100 Jahre Jura Soyfer

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100 Jahre Jura Soyfer DÖW DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES FOLGE 209 Mitteilungen DEZEMBER 2012 100 JAHRE JURA SOYFER Schon lange ist Jura Soyfer, „einer der großen Außenseiter der österreichischen Literatur" (Wendelin Schmidt-Dengler), kein Geheimtipp unter Literaturinteressierten mehr. Nur knapp 26 Jahre alt war er, als er – als Jude, Kommunist und antifaschistischer Autor vom NS-Regime verfolgt – im KZ Buchenwald umkam. Nach Kriegsende gerieten seine Texte für Jahrzehnte in Vergessenheit und erlebten erst in den späten 1970er-Jahren eine Renaissance. Am 8. Dezember 2012 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal – ein willkommener Anlass, an Soyfer und sein Schaffen erneut zu erinnern. Unter anderen schildert Wolfgang Neugebauer, 1983–2004 wissenschaftlicher Leiter des DÖW, im Folgenden, wie sich der spätere Gründer und Leiter des DÖW Herbert Steiner zunächst im englischen Exil, dann in Österreich für die öffentliche Rezeption von Soyfers Texten engagierte. ORF 2 zeigt am 8. Dezember ein Soyfer gewidmetes Österreich-Bild, in dem ehemalige Weggefährten zu Wort kommen und Ausschnitte aus verschiedenen Fernsehaufzeichnungen von Soyfer-Werken präsentiert werden. (S. 3 ff.) Wolfgang Neugebauer Jura Soyfer, Herbert Steiner und das DÖW Jura Soyfer war nicht nur ein Publizist und der spätere Rechtsanwalt Hugo Ebner, Soyfer im Geist des Austromarxismus er- Dichter von herausragendem Format, son- Josef Schneeweiß, Spanienkämpfer und zogen, mit dem er sich aber bald kritisch dern auch ein äußerst aktiver politischer Arzt, und Gustav Vlachov, der nach 1945 auseinanderzusetzen begann. In diese Zeit Mensch, vor allem ein bedingungsloser als Botschafter Jugoslawiens nach Wien fallen seine ersten literarischen Veröffentli- Kämpfer gegen Faschismus und National- zurückkehrte (siehe Gruppenfoto unten). chungen in der VSM-Zeitschrift Der sozialismus, der seinen Einsatz letztlich In unzähligen Veranstaltungen, Vorträgen, Schulkampf, seine Beiträge für die Arbei- mit seinem Leben bezahlte. Von Anfang an Schulungen und Diskussionen wurde Jura ter-Zeitung sowie seine Mitwirkung als war sein literarisches Schaffen mit seinem politischen Engagement auf Engste ver- knüpft, und auch sein Privatleben spielte sich im Milieu politischer Organisationen ab. Seine politische Sozialisation erfuhr der aus einer ursprünglich wohlhabenden bür- gerlichen Familie aus Odessa stammende und seit 1921 in Wien lebende Jura Soyfer in der sozialdemokratischen Jugendbewe- gung, der er sich wie viele andere aus bür- gerlich-jüdischem Milieu kommende Ju- gendliche angeschlossen hatte. Ab 1927 war er in der von Joseph Simon geführten Gruppe der „Achtzehner“ (Wien-Währing) der Vereinigung Sozialistischer Mittel- schüler (VSM) aktiv, worüber Simon in seiner Autobiographie Augenzeuge aus- führlich berichtet. Unter den Kindern und Jugendlichen waren – neben Jura Soyfer und seiner damaligen Freundin Marika Burgenlandfahrt der „Achtzehner“, einer Gruppe der Vereinigung Sozialistischer Szécsi – u. a. der gleichaltrige, gleichfalls Mittelschüler, Ostern 1929 (DÖW Foto 3844) aus Russland stammende Mitja Samuel 1. Reihe, v. l. n. r.: Hugo Ebner, Marika Szécsi, Hans Likier, Kosta Panizza, Toni Kerner, Rapoport, später Biochemiker in der DDR, Leo Turnheim; 2. Reihe: Max Dünner, Joseph Simon, Peter Strasser, Jura Soyfer, Josef der nachmalige Obmann der Sozialisti- Schwarzwald; 3. Reihe: unbekannt, Walter Häuselmayer, Mitja Rapoport, Josef Schneeweiß, schen Jugend Österreichs Peter Strasser, Alfred Rußwurm, Karl Kerndl. 2 Mitteilungen 209 Textdichter am Politischen Kabarett, einer Agitpropeinrichtung der Sozialdemokratie. Nach den Februarkämpfen 1934 schloss sich Soyfer der kommunistischen Bewe- gung an, in der er wie viele andere ent- täuschte und kämpferische Sozialdemo- kratInnen, Intellektuelle und KünstlerIn- nen die einzige Alternative zum Faschis- mus erblickte. Im DÖW liegen zahlreiche Dokumente zu Jura Soyfers Aktivitäten im Kampf gegen den Austrofaschismus. Sein Mitkämpfer Franz Marek hat darauf hin- gewiesen, dass das im Dezember 1936 ver- breitete KPÖ-Flugblatt Der Mord von Rodaun (Original: DÖW Bibliothek 4029/431) von Soyfer verfasst worden ist. Angesichts der leidenschaftlichen Sprache, mit der darin der gewaltsame Tod des kommunistischen Häftlings Richard Suchy im Gewahrsam der Gendarmerie in Ro- daun angeprangert wurde, kann an der Jura Soyfer und Marika (Maria) Szécsi, Anfang der 1930er-Jahre (DÖW Foto 2884) Autorschaft kein Zweifel bestehen. „Eine ekstatische Kampfschrift, voll Rachepa- thos, Heroik, Hymnik und der Siegesge- wissheit aller echten Kampfschriften“ – so qualifiziert der US-amerikanische Litera- turwissenschaftler und Soyfer-Herausge- ber Horst Jarka das Flugblatt und arbeitet heraus, dass Soyfer darin – in Abkehr von früheren „deutschen“ Positionen – erst- mals auch die von der KPÖ propagierte Pro-Österreich-Linie vertrat. Ungeachtet der vom Regime praktizierten Zensur von Publikationen und Theaterauf- führungen hatte Soyfer damals seine pro- duktivste Schaffensperiode; er schrieb zahlreiche Stücke für Kleinkunstbühnen sowie Beiträge für Zeitungen und arbeitete an dem Roman So starb eine Partei, seiner Abrechnung mit der Sozialdemokratie. Am 17. November 1937 wurde Soyfer ver- haftet, wobei neben illegalen kommunisti- Oben: schen Druckwerken auch unveröffentlichte Szene aus Jura Soyfers Vineta, Arbeiten beschlagnahmt wurden (eine ge- aufgeführt von der Spielgruppe naue Auflistung findet sich in der im DÖW des Young Austria; in der Mitte vorhandenen Kopie des Gerichtsaktes). Otto Tausig Das wegen Hochverrats und anderer poli- (DÖW Foto 3668) tischer Delikte geführte Verfahren wurde im Zuge der Amnestie nach dem Berchtes- gadener Abkommen im Februar 1938 eingestellt und Soyfer kam am 17. Februar 1938 – für 25 Tage – in Freiheit. Die In- haftierung unterbrach nicht nur Soyfers Rechts: politische und literarische Tätigkeit, son- Der Lechner Edi schaut ins dern – was noch mehr wog – sie führte Paradies, Inszenierung des zum z. T. unwiederbringlichen Verlust von Londoner Exiltheaters Manuskripten und unveröffentlichten Wer- Laterndl; ken, die von der Polizei und vom Gericht im Bild: Peter Preses und beschlagnahmt worden waren und ver- Marianne Walla kamen. Als Mitarbeiter des DÖW habe ich (DÖW Foto 8642) mich in den 1970er-Jahren vergeblich bemüht, durch Nachforschungen im Lan- desgericht für Strafsachen Wien und in Dezember 2012 3 dessen Depositenstelle diese Unterlagen wahrung und Verbreitung von dessen und die Schmetterlinge mit ihren Soyfer- zu finden. Werk eingesetzt zu haben. Der 1923 in Vertonungen. 1973 konnte Herbert Steiner Als Jude, polizeibekannter Kommunist Wien geborene Steiner wirkte seit 1940 als den Thomas Sessler-Verlag (Ulrich und antifaschistischer Schriftsteller war Sekretär von Young Austria und Schrift- Schulenburg) gewinnen, sich der Bühnen- Soyfer dreifach gefährdet und versuchte leiter von dessen Verlag Jugend voran. Er aufführungen anzunehmen, wodurch eine daher – gemeinsam mit seinem Freund begann Soyfer-Texte zu sammeln und trat weitere Verbreitung im gesamten deut- Hugo Ebner – am 13. März 1938 mit in Kontakt mit der Familie und Helli Andis schen Sprachraum erfolgte. Skiern in die Schweiz zu gelangen. An der (Ultmann), die Soyfer einst als seine Braut Ein Meilenstein in der vom DÖW stets Grenze verhaftet wurde er vom Polizei- bezeichnet hatte. „Wir sind sicher“, geförderten Soyfer-Rezeption war die Her- gefängnis Innsbruck am 23. Juni 1938 in schrieb Steiner am 17. Dezember 1944 an ausgabe des Gesamtwerkes durch den an das KZ Dachau überstellt. Sein Mithäft- sie, „dass [Soyfers Werk] in einem freien der University of Montana wirkenden Ger- ling Max Hoffenberg, ein späterer DÖW- Österreich, in das wir hoffentlich bald manistikprofessor Horst Jarka 1980 im Mitarbeiter, hat die gemeinsame Gefäng- zurückkehren werden, großen Anklang (damals bedeutenden) Europa Verlag; er- nis- und KZ-Haft in einem ausführlichen finden wird.“ Horst Jarka hat zu Recht weiterte Neuausgaben erschienen 1984 Bericht (veröffentlicht in: Fritz Herrmann, dazu angemerkt, dass sich diese Hoffnung und 2002. In meisterhafter Weise hat es Jura Soyfer. Die Anfänge eines volksver- nicht erfüllte. In den Jahren nach 1945, Jarka verstanden, Werk, Autor, Milieu und bundenen österreichischen Dichters, phil. während der Zeit des Kalten Krieges, als politisch-gesellschaftliche Verhältnisse in Diss., Wien 1949) bzw. DÖW-Interview Bertolt Brecht in Österreich boykottiert einen Gesamtzusammenhang zu stellen. eindrucksvoll beschrieben. An dem im KZ wurde (Soyfers Freunde Hans Weigel und Im Zuge dieser Soyfer-Renaissance ent- Dachau noch möglichen „Kulturleben“ (an Friedrich Torberg fungierten als Initiato- stand 1982 auch ein Jura Soyfer-Theater. arbeitsfreien Sonntagnachmittagen) wirkte ren), war auch Jura Soyfer politisch nicht Schließlich gründete Herbert Steiner ge- Soyfer – u. a. gemeinsam mit Hermann opportun. Seine Stücke wurden viele Jahre meinsam mit anderen an Soyfer interes- Leopoldi und Fritz Grünbaum – mit und fast ausschließlich von kommunistischen sierten Personen und Institutionen (Sessler schuf das Dachau-Lied (Stacheldraht, mit Spielgruppen und avantgardistischen Verlag, Jura Soyfer-Theater, Otto Tausig, Tod geladen ...). Die Freilassung (aufgrund Kleinbühnen aufgeführt. Ein Lichtblick Willi Verkauf-Verlon, Ulf Birbaumer, eines US-Einreisevisums) vor Augen starb war lediglich die Herausgabe der ersten Heinz Kommenda, Hubert Christian Ehalt, Jura Soyfer am 16. Februar 1939 im KZ Soyfer-Ausgabe 1947 durch den Schau- Konstantin Kaiser, Fritz Wendl u. a.) 1988
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