Nr. 18 09.05.2014

Doppel leben Nr. 18 09.05.2014 03

04 Ich ist ein anderer 08 Verwandlungskünstler. Prolog Beinahe die Raupe Nimmersatt Alexandra Dasch 10 Reinkarnation. Aus Abfall

Hätte unser Hirn eine Stimme, es ginge wohl etwas rüder zu. wird Mode Der ungefilterte Gedanke, die nackte Wahrheit, führt im besten Fall zur Irritation des Gegenübers. Sie ist oft eine schwer 11 Cognac. Zwei Mal destilliert verdauliche Kost. Also streifen wir sie über, diese zweite Haut, setzen sie auf, die Maske, und zeigen dem Umfeld, was es 12 Zweier-Gespann. Stermann sehen möchte oder wer wir gern selbst wären. Nur wenige entdecken das bloße Ich – meist bleibt das nur dem Spiegel und Grissemann vorbehalten. Also Maske aufgesetzt und ab auf die Bühne des eigenen Lebens. 14 Im Gespräch. Fünf Menschen, Sie ist auch schön, die Möglichkeit zur Wahl, nicht selbst in Stein gemeißelt zu sein, die Chance, sich immer wieder neu zu die ein Doppelleben führen erfinden. Denn Doppelleben ist viel mehr als der Seitensprung, mehr als Sein und Schein. In diesem pur stecken sie drin, die 16 Neues Spiel, neues Leben vielen Facetten des Doppellebens. Martin Behr zeichnet ein Porträt von Pendlern zwischen Welten, erzählt vom Vergnügen 18 Pseudonyme. Die Genies der Verkleidung. Es gibt Geschichten von der wohl spannendsten Metamorphose im Tierreich und wie die im Schatten Reinkarnation eines Zementsacks aus Kambodscha aussehen kann. Peter Gnaiger verrät das Geheimnis des Cognacs und 20 Doppelgefühl. Michael warum die Engel da immer ein bisschen mitnaschen. All das ist pur. Viel Vergnügen beim Erleben. ist heute Lucy

Sie ist angekommen Impressum: Lucy hält ein Foto von einem jungen attraktiven Mann in ihren Händen. pur, das Hochglanzmagazin der Salzburger Nachrichten. Er ist sie. Damals war sie Michael. Und sie war gefangen in einem Herausgeber: Dr. Maximilian Dasch Doppelgefühl. Das war vor der Umwandlung, da steckte sie im falschen Chefredakteur: Manfred Perterer Redaktionelle Leitung: Peter Gnaiger, Körper. Der Fotograf Luigi Caputo zeigt mit seiner sehr einfühlsamen Alexandra Dasch und behutsamen Art Bilder aus Lucys Alltag, Szenen aus dem Leben Grafische Gestaltung: Walter Brand Redaktion: Martin Behr, Gudrun Doringer, Julia Evers, einer starken Frau. Diese sehen Sie auf den letzten Seiten dieser Ausgabe. Bernhard Flieher, Barbara Hutter, Gerhard Öhlinger, Clemens Bernhard Flieher hat sich erzählen lassen, von den Ängsten und wie es Panagl, Christian Resch, Tanja Warter Lektorat: Andrea Thiel, Mattias Feldner sich anfühlt, wenn man das Verstecken endlich hinter sich gelassen hat. Bildbearbeitung: Helmut Krieber Projektbetreuung und Anzeigenverkauf: Wie Lucy es geschafft hat, heraus aus dem falschen, hinein in das richtige Elisabeth Blank Leben zu treten. Die Geschichte erzählt von viel Mut, den es braucht, Alle: 5021 Salzburg, Karolingerstraße 40, Telefon 0662/83 73-0, E-Mail: [email protected] auch vor der Familie und den Freunden endlich der Mensch zu werden, Titelbild: Klaus Pichler, www.anzenbergergallery.com der man selbst ja längst ist. Lucy ist heute auch für alle anderen, die sie Druckabwicklung: Kaindl-Hönig Fotostudio + Werbeteam Nächster Erscheinungstermin: 18. Juli 2014 für sich schon immer war. Anzeigenschluss: 30. Mai 2014 Ich ist ein anderer Nr. 18 09.05.2014 05 Warum badet ein Büroangestellter in der Maske eines Einhorns? Was denkt sich der Ritter auf der roten Couch? Und warum schlüpft Herrchen immer wieder in ein Hasenkostüm? Die Fotos von Klaus Pichler stellen Fragen. Martin Behr hat zugehört.

Die Lust an der Verkleidung Sie beginnt im Kindesalter und endet bei manchen nie – die große Lust an der Verkleidung. Das Spiel mit den Masken ist allgemein als Ausbruchsversuch aus dem Alltag definiert, Das Leben bildet eine Oberfläche, die so tut, als ob sie so sein müßte, steht für ein temporäres Entschwinden aus der realen Welt: Ich bin dann mal weg. Weg aus dem Gewohnten, weg aus der allseits bekannten Existenz. Das Kostüm wird dabei zu einem Schutzschild. Hinter einer Maske agiert es sich eben leichter, hemmungsloser. Egal ob purer Jux, Volksbrauch, Rollenspiele (von der Nachstellung historischer Ereignisse bis zu wie sie ist, aber unter ihrer Haut treiben und drängen die Dinge. Als-ob-Situationen in der Sexualität), aktuellen japanischen Verkleidungstrends, Vergötterung von übernatürlichen Vorbildern aus der Welt der Comics und cineastischen Scheinwelten: Die analoge Form der Identitätsverschleierung – im Internet setzt eine große Zahl an Usern und Postern digitale Masken auf – kreist um die Frage „Wer bin ich?“. Gute Frage. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften (Roman) Eine, die zahlreiche Antworten provoziert. Wie zum Beispiel: Ich bin viele. Just the two of us Nr. 18 09.05.2014 07

ie sind ganz normale Menschen sei sehr wichtig gewesen, dass in den Bildern niemand aus Österreich. Sie haben mehr vorgeführt oder bloßgestellt werde, sagt der 37-jährige, oder weniger spannende Jobs, leben in Wien lebende Fotokünstler, der auch immer wieder in Zweizimmerwohnungen oder kommerzielle Aufträge annimmt. Mit den Arbeiten für Einfamilienhäusern, präsentieren sich das Genre Werbefotografie verbessere er nicht nur seine im Alltag weitgehend unauffällig. „Leute Technik, sondern er sichere auch sein Einkommen. wie du und ich“, sagt der Fotograf Klaus Wer steckt dahinter? Diese Frage ist es, die alle 40 Bilder Pichler. Was die Vertreter aus der „unspektakulären aus der Serie „Just the two of us“ narrativ auflädt. Die SMittelschicht“ aber eint, ist ein großes Vergnügen an Figur im Hasenkostüm, die auf einem Teppich mit der Verkleidung. Nicht nur in der Faschingszeit. Sie einem Hund spielt, oder der Ritter im Dachzimmer tauchen lustvoll ein in Gegenwelten, die humorvoll, mit der von der Decke hängenden Discokugel: Sie alle witzig, bizarr, skurril sein können. Sie genießen es, über sind von einem zwischen Heimeligkeit und Absurdität die reale Existenz eine zweite Haut zu stülpen, mit der schwankenden Geheimnis umgeben. Das Auge des sie von der Umwelt anders als sonst wahrgenommen Betrachters schweift ab von den Personen, sucht in werden. Mit der sie verzücken können, Furcht den Innenräumen nach Details, die vielleicht Auskunft einflößen, ein Schmunzeln auslösen, irritieren und über den Menschen geben könnten. Mann, Frau? noch vieles mehr. Mit der sie ein Doppelleben führen. Beruf? Zweck der Maskerade? Fragen über Fragen. Die „Ich ist ein anderer.“ Es ist der Satz des Dichters Arthur Fantasie wird angeregt und doch bleibt letztlich vieles Rimbaud, der sogleich in den Sinn kommt, wenn man im Unklaren. Grell sichtbar hingegen ist: Der Hunger die Fotos von Klaus Pichler sieht. Der in der Steiermark nach einem Alter Ego, einer zweiten Existenz neben geborene Fotograf hat die Menschen bei ihrem dem realen Dasein ist groß. Viel Zeit, Energie und Geld temporären Ausstieg aus der bürgerlichen Existenz wird dafür hineingesteckt, dass man sich aufwendige mit der Kamera begleitet. Genauer gesagt: In der Kostüme näht oder nähen lässt. Der Trend, sich zu Fotoserie „Just the two of us“ hat er die Verkleideten in verkleiden, geht durch alle Altersstufen und soziale ihrer vertrauten Umgebung, nämlich in ihren eigenen Schichten. vier Wänden, abgelichtet. Zwischen Ikea-Stühlen, Rollenspiele made in : Die von Klaus Pichler Grünpflanzen, Gardinen und der roten Sitzgarnitur inszenierten Doppelleben künden von den Träumen aus Leder beispielsweise. Das Gewohnte trifft auf und Projektionen der Personen. Inhaltlich reicht das Ungewohnte, Zusammenhänge verschieben das Verwandlungsspektrum von alpenländischer sich. Mit diesem Kunstkniff erzählen die Fotos von Brauchtumspflege bis zu Cosplay, einem japanischen Pichler – obwohl die Identitäten der Abgebildeten nicht Verkleidungstrend, der in den 1990er-Jahren mit dem preisgegeben werden – sehr viel über die Suche nach Manga- und Anime-Boom auch in die USA und nach dem Selbst in einer Gesellschaft, über das Sein und den Europa gelangt ist, und Science-Fiction-Figuren. Hier Schein in einem Spiel, das Leben heißt. stehen Männer in mittelalterlichen Verkleidungen am Der Mann (oder ist es eine Frau?) im weißen Bügeltisch, da spielt Batman Schlagzeug. Hier blüht Fellkostüm, der auf dem Sofa mit der schneeweißen der Star-Wars-Kult üppig auf, da macht ein Harlekin Decke und im Zimmer mit dem weißen Teppich mal Pause. Hier ist ein Außerirdischer in der Küche Gitarre spielt. Das Einhorn, das in Wahrheit ein gelandet, da sitzen vier geheimnisvolle Figuren in Büroangestellter ist, das im Badezimmer mit den schwarzen Ganzkörperanzügen rund um einen Tisch goldenen Armaturen ein Vollbad nimmt. Oder die mit entzündeten Teelichtern. Alles Schimäre? zottelige Perchtenfigur, die einmal nicht tolldreist durch Wer will denn nicht einmal so richtig ausbrechen? die Straßen läuft, sondern auf einem bequemen Stuhl Übermenschliche Kräfte haben, sich auf Zeitreisen Platz genommen hat und neben einem großformatigen begeben, zu einer Comicfigur mutieren. „Just the two Marienbild posiert: In Gesprächen mit den Verkleideten of us“ beschreibt dieses Verlangen. Und porträtiert hat sich Klaus Pichler auf den genauen Ort und die diese Pendler zwischen den Welten. Eindringlich und Pose der fotografischen Inszenierung geeinigt. Ihm zugleich auch einfühlsam.

Der 1977 in der obersteirischen Stadt Judenburg geborene Klaus Pichler hat Landschaftsarchitektur in Wien studiert und ist seit 2005 als freier Fotograf tätig. Er arbeitet meist in Fotoserien, zu seinen wichtigsten Projekten gehören unter anderem die Beschäftigung mit Gefängnistätowierungen und deren Trägern („Fürs Leben gezeichnet“) und eine Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er für sich selbst spricht. Dokumentation über Nahrungsmittelverschwendung („One third“), bei der er neun Monate lang in der eigenen Wohnung Schimmelungsprozesse festgehalten hat. Die Serie „Skeletons in the closet“ gewährt poesievolle Einblicke in die Archiv- Gib ihm eine Maske, und er wird dir die Wahrheit sagen. und Lagerräume des Wiener Naturhistorischen Museums, „Dust“ wiederum zeigt die Vielfalt von Staubansammlungen, Oscar Wilde die in Österreich Lurch genannt werden. Der Autodidakt Klaus Pichler pendelt als Fotograf zwischen Kunst, Reportage und Werbung, seine Stärke liegt darin, aus den scheinbaren Banalitäten des Alltags allgemeingültige Aussagen (und Fragestellungen) herauszufiltern. Die Bilder von Klaus Pichler und Fotos von anderen Künstlern unter: www.anzenbergergallery.com 08 09.05.2014 Nr. 18

Verwandlungs künstler

Ist das etwa die echte Version der berühmten Raupe Nimmersatt? Tanja Warter weiß: „Nicht ganz.“ Denn diese wird keineswegs ein prächtiger Schmetterling.

n Wahrheit geht alles ganz anders aus. In späterer Schmetterlingsart gibt es unterschiedliche Gabelschwanz aus auffälligen, farbenfrohen Raupen Wahrheit wird aus der fetten grünen Raupe Verpuppungstypen: Das Tagpfauenauge hängt sich sehr schlichte Falter und aus den unscheinbarsten gar kein prächtiger Schmetterling, sondern ein kopfüber an einen Zweig. Der Schwalbenschwanz Raupen die prächtigsten Schmetterlinge. schlichter grauer, gespenstischer Nachtfalter. befestigt einen Faden an einem Ast und hängt sich als Obwohl sie so zerbrechlich wirken, konnten sich Doch bis es so weit ist, findet eine faszinierende Puppe in eine Schlinge. Der Nachtschwalbenschwanz Schmetterlinge weltweit an die verschiedensten Entwicklung statt, die Biologen bis heute eine rollt sich in ein Blatt ein, und der Seidenspinner Klimabedingungen anpassen. Mit 150.000 bekannten ganze Reihe von Rätseln aufgibt. spinnt sich einen Kokon aus einem selbst hergestellten Arten bilden sie eine der größten Insektengruppen. Am Anfang steht ein Ei, aus dem eine kleine Raupe mehrere Hundert Meter langen Seidenfaden, den die Ihr Doppelleben währt meist nur kurz. Nach ihrer Ischlüpft. Sie ist vom ersten Moment an eine wahre Menschen in China bereits vor 4000 Jahren für sich Verwandlung müssen viele der schönen Tagfalter vor Fressmaschine. Tag für Tag verdrückt sie das Vielfache entdeckten, sie domestizierten und züchteten die allem zwei Dinge tun: Nektar sammeln und einen ihres Körpergewichts an Blättern. Bei der Raupe Raupen. Partner finden. Ist die Eiablage absolviert, sterben des Großen Gabelschwanzes, die zu den skurrilsten Im Inneren der Puppe spielt sich eine geheimnisvolle die meisten. Deshalb sind Schmetterlinge auch so heimischen Erscheinungen gehört, ist das nicht anders. Verwandlung ab. Sämtliche Organe, die für das selten im Winter zu sehen. Ausnahmen bestätigen die Während sie wirkt, als erkunde sie hoch interessiert die bisherige Raupenleben wie geschaffen waren, Regel. Der Zitronenfalter überwintert ungeschützt bei Welt, ist sie vorwiegend mit Fressen beschäftigt. Ihre beispielsweise die Mundwerkzeuge, lösen sich auf Eis und Schnee. Das klappt, weil er einen Teil seiner hübschen schwarzen Augen sind nichts als Attrappen. und formen sich in jene Organe um, die nach der Körperflüssigkeit durch eine Mixtur aus Alkohol, Salzen Schwarze Flecken, die Scheinaugen genannt werden. Metamorphose charakteristisch für einen Schmetterling und Eiweiß ersetzt. Zusammen wirkt das wie ein Droht Gefahr, hebt sie den Kopf und schlägt mit ihrem sind. Übrigens: „Schmetterling“ ist ein Überbegriff, Frostschutzmittel. vermeintlich bösen Blick Angreifer in die Flucht. sämtliche Tag- und Nachtfalter gehören dazu. Die Wer nun im Frühling Ausschau nach der spektakulären Ist die Raupe – je nach Art – innerhalb von vier Gruppe der Nachtfalter ist wesentlich größer als die der Raupe des Großen Gabelschwanzes halten will, wird bis acht Wochen ausgewachsen, verwandelt sie Tagfalter, unterscheiden kann man sie am sichersten enttäuscht werden. Von April bis Juli fliegen die sich in eine Puppe. Bei der Raupe des Großen an der Flügelhaltung. Tagfalter stellen in Ruhe ihre Falter umher, Raupen gibt es erst zwischen Juli und Gabelschwanzes passiert das, wenn sie eine Größe Flügel senkrecht auf, Nachtfalter hingegen drücken sie September. Auf Pappeln stehen die Chancen für eine von etwa sieben Zentimetern erreicht hat. Je nach flach an den Körper. Häufig werden wie beim Großen Beobachtung am besten. Bilder: Bildagentur Waldhäusl (Erich Kuchling, Reinhard Hölzl, Malcom Schuyl) (Erich Kuchling, Reinhard Bilder: Bildagentur Waldhäusl Die Freitag-Taschen sind Kult. Im ersten Leben waren sie eine Lkw-Plane. Nr. 18 09.05.2014 11

Brandschatzen Vor 400 Jahren kam in Cognac ein ortsbekannter Trunkenbold auf die Idee,

Gestern Medizinball, heute Sporttasche – seinen Schnaps zwei Mal zu destillieren. Peter Gnaiger hat bei den stolzen, Vom Zementsack zum schicken Accessoire, so sieht Doppelleben bei refished aus. Zirkeltraining macht es möglich. Bilder: Freitag, refished, Zirkeltraining refished, Bilder: Freitag, weltoffenen Kellermeistern der Charente nachgefragt, wie es ihnen mit dieser noch mal, Sam Philosophie heute geht. Spiel’s Bilder: Fotolia, Plainpicture

Reinkarnation sagen die ieses Karma ist etwa, wenn man als leerer Stück ist ein Unikat, trotz einer Jahresproduktion von 400.000. wei Mal muss er durch die Hölle gehen. Dann lebt den Wein aus der Charente für den Transport haltbar zu Zementsack in Südostasien noch eine Auch Bernd Dörr ist mit seiner „Zirkeltraining“-Kollektion auf er.“ Gérard nimmt einen Schluck. „Double, verstehst machen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts sei der Branntwein Religionen dazu. Eine Zeitlang zum Transport von Hühnerfutter dem Weg zur Legende – mit witzigen Texten zu seinen Taschen, du?“, fragt er. Mehr als 400 Jahre soll es her sein, seit auch regelmäßig in Wein rückverdünnt worden. „Für mich herhalten muss, dann aber endgültig auf echt berlinerisch eben: „Die feine Dame von Welt trägt jetzt auch ein ortsbekannter Trunkenbold in dem verschlafenen ist der Cognac eine Art Vorläufer der UNO“, sagt Gérard. Was zweite Chance also, oder der Müllhalde vergessen wird. Gutes Karma gebrauchtes Sportgeräte-Leder und alte Turnmatte.“ Nest Cognac auf die Idee gekommen ist, seinen er anhand der wohl bekanntesten Cognacmarke erklärt: Die ist, wenn man als leerer Zementsack in Wer bei Upcycling an Schnäppchen denkt, liegt daneben. Schnaps zwei Mal zu brennen. „Die Leute erzählen, heißt Hennessy. Sie wurde 1765 von einem irischen Offizier vielleicht sogar gleich den Händen von Sissi Vogler landet. Dann Für den Preis bekommt man aber einiges: Individualität, es sei der Chevalier de la Croix Maron gewesen. Aber namens Joseph Hennessy gegründet, der vor den Engländern geht das Leben erst richtig los – als Handtasche, Laptop-Hülle gutes Gewissen und teils wirklich originelles Design. Wie wissen tun sie es nicht.“ nach Cognac flüchtete. Sein Nachfahre Kilian Hennessy schloss mehrere: Wenn es mit Moder Geldbörse. Die lässt die Salzburgerin in zwei kleinen bei den regenbogenfarbenen Sneakers von Não do Brasil, die Willkommen in der Welt des Cognacs. Diese Welt ist das sich 1971 mit dem Champagnerhersteller Moët-Chandon Manufakturen produzieren, mitten in Kambodscha. Verkauft in brasilianischen Armenvierteln aus Recyclingmaterialien Gegenteil der Welt des Whiskys, der in den vergangenen Jahren zusammen, 1987 nahmen die Schluckspechte dann noch den der ersten Existenz werden die Accessoires in Österreich etwa auf Designmärkten handgenäht und auch in Europa vertrieben werden. Die Teile Hand in Hand mit der Digitalisierung des Alltags dem Cognac Handtaschenhersteller Louis Vuitton mit ins Boot – unter dem und in ausgesuchten Boutiquen. Name: refished. haben längst die Laufstege erobert. Wie auch die Taschen den Rang ablief. „Facebook und Single Malt – beides belanglose Namen Moët Hennessy Louis Vuitton (LVMH) entstand der nicht so ganz geklappt Die Suche nach einem eigenen Label brachte die Dreißigjährige aus Recycling-Pet-Flaschen von Mandarina Duck oder etwa Selbstdarsteller“, schimpft Gérard. Dann erzählt er über den weltweite Branchenführer in der Luxusgüterindustrie. bis nach Asien und zu den Zement- und Fischfuttersäcken. Designs der Queen of Punk, Vivienne Westwood. Die stellt ihre Werdegang eines Whiskyfasses, das so wichtig ist für den Jedes Haus in Cognac hat so seine Geschichte. Das Problem ist hat, dürfen die, die brav Dünn, wasserabweisend und reißfest – super Material, hat sie Models sogar in Müllsäcken auf den Catwalk. „Ich glaube nicht Geschmack: „Das kommt als Weinfass im Bordelais zur Welt. nur: All diese Geschichten sind heute zu lang geworden und sich gedacht. Es folgen die ersten Taschendesigns und die Suche an Wachstum, wenn das des einen Vorteil, aber des anderen Wenn es ausgelutscht ist, kaufen es die Portugiesen für ihren man kann beim Erzählen auch nichts weglassen. So wie bei waren, im Autodrom nach fairen Produktionsmöglichkeiten. Sie entscheidet sich für Nachteil bedeutet.“ Portwein, und wenn die dann sagen, es taugt nichts mehr, dann der Geschichte von Otard, der in Château de Cognac destilliert Kambodscha. Und für zwei Werkstätten, in denen Minenopfer Barbara Irma Denk hat gemeinsam mit Lisa Niedermayr verkaufen sie es weiter nach Schottland, zu unseren knausrigen wird. Dieser Familienbesitz wurde 1991 vom italienischen des Lebens eine weitere, arbeiten. Die gewaschenen und mit Steinen geriebenen vor einigen Jahren den „Slow Fashion Award“ ins Leben Erbonkeln“, sagt Gérard. Cognac komme natürlich nur in frisch Konzern Martini & Rossi aufgekauft. Heute gehört Otard dem getrockneten Säcke werden mit Baumwollfutter verarbeitet. gerufen – als „erster Modebewerb zur Bewusstmachung und gefertigte Eichenfässer aus dem Limousin und dem Morvan. amerikanischen Bacardi-Konzern, der seinen Firmensitz auf bessere Runde drehen. Vor einem Jahr waren dann die ersten 500 Taschen fertig. Nun Veröffentlichung ökologischer Strategien in österreichischem Was das Verhältnis der Schotten zu den Franzosen betrifft, den Bermudas hat. Dorthin lieferte bereits der Firmengründer werden die Kollektionen erweitert, aber alles mit Ruhe. „Ich Modedesign“. Auch wenn manche Idee nur als Prototyp könne man sich eben nur auf einen Satz einigen: Was sich liebt, Jean-Baptiste Antoine Otard (1763–1824) seinen Cognac. Dieser Das gilt für Menschen möchte, dass es wächst, aber langsam und gesund.“ das Licht der Welt erblickt, an engagierten Designern das neckt sich. Herr stammte von einem Wikinger namens Ottar ab. Dieser Karin Zoppoth hingegen fand ihren Rohstoff quasi vor der mangelt es hierzulande nicht. Ein paar Beispiele: die „Was wir jetzt trinken, das haben uns die Engel übrig gelassen“, musste im 9. Jahrhundert nach Schottland fliehen. Als Anhänger und Tiere. Barbara Haustür. Denn seit die Kärntnerin ihre Taschenidee hatte, TrashDesignManufaktur macht aus Waschmaschinentrommeln fährt Gérard fort. Die Franzosen haben schon vor Jahrhunderten der Stuarts folgte der Urgroßvater des Firmengründers seinem sammeln Bekannte in ganz Kärnten und im benachbarten Italien Hocker und aus Handytasten Halsketten. Bei Gabarage mutieren die Engel zu ihren ersten Verkostern erkoren: damit sie einen König Jakob II. ins französische Exil. James Otard kämpfte im Hutter geht einen Schritt leere Kaffeepackungen für sie. Die werden in einer Behinderten- alte Filmstreifen zu Lampen und Mülltonnen zu Sofas, Julia unantastbaren Schuldigen für das Fehlen von Hunderttausenden Dienst des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. und wurde werkstätte zu witzigen Taschen genäht – Hunderte Coffeebags Cepp verarbeitet für ihr Label mija t. rosa Stoffreste und Litern Cognac in ihren Kellern präsentieren können. Jahr für dafür im Jahre 1701 mit der Baronswürde belohnt. weiter und fragt sich: hat Zoppoth schon verkauft, was dabei rauskommt, geht zu Recyclingstoffe, und die Wienerin Anita Steinwidder produziert Jahr verdampfen in den Kellern der Charente unvorstellbar große Am nächsten Tag führt Gérard seinen Besuch durch die 100 Prozent über den Kiwanis Club Gailtal an bedürftige Kinder edle Kollektionen aus gebrauchter Kleidung, die zerschnitten, Mengen Cognac. Allein bei Otard wird diese Menge mit drei Keller von Otard. Auf den Fässern stehen Kürzel – nur der Gilt das auch für Dinge? in Kärnten und im indischen Dharamsala. zerrissen und neu arrangiert wird. Alte Herrenhosen und Millionen Flaschen beziffert – jährlich. Kellermeister könne sie entschlüsseln, sagt er. „Er lebt in seiner Beim Upcycling wird aus Abfall ein neues Produkt. Mit Hemden werden bei Milch zu Kleidern und Blusen und recycelte Gérard nimmt einen Schluck und seufzt: „Aaah. Formidable.“ geheimen Welt.“ Eine Welt, in die nur sein Lehrling Einblick weniger Energieaufwand als beim Recycling und mit einer Fahrradschläuche erhalten bei Kontiki ein zweites Leben als In seinem Glas befindet sich Weinbrand aus dem Haus Pitaud. erhalte. „Die beiden kosten, bis sie den perfekten Tropfen Wertsteigerung. Von der Ästhetik ganz zu schweigen. Das Business-Taschen. Mäntel aus gebrauchten Armeedecken gibt’s „Die fügen jedem Fass eine kleine Menge eines mehr als 100 gefunden haben“, sagt Gérard. Die beiden beschränken sich weiß niemand besser als die Fangemeinde der Brüder Freitag. bei km/a, und bei all upcycled finden sich Mode, Schmuck und Jahre alten Eau de vie hinzu“, sagt er. Lebenswasser? „Ja, das auf Schauen und Riechen. Die Touristen dürfen dagegen Deren Taschen sind Kult. Die Idee fürs Material lieferte der Accessoires aus Altholz, Glas oder Plastikflaschen. ist eigentlich ungenießbar. Es verbleibt nach dem doppelten richtig kosten. Der Cognac schmeckt himmlisch. Später pflanzt Schwerverkehr, der vor den Fenstern ihrer Wohnung brummte. Wer den Rohstoffen eine zweite Chance gibt, nimmt der Mode Brennvorgang in der Brennblase des Alambic charentais. Das sich der Kellermeister vor uns auf. Wie hat er denn die Sorten Spätestens alle acht Jahre muss so eine Lkw-Plane ausgewechselt die Oberflächlichkeit, dem Konsum die Gedankenlosigkeit. Die Herz – also das Mittelstück – wird entnommen. Verstehst diesmal gemischt? Er verzieht die Augenbraue und sagt: „Ich bin werden. Die schönsten davon werden zu „Individual Recycled Spuren des alten Lebens dürfen schon sichtbar sein, schließlich du? Wir sprechen hier von Alchemie. Nicht vom Brennen.“ Kellermeister – kein Waschweib.“ Schade. Ein bisschen mehr Freewaybags“ in der „F-abrik“ Noerd bei Zürich verarbeitet. Jedes haben auch Dinge ihre Vergangenheit. Vielleicht sogar Karma. Damals sei es in erster Linie auch nur darum gegangen, Doppelleben könnte ihm in diesem Fall gar nicht schaden. Bilder: A.Kolarik, Getty Images, Privat, SN Weitere prominente Paarungen: Schauspielerinnen und Unternehmerinnen Mary-Kate und Ashley Olsen, Künstlerpaar EVA & ADELE, Zauberkünstler und Dompteure Siegfried und Roy, Komikerduo Stan Laurel und Oliver Hardy, Musiker Wildecker Herzbuben, Zwillings-Showgirls Alice und Ellen Kessler, Komikerduo Muckenstruntz & Bamschabl, Comic-Doppel Fix und Foxi. Sexlos leben und sich nie überraschen

Ob im Radio, auf pur: Wie sehr beeinflusst es Ihr Leben, Sie noch im Fernsehen gesehen.“ Wenn Arschloch da, wenn man dem Zwölften Grissemann: Das kommt auf das Projekt pur: Wer hat dem anderen beruflich mehr daran denke ich immer, wenn ich Duos Stermann: Ich finde Pension das dass Sie Fernsehstars sind? du nackt in der Sauna sitzt, willst du das an diesem Tag sagt, ich habe keine Zeit an. Die Handywerbung war natürlich weitergeholfen? höre. Schlimmste. Ich möchte arbeiten, bis ich der Bühne oder Dirk Stermann: Nicht wenig, weil man nicht. für ein Handyfoto. Vor allem wenn das eher ein deprimierendes Gefühl. Aber Stermann: Wir helfen uns beide, indem Grissemann: Wir fahren trotzdem umkippe, also möglichst 30 Jahre noch. dadurch, dass man im Fernsehen arbeitet, Handy nicht funktioniert. Manchmal hat man bekommt halt gut bezahlt, und für wir diese Möglichkeiten, die sich uns gemeinsam zum Auftritt, haben uns aber in „Willkommen ein sehr veröffentlichtes Leben lebt, pur: In welchen Situationen haben Sie das man das Gefühl, dass man schon eine Geld mach ich immer noch fast alles. öffnen, ganz gut nutzen können. Da auch nichts zu sagen. pur: Ein Österreicher und ein Deutscher – wenn man sich ganz normal durch seine Gefühl, ein Doppelleben führen zu müssen? Stunde am Tag wartet, dass jemand den Man sammelt Geld, häuft Reichtum an ist keiner führend. Wir hatten auch nie Stermann: Wir schätzen das, doch wie Sie „Oachkatzlschwoaf“ sagen, ist Österreich“ – Dirk Stadt bewegt. Man wird ununterbrochen Grissemann: Ich führe ein Leben als richtigen Knopf an dem Scheißhandy und will immer mehr. Ich bin einer der Masterpläne. Wir haben das ja alles stillschweigend nebeneinander zu sitzen. da doch schon mehr Österreicher in Ihnen? angeglotzt, und das hat verschiedene TV-Mensch und als Privatperson. Ich bin findet. Ich glaube, dass das Leben als gierigsten Menschen überhaupt. Aber spielerisch begonnen, noch ohne Idee, Stermann: Hier sagt das ja keiner. Stermann und Christoph Seiten, oft sehr nervige. Auch wenn ja im privaten Leben nicht darauf aus, Fernsehmensch angenehmer war, als es sympathisch gierig. dass das unser wirklicher Beruf werden pur: Wie lang wollen Sie noch gemeinsam Ich hab noch nie jemanden wirklich wir sehr freundlich von den Leuten Schlagfertigkeit zu beweisen. Im Privaten noch keine Handys gab. Als die Menschen Stermann: Es ist schon angenehm, hin könnte. arbeiten? „Oachkatzlschwoaf“ sagen hören. Ich bin Grissemann sind schon beobachtet werden – wir werden halt ist es mir sehr recht, wenn es ruhig noch mit Festnetzen unterwegs waren. und wieder mal etwas allein zu machen. Grissemann: Ich bis 50. Klare Antwort. Deutscher in Österreich, aber habe mit ständig beobachtet, und darauf hat man zugeht und vor allem ohne Humordruck. Grissemann: Erkanntwerden wäre das Aber allein, ohne den anderen, darauf pur: Welches der großen Duos ist Ihr Beruflich. Freundschaftlich, solange es Deutschen in Deutschland genauso wenig lang in der obersten keine Lust. Insofern ist es viel zu schlecht Stermann: Ich bin ein sehr höflicher Allerletzte, was ich vermissen würde. Nie. zu warten, dass man dran ist, finde ich Vorbild? geht. zu tun wie Österreicher. Ich bin schon bezahlt beim Fernsehen, weil man Mensch und deswegen neige ich dazu, schrecklich. Grissemann: Stan Laurel und Oliver so lang weg, ich habe das Gefühl für das heimischen Humorliga dadurch so viel Freiheit verliert. Menschen, die auf mich zukommen, pur: Sie führen auf jeden Fall in einem Hardy. Das sind Humorvorbilder. Immer pur: Dann ist genug Geld zum Aufhören Land verloren, ich weiß gar nicht mehr, Christoph Grissemann: Der Trick höflich zu begegnen. Was die nicht anderen Sinne ein Doppelleben – Stermann pur: Die drei Monate Pause voneinander, schon gewesen und werden das auch da? wie man als Deutscher sein muss. angekommen. Julia ist, Urlaub zu machen, und das nicht wissen, ist, dass sie nicht die Ersten sind, ist ohne Grissemann schwer denkbar, die Sie sich im Sommer verordnen – immer sein. Grissemann: Das hoffe ich sehr. in Österreich. Schon in Bratislava ist die an diesem Tag auf mich zukommen, umgekehrt genauso. Beide absolvieren Sie wie wichtig sind die für Ihre kreative Stermann: Ich habe kein Vorbild. Wahrscheinlich wird nicht genug Geld pur: Wann haben Sie sich das letzte Mal Evers hat mit den beiden man ein kompletter Noname, was sehr und je nachdem, wie es mir psychisch aber Projekte ohne den anderen – Stermann Zusammenarbeit? Wir haben nur einmal gehört, dass da sein, dann muss ich vielleicht bis 55 gegenseitig überrascht? angenehm ist. geht, hat nicht jeder das Recht, von mir schreibt Bücher, Grissemann wirbt als Grissemann: Null wichtig. Sobald wir die Wildecker Herzbuben immer in ausweiten. Das wäre mein Traum, mich Grissemann: Noch nie. über ihr Leben als Duo Stermann: Wobei, in Ostungarn in der freundlich behandelt zu werden. Jeder Kunstfigur in Lederhosen im deutschen uns wieder treffen, ist die Erholung sofort getrennten Autos zu den Konzerten mit 50 rauszunehmen und dann nur Stermann: Das ist am besten. Sexlos Sauna kam ein älteres Ehepaar auf mich glaubt aber, dass er dieses Recht hat. Fernsehen für Handys – ein erhebendes vorbei und man ist wieder in der alten, fahren, weil sie sich nichts mehr zu sagen noch am Tisch zu sitzen und zu essen, zu leben und sich nie überraschen, dann gesprochen. zu und meinte: „Ach, gerade haben wir Und man steht sofort als arrogantes ORF- oder ein frustrierendes Gefühl? vielgehassten, vielgeliebten Tretmühle. haben. Das finde ich schrecklich und trinken und zu schauen. kann man 30 Jahre zusammenarbeiten. Bild: Volker Weihbold Bild: Volker Ich bin mehrere Nr. 18 11.10.2013 15 Jeder hat ein Doppelleben. Das fängt schon an, wenn sich Kinder in der Volksschule einen Tisch teilen. Und es geht damit weiter, dass sie dort manchmal andere Dinge Simon und Julian Krimplstätter Richard Weyringer Rüdiger Opelt tun, als sie eigentlich wollen. Ein Gespräch mit fünf Menschen, die ein Doppelleben führen.

Suzanne Harf, Peter Gnaiger, Christian Resch Elfriede Windischbauer Gudrun Doringer und Christian Resch

leine Holzsessel, niedrige Doringer: Wie sind Sie denn auf die Resch: Richard, wenn irgendwer das dass du heute schaffst. Jetzt geht das nicht Wenn man uns gut kennt – auch unsere Doringer: War das schon einmal so, dass Opelt: Und es wird wahrscheinlich Rüdiger Opelt Tische, selbstgemalte Austria gekommen? Zeug zur Stadion-Security hätt, dann mehr so leicht, als Militärpfarrer und mit Freunde sagen: Ihr seids wie Feuer und euch dieselbe gefallen hat? nirgends so viel gelogen wie in Paartherapeut, verdient sein Geld mit Bilder. So sieht es aus in der Windischbauer: Mein Sohn, der ist jetzt wärst das eh du. Wie schaut das bei dir vier Pfarren. Jetzt brauch ich einen Wasser. Ich seh ihn auch nicht wie ich, Simon & Julian: Nein. Gott sei Dank Beziehungen, sag ich jetzt ganz hart. Seitensprüngen seiner Kunden 4b der Volksschule Mülln. 24, hat ab fünf Jahren bei Austria aus? Kalender, bis 35 hab ich keinen Kalender sondern er ist halt mein Bruder. nicht. Wenn man hinter die Kulissen schauen Und dann ist da dieser ganz Salzburg gespielt und da war ich eine der Opelt: Das hab ich mir auch schon gehabt. Ich hab mich nicht total verändert. Doringer: Habt ihr euch extra Julian: Wir haben bisher ganz kann, gibt es ganz viele Beziehungen, wo Simon und Julian Krimplstätter besondere Geruch. Schule Fußballmütter. Und bin halt jeden gedacht, der schaut so aus. Ich schau viele Dinge jetzt anders an. verschiedene Frisuren gemacht, damit wir unterschiedliche Freundinnen gehabt. ein Doppelleben verschwiegen wird. Und mögen es nicht, wenn sie nur eben. Als die zierliche Nachmittag im Panorama-Center Resch: Erzähl uns doch ein paar Doringer: Zum Beispiel? euch auseinanderhalten können? Simon: Ich hoffe, uns wird das nie wenn das aufkommt, dann bricht die „der Zwilling“ genannt werden Rektorin Elfriede Windischbauer auf gesessen und hab gewartet, bis das Stationen von deinem Leben. Da gibt’s ja Weyringer: Zum Beispiel einen Julian: Nein, ich war so müde, mich hat’s passieren. Das passt jetzt derweil. Weil große Krise aus. Und dann braucht man einem Ministuhl Platz nimmt, wirkt das Training wieder vorbei ist. Und da hab ich ein paar. Menschen. Ich hab früher Menschen nicht mehr gefreut. sonst wär’s ein bisschen blöd. einen Therapeuten. Elfriede Windischbauer fast elegant. Beim Hundert-Kilo-Hünen mir die Spiele von den Großen dann auch Weyringer: Was ich gemacht hab, hab angeschaut – optisch, groß, angezogen, Doringer: Hat das schon einmal genervt, Direktorin der Pädagogischen Hochschule Richard Weyringer weniger grazil. Egal. irgendwann angeschaut. ich immer sehr extrem gemacht. Ich war wo kommt er her? Was ist er? Jetzt dass da wer ist, der einem so ähnlich ist? Psychologe Rüdiger Opelt hat sich das alles Jemand wirft ein, dass Alkohol dazu geeignet Salzburg und Fanartikel-Verkäuferin der Schon sitzen alle in ihren Bänken. Resch: Aber Sie spielen selbst nicht, beim Jagdkommando als Berufssoldat. probier ich, Seelsorger zu sein. Ich schau Setzt man manchmal Aktionen, wo man geduldig angehört. Er macht keine Notizen ist, die Mauer zwischen der erwünschten und Austrianer oder? Dann war ich Wirt. Und wie ich Wirt war, in die Augen, ob ich was spür. Schaut er sich ganz bewusst unterscheidet? auf einen Block, aber man hat das Gefühl, der unerwünschten Seite im Menschen Bergauer: Wie fühlt man sich wieder in Windischbauer: Na, ich spiel selbst ist die Berufung gekommen zum mich an, fragend? Möchte er mit mir ein Simon: Das sehen vielleicht andere so, dass er geistig alles mitnotiert hat. Er ist aber einzureißen. Saufen als Therapeutikum? Richard Weyringer so einer Klasse herinnen? nicht, aber ich bin total am Fußball Glauben. Gespräch führen? Man kann in den dass wir so gleich sind. so höflich, keine Diagnosen bekanntzugeben. Pfarrer mit Vergangenheit als Wirt und Weyringer: Bin i öfters. interessiert. Jetzt war ich gerade mit Resch: Was hast du für ein Augen sehr viel sehen. Die Augen sind Julian: Eigentlich ist das wie eine gute Opelt: Ja, die Kontrolle sitzt da vorn im Elitesoldat Religionsunterricht. meinem Mann drei Tage in Berlin und da Berufungserlebnis gehabt? ein Teil der Seele. Freundschaft. Dass dein Bruder dein Doringer: Herr Opelt, mit Beziehungs- Stirnhirn. Das ist dann lahmgelegt, wenn Direktorin Gassner: Wo unterrichten hab ich mir dann Cottbus gegen Weyringer: Keines. Das ist gewachsen. bester Freund ist, dass er die gleichen kisten kennen Sie sich aus. Sie verdienen man betrunken ist, und dann sprudelt Eingeladen sowie das Gesagte und Erlebte Sie? St. Pauli angeschaut. Ich bin sehr froh, dass ich kein Weyringer wird noch gefragt, wie er es denn Vorlieben hat. Es wird immer geredet von mit Seitensprüngen Ihr Geld, richtig? alles heraus. zusammengefasst haben Gudrun Weyringer: Jetzt gar nicht mehr, weil ich Resch: Cottbus – St. Pauli? Berufungserlebnis gehabt hab, sonst wär mit dem Zölibat aushält. Wo er doch so viel wegen Konkurrenzkampf, und wer hat die Opelt: Ja, ich schreibe Bücher darüber Resch: Total therapeutisch, oder? Doringer und Christian Resch. ja vier Gemeinden hab, das ist relativ viel. Windischbauer: Ja, also ich bin St.-Pauli- es ein Strohfeuer gewesen, so wie ich Testosteron verströmt. Weyringer sagt aber, er schönere Freundin. und ich lebe als Psychologe davon, dass Weyringer: Zu mir in die Beichte Joachim Bergauer war mit der Kamera Das ganze Gasteiner Tal. Fan in der deutschen Bundesliga. mich kenn. Mit 30 Jahren ist eine hat kein Problem damit. Er hat sich ja in Resch: Na – wer? die Leute ein Doppelleben haben. kommen sie jetzt nicht mehr rauschig. dabei. Bergauer: Dann kennen Sie sicher meine Doringer: Was für eine Art von Entwicklung gekommen, wo ich gemerkt seinen vorigen paar Leben schon austoben Simon: Er sagt natürlich, seine Freundin Zusammenfassend kann man eigentlich Die, die im Lokal sind, sind die, die sagen, Tochter, die geht in Hofgastein in die Fußballfan sind Sie denn? Da gibt’s ja die hab – Interesse! können. ist hübscher, für mich ist meine hübscher. sagen, dass ein Doppelleben was ganz das schaff ich allein. Die starken Männer. Wir bedanken uns bei Direktorin Maria Schule. ganz Lauten und die eher in sich Doringer: Wo waren Sie denn Wirt Resch erzählt, dass er irgendwo in der Stadt Doringer: Müsst ihr eigentlich noch Normales ist. Jeder hat zwei Seiten, eine Die, die zum Psychologen kommen, bei Gassner von der Volksschule Mülln, die für Weyringer: Ja sicher, war schon beichten. Gekehrten – zu welcher Sorte gehören vorher? einen Doppelgänger hat, nur hat er den noch miteinander reden? erwünschte, wie man sich selbst gern denen ist die Schwelle schon gesunken. dieses Gespräch ein Klassenzimmer zur Bergauer ist kurz beunruhigt, dann stellt er Sie? Weyringer: In Neumarkt am Wallersee nie getroffen. Deshalb will er von den Julian: Oft nicht. Ich kenn ihn, bevor ich sieht, so wie einen auch die anderen Die wissen, sie brauchen Hilfe. Verfügung gestellt hat. fest, dass das ein Scherz war. Windischbauer: Ich bin mehr der und in Salzburg. In Neumarkt war’s ein Zwillingen wissen, ob man als Zwilling nicht auf der Welt war. Wir waren ja schon im haben wollen, und eine unerwünschte Simon: Ich möchte nüchtern so über flehende Typ. Immer wenn einer unserer Café und ein Pub und in Salzburg war’s manchmal eine Identitätskrise bekommt – Bauch miteinander. Von dem her weiß Seite. Und das fängt in der Kindheit an, meine Probleme reden können, wie wenn Es geht ja um „Doppelleben“, und Spieler, also der Perlak zum Beispiel, den die Tennishalle in der Paracelsusstraße. wenn es einen quasi doppelt gibt. ich oft genau, wenn ihn was stört. Da dass man genau merkt, was die Eltern ich angesoffen wäre. Windischbauer hat ein besonders lustiges: Ball hat, dann schrei ich immer ganz War eine Goldgrube. genügt oft ein Blick. haben wollen. Und dass man noch stärker Sie ist als Rektorin der Pädagogischen flehend. Doringer: Waren Sie da irgendwie auf Julian Krimplstätter: Also so würd ich Simon: Früher war das noch besser. Wir merkt, was die Lehrer haben wollen. Ein frommer Wunsch. Mittlerweile sinkt die Hochschule für tausend Studenten und Sinnsuche? das nicht sagen, dass ich da kämpfen leben uns ein bisschen auseinander. Seit Abendsonne, Herr Weyringer muss weiter, 400 Professoren zuständig. Und sie ist einer Richard Weyringer schaut überhaupt nicht Weyringer: Nein, gar nicht. Ich bin kein muss, dass ich ich selbst bin. Wir ich arbeite, trennen sich die Wege. Aber Kurze Pause. Kurzes Nachdenken der die Frau Direktor muss die Schule zusperren. der leidenschaftlichsten Fans der Salzburger flehend. Er wirkt sehr unerschütterlich, wie er Typ, der plant. Eher für einen Tag, da bin unterscheiden uns schon extrem vom das ist irgendwie gut. Man merkt, dass Anwesenden über ihre unerwünschten Seiten. Man erhebt sich von den Minisesseln. Teils Austria. Sie verkauft sogar bei den Spielen so dasitzt. ich sehr biblisch. Jesus sagt: Was Charakter her. Er ist der Überpünktliche, jeder noch ein eigener ist. Wir können ja Fotograf Bergauer denkt besonders lang nach. um im Bräustübl Mülln die Mauern der die Fanartikel aus dem Container heraus. kümmerst du dich um morgen, schau, ich komm eher zehn Minuten zu spät. einmal beide nicht dieselbe Frau heiraten. eigenen Persönlichkeit niederzureißen.

Als ich Wirt war, ist die Berufung gekommen zum Glauben. Richard Weyringer Seit ich arbeiten geh, leben wir uns auseinander. Simon Krimplstätter 16 09.05.2014 Nr. 18

Neues Spiel, Giuseppe Koschier – heute ist er Schneider

Koschier aktiv (stehend, 3. v. l.) Walter Schleger in Aktion (r.) am Ball (r.) Christian Fürstaller im Teamtrikot (r.) neues

Schleger als Wissenschafter (l.) Hanappi als Architekturstudent Fürstallers 2. Karriere (mitte) Leben VOTAVA /Historisches Archiv, Vetmeduni SK Rapid/Arbeiterzeitung, SW, Picturedesk, Bilder: GEPA,

Einmal im Fußball, ach dem Spiel ist vor dem Spiel. Mit dieser aber nicht wirklich glücklich. Aus Kostengründen musste der Erkenntnis ist bereits die Grundvoraussetzung Bau um 90 Grad gedreht werden, sodass bis heute ein kräftiger immer im Fußball? erfüllt, die typische Nachfußballer-Laufbahn als Wind durch die Arena zieht. Nach seinem Tod 1980 wurde das Trainer einzuschlagen. Weil die Jobs rar sind, Stadion nach ihm benannt. Nicht jeder Ballartist bietet die Branche immer mehr Möglichkeiten: Fernab des Fußballs verlief auch das Berufsleben eines Sportdirektor, Teammanager, Spielerberater, Nebenspielers von Gerhard Hanappi in der Nationalmannschaft. landet automatisch Talente-Scout, Video-Analyst, Veranstalter von Walter Schleger war eigentlich Stürmer, musste aber im Soccer Camps, Betreiber von Fußballhallen, Schuhspezialist, wichtigsten Spiel seiner Laufbahn Verteidiger spielen. später auf der NGeneralimporteur für einen Sportartikelhersteller – irgendwie Im Halbfinale der Weltmeisterschaft 1954 unterlagen die bleiben fast alle in der Szene. Aber eben nur fast alle. Österreicher Deutschland mit 1:6, und Schleger war in seiner Trainerbank oder im Fußball war, was heute fast vergessen ist, ursprünglich ein ungewohnten Rolle ein armer Hund. Ein wegweisendes Erlebnis, Spiel der Eliten. Entstanden an Hochschulen, traten in der Schleger sollte später zu einem führenden Experten für die Managersessel seines fußballerischen Steinzeit angehende und praktizierende Zucht, Pflege und Erziehung von Haushunden werden. Viele Physiker, Ärzte und Geschäftsleute gegen den Ball. Noch Jahre fungierte Walter Schleger als Vorstand des Instituts für Vereins. Gerhard war mit dem Sport kein Geld zu verdienen. Also blieb er Tierzucht und Genetik der Veterinärmedizinischen Universität ein Freizeitvergnügen, dem man sich vor der glänzenden Wien. Öhlinger hat in den akademischen oder auch kommerziellen Berufslaufbahn eine Wahrhaft doppelgleisig verliefen die beiden Leben von Zeitlang widmete. Giuseppe Koschier: 1960 trug er zwei Mal das Nationaltrikot, Archiven gegraben Das erste bemerkenswerte Doppelleben im österreichischen im selben Jahr absolvierte er die Meisterprüfung als Schneider Fußball begann gleich mit der Premiere dieses Sports auf und versorgte alsbald in seinem Schneideratelier „Baron und festgestellt, heimischem Boden. Im Frühjahr 1894 traten in Graz zwei Giuseppe Koschier“ in der Wiener Innenstadt die Kundschaft Mannschaften des Akademisch-Technischen Radfahrvereins mit Maßkleidung. Nach wie vor ist der mittlerweile 78-jährige dass große Namen im ersten Fußballspiel in Österreich gegeneinander an. Dabei Kommerzialrat Koschier Bundesinnungsmeister-Stellvertreter stand Fritz Pregl, angehender Doktor der gesamten Heilkunde, der Bekleidungsgewerbe Österreichs. Über alte Fußballzeiten im österreichischen unter den 22 jungen Männern auf dem Platz. Für seine plaudern konnte er da mit . Der einstige brillante bahnbrechenden Entwicklungen auf dem Gebiet der klinisch- Verteidiger schaffte es neben seiner Tätigkeit als Filialleiter eines Fußball den Sprung in chemischen Analyse erhielt er 1923 den Nobelpreis für Chemie. Wiener Modegeschäfts, als österreichischer Fußballteamchef zu Ob Pregls Fußballkünste zu höheren Weihen gereicht hätten, amtieren. Ein Doppelleben, das ihm zum Verhängnis werden ein spannendes Leben ist nicht bekannt. In späteren Generationen herausragender sollte: Kaum hatte er die WM-Qualifikation für 1982 erfolgreich rot-weiß-roter Kicker führten selbst Nationalspieler ein sportlich- absolviert, enthob ihn der damalige Präsident seines Amtes. abseits des grünen akademisches Doppelleben. Nicht nur ein Mal musste sich Stotz, so der Vorwurf, habe sich wegen seines Zweitjobs zu Verteidiger Gerhard Hanappi, der 93 Länderspiele für Österreich wenig um die Fußballer gekümmert. Rasens schafften. bestritt, auf langen Reisen von den Kameraden anhören: „Leg Ein solcher Fauxpas könnte Christian Fürstaller nicht die Bücher weg und spiel an Schnapser mit uns!“ Der vielseitig passieren. Der frühere Verteidiger im Erfolgsteam der 1990er- einsetzbare Rapidler lehnte dankend ab, firmierte ab 1959 als Jahre von Austria Salzburg und fünfmalige Nationalspieler „Ing. Hanappi“ in den Mannschaftsaufstellungen und wurde tauschte Fußballtrikot gegen Businessanzug. Er machte Architekt. Mit seinem Meisterwerk kehrte er zum Fußball in der Speditionsbranche Karriere und ist heute CEO von zurück. Das 1976 fertiggestellte Wiener Weststadion machte ihn Quehenberger Logistics. Die Genies im Schatten

Keine Frage: Thomas Anders klingt hitverdächtiger als Bernd Weidung, Inga Lindström romantischer als Christiane Sadlo und Kirk Douglas stärker nach Hollywoodstar als Issur Danielowitsch Demsky. Doch nicht jeder, der sich für die Öffentlichkeit eine zweite Identität zulegt, will damit etwas hervorkehren. Viel öfter sollen Pseudonyme das wahre Ich verschleiern. Clemens Panagl wirft einen Blick hinter die Fassaden prominenter Doppellebenskünstler. Bild: Plainpicture

ie Bestsellerautorin tobte. Aber der eine Eingeweihte Rowlings Versteckspiel. Vor der löste. Für eine Instrumentalversion seines Soloalbums versteckt hatte. Stars wählen Pseudonyme, wenn sie sich Anlass für ihre Wut hob bei einem Erfindung des Internets mussten sich Pseudonymjäger „Ram“ hatten er und seine Frau Linda McCartney ohne Erfolgszwang austoben wollen, und Unbekannte Verlag in München die Feierlaune. schon mehr anstrengen, um zu beweisen, dass ein die Kunstfigur Percy Thrillington vorgeschickt. suchen Künstlernamen, deren Klang ihnen die Aura Was für ein Zufallstreffer! Für einen vorgebliches Ich auch ein ganz anderer sein kann. Mit Hinweisen über ihr Auftauchen, die sie in eines Stars verleiht. 27.000 falsche Namen hat Wilfrid vierstelligen Betrag hatten die Verleger Sein berühmtes Zitat („Ich ist ein anderer“) hat der Musikzeitschriften platzierten, gaben sie ihr sogar Eymer in seinem „Pseudonymen Lexikon“ allein für die die deutschsprachigen Rechte am französische Dichter Arthur Rimbaud schon früh den Anschein einer realen Existenz. Mangelndes deutsche Literaturwelt aufgelöst. Einsamer Rekordhalter Krimidebüt eines völlig unbekannten wörtlich genommen: Unter dem Pseudonym Jean Baudry Selbstvertrauen dürfte für den Weltstar aber nicht der ist Rolf Kalmuczak, der als Vielschreiber seine Texte auf britischen Schriftstellers erworben. Die Aussicht veröffentlichte er als Jugendlicher ein Schmähgedicht Grund gewesen sein, sich hinter einem Pseudonym zu mehr als 90 Pseudonyme verteilte. aufD Erfolg war zunächst gering gewesen: Auch die gegen Bismarck. Die Autorschaft wurde erst 2008 verbergen. Anders lag der Fall bei den Frühwerken eines Nur wer gar nichts von sich öffentlich machen wollte, Verkaufszahlen des englischen Originals dümpelten (wieder)entdeckt. Wer sucht, findet heimliche Existenzen deutschen Romantikers. Wenn ein gewisser G. W. Marks brauchte lange Zeit auch kein Pseudonym. Umgekehrt im vierstelligen Bereich, trotz aller positiven Kritiken. aber nicht nur in der Literatur. Warum etwa machte sich geahnt hätte, dass die Nachwelt ihn einst als Genie feiern bedeutet das: Heute gibt es so viele Deck- und Tarn- Aber das sollte sich schlagartig ändern. Als die Londoner 1971 ein ominöser Percy Thrillington am Eigentum eines würde, hätte er seine ersten Kompositionen auch gleich namen wie nie zuvor. Das Internet hat alles Private „Times“ entdeckte, dass sich hinter dem Namen Robert Ex-Beatles zu schaffen? unter seinem echten Namen veröffentlichen können. längst öffentlich gemacht. Auf Partnersuchmaschinen Galbraith eigentlich eine Büchermillionärin versteckte, Die nagende Ungewissheit macht Pseudonyme Eigentlich hieß er Johannes Brahms. Zwischen Lust und Auktionsplattformen blüht das Doppelleben. Das schoss „Der Ruf des Kuckucks“ plötzlich auf Platz eins spannend. Bloß weil etwas auffällig nach einem Bluff und Selbstzweifel lassen sich aber immer Gründe für erklärt auch die erbitterten Debatten, für die Facebook der Bestsellerlisten. Dabei hatte sich Joanne K. Rowling klingt, muss es noch lange keiner sein. Rosamunde den Griff zum Pseudonym entdecken. Auch Angst und mit seinem Pseudonym-Verbot sorgte. Von virtuellen unter diesem Decknamen doch eigentlich von der Last Pilcher heißt wirklich so. Ihre Kollegin aus der Roman- Zwang gehören dazu. Freunden will die Internetplattform alle realen Daten ihrer Harry-Potter-Erfolge freischreiben wollen. zenabteilung hingegen, Inga Lindström, legt ihren Schriftstellerinnen wie George Sand trugen einen wissen. „Es hatte so viel Spaß gemacht, vom ersten Ableh- Deckmantel nach dem Happy End wieder ab und wird männlichen „nom de plume“, weil der Weg in die Robert Galbraith hat auch eine Facebook-Seite. Mit den nungsschreiben an“, sagte sie später, als der Zorn zur Journalistin Christiane Sadlo. Das sollte jetzt aber Öffentlichkeiten Frauen erschwert war. Salman Rushdie drei Millionen Fans von Joanne K. Rowling kann er zwar verraucht war, in einem Interview. Doch im Zeitalter nicht von den Beatles ablenken. hat seiner Autobiografie den Titel „Joseph Anton“ noch nicht mithalten. Aber das könnte sich ändern: weltumspannender Tratschdienste ist es schwer, Der Spaß muss Paul McCartney anzuhören gewesen gegeben, weil er sich unter diesem Decknamen ein Demnächst will die Bestsellerautorin in seinem Namen Geheimnisse für sich zu behalten. Via Twitter verdarb sein, als er bei einer Pressekonferenz 1989 das Rätsel Jahrzehnt lang vor islamistischen Morddrohungen ihren zweiten Krimi herausbringen. Nr. 18 09.05.2014 21

Doppelgefühl

urz vor dem Operationssaal zerrte das Doppelgefühl dann noch einmal seien schon die weiblichen Züge aufgefallen. Aber da denkt sich noch keiner etwas. heftig. „Was wird? Tue ich das Richtige? – Das fragst du dich dann auch Und während sich keiner was dachte, raste in dem Buben drin unaufhörlich eine Um sich fürs Fortgehen zu schminken, musste Lucy früher ins Auto steigen. noch ein paar Minuten vor der Operation“, sagt Lucy. Und fährt dann fort: Gefühlhochschaubahn auf und ab. „Aber das ist nicht ganz einfach. Du weißt als Kind „Das ist nicht ganz einfach.“ Lucy verwendet diese Worte oft. Die Worte ja nichts damit anzufangen“, sagt Lucy. Und erst recht weißt du nicht, wem du es Damals war sie Michael und führte lange Zeit ein aufwühlendes Leben auf einer schmalen Grenze. klingen einfach, so, als beschrieben sie etwas Alltägliches. So, als ginge es erzählen sollst. bei dem, das nicht ganz einfach war, bloß darum, einen eingerissenen Lucy wusste bald, dass sie im falschen Körper steckt. Im Körper des Buben Michael Bernhard Flieher hat Lucy auf der richtigen Seite dieser Grenze besucht. Fingernagel wieder so hinzubekommen, dass er schön lackiert werden tickten die Gefühle eines Mädchens, das später Lucy heißen sollte. Als Lucy erstmals kann. Nicht ganz einfach, aber eben auch nicht weiter schlimm, weil die Zeit alles heilt. eine Ahnung davon bekam, war sie acht. Luigi Caputo hielt diese Momente mit der Kamera fest. Herausgekommen sind diese feinfühligen Bilder. Bei Lucy aber gab es nichts zu heilen. Bei Lucy musste sich das Leben umdrehen. Von Beim Schwimmen schlüpfte sie in einen Badeanzug. Der Spaß, so erinnert sie einer Seite auf die andere. Eine komplette Umwandlung. sich ganz genau, fühlt sich sehr gut an. Und dann begann sie doppelt zu denken. Lucy ist 40. Sie hieß einmal Michael. Sie war ein Bub, dann ein Jugendlicher, der Und irgendwann begann sie doppelt zu leben. Sie musste tricksen, um so leben zu eine HTL für Maschinenbau besuchte. An dem Buben, so meinten später einige, können. Sie wusste, was sie spürte. Doch ihr Inneres passte nicht mit der Außenwelt Nr. 18 09.05.2014 23

Es gibt Menschen, die mit perfektem Aussehen und guten Manieren Leute betrügen.

Andere wiederum sagen, dass sie die Ehefrau lieben, und vergnügen sich trotzdem mit der Geliebten, um diese dann gegen die nächste auszutauschen.

Die Welt ist heute voll von Menschen ohne Skrupel und Moral. Sie ist voll großer Täuscher, die sich ein Doppelleben schaffen, bloß um daraus Vorteile zu ziehen.

Es gibt wenige auffallende Menschen, die seit eh und je ein Doppelleben in sich tragen. Ein Doppelleben, unter dem sie manchmal auch leiden.

Meine Augen sind für sie!

Ich sehe sie, wie sie sich vor dem Spiegel schminkt, ich habe das bei vielen Frauen gesehen, komischerweise haben ihre Gebärden nicht immer jene feminine Eleganz, die sie haben sollten.

Man sieht ihr Alter, ihre vierzig Jahre nicht, aber manchmal sieht man ihre zehn Jahre als Frau.

Sie hatte nie das Bedürfnis, sich ein Doppelleben zu schaffen, das Doppelleben wurde ihr in die Wiege gelegt.

Michael war äußerlich ein schöner Junge, aber im Inneren war er eine noch schönere Frau.

Sag mir, Michael

wie oft musstest du deine Eltern täuschen? Wie oft bist du aus dem Haus gegangen, bekleidet mit Hosen, um dann ins Auto zu steigen und heimlich einen Rock anzuziehen und dich zu schminken – um dein wahres Leben zu beginnen? Und abends bist du dann wieder mit Hosen bekleidet heimgekehrt.

Sag mir

wie war die Reaktion deiner Verwandten, als du ihnen eröffnet hast, dass du sein willst, wer du bist – eine Frau? Und als bei deinem zehnten Klassentreffen deine alten Schulfreunde eine schöne Frau gesehen haben und dich gefragt haben „Wer bist du?“, hast du geantwortet: „Michael!“ zusammen. Transgender war ein unbekanntes Wort, ein Tabu, wer anders war, erst Und es hat viel mit Angst zu tun und Unsicherheit“, sagt sie. Angst und Unsicherheit vorübergehendes Gefühl. Oder sagten sie Problem? Es klang jedenfalls, als sei, was Lucy tief Sag mir recht in geschlechtlicher oder sexueller Hinsicht, war ein Freak, schnell ausgestoßen, funktionieren dann als Regisseure bedrohlicher Szenarien. Die kleine Welt aus Familie und fühlte, bloß eine Krankheit, ein Symptom, das sich austreiben ließe. „Es war nicht einfach“, abgeschrieben. „Wenn es wenigstens das Internet gegeben hätte“, sagt sie. Dann hätte der Heimatstadt erlaubt das Anderssein nur mit Mühe. Die Courage, die es braucht, für die sagt Lucy wieder. Aber es wurde besser, weil sie endlich klarmachen konnte, was sie ist. wie waren die psychiatrischen Untersuchungen, die medizinischen Kommissionen, sie zumindest dorthin abtauchen können in ein für sie richtiges Leben, herausspringen anderen etwas zu werden, was man längst selbst ist, ist enorm. Und dann, wenn der Mut groß Eine teure Prozedur zwischen Psychologen und Zweifeln, zwischen Gewissheit und die Wartezeiten im Pathologie-Institut, die fünf Jahre gedauert haben, bis du die aus ihrem falschen Leben, das sie mühsam aufrechterhielt. genug ist, muss die Reaktion der Außenwelt ertragen werden. unsicheren Perspektiven begann. Wieder eine Zwischenwelt. Ein zehrender Prozess, der mit Erlaubnis erhieltst, eine Frau sein zu dürfen? Irgendwie ging sich das immer aus. Beim Fortgehen zog sie sich im Auto um, Mit 25 Jahren war „dann die Grenze erreicht“, sagt sie. Um die Grenze weiß sie genau einem richterlichen Bescheid endete, der erlaubte, dass Michael so leben durfte, wie er immer Ich kann mir vorstellen, was du verspürt hast, schminkte sich für die zwei, drei Stunden in der Disco. „Nicht ganz einfach“, sagt sie. Bescheid. Jahrelang lebte sie auf einer Grenze, durfte diese Grenze nie übersehen. Ohne diese schon gefühlt hat. Michael darf Lucy werden. Auf dem Weg in den Operationssaal wird es als du dich das erste Mal nach der Operation im Spiegel betrachtet hast. Sie ging auf der Grenze, die der einzige Zufluchtsort war. Jenseits und diesseits dieser Grenze wäre alles zusammengebrochen, was sie sich mühsam ertrickst und erschminkt hatte. aber noch einmal eng. Da zerrt das Doppelgefühl noch einmal heftig. „Was wird? Tue ich das Du hast eine mutige Entscheidung getroffen, ohne Kompromisse, wie Grenze hätten ein falsches Wort, ein falsches Kleidungsstück sie auffliegen lassen Ihre beiden Leben brauchten die Grenze. Und dann musste sie weg. „Es war genug und ich Richtige? – Das fragst du dich dann auch noch ein paar Minuten, bevor es zur Operation geht.“ nur Frauen in der Lage sind, sie zu treffen. können. Immer kam sie zwischen den Welten durch, jedenfalls äußerlich. Oder besser: war mir sicher“, sagt Lucy. Ein paar Freunde wandten sich nach dem Outing ab. Ganz zum Lucy streicht sich, während sie erzählt, mit einer weichen Bewegung die langen Haare aus dem Sie schlich sich durch. Ob sie das als Lüge empfinde? Als Selbstbetrug? So könne man Schluss waren nur noch die Eltern ahnungslos. Und die wollten kämpfen – wollten ihren Gesicht. Sie muss sich diese Frage nicht mehr beantworten. Jetzt ist sie richtig. Es war nicht Nun sag mir nichts mehr … Lucy das nicht sehen, sagt Lucy. „Es hat nichts mit Lügen zu tun, sondern mit Verstecken. Buben verteidigen. Einen Moment lang probierten sie es, sagten, das sei nur Einbildung, ein ganz einfach. Aber ganz richtig. „Ich bin jetzt, wer ich immer war“, sagt sie. Luigi Caputo

LUIGI CAPUTO Geboren in Rom. Studierte nach Abschluss der Design School Architektur. Er lebt in Österreich und arbeitet für internationale Magazine und Werbeagenturen. Er ist Salzburger Landespreisträger in der Kategorie Werbefotografie.

Represented by LAIF Agency www.caputo.at