine bei der Abteilung Waldnaturschutz telemetrischen Quartiererfassung von Fleder- mäusen. – ANLiegen Natur 42(2): 79–82, Laufen; [email protected] www.anl.bayern.de/publikationen.

82 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Notiz Artenschutz

Groß-Schutzgebiete als letzte Refugien: Die Nachtfalter der Berchtesgadener Alpen

(Monika Offenberger) Im Nationalpark Berchtesgaden und seiner Umgebung kommen mit mehr als 500 Arten deutlich mehr als die Hälfte aller Nachtfalter Bayerns vor. Dies geht aus einer Auswertung von rund 18.000 Falterbeobachtungen in un- terschiedlichen Habitaten hervor. Der Vergleich mit älteren Belegen zeigt: Das Artenspektrum der Nachtfalter hat sich in den letzten 50 Jahren nur wenig verändert. Die Studie weist damit die enorme Bedeutung von großen Schutz- gebieten als Refugien für unsere heimischen Tiere und Pflanzen nach.

Die Nachtfalter (Macroheterocera) bilden die artenreichste Gruppe der Großschmetterlinge. Zu ihnen gehören unter anderem die Eulen (Noctuidae), Schwärmer (Sphingidae), Spanner (Geometridae) und Spinner (Bombycoidea). Aus den Nördlichen Kalkalpen lagen zu dieser Insektengruppe bislang allerdings nur punk- Abbildung 1 tuelle und zumeist ältere Aufzeichnungen vor. Der Russische Bär Deshalb dokumentierte von 1997 bis 2014 damit die enorme Bedeutung der Berchtesga- (Euplagia quadri- Dr. Walter Ruckdeschel (bis 1996 Präsident des dener Berge als Insektenlebensraum. punctaria) ist im Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz) Nationalpark die Vorkommen der Nachtfalter im Gebiet des Der Nationalpark beheimatet 53 der insgesamt Berchtesgaden häufig zu finden Nationalparks Berchtesgaden. Bis zu seinem 61 aus den Nördlichen Kalkalpen bekannten und lässt sich plötzlichen Tod wirkte auch Ludwig Wihr an „Gebirgsarten“ und stellt damit ein überregional auch tagsüber bli- diesem ehrenamtlichen Projekt mit. hochbedeutsames Gen-Reservoir dar. Auch das cken (Foto: Walter Vorkommen der übrigen Nachtfalterarten ist Ruckdeschel). Die etwa 80 Probestellen liegen in allen Höhen- stark von der Höhenlage abhängig. zonen des Nationalparks und in den angrenzenden Gebieten außerhalb. Sie umfassen verschiedene Für eine positive Überraschung sorgte der Waldtypen, Feucht- und Moorgebiete, Kalkschutt- Vergleich zwischen dem aktuellen und ehe- halden, offene felsdurchsetzte Flächen sowie die maligen Artenspektrum des Projektgebietes. alpinen Rasen mit Latschen oberhalb der Baum- Entsprechende Daten liefern Literaturangaben grenze. Dazu kommen Waldweideflächen und sowie im Bestand der Zoologischen Staats- bewirtschaftete Almen sowie einige Flächen, sammlung München befindliche Funde, die zu- die sich infolge von Windbrüchen und Borken- meist aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts käferbefall in unterschiedlichen Stadien der Sukzes- stammen. Demnach hat sich das heutige Arten- sion befinden. spektrum innerhalb der vergangenen 50 Jahre nur wenig verändert. Diese Entwicklung steht Die Feldbeobachtungen erbrachten insgesamt im Gegensatz zu dem dramatischen Insekten- 8.800 Datensätze mit rund 18.000 Einzeldaten. sterben, das in der jüngeren Fachliteratur do- Sie belegen das Vorkommen von 509 Nachtfalter- kumentiert ist. Sie erklärt sich daraus, dass im arten. Weitere 104 Arten konnten zwar nicht Nationalpark und in den angrenzenden Gebirgs- nachgewiesen werden, sind aber im Projektge- stöcken weite Gebiete nicht bewirtschaftet oder biet zu erwarten. Diese 613 Arten stellen 59 Prozent aber nur durch traditionelle Formen der Alm- der bayerischen Nachtfalterarten dar und belegen und Forstwirtschaft genutzt werden.

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 83 Notiz Artenschutz

Die herausragende Bedeutung dieser Regionen als Schutzwald dienen, aufrechterhalten wird“, für den Artenschutz belegt der hohe Anteil so das Fazit des Forschers. Als besonders arten- seltener und gefährdeter Arten: Von den 613 reich erwies sich auch eine 1990 vom Orkan Wibke erfassten Nachtfaltern sind 160 Arten in der verursachte Windbruchfläche: Dort fanden sich Roten Liste Deutschland und 126 in der Roten zahlreiche andernorts fehlende Nachtfalterarten. Liste Bayern aufgeführt; 38 von ihnen sind akut Die dort aufwachsende blütenreiche Hochstau- gefährdet (Kategorien 1–3). Bekräftigt wird die denflur bietet den Schmetterlingen und vielen Bedeutung des Gebietes für den Artenschutz anderen Tieren Schutz und Nahrung. durch 112 dort nachgewiesene Tagfalterarten. Mit insgesamt 725 Großschmetterlingsarten ist Angesichts der hohen Verluste an Arten und das Berchtesgadener Bergland mit seinen Tälern Individuen in weiten Teilen der genutzten ein Hotspot für diese Insektengruppe. Landschaften zeigt diese Studie die enorme Bedeutung von großen Schutzgebieten als Ruckdeschels umfangreicher Datensatz erlaubt Refugien für unsere heimischen Tiere und auch Rückschlüsse auf den Einfluss natürlicher Pflanzen. Dynamische Prozesse und extensive und vom Menschen verursachter Störungen. Nutzung spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Wirtschaftswiesen und Almflächen im Nati- onalpark und seinem Umfeld tragen nur wenig Mehr

zur Artenvielfalt der Nachtfalter bei. Äußerst Ruckdeschel, W. (2016): Die Nachtfalter des National- förderlich ist dagegen die Waldweide auf einem parks Berchtesgaden und seiner Umgebung. – ausgedehnten Gebiet im unteren Teil des Klaus- Forschungsbericht 56, Hrsg. Nationalparkverwal- bachtals: Die extensive Beweidung hält den Wald tung Berchtesgaden.

offen für eine vielfältige Bodenvegetation und Ruckdeschel, W. (2018): Die Nachtfalter der Berchtes- bildet mit 203 nachgewiesenen Nachtfalterarten gadener Alpen. – Jahrbuch des Vereins zum Schutz das artenreichste Gebiet des Nationalparks. der Bergwelt, 83. Jahrgang: 1–16. „Aus entomologischer Sicht ist daher zu wünschen, dass die Beweidung in Waldgebieten, die nicht

Ursachen für Insektenrückgänge in Grünland und Wald sind auf Landschaftsebene zu finden

Landnutzungsintensität in der umgebenden Land- (Sebastian Seibold und Wolfgang W. Weisser) schaft wurde über den Anteil an Ackerflächen, Ergebnisse aus den „Biodiversitäts-Explorato- Grünland und Wald innerhalb von einem Kilo- rien“ zeigen: Punktuelle Maßnahmen zum meter Umkreis quantifiziert. Die Erfassungen Schutz der Insekten reichen im Wald und erfolgten im Grünland mit Hilfe von standardi- Grünland nicht aus. Die Ursachen der Arthro- sierten Kescherfängen und im Wald mittels Flug- podenrückgänge wirken auf Landschaftsebene. fensterfallen. In Summe wurden über eine Million Maßnahmen sollten auf größerer Fläche erfolgen Individuen erfasst, darunter etwa 2.700 Arthropoden- und räumlich koordiniert werden, um eine arten. Flächenwirkung zu erreichen. Im Grünland nahmen sowohl die Gesamtarten- zahl (= Gammadiversität) aller Grünlandflächen Im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms pro Jahr (Abbildung 2) als auch die Biomasse, „Biodiversitäts-Exploratorien“ wurden von 2008 Individuenzahl und Artenzahl pro Versuchsfläche bis 2017 Insekten und Spinnen auf 150 Grünland- während des Untersuchungszeitraums signifikant und 140 Waldflächen erfasst und hinsichtlich ab. Auch wenn die Biomasse und Artenzahl auf ihrer zeitlichen Entwicklung analysiert (Seibold intensiv bewirtschafteten Grünlandflächen nied- et al. 2019). Die Versuchsflächen befanden sich riger war als auf extensiv bewirtschafteten Flächen, in drei Regionen in Deutschland (Schwäbische hatte die lokale Landnutzungsintensität keinen Alb, Hainich-Dün und Schorfheide-Chorin) und Einfluss auf die Stärke des Rückgangs. Das bedeutet, bildeten je einen Gradienten der lokalen Land- extensiv bewirtschaftete Flächen, unter anderem nutzungsintensität (un-/extensiv bewirtschaftet in Schutzgebieten, waren gleichermaßen vom bis intensiv bewirtschaftet; Abbildung 1). Die Rückgang betroffen, wie Intensivgrünland. Die

84 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Notiz Artenschutz

Abbildung 1 Die Untersu- chungsflächen Landnutzung in der umgebenden Landschaft zwischen den Jahren. Es fanden sich jedoch bilden Gradienten hatte jedoch einen signifikanten Effekt auf den keine Hinweise, dass die Rückgänge durch den der lokalen Land- nutzungsintensi- Rückgang der Artenzahl im Grünland: Der Rück- Klimawandel verursacht wurden. tät ab (Fotos: gang war auf Flächen, die von viel Ackerland Biodiversitäts- umgeben waren, stärker als auf Flächen mit Die Ergebnisse sind ein weiterer Beleg, dass Exploratorien). weniger angrenzender Ackernutzung. Dabei Bestände verschiedener Insektengruppen und nahmen sowohl Arten mit geringer, als auch Spinnen in Deutschland abgenommen haben Arten mit starker Ausbreitungsfähigkeit in und sie zeigen deutlich, dass nicht nur Arthro- Biomasse, Individuenzahl und Artenzahl ab. poden im Offenland, sondern auch im Wald von Arten mit geringer Ausbreitungsfähigkeit gingen diesen Rückgängen betroffen sind. Die Ergeb- jedoch besonders auf Flächen mit hohem Acker- nisse weisen darauf hin, dass die Ursachen der anteil in der Umgebung zurück. Arthropodenrückgänge im Grünland mit der Landwirtschaft, insbesondere dem Ackerbau, in Im Wald nahmen die Gesamtartenzahl aller Wald- der umgebenden Landschaft in Zusammenhang flächen pro Jahr (Abbildung 2) sowie die Biomasse stehen. Die Ursachen der Rückgänge im Wald und Artenzahl pro Versuchsfläche signifikant bleiben jedoch unklar. Dass allerdings vor allem ab. Die Stärke der zeitlichen Trends war unab- Arten mit starker Ausbreitungsfähigkeit rückläufig hängig von der lokalen Landnutzungsintensität sind, deutet darauf hin, dass auch im Wald die und auch vom Anteil der Ackerflächen in der Umgebung. Allerdings war der Rückgang in der Artenzahl auf Flächen schwächer, auf denen Abbildung 2 Zeitliche Veränderung natürliche Faktoren zum Absterben von Bäumen in der jährlichen Gesamt- geführt hatten oder Bäume geerntet wurden. artenzahl (= Gamma- Der Grund hierfür ist vermutlich die Zunahme Diversität) der Arthro- in der Vielfalt an Habitaten, zum Beispiel durch poden für 30 Wald- und mehr Totholz, höhere Deckung der Krautschicht 150 Grünlandflächen (Grafik: Sebastian und stärkere Besonnung. Im Gegensatz zum Grün- Seibold). land nahmen im Wald insbesondere Arten mit starker Ausbreitungsfähigkeit über die Zeit ab, während Arten mit geringer Ausbreitungsfähig- keit sogar über die Zeit zunahmen.

Die mittlere Temperatur während der Winter- monate und die Niederschlagssumme der Vege- tationsperiode hatten einen starken Effekt auf die Schwankungen in den Arthropodenzahlen

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 85 Notiz Artenschutz

Ursachen der Rückgänge auf Landschaftsebene Waldbewirtschaftung sollte Lebensraumvielfalt zu finden sind. erhalten und erhöhen. Insbesondere Lücken im Kronendach und ausreichende Totholzvorräte Da auch Schutzgebiete und extensiv bewirt- sind wichtig für die Biodiversität von Insekten. schaftete Flächen von den Rückgängen betroffen Innerhalb von Schutzgebieten sowie in ihrer sind, scheinen lokale Maßnahmen zum Schutz Umgebung, müssen Maßnahmen intensiviert der Insekten allein nicht ausreichend. Maßnahmen und ausgedehnt werden, um Pufferzonen zu sollten auf größerer Fläche erfolgen und räum- schaffen und um Lebensraumverfügbarkeit lich koordiniert werden, um eine Flächenwirkung und -qualität zu erhöhen. zu erreichen. Auch wenn aus der vorliegenden Studie keine Rückschlüsse zum Beitrag verschie- Mehr

dener Komponenten landwirtschaftlicher Nutzung Seibold, S., Gossner, M. M., Simons, N. K., Blüthgen, N., getroffen werden können, sollten auf Basis des Müller, J., Ambarli, D., Ammer, C., Bauhus, J., Fischer, aktuellen Wissensstandes Maßnahmen sowohl M., Habel, J. C., Linsenmair, K. E., Nauss, T., Penone, C., darauf abzielen, Lebensraumverfügbarkeit und Prati, D., Schall, P., Schulze, E. D., Vogt, J., Wöllauer, S. -qualität auf Landschaftsebene zu erhöhen, als & Weisser, W. W. (2019): decline in grass- auch darauf, Pestizideinsätze und Stickstoffemis- lands and forests is associated with landscape-level sionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren. drivers. – Nature 574: 671–674; https://doi. org/10.1038/s41586-019-1684-3.

„Bremsenfallen“ – ein überflüssiger (und wahrscheinlich illegaler) Beitrag zum Insektensterben

Das System der Bremsenfalle gleicht dem der (Nina Jäckel) Malaise-Falle, die nachgewiesen unselektiv Kommerzielle Bremsenfallen finden schon fängt und infolgedessen nach § 39 Bundes- seit einigen Jahren gehäuft auf Pferdewiesen naturschutzgesetz genehmigt werden muss. und -höfen ihren Einsatz. In meiner Masterar- Ich untersuchte, ob die Bremsenfalle, für die in beit habe ich die Selektivität der Fallen unter- der Praxis nur selten eine Genehmigung einge- sucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Bremsen holt wird, selektivere Fangergebnisse hervor- nur einen geringen Anteil der gefangenen bringt oder ob diese mit denen der Malaise-Falle Biomasse an Insekten ausmachen und die gleichzusetzen sind. Fallen somit eine negative Wirkung auf die Biodiversität haben können. Hierzu habe ich, um die gesamte Aktivitätszeit von Bremsen abzudecken, von Mai bis Oktober 2017 den Fang von sechs Fallen wöchentlich Immer häufiger habe ich auf Pferdehöfen und geleert und im Labor bestimmt. In dieser Zeit in deren direkten Umgebung sogenannte Brem- konnte ich 53.433 Gliederfüßer fangen. Die senfallen entdecken können. Sie bestehen aus Insekten habe ich auf ihre Großgruppe, die einem schwarzen Ball mit darüber gespanntem Zweiflügler auf ihre Familie, und die Stechimmen Netz. Die Konstruktion hängt frei beweglich an (mit freundlicher Unterstützung von Karolina einem Metallstab. Der Ball heizt sich in der Sonne Rupik), Schwebfliegen und Bremsen aufgrund auf und wird durch den Wind bewegt, sodass ihrer hohen Relevanz für die Studie auf die Art blutsaugende Fluginsekten ihn für einen Wirt bestimmt. halten, und so angelockt werden. Sie werden anschließend über das Fangnetz in den darüber- 90,9 % der gefangenen Insekten sind Zweiflügler. liegenden Fangbehälter geleitet und verenden Ein Ergebnis, welches mit Fängen der Malaise-Falle dort. Ziel ist es, die Pferde vor unangenehmen vergleichbar ist. Lediglich 3,8 % (2.022 Individuen) Bremsenbissen zu schützen. sind Bremsen. Von der sogenannten Pferde-

86 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Notiz Artenschutz

bremse (Tabanus sudeticus), deren Bisse als besonders unangenehm gelten, konnte ich kein einziges Individuum nachweisen. 98,8 % aller Bremsen konnte ich von Juni bis August fangen. Unter den gefangenen Schwebfliegen befand sich ein Individuum der Roten Liste Deutschlands (Neoascia interrupta) und auch unter den Stech- immen und Schmetterlingen fanden sich ge- schützte Arten, wie zum Beispiel insgesamt 70 Wildbienen.

Entgegen dieser Fangergebnisse behaupten Hersteller, die Falle würde lediglich Bremsen fangen. Außerdem wird von Ihnen eine Aufstel- lung von April bis Oktober empfohlen.

Durch den enormen Beifang von über 96 % kann hier keinesfalls von einer selektiven Falle die Rede sein. Der negative Einfluss auf die Biodiversität durch den massiven Verlust von Biomasse ist nicht zu unterschätzen. Der Einsatz Abbildung 1 von Bremsenfallen sollte in der Praxis daher Mehr Kommerzielle strenger geprüft werden. Auflagen könnten Die Ergebnisse der Masterarbeit wurden erst- Bremsenfallen beispielsweise die Aufstellung auf die ermittelte malig in “Natur und Landschaft“ veröffentlicht: werden inzwi- schen öfter an Hauptaktivitätszeit beschränken, eine Überar- Jäckel, N., Kraemer, M., Walter, B. & Meinig, H. (2020): Pferdehöfen und beitung der Falle vorsehen, um sie mit beson- „Bremsenfallen“ – ein überflüssiger (und wahr- -wiesen eingesetzt deren Bremsenlockstoffen selektiver zu gestalten, scheinlich illegaler) Beitrag zum Insektensterben (Foto: Nina Jäckel). und die Aufstellung in Schutzgebieten und im (“Gadfly traps” – a superfluous [and probably il- direkten Umfeld von Schutzgebieten untersagen. legal] contribution to insect decline). – Natur und Landschaft 95: 129–135; DOI: 10.17433/3.2020.50153787.

Artenschutz in der Baumkontrolle

schutz einzuordnen. Dabei ist es wichtig, dass (Stefanie Weigelmeier) die Kontrollierenden in der Lage sind, auch Der Artenschutz nach dem Bundesnaturschutz- Baumstrukturen zu erkennen, die für den Arten- gesetz (BNatSchG) und die Verkehrssicherheit schutz relevant sind. Nur so können sie die rich- nach dem Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) tigen Maßnahmen empfehlen und die Schutz- sind bei der Baumpflege gleichermaßen zu bestimmungen einhalten. Viele der Standard- berücksichtigen. Gibt es keine anderen Alter- parameter, die bei der Kontrolle der Verkehrssicher- nativen, überwiegen aber die Belange der heit erhoben werden, geben auch Hinweise auf Verkehrssicherheit die des Artenschutzes: die Relevanz des Baumes für den Artenschutz. In meinem Manuskript zur 6. Fachtagung der Lebensstätten von Vögeln und anderen Tieren Baumkontrolleure stelle ich die wichtigsten können betroffen sein. Kreativer Einsatz der Strukturen vor. möglichen technischen Lösungen in der Baumpflege helfen aber, unnötige Baumfäl- Natürlicherweise entwickeln Bäume, je älter sie lungen und Sicherheitsschnitte zu verhindern. werden, Strukturen, die für zahlreiche Organismen einen Lebensraum darstellen, wie Höhlungen, Einmorschungen, Rindenplatten, Risse und Spalten. Bäume im öffentlichen Raum werden regel- Viele sind Lebensräume gesetzlich geschützter mäßig in Bezug auf ihre Verkehrssicherheit Arten, insbesondere Vögel, Insekten und Pilze. kontrolliert. Aufgabe der Baumkontrolle ist es, Auch können zum Zeitpunkt der Kontrolle scheinbar Merkmale des Baumes objektiv zu erkennen unbewohnte Höhlen nach dem Bundesnatur- und in Bezug auf Verkehrssicherheit und Arten- schutzgesetz (BNatSchG) geschützte Lebens-

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 87 Notiz Artenschutz

Abbildung 1 Im unbelaubten Die Kontrolleure sollten Weiterbildungen, etwa Zustand ist das im Bereich Kronensicherung, Schnitttechniken Spechtloch noch und Baumstatik, wahrnehmen, um den Baum gut zu erkennen, und darin vorkommende Lebensraumstrukturen im belaubten Zu- erhalten zu können. stand wird es schwer. Neben den „Architekten“ Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Kontrollie- selber, werden renden je nach eigenem Wissen, Situation, Baum diese Höhlen und Artverdacht, analog zur eingehenden Unter- auch gerne von suchung der Stand- oder Bruchsicherheit, öfter anderen höhlen- bewohnenden eine artenschutzfachliche Begutachtung anfordern. Vögeln, Bilchen, Fledermäusen Kommunen verwalten ihre Baumbestände in und zahlreichen öffentlichen Grünanlagen, Straßenzügen, Fried- Insektenarten höfen et cetera mittlerweile häufig über eine genutzt. Eine Trag-Halte- Kataster-Software. Aber auch händisch geführte Sicherung kann Listen in kleineren Baumbeständen sind im Einsatz eine Möglichkeit und praktikabel. Leider fehlen in vielen dieser sein, einen Kataster und Kontrollbögen Informationen zum Kronenast mit Artenschutz. Sie sollten daher einheitlich ange- Spechtloch ver- kehrssicher im passt und der Artenschutz in der Dokumentation Baum zu erhalten implementiert werden. (Foto: Stefanie Weigelmeier). Das vollständige Manuskript ist abrufbar unter https://dendrophilia.de/wp-content/uploads/ stätten darstellen. Im Sinne einer Worst Case- SWeigelmeier-2020-Artenschutz-in-der-Baum- Annahme, sollten Höhlenbäume aufgrund des kontrolle.pdf. hohen Untersuchungsaufwandes grundsätzlich als Fortpflanzungs- und Ruhestätte eingestuft werden. Kontakt Um die Biodiversität auch im öffentlichen Raum Stefanie Weigelmeier, freiberufliche Baum- noch besser zu schützen und zu fördern, sollten gutachterin und Mitarbeiterin an der Unteren wir alle Möglichkeiten nutzen. Im Folgenden einige Naturschutzbehörde des Werra-Meißner- Stellschrauben, wie wir auch im Rahmen der Kreises (Hessen) Baumkontrolle den Artenschutz noch verbessern können: stefanie.weigelmeier(at)dendrophilia.de

Die Thematik des Artenschutzes im Ökotop Baum sollten bei der Ausbildung zur Baumkontrolle dringend stärker berücksichtigt werden. Die Kontrollierenden sollten die Ökologie und die Lebensansprüche von potenziell an und in Bäumen vorkommenden Artengruppen kennen und die Arten erkennen.

88 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Waldnaturschutz

Abbildung 1 Susanne Reichhart und Wolfram Adelmann Karbonat-Trockenkiefern- wald mit Magerrasen im Unterwuchs: ein wunder- Zwischen Licht und Schatten: Naturschutz bares Ökoton zwischen Wald und Offenland – versus Naturgefahrenabwehr am Beispiel hier mit ästiger Graslilie (Anthericum ramosum) des Karbonat-Trockenkiefernwaldes (Foto: Susanne Reich- hart/ANL).

Zwischen der Abwehr von Naturgefahren und dem Schutz von Offenlandlebensräumen und lichten Wäldern kommt es immer wieder zu Zielkonflikten. Auch widersprechen sich hier die Zielvorgaben der Rechtsgrundlagen zwischen Waldgesetz und Naturschutzgesetz. Am Beispiel des Karbonat-Trockenkiefernwaldes zeigen wir Lösungswege auf. Als Leitart des lichtesten Übergangs zu den Kalkmagerrasen und Felsbereichen schlagen wir den Thymian- Ameisenbläuling (Phengaris arion) vor. In Bereichen mit erhöhtem Bedarf an die Naturgefah- renabwehr sind dichtere Wälder wirkungsvoller. Für diese dunkleren, verbuschten Ausprä- gungen des Karbonat-Trockenkiefernwaldes eignet sich der Gelbringfalter (Lopinga achine) als eine Leitart. Wir diskutieren, wie sich verschiedene Managementvarianten, wie Beweidung, Pflanzung, Jagd und „Nichts tun“, hinsichtlich Naturschutz und Naturgefahrenschutz auswirken.

Problemstellung zu optimieren. Lichte Bergwälder schützen Der Bergwald in den Alpen ist wertvoller Lebens- jedoch nur bedingt vor Naturgefahren, wie raum für viele Arten und gleichzeitig von großer Steinschlag, Muren oder Lawinen. Besonders Bedeutung als Schutzwald. Nach dem Waldge- diese sind aber Hotspots der Artenvielfalt, hier setz sind diese Schutzfunktionen zu sichern oder finden sich oft aufgrund ihrer Artausstattung

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 89 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

Abbildung 2 Bäume halten Steinschlag bis zu gesetzlich geschützte Flächen (§ 30 Bundes- und Schutzwaldsanierung naturschutzfachlich einem gewissen naturschutzgesetz und Art. 23 Bayerisches Natur- bewertet. Anhand ausgewählter Waldtypen Maß zurück (Foto: schutzgesetz) und europäisch geschützte Lebens- werden Vorschläge für einen integrierten Biotop- Wolfram Adel- raumtypen der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richt- und Artenschutz im Schutzwald-Management mann/ANL). linie. Somit können zwischen dem Schutz der erarbeitet. Für den Karbonat-Trockenkiefern- Natur und der Abwehr von Naturgefahren Ziel- wald möchten wir hier die Problematik sowie konflikte auftreten. Dies führt immer wieder zu denkbare Lösungsansätze diskutieren. Verzögerungen bei wichtigen Maßnahmen auf beiden Seiten oder zu scheinbar unlösbaren Kontroverser gesetzlicher Rahmen Konstellationen. Im bayerischen Teil der nördlichen Kalkalpen sind zirka 155.000 ha (rund 40 %) als Natura 2000- Seit 2017 läuft das Interreg-Projekt „Biotop- und Gebiete gemeldet. Zwei Drittel der Lebensraum- Artenschutz im Schutz- und Bergwald“ mit Betei- typen sind in einem günstigen Erhaltungszustand ligung der Länder Tirol, Salzburg und Bayern, (BfN, URL 1). Viele der Offenlandbiotope sowie um in diesem Konfliktfeld Lösungen zu erarbeiten Wälder und Gebüsche basischer, trockenwarmer (hierzu Arzberger & Pukall 2018). Projektgebiet Standorte der montanen und subalpinen Stufe sind die nördlichen Kalkalpen im bayerisch-öster- sind zudem nach § 30 Bundesnaturschutzge- reichischen Grenzgebiet mit den beiden Pilot- setz (BNatschG) geschützt. Hier gilt es, den Biotop- gebieten Karwendel (19.640 ha) und Lofer/Saalach charakter zu bewahren und sie vor standort- (13.470 ha). Im Projekt werden Handlungsemp- und vegetationsverändernden Nutzungen zu fehlungen entwickelt, wie die Berg- und Schutz- schützen (hierzu Fischer-Hüftle 2020). Jede Hand- wälder gepflegt, erhalten und bewirtschaftet lung, die zur Zerstörung oder sonstigen nega- und gleichzeitig die naturschutzfachlichen tiven Beeinträchtigung des Biotops führen könnte, Anforderungen berücksichtigt werden können. ist verboten.

Als wichtiger Baustein werden dazu die Ziel- Die Natura 2000-Gebiete der bayerischen Alpen konflikte zwischen Arten- und Biotopschutz schließen in großem Umfang Schutzwälder nach

90 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Reichhart & Adelmann: Trockenkiefernwald Waldnaturschutz

Abbildung 3 Thermophile Stauden uren Schneeheide-Kiefernwäl- rifolioeranietea dern vermitteln floristisch, strukturell und ökologisch stets zwischen Offenland- Kalkmagerrasen Thermophile Gebüsche Falllaubwälder gesellschaften und klimax- estucoBrometea Berberidion uercoagetea nahen Schlusswaldgesell- schaften (nach Hölzel 1996b).

Kalkschutt uren hlasietea rotundifolii Schneeheide-Kiefernwald Erico inetea Kalkfelsspaltengesellschaften otentilletalia caulescentis

Alpine Kalkmagerrasen Sauerhumus-Nadelwälder eslerietea accinioiceetea

O enlandvegetation Klimaxnahe Vegetationstypen

Sukzession

Art. 10 Abs. 1 des Bayerischen Waldgesetzes von Karbonat-Trockenkiefernwälder sei hier auf (BayWaldG) ein (URL 2). In weiten Teilen müssen die Arbeit von Hölzel (1996b) verwiesen. Grob so die Erhaltungsziele in den Natura 2000-Gebieten unterscheidbar sind primäre Standorte an der und der Schutz vor Naturgefahren auf ein und Trockengrenze, die fast ausschließlich Kiefern derselben Fläche vereinbart werden. Dies ist hervorbringen, und sekundäre Wälder in Suk- auf Teilflächen allerdings nur bedingt möglich, zession hin zu einem Klimaxwald (auf Muren, da sich die erforderlichen Maßnahmen je nach Hangrutschungen) sowie ebenfalls sekundäre Zielsetzung in ihrer Wirkung widersprechen durch Landnutzung geprägte Übergangsbe- können. Die naturschutzrechtlichen Ansprüche reiche zum Offenland. Entsprechend vielfältig an die Verfahren sind ausführlicher in Fischer- ist die floristische Gliederung dieser Ökotone Hüftle (2020) behandelt. (Abbildung 3).

Karbonat-Trockenkiefernwälder liegen in Durch Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung komplexen Übergängen (Weide- und Streunutzungsverbot) im sekundären Der Karbonat-Trockenkiefernwald ist mit einer Karbonat-Trockenkiefernwald setzt – auch in Überschirmung von 20–50 % (seltener 70 %) Verbindung mit Feuervermeidung – eine Vergra- einer unserer lichtesten Waldtypen. Überspitzt sung ein (mit Pfeifengras Molinia sp., Reitgras könnte man ihn auf primären Standorten als Calamagrostis sp. und Zwenke Brachypodium einen mit Einzelbäumen bestandenen Mager- sp.). Die Vergrasung ist sowohl ungünstig für rasen bezeichnen. In sekundären Kiefernwäldern die krautreichen Offenlandlebensräume, als präg(t)en verschiedenste Nutzungen, wie Bewei- auch ungünstig für die Naturverjüngung der dung und/oder Streunutzung, die einzelnen Kiefer (Rohbodenkeimer). Vergrasende, verjün- Ausprägungen (Hölzel, 1996b). Dementsprechend gungsfreie sekundäre Karbonat-Trockenkiefern- stellten sich offene Lebensräume ein, wie ver- wälder sind somit sowohl naturschutzfachlich, schiedene Grünlandtypen. Trockenkiefernwälder als auch aus Sicht der Naturgefahrenabwehr nicht beherbergen oft isolierte Populationen von optimal. Um die Naturgefahrenabwehr zu opti- Reliktarten aus anderen Klimaepochen mit mieren, ist es oft wünschenswert, den Baum- wärmeren und trockeneren Bedingungen bestand zusätzlich zu verdichten. (Delarze & Gonseth 2008). Dieses Mosaik und seine wichtige Refugialfunktion macht ihn so Umfrage an den Unteren Naturschutz- artenreich und naturschutzfachlich so bedeutsam. behörden In einer Umfrage des Büros Geyer & Dolek schätzten Zur floristischen Gliederung, Dynamik und Öko- die Fachkräfte der Unteren Naturschutzbehörden logie der sehr komplexen Verzahnung und Genese die Vereinbarkeit der Schutzwald-Sanierung

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 91 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald Frage 2 äußerst problematisch 1 äußerst problematisch 23 problematisch 4 problematisch 81 Schutzwaldsanierung - Naturschutzvorgaben Abbildung 4 Anzahl der genannten Fälle porro Konfliktstufe weitgehend problemfrei 2 weitgehend problemfrei 11 Schutzwaldsanierungs- fälle und Konfliktsitua- problemfrei 2 keine Angabe problemfrei 60 keine Angabe 1 keine Angabe 0 tion mit Naturschutz- keine Angabe vorgaben (§ 30 und problemfrei spezieller Artenschutz FFH-RL; nach Dolek & problemfrei weitgehend problemfrei Hager 2018a). weitgehend problemfrei problematisch problematisch äußerst problematisch äußerst problematisch 23 13,1428571 äußerst problematisch 0 1 2 3 4 5 problematisch 81 46,2857143 59,4285714 weitgehend problemfrei 11 6,28571429 40,5714286 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 problemfrei 60 34,2857143 keine Angabe 0 0 175 100 mit allgemeinen Naturschutzvorgaben (§ 30 und Zu beachten ist, dass aktuell die Schutzwald- Frage 3 spezieller Artenschutz FFH-RL) ein. Das Ergebnis sanierungsflächen zunächst als Planungskulisse sehr häufig häufig mittel selten Ziele der Schutzwaldsanierung (Abbildung 4): In gut 40 % der Fälle scheint es der Forstbehörde dienen und nicht zwingend Schutz vor Lawinen 3 2 1 2 zwischen Schutzwald-Management, in dem es auf der gesamten Fläche Maßnahmen, wie Pflan- 6 Schutz vor Steinschlag und Felsstürzen 3 5 vorwiegend darum geht, den Bestockungsgrad zungen, durchgeführt werden. Im Projekt wurde Schutz vor Bodenerosion und Erdabrutschungen2 4 1 5 zu erhalten oder zu verdichten, und Arten- und daher versucht, die forstlichen Maßnahmen räum- Schutz vor Hochwasser und Überflutungen1 1 1 3 4 Biotopschutz keine oder nur geringe Widersprüche lich schärfer abzugrenzen (veröffentlicht in Heitz 3 zu geben. Dem stehen über 100 bearbeitete Fälle & Binder 2019), um Konflikte mit Naturschutz- (rund 60 %) entgegen, die als problematisch zielen zu minimieren. außerdem 3 x "Schutz des Schutzwaldes" (verschiedene Formulierungen) 2 beziehungsweise als äußerst problematisch 1 eingestuft werden (Dolek & Hager 2018a). ASK- und ABK-Daten zeigen in Abbildung 5 eine 0 Konzentration der schützenswerten Arten auf Schutz vor Lawinen Schutz vor Steinschlag Schutz vor Schutz vor Hochwasser In den Landkreisen, in denen besonders viele den Sanierungsflächen von bis zu 12 Arten/100 und Felsstürzen Bodenerosion und und Überflutungen Erdabrutschungen spezifische Artvorkommen nachgewiesen wurden Hektar (Dolek & Hager 2018a), besonders im Gebiet (Endemiten, lokale Kleinpopulationen, Relikt- Karwendel. Diese Auswertung entspricht auch sehr häufig häufig mittel selten funde), häufen sich verständlicherweise auch Kon- den Einschätzungen der lokalen UNB-Fachkräfte. flikte mit den Zielen der Schutzwaldsanierungen. Die dort vorkommenden Arten sind oft charak- Frage 4 teristisch für verschiedene geschützte Offen- Schutzwaldsanierungsflächen als Hot-Spots landbiotope, wie alpine Rasen, Trocken- und Verdichtung bestehender Baumbestände6 SWS-Maßnahmen, die zu Konflikten führen der Artenvielfalt? Magerrasen, Borstgrasrasen, Flach- und Quell- Pflanzungen auf unbestockten Flächen 6 Behinderung von Landschaftspflege und Almerhaltung Die projektinternen Auswertungen der bayerischen moore, binsen- und seggenreiche Feucht- und Trennung von Wald und Weide 4 Artenschutzkartierung (ASK) und der Alpenbiotop- Nasswiesen, Alpenmagerweiden, alpine Zwerg- Technische Maßnahmen 2 Aufhebung der Schonzeit, Störungen kartierung (ABK, URL 3; Dolek & Hager 2018a) strauchheiden und alpine Hochstaudenfluren. aktive Reduzierung des Buchenanteils, auch Altbäume Sonstige: Wegebau 3 zeigen, dass in Schutzwald-Sanierungsflächen Sonstige: Düngung 3 Sonstige: Düngung besonders viele geschützte Arten vorkommen: Gemeinsam mit Experten beurteilten wir die aktive Reduzierung des Buchenanteils, auch2 Altbäume Sonstige: Wegebau Es wurden 306 Arten der Anhänge II und IV der Folgen verschiedener Forstpraktiken für die Aufhebung der Schonzeit, Störungen 2 Technische Maßnahmen FFH-Richtlinie, geschützte Vogelarten nach euro- gefundenen Arten: Pflanzungen, welche den Behinderung von Landschaftspflege und1 Almerhaltung Trennung von Wald und Weide päischer Vogelschutzrichtlinie, gefährdete Arten Bestand verdichten, Einleitung der Naturverjün- Pflanzungen auf unbestockten Flächen (Rote Liste Bayern Status 0, 1 und 2) sowie Ende- gung, Sekundärfolgen des Forstwegebaus. Von miten und Verantwortungsarten (vorläufige Listen) den 306 beurteilten Arten reagieren unserer Verdichtung bestehender Baumbestände näher betrachtet (Abbildung 4). Die Sanierungs- Einschätzung nach 109 Arten äußerst sensibel 0 1 2 3 4 5 6 7 flächen (Flächen mit akutem Sanierungsbedarf) oder negativ. Zu den sensiblen Arten gehören sind zwar im Vergleich zur Bergwaldkulisse sehr unter anderem der Thymian-Ameisenbläuling klein (3–4 %), beherbergen aber eine überdurch- (Phengaris arion), die Sumpf-Gladiole (Gladiolus Frage 5 schnittlich große Zahl an gesetzlich geschützten palustris), der Klebrige Lein (Linum viscosum), der Offenlandbiotope 7 Betroffene § 30-Biotope Arten pro 100 Hektar (Dolek & Hager 2018a; ver- Frauenschuh (Cypripedium calceolus) und das Waldbiotope 3 gleiche Abbildung 5). Besonders der Ökoton- Birkhuhn (Tetrao tetrix). bereich zwischen Wald und Offenland mit einer größeren Anzahl von gefährdeten Arten steht Speziell zum Thymian-Ameisenbläuling, der in Waldbiotope zugleich im Fokus der Schutzwaldsanierungen. einem Naturschutz-Akteure-Treffen zwischen Tirol, Salzburg und Bayern als eine Leitart defi-

92 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Offenlandbiotope

0 1 2 3 4 5 6 7 8 ohne Falter ASK ha Projektgebiet Projektgebiet BYAnzahl Arten Arten/100ha SanierungsgebietAnzahl Arten Arten/100ha Projektgebiet ges 117902,2 33141,9 211 0,63665689 16106,3 Karwendel 93118,8 19672,3 152 0,77265901 11579,8 108 0,93265624 Loferbach/Saalach 24783,4 13469,5 111 0,82408136 4526,4 75 1,65693608

BK ha Projektgebiet Projektgebiet BYAnzahl Arten Arten/100ha SanierungsgebietAnzahl Arten Arten/100ha Projektgebiet ges 117902,2 33141,9 98 0,29569846 16106,3 Karwendel 93118,8 19672,3 74 0,37616294 11579,8 67 0,5785923 Loferbach/Saalach 24783,4 13469,5 63 0,46772185 4526,4 46 1,01625413

ASK und BK (abzügl. Doppelnennungen)ha Projektgebiet Projektgebiet BYAnzahl Arten Arten/100ha SanierungsgebietAnzahl Arten Arten/100ha Projektgebiet ges 117902,2 33141,9 248 0,74829815 16106,3 Karwendel 93118,8 19672,3 181 0,92007421 11579,8 138 1,19172742 Loferbach/Saalach 24783,4 13469,5 145 1,07650268 4526,4 105 2,31971051

TF1 TF2 beide Projektgeb Projektgeb Saniergeb Saniergeb Projektgeb. Karwendel Saal./Lofer Karwendel Saal./Lofer Daten aus ASK Artenzahl 211 152 111 108 75 Art-Fundorte* 1362 925 437 421 227

Daten aus BK Artenzahl 98 74 63 67 46 Art-Fundorte* 1528 889 639 654 311

Summe Arten (abzgl. Doppelnennungen)248 181 145 138 105

*ein Fundort, an dem mehrere Arten gefunden werden, zählt mehrfach! Artenzahlen und Anzahl Arten-Fundorte (ohne Schmetterlinge) der Arten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie, der Arten des Anhangs I der SPA-Richtlinie, RL Bayern 1 und 2, (Sub-)Endemiten, Verantwortungsarten Bayern, Verantwortlichkeit Bayerns, Verantwortlichkeit Deutschlands, saP-relevante Arten (viele Arten in mehreren Kategorien) nicht berücksichtigt sind: FFH-Richtlinie Anhang V (= Handelsbeschränkung, d.h. passt hier nicht), RL Status Deutschland und weitere RL-Kategorien Bayern; damit könnten die Artenzahlen noch deutlich höher werden

Basis sind in beiden Projektgebieten 1734 Arten in der ASK und 1337 Arten in der BK (in der Summe 2650 Arten; Doppelnennungen abgezogen) bei einer Gesamtartenzahl von 6473 ASK-Arten im Alpenraum und 3073 BK-Arten im außerstädtischen Bereich des Alpenraumes

Arten/100 ha Arten/100 ha Arten/100 ha ArtenschutzkartierungAlpenbiotopkartierung (ASK) ASK und (ABK) ABK (abzüglich Doppelnennungen) Projektgebiet Bayern 0,636656895 0,295698463 0,748298151 Projektgebiet Karwendel 0,772659008 0,376162938 0,920074214 Projektgebiet Loferbach/Saalach0,824081363 0,467721855 1,076502681 Sanierungsgebiet Karwendel 0,932656242 0,578592299 1,191727421 Sanierungsgebiet Loferbach/Saalach1,656936078 1,016254128 2,319710509 Reichhart & Adelmann: Sanierungsflächen Karwendel 6,014512734 8,748382158 12,21128343 Trockenkiefernwald Waldnaturschutz Sanierungsflächen Loferbach/Saalach3,703060214 3,703060214 6,369263568

14 AbbildungArtenschutzkartierung 5 Anzahl(ASK) an schützen- 12 werten Arten (ohne Schmetterlinge, nor- Alpenbiotopkartierung 10 miert auf Arten pro 100(ABK) ha) nach Flächen. 8 Die Sanierungs- flächenASK habenund ABKnach 6 Datenlage(abzüglich eine be- sondersDoppelnennungen) große Bedeu- 4 tung für die Arten- vielfalt der schützens- 2 werten Arten (Nach Dolek & Hager 2018a).

Schützenswerte Arten/100 ha Schützenswerte Arten/100 0

Region

niert wurde, fanden Erhebungen im Karwendel Gelber Frauenschuh (Cypripedium calceolus) statt: Hierzu wurde überprüft, ob der Thymian- und Thymian-Ameisenbläuling (Phengaris arion) Ameisenbläuling in den potenziellen Lebens- repräsentieren mit ihren Lebensraumansprüchen räumen vorkommt. Es gelangen neue Nachweise eine Kombination von Strukturen und Standort- dieser Art sowie weiterer schützenswerter bedingungen. Dennoch besteht das Problem, Schmetterlingsarten (Dolek & Hager 2018b). Mit dass die genannten Leitarten oft schwer nach- den Freilanderfassungen konnte der Thymian- zuweisen sind, da sie teilweise nur kurz blühen Ameisenbläuling an sieben Fundorten nachge- und dann wieder verschwinden (zum Beispiel wiesen werden, darunter fünf weitere auf Schutz- Frauenschuh oder Sumpfgladiole) beziehungs- waldsanierungsflächen. Demnach nutzt der Falter weise eine kurze Flugzeit haben (zum Beispiel – eigentlich als reine Magerrasenart bekannt – Thymian-Ameisenbläuling). Um den Standort auch die Übergangsbereiche Wald-Offenland dennoch sicher ansprechen zu können, empfiehlt sowie Waldlücken und Lichtungen als Lebens- sich ein Blick auf weitere Arten, vor allem dauer- raum (Dolek 2019, mündlich). haft sichtbare Matrixarten der Vegetation. Sie dienen als zusätzliche Indizien für die Anwesen- Leitarten für den Karbonat-Trocken- heit der genannten Leitarten. Für waldbauliche kiefernwald Praxis eignen sich auch die Standortkombinationen Wie oben bereits dargestellt, sind Trockenkiefern- im Sinne eines potenziellen Habitats (vergleiche wälder eine Sammlung verschiedenster Lebens- Allen 1983) und nicht unmittelbar der tatsäch- raumbedingungen. Es ist wichtig, diese differen- liche Nachweis der genannten Art. Werden die ziert zu behandeln und für jede Situation eine spezifischen Kombinationen von Habitatan- Lösung zwischen Naturschutzansprüchen und sprüchen für die jeweilige Leitart erfüllt, ist es Naturgefahrenabwehr zu finden. Hierfür haben wahrscheinlich, dass auch andere Arten mit ähnli- wir Leitarten herausgearbeitet, welche eine Über- chen Ansprüchen vorkommen. schirmungssituation und die Sonderstandorte repräsentieren: Die Leitarten lassen sich entlang Für den Karbonat-Trockenkiefernwald empfehlen zweier Hauptachsen (Licht und Sonderstandorte) wir für die sehr lichte Ausprägung (vergleiche anordnen (vergleiche Abbildung 6): Gelbring- Abbildungen 7a und 7b) im Übergang zu Kalkma- falter (Lopinga achine), Kreuz-Enzian (Gentiana gerrasen den Thymianameisenbläuling als Leitart. cruciata), Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera), Er braucht eine Kombination aus Felspartien mit

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 93 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

Thymian, Kalkmagerrasen-Bereichen (mit Buntem Reitgras (Calamagrostis varia) und charak- Antreffwahrscheinlichkeit der Wirtsameisen) teristische Kräuter, wie Ochsenauge (Buphthalmum und eine Überschirmung deutlich unter 40 %. salicifolium), Grau-Löwenzahn (Leontodon incanus), Der Thymian-Ameisenbläuling repräsentiert damit Braunrote Stendelwurz (Epipactis atrorubens) sehr lichte Waldbestände, in denen Magerrasen und Scheidige Kronwicke (Coronilla vaginalis). existieren. Diese sind natürliche, bodenbedingte Als Weiderelikte können Wacholder (Juniperus Waldgrenzen im primären Karbonat-Trocken- communis), Enzianarten (Gentiana spp., Gentianella kiefernwald ebenso wie nutzungsbedingte spp.) sowie Distelarten, wie Steife Eberwurz Übergänge bei sekundären Kiefernwäldern. (Carlina biebersteinii) oder Gewöhnliche Eber- Schwerpunkt in den Föhntälern der Alpenflüsse, wurz (Carlina vulgaris), angesehen werden. im Osten bis ins Reichenhaller Gebiet in sonn- seitigen Lagen auf felsigen, stark austrocknenden Für überschirmte Bereiche von 30–60 % (selten Rendzinaböden über Kalk- und Dolomitgestein. 70 %) mit einhergehender Vergrasung (vorwie- Die Lebensraumansprüche des Thymianameisen- gend Molinia-Arten) und teilweiser Zunahme von bläulings stehen stellvertretend für weitere Arten, Gehölzen, bietet sich der Gelbringfalter als Leitart wie den Sonnenröschen-Würfel-Dickkopffalter an. Er ist äußerst stenök (Manhart 2001) und (Pyrgus alveus), den Goldenen Scheckenfalter charakterisiert einen weniger offenen aber immer (Euphydryas aurinia) oder die Rotflügelige noch lichten Wald in mäßig feucht bis feuchterer Schnarrschrecke (Psophus stridulus). Charakteris- Ausprägung. Die Lebensraumansprüche des Gelb- Abbildung 6 (S. 6/7) tische Zwergstraucharten sind: Schneeheide ringfalters repräsentieren folgende gefährdete Leitarten des Karbonat- Trockenkiefernwalds. Die (Erica herbacea), Edel-Gamander (Teucrium chamae- und gegenüber zunehmender Verdichtung potenzielle Verteilung von drys), Berg-Gamander (Teucrium montanum), sensible Arten: Frühlings-Perlmuttfalter (Boloria Arten entlang des Gra- Buchsblättrige Kreuzblume (Polygala chamae- euphrosyne), Frauenschuh (Cypripedium calceolus) dienten der Lichtphasen buxus, Sonnenröschen (Helianthemum spp.) sowie und Kriechendes Netzblatt (Goodyera repens). von dunkel bis hell und der Thymian-Arten (Thymus spp.). Bei Rendzinaböden jeweiligen Strukturen innerhalb der verschie- und etwas Lehm- und Mergelanteil kommen auch In wechselfeuchten, nährstoffarmen Ausprägungen denen Ausprägungen; charakteristische Matrixgräser der Kalkmagerrasen des Karbonat-Trockenkiefernwaldes und im blasse Bilder stehen für ver- vor, wie Erdsegge (Carex humilis) (nur tiefere Lagen), Kleinstmosaik zwischen Quellaustritten, Kalk- einzelte Vorkommen Blaugras (Sesleria caerulea) meist zusammen mit flachmooren und Kalkmagerrasen (vergleiche (Grafik: Susanne Reichhart, Nicole Höhna).

Frauenschuh Thymian-Ameisenbläuling Kreuz-Enzian Gelbringfalter Fliegen-Ragwurz Besiedelt werden lichte Offene Felsbildungen und Kommt in lichten Wäldern, Lichte, nicht zu trockene Durch punktuell austretendes Laub-, Misch- und Nadel- Übergänge zu Magerrasen Waldsäumen, Trocken- und relativ luftfeuchte Grund- und Sickerwasser ge- wälder, Gebüsche, Lich- und Almweiden, auch inner- wiesen und Weiderasen Wälder, die im Unterwuchs prägte Lebensräume, Riesel- tungen und Säume auf halb von Waldsystemen, mit vor. Er repräsentiert wei- sehr grasreich sind, zum fluren und Kalk-Quellflur mit kalkhaltigen, teils ober- Lücken und Lichtungen. tere Beweidungszeiger Beispiel pfeifengrasdomi- spezifischer Vegetation und flächlich durch Nadelstreu Die Raupe benötigt die (ehemaliger) Waldweiden, nierte Bestände. Oftmals Fauna im Wald oder offenem versauerten Lehm-, Ton- Futterpflanzen Thymian wie zum Beispiel Wacholder, quellige Hangwaldstand- Gelände. In seggenreichen und Rohböden. oder Dost sowie die Wirts- Enzianarten oder den sel- orte. Durchsetzt von blü- Beständen montan oft begleitet ameise der Gattung Myrmica. tenen, aber auffälligen tenreichen Heiden stellen von Pflanzenarten des Davall- Klebrige Lein. diese Standorte für viele seggenrieds (Carex davalliana). Insektenarten wichtige Weitere Strukturzeigerarten Lebensräume dar. sind zum Beispiel die Sumpf- = Hauptvorkommen Gladiole, die wie die Fliegen-Rag- wurz im Milieu wechselnass/ -trocken ihr Optimum finden. = Randvorkommen

94 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Reichhart & Adelmann: Trockenkiefernwald Waldnaturschutz ll Übergang zu O enland Lücken und größere Lichtungen 30–50 % Überschirmung 50–70 % Überschirmung ndrausrunn chthasn unl chn rrr hdrnald Ausprägung innerhalb der Ausprägung nach: Waldtypen Kie 212s in Bayern Winalp Tirol und Ki 17/(Ki 20) in und Salzburg O ene Felsbildung mit Magerrasen Vergraste Bestände, sekundär durch Beweidung entstandener lichter Wälder Quellaustritt, Hangquellmoore arnatrcn rnald

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 95 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

Abbildung 7a und 7b Blaugrasdominierter Abbildungen 8a und 8b), ist die Fliegen-Ragwurz (Gentiana cruciata) vor. Er zeigt (oft ehemalige) Kiefernwald-Bestand als weitere Leitart zu empfehlen. Eine weitere Beweidung, also sekundäre Schneeheide-Kiefern- mit Buntem Reitgras ölzel (Calamagrostis varia) sehr seltene, aber gleichwohl streng geschützte wälder, an (H 1996a). In Bayern findet sich und Orchideen im Art ist die Sumpf-Gladiole (Gladiolus palustris). hier der extrem seltene Klebrige Lein (Linum Unterwuchs (Lang- Diese Standorte sind extrem schwierig zu rege- viscosum) und stellt ein besonderes Schutzgut blättriges Waldvögelein) nerieren und bedürfen daher eines strengen dar. In Österreich gilt die Art als erloschen (Fotos: Susanne Reich- Schutzes. In Tirol und Salzburg kommt die Sumpf- (Thalinger & Pilsl 2019). Die Standortansprüche hart/ANL). Gladiole nur noch in Streuwiesen vor (Thalinger von Kreuz-Enzian repräsentieren eine breite & Pilsl 2019); in Bayern einzeln verstreut in Licht- Gruppe von beweidungsabhängigen/-geförderten wäldern und Streuwiesen. Auf Böden mit Lehm- Arten. Dazu zählen zum Beispiel Skabiosenflocken- oder Mergelanteil und eingestreut in feucht- blume (Centaurea scabiosa), Frühlingsenzian nassen Quellbereichen treten häufig folgende (Gentiana verna) und Scheidige Kronwicke Matrixgräser auf: Rohr-Pfeifengras (Molinia arun- (Coronilla vaginalis) oder in niedrigeren Lagen dinacea) (nur tiefere Lagen) und Fieder-Zwenke in Bayern der Rosmarin-Seidelbast (Daphne (Brachypodium rupestre et pinnatum). cneorum) (Ringler 2019).

Alternativ für Standorte mit Quellaustritten und Bewertung möglicher Einflüsse auf den kleinflächig durchsetzten Kalkquellsümpfen in Karbonat-Trockenkiefernwald Schneeheide-Kiefernwälder können die Gewöhn- Im Untersuchungsgebiet Lofer sind 2,4 % der liche Simsenlilie (Tofieldia caliculata), Sumpf- Waldfläche (330 ha) Karbonat-Trockenkiefernwälder, Herzblatt (Parnassia palustris), Alpen-Fettkraut im Karwendel 0,7 % (150 ha). Nach Heitz & Binder (Pinguicula alpina) oder die Davall-Segge (Carex (2019) kommen diese jedoch überproportional davalliana) sowie Mehl-Primel (Primula farinosa), häufig in Zonen mit Objektschutzfunktion vor: Breitblättriges Wollgras (Eriophorum latifolium) Im Gebiet Lofer zirka 62 %; im Karwendel zirka (in Bayern bis 1.700 m) sowie Pfeifengras-Molinia 48 % aller Kiefernwaldflächen (hier ohne Hoch- caerulea (in feucht-wechselfeuchten Randberei- wasserschutzfunktion). Rechnet man die Hoch- chen) als weitere Kennarten herangezogen werden. wasserschutzfunktion hinzu, liegen in Lofer sogar 98 % und im Karwendel zirka 63 % der Bestände Auf offenen Lückenrasen im Karbonat-Trocken- in Zonen der Naturgefahren-Abwehr. Sobald in kiefernwald kommt verstreut der Kreuz-Enzian diesen Wäldern die Naturverjüngung ausbliebe,

96 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Reichhart & Adelmann: Trockenkiefernwald Waldnaturschutz

Management Naturschutz – Beurteilung der Auswirkungen Naturgefahrenabwehr – Beurteilung der auf den Biotopcharakter Auswirkungen auf Schutzfunktionen

Extensive Beweidung Pflege des Magerrasens: Fördert die krautige ++ Positiv: Störstellen durch Tritt für Kiefernver- +/- Vegetation; Offenhaltung; schafft Störstellen jüngung, gleichzeitig zurückgedrängte Ver- für Kiefernverjüngung (Liebig & Pantel 2009; grasung. Ewald 2000; Mayer & Stöckli 2004) Negativ: Verbiss der Naturverjüngung (Mayer et al. 2004; vergleiche Delavai 2015; Königer et al. 2005).

Mahd (Naturver- Fördert den Lichtwaldcharakter: Fördert die + Positiv: Geringere Vegetationskonkurrenz, +/- jüngung gezielt spezifische Artenvielfalt; Laubwaldausbreitung gezielte Verjüngungsförderung (Laubwald- aussparen) lenkbar; nur bedingt als Pflege des Kalkmager- ausbreitung auf Sekundärstandorten) möglich. rasens geeignet (Sturm et al. 2018; Kollmann et Negativ: Geringe Förderung der Kiefernver- al. 2019; URL 5) jüngung, da keine Offenbodenstellen ent- stehen, gegebenenfalls neutral hinsichtlich Humusakkumulation.

Nachpflanzung (auf Positiv: Erhält den Charakter der baumbe- +/- Erhält den Charakter eines sehr lichten Waldes; + < 3 % der Fläche*) standenen Offenlandfläche, Verdunkelung – Problem der Vergrasung und Naturverjüngung partiell negativ; Verlust krautiger Vegetation/ nicht dauerhaft gelöst. Magerrasen

Nachpflanzung (auf Verlust an Offenlandflächen, Rückgang der - Fördert den Waldcharakter und damit ++ > 3 % der Fläche*) lichtgeprägten Biozönose; Aufbau Humus – Naturgefahrenabwehr, fördert Humusaufbau hierdurch Verringerung nährstoffarmer Böden (Wasserspeicher). mit spezifischer Vegetation/Biozönose

Hohe Wilddichten Positiv: Dominierender Offenlandcharakter +/- Ausfall Naturverjüngung; - belassen bleibt erhalten. langfristig drohender Waldverlust. Negativ: Ausfall Naturverjüngung; Langfristig drohender Verlust des Biotopcharakters.

Wilddichte stark (Auf Primärstandorten: Kaum Auswirkungen) - (Auf Primärstandorten: Kaum Auswirkungen) ++ absenken Auf Sekundär-Standorten: Zunahme Laub- Auf Sekundär-Standorten: Zunahme Laub- bäume; zunehmende Vergrasung (bei bäume; Humusaufbau; Umwandlung in Rotwild); mittelfristig Verlust des Biotop- Laub-Mischwälder; Optimierung der Natur- charakters. gefahrenabwehr.

* 3 % Nachpflanzung im 10-Jahres-Intervall sind aus Praxissicht ausreichend, um einen Lichtwald zu verjüngen (Überschirmung um die 40 %) (mündliche Mitteilung BASCH-Projektworkshop 2019). Tabelle 1 Bewertung verschiedener Einflüsse auf Karbonat- Trockenkiefernwälder hin- sichtlich ihrer Auswirkungen auf Biotopcharakter (im Sinne der Bewahrung nach § 30 BayNatschG) und auf Schutzfunktionen der Naturgefahrenabwehr.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 97 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

Einflüsse/natür- Naturschutz – Beurteilung der Auswirkungen Naturgefahrenabwehr – Beurteilung der liche Dynamik auf den Biotopcharakter Auswirkungen auf Schutzfunktionen

Feuer (schwach/ Fördert krautige Vegetation/Magerrasen, + Wird als natürliche Verjüngungsform von Kie- +/- Mit-Wind-Feuer**) Offenhaltung – vergleichbar mit traditioneller fernwäldern diskutiert (Hölzel 1996a), Streu- Brandrodung (vergleiche Delavai 2015); und Grasschichtentfernung sorgt für Keimbett Biotopcharakter bleibt erhalten, Naturver- für Naturverjüngung (Kiefer: Rohbodenkeimer). jüngung wird gefördert. Negativ: Die Humusakkumulation verlangsamt sich, damit sinkt die Wasserspeicherfähigkeit, vorhandene Jungbäume werden geschädigt.

Feuer (stark/ Offenhaltung; Primärbodenstandorte durch - Negativ auf Waldentwicklung, zum Teil Ver- - Gegen-Wind-Feuer**) abgebrannte Humusauflage; vorhandenes nichtung auch alter Bäume; Ausfall der Natur- Biotop wird zerstört, in Folge Biotopwechsel. verjüngung; Humus verbrennt; Baumfähigkeit des Standortes unter Umständen verloren; Wasserspeicherfähigkeit sinkt.

Windwurf Positiv: Strukturanreicherung, Lebensraum +/- Positiv: Bodenanriss, Wurzelteller, Keimbett + Totholz, fördert Naturverjüngung. für alle Rohbodenkeimer (vergleiche Delavai Negativ: Konflikt mit Erhaltung des Mager- 2015) und Totholzkeimer (Rannenverjüngung), rasens, fördert partiell Ruderalvegetation . physische Strukturanreicherung als Lawinen- und Steinschlagrückhalt, fördert Humus- aufbau und Wasserrückhalt.

Mure Völlige Zerstörung des Biotops - Völlige Zerstörung des Waldes -

Schwache Lawine Indifferent: Wirkt teilweise wie Windwurf +/- Schwächt den Baumbestand, jedoch Ausgleich +/- (siehe oben). Negativ: Teilweise wie Mure, durch Strukturanreicherung (siehe Windwurf). Zerstörung des Biotops.

Starke Lawine Partielle Zerstörung des Biotops; Schaffung - Zerstörung des Waldes und der Schutz- - von Rohböden; Fortbestand des Biotopes funktionen unklar, Biotopwechsel wahrscheinlich.

Steinschlag Förderung des Keimbetts und Mikrostrukturen + Fördert Mikrostrukturen und Keimbett, +/- schwächt Einzelbäume.

Tabelle 1 Fortführung ** Mit-Wind-Feuer brennen schneller und dringen weniger tief in den Boden ein. Feuer kann sich auch als Gegen-Wind-Feuer fortpflanzen, hierdurch ist der Brand deutlich langsamer und dringt tiefer in den Boden ein und verbrennt Humusauflagen.

98 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Reichhart & Adelmann: Trockenkiefernwald Waldnaturschutz

Abbildungen 8a und 8b Quellbereiche im Kie- müssten zur Naturgefahrenabwehr zwangsläufig Um den Biotopcharakter des Kiefernwaldes zu fernwald mit Mehl- verschiedene Maßnahmen stattfinden: wahren, müssen somit auch junge Bäume nach- Primel (Primula farinosa) wachsen (hierzu auch die rechtliche Verpflichtung und Sibirischer Schwert- lilie (Iris sibirica; Fotos: • Aufforstung und Bestandsverdichtung; in Fischer-Hüftle 2020). Die Meinungen gehen Susanne Reichhart/ANL). gegebenenfalls einhergehende Erschließung jedoch deutlich auseinander, wie die Ziele zu (Wege- und Steigbau) und Jagdintensivierung; erreichen sind: Pflanzungen bewahren den Lichte Stellen werden zudem teilweise zusätz- Waldcharakter, beeinflussen jedoch den Offen- lich zur Kiefer mit Latschen, teils Lärchen, aufge- landcharakter oft negativ; hingegen sind etwa forstet. Diese verändern mittelfristig die Boden- Beweidung und Mahd dem Offenland zuträglich, verhältnisse und beeinträchtigen die Trocken-/ aber nur bedingt dem Waldcharakter. Magerrasen-Gesellschaften im Unterwuchs. Die Rolle des Biotopverbundes nicht • Waldweide-Trennung beziehungsweise vergessen! Beschränkung der Beweidung. Lichte Trockenkiefernwälder spielen eine wichtige Rolle im Berg-Tal-Biotopverbund für Offenland- Doch wo stehen sich die Ziele zur Abwehr von lebensräume. Die Abwehr von Naturgefahren Naturgefahren und dem Schutz der Natur tatsäch- hat zum Ziel, die natürliche morphologische lich entgegen und wo ergeben sich sogar Syner- Dynamik einzuschränken. Hierdurch werden gien? Die Tabelle 1 stellt gegenüber, wie sich primäre Offenland-Lebensräume weniger (Verhin- jeweils das Management und die natürliche derung von Muren, Verdichtung der Wälder). Dynamik auf einerseits den Biotopcharakter Um die Tal-Berg-Bewegung von Offenland-Arten (nach § 30 BNatschG) und andererseits die und sogar von Lebensgemeinschaften trotzdem Schutzfunktionen einer Fläche auswirken. weiterhin zu ermöglichen, sollte ein Tal-Berg- Biotopverbund angedacht werden, der natür- Interessant ist, dass die natürlichen Einflussgrößen liche Dynamik und Kulturlandschaftselemente inhaltlich tendenziell gleichgerichtet beurteilt einbezieht. Dieser Verbund gewinnt im Klima- werden: Eine Zerstörung des Waldes bedeutet wandel noch an Bedeutung. Ziel eines solchen auch eine Zerstörung des Biotopcharakters. Biotopverbundes ist es, einerseits die Wirkung

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 99 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

Abbildung 9 Waldweide ist eine der strittigsten Maß- gegen Naturgefahren durch Dauerwald und Biotopcharakters, der Magerrasenbereiche, der nahmen – von Natur- dichtere Waldbestände an notwendiger Stelle Schutzwaldfunktion und des Realisierungsauf- schutzseite präferiert, zu fördern, andererseits die dadurch verloren- wandes. von Forstseite im gehenden Offenlandstrukturen andernorts zu Schutzwald oft vehe- ment abgelehnt kompensieren. Dies könnte auch durch Prozess- Variante 1: Pflanzung. Kiefern truppweise zu (Foto: Andreas Zahn). schutz-Zonen, in denen „Naturgefahren“ ungehin- pflanzen bedeutet, dass 20–30 Pflanzen an einem dert wirken können, erfolgen. Punkt eingebracht werden. Von diesen wachsen eine oder wenige Kiefern durch und entwickeln Ein mögliches Best Practice-Beispiel ist das sich, während die Mehrzahl verkümmert oder Programm des Bundesamtes für Umwelt der geschädigt werden. In der Aufwuchsphase werden Schweiz (BAFU). Hier werden seit 2005 im Kanton entsprechend der Jungpflanzen Bereiche be- Zürich lichte Wälder erhalten beziehungsweise schattet. Die Fläche durchläuft eine Verdunkelung, ehemalige Trockenweiden in enger Abstimmung später wieder eine Auflichtung, bei der die Alt- mit der forstlichen Planung wiederhergestellt bäume durchwachsen und gleichzeitig konkur- (BAFU, URL 6). renzschwache Bäume ausfallen. Ohne weitere Pflege vergrasen die nicht bepflanzten Flächen, Ein Gedankenexperiment: Was passiert, der Magerrasen entwickelt sich negativ, der wenn… Biotopcharakter (§ 30 BNatSchG) wird sicher Wir möchten hier zum Schluss die vier aktuell gewahrt, da mittelfristig ein ähnliches Waldbild praxsrelevantesten Varianten des Umgangs mit entsteht. Die Schutzwaldfunktion bleibt gewahrt, sekundärem Karbonat-Trockenkiefernwald als der Aufwand ist gering bis mittel einzuschätzen. Gedankenexperiment durchspielen (vergleiche Abbildung 9). Ausgansgpunkt ist ein Mischbe- Variante 2: Extensive Beweidung (maximal stand aus Magerrasenresten, Altkiefern und teil- 0,2 GV/ha). Die Beweidung wiederaufzunehmen vergrasten Flächen. Alle Varianten haben unter- ist sicherlich aufwendig. Zäunungen, Tierpflege schiedliche prognostizierte Folgen hinsichtlich des und Grundversorgung sind zu organisieren.

100 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Reichhart & Adelmann: Trockenkiefernwald Waldnaturschutz

Truppweise Kiefernpflanzung

Biotopcharakter: /- Magerrasen: /- chutzwald: Aufwand: /-

Kurzfistige Beweidung

Biotopcharakter: Magerrasen: chutzwald: Aufwand: -- usansla ekundärer chneeheide-Kiefernwald

Ohne Manahmen

Biotopcharakter: /- Magerrasen: /- chutzwald: -- Aufwand:

nd

ntensive agd/Naturverüngung

Magerrasen Vergrasung Biotopcharakter: -- Magerrasen: -- chutzwald: Aufwand: /-

Naturverüngung Truppenweise Laubbaumarten Kiefernpflanzung Abbildung 10 Ausgehend von einem sekundären Karbonat- Trockenkiefernwald sind hier – in einem Gedanken- experiment – die Mög- lichkeiten der Entwick- lung dargestellt: Zäunung Absterben einzelner 1. Truppweise Kiefern Altbäume pflanzen, 2. Beweidung wieder aufnehmen, 3. nichts tun und 4. Jagd intensivieren.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 101 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

Abbildung 11 Ehemaliger Weide- die auf wüchsigeren, niederschlagsreicheren wald: Zu Vergrasung und humoseren Standorten stehen, gehen die neigender, abgän- Bäume bedingt durch zu hohe Wilddichten und giger Karbonat-Trocken- ausbleibender Bodenverwundung zurück. Die kiefernwald mit Kleb- Naturverjüngung ist nur punktuell auf Störstellen rigem Lein (Linum viscosum) (Foto: durch zusammenbrechende Altbäume möglich. Wolfram Adelmann/ Das Potenzial der Naturgefahrenabwehr nimmt ANL). auf sekundären Standorten langfristig ab.

Variante 4: Intensivierung der Jagd. Weiserzäune zum Ausschluss von Wild führen in den sekun- dären Trocken-Kiefernwäldern zu vielfältiger Naturverjüngung, vor allem Laubbäume, wie Ahorn, Mehl- oder Vogelbeere, kommen auf. Der Aufwand einer intensivierten Jagd ist im Gebirge hoch, würde sich aber flächig positiv in der Naturverjüngung abzeichnen. Natur- schutzfachlich ist das erwartbare Ergebnis durchaus zweischneidig, da sich viele sekundäre Lichtwälder in dunklere Mischwälder verwandeln und Magerrasen-/Offenlandkomplexe verschwin- den könnten. Der Biotopcharakter wird mittel- fristig verändert, jedoch die Naturgefahrenab- wehr deutlich verbessert. In der Praxis werden die Intensivierung von Jagd und die Pflanzung (Variante 1) oft kombiniert. Hierdurch beschleu- Durch extensive Beweidung entsteht allerdings nigt sich der Verlust dieser lichtesten Wälder eine artenreiche und krautreiche Ausprägung noch mehr. des Magerrasens. Zudem entstehen Störstellen im Boden als Keimbett für Bäume (vergleiche Es wird ersichtlich: Es gibt keine einfache, alle Delavai 2015). Damit die Bäume durchwachsen Bedürfnisse erfüllende Lösung, sondern immer können, müssen sie partiell eingezäunt werden. nur einen Kompromiss zwischen Zielerfüllung Mittelfristig bleibt die Schutzfunktion durch und Aufwand. Das gemeinsame Ziel sollte es sein, Naturverjüngung erhalten, während sich der den Biotopcharakter als lichten Wald und gleich- Biotopcharakter positiv entwickelt. Anmerkung: zeitig als Übergangsbereich zu Offenlandbiotopen Diese seit dem Neolithikum praktizierte Nutzungs- zu bewahren (vergleiche Rupp & Werwie 2016). form (Poschlod 2015) zu erhalten oder wieder- Im Sinne der Naturgefahrenabwehr und eines herzustellen, ist nicht nur von kulturlandschaft- optimierten Naturschutzes wäre eine Beweidung licher und ökologischer Bedeutung. Am Trudner mit geschütztem Jungaufwuchs optimal. Gleich- Horn in Südtirol wurde zum Beispiel die Wieder- zeitig trifft dieser Vorschlag bei vielen Förstern einführung der Waldweide zur wirtschaftlichen auf wenig Akzeptanz. Entwicklung der Region diskutiert und insbe- sondere von den zuständigen Forstbehörden Denkbar günstig wären auch Kombinationen von und Landnutzern als positiv bewertet (Zerbe et kurzfristiger Beweidung, truppweiser Pflanzung al. 2019): Lichtwaldstrukturen sind für Touristen und – in gewissen Abständen – die Nachmahd attraktiv und bringen landwirtschaftlich durch oder alternierende Beweidung. Dies erfordert die Doppelnutzung einen Mehrwert. einen sehr hohen Organisationsaufwand, würde aber beide Zielsetzungen zusammenführen. Variante 3: Nichts tun. Der Aufwand ist null. Für die Praxis bedeutet es, punktuell Kompro- Jedoch setzt die Vergrasung langfristig sowohl misse zu finden. Eine pauschale Flächenplanung dem Magerrasen als auch der Naturverjüngung kann es aktuell nicht geben. negativ zu. In primären Karbonat-Trockenkiefern- wäldern, die auf sehr trockenen, steilen und Die im Projekt durchgeführten Workshops sonnenexponierten Standorten zu finden sind, zeugen von einer großen Bereitschaft auf der ist dieser Effekt jedoch gering. Hier stellen sich Arbeitsebene von Forst- und Naturschutzseite, klimaxnahe Dauergesellschaften ein (Hölzel 1996a). aufeinander zuzugehen und gemeinsam In sekundären Karbonat-Trockenkiefernwäldern, Lösungen vor Ort zu finden.

102 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Reichhart & Adelmann: Trockenkiefernwald Waldnaturschutz

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ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 103 Reichhart & Adelmann: Waldnaturschutz Trockenkiefernwald

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Autoren

Susanne Reichhart, Jahrgang 1982.

Diplom-Landschaftsplanerin mit Schwerpunkt Vegetationskunde und Umweltbildung. Mit- arbeiterin im EU-Projekt Biotop- und Arten- schutz im Schutz- und Bergwald an der ANL und seit Mai 2020 in den Bereichen Umwelt- bildung, Boden, Landnutzung und Natur- schutz tätig.

Diplomstudium der Landschaftsplanung und -pflege an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, zusätzlich Bachelorstudium der Umweltpädagogik an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, Wien. Danach Mitarbeiterin in Umweltplanungsbüro Innsbruck und Lehrerin an Landwirtschaftlichen Schulen mit Lehrtätigkeit in den Fächern Angewandte Biologie, Ländliche Entwicklung und Umwelt- management.

Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) +49 8682 8963-39 [email protected]

Dr. Wolfram Adelmann, Jahrgang 1974. Studium der Biologie und Geografie in Düsseldorf und Marburg, Promotion und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Techni- schen Universität München von 2001 bis 2009. Im Anschluss Wissenschaftler an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft und seit 2012 an der ANL im Fachbereich Angewandte Forschung und internationale Zusammenarbeit beschäftigt. Zitiervorschlag Reichhart, S. & Adelmann, W. (2020): Zwischen Bayerische Akademie für Licht und Schatten: Naturschutz versus Naturgefahrenabwehr am Beispiel des Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) Karbonat-Trockenkiefernwaldes. – ANLiegen +49 8682 8963-55 Natur 42(2): 89–104, Laufen; www.anl.bayern.de/ [email protected] publikationen.

104 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Landschafts- planung und -pflege

Abbildung 1 Daniel Elias, Sandra Mann, Matthias Necker und Sabine Tischew Ziegenbeweidung in der Landschaftspflege Vom Modellprojekt zum Praxisleitfaden (Foto: Sandra Mann). Ziegenbeweidung

Aufgrund sozioökonomischer Veränderungen wurde vielerorts in Mitteleuropa die traditionelle Beweidung der ertragsarmen Trockenrasen aufgegeben. Die Flächen verbuschten und die typischen lichtliebenden Arten gingen schrittweise verloren. Am Beispiel von Trockenstand- orten im Unteren Saaletal (Sachsen-Anhalt) zeigen wir, dass durch Ziegenbeweidung diese Trockenrasen effizient wiederhergestellt und erhalten werden können. Für den Renaturierungs- erfolg ist jedoch ein standortangepasstes Management erforderlich.

Das Untere Saaletal – Region für das Ziegen- Durch diese Nutzungsweise entstanden blüten- beweidungs-Modellprojekt reiche, gebüsch- und baumarme Flächen, die Trockenrasen zählen zu den artenreichsten, unsere Kulturlandschaft einst in zahlreichen gleichzeitig aber auch zu den gefährdetsten Gegenden in Mitteleuropa prägten. Biotoptypen in Mitteleuropa. Abgesehen von kleinflächigen Vorkommen auf natürlich wald- Aufgrund mangelnder Rentabilität wurde die freien Extremstandorten handelt es sich um Schaf- und Ziegenbeweidung jedoch vielerorts „Kulturbiotope“, deren Entstehung, Artenvielfalt bereits im vergangenen Jahrhundert aufgegeben. und Erhaltung über Jahrtausende hinweg eng Nutzungsaufgabe und die damit verbundene an die Nutzung durch den Menschen gekoppelt allmähliche Verbuschung der Standorte stellt war. Auf den häufig in Hanglagen befindlichen aktuell die Hauptgefährdungsursache der Trocken- Trockenstandorten spielte die Schaf- und Ziegen- rasen in Mitteleuropa dar. Viele Flächen wurden beweidung, traditionell in Hütehaltung, histo- außerdem aufgeforstet. Werden die Standorte risch eine bedeutsame Rolle (Abbildung 2). nicht mehr oder mit verringerter Intensität

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 105 Landschaftsplanung Elias, Mann, Necker & Tischew: und -pflege Praxisleitfaden Ziegenbeweidung

einmaligen Gehölzrückschnitt mit Entsorgung des Schnittgutes aktuell 3.500 bis 10.000 Euro/ha.

Nachhaltiger ist die Wiederaufnahme der Nutzung auf diesen verbuschten Trockenstandorten. Dabei sollte man sich am traditionellen Vorbild orien- tieren. Rotationsstandweiden mit fest installierten Elektrozäunen reduzieren den Betreuungsaufwand für die Bewirtschafter auf diesen in der Regel relativ kleinen und isoliert liegenden Flächen. Zugleich ermöglichen sie eine längere Verweil- dauer der Weidetiere. Die alleinige Beweidung mit Schafen auf bereits stark verbuschten Stand- orten ist nicht zielführend. Ziegen hingegen können als Mischfresser auch größere Mengen an Gehölzfutter verwerten. Um an höheres Ast- werk zu gelangen, stellen sich die Tiere gern auf die Hinterbeine (Abbildung 3). Außerdem sind Ziegen hervorragende Kletterer und können Abbildung 2 Zeichnung des Saale- sich im steilen Gelände gut bewegen, weshalb tals mit Schäfer bei beweidet, breiten sich außerdem konkurrenz- sie besonders gut zur Beweidung felsiger und Wettin um 1840. Die starke Grasarten wie Aufrechte Trespe und Glatt- verbuschter Hanglagen geeignet sind. weitgehend strauch- hafer aus und bilden artenarme Dominanzbe- und baumfreien Saale- stände. Begünstigt wird dies häufig durch Nähr- Seit 2007 wurden im Unteren Saaletal im Rahmen hänge wurden damals sehr intensiv beweidet stoffeinträge aus umgebenden Ackerflächen. des Ziegenbeweidungs-Modellprojektes insge- (Lithografie: Carl Dennoch weisen viele dieser bereits seit Jahr- samt 20 Ziegenweiden (0,6 bis 8,3 ha) eingerichtet. Wilhelm Arldt, 1840, zehnten nicht mehr genutzten Flächen noch Der Deckungsgrad von Sträuchern vor Beweidungs- aus Gottlieb & artenreiche Trockenrasen-Restbestände auf. beginn lag zwischen 30 % (Unterwuchs einer Streu- Neumeister 1993). obstwiese) und 70 % (Bereiche an Steilhängen). Der Verbuschung begegnen: Beweidung Finanziert wurden die Flächeneinrichtungen durch mit Ziegen verschiedene Förderprojekte (ELER, Stiftungsgelder, Die zuvor beschriebene Situation trifft auch für A+E-Maßnahmen). Für die Beweidung wurden das Untere Saaletal in Sachsen-Anhalt zu. Es liegt überwiegend Burenziegen, eine Fleischziegen- im Mitteldeutschen Trockengebiet und ist für seine rasse, eingesetzt. Diese sind aufgrund ihres Körper- reichhaltige Trockenrasen-Flora und -Fauna bekannt. baus (zum Beispiel kleine Euter, dadurch geringe In den 1990er-Jahren wurden in der Region zahl- Verletzungsgefahr an bedornten Gehölzen), reiche weitere Trockenstandorte aufgegeben ihres vergleichsweise ruhigen Gemütes und des und es bestand die Gefahr, dass sich die Erhaltungs- Fraßverhaltens (reduzieren Gehölze und Gräser- zustände der Flächen weiter verschlechterten. dominanzen) besonders gut für die Landschafts- Auch vor dem Hintergrund der Umsetzung EU- pflege geeignet. Auf einzelnen Flächen weideten rechtlicher Vorgaben musste der voranschrei- zusätzlich Schafe, Fjordpferde oder Schottische tenden Verbuschung der Standorte begegnet Hochlandrinder. Im Frühjahr mit Beginn des werden. Es galt, zeitnah neue Nutzungspraktiken Austriebes der ersten Gehölze (März) durften die zu erproben und in die Managementpraxis Tiere auf die Flächen, im Herbst (November) einzuführen. wurden die Tiere bei regnerischem oder sehr nasskaltem Wetter sowie Schnee wieder von den Trieblängenmessungen nach Gehölzrückschnitt Flächen geholt. In Einzelfällen fand auch Ganz- im Unteren Saaletal zeigten, dass viele typische jahresbeweidung statt. Strauch- und Baumarten mit starkem Wieder- austrieb reagieren (Elias et al. 2014). Außerdem Ergebnisse des begleitenden Monitorings sind auch nach dem Gehölzschnitt die Brache- Im Vergleich zu unbeweideten Kontrollflächen gräser und deren Streuauflage weiterhin proble- wurde der Gehölzaufwuchs auf den Ziegenweiden matisch. Deshalb empfehlen wir, Gehölzrück- im Unteren Saaletal deutlich reduziert (Abbildung 4). schnitt nur in Kombination mit nachfolgender Während die erfassten Deckungsrückgänge bei Beweidung oder zur Nachpflege (Entfernung den Gehölzen zunächst im Wesentlichen auf die von Weideresten). So lassen sich auch Kosten gefressenen Blätter zurückzuführen waren, einsparen: im Unteren Saaletal sind dies für einen konnten später aufgrund des intensiven Verbisses

106 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Elias, Mann, Necker & Tischew: Landschaftsplanung Praxisleitfaden Ziegenbeweidung und -pflege

Abbildung 3 zunehmend auch Vitalitätsverluste beobachtet Innerhalb der unbeweideten Kontrollflächen ging Burenziegen bei der werden. Dadurch starben in den folgenden Jahren in stärker verbuschten Bereichen die Deckung der Landschaftspflege. Gehölze bilden einen auch einzelne Sträucher und Bäume ab. Zielarten deutlich zurück, die Artenzahlen hin- Hauptbestandteil der gegen blieben auf dem Ausgangsniveau (Elias Ziegennahrung, aber Wie direkte Weidetierbeobachtungen gezeigt et al. 2018a). Diese Beobachtung zeigte einerseits auch grasende Ziegen haben, sind Ziegen beim Gehölzfraß nicht die hohe Gefährdungsdisposition, da mit weiter sind ein typisches Bild. wählerisch, auch bestachelte oder bedornte steigender Gehölzdeckung Trockenrasenarten Zum Ruhen wählen Zie- gen häufig exponierte Gehölzarten werden sehr intensiv befressen ausfallen werden. Andererseits verdeutlicht dies Standorte aus (Fotos: (Elias & Tischew 2016). Sie fressen die Blätter, das Renaturierungspotenzial, da immer noch Daniel Elias). Blüten und Früchte sowie junge Triebe und typische Arten inmitten dichter Gehölzstrukturen deren Knospen. Einzelne Bäume wurden auch sichtbar anzutreffen sind, diese aber zeitnah wieder geringelt (vor allem Eschen). freigestellt werden müssen.

Auch die Streuschicht und die Deckung von Erfahrungen und Schlussfolgerungen „brachetoleranten“ Grasarten reduzierte sich aus dem Management auf den Ziegenweiden. Innerhalb ehemals stark Ausschlaggebend für den Renaturierungserfolg vergraster Bereiche entstanden Offenboden- ist ein standortangepasstes Management (Besatz- stellen beziehungsweise Vegetationslücken, die stärke, Weidezeiten). Wesentliche Bewertungs- die Keimung und Etablierung schwachwüchsiger kriterien hierfür sind die vorhandenen Lebens- Trockenrasenarten begünstigten. Neben kurz- räume und Arten, die spezifischen Standortei- lebigen Zielarten (Therophyten), die vor allem genschaften (Relief, Bodenauflage, Nährstoff- von den höheren Offenbodenanteilen profitierten, angebot, Futterverfügbarkeit) sowie die Pflege- nahmen auch mehrjährige und zum Teil sehr defizite und Entwicklungsziele (Entbuschung, seltene Trockenrasenarten (zum Beispiel Stängel- Entfilzung, Arteninventar). Entfernt man manuell loser Tragant) zu (Elias et al. 2014, 2018a, b). hochwüchsige Gehölze, die bereits aus dem Fraßbereich der Ziegen (bis zirka 2 m) heraus-

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 107 Landschaftsplanung Elias, Mann, Necker & Tischew: und -pflege Praxisleitfaden Ziegenbeweidung

Abbildung 4 Entwicklung der Gehölzdeckungen in- nerhalb stark verbusch- ter Bereiche auf sechs Ziegenweiden und un- beweideten Kontrollflä- chen im Unteren Saale- tal über einen Zeit- raum von sieben Jahren (Mittelwerte ± Standardfehler).

gewachsen sind, so beschleunigt das die Rena- von Streuschichten und nach Rückführung der turierung. Auf stark verbuschten Flächen können Gräserdominanzen noch deutlich länger not- Besatzstärken von bis zu 1,0 GVE/ha/Jahr (sehr wendig sein, die Besatzstärke bei 0,6–0,8 GVE/ selten > 1,0 GVE/ha/Jahr) während der ersten fünf ha/Jahr oder sogar darüber beizubehalten, um bis sieben Jahre erforderlich sein (Umrechnungs- die Gehölze tatsächlich nachhaltig zu reduzieren. schlüssel: Ziege = 0,15 GVE). Insbesondere nach Letztendlich kann die Matrix nur eine Orientie- einer vorgeschalteten mechanischen Entbuschung rung zur Bestimmung der ungefähren Besatz- sind hohe Besatzstärken erforderlich, da viele stärke bieten. Die Anpassung des Weidemanage- typische Gehölzarten sehr rasch wieder austreiben. ments muss grundsätzlich alljährlich auf Basis Nach Rückführung der Pflegedefizite muss in der der Flächeneinschätzung und der Tiergesund- Regel die Beweidungsintensität schrittweise heit vor Ort erfolgen. reduziert werden. Für alle Standorte gilt a) Zufütterung vermeiden Basierend auf den mehrjährigen Erfahrungen (Ausnahme Mineralien) und b) Besatzstärke stets auf unterschiedlichen Standorten wurde die in an den vorhandenen Aufwuchs anpassen. Abbildung 5 dargestellte Matrix entwickelt, mit Empfehlenswert sind Elektrozäune mit vier bis deren Hilfe für verschiedene Standortbedingungen fünf Litzen, um einerseits den Ausbruch von Tieren die in etwa benötigten Besatzstärken abgeleitet zu vermeiden und andererseits die Tiere zu werden können. Zu berücksichtigen ist, dass alle schützen (insbesondere als Wolfs- und Hunde- Faktoren in Kombination miteinander betrachtet schutz). Hierbei sollte sich die niedrigste Litze werden müssen und dass witterungsbedingt der bei zirka 0,25 m und die höchste bei zirka 1,10 m Vegetationsaufwuchs jahrweise variieren kann. befinden (bei Wolfsvorkommen gegebenenfalls So ist der Vegetationsaufwuchs auf flachgrün- noch höher). Für die Stromversorgung ist ein digen und stärker geneigten Flächen geringer Solarmodul (möglichst mit Diebstahlschutz) als im Bereich tiefgründigerer und weniger empfehlenswert, da die Flächen in der Regel geneigter Flächen. Jedoch kann es in nieder- weit abseits von erschlossenen Bereichen schlagsreichen Jahren notwendig werden, auch liegen (mindestens 40 Watt; 6.000 bis 10.000 hier eine höhere Besatzstärke anzusetzen, weil Volt bei 2,0 bis 4,5 Joule). Unterstände und Gehölze und Gräser in diesen Jahren einen Tränkebereiche sollten möglichst außerhalb stärkeren Wuchs aufweisen. wertgebender Bereiche eingerichtet werden und müssen immer gut erreichbar sein, um Darüber hinaus muss eingeschätzt werden, ob eine entsprechende Versorgung der Tiere zu sowohl hohe Verbuschungsgrade als auch Vergra- gewährleisten. Insbesondere feste Unterstände sungs-/Verfilzungseffekte auf der Fläche gleich- sollten gleich so konzipiert werden, dass sie als zeitig auftreten. Sind diese Pflegedefizite gleich- Fangstand nutzbar sind. zeitig vorhanden, kann es auch bei Auflösung

108 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Elias, Mann, Necker & Tischew: Landschaftsplanung Praxisleitfaden Ziegenbeweidung und -pflege

sehr hoch/ hoch/ mäßig/ gering/ sehr sehr stark stark mittel schwach gering

Bei Kombination der Vegetationsbestand (Krautschicht) „Intensität“ einzelnen Punkte ermittelte Besatzstärke

„Filzschicht“ < 0,3 GVE/ha/Jahr

Verbuschung zirka 0,3– zirka 0,5 GVE/ha/Jahr

Tiefgründigkeit/Nährstoffangebot zirka 0,5– 0,6 GVE/ha/Jahr

Niederschläge zirka 0,6– 0,8 GVE/ha/Jahr

Relief > 0,8 GVE/ha/Jahr

Es sind alle Faktoren in Kombination und unter Berücksichtigung des Zeitfaktors zu beachten.

Abbildung 5 Matrix zur Einschätzung der Beweidungsintensität Die Ziegenbeweidung ist ein sehr erfolgreiches, Umfassendere Hinweise zum Beweidungs- für eine Beweidung mit aber auch arbeitsintensives Instrument, um management können dem „Praxisleitfaden Ziegen (vergleiche Necker & Mann 2015). wertvolle Trockenrasen zu erhalten und zu Ziegenbeweidung“ (Elias et al. 2019) entnommen pflegen. Wirtschaftlich stellt sie die Bewirt- werden, welcher auf dem Informationsportal: schafter in der Regel jedoch vor sehr große www.offenlandinfo.de als PDF-Version frei Herausforderungen. Insbesondere die Bewirt- verfügbar ist. schaftung vieler kleiner Einzelflächen (soge- nannter „Splitterflächen“) mit starkem Relief Literatur und geringen Futterwerten verursacht hohe Elias, D., Mann, S. & Tischew, S. (2014): Ziegenstand- Kosten. Dies gilt insbesondere für Flächen, die weiden auf degradierten Xerothermrasenstand- wieder neu genutzt werden und stark verbuscht, orten – Auswirkungen auf Flora und Vegetation. – vergrast oder verfilzt sind. Demgegenüber stehen Natur und Landschaft 89(5): 200–208. in der Regel viel zu geringe Einnahmen. Daher Elias, D. & Tischew, S. (2016): Goat pasturing – A biolo- sind bei Initiierung solcher Beweidungsformen gical solution to counteract shrub encroachment zum Beispiel Förderungen zur Flächeneinrichtung on abandoned dry grasslands in Central Europe? – wichtig und auch für die fortlaufende Pflege Agriculture, Ecosystems and Environment 234: (gerade kleiner und schwer bewirtschaftbarer 98–106. Flächen) speziell ausgestattete und kontinuier- Elias, D., Hölzel, N. & Tischew, S. (2018a): Goat paddock lich laufende Förderprogramme zu etablieren. grazing improves the conservation status of shrub- Auf den Weideflächen im Unteren Saaletal liegen encroached dry grasslands. – Tuexenia 38: 215–233. die Bewirtschaftungskosten bei 1.800 bis 2.500 Elias, D., Hölzel, N. & Tischew, S. (2018b): Positive effects Euro/ha/Jahr, da es sich hier um kleine (0,6 ha of goat pasturing on the threatened spring geo- bis 8,3 ha; Durchschnittsgröße 2,8 ha) und schwer phyte Gagea bohemica within formerly abandoned zu bewirtschaftende Flächen handelt, die über- dry grasslands. – Flora 249: 53–59. wiegend zusätzlich motormanuell nachgepflegt Elias, D., Mann, S., Necker, M. & Tischew, S. (Hrsg., 2019): werden müssen. Die Kosten reduzieren sich in der Praxisleitfaden Ziegenbeweidung – Einsatz von Regel mit größeren Flächen und wenn zumindest Ziegen zur Beweidung verbuschter Trockenstand- Teile der Flächen auch befahrbar sind. Zu berück- orte im Unteren Saaletal, Hochschule Anhalt, Bernburg: 64 S. sichtigen ist hierbei, dass Kosten wie ersteinricht- ende Vorentbuschungen oder größere Nach- Gottlieb, I. & Neumeister, H. (1993): Der Saalkreis. – entbuschungen noch nicht eingerechnet sind. Fliegenkopf Verlag, Halle (Saale): 62 S.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 109 Landschaftsplanung Elias, Mann, Necker & Tischew: und -pflege Praxisleitfaden Ziegenbeweidung

Abbildung 6 In der 64-seitgen Broschüre werden das Titelbild des Modellprojekt, die Ergebnisse der Erfolgs- Praxisleitfadens. kontrollen und die gesammelten Erfah- rungen im Management praxisnah beschrieben. Darüber hinaus werden weitere Landschaftspflegeprojekte mit Ziegen aus dem gesamten Bundesgebiet vorgestellt, um den Stellenwert der Ziegenbeweidung auf Naturschutzflächen über die Region des Unteren Saaletals hinaus abbilden zu können.

Autoren Necker, M. & Mann, S. (2015): Pflege von Trocken- und Halbtrockenrasen im Unteren Saaletal – Dr. Daniel Elias, Praxiserfahrungen aus acht Jahren Ziegenbewei- Jahrgang 1974. dung. – Nationalpark-Jahrbuch Unteres Odertal: Studium Naturschutz und Landschaftsplanung. 84–89. Zwischen 2004 und 2009 Tätigkeit in einem Landschaftsplanungsbüro. Seit 2009 Wissen- schaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Anhalt im Rahmen verschiedener Forschungs- projekte. Promotion in Landschaftsökologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Außerdem als freiberuflicher Gut- achter tätig.

Hochschule Anhalt Fachbereich Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung 06406 Bernburg +49 3471 355-1185 [email protected]

Dipl.-Ing. (FH) Sandra Mann Landschaftspflegeverein Saaletal e. V. [email protected]

Dipl.-Ing. (FH) Matthias Necker Landschaftspflegeverein Saaletal e. V. [email protected] Prof. Dr. Sabine Tischew Zitiervorschlag Hochschule Anhalt, Fachbereich Elias, D., Mann, S., Necker, M. & Tischew, S. (2020): Landwirtschaft, Ökotrophologie und Vom Modellprojekt zum Praxisleitfaden Landschaftsentwicklung Ziegenbeweidung. – ANLiegen Natur 42(2): 105–110, Laufen; www.anl.bayern.de/publikati- [email protected] onen.

110 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Landschafts- planung und -pflege

Abbildung 1 Steffen Boch, Angéline Bedolla, Klaus T. Ecker, Christian Ginzler, Ulrich Graf, Artenreicher Borstgras- Helen Küchler, Meinrad Küchler, Tobias Moser, Rolf Holderegger und Ariel Bergamini rasen im Berner Ober- land. Zu sehen ist eine kreisförmig abgesteckte, Grünlandqualität verschlechtert sich 10 m2 große Unter- suchungsfläche (Foto: besonders in hohen Lagen – Ein Steffen Boch). Früherkennungssystem kann helfen

Die Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz untersucht, ob Biotope von nationaler Bedeutung in ihrer Qualität erhalten bleiben. Trotz Schutzbemühungen verschlechterte sich jedoch der Zustand des artenreichen Grünlands in den vergangenen Jahren. Nutzungsaufgabe und zunehmende Verbuschung werden als Ursache vermutet. Besonders ausgeprägt ist dieser Trend in hohen Lagen. Abhilfe kann ein Früherkennungssystem leisten. Eine Auswertung bestätigt einmal mehr, dass auch modernste GPS-Systeme die permanente Markierung von Untersuchungsflächen nicht ersetzen können.

Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz Die Wirkungskontrolle Biotopschutz ist ein lang- Die Schweiz hat zum Schutz wertvoller Lebens- fristig angelegtes Programm zum Monitoring räume wie Hoch- und Übergangsmooren, Flach- dieser Lebensräume. Sie untersucht anhand von mooren, Trockenwiesen und -weiden, Auen und Luftbildanalysen, Vegetationsaufnahmen und Amphibienlaichgebieten seit Beginn der 1990er- Amphibienerhebungen, ob sich diese Lebens- Jahre rund 7.000 sogenannte „Biotope von natio- räume (Biotope) von nationaler Bedeutung naler Bedeutung“ ausgewiesen. Sie umfassen 2,2 % gemäß ihren Schutzzielen entwickeln und in der Landesfläche. Für diese Gebiete bestehen ihrer Qualität erhalten bleiben. Für sämtliche Schutzziele und Entwicklungsmaßnahmen, die 7.000 Biotope werden alle sechs Jahre Luftbilder in Lebensraum-spezifischen Verordnungen und am 3D-Bildschirm verglichen. In jedem Biotop vertraglich mit den Landnutzern festgelegt sind. werden dabei naturschutzrelevante Parameter,

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 111 Landschaftsplanung Boch, Bedolla, Ecker, Ginzler, Graf, Küchler, Küchler, Moser, Holderegger & Bergamini: und -pflege Früherkennungssystem gegen Verschlechterung von Grünlandqualität

Trockenwiesen und Feuchtwiesen und die Lichtzahl sank, stiegen die Feuchte- und Nähr- -weiden (n = 2.626) Flachmoore (n = 1.002) stoffzahl an, was auf wüchsigere Bedingungen

0.10 0.10 hinweist, verursacht durch Nährstoffeintrag und/ oder Verbuschung infolge Nutzungsaufgabe (Boch et al. 2019a). Beides führt zu einem stär- 0.08 0.08 keren Wachstum dominanter Arten mit hohen Nährstoff- und Feuchte- sowie niedrigen Licht- 0.06 0.06 zahlen und geht einher mit dem Verlust von spezialisierten Arten (Boch et al. 2019b). Der

0.04 0.04 Vergleich entlang des Höhengradienten zeigt allerdings, dass diese Vegetationsveränderungen liche Verbuschungsrate

0.02 0.02 vor allem in den höher gelegenen Trockenwiesen

äh r n = 931 n = 1.695 n = 362 n = 620 und -weiden von nationaler Bedeutung und nicht im Tiefland stattgefunden haben (Boch et al. 0.00 0.00 < 800 m 800–1.800 m < 800 m 800–1.800 m 2019b). Ein Blick auf die Fernerkundungsdaten Abbildung 2 bestätigt die Ergebnisse der Vegetationsauf- Jährliche Verbuschungs- rate in Trockenwiesen nahmen: Die jährliche Verbuschungsrate von und -weiden sowie in wie Verbuschung (prozentuale Bedeckung von hochgelegenen Trockenwiesen und -weiden Feuchtwiesen und Gehölzen), Anteil Offenboden sowie das Vor- (800–1.800 m) war 1,8-mal höher als in tiefgele- Flachmooren, also der kommen von Infrastrukturelementen (Straßen, genen (< 800 m; Abbildung 2). Diese Ergebnisse Anteil der Offenlandflä- Gebäude), visuell in 50 m x 50 m Rasterfeldern deuten auf weniger effektive Schutzmaßnahmen che, der von Gehölzen überwachsen wird. In geschätzt. In Auen werden hingegen keine Raster oder die verbreitete Aufgabe der oft arbeitsin- beiden Biotoptypen ist interpretiert, sondern Habitatklassen wie Wasser tensiven Nutzung von Trockenwiesen und -weiden die Verbuschung ober- und unterschiedliche Waldtypen auf den Luft- in höher gelegenen Biotopen von nationaler halb von 800 m deutlich bildern abgegrenzt. Aus diesen Daten können Bedeutung hin. Noch drastischere Entwicklungen größer als unterhalb. beispielsweise Indikatoren für Übernutzung oder stellten wir in Feuchtwiesen und Flachmooren n = Anzahl untersuchter Biotope von nationaler Nutzungsaufgabe abgeleitet werden. Da Vegeta- fest: Die jährliche Verbuschungsrate war in hoch- Bedeutung. tionsaufnahmen deutlich zeit- und kosteninten- gelegenen Flächen 2,9-mal höher als in tiefge- siver als Luftbildanalysen sind, beschränken sich legenen (Abbildung 2). die Vegetationserhebungen auf eine Stichprobe von rund 800 Biotopen (über 7.000 Dauerbeob- Permanente Markierung von Dauerflächen achtungsflächen von 10 m2). Ebenso beschränken ist essenziell sich die Amphibienerhebungen auf eine Stich- Folgeerhebungen von historischen Vegetations- probe von 258 Objekten. Die Felderhebungen aufnahmen bergen eine Reihe von möglichen werden jährlich in einem Sechstel der Stichpro- Fehlerquellen. Neben einem nicht zu vermei- benbiotope durchgeführt. Die Aufnahmen werden denden Bearbeitendeneffekt (Fehlbestimmung alle sechs Jahre wiederholt (Details siehe Boch von Arten und Pseudo-Artenfluktuationen et et al. 2018). Die Ergebnisse der ersten Erhebungs- cetera), der sich nur durch stetes Training der periode von 2011 bis 2017 sind in Bergamini et al. Artenkenntnis der Mitarbeitenden minimieren (2019) oder auf URL 1 zusammengefasst. Im lässt, ist die ungenaue Lokalisierung der Unter- Folgenden stellen wir einige besonders praxis- suchungsflächen eine der wichtigsten Fehler- und umsetzungsrelevante Ergebnisse vor, insbe- quellen. Insbesondere wenn die Untersuchungs- sondere hinsichtlich Trockenwiesen und -weiden fläche der Ersterhebung nicht zufällig, sondern (Abbildung 1) sowie Feuchtwiesen und Flach- nach bestimmten Homogenitäts- und Diversitäts- mooren, wie sie in ähnlicher Vielfalt und Ausprä- kriterien gewählt wurde, kann dies zu Abwei- gung auch in Deutschland vorkommen. chungen der Artenzusammensetzung führen.

Zustand von artenreichem Grünland Nur permanent markierte Untersuchungsflächen verschlechtert sich (etwa mit Magnetsonden) erlauben die Wiederer- In der ersten Erhebungsperiode untersuchten hebung der exakt gleichen Fläche. Obwohl diese wir 538 Flächen mit einer Größe von 28 m2 erneut. Umstände schon länger bekannt sind, bilden per- Diese Flächen wurden bereits während der Inven- manente Markierungen immer noch die Ausnahme tarisierung der Trockenwiesen und -weiden von in Forschungs- und Monitoringprogrammen. nationaler Bedeutung zwischen 1995 und 2006 beprobt. Die mittleren Zeigerwerte für Licht, Die oben erwähnten 538 Untersuchungsflächen Feuchtigkeit und Nährstoffe zeigen, dass sich wurden nicht permanent markiert, sondern nur die Habitatqualität verschlechtert hat. Während die Koordinaten mit Angaben zur GPS-Ungenauig-

112 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Boch, Bedolla, Ecker, Ginzler, Graf, Küchler, Küchler, Moser, Holderegger & Bergamini: Landschaftsplanung Früherkennungssystem gegen Verschlechterung von Grünlandqualität und -pflege

Abbildung 3 Beispiel des GIS-gestütz- ten Früherkennungssy- stems. Es ermöglicht den Naturschutzbehörden des Bundes und der Kantone, negative Ver- änderungen zu erken- nen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen zur Wiederherstellung der Lebensraumqualität ein- zuleiten. Hier eine Trocken- wiese von nationaler Be- deutung, bei der beson- ders die waldnahen Be- reiche im Laufe der ver- gangenen Erhebungs- periode von sechs Jahren verbuscht sind.

keit erfasst: Man spricht von quasi-permanenten historischen Lage – dies ist häufig der Fall bei Untersuchungsflächen. Die GPS-Ungenauigkeit derzeit durchgeführten Folgeerhebungen von der Einmessung reichte damals von 0,33 m bis historischen Vegetationsaufnahmen – müssen 4,98 m und betrug im Durchschnitt 1,48 m (± 0,72 m somit vorsichtig interpretiert werden (Boch et al. Standardabweichung). Von 2011 bis 2017 wieder- 2019a). Unklar ist noch, wie die Größe der Unter- holten wir diese Vegetationsaufnahmen. Die suchungsfläche die Artenfluktuation beeinflusst. Flächen wurden anhand der Koordinaten der Ersterhebung mit einem leistungsfähigen GPS Ein Früherkennungssystem zur Information zentimetergenau eingemessen und mit einer der Naturschutzbehörden Magnetsonde permanent unterirdisch markiert. Da Luftbildvergleiche in allen Biotopen von nationaler Bedeutung der Schweiz durchge- Es zeigte sich, dass die zeitlichen Änderungen führt werden, darunter auch 3.631 Trockenwiesen der mittleren Zeigerwerte für Licht, Feuchtigkeit und -weiden, eignen sich diese Fernerkundungs- und Nährstoffe L( andolt et al. 2010) kaum von der daten gut für den Aufbau eines landesweiten Ungenauigkeit der Einmessung beeinflusst waren. Früherkennungssystems zur Information der Die Artenfluktuation von der Erst- zur Folgeer- Naturschutzbehörden des Bundes und der Kantone. hebung (Sørensen dissimilarity; Boch et al. 2019a) Dieses Früherkennungssystem wurde im Jahr nahm jedoch mit zunehmender GPS-Ungenauig- 2020 implementiert und ermöglicht negative keit signifikant zu. Diese Ergebnisse unterstreichen Veränderungen frühzeitig zu erkennen, etwa wenn die Robustheit von mittleren Zeigerwerten zur Flächen verbuschen (Nutzungsaufgabe), der Anteil Untersuchung von Vegetationsveränderungen des Offenbodens steigt (zum Beispiel Erosion über die Zeit, auch wenn die Untersuchungs- und Übernutzung) oder Infrastrukturelemente flächen nicht permanent markiert wurden. Die (Straßen, Gebäude) in den Biotopen von nationaler steigende Artenfluktuation mit zunehmender Bedeutung gebaut werden. Das GIS-gestützte GPS-Ungenauigkeit – selbst bei einer relativ Instrument visualisiert anhand von Farbcodes geringen mittleren Ungenauigkeit von ungefähr den Zustand und die Entwicklung der Gebiete 1,5 m – zeigt jedoch, dass nur permanent markierte und kann über ein Virtuelles Datenzentrum (VDC) Untersuchungsflächen zur Analyse von zeitlichen von den zuständigen Naturschutzbehörden des Veränderungen von Diversitätsmustern geeignet Bundes und der Kantone beurteilt werden (Abbil- sind. dung 3). Das Früherkennungssystem ermöglicht es den zuständigen Naturschutzbehörden, uner- Schlussfolgerungen zu Veränderungen der Arten- wünschte Veränderungen systematisch und zusammensetzung in quasi-permanenten oder reproduzierbar zu erkennen, ohne den Zustand gar Untersuchungsflächen ohne Information zur jeden Gebietes von nationaler Bedeutung vor

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 113 Landschaftsplanung Boch, Bedolla, Ecker, Ginzler, Graf, Küchler, Küchler, Moser, Holderegger & Bergamini: und -pflege Früherkennungssystem gegen Verschlechterung von Grünlandqualität

Ort untersuchen zu müssen. Dies spart Kosten Literatur

und Zeit und erlaubt die prioritäre Wiederher- Bergamini, A., Ginzler, C., Schmidt, B. R. et al. (2019): stellung der Lebensraumqualität in jenen Gebieten Zustand und Entwicklung der Biotope von natio- mit einer deutlich negativen Entwicklung. naler Bedeutung: Resultate 2011–2017 der Wir- kungskontrolle Biotopschutz Schweiz. – WSL Ber. Dank 85: 1–104; kostenloser Download unter www.dora. Wir danken dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) lib4ri.ch/wsl/islandora/object/wsl%3A22012/data- für die Finanzierung des Projektes, den Kantonen stream/PDF/download/Bergamini-2019-Zustand_ und_Entwicklung_der_Biotope-%28published_ für Zugangsberechtigungen zu den Schutzge- version%29.pdf. bieten sowie allen Feldmitarbeitern und Luft- bildinterpretinnen. Boch, S., Bedolla, A., Ecker, K. T. et al. (2019b): Threatened and specialist species suffer from in- creased wood cover and productivity in Swiss steppes. – Flora 258: 151444.

Boch, S., Bedolla, A., Ecker, K. T. et al. (2019a): Mean indicator values suggest decreasing habitat quality in Swiss dry grasslands and are robust to relocation error. – Tuexenia 39: 315–334.

Boch, S., Ginzler, C., Schmidt, B. R. et al. (2018): Die Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz – Ein Programm zum Monitoring der Biotope von natio- naler Bedeutung. – ANLiegen Natur 40(1): 39–48; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/mel- dungen/wordpress/wirkungskontrolle_biotop- schutz/.

Landolt, E., Bäumler, B., Erhardt, A. et al. (2010): Flora in- Autoren dicativa – Ökologische Zeigerwerte und biolo- gische Kennzeichen zur Flora der Schweiz und der Steffen Boch, Alpen (2nd ed). – Haupt, Bern: 378 pp. Jahrgang 1976. URL 1: Ergebnisse der ersten Erhebungsperiode von 2011 bis 2017; www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/ Studium der Umweltwissenschaften in Lüneburg. themen/thema-biodiversitaet/biodiversitaet--do- ssiers/biotope-nationale-bedeutung-.html. Danach Dissertation an den Universitäten Potsdam und Bern im Fachbereich Pflanzenökologie von 2007 bis 2011. Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern von 2011 bis 2017. Seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Eidgenössischen Forschungs- anstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in der Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz.

Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) [email protected]

Angéline Bedolla Klaus T. Ecker Christian Ginzler Ulrich Graf Helen Küchler Zitiervorschlag Boch, S., Bedolla, A., Ecker, K. T., Ginzler, C., Graf, U., Meinrad Küchler Küchler, H., Küchler, M., Moser, T., Holderegger, R. & Bergamini, A. (2020): Grünlandqualität ver- Tobias Moser schlechtert sich besonders in hohen Lagen – Rolf Holderegger Ein Früherkennungssystem kann helfen. – ANLiegen Natur 42(2): 111–114, Laufen; Ariel Bergamini www.anl.bayern.de/publikationen.

114 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Landschafts- planung und -pflege

Abbildung 1 Kathrin Januschke Eine Vielzahl von Gewässer-, Ufer- Gewässer- und Auenrenaturierung – ein und Auenabschnit- ten wurde und wird Beitrag zur Förderung der Insekten? renaturiert, um eine naturnahe Habitat- vielfalt als Besied- lungsgrundlage für Fauna und Flora Renaturierungen von Gewässern und Auen zeigen für bestimmte Artengruppen, wie Laufkä- wiederherzustellen fer, bereits kurzfristig Erfolge. Um die gesamte Bandbreite an Insekten in diesen hochdiversen (Foto: Ruhr bei Lebensräumen zu fördern, braucht es jedoch viel Geduld oder geeignete Besiedlungsquellen Arnsberg, Nord- in räumlicher Nähe zu den Maßnahmenflächen. Vielfältige Belastungen durch die menschliche rhein-Westfalen [NRW]; Kathrin Nutzung haben zudem zur Verarmung der Biodiversität in Gewässern und Auen geführt. Um Januschke). die Maßnahmenplanungen zu optimieren, werden derzeit bundesweit einheitliche Verfahren zur Erfolgskontrolle von Renaturierungen von Gewässer, Ufer und Aue entwickelt.

Bedeutung von Flüssen und Auen für Insekten Fließgewässer und ihre Auen weisen natürlicher- im Gewässer verbringen und die Fortpflanzung weise verschiedenste Habitate für teils sehr spezi- der adulten Tiere in den Ufer- und Auenbereichen alisierte Tier- und Pflanzenarten auf. Gewässer, stattfindet. Ufer und deren Auen bilden ein Gesamtsystem und sind eng miteinander verzahnt; Überflutungs- Fließgewässer sind sehr produktiv und Insekten dynamik und Hochwasserereignisse sind dabei nehmen dabei eine Schlüsselposition ein (Baxter die maßgeblichen Steuergrößen, die das natür- et al. 2005): Insektenlarven auf der Gewässersohle, liche Habitatmosaik als Besiedlungsgrundlage als wesentlicher Teil des sogenannten Makro- aufrechterhalten. Die Habitatvielfalt des Gesamt- zoobenthos, sind eine wichtige Nahrungsgrund- systems macht Gewässer, Ufer und Auen zu einem lage für Fische und andere Wirbellose. Als adulte der artenreichsten Lebensräume. Zahlreiche Tiere bieten sie zusammen mit den rein terrest- Insekten-Ordnungen (zum Beispiel Libellen risch lebenden Insekten (zum Beispiel Laufkäfer) und Eintagsfliegen) sind dabei auf intakte struk- in Ufer- und Auenbereichen eine Nahrungsquelle turreiche und dynamische Gewässer und Ufer- für die verschiedensten Artengruppen, wie bereiche angewiesen, da sie ihre Zeit als Larve zum Beispiel Spinnen, Vögel und Fledermäuse.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 115 Landschaftsplanung Januschke: und -pflege Gewässer- und Auenrenaturierung

durch das in 2019 beschlossene Bundespro- gramm „Blaues Band Deutschland“ zu erwar- ten. Hier steht die Schaffung von Lebensräu- men für die Tier- und Pflanzenwelt der Bundes- wasserstraßen unter Berücksichtigung der Frei- zeit- und Erholungsnutzung im Fokus. Gemeinsam ist den Richtlinien das Ziel einer Zustandsverbesserung und die Schaffung sowie der Schutz von Habitaten für Tiere und Pflanzen.

Effekte von Renaturierungsmaßnahmen auf Insekten Die Effekte von Gewässer- und Auenrenaturie- rungen sind, je nach betrachteter Artengruppe und Randbedingungen unterschiedlich. In den Ufer- und Auenbereichen sind Maßnahmen vergleichsweise schnell wirksam: Der Arten- reichtum steigt deutlich an und ufer- und aue- typische Arten (zum Beispiel Laufkäfer und Auen- vegetation) stellen sich rasch ein (Januschke 2018). Auen gelten als die struktur- und artenreichsten Beispielsweise hat sich an renaturierten Ab- Ökosysteme weltweit; man findet in ihnen was- schnitten der Ruhr bei Arnsberg die Artenzahl sergeprägte Habitate (zum Beispiel Stillgewäs- der Laufkäfer schon ein Jahr nach Umsetzung ser), dynamische Übergangszonen (zum Bei- der Maßnahme verdoppelt. Zudem konnten dort spiel Kiesbänke) bis hin zu trockeneren in den ersten fünf Jahren nach Umsetzung der Auenstandorten (Hartholzauwald), die nur bei Maßnahmen 10 Arten der Roten Liste NRW (Hannig stärkeren Hochwasserereignissen überflutet & Kaiser 2010) gefunden werden; darunter zwei werden. (Wechsel-)Feuchtes Grünland als kultur- Arten, die vom Aussterben bedroht sind. Weitere geprägtes Habitat hat besonders in Tieflandauen Studien an der Ruhr und der Lippe zeigen, dass eine hohe Bedeutung für die Insektenvielfalt. die Schaffung einer höheren Struktur- und Habitatvielfalt für die Laufkäfer eine deutliche Heutiger Zustand und Schutz von Flüssen Erhöhung der Gesamtartenzahl und der Rote- und Auen Liste-Arten bewirkt; im Besonderen profitieren In der Realität sind nur noch zirka 20 % der Ge- charakteristische Besiedler vegetationsarmer Kies- wässer und 10 % der Auen strukturell in einem und Sandflächen und indizieren eine naturnahe guten Zustand; vielfältige Belastungen durch die Gewässerdynamik (Hannig et al. 2015; menschliche Nutzung haben zu einer Verarmung Hannig & Drewenskus 2016). der Biodiversität in Gewässern und Auen geführt. Bundes- und europaweit ist dabei bekannt, dass Im Vergleich zu den Laufkäfern zeigen sich für Abbildung 2 der Gewässerausbau, die Landwirtschaft, die andere Artengruppen wie Fische und Wasser- A) Renaturierungen, wie zum Beispiel an Wasserkraftnutzung, die Stauhaltung und die pflanzen nur teils deutliche Verbesserungen der Lippe (NRW) schaf- Schifffahrt die maßgeblichen Faktoren sind der Lebensgemeinschaften (Januschke 2018; fen dynamische Ufer- (BMUB/UBA 2016; EEA 2018). Jedoch werden Pilotto et al. 2019). Für die Insekten mit einem bereiche, die von Gewässer und Auen seit etwa zwei Jahrzehn- Larvenstadium im Gewässer bleiben die erwar- seltenen und gefähr- ten im Zuge der Umsetzung verschiedener Richt- teten positiven Reaktionen der Organismen bislang deten Laufkäferarten besiedelt werden linien umfangreich renaturiert. Maßgeblich ist jedoch häufig aus oder benötigen längere Zeit- (Foto: Kathrin Januschke). hier die EU-Wasserrahmen-Richtlinie, die auf räume (Jähnig et al. 2010; Kail et al. 2015). Dass B) Gestreifter Ahlen- den guten ökologischen Zustand der Gewässer Artengruppen sehr unterschiedlich auf die wie- läufer (Bembidion abzielt, gemessen anhand von Gewässerorganis- derhergestellten Lebensräume reagieren, mag striatum) men (Makrozoobenthos, Wasserpflanzen und auch an dem artspezifischen Wiederbesied- C) Grüngestreifter Grundläufer (Omo- Fische). Zusätzlich verfolgt die Fauna-Flora-Habitat- lungspotenzial liegen. Die auf Ufer spezialisier- phron limbatum) Richtlinie (FFH-RL) das Ziel, wildlebende Arten, ten Laufkäfer sind flugfähig und sehr ausbrei- (beide Fotos: deren Lebensräume und die europaweite Ver- tungsfreudig; sie streifen unabhängig vom Gunnar Jacobs). netzung dieser Lebensräume zu sichern und zu Flusslauf mehrere Kilometer umher, um neue schützen. Zukünftig sind weitere umfangreiche Habitate zu besiedeln. Fische und Wasserpflanzen Renaturierungen an den Bundeswasserstraßen verbreiten sich aktiv beziehungsweise passiv

116 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Januschke: Landschaftsplanung Gewässer- und Auenrenaturierung und -pflege

innerhalb der Wasserkörper. Dagegen verbringen Insekten auf der Gewässersohle den überwie- genden Teil ihres Lebens als Larve im Gewässer und verbreiten sich hier in der Regel nur durch Verdriftung; in der kurzen Zeit als adultes Tier außerhalb des Gewässers steht die Reproduk- tion im Vordergrund und es findet maximal ein stromaufwärts gerichteter Kompensationsflug statt. Zudem sind regional aufgrund der ehemals jahrzehntelang bestehenden Abwasserbelas- tung in vielen Flüssen Deutschlands teils nur noch wenige Restpopulationen der Insekten vorhanden.

Verbesserungen durch strukturelle Renaturie- rungen zeigen sich für Insektenordnungen mit einem Larvenstadium im Gewässer vor allem dann, wenn zum Beispiel im Umkreis von fünf Kilometern naturnahe Gewässerabschnitte und Besiedlungsquellen vorhanden sind (Sundermann werden. Als Hilfestellung für Maßnahmenplaner et al. 2011) oder erst nach Zeiträumen von mehr und -umsetzer werden aktuell bundesweite als vier Jahren (Januschke et al. 2017). Ansonsten Verfahren entwickelt, die unter Berücksichti- bleiben die erwünschten Effekte oft aus. In der gung von Maßnahmenzielen und Rahmenbe- Fachwelt werden neben fehlenden Besiedlungs- dingungen auch kleine strukturelle und biolo- quellen in räumlicher Nähe und dem Faktor Zeit gische Verbesserungen in Fließgewässern und auch lokale stoffliche oder hydraulische Belas- Auen sichtbar machen. In dem von der Länder- tungen als Ursache genannt. Vor allem bei Fischen arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) geförderten spielen darüber hinaus noch nicht beseitigte Kooperationsprojekt „Erfolgskontrolle von Rena- Wanderhindernisse eine entscheidende Rolle. turierungsmaßnahmen in Fließgewässern“ ent- wickeln das Umweltbüro Essen, das Planungs- Neben den bereits bekannten Einflussfaktoren, büro chromgruen und die Universität Duisburg- die den Erfolg von Fließgewässerrenaturierungen Essen ein Verfahren für den Schwerpunkt Fließ- für Insekten mit einem Larvenstadium im Gewässer gewässer. Hier stehen die Artengruppen Fische, Abbildung 3 oft verhindern, werden weitere Einflüsse unter- Pflanzen und Makrozoobenthos im Fokus und A) Neu geschaffene sucht, die eigentlich nicht neu sind, aber nun das anzuwendende Monitoring basiert auf den Strukturen erhöhen die Habitatvielfalt als stärker in den Blickpunkt der Wissenschaft rücken: Erfassungsmethoden der Wasserrahmen-Richt- Lebensgrundlage für Beispielsweise Pestizide und Arzneimittelrück- linie. Das Verfahren wird voraussichtlich in 2020 zahlreiche Insekten. stände sowie Mikroplastik, Lichtverschmutzung, veröffentlicht. B) Eintagsfliege Ephe( - Neobiota und Klimawandel. Diese Gesamtpro- mera danica) kurz nach blematik spiegelt sich auch in der Auswertung Für Ufer und Auen erarbeitet die Universität dem Verlassen des Ge- wässers und ihrer letz- von 73 Langzeit-Studien von Sánchez-Bayo & Duisburg-Essen in Zusammenarbeit mit dem ten Häutung von der Wyckhuys (2019) wider. Neben Schmetterlingen, Aueninstitut Neuburg an der Donau, dem Larve (Subimago) zum Hautflüglern und Dungkäfern sind auch Libellen, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in adulten Tier auf einer Steinfliegen, Köcherfliegen und Eintagsfliegen, Leipzig, dem Planungsbüro OEKON und dem ufernahen Kiesbank die ihr Larvenstadium in Gewässern verbringen, Institut für Biodiversitätsmanagement in einem (Fotos: Ruhr bei Arns- berg, NRW; Kathrin am stärksten betroffen. Als maßgebliche Gründe vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Januschke). werden hier Habitatverlust, Verschmutzung F+E-Vorhaben ein bundesweites biologisches (hauptsächlich durch Pestizide und Dünger), Bewertungsverfahren. Im Fokus stehen hier die eingeführte Arten und der Klimawandel genannt. Artengruppen Amphibien, Gefäßpflanzen, Land- und Wassermollusken, Laufkäfer und Perspektiven und Chancen Vögel. Die Grundzüge dieses Verfahrens wur- Renaturierungen von Gewässern und Auen bieten den bereits in den BfN-Skripten veröffentlicht die Möglichkeit, für viele Insekten geeignete (Januschke et al. 2018). Aufgrund des modularen Lebensräume (wieder-)herzustellen. Für erfolg- Aufbaus ergänzen sich die beiden Verfahren, reiche Maßnahmen sind die Rahmenbedingun- sodass zukünftig eine bundesweit einheitliche gen (lokale und regionale Belastungen) ent- Erfolgskontrolle von Renaturierungsmaßnahmen scheidend und müssen stärker berücksichtigt für Gewässer, Ufer und Aue möglich sein wird.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 117 Landschaftsplanung Januschke: und -pflege Gewässer- und Auenrenaturierung

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Autorin

Kathrin Januschke, Jahrgang 1978. Studium der Ökologie in Essen, Promotion im Fach Biologie. Seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Aquatische Ökologie der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkt zu den Effekten von Renaturierungen auf Gewässer- und Auenorganismen. Lehrtätigkeiten zu Grund- lagen der Ökologie und Zoologie, Fließ- und Stillgewässer-Praktika, zoologische Bestim- Zitiervorschlag mungsübungen sowie vertiefende Seminare. Januschke, K. (2020): Gewässer- und Auenrenatu- rierung – ein Beitrag zur Förderung der Insekten? +49 0201-1832893 – ANLiegen Natur 42(2): 115–118, Laufen; [email protected] www.anl.bayern.de/publikationen.

118 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Landschafts- planung und -pflege

Abbildung 1 Bettina Burkart-Aicher Extensive Beweidung der Almen fördert die Biodiversität (alle Fotos: Empfehlungen zum Erhalt von Almen Bettina Burkart-Aicher). und Alpen und ihren Leistungen für den Naturschutz

Der Vertragsnaturschutz ist ein wichtiges Instrument, um Almen und Alpen zu erhalten und ihre Leistungen für den Naturschutz zu fördern. In der gemeinsamen ANL-Veranstaltungsreihe „Vertragsnaturschutz in der Praxis“ vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbrau- cherschutz und dem Bayerischen Bauernverband befassten sich die Teilnehmenden mit den naturräumlichen Besonderheiten und spezifischen Anforderungen für das Wirtschaften auf Almen und Alpen und erarbeiteten gemeinsam wichtige Hinweise.

Das Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm geschützter Biotope oder mit Lebensraumtypen fördert eine naturschonende Bewirtschaftung und Arten aus den Anhängen der Natura 2000- ökologisch wertvoller Lebensräume, um diese Richtlinien sowie Flächen in Naturschutzpro- zu erhalten und zu verbessern. Landwirte, die jekten umfasst. ihre Flächen nach den Zielen des Naturschutzes bewirtschaften, erhalten für den zusätzlichen Die fortwährende Verbesserung und Anpassung Aufwand und entgangenen Ertrag ein Entgelt. des Programms verlangt den Dialog zwischen Die Maßnahmen auf freiwilliger Basis werden in allen Beteiligten. Bei der letzten Veranstaltung der Regel für einen Zeitraum von fünf Jahren in mit dem Titel „Vertragsnaturschutz in der Praxis“ einer naturschutzfachlich definierten Gebietskulisse wurden folgende Punkte von Vertretern der abgeschlossen. Viele Almflächen liegen in dieser Almbauernschaft, der Behörden und der Natur- Kulisse, die im Wesentlichen Natura 2000-Gebiete, schutzverbände erarbeitet: Schutzgebiete, Flächen mit Vorkommen gesetzlich

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 119 Landschaftsplanung Burkart-Aicher: und -pflege Erhalt von Almen aund Alpen

Übergangsbereiche nicht ausreichend auf. Das große Potenzial völlig unterschiedlicher Bewirt- schaftungsvoraussetzungen wird somit bislang durch kein Fördersystem abgebildet. Ein behut- sames Eingehen auf die lokalen Verhältnisse ist jedoch unabdingbar.

Agrarumweltmaßnahmen (AUM) sollten daher weiterentwickelt werden, etwa durch • die Prüfung einer erfolgsorientierten Komponente, • eine Förderstufe für nicht/kaum erschließbare Almen auch im VNP: nicht wegemäßig erschlos- sene Almen sollen bessergestellt werden (in KULAP schon über Behirtungsprämie), • eine Prüfung der Berücksichtigung der Bewei- dung mit kleinen Wiederkäuern (Schafe, Ziegen), • einen stärkeren Fokus auf die Niederalmen (heterogenen Almkomplexe in der Montan- stufe besitzen enorme und oft verkannte Bedeutung für die Biodiversität) und • eine stärkere Einbindung der Beweidung baumbestandener Flächen. Abbildung 2 Gemeinsame Begehungen und Die Handlungsbereitschaft seitens der Almbauern Jede Alm ist anders, daher braucht es dringend Gespräche sind ent- ist enorm groß. Älpung gilt als die gesündeste Personal, das sich dieser Herausforderung stellt scheidend für die Form der Nutztierhaltung, die gealpten Tiere und auch entsprechend kompetent ist. Für eine Planung konkreter haben eine längere Lebensdauer und sind aufgrund Weiterentwicklung in den Agrarumweltmaß- Einzelmaßnahmen. vielfältiger positiver Eigenschaften gerade auch nahmen heißt das: beim Zuchtvieh sehr begehrt. Um dieses System • Die Behirtung ist stärker zu fördern, eine zukunftsfähig zu machen, ist eine Unterstützung Kombinationsmöglichkeit der KULAP-Behirtungs- der Almbauern in wesentlichen Punkten nötig: prämie mit VNP soll geprüft werden. • Zuwachsen der Almflächen verhindern • Bei der Instandsetzung von verbuschten (Verfügbarkeit von weidetauglichem Vieh Bereichen und Bekämpfung des Adlerfarns ist muss gewährleistet sein, ausreichende Stück- ein hoher zeitlicher und personeller Aufwand zahl und rechtzeitiger Auftrieb sind entschei- zu kalkulieren, der ergänzend über die Land- dend, Ergänzung durch Maßnahmen der schaftspflege gefördert werden muss (ist bereits Weidepflege) möglich). • Einkommenssicherung • Lenkung der touristischen Nutzung Fachliche Beratung der Almbewirtschafter ist • Rechtssicherheit bei Haftungsfragen wichtig und wünschenswert, „miteinander • Umgang mit der Anwesenheit von Großraub- lernen“ wird als Weg der Zukunft gesehen. tieren Das bedeutet: • Gemeinsame Begehungen und Gespräche Bestehende Förderprogramme wurden positiv ermöglichen Planungsgrundlage für konkrete gesehen, sie sollen erhalten und ausgebaut Einzelmaßnahmen und bestärken die Almbe- werden (auch die Förderung über die 1. Säule). wirtschafter hinsichtlich der Naturwerte ihrer Es bedarf jedoch einer neuen Sichtweise auf Flächen. die Leistungen der Berglandwirtschaft: Die Defi- • Einzelbetriebliche Beratungen, Erarbeitung nition der „prämienberechtigten Fläche“ ist drin- individueller Konzepte (Naturschutzplan auf gend überarbeitungswürdig. Momentan geht der Alm). es um „förderfähige Almflächen“, fachlich müsste • Ständiger Kontakt zwischen Gebietsbetreuern/ jedoch die gesamte Alm berücksichtigt Naturschutzverwaltung und Almbewirtschaftern. werden, denn neben den beweideten Flächen • Bessere Informationen bezüglich Natura 2000, sind aus naturschutzfachlicher Sicht gerade die um Ängste zu nehmen, da in der Regel auf Almen Übergänge entscheidend. Die Trennung von kaum echte Konfliktpotenziale vorhanden sind. Wald und Offenland in den Förderprogrammen • Neue Angebote bei der Aus- und Weiterbildung ist kontraproduktiv und greift die wertvollen der Almbewirtschafter und Hirten.

120 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Burkart-Aicher: Landschaftsplanung Erhalt von Almen aund Alpen und -pflege

In den Diskussionen wurde sehr deutlich, warum eine individuelle Betrachtung und Beratung der einzelnen Almen erforderlich ist: Durch die große Heterogenität der Almen sind sowohl naturschutz- fachlich als auch almwirtschaftlich individuelle Lösungen gefragt. Fingerspitzengefühl bei der Bewirtschaftung und maßgeschneiderte Natur- schutzkonzepte führen gemeinsam zum Erfolg.

Die geplanten Maßnahmen sollen so konkret wie nötig und so günstig wie möglich sein.

Zwingend für eine gute Bewirtschaftung sind eine geregelte Weideführung und ausreichende Tierzahlen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Futterverzehr und -angebot sich die Waage halten. Es darf nur so viel Futterfläche geschaffen werden, wie benötigt wird. Dabei muss unbedingt auch die mittel- und langfristige Abschätzung beachtet werden. Zugleich ist häufig Struktur- reichtum ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für viele Lebensräume und Arten. Ein gemeinsam Abbildung 3 erarbeitetes Konzept kann hier Kompromisse Zwingend für eine gute ausloten. Positive Erfahrungen mit gezielter Ein großes Problem stellt der Umgang mit stei- Bewirtschaftung sind ei- Naturschutz- und Biodiversitätsberatung und genden Besucherzahlen und wachsendem touris- ne geregelte Weidefüh- deren Umsetzung konnten beispielsweise im tischen Nutzungsdruck dar. Hier beschäftigt rung und ausreichende Rahmen des Biodiversitätsprogramms Bayern Almbauern wie Naturschützer die Problematik Tierzahlen. 2030 gewonnen werden (Biodiversitätsprojekte des allgemeinen Betretungsrechts. Eine Steue- und Landschaftspflegemaßnahmen auf Almen). rung über Schutzgebietsregelungen allein reicht Die Umsetzung ressortübergreifender Projekte nicht mehr aus, öffentlichkeitswirksame Aktionen soll auf diesem Weg neue Impulse bekommen. ebenso wenig. Es besteht der dringende Wunsch, Naturschutz-Ranger und Gebietsbetreuer in Zudem ist es dringend erforderlich, die Alm- touristisch belasteten Gebieten einsetzen zu bauern beim Umgang mit den Folgen des Klima- können. Darüber hinaus sind umfangreiche wandels zu unterstützen: Die bereits vorhandene Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung bei der Förderung über die Schadensausgleichsrichtlinie Bevölkerung nötig. bezieht sich lediglich auf landwirtschaftliche Flächen und fördert Schäden ab 5.000 Euro. Mehr Besucherlenkungskonzepte werden ge- Oftmals ist aber bei Schadereignissen die Infra- braucht. Entlastung kann auch über Projekte struktur (zum Beispiel Wege, Wasserversorgung) erreicht werden, welche „die Alm ins Tal holen“. betroffen oder die Kosten für die Bergung verun- Ein gutes Beispiel gibt hier die Ausstellung des fallter Tiere liegt unter diesem Betrag. Für solche Bergbauernmodellprojekts Sachrang: Fälle wurde von den Almbauern ein Ausgleichs-/ sachranger-bergbauern.de. Krisenfonds gefordert, der rasch und unbürokra- tisch helfen kann. Die Akzeptanz für Almbauern und deren Tätig- keiten bei der Bevölkerung muss ausgebaut Unabdingbar sind neue Weidekonzepte, die an werden. Dafür sollte wieder mehr Personal auf veränderte Aufwuchsbedingungen angepasst den Almen präsent sein, das Fragen beantworten sind, die sich beispielsweise durch Klimaände- kann und in den Dialog mit Almbesuchern geht. rungen oder Nährstoffeinträge einstellen. Da der Weidebeginn zum Anfang der Vegetations- Was den Wissensstand und die Verfügbarkeit zeit entscheidend für den Weideerfolg sein kann, von Daten zu den aktuellen Fragen betrifft, sind bestehende Regelungen zu Auf- und Abtriebs- müssen Erfassungslücken geschlossen werden, zeiten zu überprüfen und gegebenenfalls um fachliche Grundlagen zu haben. Es fehlt anzupassen. eine nutzergerechte Aufbereitung der Grund- lagendaten. Zugriff und Lesbarkeit derselben

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 121 Landschaftsplanung Burkart-Aicher: und -pflege Erhalt von Almen aund Alpen

Abbildung 4 Durch die große Heterogenität der sollten auch für die Almbewirtschafter gewähr- Almen sind sowohl leistet sein. naturschutzfachlich als auch almwirt- Alle Fördermöglichkeiten können nur wirksam schaftlich individu- elle Lösungen ge- werden, wenn sie auch zur Anwendung kommen. fragt. Hochsensible Daher gilt allgemein: Entscheidend sind Förder- Bereiche können möglichkeiten mit möglichst geringem büro- zum Beispiel zeit- kratischen Aufwand und einer guten beratenden weise ausgezäunt Begleitung. werden.

Autorin

Dr. Bettina Burkart-Aicher, Jahrgang 1974. Studium der Forstwissenschaften mit Schwer- punkt Ökologie an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg, Promotion und Assistentin an der Professur für Landespflege. Seit 2007 an der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL), derzeit im Fach- bereich Angewandte Forschung und inter- nationale Zusammenarbeit. Zitiervorschlag

Bayerische Akademie für Naturschutz Burkart-Aicher, B. (2020): Empfehlungen zum Erhalt von Almen und Alpen und ihren Leistun- und Landschaftspflege (ANL) gen für den Naturschutz. – ANLiegen Natur +49 8682 8963-61 42(2): 119–122, Laufen;www.anl.bayern.de/publi- [email protected] kationen.

122 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Recht und Verwaltung

Abbildung 1 Paul-Bastian Nagel Mit der Novelle der Düngeverordnung wird das Düngerecht Aktuelles zum Düngerecht: Novelle der nochmals verschärft, um den Vorgaben Düngeverordnung der EU-Nitratricht- linie gerecht zu werden (Foto: Daniel Mattheus/piclease). Die Düngeverordnung wurde weiter nachgebessert und soll nun die Anforderungen der EU-Nitratrichtlinie endlich erfüllen – zumindest auf dem Papier. Die neue Verordnung ist seit dem 28. April 2020 in Kraft. Hintergrund ist ein seit Jahren laufendes Vertragsverletzungs- verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, da diese die EU-Richtlinie bislang unzu- reichend umsetzt. Insbesondere den hohen Nitratbelastungen der Grund- und Oberflächen- gewässer muss effizienter als bisher entgegengewirkt werden.

Übergangsregelung für rote Gebiete Derzeit etwas in den Hintergrund gerückt, erin- Übergangsregelung durchgesetzt – sie soll erst nern sich wahrscheinlich noch die meisten an Anfang des kommenden Jahres gelten. Dies soll die Bauernproteste in deutschen Städten vor besondere Härten auch vor dem Hintergrund der wenigen Wochen, als viele tausende Traktoren Corona-Krise vermeiden helfen. Bis dahin sollen die Straßen blockierten und die Landwirte ihrem auch bundesweit einheitliche Kriterien für die Ärger Luft machten. Sorge bereitete ihnen vor Ausweisung der „roten Gebiete“ durch Bund und allem die Anpassung des Düngerechts, speziell Länder als Verwaltungsvorschrift definiert werden. die sogenannten „roten Gebiete“: Durch Nitrat Bisher werden die Gebiete in den Bundesländern besonders belastete Gebiete, für die der Einsatz unterschiedlich abgegrenzt. Eine entscheidende von Düngemitteln besonders streng geregelt Rolle kommt dabei den Grundwassermess- werden soll (siehe Info-Box). Im Bundesrat wurde systemen zu. Die Daten sollen überprüft und nun für diese Gebiete in letzter Minute eine aktualisiert werden.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 123 Nagel: Recht und Verwaltung Novelle der Düngeverordnung

Neue Regelungen für die „roten Gebiete“ ab 1. Januar 2021

In den besonders stark mit Nitrat belasteten Gebieten werden erstmals bundesweit folgende verpflichtende Maßnahmen vorgeschrieben:

• Verringerung der standortbezogenen Obergrenze für die Düngung (Düngebedarf) um 20 % im Durchschnitt der Flächen des Betriebes, die dieser in nitratbelasteten Gebieten bewirtschaftet (Ausnahme: gewässer- schonend wirtschaftende Betriebe*; Länder dürfen weitere Ausnahmen für Dauergrünland vorsehen);

• Schlagbezogene Begrenzung (Betrachtung des einzelnen Feldes, statt des Betriebes im Durchschnitt) auf 170 kg Gesamtstickstoff je Hektar (Ausnahme: gewässerschonend wirtschaftende Betriebe*);

• Verbot der Herbstdüngung von Winterraps und Wintergerste sowie von Zwischenfrüchten ohne Futternutzung (Ausnahme für Winterraps, wenn durch eine Bodenprobe nachgewiesen wird, dass die verfügbare Stickstoff- menge im Boden unter 45 kg Stickstoff je Hektar liegt);

• Stickstoffdüngung bei Kulturen mit einer Aussaat oder Pflanzung nach dem 1. Februar nur, wenn auf der betroffenen Fläche im Herbst des Vorjahres eine Zwischenfrucht angebaut wurde (Ausnahme: spät geerntete Vorfrucht im Herbst und besonders trockene Gebiete);

• Verlängerung der Sperrfrist, in der kein Festmist und Kompost ausgebracht werden darf, auf drei Monate (01.11. bis 31.01.; bisher 15.12. bis 15.01.), für Grünland um vier Wochen (01.10. bis 31.01.; bisher 01.11. bis 31.01.);

• Begrenzung der Aufbringung flüssiger organischer Düngemittel auf Grünland im Herbst auf 60 kg Gesamtstickstoff je Hektar.

Der Katalog der optionalen Maßnahmen in den mit Nitrat belasteten Gebieten wird zudem um die schlagbezogene Absenkung der Obergrenze von 170 kg Gesamtstickstoff je Hektar und Jahr für organische und organisch-mineralische Düngemitteln auf 130 kg Gesamtstickstoff pro Hektar und Jahr für Ackerflächen ergänzt. Außerdem wird der Katalog für zusätzlich zu ergreifende Maßnahmen in besonders nitratbelasteten Gebieten für weitere Maßnahmen der Länder geöffnet, sodass die Länder regional lösungsorientierte Maßnahmen ergreifen können.

*Gewässer schonend wirtschaftende Betriebe: Betriebe die weniger als 160 kg Gesamtstickstoff je Hektar und davon nicht mehr als 80 kg Gesamtstickstoff je Hektar in Form von mineralischen Düngemitteln aufbringen.

Info-Box

124 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Nagel: Novelle der Düngeverordnung Recht und Verwaltung

Abbildung 2 Sind die Gewässer- Wesentlichen Änderungen und Ergänzungen Fällen, darf der tatsächliche Düngebedarf maxi- randstreifen zu schmal, Auch wenn der Bundesrat darüber hinaus zahl- mal 10 % höher liegen als der berechnete. kann es zu beträchtli- reiche fachliche und rechtliche Unzulänglich- chen, direkten Nähr- stoffeinträgen aus keiten in der Verordnung ausmacht, hat er der Statt des Nährstoffvergleichs sind spätestens der Landwirtschaft Änderung zugestimmt. Nicht zuletzt, weil sonst zwei Tage nach jeder Düngung die Art und kommen (Christof erhebliche Strafzahlungen und ein zweites Ver- Menge des Düngers sowie die eingesetzte Martin/piclease). letzungsverfahren drohen würden. Bis auf die Stickstoff- sowie Phosphatmenge zu dokumen- Übergangsregelung zu den „roten Gebieten“ tieren. Die Vorgaben zum Nährstoffvergleich gilt nun die neue Verordnung. Die Bundesländer und dessen Bewertung werden aufgehoben sind jetzt verpflichtet, innerhalb der kommen- und durch schlagbezogene Aufzeichnungs- den sechs Monate die Regelungen in Landes- pflichten ersetzt. Damit wird der Kritik der verordnungen umzusetzen. Doch was ändert Europäischen Kommission, dass ein positiver sich mit der neuen Düngeverordnung (DüV), Kontrollwert im Nährstoffvergleich eine zuläs- auch im Vergleich zu der erst 2017 überarbeite- sige Überdüngung darstelle, entsprochen. Die ten Vorgängerversion (URL 1)? aufgebrachten Düngemittel werden nun in einer betrieblichen jährlichen Nährstoffbilanz Über die Düngebedarfsermittlung soll der Nähr- zusammengefasst. Neu ist auch, dass eine feh- stoffbedarf nach bundeseinheitlichen Grundsätzen lende oder fehlerhafte Dokumentation mit ermittelt werden (Anlage 4 der DüV). Der ermit- Geldstrafen sanktioniert werden kann. telte Wert gilt als standortbezogene Obergrenze für die Düngung. Die Werte müssen nunmehr Weiterhin darf nur gedüngt werden, wenn der hinsichtlich des tatsächlichen Ertragsniveaus Boden die Nährstoffe, ob flüssig oder fest, auch der letzten fünf Jahre überprüft und gegebe- aufnehmen kann; also nicht, wenn er beispiels- nenfalls angepasst werden. Bisher galten die weise wassergesättigt oder schneebedeckt ist. letzten drei Jahre als Referenzzeitraum. Von der Die Ausnahme für den Einsatz auf gefrorenen Bedarfsgröße werden die Stickstoffmengen Böden wurden gestrichen. abgezogen, die sich vor Vegetationsbeginn im Ackerbau beziehungsweise vor Kulturbeginn Darüber hinaus wurden die Sperrfristen für im Gemüsebau als pflanzenverfügbarer Stickstoff Düngungen erweitert: Festmist und Kompost im Boden befinden (BLE 2018). In begründeten dürfen in der Zeit vom 01.12. bis nunmehr 15.01.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 125 Nagel: Recht und Verwaltung Novelle der Düngeverordnung

nicht eingesetzt werden. Dies gilt jetzt auch für Für die Umsetzung der neuen Regelungen soll Phosphat-Dünger auf Acker und Grünland. Gülle es eine finanzielle Unterstützung vom Bund in darf vom 01.09. bis 01.12. auf Dauergrünland und Höhe von einer Milliarde Euro geben. So werden mehrjährigen Futteranbauschlägen nur einge- vor allem Investitionen in Lagerung, Ausbringungs- schränkt ausgebracht werden (80 kg Gesamt- technik und Aufbereitung von Gülle im Rahmen Stickstoff/Hektar). eines neuen Bundesprogramms gefördert.

Stickstoff-Düngungen aus organischen und Quelle: organisch-mineralischen Düngemitteln sowie Verordnung zur Änderung der Düngeverord- Gärrückstände aus Biogasanlagen dürfen in der nung und anderer Vorschriften vom 28. April Summe 170 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr 2020; www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startb- nicht überschreiten. Dies gilt im Betriebsdurch- k=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bg- schnitt. Wichtig dabei ist, dass nun Flächen, auf bl120s0846.pdf. denen Stickstoff-Dünger ohnehin nicht oder nur eingeschränkt ausgebracht werden dürfen, Literatur

aus dieser betrieblichen Gesamtbetrachtung BLE (= Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, gestrichen beziehungsweise anteilig herausge- 2018): Die neue Düngeverordnung. –Broschüre, rechnet werden müssen. Stand Februar 2018; www.ble-medienservice. de/1756/die-neue-duengeverordnung. Phosphat- und Stickstoff-Düngemittel dürfen URL 1: www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/ auf einem 1 m breiten Gewässerrandstreifen doc/an39119rup_2017_aktuelle_gesetzgebungs- nicht ausgebracht werden (ohne Grenzstreu- verfahren.PDF. einrichtung: 4 m). Für Schläge mit Hangneigung wurden die Abstände erweitert: Ab 5 % Hang- neigung sind es 3 m, ab 10 % sind es 5 m und bei sehr stark geneigten Flächen ab 15 % muss ein Abstand von 10 m zum nächsten Gewässer eingehalten werden. Unmittelbar angrenzend an diese Abstandsflächen darf die Aufbringung nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. So muss etwa bei unbestellten Ackerflächen eine sofortige Einarbeitung erfolgen.

Autor

Paul-Bastian Nagel, Jahrgang 1985.

Studium der Umweltwissenschaften und Umweltplanung in Oldenburg und Berlin. Von 2011 bis 2014 als Wissenschaftlicher Mit- arbeiter der TU Berlin für das Bundesministe- rium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit (BMU) im Referat Windenergie und Wasserkraft beschäftigt. Seit 2014 an der ANL im Fachbereich Landschaftsentwicklung und Umweltplanung tätig. Zitiervorschlag Bayerische Akademie für Naturschutz und Nagel, P.-B. (2020): Aktuelles zum Düngerecht: Landschaftspflege (ANL) Novelle der Düngeverordnung. – ANLiegen +49 8682 8963-47 Natur 42(2): 123–126, Laufen; www.anl.bayern.de/ [email protected] publikationen.

126 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Notiz Recht

Neue Arbeitshilfe zur speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung

Abbildung 1 (Christine Schindelmann und Titelbild zur Arbeits- Paul-Bastian Nagel) hilfe „Spezielle arten- schutzrechtliche Die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung Prüfung – Prüfablauf“. (saP) ist durchzuführen, wenn durch geplante Straßen, Baugebiete oder andere Vorhaben europarechtlich besonders und streng ge- schützte Arten betroffen sind. Die neue saP-Arbeitshilfe des Bayerischen Landes- amtes für Umwelt berücksichtigt aktuelle rechtliche Anpassungen im Bundesnatur- schutzgesetz und wurde auch mit Blick auf die praktische Anwendung optimiert.

Die europarechtlichen Vorgaben zum Artenschutz- recht im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sind bei der Zulassung und Ausführung von Vorhaben zu prüfen. Dabei werden die Auswir- kungen auf europarechtlich geschützte und auf national gleichgestellte Arten mit Blick auf die Verbotstatbestände bewertet und gegebenen- falls Vermeidungs- und vorgezogene Ausgleichs- maßnahmen festgelegt. Die Regelungen zum besonderen Artenschutz (§§ 44 bis 47 BNatSchG) Das Internet-Angebot des Landesamtes für gehen über die Regelungen zum allgemeinen Umwelt (LfU) bietet zur saP: Artenschutz (§ 39 BNatSchG) hinaus. • Prüfablauf einer saP mit Mustervorlage zur Die Arbeitshilfe „Spezielle artenschutzrecht- Dokumentation unter www.lfu.bayern.de/ liche Prüfung – Prüfablauf“ beschreibt die syste- natur/sap oder direkt zur Arbeitshilfe: www. matische Vorgehensweise anhand von fünf Prüf- bestellen.bayern.de/shoplink/lfu_nat_00347. schritten: Relevanzprüfung, Bestandserfassung htm. am Eingriffsort, Prüfung der Verbotstatbestände, Prüfung vorgezogener Ausgleichsmaßnahmen • Informationen zur Ökologie der Arten unter (CEF-Maßnahmen) und Ausnahmeprüfung. www.lfu.bayern.de/natur/sap/arteninformati- Hinweise zu sonstigen Artenschutzbelangen onen. Außerdem finden Sie dort Angaben zur und zur Bevorratung von Artenschutzmaß- Verbreitung auf Grundlage der Datenbanken nahmen (Ökokonto) runden die Arbeitshilfe ab. aus der Artenschutzkartierung und Biotop- Das Artenschutzrecht ist außerdem bei Bauleit- kartierung, dem Botanischen Informationsknoten planverfahren zu berücksichtigen, da es als zwin- Bayern und der bundesweiten Brutvogelkartie- gendes Recht nicht der Abwägung unterliegt. rung ADEBAR. Ferner besteht die Möglichkeit Ein Bebauungsplan, dessen Umsetzung arten- gezielter Datenbankabfragen der Artnachweise schutzrechtliche Verbotstatbestände entgegen- in TK25-Blättern, Landkreisen und Naturräumen. stehen, ist nichtig. Die Berücksichtigung des Artenschutzrechts bei Bauleitplanverfahren wird daher in Kapitel 3 gesondert behandelt. Die Ausführungen in der Arbeitshilfe unterstützen Vorhabenträger, Planer, Kommunen und die zuständigen Naturschutzbehörden bei der fachlichen Beurteilung von Vorhaben.

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 127 Notiz Recht

Neue Arbeitshilfe zur speziellen artenschutz- rechtlichen Prüfung – Zauneidechse

Abbildung 1 Titelbild zur Ar- (Christine Schindelmann) beitshilfe „Spezi- Die Zauneidechse (Lacerta agilis) ist europa- elle artenschutz- rechtliche Prüfung rechtlich nach Anhang IV der Fauna-Flora- – Zauneidechse“. Habitat (FFH)-Richtlinie geschützt. Daher müssen bei der Genehmigung von Vorhaben und in der Bauleitplanung ihre Vorkommen recherchiert und gegebenenfalls Daten vor Ort erhoben werden. Die Verbotstatbestände nach Bundesnaturschutzgesetz müssen geprüft sowie bei Bedarf Maßnahmen zum Schutz der Tiere festgelegt werden.

In dieser neuen Arbeitshilfe werden bezogen auf die Zauneidechse die Relevanzprüfung, Erhebungsmethoden sowie Vermeidungs-, Minimierungs- und vorgezogene Ausgleichs- maßnahmen (CEF) erläutert. Lebensraum und Lebensweise sowie Phänologie der Zauneidechse werden vorgestellt und daraus beispielsweise Bauzeiten und Hinweise zu Ersatzhabitaten abgeleitet. Literaturangaben zu Untersuchungen und Maßnahmen ergänzen die Arbeitshilfe.

Die Arbeitshilfe erstellte das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) in Abstimmung mit dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) und ergänzt die kürzlich veröffentlichte Arbeitshilfe „Spezielle artenschutzrechtliche Prüfung – Prüfablauf“.

Die Broschüre können Sie direkt im Publikations- shop als PDF herunterladen www.bestellen. bayern.de/shoplink/lfu_nat_00349.htm oder über die Internetseite des LfU www.lfu.bayern. de/natur/sap.

128 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Notiz Verschiedenes

Dramatischer Schwund an Futterpflanzen für Insekten

(Pressemitteilung der Uni Bonn, verändert von Bernhard Hoiß) Noch vor einigen Wochen war das “Insekten- sterben” in aller Munde. Die Wissenschaft dis- kutierte im Wesentlichen drei Ursachen: die Zerstörung der Habitate, Pestizide in der Landwirtschaft und den Rückgang der Fut- terpflanzen für Insekten. Ein Team aus deut- schen und schweizerischen Forschern hat nun erstmals nachgewiesen, dass im Kanton Zürich die Diversität der Futterpflanzen für Insekten in den vergangenen rund 100 Jah- ren dramatisch abgenommen hat.

„In den vergangenen rund 100 Jahren ist im Kanton Zürich ein genereller Rückgang an Futterpflanzen für unterschiedliche Insekten zu verzeichnen“, sagt Dr. Stefan Abrahamczyk vom Nees-Institut für Biodiversität der Pflanzen an der Universität Bonn. Durch die Vereinheitlichung der Landschaft sind viele Habitate verschwunden – allen voran Abbildung 1 die Feuchtgebiete, die um rund 90 Prozent Eine Erdhummel schrumpften. Siedlungen breiteten sich auf Kosten ist sicher oft gekoppelt mit den drastischen auf einer Filzklette der Kulturlandflächen immer mehr aus und die Bestandseinbrüchen ihrer oft ebenfalls speziali- (Foto: Armin generelle Intensivierung von Futter- und Ackerbau sierten Bestäuber. Heitzer). führten zu einer flächigen Verarmung der Wiesen- und Ackerhabitate. Die Wissenschaftler verglichen Insgesamt wurden alle Pflanzengemeinschaften die Häufigkeiten von Futterpflanzen verschiedener deutlich monotoner, in denen wenige häufige Insektengruppen, die auf aktuellen Kartierungen Arten dominieren. „Es ist für uns kaum mehr der Jahre 2012 bis 2017 basieren, mit datenba- vorstellbar, wie die Vegetation vor 100 Jahren sierten Einschätzungen aus den Jahren 1900 bis aussah“, sagt Privatdozent Dr. Michael Kessler 1930 im Kanton Zürich (Schweiz). vom Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik der Universität Zürich. „Aber unsere Insbesondere sind die Futterpflanzen spezia- Daten zeigen, dass etwa die Hälfte aller Arten lisierter Bestäubergruppen vom Rückgang deutliche Abnahmen in ihrer Häufigkeit erfahren betroffen. So wird die Skabiosen-Flockenblume haben; nur zehn Prozent der Arten (vor allem (Centaurea scabiosa) von diversen Wildbienen und Ruderalarten) haben dagegen zugenommen.“ Schmetterlingen bestäubt, da ihre Rüssel lang genug sind, um an den Pollen und Nektar heran- Diese stark vereinheitlichten Pflanzen-Gesell- zukommen. Andere Bestäuber, wie Fliegen und schaften stellen zum einen eine geringere Viel- Käfer, haben kurze Mundwerkzeuge und nutzen falt an Nahrungsquellen und damit möglicher- viele Pflanzenarten mit leicht zugänglichem weise eine reduzierte Nahrungsqualität für Blüten- Pollen und Nektar. Besonders dramatisch ist der besucher zur Verfügung. Zum anderen kommt Rückgang bei Pflanzenarten, die nur von einer es in diesen homogenisierten Landschaften aber einzigen Insektengruppe bestäubt werden können. auch zu Phasen, in denen einige Bestäuber Zum Beispiel gelingt das beim Blauen Eisenhut schlichtweg zu wenig Nahrung finden. Einige (Aconitum napellus) nur Hummeln, weil ihnen Studien nennen daher die Homogenisierung offenbar das Gift dieser Pflanze nichts anhaben der Landschaft als die größte Gefährdung für kann. Der Rückgang dieser spezialisierten Pflanzen die Bestäubervielfalt.

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 129 Notiz Verschiedenes

Die Ergebnisse dieser Schweizer Studie sind laut den Autoren weitgehend auf Mitteleuropa über- tragbar.

Quellen

Informationsdienst Wissenschaft (24.05.2020): https://idw-online.de/de/news745347; Originalpubli- kation: Abrahamczyk, S., Wohlgemuth, T., Nobis, M. et al.: Shifts in food plant abundance for flower-visiting insects between 1900 and 2017 in the canton of Zurich, Switzerland, Ecological Applications, DOI: 10.1002/EAP.2138; https://doi.org/10.1002/eap.2138.

EU-Projekt SOLUTION: Neue Methoden zur Bewertung der Wasserqualität

tung der Gewässerqualität also gar nicht berück- (Monika Offenberger) sichtigt. Darüber hinaus lässt sich durch die Die Konzentrationen bestimmter Schadstoffe Messung der Einzelstoffe keine Aussage treffen, werden in den europäischen Gewässern wie gefährlich der Schadstoff in der Umwelt in überwacht. Doch wie wirken die Chemikalien Kombination mit anderen wirkt. Wie kann man in Kombination miteinander auf die Artenge- also die Überwachung und die Bewertung der meinschaft und wie schädlich sind die derzeit chemischen Wasserqualität europaweit verbessern, nicht kontrollierten Stoffe im Wasser? Ein inter- ohne dass die Kosten explosionsartig steigen? nationales Forschungsteam aus mehr als 100 Wissenschaftlern hat neue Methoden zur Dieser ambitionierten Frage widmete sich das Kontrolle der chemischen Wasserqualität erar- internationale Forscherkonsortium SOLUTION beitet und Möglichkeiten für die Umsetzung unter der Koordination von Dr. Werner Brack, Umweltchemiker am Helmholtz-Zentrum für der wissenschaftlichen Erkenntnisse aufgezeigt. Umweltforschung (UFZ). Das SOLUTIONS-Team plädiert für einen ganz neuen Ansatz: die Anwen- dung von effektbasierten Methoden, wie etwa Chemische Substanzen aus Landwirtschaft, biologische Wirkungstests. Bei diesen Tests werden Industrie und Haushalten beinträchtigen die lebende Organismen oder Zellkulturen einer Qualität europäischer Gewässer, schädigen deren Wasserprobe ausgesetzt und die Wirkung dieses aquatische Ökosysteme, vermindern die Arten- Gemisches auf bestimmte Funktionen des Orga- vielfalt und gefährden die menschliche Gesund- nismus gemessen, zum Beispiel auf die Enzym- heit. Um diesen negativen Entwicklungen entge- aktivität, Hormonregulation oder auch auf die Über- genzutreten, wurde im Jahr 2000 die EG-Wasser- lebensrate. Ausschlaggebend für die Bewertung rahmenrichtlinie (WRRL) durch die europäischen der chemischen Wasserqualität sind also weniger Mitgliedsstaaten beschlossen; sie zählt zu den die Konzentrationen der einzelnen Stoffe, sondern weltweit strengsten Regelwerken ihrer Art. Seither vielmehr die Wirkung des Chemikalien-Gemischs. wird der chemische Zustand eines Gewässers Solche effektbasierten Systeme kommen bereits anhand von 45 Einzelstoffen bewertet. Weitere in vielen Feldern zum Einsatz, insbesondere in 67 Stoffe, die besonders schädlich für Tiere und der pharmazeutischen Forschung. In der Umwelt- Pflanzen sind, werden im Rahmen der ökolo- überwachung und speziell im Gewässermonito- gischen Zustandsbewertung gemessen. Das ist ring aber seien sie Neuland, so Brack. jedoch nur ein Bruchteil von den insgesamt mehr als 100.000 verschiedenen chemischen Für die Detektion der Stoffe im „Chemikalien- Substanzen, die aktuell in die Gewässer gelangen. Cocktail“ werden Screening-Verfahren eingesetzt. Die meisten Substanzen werden bei der Bewer- „Das machen wir mit Flüssigkeits- oder Gas-

130 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Notiz Verschiedenes

Chromatografie und hochauflösender Massen- spektrometrie. So bekommen wir Datensätze mit zigtausenden Peaks, aus denen sich dann gezielt rund tausend wichtige Schadstoffe quan- tifizieren lassen. Das ist nicht viel teurer als die Einzelstoffanalyse und wird schon von einigen Behörden fürs Routine-Monitoring genutzt. Technisch gibt es also heute keinen Grund mehr, sich auf einzelne priorisierte Substanzen zu beschränken“, betont Werner Brack. In der Gewässerüberwachung am Rhein habe sich dieses Breitbandscreening bereits bewährt, so der UFZ-Wissenschaftler:

Im Praxistest konnte das Projektteam zeigen, dass der effektbasierte Ansatz funktioniert und hilft, Schadstoffquellen effektiv ausfindig zu machen. Darüber hinaus eignen sich die Unter- suchungen auch zur Erfolgskontrolle von Schutz- Abbildung 1 maßnahmen. In einer Fallstudie an Schweizer Mehr Die meisten Substan- Kläranlagen zeigte sich bei den biologischen zen werden bei heu- Wirkungstests, dass der Einbau einer vierten Brack, W. et al. (2019): Solutions for present and future tigen Bewertungen der Reinigungsstufe mit Aktivkohle zu einer signifi- emerging pollutants in land and water resources Gewässerqualität nicht kanten Verbesserung der Wasserqualität führt. management. – Policy briefs summarizing scientific berücksichtigt. Das Forscherkonsortium project results for decision makers. Environmental SOLUTION versucht die Sciences Europe 2019; https://enveurope.springe- Die Essenz ihrer Forschungsergebnisse sowie Überwachung und Be- Anregungen zu ihrer praktischen Umsetzung ropen.com/articles/10.1186/s12302-019-0252-7. wertung der Wasser- haben die SOLUTIONS-Forscher in insgesamt Brack, W. (2019): Solutions for present and future qualität europaweit zu 15 Policy Briefs festgehalten. „Die Policy Briefs emerging pollutants in land and water resources verbessern (Foto: André Künzelmann). sollen den Entscheidungsträgern den Zugang management. – Policy briefs summarizing scientific zu wissenschaftlichen Informationen erleichtern, project results for decision makers. Environmental die für den Schutz der europäischen Wasser- Sciences Europe Vol 31, 74; https://doi.org/10.1186/ ressourcen erforderlich sind“, sagt Werner Brack. s12302-019-0252-7. Weiter schlägt das internationale Team den Aufbau Brack, W. et al. (2019): Effect-based methods are key. einer europäischen Dateninfrastruktur vor. So The European Collaborative Project SOUTIONS könnten die umfangreichen Daten, die ein recommends integrating effect-based methods for diagnosis and monitoring of water quality. – verbessertes Monitoring über Tausende von Environmental Sciences Europe Vol 31: 10; Fremdstoffen in Gewässerproben liefern, zur https://doi.org/10.1186/s12302-019-0192-2. Risikobewertung der Chemikalien-Cocktails genutzt werden. Zwei EU-Mitgliedsstaaten Brack, W. (2019): Let us empower the WFD to prevent risks of chemical pollution in European rivers and haben sich von den Lösungsvorschlägen des lakes. – Environmental Sciences Europe Vol 31: 74; SOLUTIONS-Teams überzeugen lassen: „Tschechien https://doi.org/10.1186/s12302-019-0228-7. und die Niederlande wollen unsere effektbasierten Methoden anwenden und haben entsprechende Hollender, J. et al. (2017): Nontarget Screening with High Resolution Mass Spectrometry in the Environ- Nachfolgeprojekte finanziert“, berichtet Werner ment: Ready to Go? – Environmental Sciences & Brack, und weiter: „In Deutschland habe man es Technology 51(20): 11505–11512; https://doi. auch versucht, sei aber beim Bundesforschungs- org/10.1021/acs.est.7b02184. ministerium auf leere Kassen gestoßen.“ Tlili, A. et al. (2017): Micropollutant-induced tolerance

of in situ periphyton: Establishing causality in waste- water-impacted streams. – Water Research 111: 185– 194; https://doi.org/10.1016/j.watres.2017.01.016.

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 131 Notiz Verschiedenes

Bayerns Fliegen und Mücken sind weitgehend unerforscht

Lücken gebe es aber ausgerechnet bei deren (Monika Offenberger) artenreichster Gruppe, den Zweiflüglern oder Dipteren bilden mit knapp 10.000 bekannten Dipteren, beklagt Dieter Doczkal, der seit 2011 Spezies Deutschlands artenreichste Insekten- am Barcoding-Projekt mitwirkt. Um die notwen- gruppe. Dennoch werden Fliegen und Mücken digen Referenzen zu bekommen, hat der Dipteren- in der Biodiversitätsforschung und im Natur- Experte zwischen 2011 und 2019 an mehr als schutz bisher stark vernachlässigt. DNA- 400 Stellen in ganz Bayern jeweils von Frühjahr Barcoding soll die aufwendige Artbestimmung bis Herbst sogenannte Malaise-Fallen aufgestellt der Zweiflügler erleichtern. Dazu haben Exper- und mit zahlreichen Helfern regelmäßig geleert. ten der Zoologischen Staatssammlung München Die Probestellen deckten vom Allgäu über in ganz Bayern Dipteren gesammelt, ihre DNA Berchtesgaden bis in die Rhön die unterschied- untersucht und so 5.200 Arten erfasst. Weil es lichsten Lebensräume ab, darunter Sandrasen und alpine Rasen, Hoch- und Niedermoore oder an kundigen Taxonomen mangelt, ließ sich alte Wälder. Die Ausbeute lässt sich nur grob bislang nur etwa knapp die Hälfte davon einer schätzen. Doch sie ist gigantisch, erklärt Doczkal: bekannten Art zuordnen. „In Schweden haben Kollegen aus einem Teil ihrer Proben die Tiere tatsächlich gezählt und davon auf den gesamten Fang hochgerechnet. Im Jahr 2009 wurde von der Zoologischen Staats- Sofern sich in unseren Fallen vergleichbar viele sammlung München (ZSM) das Projekt „Barcoding Insekten verfangen, haben wir es bei 400 Fallen Fauna Bavarica“ initiiert. Das ehrgeizige Ziel: Lang- mit rund 100 Millionen Individuen zu tun“. fristig sollen sämtliche in Deutschland heimischen Tiere, Pilze und Pflanzen mittels genetischer Diese unvorstellbare Zahl an Organismen wartet Methoden schnell und zuverlässig der richtigen nun, in 80-prozentigem Alkohol konserviert, Art zugeordnet werden können. Für eine eindeu- auf ihre wissenschaftliche Bearbeitung. Dieter tige Bestimmung genügen kleine Abschnitte Doczkal hat bereits einige Millionen Fliegen und bestimmter Gene, die in jedem Organismus Mücken aus den Proben aussortiert, zunächst vorkommen, aber artspezifische Unterschiede ohne sie einer Art zuzuordnen. Dabei fand er aufweisen. Sie lassen sich wie ein Barcode nutzen schon im ersten Jahr von einigen Dipteren-Fami- und ermöglichen neben der Identifizierung lien mehr Arten und Individuen, als die ZSM in bekannter Arten auch die Entdeckung und den zwei Jahrhunderten zuvor eingelagert hatte. Klassifizierung unbekannter Arten. Bis heute wurden etwa 200.000 Fliegen und Mücken aus dem Gesamtfang bis zur Art bestimmt Um festzulegen, welcher Barcode für welche Art und rund 45.040 davon sequenziert. „Dennoch steht, braucht es Referenzen. Ob Braunbär, Buche ist es uns leider nicht gelungen, alle aus Bayern oder Birkenporling: Jede Spezies muss durch bekannten Arten zu erfassen, weil der Arbeits- sogenannte Voucher-Exemplare aus Haut und aufwand unsere Kapazitäten weit übersteigt“, Haaren respektive Blatt und Blüte oder Hut und so der Wissenschaftler. Sporen vertreten sein. Diese Vouchers, deren Artzugehörigkeit zuvor von Taxonomen anhand Immerhin lassen sich von den landesweit ge- körperlicher Merkmale eindeutig festgelegt wurde, fangenen Dipteren nun rund 5.200 Arten aus dienen als Vergleichsmaßstab für die Zuordnung. 88 Familien anhand ihrer Gensequenzen unter- Sie werden mit einer ID versehen, fotografiert scheiden. 2.453 dieser Arten sind den Biologen und in einer öffentlich zugänglichen Sammlung namentlich bekannt; die übrigen Arten haben aufbewahrt. Zusammen mit Angaben zum sie mit vorläufigen Bezeichnungen belegt, die Fundort, Datum, Sammler und weiteren Infor- auf der genetischen Abgrenzung der Arten mationen wandert das Foto in eine Datenbank basieren. „Wir gehen davon aus, dass auch die namens „Barcode of Life Data Systems“, kurz BOLD. meisten dieser noch namenlosen Arten bereits wissenschaftlich beschrieben sind. Doch ihre Seit Projektbeginn wurden an der ZSM die DNA- Bestimmung ist derart schwierig, dass sie nur Barcodes von mehr als 23.000 deutschen Tier- von wenigen Experten geleistet werden kann“, arten erfasst, die meisten davon Insekten. Große sagt Dieter Doczkal und nennt als Beispiel die

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Gallmücken: „Vor 20 Jahren waren allein von dieser Gruppe 834 Arten bekannt. Heute gibt es in ganz Deutschland niemanden mehr, der sie bestimmen kann. Das gleiche Problem haben wir bei jeder dritten Dipteren-Familie.“

Doch selbst die „genetischen Arten ohne Namen“ erweisen sich schon jetzt als effektive Referenz- bibliothek für die Untersuchung kaum bekannter Gruppen. „Es kann zum Beispiel sein, dass die Gensequenz einer noch nicht identifizierten Art stets zu bestimmten Zeiten oder nur in bestimmten Biotopen auftaucht. Sobald ein Experte verfügbar ist und sie nachträglich bestimmt, können wir dem schon bekannten Barcode den richtigen Namen zuordnen und haben dann auf einen Schlag diese vielen Infor- mationen dazu“, erläutert der ZSM-Forscher. Deshalb sei es so wichtig, die Barcode-Bibliothek aller bayerischen Dipterenarten zu komplettieren.

Um das Projekt voranzutreiben und die Barcode- Bibliothek aller bayerischen Dipterenarten zu komplettieren, sollen ab Sommer 2020 weitere Abbildung 1 Laien könnten dieses Malaise-Fallen aufgestellt werden. Wichtiger möglichst vollständig ist. Denn im Naturschutz schwarz-gelbe Insekt Partner der ZSM ist das Bayerische Landesamt betrachtet man ja genau die seltenen Arten, die für eine Wespe halten. für Umwelt (LfU). Vor allem von entlegenen man schützen will. Und gerade diese seltenen Arten Doch das Schwing- Probestellen, etwa in den Alpen, erhoffen sich fehlen im Moment noch in den Bibliotheken.“ kölbchen anstelle eines die Forscher jede Menge neuer Daten. Zu Recht, Hinterflügels weist das Mehr: Tier als Zweiflügler wie die Auswertung der 2018 aufgestellten Fallen (Diptere) aus. Conops zeigt: „Wir haben jetzt schon 60 Erstnachweise Moriniere, J. et al. (2019): A DNA barcode library for scutellatus heißt die Art, für Deutschland nur von der Zugspitze“, berichtet 5,200 German flies and midges (Insecta: Diptera) die im Rahmen des Dieter Doczkal. Von Naturschützern komme and its implications for metabarcoding-based bio- Projekts „Barcoding immer wieder Kritik an den massenhaften Insek- monitoring. – Molecular Ecology Resources, Band Fauna Bavarica“ identi- fiziert wurde (Foto: 19: 900–928; ht tps://doi.org/10.1111/1755- tenfängen mittels Malaise-Fallen, berichtet der Zoologisches 0998.13022. Experte – und hält dagegen: „Wir fangen in einer Forschungsmuseum Falle im ganzen Jahr nicht mehr Insekten, als ein Alexander Koenig in oder zwei Vogel-Brutpaare an ihre Jungen verfüt- Bonn). tern. Die Naturschützer sollten einsehen, dass diese Fänge notwendig sind. Nur so kommen wir voran bei der Erforschung der heimischen Insektenfauna.“

Gerade der Naturschutz könnte davon profitieren. So ließe sich etwa das Monitoring stark verein- fachen: „Angenommen, man will die Auswir- kungen unterschiedlicher Pflegeregime in einem Schutzgebiet auf die Insektenfauna untersuchen. Heute braucht man dazu Experten, die sich mit bestimmten Insektengruppen wie Laufkäfern oder Libellen auskennen. Das kostet viel Zeit und Geld.“ Mit dem Barcode hätte man die Möglichkeit, in kürzester Zeit zigtausend Insekten bestimmen zu lassen, so der Biologe: „Man nimmt die gesamte Probe, schickt sie durchs Meta-Barcoding und hat binnen Tagen die gesamte Artenliste. Das setzt aber voraus, dass diese Code-Bibliothek

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 133 Notiz Verschiedenes

Naturschutzgeschichte(n) – zum Lesen, Sehen und Hören „Mein Leben für die Natur“ – Zeitzeugen berichten

Viel Spannendes kam bei diesen Gesprächen (Gerti Fluhr-Meyer) zutage – egal, ob es um die Gründung des Einen ganz besonderen Blick auf die Geschich- Bayerischen Umweltministeriums, übrigens te, nämlich aus der Perspektive der Beteiligten, dem ersten seiner Art in Deutschland, den bietet die neue ANL-Internetseite zum Projekt Nationalpark im Bayerischen Wald, das Wald- „Naturschutzgeschichte(n) – Oral History im sterben, die Grünen oder die Entwicklung vom Naturschutz“. In Texten, Audios und Videos Natur- zum Umweltschutz ging. Ausgewählte berichten 38 Persönlichkeiten, die den Natur- Auszüge aus den Interviews hat die ANL bereits schutz in Bayern entscheidend geprägt haben, in der vierbändigen Publikation „Naturschutz- von ihren Erfahrungen. geschichte(n)“ einer breiten Öffentlichkeit zugäng- lich gemacht (Fluhr-Meyer G., Weiz, B. & Köstler, E. 2010, 2011, 2012, 2018). Dort finden sich auch historische Fotos und Selbstzeugnisse der Inter- Wie wurde die Natur- und Umweltschutzbewe- viewten („Die sieben wichtigsten Punkte aus gung zu dem, was sie heute ist? Wie und warum meinem Leben“). haben sich bestimmte Dinge im Naturschutz so und nicht anders entwickelt? Aus erster Hand Die neue Webseite ergänzt diese Veröffentli- berichten Beteiligte über die Entscheidungen, chungen. Auf einer Bayernkarte und in einer Ereignisse und Meilensteine, die bis heute den tabellarischen Übersicht sind Texte und Bilder Naturschutz prägen. zu Band 1–4 der Naturschutzgeschichte(n) zu finden. Bei vielen der vorgestellten Persönlich- Vom Rebellen, dem grünen Gewissen der CSU, keiten vertiefen kurze Tonaufnahmen und Videos bis hin zum internationalen Vermittler erzählen aus den Gesprächen die Informationen aus den dort 38 Persönlichkeiten des bayerischen Natur- Publikationen. Schauen Sie doch mal rein! Es schutzes ihre ganz persönliche Sicht der Dinge. lohnt sich. Zu lesen, hören und sehen ist dort Ihre Berichte sind auf der Webseite in Textform, von Rückschlägen und Widerständen, aber auch als Audios und als Videos zu finden. Wer die Seite davon, wie Geduld, Zähigkeit, Engagement und besucht, erhält ein umfassendes Bild der Entwick- Begeisterung immer wieder zum Erfolg führten. lungen im bayerischen Natur- und Umweltschutz Die Webseite bietet die einzigartige Chance, vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute: die Einschätzung wichtiger Entwicklungen im Die dort versammelten Zeitzeugen kommen Naturschutz direkt aus dem Mund der Beteiligten aus Verbänden, Politik, Verwaltung, Wissen- zu erfahren. schaft, Kirchen, Landwirtschaft und Medien. Mehr

Die Webseite ist das Ergebnis eines umfangreichen Fluhr-Meyer, G., Weiz, B. & Köstler, E. (2010, 2011, 2012, Oral-History-Projekts mit dem Titel „Naturschutz- 2018): Naturschutzgeschichte(n) Band I–IV. – Baye- geschichte(n)“, das die ANL im Jahr 2007 begonnen rische Akademie für Naturschutz und Landespflege hat. Die Ethnologin und Journalistin Bettina Weiz (Hrsg.): 220 S.; www.anl.bayern.de/projekte/natur- und die Biologin und Journalistin Gerti Fluhr- schutzgeschichte/index.htm. Meyer interviewen seither Zeitzeugen, die den bayerischen Naturschutz entscheidend beeinflusst haben. Die bisher geführten mehrstündigen Gespräche erfolgten nach einem einheitlichen Konzept auf der Basis eines standardisierten Fragenkatalogs, der individuell angepasst wurde und Raum für Nachfragen oder das Vertiefen wichtiger Themen ließ. Die ANL archiviert die Tonaufnahmen und Abschriften der Interviews, um sie einer weiteren wissenschaftlichen Bear- beitung zugänglich zu machen.

134 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Notiz Verschiedenes

Abbildung 1 Bei gemeinsamen Unter- nehmungen, bei Tagungen, mit Kampagnen und Pro- grammen wurde(n) Natur- schutzgeschichte(n) ge- schrieben, so auch bei der Verkündigung des Ökolo- gischen Manifests 1972 im Münchner Hofbräuhaus durch die „Gruppe Ökologie“ (von links: Konrad Lorenz, Hubert Weinzierl, Bernhard Grzimek, Otto König und Wolfgang Haber; Foto: Archiv Hubert Weinzierl, 1972).

Ideenwettbewerb: Natura 2000-BayernOskar

Viele Menschen engagieren sich bereits seit (Franziska Albrecht) langem für den Naturschutz in Bayern und für Die ANL führt seit 2018 das EU-geförderte das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000. Kommunikationsprojekt „LIFE Living Natura Nun kann dieses Engagement mit einer Auszeich- 2000“ durch, das Inhalt und Zielsetzung von nung prämiert werden! Wer besonders gut, Natura 2000 an unterschiedliche Zielgruppen besonders originell oder sehr erfolgreich unser in Bayern vermittelt und die Akteure in allen europäisches Naturerbe mit seinen einzigartigen Regierungsbezirken miteinander vernetzt. Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten sichert Unter dem Motto „Ganz meine Natur!“ bieten und fördert, kann sich in drei Kategorien für die wir Aktivitäten und Veranstaltungen in Bayerns Auszeichnung „Natura 2000-BayernOskar“ Natura 2000-Gebieten und allen bayerischen bewerben: Regierungsbezirken. Mit der Aktion „Natura 2000- BayernOskar“ bringt die ANL die positiven Wir- • Idee : Studierende/Schüler können innovative Konzepte oder bereits umgesetzte Projekte kungen des europäischen Naturschutznetzes zum Thema Natura 2000 einreichen. Natura 2000 für Umwelt und Gesellschaft ein Stück weiter an die Öffentlichkeit.

ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 135 Notiz Verschiedenes

Natura 2000 „Natura 2000“ ist die Bezeichnung für ein euro- päisches Netzwerk besonders wertvoller und schutzwürdiger Naturgebiete, die von der EU nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH- Gebiete) und nach der Vogelschutz-Richtlinie (SPA-Gebiete) geschützt sind. Das Netzwerk umfasst mehr als 27.000 Schutzgebiete in ganz Europa. Alle Gebiete zusammen nehmen etwa ein Fünftel der Fläche der EU ein. Damit ist Natura 2000 das weltweit größte Projekt zum Schutz der biologischen Vielfalt. Obwohl Europa nur zirka 5 % der Fläche unseres Planeten bedeckt, beherbergt Europa eine einzigartige Vielfalt an Wildtieren, -pflanzen und Landschaften.

Projekt „LIFE living Natura 2000“ „LIFE living Natura 2000“ ist eine durch die EU, die Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und den Bayerischen Naturschutzfonds geförderte Öffentlichkeitskampagne, die das Ziel verfolgt, die Bevölkerung über das Europäische Schutz- gebietsnetz „Natura 2000“ zu informieren und die Wertschätzung für intakte Natur und arten- reiche Landschaften in Bayern zu fördern. Die Abbildung 1 ANL setzt dieses Projekt gemeinsam mit ihren Die Wildkatze, eine • Engagement : Grundeigentümer, Landnutzer Partnern über vier Jahre hinweg um. von vielen Arten, die und deren Verbände und Interessensverbände durch das Netzwerk können sich in dieser Kategorie mit ihrem Natura 2000 ge- schützt werden, ist Engagement für Natura 2000 bewerben das Symboltier für den Wettbewerb • Vermittlung: Diese Kategorie prämiert Projekte (Signet: Eva Seifert). und/oder Veranstaltungen, welche Kinder und Jugendliche zielgruppengerecht an das Thema Natura 2000 heranführen. Interessens- verbände/Grundeigentümer und Landnutzer und deren Verbände können in dieser Kategorie ebenfalls Beiträge einreichen.

Bewerbungen um den „Natura 2000-BayernOskar“ können bis 30.10.2020 hier eingereicht werden: www.ganz-meine-natur.bayern.de/natura- 2000-bayern-oskar

136 ANLIEGEN NATUR 42(1), 2020 Interview

Abbildung 1 Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundes- amtes für Naturschutz (Foto: Bundesamt für Interview mit Prof. Dr. Beate Jessel Naturschutz). Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz

Soll das Artensterben nachhaltig aufgehalten werden, muss sich auch der Naturschutz in Europa und Deutschland strategisch neu ausrichten. Wir wollten von Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutzes (BfN), wissen, welche Ansätze nun im Fokus stehen sollten. Wie kann die Strukturvielfalt in unserer Kulturlandschaft gefördert werden? Welche Instrumente stehen uns zur Verfügung und inwieweit müssen diese möglicherweise weiterentwickelt werden?

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ANL: Sehr geehrte Frau Prof. Jessel, in der sein. Vielmehr ist auch die sogenannte „Normal- Vorbereitung dieses Interviews haben Sie landschaft“ beziehungsweise die Art und Weise, bereits angedeutet, dass die Diskussion zwi- wie Naturschutzanliegen in die land- und forst- schen integrativem und segregativem Natur- wirtschaftliche Bewirtschaftung außerhalb von schutz angesichts des Insekten- und Artenster- Schutzgebieten integriert werden, entscheidend bens neu auf dem Prüfstand steht. Wo sollte für das Überleben von Arten und Lebensgemein- künftig der Schwerpunkt der Naturschutz- schaften sowie ihre Möglichkeiten, sich an die arbeit liegen? Veränderungen durch den Klimawandel anzu- passen. Es reicht auch nicht aus, Korridore und Beate Jessel: Die Diskussion, ob im Naturschutz Trittsteinbiotope zwischen Schutzgebieten anzu- vorrangig integrative oder segregative Ansätze legen, um die Durchlässigkeit von Landschaften verfolgt werden sollten, ist ja keineswegs neu. für Tiere und Pflanzen und ihren genetischen Sie hat aber an Fahrt aufgenommen, seitdem Austausch zu erhöhen. Vielmehr ist die gesamte der Druck auf die Flächen wächst – ganz aktuell Landschaft in ein Konzept abgestimmter inte- in der Corona-Krise, als gefordert wurde, die grativer und segregativer Nutz- und Schutz- Landwirtschaft da „systemrelevant“ stärker auf strategien einzubeziehen. Dabei müssen die eine weiter intensivierte Erzeugung von Nahrungs- Landnutzer*innen stärker in die Entscheidungen mitteln auszurichten. zur Entwicklung und Umsetzung von Biodiver- sitätskonzepten mit einbezogen werden und Dabei lässt es sich anhand vielfältiger Fakten darüber hinaus angemessen für ihre Leistungen belegen, dass es nicht ausreicht, sich im Natur- zum Erhalt der Biodiversität, und damit unser schutz auf Vorrangflächen und Schutzgebiete aller Gemeinwohl, honoriert werden. Nur so zurückzuziehen, wenn die biologische Vielfalt können wir langfristig Akzeptanz für die Belange der Kulturlandschaft in ihrer ganzen Breite erhalten des Natur- und Umweltschutzes schaffen. Seg- werden soll. Durch den in der letzten GAP-Förder- regativer und integrativer Naturschutz dürfen periode eingeführten Mindestanteil von 5 % nicht gegeneinander ausgespielt werden, beide ökologischen Vorrangflächen auf Ackerland, müssen gestärkt und sinnvoll kombiniert werden. konnte so gut wie kein Mehrwert für die Bio- diversität erreicht werden, das können wir aus ANL: Bieten Zielkorridore für einen Biotopver- unseren Projekten belegen. In Natura 2000- bund oder Instrumente, wie die Landschafts- Gebieten – immerhin gut 15 % der Landesfläche planung, noch ausreichend Steuerungswirkung, bundesweit – sollte eigentlich ein vergleichs- um Vielfalt zu schaffen und zu erhalten? Oder weise strenges Schutzregime greifen. Dennoch braucht es eine neue raumbezogene Strategie? hat sich insbesondere der Erhaltungszustand von landwirtschaftlich genutzten Lebensräumen Beate Jessel: Die Landschaftsplanung ist und und von Arten der Offenlandschaft verschlechtert, bleibt das zentrale planerische Instrument des darauf weist der jüngst vom BfN mit dem Bundes- Naturschutzes. Sie sollte gestärkt und weiter- umweltministerium veröffentlichte Bericht zur entwickelt werden. Das sehen im übrigen aktuell Lage der Natur hin. Was den Insektenrückgang auch die Entwürfe des Bundesumweltministeriums betrifft, zeigt ein Blick auf die bundesweiten Roten für ein Insektenschutzgesetz vor, die sich aller- Listen, dass von den 6.921 bislang darin erfassten dings noch in der politischen Abstimmung Arten und Unterarten 45 % im langfristigen befinden. Über die Landschaftsplanung werden Bestandstrend rückläufig sind. Das verdeutlicht, Ziele des Naturschutzes formuliert und erforder- dass es sich hier um einen breit angelegten Trend liche Maßnahmen abgeleitet, sowohl für den handelt. Dass Flächen, die von vielen landwirt- besiedelten Bereich als auch für die freie Land- schaftlich intensiv genutzten Flächen umgeben schaft, einschließlich der Bereiche außerhalb von sind, besonders starke Rückgänge hinsichtlich Schutzgebieten. In der räumlichen Gesamtplanung der Insektenvielfalt verzeichnen, zeigt eine Studie sowie in Fachplanungen müssen die Belange des von Seibold et al. von 2019. Und auch die Ergeb- Naturschutzes und der Landschaftspflege, wie nisse der Krefelder Studie zum Insektenrückgang sie die Landschaftspläne aufzeigen, künftig stär- von 2017 dokumentieren, dass selbst in deut- ker berücksichtigt werden. Grundvoraussetzung schen Schutzgebieten die Masse von Fluginsek- hierfür ist, dass in eigenständigen Landschafts- ten zurückgeht. plänen auf kommunaler, regionaler und Landes- ebene die Ziele für Naturschutz und Landschafts- Arten- und Biodiversitätsschutz allein in Schutz- pflege festgehalten und fortlaufend aktualisiert gebieten kann daher langfristig nicht erfolgreich werden. Gerade auf Ebene der Gemeinden und

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„Es reicht auch nicht aus, Korridore und Trittsteinbiotope zwischen Schutzgebieten anzulegen, um die Durchlässigkeit von Landschaften für Tiere und Pflanzen und ihren genetischen Austausch zu erhöhen.“

Städte können Ziele und Maßnahmen ermittelt Naturschutzmaßnahmen in der Agrarlandschaft und mit Nutzer*innen, Bewirtschafter*innen und wegkommen und den biotischen und abiotischen den Bürger*innen abgestimmt werden. Ressourcenschutz breitenwirksam aufstellen. Auch könnte durch die Festlegung von konkreten Auf Bundesebene sehen wir weiterhin das Bundes- räumlichen Förderkulissen für bestimmte Agrar- konzept Grüne Infrastruktur als raumbezogene umweltmaßnahmen und die Bereitstellung aus- Strategie, mit deren Hilfe die bestehenden Fach- reichender Finanzmittel gezielt die Ausgestaltung konzepte und Leitbilder des Naturschutzes und von Biotopverbundachsen und -korridoren in der Landschaftspflege in bundesrelevante Pla- der Agrarlandschaft verbessert werden. Es bleibt nungsprozesse einfließen können, wie zum Bei- abzuwarten, ob die Ausgestaltung der GAP in spiel Auenentwicklung, Bundesverkehrswege- der neuen Förderperiode nach 2020 dem Ziel planung, Wiedervernetzung und Netzausbau eines ambitionierteren Umweltniveaus gerecht des Bundes. Dadurch erhoffen wir uns die Ent- wird und inwieweit die Entscheidungsträger*innen faltung einer gewissen Steuerungswirkung hin auf EU-Ebene ernsthaft bereit sind, sich strate- zu mehr Strukturvielfalt in unserer Kulturland- gisch an den Zielen des „Green Deal“ der EU-Kom- schaft. Insbesondere da Informationen zu natur- mission und hier insbesondere der „Farm to Fork“- schutzrelevanten Themenbereichen wie Schutz- und Biodiversitätsstrategie neu auszurichten. gebieten und dem Verbund von Lebensräumen, Flussauen und Landschaften mit besonderen ANL: Hecken, Streuobstwiesen und Blühstreifen Qualitäten zusammengefasst dargestellt und – reflexartig werden diese Bausteine genannt, entsprechende Daten vorgehalten werden. wenn es um Strukturen in der Landschaft geht. Reicht das aus? Was sind die Alternativen? Da die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Deutschland 54 % der Landfläche beträgt, ist Beate Jessel: Es gibt natürlich deutlich mehr die zukünftige Ausgestaltung der Gemeinsamen Bausteine außerhalb der Wälder als die genann- europäischen Agrarpolitik (GAP) und ihre natio- ten, etwa Feldgehölze, Gebüsche, Säume und nale Umsetzung eine ganz wesentliche Stell- Raine, Trockenmauern, Aufschüttungen, Klein- schraube zur Erhaltung und Förderung der bio- gewässer. Flächenmäßig sind diese Landschafts- logischen Vielfalt. Hier fordern wir seit langem elemente aber vor allem aufgrund der stetigen eine grundlegende Neuorientierung hin zu einer Vergrößerung der landwirtschaftlichen Bewirt- ökologischeren GAP, bei der die Bereitstellung schaftungseinheiten stark zurückgegangen. öffentlicher Gelder konsequent an die Erbringung Nicht nur sie müssen also wieder in der häufig öffentlicher Leistungen geknüpft ist. Nur so können „ausgeräumten“ Landschaft angereichert werden. wir von der Förderung einzelner, mosaikartiger Es fehlt insbesondere an Brachflächen, die zum

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Beispiel bis kurz nach der Jahrtausendwende im und die Dichte von Landschaftsstrukturele- Rahmen der langfristigen Flächenstilllegungen menten deutlich gesteigert werden. häufiger in der Agrarlandschaft vertreten waren. Immer seltener werden auch vegetations- und ANL: Welche neuen und innovativen Koope- nährstoffarme Offenbiotope. Darüber hinaus rationen zwischen Landwirtschaft und Natur- sollten Wegraine und Säume generell breiter schutz halten Sie für besonders geeignet, um ausgestaltet und vom Einsatz von Pestiziden die Strukturvielfalt der Kulturlandschaft zu ausgenommen werden. fördern?

Die vorgenannten Landschaftselemente können Beate Jessel: Zukünftig müssen die unterschied- einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der lichen Belange von Landwirtschaft und Natur- Landschaftsstruktur und als Verbindungselemente schutz vor Ort noch besser in Einklang miteinan- für einen funktionalen Biotopverbund leisten. der gebracht werden. Dabei spielen Beratungs- Es geht jedoch insbesondere darum, die intensiv programme eine ganz entscheidende Rolle. Die genutzte Agrarlandschaft insgesamt zumindest Landwirt*innen müssen vor Ort intensiv zu den als Teillebensraum für heimische Pflanzen und Möglichkeiten einer naturschutzförderlichen Tiere zurückzugewinnen und für Ausbreitungs- Flächenbewirtschaftung beraten und deren und Wanderungsbewegungen durchlässiger zu Umsetzung gemeinsam geplant werden. Solche machen. Hierzu muss die Landbewirtschaftung Beratungen werden teilweise auf kommunaler deutlich umweltverträglicher gestaltet werden. Ebene bereits heute angeboten, denn eine Der Einsatz von Pestiziden und der Eintrag von höhere Strukturvielfalt erhöht nebenbei auch Stickstoff in die Ökosysteme muss stark reduziert den Wohnwert und die Lebensqualität in den werden. Eine signifikante Steigerung des ökolo- Gemeinden. Einige Bundesländer bieten den gischen Landbaus in Deutschland, eine flächen- Landwirt*innen solche Lebensraum- oder Biodi- gebundene Tierhaltung und die stärkere Ent- versitätsberater*innen im Rahmen ihrer Agrar- wicklung der Landbewirtschaftung hin zu einer umweltprogramme an. Um regionalspezifische Kreislaufwirtschaft können hierzu sicherlich einen Konzepte zu entwickeln und zu erproben, sind wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus müs- auch Demonstrationsbetriebe eine sinnvolle sen aber auch gezielt Landschaftskorridore ent- Ergänzung. Das BfN fördert über das Bundes- wickelt werden, die als Verbundelemente des programm Biologische Vielfalt beispielsweise regionalen bis länderübergreifenden Biotopver- das Verbundprojekt „Lebendige Agrarland- bunds dienen und zur Kohärenz des nationalen schaften – Landwirte gestalten Vielfalt“. Dort Schutzgebietssystems beitragen. In diesen wird dieser kooperative Ansatz gefördert und Landschaftskorridoren müssen insbesondere Maßnahmen und deren Wirkungen, auch die der Anteil von extensiv genutztem Grünland ökonomischen, wissenschaftlich begleitet.

„Andererseits werden die wachsen- den gesellschaftlichen Ansprüche hinsichtlich höherer Umweltleis- tungen in der Landwirtschaft hof- fentlich den Handlungsdruck auf die Politik erhöhen ...“

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Ein weiterer Baustein für ein kooperatives Beate Jessel: Verlässliche Blicke in die Zukunft Zusammenwirken ist die Verankerung von Basis- sind schwierig. Vor kurzem habe ich einmal wieder wissen zum Schutz der biologischen Vielfalt den ANL-Band „Vision Landschaft 2020“ in die schon in der Ausbildung der Landwirt*innen. Hand genommen, der die Beiträge einer von Andersherum benötigen auch die Biodiversitäts- mir im Jahr 1995 organisierten und geleiteten berater*innen, zum Beispiel der Kommunen oder ANL-Tagung zusammenfasst: Damals bestand der Biologischen Stationen, ein solides Grund- in der Landwirtschaft die Tendenz zu einem lagenwissen über die landwirtschaftlichen massiven Rückzug aus der Fläche und es wurde Betriebsabläufe. Entscheidend ist, dass die Grund- befürchtet, dass etwa im Voralpenraum bei einem lage für wirksame Umweltleistungen der Land- Großteil der Betriebe die Hofnachfolge nicht über wirt*innen ein (europäisches) Fördersystem sein die Jahrtausendwende gesichert sei. Das ist muss, das sich am Grundsatz „öffentliches Geld bekanntlich ganz anders gekommen. Entwick- für öffentliche Leistungen“ orientiert. Die Struk- lungen, wie die starke Zunahme des Biomassean- turvielfalt unserer Kulturlandschaft lebt davon, baus aufgrund der EEG-Förderung ab 2003 oder dass auch in Hochertragslagen ein ausreichender der Wegfall der Stilllegungsverpflichtungen seit Mindestanteil an Flächen für die biologische Viel- 2008, der nachweisbar massive Auswirkungen falt bereitgestellt und sogenannte „Minderertrags- auf die Biodiversität hatte, waren damals nicht standorte“ extensiv weiter bewirtschaftet werden vorhersehbar. Beides sind im übrigen beste Bei- können. Die Bereitstellung dieser öffentlichen spiele, welche durchschlagenden Wirkungen sich Güter, können sich die Landwirt*innen am Markt mit entsprechenden finanziellen Steuerungs- derzeit nicht vergüten lassen, daher muss die anreizen in der Landschaft in kurzer Zeit erreichen Agrarförderung einen wirtschaftlich attraktiven lassen. Ausgleich beziehungsweise Anreiz bieten. Ein sehr starker Treiber der Entwicklungen wird ANL: Welche aktuellen Forschungs- und Ent- zukünftig sicherlich der rasant verlaufende Klima- wicklungsvorhaben des BfN sollen helfen, wandel sein. Er wird sich nicht nur auf unsere Strukturvielfalt zu fördern? Wo wird hier Wälder auswirken, sondern auch Anpassungen zukünftig ein Schwerpunkt liegen? in der Landbewirtschaftung erfordern, etwa über eine stärkere Anbaudiversifizierung. Wenn sich Beate Jessel: Neben Forschungs- und Entwick- jedenfalls in der Agrarpolitik nichts Grundsätz- lungsvorhaben finanziert das BfN vor allem über liches ändert, wird der Agrarstrukturwandel das Bundesprogramm Biologische Vielfalt eine fortschreiten. Die negativen Folgen der Eutro- ganze Reihe von Umsetzungsprojekten, in denen phierung und Pestizidbelastung auf Ökosysteme Maßnahmen untersucht und erprobt werden, würden in diesem Fall anhalten. Die Anzahl der die zur Förderung der landschaftlichen Struktur- meist kleinen Nebenerwerbsbetriebe dürfte vielfalt beitragen, weiterhin im Rahmen des sich weiter reduzieren. Programms chance.natur sowie gelegentlich in Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben. Ein Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, wird Beispiel ist das F+E-Vorhaben „Naturschutz- sich der Ausbau der erneuerbaren Energien erheb- fachliche Entwicklung von ökologischen Vor- lich beschleunigen (müssen). Folglich werden rangflächen – Effekte für die Biodiversität und Windräder die Landschaft zunehmend optisch landwirtschaftliche Praxis“, welches aufzeigte, verändern, hinzu kommen weitere Photovoltaik- dass mindestens 10–20 % an ökologisch hoch- flächen, hoffentlich zunehmend auch auf Dächern. wertigen Flächen in der Agrarlandschaft nötig Raps- und Maisanbau werden zur Erzeugung wären, um wichtige nationale Ziele zum Schutz von Bioenergie wohl weiterhin hohe Anteile an und zur Förderung der biologischen Vielfalt zu Ackerflächen einnehmen, wenngleich wir als BfN erreichen. Wir werden uns hier zukünftig wie betonen, dass wir darin keinen zukunftsfähigen bisher breit aufstellen und Projekte mit hoher Ausbaupfad sehen. Offen bleibt, ob der Grünland- Innovationskraft und Modellhaftigkeit fördern, schwund aufgehalten werden kann – nicht nur wo das möglich ist auch versuchen, neue Koope- in der Fläche, sondern vor allem auch in quali- rationen anzustoßen. tativer Hinsicht.

ANL: Lassen Sie uns in die Zukunft blicken: Grenzertragsstandorte im Offenland, die häufig Wie sieht unsere Kulturlandschaft in zehn noch besonders reich an für den Naturschutz Jahren aus? bedeutenden Arten sind, werden auch in Zukunft unter Druck stehen, entweder intensiviert oder

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der Sukzession überlassen beziehungsweise In der Gesamtschau ergeben sich somit Chancen, aufgeforstet zu werden. Durch die anhaltenden aber auch vielfältige Herausforderungen für die Urbanisierungstendenzen wird die klassische Entwicklung unserer Kulturlandschaft. Die künf- Kulturlandschaft gerade in und angrenzend an tige Ausgestaltung der GAP oder die Umsetzung Ballungsräumen, zum Beispiel durch Erschließung des Übereinkommens über die biologische Viel- und Überbauung, weiter zurückgedrängt. falt, der Europäischen Biodiversitätsstrategie Andererseits werden die wachsenden gesellschaft- sowie der Farm-to-fork-Strategie und der natio- lichen Ansprüche hinsichtlich höherer Umwelt- nalen Biodiversitätsstrategie sind nur einige leistungen in der Landwirtschaft hoffentlich Handlungsfelder, die es zu nutzen gilt, um daran den Handlungsdruck auf die Politik erhöhen – anknüpfend ambitionierte Ziele für den Erhalt die jüngsten Erfahrungen nicht nur mit dem der biologischen Vielfalt zu verankern und ent- Volksbegehren in Bayern haben gezeigt, dass sprechende Maßnahmen umzusetzen. bürgerschaftliches Engagement und wachsen- des gesellschaftliches Bewusstsein zu mehr und ANL: Ich danke Ihnen für das Interview! zu rascherer Veränderung führen können, als das bisherige politische „Business-as-usual“.

Zur Person

Professor Dr. Beate Jessel ist seit November 2007 Präsidentin des Bundes- amtes für Naturschutz. Sie hatte zuvor zunächst von 1999 bis 2006 eine Professur für Landschaftsplanung an der Universität Potsdam, dann den Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung (im Rahmen einer Allianz-Stiftungsprofessur) an der Technischen Universität (TU) München inne. Von 1992 bis 1999 war sie an der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege tätig und dort für den Bereich ökologisch orientierte Planungen verantwortlich, zuvor nach dem Studium der Landespflege an der TU München in einem Planungsbüro. Ihre Promo- tion zur Landschaftsplanung schloss sie 1998 bei Prof. em. Dr. Dr. W. Haber an der TU München-Weihenstephan ab.

Zitiervorschlag

Nagel, P.-B. (2020): Interview mit Prof. Dr. Beate Jessel. – ANLiegen Natur 42(2): 137–142, Laufen, Juli 2020. Laufen; www.anl.bayern.de/publikationen. Das Interview führte Paul-Bastian Nagel, ANL.

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Abbildung 1 Hans Glück – Bio-Bauer aus Überzeugung (alle Fotos: Wolfram Adel- Interview mit Hans Glück mann/ANL). Bio-Bauer seit fast 40 Jahren

Noch vor der Corona-Krise haben wir Hans Glück für ein Interview über „Insektensterben“ und „Vielfalt in der Agrarlandschaft“ angefragt. Aktuell scheinen diese Themen weit weg von jeder Agenda zu sein. Wir reden mit ihm über notwendige Änderungen in der Agrarpolitik, über industriell organisierten Bio-Anbau und seine Erfahrungen in einem kleinen Bio-Betrieb. Sieht er die steigende Nachfrage nach regionalen Bio-Produkten als Chance für einen Wandel?

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Interview Interview mit Hans Glück

Abbildung 2 Für Hans Glück ist biologische Landwirt- ANL: Lieber Hans Glück, Du bist seit 40 Jahren empfindliches Gebilde ist: Und so haben dann schaft ein Auftrag, für die kommende Bio-Bauer und somit ein Pionier der ersten doch mehr Leute wieder drüber nachgedacht, Generation etwas Stunde. Noch vor der Corona-Krise haben wir wo kommt unsere Nahrung her? Sie haben sich zu hinterlassen. Dich für ein Interview über „Insektensterben“ gefragt, habe ich da nicht jemanden vor der und „Vielfalt in der Agrarlandschaft“ angefragt. eigenen Haustür? Wir wollen über notwendige Änderungen in der Agrarpolitik, über industriell organisierten ANL: Also es waren auch neue Leute dabei? Bio-Anbau reden und Deine Erfahrungen in einem kleinen Bio-Betrieb. Aktuell scheinen Hans Glück: Ja, es waren auch neue Leute dabei. diese Themen weit weg von jeder Agenda zu Also das war der eine Aspekt und der andere war, sein. Gleichzeitig steigt jedoch die Nachfrage dass die Leute über den „Lockdown“ daheim nach regionalen Produkten und das Bewusst- gewesen sind – und die haben zweimal am Tag sein, dass unser globales Handeln etwas sehr gegessen und damit doppelt so viel eingekauft, Fragiles ist. Wie beurteilst Du die Chancen, dass wie sonst! Na ja, inzwischen hat es sich wieder sich durch Corona etwas Grundsätzliches in normalisiert. Aber ich kenn´ das Spiel inzwischen der Agrarpolitik ändert? Wollen die Menschen seit vierzig Jahren und immer wieder hat´s irgend- jetzt das Bio-Produkt vor der eigenen Haustür? welche Krisen oder Skandale gegeben, die den biologischen Landbau oder die Direktvermarktung Hans Glück: Also erstmal zur zweiten Frage: Die nach vorne gepuscht haben. Und danach wurde Nachfrage in den ersten vier Wochen seit Corona es wieder normal, aber es blieben immer ein paar ist wirklich dramatisch gestiegen. Da hatten wir Menschen mehr hängen. Es bleibt dann auf einem jedes Wochenende das Gefühl, dass Weihnachten höheren Niveau als vorher. Wobei das schnelle und Ostern zusammenfällt. Ich denke, dass die Wachstum meistens eh nicht gesund ist und von Leut` wieder Bewusstsein dafür bekommen haben, daher ist es g´scheiter, es geht langsam und was unsere globalisierte Welt eigentlich für ein konstanter. Das ist wie auf einem Getreidefeld:

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Interview mit Hans Glück Interview

„Jeder, der sich für 1,99 Euro im Kilo Schnitzel kauft, der muss wissen, was er da verursacht.“

Wenn Du mit Kunstdünger kommst, dann ist das dafürstehe. Das nehmen mir meine Kollegen Getreide auch nicht so standfest, als wenn Du auch ab und da greift mich auch keiner an. Ich im Bio-Feld mit organischem Dünger arbeitest. greif sie ja auch nicht als Einzelpersonen an. Klar, ich kritisiere das ganze System! Aber so habe ich Bei der ersten Frage zur Agrarpolitik bin ich mir direkt keine Anfeindungen erlebt. Die große Ver- nicht ganz so sicher, ob Corona was Positives änderung ist nicht passiert, da muss noch viel bewirkt hat. Ich habe eher so das Gefühl, dass mehr geschehen. Wenn man sich die konventio- im Zuge von Corona eher einiges untergegangen nellen Felder anschaut, das hat mit Biodiversität ist. So nach dem Motto „Da haben wir jetzt keine absolut nichts zu tun, ganz im Gegenteil – überall Zeit dafür“. Gerade bei der Umsetzung vom Volks- die „perfekte“ Monokultur. begehren haben die Bauern Corona wirklich wie bei einer Erpressung hergenommen: „Wir sann ANL: Es gibt die Kritik, dass der Ökolandbau jetzt alle mit Corona so gebeutelt“ – also die armen für die Natur nicht so viel bringt, wie ursprüng- Spargelbauern, die keine Erntehelfer mehr haben lich erhofft, da mittlerweile viele Bio-Betriebe und so weiter. Das alles haben sie riesig aufge- fast so intensiv und industriell produzieren, wie bauscht und so argumentiert, dass man den armen in der konventionellen Landwirtschaft. Wohin Bauern das Volksbegehren doch jetzt nicht auch entwickelt sich Bio gerade? Und welche Ent- noch auf‘s Auge drücken kann. Und was ist passiert? wicklung würdest Du Dir wünschen? Die Düngerverordnung wurde verschoben um ein Jahr! Also da hat es eher nachteilige Effekte. Hans Glück: Ja, leider stimmt diese Kritik. Ich bin sicher einer von den Alten, die vielleicht auch noch ANL: Du hast das Volksbegehren „Rettet die ein Stück mehr Idealismus haben – und das auch Bienen“ als Landwirt offen unterstützt. Wie nach vierzig Jahr noch. Bei mir geht es nicht um beurteilst Du die aktuelle Lage unter den Land- den letzten Cent. Für mich muss die Arbeit als wirten und für Dich persönlich, ein Jahr danach? Bio-Landwirt eine Bedeutung haben. Die neue Sind wir dem Ziel einer nachhaltigen Kultur- Generation Bio-Bauern sind oft Optimierer: Die landschaft nähergekommen? wollen kein Unkraut sehen, kaufen sich einen Riesen-Striegel und striegeln dann zweimal oder Hans Glück: Jetzt ist ein Jahr vorbei seit dem dreimal…! Das geht ja heute alles mit den Maschi- Volksbegehren und man müsste eigentlich schon nen die mindestens 12 Meter breit sind. Da ist am was sehen oder zumindest das Gefühl haben, Schluss nicht mehr so wahnsinnig viel los mit der dass was passiert ist und die Politik irgendwelche Artenvielfalt! Maßnahmen entschieden hat. Aber ich glaube, Corona war grad so eine Gelegenheit – besonders ANL: Und das ist ein Trend? für alle, die das nicht wollen – zu sagen, „Na, das geht jetzt grad nicht“ und „Wir dürfen die Bauern Hans Glück: Ich kenne einige Biobauern, die nicht überfordern“. Also es ist nicht so wahnsinnig mähen auch fünf bis sechsmal im Jahr. Und das viel passiert, so mein Gefühl. Die Widerstände weiß ich auch noch von den Diskussionen im haben aber auch nie aufgehört, vom Bauernver- letzten Jahr zum Volksbegehren: Auf Veranstal- band und von der Agrarlobby, die haben immer tungen und wo immer man sich für diese Maß- weiter dagegen gearbeitet. nahmen eingesetzt hat, da hast du darauf warten können, bis der erste konventionelle Bauer auf- Ich selber hab mit dem Volksbegehren kein Pro- gestanden ist und gesagt hat: „Was wollt ihr denn blem gehabt, weil ich einfach seit 40 Jahre selber überhaupt, ich habe einen Bio-Nachbarn, der

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Interview Interview mit Hans Glück

mäht drei Tag´ später wie ICH!“. Und da hat er Hans Glück: Das würde es zumindest schon mal recht! Beim Bio-Bauer, der sechs Mal mäht, da sichtbar machen, dass negative Umweltfolgen ist es mit der Artenvielfalt auch nicht weit her. auch wirklich da sind. Wenn man diese klar defi- Der fährt auch seine Gülle hin – es ist dasselbe nieren würde, wäre das gut. Jetzt fließen die Spiel wie im konventionellen Landbau. Der Effekt Negativfolgen im Grund genommen ins Brutto- ist fast derselbe. Aber immerhin gibt es inzwischen sozialprodukt positiv mit ein – das ist doch Schwach- Bestrebungen, dass bei der Bio-Kontrolle ein neues sinn! Da wird alles in einen Topf geschmissen, ob Kriterium eingeführt wird: „Was tust Du für die die Folgen positiv oder negativ sind, Hauptsache Biodiversität?“ Und das finde ich auch absolut die Zahlen steigen. Wenn man die Umweltfolgen überfällig! Weil das sonst weiter in eine verkehrte benennt, dann kriegt das zumindest mal ein Richtung läuft. Gesicht. Sonst kann sich keiner was darunter vorstellen. ANL: Also in der Öko-Kontrolle sollen Bio- diversitätskriterien abgeprüft werden? Was ANL: Jetzt ist ja gerade die Tierwohlabgabe stellt man sich darunter vor? in Diskussion – wäre da eine Umwelt- oder Naturschutzabgabe nicht auch sinnvoll? Hans Glück: Das ist noch nicht raus. Aber dass man halt nicht immer alles nur am Limit fährt. Hans Glück: Na ja, das weiß ich jetzt nicht. Alle Davon müssen wir wieder wegkommen. Also tun so überrascht, was da gerade in der Fleisch- wenn ich schon (auf Bio) umstelle, dann gehört branche los ist, dabei wissen wir das doch seit da einfach mehr dazu, als dass ich nur die Chemie zwanzig, dreißig Jahren! Also zumindest die, die und den Kunstdünger weglass´. Da sind die Ver- es hätten wissen wollen! Eigentlich haben es alle bände schon sehr gefordert, Schulungen anzu- gewusst und bisher ist nichts großartig passiert. bieten, um den Bauern klar zu machen, dass es Keine Ahnung, ob da jetzt wirklich mal aufge- noch um viel mehr geht – dass man wieder die räumt wird. Das ist wie eine moderne Sklaven- Zusammenhänge erkennt. haltung und jeder, der sich für 1,99 Euro ein Kilo Schnitzel kauft, der muss wissen, was er da ver- ANL: Und das ist ein Trend? ursacht und dass er bei dem Spiel mit dabei ist. Hier gehören radikale Einschnitte gemacht, aber Hans Glück: Der Diskussionsstand ist bei den diese Agrar-Mafia hat inzwischen so eine Macht, Anbauverbänden unterschiedlich weit fortge- ich weiß nicht, ob wir da noch irgendwo eine schritten, das Problem an sich ist aber von allen Chance haben. Oder wer den Mumm hat, da erkannt und aufgenommen worden und sie sind reinzuhauen und zu sagen: „Jetzt ist Schluss dabei, spezifische Biodiversitätskriterien zu ent- mit lustig.“ wickeln. ANL: Unsere Agrarlandschaft ist in weiten ANL: Was hältst Du von der Idee, negative Teilen stark verarmt: Kaum noch Strukturen Umweltfolgen der Landwirtschaft „in Rechnung und nur noch wenige Lebensräume für ein- zu stellen“ und somit im Preis sichtbar werden heimische Arten. Was wäre aus Deiner Sicht zu lassen? eines Praktikers notwendig, damit auch Land-

„Wenn es überall wäre, wie bei Dir, dann bräuchte es keine Blühstreifen! Weil, da blüht immer irgendwas auf der Fläche.“

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Interview mit Hans Glück Interview

Abbildung 3 Die Kornrade ist eine schaft und Vielfalt wieder stärker in der landwirt- kann das Pflanzerl gar nicht sein – es blüht immer stark gefährdete Acker- schaftlichen Produktion berücksichtigt werden? was! Da brauchst Du nicht künstlich mit einem wildpflanze und wächst Mords-Ramba-Zamba tausend Kilometer Blüh- auf den Feldern von Hans Glück: Also es gehört insgesamt die Agrar- streifen anlegen, wie man das jetzt überall macht. Hans Glück, hier im politik verändert. Vor allem die Subventionen! Weil das Problem steht daneben: Abertausende Laufener Landweizen. 40 % des EU- Haushaltes gehen in die Landwirt- von Hektar nackter Mais, in dem nix blüht. Es schaft hinein – 6 1/2 Milliarden kriegt Deutsch- würde eigentlich alles relativ einfach gehen, aber land. Das ist ja ein Haufen Geld! Es ist also nicht irgendwie hat sich das Ding so verselbstständigt so, dass kein Geld da wäre, aber das gehört halt und da verdienen ein paar Konzerne ein Schweine- einfach anders verteilt. Das ganze Spiel müsste geld damit. sich wirklich umdrehen. Es kann einfach nicht sein, wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld. Die Wobei auch vieles in die richtige Richtung läuft. Flächenprämie ist an keine Auflagen gebunden. In Tittmoning haben wir jetzt 15 % Bio-Bauern, Ich bewirtschafte eine Wiese, die ich zweimal das ist schon mal was, die kannst du nicht weg- mähe, da bekomme ich 300 Euro dafür. Und der diskutieren. Bauer daneben, der sechsmal mäht, kriegt es auch. Das kann doch nicht sein. Auf meiner Wiese wach- ANL: Was würde einen Bauern heute dazu sen zirka 70 verschiedene Pflanzenarten – beim bewegen, wieder mehr Strukturen, wie Hecken Kollegen vielleicht 15 Arten. Und das ist bei vie- und Feldraine anzulegen? len anderen Sachen auch so. Ich bin in einem Programm zum Schutz der Ackerwildkräuter in Hans Glück: Das ist eigentlich einfach! Wenn Du Getreide. Da kommt einmal im Jahr jemand zur verstanden hast, um was es geht und wie das alles Kontrolle und schaut, wie viele Ackerwildkräuter zusammenwirkt und wie die Natur funktioniert, in meinen Getreidefeldern wachsen. Die sagen dann machst du das einfach! Weil es klar ist. Das mir jedes Mal: „Wenn es überall wäre, wie bei Dir, ist mein Beitrag und das gehört einfach dazu, dann bräuchte es keine Blühstreifen!“ Weil, da damit die nächste Generation auch noch eine blüht immer irgendwas auf der Fläche. So klein Zukunft hat.

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Interview Interview mit Hans Glück

„Mit dem Green-Deal wird uns vorgegaukelt, dass wir unseren Wohlstand […] erhalten können. Das funktioniert aber nicht!“

ANL: Also braucht es kein Geld, sondern nur tioniert aber nicht! Wir müssen verzichten! Jeder Aufklärung? hat angeblich mindestens 10.000 Sachen. Also ich bin über sechzig, und wenn ich mein ganzes Hans Glück: Es ist natürlich nicht verkehrt, wenn G‘raffel mal anschaue, dann kann sich das schon man dafür auch noch Geld bekommt. Ich habe hingehen. Aber wieviel davon brauchst Du denn da nichts dagegen […lacht…], weil ja genug da wirklich? Und muss ich mir immer alles neu kaufen? ist. Bevor es die anderen kriegen, die einfach alles Wir müssen einfach Ressourcen schonen und kaputt machen – dann bitte lenkt es doch um müssen reduzieren! Und trotzdem sind wir nach- in diese Kanäle. Ich habe für vieles, gerade am her noch genauso glücklich, vielleicht sogar Anfang, kein Geld bekommen. Die ersten zehn glücklicher! Wir brauchen ein radikales Umdenken, Jahre gab es keine Subventionen – die hat es uns läuft sonst die Zeit davon! damals gar nicht gegeben.

ANL: Jetzt noch ein Schlusswort, was Du gerne loswerden möchtest Das Interview wurde live aufgezeichnet am Hans Glück: Was mich momentan bewegt, ist 30.06.2020 auf dem Hof von Hans Glück. diese Geschichte mit dem Green-Deal von der Einzelne bayerische Sprachpassagen wurden EU. Es ist sicher ein richtiger Ansatz, auch wenn im Einverständnis ins „Hochdeutsche“ übersetzt. man schauen muss, was am Schluss übrigbleibt. Wos fei irgendwie schod is. Das Interview Ich kenn das Spiel, da werden immer mal Vor- führte Wolfram Adelmann, ANL. gaben gemacht und dann von der Agrarlobby zerpflückt, sodass nicht viel bleibt. Mit dem Green-Deal wird meiner Meinung nach jedoch vorgegaukelt, dass wir unseren Wohlstand, so wie wir ihn jetzt haben, aufrechterhalten können. Man macht hier und da ein bisschen auf regene- rative Energien und ökologischen Landbau und so weiter. Ich glaub, dass das allein nicht reichen wird. Es geht doch vielmehr um unseren Über- fluss, dass wir uns von dem befreien müssen. Ich habe im Urlaub das Buch „Befreiung vom Über- fluss“ vom Niko Paech gelesen und gedacht: Ja genau, dass stimmt einfach! Wir müssen aufhören, dass wir uns vormachen, dass es so weitergeht. Auch die Grünen, um einmal eine Partei zu Zitiervorschlag

nennen, die suggerieren uns das auch: Die stellen Adelmann, W. (2020): Interview mit Hans Glück. – sich hin, „Wir haben die Lösung“, wenn wir alles ANLiegen Natur 42(2): 143–148, Laufen; nur ein bisschen ökologischer machen, dann www.anl.bayern.de/publikationen. können wir so weiterleben wie bisher. Das funk-

148 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Rezensionen

Das Sterben der anderen – Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können

(Peter Sturm) Die Journalistin Tanja Busse hat für „Das Sterben des Lebens uns selbst. Tanja Busse spricht in der anderen“ sehr gründlich recherchiert und diesem Zusammenhang auch von Verantwortungs- eine Unmenge an interessanten Studien und netzen und lässt verschiedene Verantwortungs- Medienberichten zum Thema Artensterben träger, wie Landwirte, Politiker und Verbände, zusammengetragen. Das Buch ist wissenschaftlich zu Wort kommen. Sie beleuchtet dabei auch die fundiert, überfordert den Leser jedoch nicht mit Hintergründe des Volksbegehrens in Bayern komplexen fachlichen Abhandlungen. Es ist aus und die Reaktion der Politik. der Ich-Perspektive geschrieben und nimmt den Leser immer wieder auf Exkursionen in Feld und Trotz der beängstigenden Entwicklungen gibt Wald mit. Die Autorin beschreibt auch, wie sie „Das Sterben der anderen“ einen positiven Aus- sich im Laufe der Recherchen der Ausmaße des blick. Es ist etwas in Bewegung geraten. Ein Artensterbens mehr und mehr bewusst wurde. Buch, das definitiv wachrüttelt. Tanja Busse ist es gelungen, ein spannendes und auch sehr Tanja Busse (2019): Beim Lesen wird schnell klar, dass es beim Arten- persönliches Buch zu schreiben. Es schafft Das Sterben der anderen – sterben nicht nur um die Tiere, sondern ebenso Bewusstsein für die große Bedeutung der bio- Wie wir die biologische Viel- um uns Menschen geht. Wir sind Teil der Natur, logischen Vielfalt und die dringend notwendi- falt noch retten können. – des Ökosystems, und gefährden im Netzwerk gen Schutzmaßnahmen. Broschiert, Blessing Verlag, ISBN: 978-3-89667-592-7: 416 S., 18 Euro.

Tiere in meinem Garten

(Eva Hoiß) Die Intention des Buches: Verwandle deinen In Schaubildern und Tabellen werden Tiere und eigenen Garten in ein aufregendes, lebens- Pflanzen sowie Anleitungen zum Selbstanle- raumreiches Areal! So werden im ersten Teil gen eines naturnahen Gartens sehr anspre- verschiedenste Naturgartenelemente und deren chend dargestellt, wenn auch an manchen Umsetzung dargestellt, wobei im zweiten Teil Stellen so vereinfacht, dass kleine inhaltliche der Fokus darauf liegt, wie man Lebensräume Lücken entstehen. für ganz bestimmte Tierarten schaffen kann. Trotz der naturnahen Gestaltung muss nicht Die Autoren plädieren für eine möglichst große auf formalästhetische Aspekte verzichtet werden. Vielfalt an Pflanzen im Garten, die aus ihrer Sicht Im Gegenteil, die „Wildheit“ der Natur und eine nicht unbedingt einheimisch sein müssen: gewisse Kultivierung lassen sich gut verbinden „Eines waren und sind Gärten jedoch nicht: – die Autoren zeigen dies immer wieder auf. ursprüngliche Natur“. Wichtig ist den Autoren, dass die Pflanzen möglichst vielfältige ökolo- Bruno P. Kremer & Das Buch bietet einen guten Überblick mit hilf- gische Funktionen übernehmen, aber auch Klaus Richarz (2020): Tiere in meinem Garten – reichen Anleitungen für die Umgestaltung. Es ästhetische Ansprüche zufriedenstellen. Das Wertvolle Lebensräume für spricht alle Privat-Garten-Besitzer an, bietet aber Ziel: weg vom „schnarchlangweiligen Garten- Vögel, Insekten und andere auch Ideen für den Schulgarten. Dabei besticht design“ mit Rasen, Rosen und Scheinzypressen. Wildtiere gestalten. – es durch seine herausragende Anschaulichkeit: 1. Auflage, gebunden, rund 425 Farbfotos, Haupt Verlag, ISBN: 978-3-258-08155-7: 288 S., 29,90 Euro.

ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 149 Rezensionen

Insektenatlas 2020 bietet beeindruckende Informationen zum Insektenschutz

(Peter Sturm) Insekten sind fundamentaler Bestandteil unserer Zudem formuliert er die Kritik an der zögerlichen Ökosysteme, ohne sie funktioniert nicht mehr Politik und benennt die dringend nötigen Schritte viel. Das Insektensterben in Deutschland und zum Schutz der Insekten. weltweit hat inzwischen dramatische Ausmaße angenommen. Das Verschwinden der Insekten Das Besondere: Alle Folien und Info-Grafiken wirkt sich auch auf uns negativ aus: So drohen können kostenfrei genutzt und heruntergela- etwa Ernterückgänge bis zu 90 % bei manchen den werden. Dieser Fundus dürfte für jeden Obst- und Gemüsesorten. Wesentliche Ursachen Lehrer, Umweltbildner, aber auch jeden Vortra- sind fehlende Lebensräume durch großflächige, genden im Bereich Landwirtschaft, Ökologie intensive Nutzung, fehlende Nahrung und Pesti- und Naturschutz eine wertvolle Quelle sein. Heinrich-Böll-Stiftung, zide aus der intensiven Landwirtschaft. Die Grafiken bestechen durch ihre klare Struk- Bund für Umwelt und tur und sehr gute Lesbarkeit der Botschaften. Naturschutz Deutschland Die zweite Auflage des Insektenatlasses 2020 und Le Monde Diploma- der Heinrich-Böll-Stiftung und des Bundes für Wahlweise kann der Atlas heruntergeladen tique (2020): Insektenatlas – Umwelt und Naturschutz bietet auf 50 Seiten oder als Print-Version bestellt werden. Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in und in mehr als 60 Grafiken eine beeindruckende der Landwirtschaft. – 2. Fülle an Informationen über die Bedeutung der Download des Atlasses unter: Auflage, ISBN: 978-3-86928- Insekten. Er liefert Daten und Fakten über Nütz- www.boell.de/de/insektenatlas. 215-2: 52 S., linge und Schädlinge in der Landwirtschaft. kostenloser Download; www.boell.de/de/ insektenatlas.

Wildbienen in der Stadt: entdecken, beobachten, schützen

(Bernhard Hoiß) Schon wieder ein neues Buch zu Wildbienen, mag Doch wie kann ich für Wildbienen in der Stadt sich der ein oder andere denken. Trotzdem: das aktiv werden? Kurze Listen von Nahrungspflanzen, vorliegende Buch ist es wert, vorgestellt zu werden. wie geeignete Bäume, Sträucher und krautige Pflanzenarten für Garten, Balkon oder Park, bieten Kurz und prägnant vermitteln die Autoren Grund- Hilfestellung. Außerdem gibt es Anleitungen, lagen über Wildbienen, immer an Beispielarten um einfach und kostengünstig Nistgelegen- verdeutlicht. Ein kleiner Ausflug in die verwand- heiten für verschiedene Arten zu schaffen. ten Gruppen rundet die Einführung ab. Ein besonders wertvolles Kapitel rundet das Buch Vor allem geht es aber darum, wann und wo man ab: Ein Fundus an Ideen und Anleitungen für in der Stadt Wildbienen entdecken kann. Dazu Wildbienenprojekte, praktische Einheiten und Janina Voskuhl & stellen die Autoren typische Lebensräume und kleine Spiele für Schule, Kita und Familie. Herbert Zucchi (2020): Wildbienen in der Stadt: Strukturen in der Stadt vor, mit spannenden entdecken, beobachten, Geschichten zu ausgewählten Arten. Besonders Ein spannendes Buch, für alle, die vor der Haustür schützen. – Taschenbuch, den praktischen Aspekten, wie der richtigen Wildbienen erleben oder erlebbar machen wollen. Haupt Verlag, ISBN: 978-3- Ausrüstung, Bestimmungshilfen und der richtigen 25808-195-53: Zeit zum Suchen und Beobachten, widmen die 256 S., 29,90 Euro. Autoren viel Aufmerksamkeit. So bekommt der Leser ein Gefühl für Wildbienen, ihre Bedürfnisse und Lebensräume. Die Faszination der Autoren steckt an.

150 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Aus der Akademie

Neue Mitarbeiter

Franziska Johanna Albrecht Seit März 2020 bin ich als Projektmanagerin im sität Kassel den Masterstudiengang Umwelt- LIFE-Team der ANL angestellt und setze gemein- und Energierecht. Natura 2000 und das europä- sam mit meinen Kolleginnen das Kommunikati- ische Umweltrecht haben mich schon im Studium onsprojekt „LIFE living Natura 2000“ um. interessiert – über die Stellenausschreibung der ANL bin ich bei Recherchen für meine Master- Nach dem Studium in Berlin und Rabat war ich arbeit zur Umsetzung von Natura 2000 im sechs Jahre lang als Diplomatin im Auswärtigen Alpenraum „gestolpert“. Dienst unterwegs – in der Türkei, Afghanistan und den USA. 2018 entschloss ich mich zu einem [email protected] Karrierewechsel und absolvierte an der Univer- + 49 8682 8963-49

Sonja Hölzl Seit April 2020 arbeite ich an der ANL als Teil Bachelor in Ökologie und Umweltplanung und des Bayerischen Artenschutzzentrums. Meine einen Master im Management natürlicher Ressour- Hauptaufgabe ist der Aufbau eines Netzwerks cen in Berlin. Ich bin dabei gerne interdisziplinär an der Schnittstelle zwischen Forschung und und mit vielen Blickwinkeln unterwegs, wie Praxis. Hierfür koordiniere ich Naturschutzfragen zuvor unter anderem für die EU-Plattform zur aus der Praxis und deren wissenschaftliche und Koexistenz zwischen Menschen und großen anwendungsorientierte Beantwortung. Beutegreifern.

Nach meinem Abschluss in Staatswissenschaften [email protected] in Passau entschied ich mich für einen zweiten + 49 8682 8963-59

Regina Kern Seit Juli 2020 bin ich Teil des Teams der Baye- Bei diesen vielfältigen Aufgaben kommen mir rischen Akademie für Naturschutz und Land- meine Ausbildung zur Groß- und Außenhandels- schaftspflege (ANL). Hier bin ich Ansprechpart- kauffrau, die langjährige Arbeit als Vertriebs- nerin an der Rezeption und im Bereich der Ver- innendienstmitarbeiterin in einem Pharma- anstaltungen tätig. Primär plane ich Veranstal- unternehmen sowie meine Erfahrungen, die ich tungen und führe diese vor Ort und außerhalb im Hotel- und Gastronomie-Bereich, insbeson- durch. Darüber hinaus helfe ich bei allen inter- dere an der Rezeption und Verwaltung gesammelt nen Fragen rund um das Thema EDV und unter- habe, zugute. stütze die Systemadministration. [email protected] +49 8682 8963-23

Julia Silbernagl Im August 2020 habe ich bei der ANL im Sonder- Lehrveranstaltungen konzipiert und durchge- bereich Bayerisches Artenschutzzentrum (BayASZ) führt. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin habe angefangen – hier für den Aufbau des Netzwerkes ich an der LFU alte Fundorte von seltenen Artenkenntnis. Dabei konzipiere und leite ich Gefäßpflanzen nachkartiert sowie die weiteren Lehrveranstaltungen, Fachtagungen und Exkur- Mitarbeiter und Ehrenamtlichen im Projekt betreut sionen mit dem Schwerpunkt Artenkenntnis für und koordiniert. verschiedenste Organismengruppen und ver- netzte Artenkenner bayernweit. [email protected] +49 8682 8963-74 Ich habe an der Universität Innsbruck (LFU) Bio- logie und Botanik studiert. Dort habe ich auch

42(2), 2020 151 Aus der Akademie

Neue Mitarbeiter

Veronika Bauer ressante Projekt an der ANL bin ich nun in Seit September 2020 unterstütze ich als Medien- meine Heimat zurückgekommen. Besonders gestalterin im LIFE-Team der ANL meine Kolle- gut gefällt mir an meiner Arbeit, dass ich mich ginnen im Kommunikationsprojekt „LIFE living kreativ an der Optimierung der Wahrnehmung Natura 2000“. Hierfür gestalte ich Merchandise- des Natura 2000-Netzwerkes beteiligen kann Produkte und Informationsmaterial, pflege die und somit mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz für Website und mache Fotos auf Veranstaltungen dieses besondere Konzept erarbeite. rund um das Projekt. [email protected] Meine Ausbildung zur Mediengestalterin durfte +49 8682 8963-19 ich in Rosenheim absolvieren. Für dieses inte-

Luis Schmidt (FÖJ) Seit September 2020 bin ich für das Freiwillige dafür nutzen. Durch die ANL erhoffe ich mir Ökologische Jahr (FÖJ) an der ANL tätig. Das einen tiefen Einblick in den Bereich der For- Corona-Abitur konnte ich im Frühsommer end- schung, Öffentlichkeitsarbeit, wie das Erstellen lich abschließen. Nun bin ich vom hohen Nor- von Informationsmaterial, aber auch das Planen den (Kitzingen/Unterfranken) hier ins Berchtes- und Durchführen von Veranstaltungen. Gerade gadener Land gezogen, um praktische Berufs- hier wird der digitale Weg immer wichtiger, was erfahrungen zu sammeln und erste Einblicke in mein Interesse geweckt hat. die Arbeit einer Naturschutzbehörde zu erhalten. Da ich großes Interesse für ein Biologiestudium [email protected] habe, möchte ich die Erkenntnisse des Jahres +49 8682 8963-52

Katharina Söldner (FÖJ) Seit September 2020 bin ich an der Bayerischen Themen des Naturschutzes erhalten und meine Akademie für Naturschutz und Landschafts- Kompetenzen in den Bereichen Veranstaltungs- pflege tätig. Schon in meiner Kindheit war ich management sowie Öffentlichkeitsarbeit aus- von der Tier- und Pflanzenwelt fasziniert. Nach bauen. Mich hat dabei besonders die Kombina- der Realschule habe ich während der dreijäh- tion meiner Herzensangelegenheit Naturschutz rigen Berufsfachschule für Hotel- und Touris- mit der beruflichen Vertiefung sowie Orientie- musmanagement nähere sowie fernere Orte rung angesprochen. erkundet. Jedoch ist es daheim am schönsten, also absolviere ich mein Freiwilliges Ökolo- [email protected] gisches Jahr (FÖJ) an der ANL. Ich möchte +49 8682 8963-52 einen tieferen Einblick in die umfangreichen

152 ANLIEGEN NATUR 42(2), 2020 Publikationen und Materialien der ANL

Publikationen und Materialien der ANL Stand Oktober 2020

Die aufgeführten Materialien und Publikationen der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) sind erhältlich solange vorrätig.

Die laufend aktualisierte Übersicht der Veröffentlichungen und detailliertere Informationen finden Sie auf den Internet-Seiten der ANL (www.anl.bayern.de/publikationen) und im Shop der Bayerischen Staats­regierung (www.bestellen.bayern.de).

Bitte nutzen Sie die Internet-Seiten zur Bestellung. Fast alle Materialien, Publikationen und Einzelartikel können kostenfrei bezogen oder unter der Internet-­Adresse der ANL herunter­geladen werden.

Gebundene Ausgaben Die mit einem Stern * gekennzeichneten Publikationen sind nur als pdf-Datei erhältlich. Siehe Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols – www.anl.bayern.de/publikationen/weitere_publikationen bestimmen, beobachten, schützen Fischer, Jürgen et al.; Gelände-Bestimmungsbuch. Bezug nur über den Buchhandel und Quelle & Meyer Verlag, 2. Auflage, 2020, 372 Seiten. Best.-Nr.: 494-01795 ISBN: 978-3-494-01795-2 24,95 Euro

Aktionshandbuch „Tiere live“ Grundlagen und Anleitungen zum Einsatz von Tieren im Unterricht und in der außerschulischen Umweltbildung mit speziellen Informationen für Lehrkräfte, inklusive aller Ergänzungskapitel und Erweiterungen sowie CD-ROM. 2. Auflage, 2010–2016. 20 Euro

Ergänzungskapitel Hühner 1. Auflage, 2014, 60 Seiten. 4 Euro Grünlandtypen Erkennen – Nutzen – Schützen Ergänzungskapitel Ameisen und Erweiterungen zu den Kapiteln Sturm, Peter et al.; Bestimmungsbuch. Wolf/Hund und Bienen Bezug nur über den Buchhandel und 1. Auflage, 2016, 137 Seiten. 4 Euro Quelle & Meyer Verlag, 2018, 344 Seiten. Best.-Nr.: 494-01678 ISBN: 978-3-494-01678-8 39,95 Euro Set von 15 Bestimmungsblättern „Tiere live“ Wasser- und kratzfest zum Einsatz im Freien, 2010. 7 Euro

Diese sind auch als Einzelblätter à 0,50 Euro im Klassensatz erhältlich (Mindestabnahme 10 Blätter).

Die Tagfalter Bayerns und Österreichs Stettmer, Christian, Bräu, Markus, Gros, Patrick & Wanninger, Otmar; Taschen-Bestimmungsbuch im flexiblen Schutzumschlag mit Hervorhebung der wesentlichen Bestimmungsmerkmale. 2. überarbeitete Auflage, 2007, 248 Seiten, davon 82 in Farbe. VERGRIFFEN! Erweiterte Neuauflage geplant für 2021 Großlaufkäfer der Gattung Carabus in Deutschland* mit Verbreitungsangaben in Bayern Müller-Kroehling, Stefan & Adelmann, Wolfram; Fotos von Ortwin Bleich; Eine Bestimmungshilfe aller in Deutschland heimischen Arten am SalzachKiesel lebenden Tier; Die Vielfalt der Steine in der Salzach erleben und verstehen. mit hochauflösenden Fotos, wasserfest zum Einsatz im Freien, 4. Auflage 2017, 76 Seiten. 5 Euro 2. überarbeitete Auflage, 2018, 16 Seiten (Neuauflage geplant; voraussichtlich verfügbar ab Dezember 2020) kostenlos

153 Publikationen und Materialien der ANL

ANLiegen Natur Beiheft 9 In der Fachzeitschrift der ANL sind Artikel zu Themen des Arten- und Köstler, Evelin & Krogoll, Bärbel (1991): Auswirkungen von anthropogenen Naturschutzes, der Biotoppflege, der Landschaftsplanung, der Umwelt- Nutzungen im Bergland – Zum Einfluss der Schafbeweidung bildung und der nachhaltigen Entwicklung abgedruckt. (Literaturstudie). 74 Seiten, 10 Abbildungen, 32 Tabellen. Seit Heft 35/1 liegt der Fokus verstärkt auf angewandter Forschung Beiheft 8 und dem Erfahrungsaustausch zum praktischen Natur- und Land- Passarge, Harro (1991): Avizönosen in Mitteleuropa. schaftsschutz. 128 Seiten, 15 Ver­brei­tungs­karten, 38 Tabellen, Register der Arten und Zönosen. Der Preis für die Hefte 37/1–39/1 und Heft 40/1–42/2 beträgt jeweils 10 Euro. Die Hefte 34 bis 36/2 und 39/2 sind kostenfrei. Alle Artikel können von der Homepage der ANL heruntergeladen werden. Laufener Forschungsberichte Heft 42/2 (2020) Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen der ANL. Heft 42/1 (2020) Alle Hefte sind kostenfrei; nicht aufgelistete Hefte sind ver­griffen. Heft 41/1 (2019) Heft 40/2 (2018) Forschungsbericht 7 Heft 40/1 (2018) Badura, Marianne & Buchmeier, Georgia (2001): Heft 39/2 (2017, kostenfreies Sonderheft*) Der Abtsee. Forschungsergebnisse der Jahre 1990–2000 zum Schutz und Heft 39/1 (2017) zur Entwicklung eines nordalpinen Stillgewässers. 111 Seiten. Heft 38/1 (2016) Forschungsbericht 5 Heft 37/2 (2015) Lohmann, Michael & Vogel, Michael (1997): Die bayerischen Ramsargebiete. Heft 37/1 (2015) 53 Seiten. Heft 36/2 (2014) Heft 36/1 (2014) Forschungsbericht 4 Heft 35/2 (2013) Hagen, Thomas (1996): Vegetationsveränderungen in Kalkmager­ ­ra­sen des Heft 35/1 (2013, *vergriffen) Fränkischen Jura; Untersuchung langfristiger Be­stands­ver­änderungen als Heft 34 (2010) Reaktion auf Nutzungsumstellung und Stick­stoff-Deposition. 218 Seiten. Forschungsbericht 2 Berichte der ANL Verschiedene Autoren (1996): Das Haarmoos – Forschungs­ergebnisse zum Schutz eines Wiesenbrütergebietes. 122 Seiten. Die von 1977 bis 2005 jährlich erschienenen Berichte der ANL enthalten Original­arbeiten, wissenschaft­liche Kurzmitteilungen und Be­kannt- Forschungsbericht 1 machungen zu zentralen Naturschutzaufgaben und da­mit in Jansen, Antje (1994): Nährstoffökologische Untersuchungen an Pflanzen­arten Zusammenhang stehenden Fachgebieten. 2006 wurden die Berichte und Pflanzengemeinschaften von voralpinen Kalk­ma­ger­rasen und Streuwiesen in ANLiegen Natur umbenannt. unter besonderer Berück­sichtigung naturschutzrelevanter Vegetations- Alle Hefte sind kostenfrei; nicht aufgelistete Hefte sind ver­griffen. änderun­gen. 112 Seiten. Alle Artikel der Hefte 1 bis 29 können von der Homepage der ANL heruntergeladen werden.

Laufener Spezialbeiträge Heft 29 (2005) Heft 24 (2000) Schwerpunkt: Regionale Indikatorarten Die mit einem Stern* gekennzeichneten Publikationen sind nur als Heft 23 (1999) Schwerpunkt: Biotopverbund pdf-Dateien erhältlich. Heft 22 (1998) Heft 21 (1997) Die Ergebnisse ausgewählter Veranstaltungen wurden redaktionell Heft 20 (1996) aufbereitet als Tagungsbände herausgegeben. Von Heft 1/82 bis Heft 1/05 Heft 14 (1990) liefen diese Berichte unter dem Namen „Laufener Seminarbeiträge“. Die „Laufener Spezialbeiträge“ entstanden 2006 aus einer Zusam­menführung der „Laufener Seminarbeiträge“ mit den „Laufener Forschungsberichten“ und den „Beiheften zu den Berichten der ANL“ zu einer gemeinsamen Schriftenreihe. Alle Laufener Spezialbeiträge sind kostenfrei und können von der Homepage Beihefte zu den Berichten der ANL der ANL heruntergeladen werden. Bis 2004 stellten die Beihefte in unregelmäßiger Folge detaillier­te 2012 Implementation of Landscape Ecological Knowledge in Informationen zu ausgewählten Themenbereichen zusammen. European Urban Practice Alle Hefte sind kostenfrei; nicht aufgelistete Hefte sind ver­griffen. 2011 Landschaftsökologie. Grundlagen, Methoden, Anwendungen Beiheft 13 2010 Wildnis zwischen Natur und Kultur: Perspektiven und Handlungsfelder für den Naturschutz Müller, Johannes (2004): Extensiv genutzte Elemente der Kultur­ landschaft. Entstehung von Strukturen und Biotopen im Kontext von 2/09 Vegetationsmanagement und Renaturierung* Agrar-Ökosystem und Nutzungswandel am Beispiel Frankens. 1/09 Der spezielle Artenschutz in der Planungspraxis* 195 Seiten, 20 ganzseitige Schwarz-Weiß-Landschaftsfotos. 1/08 Die Zukunft der Kulturlandschaft – Entwicklungsräume und Beiheft 12 Handlungsfelder* Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Haber (1995). 2/03 Erfassung und Beurteilung von Seen und deren Einzugsgebieten 194 Seiten, 82 Fotos, 44 Abbildungen, fünf Farbkarten (davon drei mit Methoden der Fernerkundung Falt­karten), fünf Vegetationstabellen. 1/03 Moorrenaturierung Beiheft 11 2/02 Das Ende der Biodiversität? Grundlagen zum Verständnis Conrad-Brauner, Michaela (1994): Naturnahe Vegetation im Natur- der Artenvielfalt schutzgebiet „Unterer lnn“ und seiner Umgebung – Eine vege­tations- kundlich-ökologische Studie zu den Folgen des Stau­stufen­baus. 1/02 Beweidung in Feuchtgebieten 175 Seiten, zahlreiche Abbildungen und Karten. 2/01 Wassersport und Naturschutz

154 Publikationen und Materialien der ANL

4/00 Bukolien – Weidelandschaft als Natur- und Kulturerbe Landschaftspflegekonzept Bayern 3/00 Aussterben als ökologisches Phänomen Das Landschaftspflegekonzept informiert über die Ökologie der ver­schie­de­ 2/00 Zerschneidung als ökologischer Faktor nen Lebensräume in Bayern. Es stellt Erfahrungen mit der Pflege zusammen und gibt Hinweise zur naturschutzfachlichen Bewirtschaftung. 6/99 Wintersport und Naturschutz Die Druckversionen erschienen zwischen 1994 und 1998. 5/99 Natur- und Kulturraum Inn/Salzach Der Preis pro Heft beträgt 5 Euro. 4/99 Lebensraum Fließgewässer – Charakterisierung, Bewer­tung und Nutzung I. Einführung 3/99 Tourismus grenzüberschreitend: Naturschutzgebiete Ammerge- II.1 Kalkmagerrasen Teil 1 birge – Außerfem – Lechtaler Alpen II.1 Kalkmagerrasen Teil 2 2/99 Schön wild sollte es sein II.2 Dämme, Deiche und Eisenbahnstrecken 1/99 Ausgleich und Ersatz II.3 Bodensaure Magerrasen II.11 Agrotope Teil 1 9/98 Alpinismus und Naturschutz II.11 Agrotope Teil 2 6/98 Neue Aspekte der Moornutzung* II.13 Nieder- und Mittelwälder 5/98 Schutzgut Boden II.14 Einzelbäume und Baumgruppen 4/98 Naturschutz und Landwirtschaft – Quo vadis? II.15 Geotope 3/98 Bewahrung im Wandel – Landschaften zwischen regionaler II.18 Kies-, Sand- und Tongruben Dynamik und globaler Nivellierung 2/98 Schutz der genetischen Vielfalt Die Hefte zu Sandrasen, Streuobst, Feuchtwiesen, Teichen, stehenden Kleingewässern, Streuwiesen, Gräben, Hecken- und Feldgehölzen, Leitungstras- 1/98 Umweltökonomische Gesamtrechnung sen, Steinbrüchen sowie zu Bächen und Bachufern sind gedruckt vergriffen, 5/97 UVP auf dem Prüfstand jedoch über die CD digital beziehbar oder sie können artikelweise von der 4/97 Die Isar – Problemfluß oder Lösungsmodell? Homepage der ANL heruntergeladen­ werden. 3/97 Unbeabsichtigte und gezielte Eingriffe in aquatische Lebensgemeinschaften 2/97 Die Kunst des Luxurierens 6/96 Landschaftsplanung – Quo Vadis? Standortbestimmung Landschaftspflegekonzept Bayern digital (auf CD-ROM) und Perspektiven gemeindlicher Landschaftsplanung Der Druckversion entsprechendes Gesamtwerk aller Bände 3/96 Biologische Fachbeiträge in der Umweltplanung mit Suchfunktionen. Der Verkaufspreis beträgt 5 Euro. 2/96 Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung – Praxis und Perspektiven 3/95 Dynamik als ökologischer Faktor 2/95 Bestandsregulierung und Naturschutz Faltblätter (kostenfrei) 1/95 Ökosponsoring – Werbestrategie oder Selbstverpflichtung? Die mit einem Stern *) gekennzeichneten Publikationen sind 4/94 Leitbilder, Umweltqualitätsziele, Umweltstandards nur als pdf-Dateien erhältlich. Siehe www.anl.bayern.de/publikationen/weitere_publikationen. 2/94 Naturschutz in Ballungsräumen

1/94 Dorfökologie – Gebäude – Friedhöfe – Dorfränder sowie Hornissen*) ein Vorschlag zur Dorfbiotopkartierung Antworten auf die wichtigsten Fragen bezüglich Hornissen als Nachbarn. 2/93 Umweltverträglichkeitsstudien. Grundlagen, Erfahrungen, 2012. Fallbeispiele 1/93 Hat der Naturschutz künftig eine Chance? Schmetterlinge*) 5/92 Freilandmuseen – Kulturlandschaft – Naturschutz Merkblätter deutsch 4/92 Beiträge zu Natur- und Heimatschutz - Lungenenzian-Ameisen-Bläuling - Heller Wiesenknopf-Ameisen-Bläuling 1/92 Ökologische Bilanz von Stauräumen - Dunkler Wiesenknopf-Ameisen-Bläuling 7/91 Ökologische Dauerbeobachtung im Naturschutz Merkblätter englisch 3/91 Artenschutz im Alpenraum - Alcon Blue 1/91 Umwelt – Mitwelt – Schöpfung: Kirchen und Naturschutz - Scarce Large Blue - Dusky Large Blue 4/90 Auswirkungen der Gewässerversauerung 3/90 Naturschutzorientierte ökologische Forschung in der BRD Moorerlebnis Schönramer Filz 2/90 Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen durch Naturschutz Informationen zum Moorlehrpfad. 2015.

155 Publikationen und Materialien der ANL

Broschüren (kostenfrei, wenn nichts anderes vermerkt) NaturschutzGeschichte(n) Die mit einem Stern * gekennzeichneten Publikationen sind nur als Zeitzeugen-Interviews zur Entwicklung des Naturschutzes in Bayern: pdf-Datei erhältlich. Siehe Band IV. 2018, 66 Seiten. www.anl.bayern.de/publikationen/weitere_publikationen. Band III. 2012 (Überarbeitung 2019), 58 Seiten.* Band II. 2011 (Überarbeitung 2019), 46 Seiten.* Großlaufkäfer der Gattung Carabus in Deutschland* Band I. 2010 (Überarbeitung 2019), 44 Seiten.* mit Verbreitungsangaben in Bayern Eine Bestimmungshilfe aller in Deutschland heimischen Arten am Blätter zur bayerischen Naturschutzgeschichte lebenden Tier; 2. überarbeitete Auflage, 2018, 16 Seiten - Persönlichkeiten im Naturschutz: - Dr. Ingeborg Haeckel Friedhöfe – Oasen für Pflanzen und Tiere* - Prof. Dr. Otto Kraus Aktionsplan – Welche Maßnahmen erhöhen die Biodiversität? - Johann Rueß Dezember 2018, 16 Seiten. - Dr. Karl Schmolz - Gabriel von Seidl*) - Alwin Seifert Leitfaden Unternehmen Natur - Bayerischer Landesausschuß für Naturpflege (1905–1936) Naturnahe Gestaltung von Firmenflächen – von der Idee bis zur Umsetzung. 2018, 24 Seiten. Natur spruchreif* Weisheiten, Aphorismen und Zitate zu Mensch, Natur und Umwelt. Entdeckerbuch Natur 3. Auflage, 2012, 80 Seiten. Mit Mimi, Klemens und Co. das Puzzle der biologischen Vielfalt in Bayern kennenlernen. Bayern.Natürlich.Artenreich* 2020, 32 Seiten. Ein etwas anderer Blick auf ausgewählte Tiere und Pflanzen Bayerns. 2009, 52 Seiten. Entdeckerbuch Natur Begleitbuch für Erwachse­ne. Landart* 2020, 47 Seiten. Kunstwerke aus Naturmaterialien. Die Natur mit allen Sinnen erfahren. 2010, 33 Seiten. Almen aktivieren – Neue Wege für die Vielfalt Weiterführende Informationen unter Naturschutzrechtliche Kompensation in Bayern https://www.anl.bayern.de/forschung/forschungsthemen/almen.htm Ziele und Umsetzung der Bayerischen Kompensationsverordnung. 2015, 34 Seiten. Alpine Pasture Action – New Ways to Preserve Biodiversity Englische Zusammenfassung des Projektes „Almen aktivieren“, 28 Seiten. NATURA 2000 - Wege für eine gelungene Kommunikation (Manual)* Juli 2019, 25 Seiten www.ganz-meine-natur.bayern.de/wp-content/ uploads/2019/10/Kommunikationsmanual_9_FINAL.pdf* Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) Seethalerstraße 6 83410 Laufen/Salzach Telefon +49 8682 8963-31 Telefax +49 8682 8963-17 [email protected] www.anl.bayern.de oder www.bestellen.bayern.de 1. Bestellungen Bitte den Bestellungen kein Bargeld, keine Schecks und keine Brief­ Verschiedenes marken beifügen. Eine Rechnung liegt der Lieferung bei. Der Versand erfolgt auf Gefahr des Bestellers. Wanderausstellung „Almen aktivieren“ Beanstandungen wegen unrichtiger oder unvollständiger Lieferung Verleihbare Ausstellung, bestehend aus zehn Roll-Ups, Beistelltisch und können innerhalb von 14 Tagen nach Empfang der Sendung berück- einer ergänzenden Begleit­broschüre. Erforderliche Mindeststellfläche 12 m² sichtigt werden. zuzüglich Beistelltisch.­ Weitere Informationen bei [email protected]. 2. Preise und Zahlungsbedingungen Der Versand ist kostenfrei. Die Rech­nungs­beträ­ge sind spätes­tens Interaktive Wanderausstellung zu dem in der Rech­nung genannten Termin fällig. „Ganz meine Natur – Unser europäisches Naturerbe in Bayern“ Die Zahlung kann nur anerkannt werden, wenn sie auf das in der Sechs mobile Ausstellungsmodule, die an unterschiedlichste räumliche Rechnung genannte Konto der Staats­oberkasse Bayern unter Gegebenheiten angepasst werden können. Die Ausstellung benötigt Nennung des mitgeteilten Buchungskenn­zei­chens erfolgt. eine Fläche von ungefähr 50 m². Bei Zah­lungsverzug werden Mahnkosten erhoben und es können Weitere Informationen unter: www.ganz-meine-natur.bayern.de/ gegebenenfalls Ver­zugszinsen berechnet werden. wp-content/uploads/2020/02/Booklet_Wanderausstellung_ver-02.pdf. Erfüllungsort und Ge­richtsstand ist Mün­chen. Bis zur endgül­tigen Vertragserfüllung behält sich die ANL das Ei­gen­tums­recht an den Handbuch Beweidung gelieferten Materialien vor. Nähere Informatio­nen und die Online-Angebot, das die wesentlichen Aspekte zur Beweidung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen finden Sie unter Lebens­räumen aus Sicht des Naturschutzes darstellt: www.bestellen.bayern.de (Bestellmodus/AGB). www.anl.bayern.de/fachinformationen/beweidung/handbuchinhalt. htm (im Aufbau).

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ANLIEGEN NATUR Zeitschrift für Naturschutz Zusendungen und Mitteilungen und angewandte Wir freuen uns auf Ihre Beiträge. Bitte beachten Sie Landschaftsökologie unsere Autorenhinweise: Heft 42(2), 2020 https://www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/ ISSN 1864-0729 doc/manuskriptrichtlinie_anliegen.pdf

ISBN 978-3-944219-41-7 Kontakt Für die Ein­zelbeiträge­ sind die jeweiligen Verfasserinnen Bernhard Hoiß (ANL) und Verfasser verantwortlich. Die Beiträge geben nicht in Telefon: +49 8682 8963-53 jedem Fall die Mei­nung des Herausgebers, der Natur- [email protected] schutzverwaltung oder der Schriftleitung wieder. Aus Gründen besserer Lesbarkeit wird im Heft weitge­hend Weitere Informationen auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weib- Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeits­ licher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personen­be­zeich­ arbeit der Bayerischen Staatsregierung herausgege- nungen gelten gleichermaßen für beiderlei Ge­schlecht. ben. Sie darf weder von den Parteien noch von Wahl- werbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Mo- Herausgeber und Verlag naten vor einer Wahl zum Zweck der Wahl­werbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundes- Bayerische Akademie für Naturschutz tags-, Kommunal- und Europawahlen. Missbräuchlich und Landschaftspflege (ANL) ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Seethalerstraße 6 Wahlveranstaltun­gen, an Infor­ma­tionsständen der Par- 83410 Laufen an der Salzach teien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben [email protected] parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. www.anl.bayern.de Unter­sagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zweck der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug Redaktionsteam zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift Bernhard Hoiß, Paul-Bastian Nagel, nicht in einer Weise verwendet werden, die als Partei- Wolfram Adelmann, Lotte Fabsicz nahme der Staatsregierung zugunsten einzelner poli- Fotos: Quellen siehe Bildunterschriften tischer Gruppen verstanden werden könnte. Satz und Bildbearbeitung: Nicole Höhna (ANL) Titelbild: Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unter- Randstreifen (linkes Bild): Ilse Englmaier; Wacholder- richtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. heide am Lintlberg (rechtes Bild): Peter Sturm (ANL); Bildmontage: Nicole Höhna Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt, die Umschlag: Nicole Höhna publizistische Verwertung – auch von Teilen – der Ver- Druck: Ortmann Team GmbH, 83404 Ainring öffentlichung wird jedoch ausdrücklich begrüßt. Bitte Stand: Oktober 2020 nehmen Sie Kontakt mit dem Herausgeber auf, der Sie wenn möglich mit digitalen Daten der Inhalte und bei der Beschaffung der Wiedergaberechte unterstützt. © Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf Papier aus 100 % Altpapier

Erscheinungsweise In der Regel zweimal jährlich.

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