4 d i e h a r f e das himmlische instrument Das himmlische Instrument

Eine kurze Geschichte der Harfe 109 von Nancy Thym und Wolfgang Meyering

ie Musikwissenschaft ordnet die Instrumente üblicherweise nach der Art der D Tonerzeugung, was in den meisten Fällen bedeutet: dem Verhältnis zwischen dem, was der Mensch tut, und dem Ort, wo und wie das Instrument daraus hörbare

Töne macht. Dies ist dann auch der Unterschied zwischen Harfe und Leier: Eine „Harfe

ist ein zusammengesetztes Chordophon, dessen Saitenebene senkrecht im Verhältnis

zur Decke des Schallkörpers verläuft. Die Längsachse des letzteren leitet die Schwin-

gungen der Saiten weiter“, klärt uns das Musiklexikon Musik in Geschichte und Ge-

genwart – kurz MMG – des Bärenreiter-Verlages auf. „Die Harfe besitzt also keinen

Quersteg wie die Lauten-Instrumente – gewisse Sonderformen wie z.B. die afrika-

nischen Harfen-Lauten ausgenommen. Je nach dem gegenseitigen Verhältnis der or-

ganologisch wichtigsten Bestandteile Resonanzkörper und Saitenträger unterscheidet

man mehrere Großformen, von denen die Bogen-, Winkel- und Rahmen-Harfen die Ausschnitt aus Hieronymus wichtigsten und allgemein anerkannten sind.“ Nachdem wir uns also in etwa vorstel- Boschs (1450–1516) Garten der Lüste, wo len können, wie eine Harfe auszusehen hat, wollen wir uns im Folgenden der Geschich- man das „himmlische“ Instrument höchst dialektisch in der „Musikantenhölle“ findet … te des Instruments, seinen wichtigsten Formen und Verbreitungsgebieten widmen. tff magie 2011 m a g i c h a r p s 4 d i e h a r f e das himmlische instrument

Harfe und Kythera auf einer griechischen Vase, 5. Jh. v.Chr.

„’luja sag i!“ – Das fällt mir bei dagegen spricht, ist, dass bei einem Jagdbogen sehr aufwendig verziert und wurden sowohl langten die In- Harfe immer zuerst ein. Die Ge- die Elastizität sehr wichtig ist; bei einer Bo- bei Hofe als auch in der Volksmusik der alten strumente über schichte vom Münchner im Himmel, genharfe muss die Konstruktion jedoch starr Ägypter verwendet. Persien und der mit der Harfe in der Hand auf seiner Wolke sein, damit sich die Saiten nicht ständig ver- Schon im Altertum verbreiteten sich die Indien nach Bir- sitzt und nicht etwa engelsgleiche Weisen von stimmen. Eine Bogenharfe sieht dennoch für Bogenharfen dann bis nach Rom und Grie- ma (bzw. Myan- sich gibt, sondern vor sich hingrummelt: „Ha- den Betrachter wie ein Jagdbogen aus, über chenland. Von Vasen und Wandgemälden aus mar, wie sich das ha-lä-lälu-u-uh – Himmi Herrgott – Erdäpfi – den man mehrere Sehnen gespannt hat und Athen kennt man die Bogenharfen ebenso Land heute Saggerament – Lu-uuu—iah – – ’luia sag I!“ an dessen Ende man einen Resonator (oder wie von Darstellungen aus Pompeji. Heute nennt). Der Na- Das, was Alois Hingerl, vormals Dienstmann Resonanzkörper) angebaut hat. findet man in verschiedenen Regionen Afri- me Gauk lässt sich aus ähnlichen Be- Nummer 172 auf dem Münchener Hauptbahnhof, kas noch Bogenharfen, z.B. im Sudan oder zeichnungen ableiten, die für Bogenharfen in der Hand hält, ist eine Rahmen- oder Drei- in , wo eine Familie von Bogenharfen im Persischen und im Hindi gebraucht wer- ecksharfe und somit eine Vertreterin der drei Bogen- und Winkelharfen verschiedener Größen namens ge- den. In wird das Instrument in der Hauptgruppen der Harfeninstrumente: der Bo- spielt wird. Die älteste literarische Erwähnung klassischen Musik eingesetzt und gilt dort genharfen, der Winkelharfen und eben der Rah- ogenharfen existierten schon vor mehr von Bogenharfen findet sich bei dem arabi- auch als Nationalinstrument. Auf der Saung 110 men- oder Dreiecksharfen. B als 3000 Jahren in Mesopotamien und schen Schriftsteller und Reisenden Ibn Gauk wurden z.B. Lieder am Königshof ge- 111 im alten Ägypten, wo man Abbildungen auf Battuta (1325–1354). spielt, und es gab Meistermusiker, die hoch Als Ursprung der Harfen werden von Reliefs und verschiedenen Gegenständen fin- Es ist durchaus denkbar, dass sich die in der Gunst der Könige standen. vielen die frühen Jagdbögen und die Mund- det. Wenn man diesen Darstellungen trauen Bogenharfen von Ägypten aus in Richtung Neben den Bogenharfen entwickelten bögen angesehen. Letztere sind eine Art ar- kann, gab es damals schon unterschiedliche Osten ausgebreitet haben, denn man findet sich in Ägypten schon sehr früh die Winkel- chaische Maultrommel, bei der der Mund- Typen und Größen von Bogenharfen. Die Belege für ihre Existenz auch in Syrien, in harfen. Sie unterscheiden sich von den Bo- raum als Resonator dient. Darüber, ob sich großen Instrumente wurden demnach meist Alt-Turkmenistan, in Vorderindien, Alt- genharfen dadurch, dass sie aus zwei Teilen die Bogenharfen tatsächlich aus den Jagd- von Männern gespielt, die kleinen, tragbaren Kambodscha, Alt-Java, Siam (Thailand) bestehen, die nahezu im rechten Winkel zu- bögen entwickelt haben, sind sich die Wissen- Harfen von Frauen und die mittelgroßen von sowie in Birma, wo bis heute die Bogenharfe einander angeordnet sind: dem Resonanz- schaftler allerdings uneins. Ein Umstand, der beiden. Zum Teil waren solche Instrumente Saung Gauk gespielt wird. Vermutlich ge- körper und dem Saitenhalter. Oft wird der

1 Ägypterinnen mit Doppeloboe, Laute und Bogenharfe rund um den Globus in aller auf einer Wandmalerei in Theben, 18. Dynastie, 14. Jh. v. Chr. Munde: der Mundbogen 2 Bogenharfe Saung aus Myanmar – 3 Bogenharfe der Mangbetu, Republik Kongo, mit üppigem Schnitzwerk tff magie 2011 m a g i c h a r p s 4 d i e h a r f e das himmlische instrument

Clarsach/Cláirseach

ie frühsten europäischen Ab- D bildungen einer aus drei Teilen (Klangkörper, Vorderstange, Hals) zusammengesetzten Rahmenharfe sind auf piktischen Steinkreuzen des achten bis elften Jahrhunderts in Die berühmteste Harfe Nordschottland zu sehen. Auch in – neben der von Engel Irland tauchen Harfendarstellungen Aloisius – dürfte die im elften Jahrhundert auf. Ab dem „Brian Boru “ aus 15. Jahrhundert wurden sie allmäh- dem 15. Jh. in der Bibliothek des Dubliner lich als Clarsach bzw. Cláirseach be- Trinity College sein, zeichnet. Der Klangkörper einer 112 benannt nach dem Clarsach wurde aus einem ganzen 113 irischen Hochkönig, der Stück Holz (oft Weide oder Moor- 1014 in der Schlacht kiefer) geschnitzt und mit einem von Clontarf fiel. Sie schmückt die irische Deckel hinten verschlossen. Die Flagge, die irische Saiten waren aus Messing, was eine Euromünze und ganz besondere Spieltechnik erfor- – nicht zu verges- derte, denn sie wurden mit den 1 ägyptische Hakenharfe aus der 19. Dynastie (1292–1186 v. Chr.) sen – jeden Nägeln statt mit den Fingerkuppen 2 Hakenharfe der Dayaks, der Ureinwohner Borneos Guinnessbier- angerissen. Dies erzeugt einen re- 3 Harfenspielerin aus Chaldäa (Babylonien), ca. 2000 v. Chr. deckel … 4 Harfenspieler in Gabun, Westafrika sonanten, glockenähnlichen Klang; allerdings kann der lange Nachhall zu Dissonanzen führen. Um dies zu Saitenhalter am Ende des Resonanzkörpers Spielers. Dabei ist die Saitenordnung so wie vermeiden, müssen die Saiten, die oder Korpus einfach durch diesen hindurch- bei der modernen Harfe. nicht mehr klingen sollen, wieder mit gesteckt. Die Saiten verlaufen diagonal vom Einige Instrumente, die den frühen Win- den Fingerkuppen gestoppt oder ab- Resonanzkörper zum Saitenhalter. Winkel- kelharfen ähneln, sind bis heute im nördlichen gedämpft werden, während die konso- harfen wurden auch in Assyrien, Persien, im Afrika anzutreffen, so die Ardin im westafrika- nanten, also antiken Griechenland sowie in Asien gespielt. nischen Mauretanien, die dort von Frauen zur nicht dissonant Die Kogu ist eine frühe japanische Winkel- Gesangsbegleitung gespielt wird. klingenden Saiten harfe. Ebenso wie bei den Bogenharfen gibt Ob die Harfeninstrumente von Ägypten weiterschwingen. es Winkelharfen mit ganz wenigen Saiten bis über Griechenland oder auf anderem Wege Diese Spielweise hin zu Exemplaren mit weit über 20 Saiten. nach Mitteleuropa gelangten, ist bis heute erforderte eine jahre- Vermutlich wurden die Bogenharfen im alten nicht ganz geklärt. Auf jeden Fall sind die lange Ausbildung, und Ägypten von den Winkelharfen langsam ver- frühesten Zeugnisse für Harfen im mittleren die Harfenspieler wa- drängt. Zumindest findet man auf Darstel- und nördlichen Europa gegen Ende des ren sehr gefragt und lungen in späterer Zeit nahezu nur noch Ab- ersten Jahrtausends vor allem auf den Briti- hoch angesehen. Einer bildungen von Winkelharfen und kaum noch schen Inseln zu finden. Es handelt sich der bekanntesten Bogenharfen. Anders als bei der modernen dabei um Rahmenharfen, die auf den ersten irischen Harfner war Harfe wurde die Winkelharfe mit dem Klang- Blick eine Erfindung der Menschen im nord- der blinde Turlough O’Carolan (1670– körper nach oben gespielt, so dass der Korpus westlichen Europa zu sein scheinen, denn 1738). Von ihm sind diverse Kompositionen über den Kopf des Spielers hinausragte. typisch für die europäischen Harfen ist die erhalten, welche er reichen Gönnern widme- Das Instrument wurde vor die Brust gehalten, Konstruktion der Rahmen- oder Dreiecks- te, die sein Auskommen sicherten. Seine Mu- oder der Saitenträger lag auf dem Schoß des harfe. sik ist stark durch die kontinentale Barock- tff magie 2011 m a g i c h a r p s 4 d i e h a r f e das himmlische instrument

1/2 Edward Bunting (1773–1843) und die Erstausgabe seiner transkribierten Harfen-Tunes von 1792 3 Derek Bell, der Harfenspieler der Chieftains (1935–2002) war, wie etliche Harfenisten vor ihm, fast blind 4 die „Lamont Clarsach“, 15. Jh., aus dem Schottischen National- museum Edinburgh

1 König David mit Davids- musik beeinflusst, hat aber einen eindeutig derts eine Wiederbelebung begann. Dabei harfe, Psalterium, 12. Jh., irischen Charakter. Im Folkrevival der 1960er diente als Vorbild nicht die alte Cláirseach Westminster Abbey und 70er Jahre wurden O’Carolans Stücke mit Metallsaiten, sondern die moderne Pe- 2 die Wartburgharfe, von vielen Bands in ihr Repertoire aufge- dalharfe. gebaut vor 1450, soll 114 nommen; bestes Beispiel dafür sind die Diese neuen Harfen wurden zwar mit einer Oswald von Wolkenstein 115 Chieftains, die mit Derek Bell auch den gebogenen Vorderstange versehen, die an das höchstselbst gezupft irischen Vorzeige-Harfenisten der damaligen ursprüngliche Instrument erinnert, waren haben Zeit in ihrer Gruppe hatten. Gruppen wie die aber sonst wie Pedalharfen mit einem hinten 3 Oswald von Wolkenstein Chieftains machten die irische Harfe in ihrer abgerundeten Korpus gebaut und mit Darm (1377–1445) Heimat wieder populär, so dass es heute eine besaitet. Kleine Plättchen aus Messing dien- ganze Reihe auch junger Harfenspieler in Ir- ten als Umstimmvorrichtung. Die moderne, Schnarrhaken ge- land gibt, obwohl mit dem Beginn der eng- sogenannte keltische Harfe mit Halbtonklap- dacht. Schnarr- lischen Herrschaft in Schottland und Irland pen und Darm- oder Nylonsaiten ist auf diese haken waren bis ins eigentlich das Ende der ungebrochenen Har- Entwicklung des 19. Jahrhunderts zurückzu- 18. Jahrhundert fentradition eingeleitet worden war. Die Har- führen. in Deutschland fenspieler wurden damals verfolgt, manchmal strumente, die aus dieser Zeit erhalten sind, üblich, in Wales sogar bis ins 19. Jahrhundert, sogar gehängt und ihre Harfen verbrannt. sind wie die mittelalterlichen Harfen aus wobei es auch möglich war, die Schnarrhaken 1792 versammelten sich die letzten Harfen- Mittelalterliche Harfen einem Stück Holz geschnitzt, und die Klang- abzudrehen, wenn das Schnarren uner- spieler in Belfast. Zum Glück war ein junger körper haben einen eher ovalen Querschnitt. wünscht war. Orgelspieler an- chon im europäischen Mittelalter galt Eine davon ist die mit Certosina-Einlagen Die gotische Harfe wird auf Gemälden wesend, Edward S die Harfe als königliches Instrument und reich verzierte Harfe aus dem 15. Jahrhundert überwiegend von Engeln oder edlen Damen Bunting, um die wurde sehr häufig im Zusammenhang mit im Besitz der Wartburg in Eisenach, die der gespielt. Zur gleichen Zeit gab es aber auch Melodien aufzu- König David dargestellt. Diese „romanischen Legende nach dem Minnesänger Oswald von eine völlig andere Harfenform, die auf zahl- zeichnen. Zudem Harfen“ hatten einen leicht geschwungenen Wolkenstein gehörte. reichen zeitgenössischen Stichen – meist in machte er genaue Hals mit ausgeprägt runder Schulter und Bezeichnend für diese Harfen sind die den Händen von Straßenmusikanten – dar- Notizen der Spiel- einem breiten Umriss – Schulter und Kopf Schnarrhaken, die auf Abbildungen deutlich gestellt wird, so z.B. in Sebastian Brands Das weise – sonst wäre waren fast auf der gleichen Höhe. Sie hatten zu erkennen sind. Mit einem Ende dieser Narrenschiff: Hals und Vorderstange waren mit diese Kunst gänz- vermutlich Saiten aus Darm. Wie bei den kleinen Holzhaken wurde die Saite in der Voluten verziert, der Klangkörper schlicht. lich verloren ge- schottischen und irischen Harfen war der Klangdecke befestigt; das andere war so ange- Drei solche Harfen von ca. 1580 wurden in gangen. Nach die- Klangkörper wahrscheinlich aus einem mas- bracht, dass die Saite beim Anzupfen dagegen den Händen musizierender Engel in der Be- sem Treffen starb siven Holzblock geschnitzt und hinten mit schlug und einen schnarrenden Ton von sich gräbniskapelle des Freiberger Doms entdeckt. die Harfentraditi- einem Deckel verschlossen. gab. Im 15. und 16. Jahrhundert wurde die- Der Korpus ist aus einem Holzstück geschnitzt, on in Irland und Im 15. Jahrhundert änderte sich die ser Ton wohl als sehr angenehm empfunden, vorne gewölbt und hinten mit einem flachen Schottland rasch Form der Harfe dramatisch. Sie wurde hoch denn solche Harfen wurden häufig in den Brett verschlossen. Die Saiten sind an kleinen aus … und schmal mit spitzem Kopf und Schulter Händen von Engeln abgebildet. Die Musik Nägeln im Korpus befestigt, so dass die sehr … bis Mitte und wurde deswegen als „gotische Harfe“ be- des Manuskripts Musica von Robert ap Huw großen Schnarrhaken justiert werden können, des 19. Jahrhun- zeichnet. Die Klangkörper der wenigen In- aus Wales (ca. 1627) war für Harfen mit ohne die Stimmung der Harfe zu beeinflussen. tff magie 2011 m a g i c h a r p s 4 d i e h a r f e das himmlische instrument

Arpa de dos órdenes und wurden mit der linken Hand unterhalb der die Vorderstange zierte, als Davidsharfen Fußpedalen führten. Kreuzung gespielt, die Diskantsaiten mit der bezeichnet wurden (wie z.B. die Instrumente Die Füße konnten arpa doppia rechten Hand oberhalb der Kreuzung. Die von Johann Volckmann Rabe aus Nordhausen dadurch das Verkür- Halbtöne konnten mit einem schnellen Griff in Thüringen). Die Welsh , eine zen der Saiten über- ie Harfen des Mittelalters und der Früh- nach oben im Bass und nach unten im Dis- große dreireihige Harfe, die in Wales noch als nehmen, und die D renaissance waren überwiegend diato- kant gespielt werden. Das Brevier Luz y Norte traditionelles Musikinstrument gespielt wird, Hände blieben frei nisch gestimmt, was in etwa den weißen Tas- (1677) von Lucas Ruiz de Ribayaz enthält hat sich aus der barocken dreireihigen italie- zum Spielen. Dafür ten auf einem Klavier entsprach; sie hatten höfische und traditionelle Tanzmusik in nischen Harfe entwickelt. waren die Geräusche keine Umstimmvorrichtungen. Dennoch war Tabulaturen für arpa de dos órdenes. der Pedale hörbar. es möglich, Halbtöne während des Spiels Die italienische arpa doppia hatte zwei Viele Harfenbauer durch Drücken einer Saite mit dem Finger bis drei parallele Saitenreihen. Bei zweirei- Hakenharfe und Einfach- arbeiteten an wei- gegen den Hals oder gegen einen Schnarrha- higen Harfen waren die diatonischen Saiten teren Entwicklun- ken zu erzielen. Um den musikalischen An- jeweils im Bass links und im Diskant rechts pedalharfe gen. Bereits Ende des sprüchen nachzukommen, die immer mehr angebracht, die Halbtöne auf der anderen 18. Jahrhunderts 116 chromatische Töne erforderten, wurden Mit- Seite. Der Spieler musste zwischen die diato- on der baulichen Entwicklung her gese- verliefen die Stangen 117 te des 16. Jahrhunderts Harfen mit mehreren nischen Saiten greifen, um die Halbtöne zu V hen ist die Hakenharfe direkt zwischen zu den Fußpedalen Saitenreihen entwickelt. zupfen. Bei einer Harfe mit drei Saitenreihen der einreihigen, diatonischen Harfe und der nicht mehr durch Die iberische arpa de dos órdenes hatte befanden sich die Halbtöne zwischen zwei Pedalharfe einzuordnen: Um die chroma- den Klangkörper, zwei gekreuzte Saitenreihen. Die diatonischen parallelen diatonischen Saitenreihen. Monte- tischen Möglichkeiten der Harfe zu erweitern, sondern durch die Saiten waren links der Klangdeckenmitte verdis Orfeo sowie Händels Concerto in B wur- wurden kleine Metallhaken am Hals neben Vorderstange; die befestigt und durch eine rechts angebrachte den ursprünglich für arpa doppia kompo- den Saiten angebracht. Durch Drehen eines Saiten wurden mit- Reihe von chromatischen Saiten (in den glei- niert. In Deutschland wurden doppelreihige Hakens gegen die Saite konnte diese verkürzt tels einer Zugkrückenmechanik verkürzt, die chen Abständen wie die schwarzen Tasten auf Harfen bis ins 18. Jahrhundert hergestellt, und um einen halben Ton erhöht werden. die Saiten zum Hals hin zog. Sebastién Erard dem Klavier) durchkreuzt. Die Basssaiten die wegen des geschnitzten Davidskopfes, der Dies hatte natürlich den Nachteil, dass eine (1752–1831) ersetzte sie 1794 durch eine Hand während des Hakendrehens nicht spie- Drehscheibe aus Messing mit zwei gabelarti- len konnte. gen Stiften darauf. 1810 erweiterte er die Aus der Hakenharfe wurde wohl die chromatischen Möglichkeiten der Pedalharfe Pedalharfe (auch: Tretharfe) entwickelt. Diese mit einer zweiten Drehscheibe pro Saite. Da- Erfindung wird dem Harfenbauer Jakob mit konnte jede Saite um zwei Halbtöne er- Hochbrücker (1673–1763) aus Donauwörth höht werden, und die moderne Doppelpedal- in Bayern zugeschrieben, denn die früheste harfe war geboren. datierte Pedalharfe stammt aus seiner Werk- Obwohl die Pedalharfe im 18. Jahrhun- statt. Schon 1720 befestigte er die Haken an dert rasch zum Lieb- Zügen, die durch den Klangkörper zu den lingsinstru-

1 arpa de dos órdenes , 2-rei- Detailansichten hig gekreuzte chromatische einer Pedalharfe, Harfe, Museo arqueologico, vermutlich aus der Madrid – 2 Nachbau zweier Werkstatt Jakob Bologna Doppia Grande – Hochbrückers, 18. Jh. 3 Welsh Triple Harp „Telyn“, Instrumentensammlung des Instituts für Musikforschung Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz – 4 Davidsharfe mit geschnitztem Davidskopf, 17. Jh., Musikinstrumentenmu- seum der Universität Leipzig tff magie 2011 m a g i c h a r p s 4 d i e h a r f e das himmlische instrument

ment der adeligen Damen Frankreichs wurde, Tiroler Volksharfe bevorzugten die Deutschen nach wie vor die Hakenharfe für klassische und Hausmusik, eben der oben genannten walisischen wie mehrere Schulen für Hakenharfe aus die- N Harfe gibt es nur für die Harfe in den ser Zeit bezeugen. Alpenregionen eine ungebrochene europä- ische Harfentradition. Der Hakenmechanis- mus wurde vermutlich von böhmischen Musi- Wanderharfener kanten nach Österreich gebracht, aber nur wenige der ältesten erhaltenen diatonischen und Harfenmädchen Harfen aus Tirol haben Haken. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts war das Zillertal Zen- ie Hakenharfe ist uns hauptsächlich als trum der Tiroler Harfenspieler, die über- D Instrument der Wandermusikanten aus wiegend Tanzmusik spielten. Ende des 19., Böhmen und Deutschland vertraut. Verein- Anfang des 20. Jahrhunderts erhielten diese 118 zelt wird schon Mitte des 18. Jahrhunderts Harfen einen Pedalmechanismus. Sie be- 119 von böhmischen Wanderharfnern berichtet. hielten die Form der diatonischen Harfen mit Ende des 18. Jahrhunderts zogen die ersten dem typisch leicht nach oben gewölbten qua- Harfenmädchen aus Preßnitz im Erzgebirge dratischen Korpus und hatten drei bis fünf auf die Leipziger Messe. Ihre Qualitäten Pedale. Wie bei den frühen Pedalharfen wa- überzeugten auch andere, ihr Glück mit der ren die Pedale mit Zügen durch den Korpus Harfe zu versuchen: Preßnitz wurde zur Mu- hindurch mit einfachen Haken verbunden. sikantenstadt, das Gewerbe verbreitete sich Später wurde der Korpus hinten aus fünf rasch durch die umliegenden Dörfer des Spänen gebaut, behielt aber die Wölbung, Erzgebirges, dann auch nach Nechanice in was der Tiroler Harfe ihren charakteristischen Böhmen, Hundeshagen im Eichsfeld in gebogenen Korpus verleiht. Die moderne Thüringen, Salzgitter in Niedersachsen und Tirolerharfe ist nach wie vor eine Einfach- in die heute als Musikantenland bezeichnete pedalharfe. Der Hakenmechanismus wurde Westpfalz. Meist waren es Frauen, die alleine, Ende des 20. Jahrhunderts durch eine Dreh- zu zweit oder in Familienkapellen mit der scheibenmechanik ersetzt. Bis zum Zweiten Harfe auf dem Rücken bis nach Afrika, Asien, Weltkrieg wurden die Harfen überwiegend Nord- und Südamerika zogen, um dort Geld von Männern gespielt; danach gewann die für sich und ihre Familien zu verdienen. Sie Harfe in Tirol und Bayern an Beliebtheit und spielten beliebte Tanzmelodien und sangen 1 Egerländer Musi- wird heute sowohl von Frauen als auch Män- die populären Lieder der Zeit. In Wien, kanten – 2/3 Harfe nern verwendet. und Wanderkapelle Berlin und Hildesheim gab es stadteigene aus Viggiano, Ita- Harfenmädchen oder Harfenjulen. Die be- lien – 4 böhmische kannteste dürfte wohl die Berliner Harfenjule Straßenmusikanten Südamerikanische Harfen Louise Nordmann, geb. Schulze, sein, die 1911 gestorben ist. Die Harfe war fester Be- 5 Musikantenfami- it den Spaniern kam die Harfe im 16. lie Braun aus Hun- standteil der Egerländer Dudelsackkapellen, deshagen im Eichs- M Jahrhundert nach Südamerika und ver- wurde hier aber ausschließlich von Männern feld – 6 der Prager breitete sich dort rasch auch bei den Indios gespielt. Auch die Wanderharfner aus Viggiano Wirtshausmusiker und Mestizen, die auf ihr in erster Linie in Italien waren überwiegend Männer. Der Josef Häusler – 7 traditionelle Musik und Folklore spielen. erste Weltkrieg bedeutete das Ende der Tradi- Wiener Straßen- Diese Harfen ähneln noch den diatonischen musiker um 1830 – tion der Wanderharfner und Harfenmädchen. 8 Tiroler Tanzband spanischen Harfen der Renaissance. Im Ver- Nur die Hundeshagener Harfenmädchen rei- – 9 Tiroler Jodler- gleich zu ihren europäischen Verwandten ist sten bis zum 13. August 1961 umher … trio Höpperger jedoch der Klangkörper oft sehr groß im tff magie 2011 m a g i c h a r p s 4 d i e h a r f e das himmlische instrument

1 bolivianische Straßenmusiker – 2 Spiel auf der Psalteriumharfe in einem Brevier 1 Toumani Diabaté aus Mali – von 1342 – 3 Asinus lyra – der Esel als einer der besten Koraspieler Harfenist, Skulptur an der Kathedrale 2 Stegharfe aus Guinea von Chartres 3 The Poozies beim TFF 1994

120 121 Verhältnis zu den anderen Teilen des Instru- (Esel mit Harfenpsalterium), überliefert sind, Die 21 Saiten der Kora werden aus- Elektrische Harfen ments. Einige Exemplare haben, im Gegen- ist es möglich, die Bauweise ziemlich genau schließlich mit den beiden Daumen und Zei- satz zu den europäischen Rahmenharfen, die zu rekonstruieren. Die Saiten wurden höchst- gefingern gezupft, während die anderen Fin- it der Entwicklung der modernen Schalllöcher hinten. In Venezuela und Ko- wahrscheinlich diatonisch abwechselnd rechts ger das Instrument festhalten. Die ersten vier M Doppelpedalharfen, die mit 47 Saiten lumbien findet man die Harfe oft in kleinen und links gestimmt, also erste Saite rechts C, linken Saiten sind Basssaiten und werden mit über sechseinhalb Oktaven chromatisch spiel- Ensembles zusammen mit Quatro, Maracas erste Saite links D usw. Dies erschwerte das dem linken Daumen angeschlagen. Die rest- bar sind, waren im 19. Jahrhundert die Mög- und Bass; die Musik ist oft rhythmisch sehr Melodiespiel, eignete sich allerdings hervor- lichen 17 Saiten sind heptatonisch gestimmt. lichkeiten des Tonumfangs mehr oder weni- komplex und schwungvoll. Demgegenüber ist ragend für das Spiel in parallelen Quinten Ein Koravirtuose ist in der Lage, gleichzeitig ger abgeschlossen. Aber es gab noch andere die paraguayische Harfenmusik eher melodisch oder Terzen. die Melodie, deren Interpretation und Entwicklungen. In den 1980er und 90er und lyrisch, hat aber auch ihre virtuosen Teile. die Basslinie zu spielen. Dabei klopft er Jahren wurden die ersten serienmäßigen Neben den genannten Ländern findet man bisweilen mit den Zeigefingern rhyth- Elektroharfen gebaut. Diese Instrumente die Harfe auch in Bolivien, Chile oder Ecua- Harfenlauten misch gegen sein Instrument und benötigten keinen Resonanzkörper zur Ver- dor, wo sie überwiegend von Indios gespielt schafft sich so eine perkussive Beglei- stärkung; stattdessen waren Tonabnehmer wird; in Mexiko wird sie in erster Linie als benfalls verwandt mit den Harfen sind die tung. eingebaut, die den Klang der Saiten abnahmen Begleitinstrument für den Gesang verwendet. E sogenannten Lauten- oder Stegharfen, zu Die Kora gilt in Westafrika als und durch einen Gitarrenverstärker oder eine denen z.B. die westafrikanische Kora gehört. das Instrument der Könige; sie ist Verstärkeranlage deutlich hörbar machten. Einigermaßen sicher ist, dass die Kora im das klassische Begleitinstrument der Bei diesen Harfen waren die Bässe oft sehr Harfenverwandtschaft frühen 19. Jahrhundert im Königreich Kaabu Griots im westlichen Afrika. Griots voluminös, und so setzten Gruppen wie die (dem heutigen Guinea-Bissau) gespielt wurde waren und sind wandernde Musi- britische Frauen-Folkband The Poozies (TFF eben den typischen Vertretern wie Rah- und sich von dort aus verbreitete. Sie ähnelt ker, die in den Dörfern und Städ- 1994) eine Elektroharfe auch als Bassinstru- N men-, Bogen- und Winkelharfe gibt den alten ägyptischen Bogenharfen, nur dass ten Lieder singen und Geschich- ment ein. Mittlerweile reicht die Palette von es noch Hybride, die Merkmale der Harfe, der Stab, an dem die Saiten befestigt sind, ten erzählen; in früheren Zeiten elektrischen Harfen von ganz kleinen, den gleichzeitig aber auch Konstruktionsmerk- nicht gebogen, sondern gerade ist. Als Reso- waren sie auch eine Nachrich- irischen Harfen nachgebildeten bis zu großen male anderer Instrumente wie Zither oder nanzkörper dient eine große, halbe Kalebasse, tenquelle. Sie sind die Bewah- Instrumenten. Es gibt auch eine Menge akus- Laute aufweisen. Das Harfenpsalterium bei- die mit Rinderhaut bespannt ist. Die Saiten rer der Kultur in vielen west- tischer Harfen, die mit Tonabnehmersystemen spielsweise, das sich vom 10. bis zum 15. Jahr- führen nicht über ein Griffbrett, sondern afrikanischen Regionen. ausgerüstet wurden und dadurch in der Lage hundert großer Beliebtheit erfreute, hatte sind am Ende des Resonanzkörpers befestigt, Mittlerweile gibt es auch eine sind, mit anderen, viel lauteren Instrumenten ungefähr die Form einer Harfe, aber mit zwei laufen etwa in dessen Mitte über einen Steg Reihe von Koramusikern, wie etwa Schlagzeug oder E-Gitarre zusam- Saitenreihen (vermutlich aus Messing) mit und dann wie bei einer Harfe frei zum Hals, die keine Griots sind und men zu spielen, so dass es inzwischen kaum einem hohlen Klangkörper bzw. einfachem wo sie gestimmt werden. Früher wurden die in verschiedenen welt- noch ein Genre zwschen Heavy Metal, Folk, Brett dazwischen. Da die Instrumente oft als Saiten aus Lederstreifen oder Därmen herge- musikalischen Projekten Klassik und Jazz gibt, in dem man die Harfe Stein- oder Holzplastiken, z.B. als Asinus lyra stellt, heute sind sie aus Nylonschnüren. arbeiten. und ihre Verwandtschaft nicht findet. 