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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Philippia. Abhandlungen und Berichte aus dem Naturkundemuseum im Ottoneum zu Kassel

Jahr/Year: 2001-2003

Band/Volume: 10

Autor(en)/Author(s): Schaffrath Ulrich

Artikel/Article: Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von eremita (Scopoli, 1763) (Coleoptera; , Cetoniidae, Trichiinae), Teil 1 (gekürzte Fassung einer Dissertation an der Universität Kassel) 157-248 PHILIPPIA 10/3 S. 157-248 75 Abb. Kassel 2003

Ulrich Schaffrath Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scopoli, 1763) (Coleoptera; Scarabaeoidea, Cetoniidae, Trichiinae)*

Teil 1

Abstract Deutschland) wird eine Artmonographie des Based on an all encompassing literature re- Cetoniden Osmoderma eremita (SCOPOLI, cherche, letters and discussions, including at 1763), Coleoptera, vorgelegt (Endstand der the international level, as well as Laboratory Forschungen: 2001). Schwerpunkte der Arbeit and Field research (mostly in Hesse / Germa- sind u.a. historische und gegenwärtige ny) an art monograph of the cetonid- Verbreitung in Deutschland, Erkenntnisse zu Osmoderma eremita (SCOPOLI, 1763), Coleo- Ökologie und Ethologie, darüber hinaus ptera was made, and is presented here werden Nachweis- und Schutzstrategien (kon- (research as of 2001). The emphasis in this servativer Biotopschutz, Biotopmanagement, work was put on historical and future distri- Monitoring) erörtert. Die praktischen Erfahrun- bution in Germany and appreciation ot the gen beruhen auf unter halbnatürlichen Bedin- Coleoptera ecology and ethology. In addition, gungen aufgezogenen Entwicklungsstadien recording and protective strategies (conserva- des Käfers und der Erhaltungs- und Vermeh- tive biotope protection, biotope management, rungszucht über mehrere Generationen. and monitoring) will be discussed in detail. The practical experience with the Coleoptera is based on the semi-natural conditions crea- Inhalt ted for the stages of development and the Einleitung und Fragestellung ...... 158 supportive and reproductive breeding of the Forschungsziele ...... 159 beetle over several generations. Voraussetzungen und Verfahrensweise ...... 160 Zur Morphologie des Osmoderma eremita (SCOP.) ...... 161 Zusammenfassung Kennzeichen des Osmoderma eremita ...... 163 (s. auch Schlußzusammenfassung) Morphologische Unterscheidung der Auf der Basis breiter Literaturrecherchen, Geschlechter ...... 166 brieflicher Kontakte und mündlicher Diskus- Größe der Imagines und Verhältniszahlen sionen auch im internationalen Rahmen sowie der Geschlechter ...... 168 eigener langjähriger Labor- und Feldfor- Ähnliche Arten – Verwechslungs- schung (letztere überwiegend in Hessen / möglichkeiten ...... 170

* gekürzte Fassung einer Dissertation an der Universität Kassel 158 Ulrich Schaffrath

Anmerkungen zu den Namen ...... 170 Ergebnisse von überwinternden Frühe Konfusionen ...... 170 Freiland-Larven ...... 231 Anmerkungen zum wissenschaftlichen Ernährung der Larven ...... 233 Namen ...... 173 Kannibalismus ...... 237 Anmerkungen zu den Trivialnamen ...... 173 Verdauen ...... 238 Verbreitung ...... 175 Überwintern ...... 240 Verbreitung der Osmodermini ...... 175 Kältetoleranz der Überwinterungsstadien ...... 240 Verbreitung der Gattung Osmoderma; Kokonbau, Verpuppung und Verwandlung Arten und Unterarten ...... 176 zur Imago ...... 244 Verbreitung von Osmoderma eremita Mißbildungen ...... 247 (SCOP.) s. l...... 182 Brutbäume und Entwicklungsstätten ...... 184 Ansprüche an den Brutbaum ...... 189 Zur Auswahl der Bruthöhle ...... 190 Einleitung und Fragestellung Zur Höhlenbildung ...... 192 Die Sanierung der „Großen Allee“ in Bad Arol- Zu Lebensweise und Verhalten der Imagines ...... 194 sen / Hessen gab den Anstoß zu dieser Arbeit Erscheinungszeit der Käfer ...... 194 über den Eremiten oder Juchtenkäfer, Osmo- Zu Blütenbesuch und Ernährung der Käfer ...... 196 derma eremita (SCOPOLI, 1763). Ohne Fäl- Sexualverhalten und Vermehrung der Imagines ... 197 lung zahlreicher alter Bäume, die Brutkolonien Kampf der Männchen ...... 198 des Käfers beherbergten, hätte dem Autor das Werbung und Paarung ...... 199 lebendige Material gefehlt, um seine For- Begattung ...... 202 schungen zu betreiben. Eiablage und Eizahlen ...... 202 Lebensdauer der Imagines ...... 204 Durch gutachterliche Stellungnahme waren Anmerkungen zum „Duft“ und zur u. a. mehrere Brutbäume der innerstädtischen Verhaltensbiologie ...... 205 Allee als „Gefahrenbäume“ diagnostiziert wor- „Osmoderma“ ...... 205 den. Der Autor, der bereits Erfahrungen mit Duftanalyse ...... 206 der Erhaltung der Tiere durch einige in gefäll- „Posing“ – ein Ausdrucksverhalten der ten Brutbäumen im Staatspark Karlsaue / Kas- Männchen ...... 206 sel gefundene Larven hatte machen können, Zur Duftdrüse ...... 208 wurde von der Oberen Naturschutzbehörde Olfaktorischer Unterschied der beim Regierungspräsidenten in Kassel beauf- Geschlechter ...... 209 tragt, die Insektenstadien zu entnehmen und Mögliche soziale Funktionen des Duftes ...... 210 zu sichern. Im Laufe der Sanierungsarbeiten Auslöser für die Duftproduktion ...... 211 1993 und 1994 konnten etwa 200 Larven und Zum Posing am Höhleneingang ...... 211 Kokons des Eremiten aus den bis zu 400 Bemerkungen zum Flugverhalten ...... 212 Jahre alten Eichen geborgen werden. Start und Flug ...... 212 Treue zum Brutbaum ...... 216 In der Zwischenzeit war Osmoderma eremita Zeiten der Flugaktivität ...... 218 zu einem der bedeutendsten Zielobjekte im Nächtlicher Lichtanflug ...... 219 europäischen Naturschutz erklärt worden. Die Orientierung der Imagines ...... 219 FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) Flugradius ...... 220 von 1992 machte den Käfer neben anderen Komfortverhalten und weitere seltenen Tieren, Pflanzen und Landschafts- Verhaltensweisen ...... 220 teilen zu einem europaweit bedeutsamen Entwicklung der Präimaginalstadien ...... 221 Objekt, zu deren Erhaltung nun ein internatio- Embryonalentwicklung ...... 221 nales Netz von Schutzgebieten eingerichtet Zur Larvenmorphologie ...... 223 werden sollte (Natura 2000). Der in Deutsch- Zur Unterscheidung von ähnlichen land bereits durch die Bundesartenschutzver- Lamellicornierlarven ...... 223 ordnung (BArtSchV) unter Naturschutz ge- Larvenstadien und Entwicklungsdauer ...... 225 stellte Käfer wurde seit Einführung der Roten Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 159

Listen stets als bundesweit „stark gefährdet“ rungen des Autors sowie verschiedener Kolle- eingestuft. gen schien dieses Ziel erreichbar. Das ange- botene künstliche Ersatzhabitat sollte darüber Der Stand der Erkenntnisse zum Eremiten war hinaus die Reproduktion der Käfer unter Ge- bis zu den neunziger Jahren des vergangenen fangenschaftsbedingungen sicherstellen und Jahrhunderts als defizitär einzustufen – er- eine ununterbrochene Weiterzucht über meh- staunlich für ein so großes heimisches Insekt. rere Generationen ermöglichen (als Grundla- Die Literaturlage enthielt vorwiegend Stereo- ge für eventuelle Wiederansiedlungsprojekte). typen; empirische Erkenntnisse waren nur verstreut und vereinzelt publiziert, diese be- 2. Verhaltensbeobachtungen an Larve und faßten sich vorwiegend mit den Entwicklungs- Vollinsekt bedingungen. Zum Verhalten der Art war so Die Entwicklung der Larvenstadien sollte ver- gut wie nichts bekannt, ebensowenig zur folgt werden. Verhaltensstudien an Käfern Verbreitung in Deutschland. und Larven könnten Hinweise geben auf das (bisher nicht beschriebene) soziale Leben der In den 90er Jahren des 20sten Jahrhunderts Tiere, die vielleicht auch auf natürliche Bedin- nahm – vor allem durch den Anstoß durch die gungen übertragbar sein könnten. Soweit EU – die Beschäftigung mit Osmoderma zu. möglich sollten Imagines in bekannten Popu- Es kam zu ersten weiterführenden Arbeiten in lationen im Freiland beobachtet werden, um Frankreich, besonders aber in Schweden, wo die unter halbnatürlichen Verhältnissen ge- in einem großen, vom Schwedischen Staat wonnenen Eindrücke zu ergänzen. Vor allem und der Europäischen Union finanzierten kam dafür die Population in einer aus 20 Bäu- Projekt vor allem zu Besiedlungs- und Popula- men bestehenden Buchengruppe (inzwischen tionsfragen geforscht wurde. stark dezimiert) im Kasseler Auepark in Frage.

Die Arbeiten des Autors mußten sich im klei- 3. Abgleich von Erkenntnissen, Prüfung neren Rahmen bewegen. Die eingetragenen von Literaturangaben Tiere erlaubten vergleichende Verhaltens- Die empirisch gewonnenen Erkenntnisse soll- und Entwicklungsstudien. Durch die Auswer- ten mit den verfügbaren Daten aus der Litera- tung verstreuter Literaturstellen und Umfragen tur verglichen und um weitere Details ergänzt konnten weitere monographische Notizen ge- werden. Demselben Ziel diente eine Umfrage wonnen werden. Auf diese Weise wurden die in Kollegenkreisen, in entomologischen und vorhandenen Erkenntnisse und Annahmen forstlichen Fachzeitschriften, um auch unver- gesammelt, gegenübergestellt, wenn möglich öffentlichte Notizen mit in die Arbeit aufneh- überprüft, ergänzt und berichtigt. Gleichzeitig men zu können. Spezielle Literaturangaben konnte die Verbreitungs- bzw. Gefährdungs- sollten durch Experimente überprüft werden situation im Land präzisiert werden. (Herkunft und Funktion des Duftstoffs, Larven- nahrung, Metamorphose).

Forschungsziele 4. Ermittlung der Verbreitung des Käfers 1. Erhalten der Larven unter halbnatür- in Deutschland lichen Bedingungen und Weiterzucht über Die Literaturstudien und Umfragen bei Ento- mehrere Generationen mologen und Museen sollten außerdem dazu Entscheidendes Ziel, von dem schließlich die dienen, die historische und rezente Verbrei- empirische Arbeit abhing, war die Erhaltung tung des Käfers in Deutschland zu ermitteln. der eingetragenen Tiere, mithin die Bereitstel- Daraus könnte ein ehemaliges Verbreitungs- lung von Bedingungen, die eine kontinuier- muster abgeleitet werden, darüber hinaus – liche Entwicklung der Larven zu Imagines soweit möglich – Umfang und Ursache(n) für unter halbnatürlichen Bedingungen (der den bereits konstatierten fortschreitenden Baumstamm als Habitat war verloren) ermög- Rückgang des Käfers. lichte. Durch vorhandene einschlägige Erfah- 160 Ulrich Schaffrath

5. Bedingungen für die Erhaltung der Art Zur Erscheinungszeit der Imagines wurden (in Deutschland) diese auf mehrere Gefäße verteilt, die über Die gesammelten Erkenntnisse und Erfahrun- einem Mulmkörper einen „Luftraum“ aufwie- gen sollten schließlich als Grundlage für sen, der durch eine Draht-Gaze (gegen ein Handlungsstrategien im Naturschutz dienen Entkommen der Tiere) abgedeckt war. Beob- können. Dies gilt einerseits für den Umgang achtungen waren hier jedoch nur begrenzt mit den Tieren, andererseits für die Freiland- möglich, so daß vom Autor ein spezieller Be- praxis, das Erkennen von Brutbäumen bzw. obachtungskäfig angefertigt wurde, der die -arealen, darüber hinaus auch für zeitliche Verhältnisse in der Bruthöhle nachahmte. und technische Durchführung von als notwen- Dies ist ein Holzkasten, der in seinem unteren dig erachteten Maßnahmen. In diesem Teil einen 10-Liter-Eimer (mit rechteckiger Zusammenhang notwendig: Ermittlung des Öffnung) aufnehmen kann, in den bis zum Status quo in rechtlicher Hinsicht und in der Rand Holzerde eingefüllt wurde. Dach und Ausführungspraxis. drei Wände waren ebenfalls einfache Holz- wände, nur die vordere (Tür-)Seite war ober- halb des Mulmtopfbereichs als Tür, mit anthra- Voraussetzungen und Verfahrensweise zitfarbener Plastikgaze gestaltet. Auf den Zur Aufnahme der Tiere aus den gefällten Mulmbereich wurde ein Holzstück aufgesetzt, Bäumen wurden ca. 25 Gefäße (je 23-Liter, das vor allem das Austrocknen mindern sollte, 10-Liter bzw. 8-Liter Raumvolumen) mit außerdem konnte es den Käfern für diverse Deckel und Bügel verwendet. Zusammen mit Aktivitäten dienen (behaviour enrichment). den Larven und Kokons, die jeweils einge- tragen wurden, mußte auch soviel als möglich Die Pflege der Larven in den Gefäßen bestand vom Holzmulm, in dem die Larven leben und im wesentlichen aus einer Kontrolle der der als Nährsubstrat dient, mitgenommen Feuchtigkeit des Substrats, gegebenenfalls werden, da dieses Material von den Larven einer entsprechenden Benetzung. Die Larven verbraucht wird, und im Kunstgefäß im Unter- wurde bei dieser Gelegenheit gezählt, ver- schied zum lebenden Baumstamm nicht re- messen (Kopfkapsel) und gewogen. Weiß- generierbar ist. Dazu waren neben Plastik- faule, trockene Holzteile, Astabschnitte etc. eimern auch einfache Plastiktüten geeignet, in wurden in den Mulm gegraben, da die Larven denen der Mulm über längere Zeit gelagert nach ersten Erfahrungen dieses Material werden kann. gerne als Nahrung annehmen. Später wurde das Nahrungsangebot erweitert. Das Substrat mit den Larven wurde teilweise abgedeckt, um Feuchtigkeitsverluste zu ver- Hoher Larvenbesatz hatte zur Folge, daß der meiden. Andererseits mußte aber auch eine freie Mulmanteil zunehmend verbraucht wur- ausreichender Gasaustausch sichergestellt de; dieser konnte im Laufe der Zeit aus den sein. Der Deckel wurde deshalb entsprechend mitgenommenen Reserven ergänzt werden, klaffend arretiert: ein Bügel wurde unter den andererseits minderte das Darbieten von Holz aufgesetzten Deckel geschlagen, der andere den Mulmverbrauch. Kontrollen der Hälte- hielt denselben auf dem Eimer fest. Diese An- rungsgefäße wurden in der Regel zweimal im ordnung ermöglichte einerseits einen Aus- Jahr durchgeführt: Die erste Kontrolle erfolgte tausch der Luft, andererseits sollte so das Ein- soweit möglich gegen Ende Mai / Anfang Juni. dringen von unerwünschten Regenmengen Die Frühjahrskontrolle diente der Sicherung (bei Aufstellen im Freien) und möglicher Fraß- der Kokons, also bevor die Käfer schlüpften, feinde verhindert werden. Die Eimer wurden zu einer Zeit, in der aber auch die Larven aktiv außerdem im Bodenbereich mit einem feinen sind und in der Regel mindestens als L2 vor- Bohrer mehrfach angebohrt, um überschüs- liegen. Die zweite, spätsommerliche Kontrolle sige Feuchtigkeit abzuleiten und somit Stau- sollte im August / September vorgenommen nässe auf jeden Fall zu vermeiden. werden, so frühzeitig vor allem deshalb, um nicht eventuell erwachsene Larven beim An- Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 161 fertigen des Kokons zu stören. Dies schienen [„... Elytren 9 Linien [1 österr. Linie = 2,195 nach den ersten Erfahrungen die geeignet- mm] lang, 3 2/3 breit. ... Kopf konkav, jeder- sten Zeiträume zu sein. seits gehöckert. Thorax gerundet: in der Mitte längliche Furchen. ... Von der Statur des Nas- Für einige Versuche war es notwendig, die hornkäfers. Ganz schwarz. Kopf annähernd Imagines unbedingt getrennt heranreifen zu quadratisch; die seitlichen Ränder erhöht und lassen. Dies war über eine Vereinzelung der in einem Höcker endend. Thorax 4 Linien Kokons leicht möglich. Je ein Kokon wurde lang, fast 5 breit, vorne auf dem Rücken mit je kurz vor der zu erwartenden Erscheinungszeit zwei Falten. Elytren gerunzelt. Abdomen kon- der Käfer in einen mit Substrat zur Hälfte ge- kav, 8 Linien lang. Hinterschenkel 2 Linien füllten Halbliter-Becher mit Gazeabdeckung breit.“] überführt und mit Gummiband verschlossen. Für Larven und Puppen aus zerbrochenen Die Beschreibung des „Scarabaeus eremita“ Kokons wurden umgehend künstliche Kokons von JOHANNES ANTONIUS SCOPOLI erschien benötigt, die kurzerhand aus angebohrten 1763 in der Entomologia carniolica in Wien (Luftzirkulation) Plastik-Inlets von sog. Über- (Vindobona). DEGEER (1774: Scarabaeus co- raschungseiern gefertigt wurden. riarius) hatte seinerzeit den gleichen Käfer wie SCOPOLI vorliegen; das wird auch deutlich in Die Überwinterung der Larven erfolgte in der der Übersetzung seines Textes aus dem Fran- Regel unter halbnatürlichen Bedingungen: Die zösischen durch GOEZE (1781): „Auf dem Behälter wurden in Kästen eingesetzt, in denen Brustschild zwo rundliche hohe Längskanten, sie mit Buchenlaub isoliert den Winter über auf wie Nähte, und an jeder Seite ein kleiner dem Balkon oder auch in einem Schuppen der Höcker. Der Kopf oben konkav mit zween natürlichen Witterung ausgesetzt blieben. erhabenen Rändern ... . Das unbedeckte Hin- Auch Überwintern ohne Dämmung wurde in terende des Hinterleibes dicke und rundlicht.“ großen Gefäßen erprobt. Die Beschreibungen von SCOPOLI und auch Für genaue Studien des Verhaltens und DEGEER im 18. Jahrhundert irritierten viele für die Beweissicherung der verschiedenen zeitgenössische Entomologen, denn nicht Käferaktivitäten wurde durch den Einsatz jeder Käfer, der auf den ersten Blick der Diag- einer professionellen Fernsehkamera ermög- nose genügte, zeigte alle geforderten Merk- licht, die Analyse des Duftes war in Kassel male. Offenbar existierte im gleichen Gebiet nicht möglich, dies übernahm die Max-Planck- ein ganz ähnliches Tier, dessen verwandt- Gesellschaft in Bonn / Jena, Prof. Dr. Wilhelm schaftliches Verhältnis zum beschriebenen Boland, Dr. Ales Svatos. Käfer unklar war, vielleicht eine zweite Art, je- doch vermutete bereits BERGSTRÄSSER 1778 nur eine unterschiedliche Morphologie der Zur Morphologie des Osmoderma eremita Geschlechter (vgl. Abb. 1, 2): (SCOP.) „Scarabaeus eremita, El. long. lin. 9, lat. lin. „Über den Unterschied des Geschlechtes hat 3 2/3 ... Diagn. Caput concavum: tuberculo sich noch kein Schriftsteller erklärt. Auch wir utrique marginali. Thorax rotundatus: sulco können nichts bestimmtes davon sagen. ROE- longitudinali medio. ... Statura S. Nasicornis. SEL [RÖSEL VON ROSENHOF, 1749] vermuthe- Totus niger. Caput subquadratum; margine te, daß der Seinige ein Weibchen sei. Da nun laterali elatiore & tuberculo terminato. Thorax weder seine Zeichnung, noch sein Text etwas lin. 4 longus, 5 fere latus, dorso plicis binis von der Furche auf dem Schilde des Brust- antice auctioribus. Elytra scabriuscula. Abdo- stücks zeigen und gedenken: so unterschei- men lin. 8 cratium. Femora postica lin. 2 lata“ den vielleicht die beiden Nathen, und die bei- SCOPOLI (1763). den Höcker, wie Degeer ganz richtig ausdrückt, Männchen und Weibchen von ein- ander. Dieses wäre mehr als wahrscheinlich, 162 Ulrich Schaffrath

Abb. 1: Habitus des Männchens von Osmoderma eremita (SCOP.).

Abb. 2: Habitus des Weibchens von Osmoderma eremita (SCOP.). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 163 wenn ich nur aus der Natur mit Gewißheit ter aufgeführt, die Form und Ausbildung des wüßte, daß es auch Käfer von dieser Art gäbe, Kopfschildes beschreiben, nach GYLLENHAL welche das aufgeführte Merkmal auf dem der des Männchens und nach KNOCH der des Schilde nicht hätten. Ist das letzte ein unmög- Weibchens: licher Fall, alsdann sind die bisherigen Zeich- nungen nicht die besten und zuverläßigsten. „Mas: Clypeo reflexo, pronoto profunde sul- Denn auch auf der Schaefferischen findet man cato, costis duabus elevatis“. (Trich. Eremita die angegebenen Merkmale auf dem Brust- Gyll. I. 55) [„Männchen: Kopfschild aufgebo- schild nicht. Nur die Degeersche hat sie allein gen, Brustschild tief gefurcht, beiderseits er- angezeigt“ (BERGSTRÄSSER 1778). weitert.“]; „femina: clypeo antice rotundato, obsolete canaliculato, profundius rugoso- RÖSEL VON ROSENHOF (1749) hatte tatsäch- punctato“. (Cetonia eremitica KNOCH. Beitr. I. lich seinerzeit wohl das Weibchen zur ersten 107) [„Weibchen: Kopfschild vorn abgerundet, schriftlichen Erwähnung des „grosen schwarz- unscheinbar rinnig, tief runzlig punktiert.“] braunen Kefers“ vorliegen (vgl. Abb. 11), was Noch einfacher: „Männchen mit hochgerande- jener aber vor allem auf die verhältnismäßig tem, Weibchen mit ungerandetem Kopfschild“ kleine Fühlerkeule und den dicken Leib hin (GUTFLEISCH 1859). vermutete, Merkmale, durch die sich einige Blatthornkäferweibchen tatsächlich auf den Die BERGSTRÄSSERschen Ausführungen zei- ersten Blick vom Männchen unterscheiden. gen immerhin, daß der Käfer den Alten meist Die Größe der Fühler ist jedoch beim Eremiten nur einzeln in die Hände fiel, denn in der Tat ist – wie in der ganzen Rosenkäferverwandt- das Geschlecht des Käfers für den Ungeübten schaft – kein geschlechtsspezifisches Kenn- ohne Vergleichstiere nicht unbedingt auf den zeichen, bei beiden Geschlechtern sind diese ersten Blick zu erkennen. Über ein Genitalprä- gleich gestaltet. parat kann man sich natürlich leicht Gewißheit verschaffen; daran dachte im 18. Jahrhundert Und wie zunächst SCOPOLI (1763) hatte auch jedoch noch niemand. Es gibt aber auch zu- DEGEER (1774) lediglich den männlichen verlässige morphologische Merkmale des Käfer vorliegen. Das Weibchen wurde auf- Ektoskeletts, über die sich jeder relativ leicht grund (im Detail: vgl. Abb. 7, 8) deutlich unter- auch im Freiland orientieren kann. Die Varia- schiedlicher Morphologie von KNOCH (1801) bilität der Tiere ist dabei längst nicht so groß noch einmal als eigene Art betrachtet und als wie die existierenden Abbildungen in ver- Cetonia eremitica beschrieben. PAYKULL schiedenen Werken glauben machen (Abb. (1808) übernimmt zwar diese Trennung der 3, 4). beiden Geschlechter in zwei Arten (Trichius eremita und T. eremitica), doch merkt er bereits an: Kennzeichen des Osmoderma eremita Der Eremit ist ein um drei Zentimeter langer, „Utrum Specie, an Sexu tantum a praecedente etwas plump und bullig wirkender typischer [=T. eremita] distinctus, ulterior docebit expe- Blatthornkäfer mit den für die Überfamilie rientia“ (PAYKULL 1808). [„Ob eine andere Art, kennzeichnenden Merkmalen der einseits- oder aber im Geschlecht vom vorhergehen- wendigen Fühlerkeule und den zu Grabbeinen den verschieden, das jeweilige wird die Erfah- ausgebildeten gezähnten Vordertibien. Die rung lehren“]. Doch schon 1817 bemerkt Farbe des Insekts ist ein schwer definierbares SCHÖNHERR: Certe femina praecedentis Braunschwarz, manche Tiere spielen ins [=T. eremita] (SCHÖNHERR 1817) [„Sicherlich Rötliche, andere ins Grünliche. Auch ein me- das Weibchen des vorhergehenden“] nach tallischer Glanz ist (resp. auf dem Pronotum PAYKULL 1827. der Männchen) wahrnehmbar. Besonders kleinere Weibchen besitzen oft etwas rötlich Bei HEER (1841) schließlich finden wir dann durchscheinende Elytren (unausgefärbt?). die auffälligsten Merkmale beider Geschlech- Alle Körperanhänge sind stets schwarz. 164 Ulrich Schaffrath

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Abb. 3: Darstellungen von Osmoderma eremita (SCOP.) aus verschiedenen Werken: 1. Reihe: BALTHASAR 1956, MEDVEDEV 1960, HANSEN 1925; 2. Reihe: MACHATSCHKE (FHL) 1969, REITTER 1909, BECHYNE 1954; 3. Reihe: JANSSENS 1960, HARDE & SEVERA 1984, SEBÖ 1956. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 165

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Abb. 4: Verschiedene Darstellungen von Osmoderma eremita (SCOP.): 1. Reihe: Mitt. Arb.gem. Rhein. Koleopterologen 1993, PERRIER 1930, PAULIAN 1941; 2. Reihe: EVERTS 1903, MEDVEDEV 1960, REITTER 1909, KREISSL 1974; 3. Reihe: LAMPERT o. D., vor 1909, Eremit vor der Bruthöhle mit Kokon, im Hintergrund ein Pinselkäfer (Trichius sp.). Die Larve ist zwar ein typischer Blatthornkäfer-Engerling, kann jedoch nicht eindeutig als Eremitenlarve angesprochen werden (vgl. Abb. 54 a, b). Rechts: Osmoderma e. cristinae SPAR., aus SPARACIO 1994. 166 Ulrich Schaffrath

Die Oberseite von Halsschild und Flügel- Der Halsschild des Männchens ist gewölbter decken ist weitgehend unbehaart, ventral und als der des Weibchens und relativ größer und lateral findet sich dagegen vielfach eine gelb- breiter. Beim Männchen sind außerdem zwei lich-braune Beborstung, auch die Körperan- deutliche parallele, der Mitte des Pronotums hänge sind teils stark beborstet. Die Fühler- genäherte Längswülste zu erkennen, dazwi- keule ist in beiden Geschlechtern klein, die schen eine rinnenförmige Vertiefung (vgl. einseitswendige Fühlerfahne besteht aus drei Abb. 1, 5). Beim Weibchen sind diese Merk- Gliedern. male nur (zum Kopf hin) angedeutet (vgl. Abb. 2, 6). Der Halsschild des Männchens ist spär- Der breit gebaute Käfer wirkt ein wenig platt- licher punktiert und mit kleineren Punkten gedrückt, ein Merkmal, das durch eine quer versehen als der des Weibchens und wirkt ins- verlaufende Furche in Höhe des Schildchen- gesamt glatter, dafür beuliger. Jedoch bleiben zipfels verstärkt wird, da auch jener Zipfel des bei manchen Halsschilden kleiner Tiere Zwei- großen Scutellums in Höhe der kurzen Quer- fel hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit, furche niedergedrückt erscheint (vgl. Abb. 6). so daß in diesem Falle andere Merkmale hinzugezogen werden müssen.

Morphologische Unterscheidung der Immer ist der Hinterleib des Männchens nach Geschlechter hinten unten gekrümmt und breit verrundet. Die Eine einfache morphologische Differenzie- vorletzten Sternite erscheinen querüber kon- rung der Geschlechter bietet die Wölbung kav eingedrückt, in Seitenansicht ist dieses (Weibchen) bzw. Höhlung (Männchen) des Merkmal stets deutlich zu erkennen. Das gros- Kopfschildes und seine vorhandenen (Männ- se, breite Pygidium des Männchens bedeckt chen) oder fehlenden (Weibchen) stumpfen kappenförmig das Hinterleibsende und greift Hörnchen (vgl. Abb. 5 - 7). Der Eindruck einer auf die Ventralseite über. Das letzte Sternit ist Höhlung des Clypeus beim Männchen wird ei- dementsprechend breit quer – aber schmal in nerseits durch die „Hornbildung“ oberhalb der der Längsachse, das vorletzte zusätzlich in der Fühlereinlenkung, andererseits durch die star- Mitte von vorn und hinten verengt. Alle genann- ke Aufwerfung der Vorderrandkante verstärkt. ten Merkmale stehen mit dem Bau und der Letzteres Merkmal billigt MACHATSCHKE Funktion der stark chitinisierten Parameren in (1969) beiden Geschlechtern zu, ist aber beim Verbindung (vgl. Abb. 8 a). Weibchen in der Regel nicht auszumachen. Das Weibchen ist im Unterschied dazu auf der Die an Giraffen erinnernden, durch den hoch- Unterseite gleichmäßig konvex gewölbt, und gezogenen Seitenrand des Kopfschildes bei- das Abdomen ist relativ spitzer zulaufend als derseits aber nicht freistehenden, sondern in beim Männchen. Das gesamte Pygidium ist den Seitenrand eingebundenen „Hörnchen“ ohne besondere Auszeichnung, das letzte sind meist auch bei sehr kleinen männlichen Sternit dreieckig angelegt, mit verrundeter Individuen noch deutlich ausgeprägt. Auf Spitze. Das vorletzte Sternit ist groß und rela- Höhe des Vorderrandes dieser Gebilde teilt oft tiv breiter als die anschließenden, mit nahezu ein nach vorn rundlich gebogener Grat quer parallelem Vorder- und Hinterrand (vgl. Abb. über die Kopffläche, so daß diese in zwei zu- 8 b). einander stumpf gewinkelte, jeweils vertiefte Hälften geteilt erscheint. Ein Merkmal, das nur Entsprechend wirken männliche Käfer in der große Männchen zeigen. Der lediglich flach Betrachtung von oben am Hinterende mehr konvex gewölbte Kopfschild der Weibchen rundlich, weibliche mehr dreieckig. Auch die weist oberhalb der Fühler zwar eine Aufbie- Elytren der Geschlechter sind dieser unter- gung des Randes auf, die jedoch niemals an schiedlichen Form des Hinterleibs angepaßt die Ausbildung der männlichen „Giraffenhörn- (undeutliche Abrundung der Flügeldecken chen“ heranreicht. beim weiblichen Käfer etwa ab der Mitte, beim männlichen ab dem letzten Viertel). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 167

Abb. 5: Portrait zweier Eremiten-Männchen. Das Pronotum der männlichen Käfer zeichnet sich durch eine relativ starke Oberflächenskulptur aus, der Kopfschild wirkt ausgehöhlt.

Abb. 6: Portrait Eremiten-Weibchen. Der Halsschild ist meist deutlich kleiner, schmaler und weniger strukturiert als der des Männchens, der Kopf ist flach gewölbt. 168 Ulrich Schaffrath

Abb. 7 a, b: Vergleich des Kopfschildes von Männchen (l.) und Weibchen (r.) (nach Präparaten).

Abb. 8 a, b: Vergleich des Abdomens von Männchen (l.) und Weibchen (r.) (nach Präparaten).

Die Männchen besitzen kürzere, kräftigere, Zwitterbildungen (Gynander) des Eremiten unterseits etwas abgeflachte und nach außen wurden bisher nicht bekannt. eckig vorgezogene Vordertarsenglieder, die Weibchen im Vergleich schmalere, zierlichere und nahezu drehrunde Glieder. Die Vorder- Größe der Imagines und Verhältniszahlen tibien des Weibchens sind nach außen hin der Geschlechter stets spitz gezähnt, gegenüber einer etwas Die Maße der Imagines werden von LUCE stumpferen Zähnung beim Männchen, bei (1996) mit 20 bis 35 mm angegeben. Nach dem der Apikalzahn deutlich zurücktritt. TAUZIN (1994 b) wird das Männchen zwischen Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 169

24,5 und 33 mm lang und 14 bis 19 mm breit, ges., 58 m, 54 w) spricht für eine quasi das Weibchen zwischen 25 und 35 mm lang 1:1-Verteilung der Geschlechter (vgl. RANIUS und 14,1 bis 19 mm breit. LEHMANN (1990) 1999). ermittelte für das Männchen eine maximale Länge von 38 mm, für das Weibchen 39 mm; Nach TAUZIN (1994 b) werden in der Natur LAIBNER (1974) schließlich gibt die maximale häufiger Weibchen als Männchen angetroffen. Größe mit 40 mm an. Diese Beobachtung könnte damit zusammen- hängen, daß viele Männchen bereits kurze Untersuchungen des Autors zeigten, daß Zeit nach der Paarung absterben, die Weib- unzureichend gefütterte „Hungerlarven“ nach chen dagegen meist länger leben (vgl. Kap.: mehreren Jahren sehr kleine Imagines erge- Lebensdauer der Imagines). In den Zuchtan- ben. Das kleinste dabei festgestellte lebens- sätzen des Autors waren nach von der Mulm- fähige Tier war ein Männchen von nur 22 mm oberfläche nach 28 Tagen abgesammelten Länge (vgl. Abb. 9). toten Tieren 14 Männchen und 3 Weibchen. Weitere Weibchen hatten sich zu jener Zeit Eine Auswertung vom Autor erhobener Daten zur Eiablage eingegraben und erschienen (Meldungen durch Kollegen und Sammlungs- später wieder an der Oberfläche. Je nach Zeit- stücke) nach Männchen und Weibchen (216 punkt der Betrachtung konnten so unter- insges., davon 103 Männchen und 113 Weib- schiedlich viele Tiere eines Geschlechts chen) sowie der bei der Kontrolle des Mulms gefunden werden. zusätzlich gefundenen Halsschilder (112 ins-

Abb. 9: Beträchtliche Größenunterschiede zwischen den Käfern sind unabhängig vom Geschlecht der Tiere, sie geben vielmehr Auskunft über die Qualität des bewohnten Habitats (obere Reihe: m, w, w ; untere Reihe: m, m, w, w). 170 Ulrich Schaffrath

Abb. 10 a - c: Der Eremit (oben rechts) kann allenfalls mit den ww des Hirschkäfers (Lucanus cervus, oben links) oder denen des Nashornkäfers (Oryctes nasicornis, unten) verwechselt werden. Der eine unterscheidet sich jedoch sofort durch große, deutlich gekniete Fühler, der andere durch einen vorne abgeflachten Halsschild.

trachten ist und in Mitteleuropa meist erst ab Juli im Freiland in Erscheinung tritt.

Anmerkungen zu den Namen

Frühe Konfusionen „Scarabaeus variabilis [Nr.] 53. S. muticus laeuis opacus ater, elytris punctatis, M. L. V. Ähnliche Arten – Verwechslungsmöglich- Roes. Ins, 2. Scarab. I. t. 3. Habitat in Europae keiten Quercubus rarius. Mas femina quintuplo minor Vergleichbar große Blatthornkäfer (30 -40 mm), est; variat colore aureo et rubro“ (LINNÉ, Aus- die eventuell auf den ersten Blick mit dem Ere- gabe 1760, S. 352). miten verwechselt werden könnten, sind ledig- lich die Weibchen von Nashornkäfer (Oryctes Schon TAUZIN (1994 b) macht auf diese Stelle nasicornis (L.)) und Hirschkäfer (Lucanus in LINNÉs „Systema Naturae“ und die damit in cervus (L.); s. Abb. 10 a - c). Diese sind beide der Folge verbundenen Konfusionen aufmerk- mehr oder weniger querüber gewölbt und kön- sam, gibt aber den Sachverhalt in verschiede- nen durch dieses Merkmal leicht von Osmo- ner Hinsicht nicht richtig wieder. derma eremita, der immer oben abgeplattet wirkt, unterschieden werden. Der Hirschkäfer LINNÉ beschreibt an dieser Stelle einen Käfer ist aber außerdem im weiblichen Geschlecht als „Scarabaeus variabilis“, den er auf einer leicht an seinen großen, geknieten Fühlern zu Abbildung bei RÖSEL VON ROSENHOF entdeckt erkennen, der Nashornkäfer durch den vorne haben wollte und auf die er verweist konkav ausgerandeten Halsschild. Im Frei- (Insecten-Belustigung 2. Teil, 1749, Tafel 3; land erscheinen beide Arten in der Regel vgl. Abb. 11). Wegen der vermeintlichen gros- schon im Mai / Juni und damit deutlich früher sen Variabilität der „Art“, bei welcher sich die als der Eremit, der eher als Sommerart zu be- Geschlechter nach LINNÉ nicht nur in der Farbe Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 171

Abb. 11: Die wahrscheinlich älteste Darstellung des Eremiten findet sich in JOHANN RÖSEL VON ROSENHOFs „Insecten- Belustigung zweyter Theil“ von 1749 (auf der Tafel unten; darüber verschiedene Stadien von Gnorimus nobilis (L.)). 172 Ulrich Schaffrath

(zwischen schwarz und rot-golden), sondern LER: „Der Unbestand“, Nr. 79, S. 89) und auch in der Größe außerordentlich unter- Scarabaeus eremita (Nr. 74, S. 556; MÜLLER: scheiden sollen („das Männchen ist fünfmal „Der Eremit“, Nr. 74, S. 87). In der VILLERS- kleiner als das Weibchen“; s. o.), belegte er Ausgabe des Werks (1789) schließlich wer- diesen Käfer mit dem jenem Artnamen. Auf den ebenso die drei Spezies genannt und der bezeichneten Tafel findet sich jedoch erstaunlicherweise in allen Fällen auf Abbil- neben fünf verschiedenen Darstellungen von dungen in RÖSELs Werk verwiesen: Bei „Sca- Gnorimus nobilis (fig. 1 - 5) die wohl erste rabaeus nobilis“ und „S. eremita“ zurecht auf Darstellung von Osmoderma eremita (fig. 6). Tafel 3, Abb. 3 - 5 bzw. 6, während „S. variabi- lis“ am bezeichneten Ort (Tafel 3 [ohne Abbil- Er kann aber mit dieser „variablen Art“ nicht dungsnummer]) gar nicht vorhanden ist. den Gnorimus nobilis gemeint haben, denn dieser ist auf derselben Tafel von RÖSEL So ganz genau war den Entomologen des (Tafel 3, Figuren 1 bis 5: Larve, Puppe, 3x 18. Jahrhunderts der Sachverhalt offenbar Imagines) dargestellt, und wird von LINNÉ nicht klar. So verweist zum Beispiel HERBST direkt nach dem Scarabaeus variabilis auf der (1790) auf RÖSELs Tafel 3 mit der Abbildung folgenden Seite (S. 353) als „Scarabaeus des Eremiten unter Nummer 8, diese hat aber nobilis“ benannt. Aus der Beschreibung von nur sechs verschiedene Darstellungen. Die- RÖSEL geht, zusätzlich zu den treffenden Dar- selbe Angabe findet sich übrigens auch in der stellungen, unzweifelhaft hervor, daß es sich GMELIN-Ausgabe von LINNÉs „Systema Natu- bei den zusammen mit dem Eremiten abge- rae“ und in FABRICIUS‘ „Species Insectorum“ bildeten Tieren um eben jene Art handelt, die (1781). Dagegen wird von FABRICIUS der Gno- seither als Gnorimus nobilis (L.) in der binären rimus variabilis („Cetonia octopunctata“) in ei- Nomenklatur bezeichnet wird. nem Tier wiedererkannt, das RÖSEL auf Tafel 2 unter Nummer 8 abgebildet hat, das aber die Es ist anzunehmen, was im übrigen seinerzeit heutige Protaetia lugubris (HERBST) darstellt schon von DEGEER (1774) vermutet wurde, (von REITTER 1909 übernommen). Bei daß LINNÉ in diesen frühen Jahren der wissen- HERBST muß eine eventuelle Verwechslung schaftlichen Entomologie den Eremiten noch der beiden Tafeln RÖSELs jedoch mehr oder gar nicht kannte. So deutete er vielleicht den weniger ausgeschlossen werden, hat er doch bei RÖSEL dargestellten Käfer (der ja noch selbst das unter Nummer 8 auf Tafel 2 darge- nicht mit lateinischem Namen bezeichnet war) stellte Tier schon 1786 als „Cetonia lugubris“ als den ihm (folglich) bekannten heutigen beschrieben. Gnorimus variabilis, dagegen spricht aller- dings vehement der enorme Größenunter- Nach dem Studium der LINNÉ-Sammlung in schied, den er für die beiden Geschlechter London jedenfalls konstatierte LANDIN (1956) feststellt. Bezieht er sich aber bei seiner Be- die Identität zweier Exemplare des Scara- schreibung des Scarabaeus variabilis aus- baeus variabilis im Sinne LINNÉs mit Gnori- schließlich auf das von RÖSEL dargestellte mus octopunctatus FABRICIUS 1775 und Tier, so müßte der Eremit heute, den strengen schlug vor, den älteren Namen variabilis (LIN- Regeln der Nomenklatur folgend, den wis- NÉ) für diese Art wiedereinzusetzen. So kam senschaftlichen Namen Osmoderma variabilis also der wenig variable Gnorimus variabilis (L.) tragen. letztendlich durch einen Irrtum LINNÉs zu sei- nem ungerechtfertigten wissenschaftlichen In der 12. Ausgabe der „Systema Naturae“ Namen, der ebensogut auch den Eremiten (1767; Deutsche Ausgabe 1774, Hrsg. P.L.S. hätte treffen können. LINNÉ hat seine offen- MÜLLER) führt LINNÉ nun (ohne weitere Erklä- sichtliche Vermengung verschiedener Arten in rungen zu früheren Darstellungen) drei Arten späteren Auflagen seiner „Systema Naturae“ nebeneinander: Scarabaeus nobilis (Nr. 81, S. in gewisser Weise berichtigt, über die Art 558; MÜLLER: „Der Edelmann“, Nr. 81, S. 90), seines offensichtlichen Fehlers aber keine Scarabaeus variabilis (Nr. 79, S. 558; MÜL- Erklärungen abgegeben. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 173

Anmerkungen zum wissenschaftlichen SAINT FARGEAU & AUDINET SERVILLE (1828) Namen gebräuchliche Schreibweise wird somit beibe- Die heute gültige Namenskombination für den halten. Käfer: Osmoderma eremita wurde von LE PELETIER DE SAINT FARGEAU & AUDINET SER- VILLE (1828: 702) geprägt. Zuvor, aber auch Anmerkungen zu den Trivialnamen später waren dem Tier durch unterschiedliche „Der Einsiedler oder Juchtenkäfer gehört un- taxonomische Auffassungen sowohl andere ter die seltnern und hat seinen ersten Namen Gattungs- als auch Artnamen zugedacht davon erhalten, weil er meist einsam lebt. worden (bei SCOPOLI 1763 Gattungsname Um Halle im Magdeburgischen wird er wegen Scarabaeus). seines Geruchs, den man mit dem Geruch des Juchtenleders vergleicht, der Schuster- Der Gattungsname „Osmoderma“, 1825 von oder Juchtenkäfer genannt“ (BERGSTRÄSSER LE PELETIER DE SAINT FARGEAU & SERVILLE 1778). geprägt, bezieht sich gleich auf zwei markante Merkmale des Insekts: (von gr. derma = Haut, „So lange dieser Käfer lebt, hat er einen ziem- Leder und gr. osme = Geruch, Duft). Also lich starken Geruch von russischem oder könnte man diesen Begriff etwa mit „duftendes Juchtenleder“ (HERBST 1790). Leder“ oder „Lederduft“ übersetzen. Ähnliche Assoziationen sind auch in den volkstüm- „Schusterkäfer“, „Juchtenkäfer“ oder auch lichen Namen zu finden, die in den vom Käfer „Juchtenscharrkäfer“ (STURM 1857), beziehen bewohnten Ländern geprägt wurden (siehe sich also auf den vermeintlichen Duft nach unten). „Juchtenleder“. Juchtenleder ist heute aber längst aus der Mode, so daß mit dem Begriff Der Artname „eremita“, 1763 von SCOPOLI olfaktorisch zunehmend niemand mehr etwas genannt (von gr. eremia = Einsamkeit, Zurück- verbinden kann. Gemeint ist, wie „Der Neue gezogenheit bzw. eremos = einsam, abgeson- Herder“ (1967) angibt, „der oder das Juchten“, dert lebend). Dieser Begriff kann leicht fehlge- ein mit Birkenteeröl geschmeidig gemachtes deutet werden und ist wohl auch vielfach Leder, „besonders für Schuhe und Brief- falsch verstanden worden. Wie wir heute wis- taschen“. Jedoch: Duftempfindungen sind sen, lebt der Käfer keineswegs allein, als Ein- subjektiv, bei FRICKEN (1885) heißt es: „Ei- siedler oder Eremit, sondern in teils umfang- gentümlich, aber wohl nicht wie Juchtenleder reichen, zahlenstarken Kolonien. Versteht riechend“ ... und GERSTAECKER (1863) meint: man aber darunter eine gewisse Zurückgezo- „Im Leben stark nach Moschus riechend“, genheit in der Baumhöhle, das abgesonderte SCHAUFUSS (1916): „stark und angenehm duf- Leben im Baumhaus, so trifft „eremita“ ins tend“, und bei BECHYNE (1954) finden wir Schwarze. Dies um so mehr, wenn man be- noch: „stark riechend“ ... denkt, wie lange eine solche Klausur (einer Kolonie) andauern kann (vgl. Kap.: Treue zum Bei ACKERMANN (1870) heißt er einfach Brutbaum, S. 216). „Lederkäfer“, und HORION (1958) meint: „sie [die Käfer] verraten ihre Anwesenheit meist Der Versuch PIERRE TAUZINs, den Artnamen durch einen charakteristischen strengen Le- dem griechischen Neutrum to derma adjekti- dergeruch“. visch zuzuordnen, den Käfer also künftig als Osmoderma eremitum zu führen (vgl. TAUZIN Eine weitere Benennung, die sich – wie der 1994 a+b, 1996), fand keine weitere Reso- Gattungsname – auf den Geruch bezieht, ist nanz. KRELL (1998) geht davon aus, daß „Aprikosenkäfer“ (EISENACH 1838): „Er riecht eremita als mittellateinisches, aus dem Grie- fast wie Aprikosen, daher sein deutscher chischen übernommenes Substantiv dem Name“. Aber auch mit „prune“ (Pflaume) wird Geschlecht des Gattungsnamens nicht ange- die Duftnote umschrieben (TAUZIN 1994; s. u.: glichen werden kann. Die seit LE PELETIER DE „pique-prune“), da scheiden sich also die 174 Ulrich Schaffrath

Abb. 12 a - d: Zu den nächsten Verwandten des Eremiten in Mitteleuropa zählen Gnorimus variabilis (L.), G. nobilis (L.), die Arten der Gattung Trichius (hier T. fasciatus (L.) sowie Valgus hemipterus (L.) (von o. l. nach u. r.).

Geister. Eine Duftanalyse durch das Max- Der heute meistbenutzte deutsche Name ist Planck-Institut für Chemische Ökologie (Prof. „Eremit“, im gleichen Kontext sind die alten DR. W. BOLAND / DR. A. SVATOS, früher Bonn, Namen „Einsiedler“ (z. B. bei BERGSTRÄSSER heute Erfurt) hat gezeigt, daß die dem Käfer 1778), „Einsiedler Kolbenkäfer“ (nach der wie der Frucht entströmenden Stoffe, in bei- Fühlerkeule der Blatthornkäfer) und „Eremit- den Fällen Laktone, tatsächlich verwandt sind käfer“ (beide BRAHM 1791) zu verstehen. (vergl. Kapitel „Duft“). Der ebenso schöne wie „Weidenkäfer“ heißt er bei BECHSTEIN (1794), zutreffende Name „Aprikosenkäfer“ hat sich und in der Tat sind dicke hohle Weiden belieb- jedoch leider nicht durchsetzen können. te Brutbäume des Käfers. Weiter wird er „der faule Holzerdenkäfer“ genannt (vgl. BOERNER Mit „Odeur de cuir de Russie“, also „Russisch Samml. 1. 462), Bezug nehmend auf die Ent- Leder“ umschreibt man in Frankreich die Aus- wicklungsstätte der Käfer im Holzmulm. „Der dünstungen des Käfers. Auch in alten Werken grose schwarz-braune Kefer“ heißt er bei findet sich diese Auffassung: „Recens odorem RÖSEL VON ROSENHOF, der im Jahre 1749 die spargit corii Russici“ (u. a. FABRICIUS 1781) erste Beschreibung des Eremiten vorlegte. oder „recens corium russicum olens“ (GMELIN: LINNÉ 1758). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 175

SCRIBA (1790) nennt ihn „der schwarzledrichte daneben findet auch der Name „le barbot“ Schirmblumenkäfer“, BERGE (1844) „einsamer (ohne Bedeutung) Verwendung (HECKEN- Schirmblumenkäfer“, was auf zwei neue ROTH briefl. 2001). Die Amerikaner sprechen Aspekte hinweist: einerseits auf den hier und bei den dortigen Eremitenarten vom „hermite da erwähnten Blütenbesuch des Insekts; viel (flower) beetle“ (in England kommt die Gat- mehr aber auf die nächsten bei uns in Mittel- tung Osmoderma nicht vor), „Läderbagge“ europa vorkommenden Verwandten, die Gat- heißt das Tier in Schweden (vgl. Abb. 93, tungen Gnorimus, Trichius und Valgus, von Teil 2: S. 288), „Eremitten“ in Dänemark. denen fast alle Vertreter häufig weiße Dolden- und Scheindoldenblüten, „Schirmblumen“ Abbildungen in populärwissenschaftlichen eben, besuchen (vgl. Abb. 12 a - d). „Eremit- Werken sind selten. Bei LAMPERT (o. D., vor scharrkäfer“ (STURM 1843) verweist ebenfalls 1909) findet sich eine Zeichnung des Eremiten auf die Verwandtschaft zur Gattung Gnorimus, in seinem Lebensraum, daneben in der Baum- die auch heute noch in manchen Werken mit höhle der typische Kokon mit anhaftenden dem deutschen Namen „Edelscharrkäfer“ be- Kotteilchen. Die Larve, die dazu gezeigt wird, legt wird (vgl. BA für Naturschutz (Hrsg., 1998): ist zwar eine Blatthornkäferlarve, ihre Identität Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands). mit einer Eremitenlarve muß jedoch in Zweifel gezogen werden (Abb. 4, 3. Reihe links). Die Trivialnamen im übrigen Verbreitungsge- biet der Gattung (soweit dem Autor bekannt) scheinen sich, wie die deutschen, auf das Verbreitung „Eremiten-Leben“, auf die Verwandtschaft des Käfers zu blütenbesuchenden Arten oder aber Verbreitung der Osmodermini auf den charakteristischen Duft zu beziehen: Eine Übersicht über die Verbreitung der Ein französischer Volksname findet sich Osmodermini (nicht: Osmodermatini, vgl. schon in der 1789er VILLERS-Ausgabe von TAUZIN 1994 a) gibt KRIKKEN (1978; Abb. 13). LINNÉs „Systema naturae“: „l’hermite“. Heute wird der mittlerweile recht populäre Käfer dort Die Osmodermini gehören als Tribus zur Sub- „Pique-prune“ („Pflaumenstecher“) genannt, familie der Trichiinae (KOLBE 1897; in Europa eine literarische Anspielung auf den Geruch, noch die Tribus mit den Gattungen

Abb. 13: Verbreitung der Osmodermini (nach KRIKKEN 1978). Sich überschneidende Linien: Überlappungsgebiete der Gattungen Inca und Golinca bzw. Incala und Incalidia. 176 Ulrich Schaffrath

Gnorimus, 5 Arten, und Trichius, 4 Arten), in Verbreitung der Gattung Osmoderma; der Familie der Cetoniidae (in Europa noch die Arten und Unterarten Subfamilien Cetoniinae, mehr als 40 Arten, Verbreitungskarten für die Gattung Osmo- und Valginae, 1 Art), Überfamilie der Scara- derma finden sich bei MEDVEDEV (1960; Palä- baeoidea (nach BARAUD 1992). arktis Abb. 14; Eurasien Abb. 17), die der nordamerikanischen Arten bringt HOFFMANN Die Gattung Osmoderma (LE PELETIER & AU- (1939), welche von TAUZIN (1994 b) ergänzt DINET-SERVILLE, 1828) ist nur in der nördli- und verändert wurden (vgl. Abb. 16 a + b). chen Hemisphäre verbreitet. In Süd- und Mit- Denn von manchen Autoren (HOWDEN 1968; telamerika leben die verwandten Gattungen RATCLIFF 1977) wird Osmoderma subplanata Inca (LE PELETIER & AUDINET-SERVILLE, (CASEY) (zentrales Nordamerika) von O. ere- 1828) mit sechs Arten und Golinca (THOM- micola KNOCH, der weiter östlich, aber ohne SON, 1878) mit zwei Arten, in Afrika Incala scharfe Trennung zu O. subplanata (CASEY) (THOMSON, 1857) mit etwa 20 Arten, Incalidia vorkommt, als eigene Art betrachtet, meist (JANSON, 1907) mit einer Art und Platygenia aber als Subspecies angesehen. Diese Tren- (MACLEAY) mit 3 Arten und in Südostasien die nung berücksichtigt TAUZIN. Gattung Platygeniops (KRIKKEN, 1978) mit ei- ner bekannten Art (alle Zahlenangaben nach Die Verbreitung über die gesamte nördliche KRIKKEN 1978; vgl. TAUZIN 1994 a). Hemisphäre sowie die weite räumliche Tren- nung der Arten belegen das hohe Alter der Gattung Osmoderma. Diese hatte sich offen- bar schon im Miozän, also vor rund 20 Millio- nen Jahren in der Jungtertiärzeit etabliert. Denn zu jener Zeit, in der die Pflanzenwelt bereits mit der heutigen weitgehend überein-

Abb. 14: Weltverbreitung der Gattung Osmoderma (aus MEDVEDEV 1960). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 177

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Abb. 15: Arten bzw. Unterarten der Gattung Osmoderma (ausTAUZIN 1994 a, b; Nomenklatur verändert): 1. Reihe: O. eremita (SCOP.), O. e. lassallei (BARAUD & TAUZIN), O. brevipennis PIC. 2. Reihe: O. richteri MEDVEDEV, O. opicum LEWIS; 3. Reihe: O. scabra PALISOT DE BEAUVOIS, O. eremicola KNOCH, O. barnabita MOTSCHULSKY. 178 Ulrich Schaffrath

a b

Abb. 16 a, b: Verbreitung der nordamerikanischen Osmoderma-Arten: a) O. eremicola (KNOCH); b) O. scabra (PALISOT DE BEAUVAIS) bzw. dessen Unterart O. scabra subplanata (CASEY), große Punkte (nach TAUZIN 1994 b; vgl. HOFFMANN 1939).

stimmte, breiteten sich letztmals zusammen- Über die paläarktische Verbreitung der Arten hängende Laubwälder zwischen dem heuti- der Gattung Osmoderma liefert TAUZIN (1994 gen Alaska und Sibirien aus (nach LUCE a + b) eine Gesamtübersicht. Nach seiner Auf- 1996). Der Abtrennung verschiedener Wald- fassung sind weltweit 8 Arten zu unterschei- bereiche folgte die Ausbildung der Arten, doch den. Der erst 1991 von BARAUD & TAUZIN von noch heute stimmen Körperbau und Größe O. eremita (SCOP.) – nach vorwiegend genital- aller Arten der Gattung Osmoderma weitge- morphologischen Befunden – als eigene Art hend überein (vgl. Abb. 15). abgetrennte Osmoderma lassallei (loc. typ.:

Abb. 17: Verbreitung der Gattung Osmoderma in Eurasien (aus MEDVEDEV 1960): 1. O. eremita (SCOP.); 2. O. brevi- pennis (PIC); 3. O. richteri MEDVEDEV; 4. O. barnabita (MOTSCHULSKY); 5. O. opicum (LEWIS). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 179

O. brevipenne O. eremitum O. eremitum meridionale O. lassallei septentrionale O. lassallei O. richteri

Abb.18: Verbreitung der Gattung Osmoderma in Europa und Kleinasien (aus TAUZIN 1994 b). Die von TAUZIN ver- wendete Benennung der Arten bzw. Formen wurde in diesem Falle beibehalten (vgl. dazu Text).

Abb. 19 a - c: Die eurasischen Arten Osmoderma barnabita (MOTSCHULSKY) (aus MEDVEDEV 1960), O. brevipennis PIC (aus NÜSSLER 1986), O. richteri MEDV. (aus MEDVEDEV 1953). 180 Ulrich Schaffrath

Abb. 20: Merkmale von Osmoderma e. eremita und O. e. lassallei (hellgrau hinterlegt) bzw. O. e. cristinae (dunkelgrau hinterlegt) im Vergleich. 1. und 2. Reihe: Vergleich Kopf in Aufsicht, Abdomen eines Männchen im Profil, Abdomenende und Metasternum (nach TAUZIN 1994). 3. und 4. Reihe: Vergleich Aedoeagus, links Hinteransicht (bei O. e. lassallei auch Dorsalansicht), Mitte Profilansicht aus TAUZIN (1994 b); rechts Profilansicht aus KRELL (1998). 5. Reihe: Ausbil- dung des Aedoeagus bei Käfern unterschiedlicher Provenienz: O. e. lassallei; Osmoderma e. eremita, aus KRELL (1996); O. e. cristinae, aus SPARACIO (1994). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 181

Griechenland: Ossa-Gebirge) hat nach An- (1996) fehl, worin KRELL (1996) eine mögliche sicht von KRELL (1996) keine Artberechtigung: „reproduktive Inkompatibilität“ zwischen mitt- So existieren Übergänge im Bau der Parame- lerweile weit entfernten Populationen vermu- ren (vgl. Abb. 20) im breiten Überlappungsge- tet, gleichzeitig bedauert derselbe auch, daß biet zwischen beiden Formen (Übergangsfor- von TAUZIN keinerlei Angaben über die Prove- men in Deutschland in Sachsen und Bayern), nienz der Tiere und die Versuchsbedingungen die allenfalls auf geographische Rassen zu gemacht werden. den Verbreitungsgrenzen hin schließen las- sen (vgl. Abb. 21). Die Unsicherheit hinsichtlich des Status des „lassallei“, ob Art oder Unterart, bekam durch Anderen Merkmalen, die von TAUZIN zur Un- die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (1992) na- terscheidung angeführt werden, billigt KRELL – turschutzrechtliche Relevanz, da durch jene abgesehen von einer stets bei lassallei stärke- Richtlinie nur der „Osmoderma eremita“, nicht ren Punktierung des männlichen Pygidiums – aber ein „Osmoderma lassallei“ zu den Zielar- keine Konstanz zu (vgl. Abb. 20). TAUZIN ten des europäischen Naturschutzes gemacht (1994 b) will weitere morphologische Unter- wurde (vgl. Kap.: FFH-Richtlinie ff.). Durch die schiede bei O. eremita und O. lassallei er- Studie KRELLs wurde diese Unsicherheit, die kannt haben und benennt diese als geographi- in Deutschland mindestens die Bundesländer sche Unterarten (vgl. Abb. 18, europäische Sachsen und Bayern betrifft, zunächst ausge- und vorderasiatische Arten). Kreuzungsver- räumt. suche schlugen nach Angaben von TAUZIN

Abb. 21: Verbreitung der Unterarten O. e. eremita (SCOP.) (Kreise) und O. e. lassallei (BARAUD & TAUZIN) (Dreiecke) bzw. deren Mischformen (Sterne) in Zentraleuropa (nach KRELL 1996, ausgefüllte Signaturen: Belege von KRELL überprüft). 182 Ulrich Schaffrath

Dem Osmoderma cristinae (SPARACIO 1994; Kaukasus Kalabrien und Monti Nebrodi auf Sizilien; s. Osmoderma barnabita (MOTSCHULSKY, Abb. 4, 3. Reihe rechts) entspricht der von 1845), NO-Asien TAUZIN (1994 b) als Unterart O. eremitum ssp. meridionale TAUZIN beschriebene Käfer. Auch Manche dieser Arten bzw. Unterarten sind die Artberechtigung von O. cristinae SPARA- offenbar extrem selten. Vom kaukasischen CIO bleibt umstritten, da nach TAUZIN (1996) O. richteri MEDVEDEV (Abb. 19 c) sind lediglich aus Ravenna (Norditalien) Übergangsformen zwei Weibchen (1895 bzw. 1913 gefunden) zu O. eremita vorliegen (vgl. a. KRELL 1996). bekannt geworden, und auch der kleinasia- tische O. brevipennis PIC, und der süditalie- NÜSSLER (1986) vermutet in einer von O. ere- nische O. e. cristinae SPARACIO 1994 sind mita (SCOP.) morphologisch abweichenden Raritäten, weniger wohl durch natürlicher- Weibchen-Form aus Südwestbulgarien den weise begrenzten Lebensraum, als vielmehr bis dahin vermeintlich nicht beschriebenen durch die zunehmende Beschränkung und weiblichen Käfer des bisher nur aus der Türkei Vernichtung ihrer Biotope, zum Teil seit dem bekannten O. brevipennis PIC (Abb. 19 b). Die Holz-Raubbau in geschichtlicher Zeit. Im Falle Art wäre dann nicht nur kleinasiatisch, son- des O. brevipennis scheint neben einem dern auch europäisch verbreitet, doch weder begrenzten Lebensraum eine natürliche BARAUD (1992) noch TAUZIN (1994 b) gehen Verdrängungssituation durch die Larven des darauf ein. Das Weibchen von O. brevipennis Türkischen Langarmkäfers (Propomacrus wurde jedoch bereits 1905 ebenfalls von PIC bimucronatus (PALLAS, 1781)) vorzuliegen aus der Türkei beschrieben. Wahrscheinlich (vgl. Kap.: Zur Zoozönose: Arthropoden u. a., handelt es sich bei den von NÜSSLER be- Teil 2: S. 250). schriebenen Tieren um die südöstlich verbrei- tete Form des O. eremita (SCOP.), die dann dem O. lassallei im Sinne von BARAUD & TAU- Verbreitung von Osmoderma eremita ZIN (1991) entsprechen müßte. (SCOP.) s. l. „Habitat in Europa. [...] In ligno Salicis Galliae Es werden also weltweit, je nach Auffassung, A. larva reperitur“ (VILLERS: LINNAEUS, 1789). sieben bis zehn Arten der Gattung Osmoder- „In ganz Europa bis Schweden und Finnland ma unterschieden (vgl. Abb. 15). Ein geneti- in hohlen Eichen, bei uns häufig“ (SEIDLITZ scher Vergleich dürfte hier mehr Klarheit brin- 1888), „von Curland bis Finnland aber selten“ gen. In dieser Arbeit werden alle umstrittenen (SEIDLITZ 1875). „Arten“ als Subspecies behandelt: Osmoderma eremita (SCOP.) s. l. besiedelt Osmoderma e. eremita (SCOPOLI, 1763), im wesentlichen den kontinental beeinflußten (nord-)westliches Europa Bereich Zentraleuropas, erreicht aber auch Osmoderma e. lassallei BARAUD & TAUZIN, die benachbarte biogeographische Regionen, 1991, (süd-)östl. Europa den atlantischen, mediterranen, borealen Osmoderma e. cristinae SPARACIO, 1994; sowie spärlich den alpinen Einflußbereich. Die Sizilien, Kalabrien (nördlich? S. o.) Art ist von Nordspanien bis ins europäische Osmoderma eremicola (KNOCH, 1801), Russland und vom südlichen Skandinavien östliches Nordamerika bis in die euröpäischen Mittelmeerländer ver- Osmoderma e. subplanata CASEY, 1915; breitet. mittleres Nordamerika Osmoderma scabra (PALISOT DE BEAUVAIS, Die IUCN „Red List of Threatened “ 1807), östl. Nordamerika (1996) stellt eine Liste von Ländern vor, in Osmoderma opicum (LEWIS, 1887), Japan denen die Art vorkommt: Belgien, Dänemark, Osmoderma brevipennis PIC, 1904, Klein- Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechen- asien land, Jugoslawien, Italien, Lettland, Liechten- Osmoderma richteri MEDVEDEV, 1953, stein, Niederlande, Norwegen, Österreich, Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 183

Abb. 22: Verbreitung von Osmoderma eremita (SCOP.) in Abb. 23: Verbreitung von Osmoderma eremita (SCOP.) in Europa (aus MARTIN 1993). Europa (aus LUCE 1996).

Polen, Rußland, Schweden, Schweiz, Slova- jedoch ist anzumerken, daß 1953, also im fol- kien, Tschechien, Spanien, Ukraine, Ungarn. genden Jahr, von dem selben Autor aus dem Kaukasus Osmoderma richteri beschrieben Staaten mit unbekannten, aber möglichen wurde. Nach der Eurasien-Karte MEDVEDEVs Vorkommen sind durch Fragezeichen ge- (1960) kommen beide Arten an unterschied- kennzeichnet: Estland, Litauen, Moldawien, lichen Stellen im Kaukasus vor (vgl. Abb. 17). Weißrußland Osmoderma eremita ist somit eine europä- SCHULZE (1963) macht präzisere Angaben für ische Art schlechthin und war, so ist anzuneh- „Jugoslawien“, die den heutigen politischen men, offenbar einst überall in Zentraleuropa Verhältnissen gerechter werden: Istrien, Dal- verbreitet, wo laubabwerfende (sommer- matien, Slowenien, Kroatien, Bosnien, Monte- grüne) und immergrüne Bäume vorkommen. negro, Serbien, Mazedonien, Herzegowina. Der Käfer gilt aber in Belgien als bereits aus- Außerdem führt er Bulgarien als Land mit gestorben (letzter datierter Fund nach JANS- Eremiten-Vorkommen an und meldet die Art SEN (1960): 1944), und auch die Populationen (neu) für Albanien. Nach MEDVEDEV (1952) in den Niederlanden und Luxemburg (?) sind besiedelt der Käfer den europäischen Teil wahrscheinlich erloschen. Nach EVERTS Rußlands, im Norden bis zum Leningrader (1903) war der Käfer von Maastricht, Wehl Gebiet (Luga), im Süden bis zur Südgrenze (Gelderland), Zutphen und Den Haag in den der Waldzone. In Norwegen erreicht er das Niederlanden und Hasselt in Belgien bekannt. Gebiet von Oslo, in Schweden Västermann- Dort wie auch in Nordfrankreich scheint der land und in Finnland die äußerste südwest- Käfer in der Mitte des 20. Jahrhunderts ver- liche Spitze in der Umgebung der Stadt Åbo schwunden zu sein. (= Turku) (TIETZE 1996). Der Grund für sein Fehlen auf den Britischen Auch die Nordabhänge der Kaukasus- Inseln und in Irland ist nicht bekannt, vielleicht Gebirgsketten werden von MEDVEDEV als ist er dort erst in geschichtlicher Zeit (oder von O. eremita besiedeltes Gebiet genannt, bereits viel früher) ausgestorben. Subfossile 184 Ulrich Schaffrath

Funde liegen offenbar bisher nicht vor, jedoch Brutbäume und Entwicklungsstätten ist vorstellbar, daß er erst durch den Einfluß „Reperi in cavo trunco Pyri communis non des Menschen verschwunden ist, denn auch semel, ROESEL in ramo Salicis“ (SCOPOLI der eine ähnliche ökologische Nische beset- 1763). zende Gnorimus variabilis (L.) besitzt in Eng- land nur noch einen einzigen reliktären Der Eremit besiedelt grundsätzlich Mulmhöh- Fundort (Windsor Forest, nach BRITTON 1956; len in verschiedenen Baumarten. HORION vgl. LUCE 1996). (1958) nennt als mögliche Brutbäume: „Bes. Eiche, auch Weide, Buche, Linde, Esche, Eine Übersicht über das Vorkommen von Obstbäume etc.“ Dieselben Bäume greifen Osmoderma eremita (SCOP.) s. l. in Europa viele spätere Autoren auf, so auch BLAB geben MARTIN (1993; Abb. 22) und LUCE (1986), der aber die Eiche als den Baum mit (1996; Abb. 23). Allen diesen Verbreitungs- den Hauptvorkommen des Käfers bezeichnet. übersichten ist jedoch eine gewisse „Unschär- Tatsächlich beziehen sich die überwiegende fe“ eigen, da exakte Erhebungen bisher in al- Zahl der Käfer-Meldungen auf die Gattung ler Regel fehlten. So impliziert die Darstellung Quercus. In Mitteleuropa allgemein verbreite- bei LUCE ein Vorhandensein der Art im Nor- te Eichenarten sind nur Stieleiche (Quercus den Portugals, von woher der Käfer jedoch robur) und Traubeneiche (Quercus petraea). nach den Erkenntnissen des Autors nie ge- Flaumeiche / Q. pubescens und Zerreiche / Q. meldet wurde. Der äußerste westliche Fundort cerris wurden als Brutbäume von Osmoderma auf der Iberischen Halbinsel, der dem Autor bislang nicht bekannt. bekannt ist, ist Jaca (Prov. Huesca) am Fuße der Pyrenäen. Noch skeptischer sind alle bei- Aus Deutschland liegen aktuelle Meldungen, den Karten zu betrachten, die MEDVEDEV daneben eigene Beobachtungen nur aus (1960) anbietet: Im einen Fall werden die gan- einigen der vorgenannten Baumarten vor, es ze Iberische Halbinsel sowie Sardinien und dominiert die Eiche, gefolgt von Linde, Weide, Korsika ins Verbreitungsgebiet einbezogen, Buche, dann Obstbäume und weitere im anderen Falle England und Irland, von Laubbaumarten (vgl. Abb. 24 - 30). Bei den woher der Käfer nie gemeldet wurde, während jeweils Sizilien ausgespart ist, wo jedoch Osmoderma e. cristinae anzutreffen ist.

Im Zuge der Umsetzung der FFH-Richtlinie in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft werden sicher bald aus vielen – soweit auf ih- rem Territorium die Art vorkommt – gute Über- sichtskarten vorliegen. Bei MARTIN (1993) sind alle bekannten dänischen Fundorte des Käfers kartografisch erfaßt (die übrigens aus- nahmslos auf den Ostseeinseln liegen), im Juniheft NATURA 2000 (ANONYMUS 1998) findet sich eine Karte Südschwedens mit den dortigen „Eremiten-Projektgebieten“, eine Karte mit den Funden aus dem Elsaß / Frank- reich gibt GANGLOFF (1991), aus Oberöster- reich MITTER (2001). Aus vielen Staaten der europäischen Union dürften bald weitere Übersichten folgen. Eine Darstellung über die Verbreitung der Art in Deutschland gibt der Abb. 24: Vorkommen von Osmoderma eremita in unter- schiedlichen Brutbäumen in Deutschland. Dem Schaubild Autor an anderer Stelle (vgl. Abb. 89, Teil 2: liegen 269 Meldungen zugrunde, bei denen die Brutstätte S. 272). ermittelt werden konnte. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 185

Abb. 25: Buchengruppe in der Kasseler Karlsaue / Hessen. In Parkanlagen mit ihrem alten Baumbestand finden die Käfer noch geeignete Lebensbedingungen vor, während besiedelbare Strukturen im Umfeld beseitigt wurden.

Abb. 26: Lindenallee bei Ichstedt / Thüringen. Lichte Alleen gehören zu den bevorzugten Brutstätten des wärmelieben- den Käfers. 186 Ulrich Schaffrath

Abb. 27: Alte Huteeiche im NSG „Urwald Sababurg“, Abb. 28: Kopfweide an der Horloff bei Grundschwalheim / Reinhardswald / Hessen. Im rotfaulen Mulm des Baumes Hessen. Alte Kopfweiden werden gerne vom Eremiten fanden sich neben Larven von Gnorimus variabilis (L.) angenommen, fehlender Schnitt läßt jedoch viele auch Reste von Eremitenkäfern. überlastete Altbäume auseinanderbrechen.

Meldungen aus „Weide“ sind in der Regel platyphyllos) und Winterlinde (Tilia cordata) Kopfbäume gemeint, für die Umgestaltung gleichermaßen besiedelt werden, außerdem zum Kopfbaum kommen wohl nur die baum- die Rotbuche (Fagus sylvatica), während die förmig wachsenden (großen) Arten Silber- in der Literatur wiederholt erwähnte Esche weide (Salix alba), Korbweide (Salix viminalis) (Fraxinus excelsior) durch die vom Autor und Bruchweide (Salix fragilis) in Frage, dane- ermittelten Funddaten nicht als Brutbaum ben außerdem deren Bastarde. Der von GRILL belegt werden konnte. (2000) vertretenen Ansicht, der Käfer sei ausschließlich in den Kopfformen von Salix Diese Liste der möglichen Brutbäume der Gat- zu finden, steht eine Meldung aus Brücke / tung in Europa ist nach Sichtung der Literatur Sachsen-Anhalt entgegen, wonach Larven in und nach Gesprächen mit Kollegen noch wei- einer anbrüchigen, hohlen Baumweide nach- ter zu ergänzen bzw. zu präzisieren. So er- gewiesen wurden (FFH-Datenbank Sachsen- wähnt SCHAUFUSS (1916) u. a. auch Birke Anhalt; Stand: 2001). (Betula pendula), Roßkastanie (Aesculus hip- pocastanum) (vgl. FRICKEN 1869) und Pappel Häufig wird auch „Linde“ als Brutbaum (auch WIEDEMANN 1930), womit Schwarzpap- genannt, wobei beide bei uns autochthon pel (Populus nigra) und Silberpappel (Populus vorkommenden Arten Sommerlinde (Tilia alba), daneben noch der Bastard Graupappel Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 187

Abb. 29: Buchenbestand in der Kasseler Karlsaue. Die Abb. 30: Brutquartiere in Buchen finden sich meist weit Bruthöhle in ca. 17 m Höhe (siehe Rahmen) ist nur im oben in den Bäumen und sind daher oft schwerer zu Winter vom Boden aus sichtbar (vgl. Abb. 30). finden als bei anderen Baumarten.

(Populus x canescens) gemeint sein können. 1913), Apfel / Malus domestica (BELLMANN Nach ERICHSON (1848) fanden DRÜMPEL- brfl. 1999), Eßkastanie / Castanea vesca MANN und FRIEBE Larven von Osmoderma (Tschechien / Slowakien, VIT mdl. 1992), barnabita (MOT.; vgl. Abb. 19 a) im nördlichen Hainbuche / Carpinus betulus (STEGNER Rußland unter der Rinde einer abgestorbenen brfl. 2002), Silberahorn / Acer saccharinum Birke (Betula sp.), und sie zogen sie in einem (STEGNER brfl. 2002) und Ahorn / Acer sp. (für abgesägten Klotz derselben auf. Osmoderma e. cristinae, nach SPARACIO 1994) benennen. MÜLLER (brfl. 2001) erwähnt Weiter lassen sich Platane / Platanus sp. eine Sumpfzypresse (Taxodium distichum, (KAHLEN 1987; VÖLLGER, mdl. 1997; Befunde Schloßpark Pückau) als „hochwahrschein- des Autors: Pilion/Griechenland 1995), Ulme / lichen“ Entwicklungsbaum. Ulmus sp. (JÄNICKE, brfl. 1996), Robinie / Robinia pseudoacacia (SOWITZKI mdl. 1995; Neben vielen einheimischen Bäumen besie- MÜLLER brfl. 2001; HARDTKE 2001), Kirsche / delt der Käfer in Alleen und Parkanlagen also Prunus avium (noch andere Arten?) und Wal- ebensogut importierte Gewächse, die ein ent- nuß / Juglans regia (RAPP 1935), Birne / Pyrus sprechendes Dickenwachstum und die Fähig- communis (ALLENSPACH 1970; CAILLOL keit zur Ausbildung einer Mulmhöhle aufwei- 1913), Pflaume / Prunus domestica (CAILLOL sen. Die Meldung „Liguster“ / Ligustrum 188 Ulrich Schaffrath vulgare bei STRESEMANN (1970) dagegen be- „Als Larve in und als Käfer an dem Weiden- zieht sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf holze befindlich“ schreibt BECHSTEIN (1794). eine Meldung bei DAEHNE (1915), wonach ein Man könnte daraus schließen, daß die Larve Käfer auf dieser Pflanze sitzend aufgefunden wie ein Bockkäferlarve im Holz bohrt, in Wirk- worden war, keineswegs aber etwa auf eine lichkeit ist aber ein Mulmkörper vonnöten, in mögliche Entwicklungsstätte der Larven. dem die Larven sich bewegen. Hier fressen sie an angrenzenden Holzpartien und dringen Zusätzlich zu den vielen Laubbäumen muß nicht selten tatsächlich ein Stück weit darin vor die Eibe / Taxus baccata als möglicher Brut- (vgl. Abb. 67, S. 236). baum genannt werden: Aus alten Eiben in den Bergen von Sainte-Baume im Var / Frankreich „An den Wurzeln der Waldbäume, zumal der wurde der Käfer von CAILLOL (1913) gemel- Eichen“ meint VOIGT (1838). Hier liegt offen- det. Auch MARTIN (1993 ) führt „Nadelbäume“ bar eine Verwechslung mit den Larven von unter den Brutbäumen an, vielleicht bezieht er Lucanus cervus (Hirschkäfer) vor, der dieses sich dabei auf die alte Meldung von CAILLOL. Habitat besiedelt.

Das Gift der Eibe (Taxin und andere Stoffe) ist BRAUER (brfl. 1997) hat den Käfer „auf dem in allen Teilen der Pflanze – mit Ausnahme Mulchmaterial in einer Obstanlage“ gefunden, des fleischigen Samenmantels (Arillus) – ent- und auch DAEHNE (1915) will einen Käfer aus halten. Auf Menschen und andere Säugetiere Lohehaufen erhalten haben (vgl. PERTZEL haben die Inhaltsstoffe im Extremfall tödliche 1939). Nach ENDRULAT & TESSIEN (1854) Wirkung, da sie vor allem das Atemzentrum wurde die Art gar „einmal in großer Anzahl in zunächst erregen, dann lähmen. Auf andere Gerberlohe“ gefunden. Alle Angaben, die sich Organismen haben die Substanzen keine ne- auf Funde in oder auf Mulche oder Lohe bezie- gativen Auswirkungen; so sind z. B. Giftwir- hen, lassen in erster Linie stets an eine Ver- kungen auf Vögel unbekannt, und auch von wechslung mit dem Nashornkäfer (Oryctes Insekten werden keine Beeinträchtigungen nasicornis (L.)) denken, der sich oft in großen durch die Eiben-Inhaltsstoffe gemeldet. Ande- Massen in diesem Substrat entwickelt, könn- rerseits sind überhaupt nur sehr wenige Spe- ten aber auch auf einer Fehlleitung des Käfers zialisten bekannt, die den Baum besiedeln über olfaktorische Reize beruhen. können. Glaubhaft ist jedoch auch, daß erwachsene Um zu überprüfen, ob Osmoderma sich Larven oder Kokons des Eremiten nach dem tatsächlich von Eibenmulm und rottendem Fällen eines Brutbaumes dorthin gelangten Eibenholz ernähren kann, wurden versuchs- und den Rest ihrer Entwicklung hier ab- halber halberwachsene Larven vom Autor in schließen konnten. SOWITZKI (mdl. 2001) ver- dieses Substrat eingesetzt. Etwa 4 Liter wur- mutet ebenfalls diese Möglichkeit nach Mel- den im alten Eibenwald von Badde Salighes dungen aus Duderstadt / Niedersachsen, auf Sardinien (wo die Käferart nicht vorkommt) nach denen sich in angeliefertem Mulchmate- entnommen. Zwei Vergleichsgruppen mit je 5 rial die Art befand. Auch STEGNER (brfl. 2001) eingesetzten L3-Larven überlebten in beiden berichtet von zunächst undeterminierten Ansätzen in reinem Eibenmulm und entwickel- („Rosenkäfer“-)Larven, denen er zur Entwick- ten sich ohne Probleme zu Käfern (1998 und lung weißfaules Holz und Waldstreu anbot. 1999). Unter anderem schlossen auch Eremiten in diesem Substrat ihre Entwicklung ab. Manche Fundortangaben sind mysteriös: „Von einem Kartoffelsack abgelesen wie Dagegen liegen keinerlei Meldungen über schon früher einmal“ (nach GEISER 1981). Im Larvenfunde der Art aus Komposthaufen vor Einzelfall wird einfach der Zufall eine Rolle (im Gegensatz zu Nashornkäfer und Hirsch- spielen. Unzutreffend oder wenigstens miß- käfer), aus denen auf eine aktive Besiedlung verständlich sind manche anderen Angaben: zu schließen wäre. Nach allen bisherigen Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 189

Erkenntnissen ist die Nutzung dieses Mate- Generationenfolge in diesem Substrat nahe. rials dem Eremiten unmöglich. Die Entwicklung kann in toten Bäumen sicher- lich abgeschlossen werden, solange eine not- wendige Grundfeuchtigkeit des Substrats ge- Ansprüche an den Brutbaum währleistet ist. Puppen, die der Autor in einer Der Eremit ist auf eine ausreichend feuchte, toten, ganz abgetrockneten Buche fand, wa- mit Holzmulm gefüllte Höhle angewiesen. ren ebenso wie das umgebende Mulmmaterial Ausschließlich in diesem Substrat entwickeln völlig ausgetrocknet (vgl. Kap.: Kokonbau, sich die Larven, hier finden auch die Verpup- Verpuppung und Verwandlung zur Imago). pung und Eiablage statt. Ebenso ist die Baum- höhle Treffpunkt der Geschlechter und aller Während er nach Süden zu in vielen verschie- Interaktionen zwischen den Tieren. Voraus- denen Laubbaumarten, in sommergrünen und setzung ist also, daß ein Stamm hinreichend immergrünen gefunden werden kann, kommt dick (also alt) wurde, so daß sich in seinem Osmoderma in Skandinavien offenbar nur Innern eine ausreichend große mulmgefüllte noch in Eiche und Buche bis zu deren Verbrei- Höhle bilden konnte, die einen gewissen tungsgrenze vor (LUCE 1996). Vielleicht ist Feuchtigkeitsgehalt aufweist. Brutkammern dies mit dem Mulmvolumen der Bäume und finden sich auch in starken ausgefaulten einer damit verbundenen geringeren Frostge- Ästen (vgl. Abb. 31). Dementsprechend kann fährdung in Verbindung zu sehen. Allerdings ein Baum mehrere voneinander getrennte berichtet PALM (1959) selbst aus Schweden Bruthöhlen unterschiedlicher Dimension und von Larven, die sich „mehr äußerlich“ ent- mehrere Metapopulationen aufweisen, die nur wickeln können, „z. B. wenn Faulholz nahe an in der Imaginalphase miteinander in Aus- den groben Stammrissen entstanden ist“. tausch treten können. In jedem Falle aber sind langsamwüchsige Der Eremit besiedelt jeweils nur stehende Bäume, die ein umfangreiches Stammvolu- Bäume. Es gibt weder Hinweise auf Besied- men erreichen, hinsichtlich der Langlebigkeit lungsversuche an liegenden Stämmen, noch einer Käfer-Population besser geeignet als überhaupt Meldungen über vitale Kolonien, solche, die diese Eigenschaften nicht aufwei- die in solchen gefunden wurden. Jedoch sen. Die Insekten selbst verschmähen aber scheint möglich, daß sich eine Population dünnere Stämme nicht, sondern besiedeln noch einige Zeit in zusammengebrochenen alle nutzbaren Höhlen, die sie erreichen kön- Brutbäumen weiterentwickeln kann, solange nen. So war nach Beobachtungen des Autors das Milieu nicht (z. B. durch das Eindringen im Kasseler Auepark neben starken Altbuchen störender Organismen) entscheidend negativ auch ein Kümmerbaum von den Käfern als beeinflußt wird (s. u.). Eine Einzelmeldung, Brutbaum besetzt (ca. sechs Meter hoch, am die auf liegendes Totholz als Entwicklungs- Höhleneingang in 3,5 m Höhe ca. 30 cm im stätte weist (Dessau-Großkühnau 1978, FFH- Durchmesser). Das Nahrungsangebot in sol- Datenbank Sachsen-Anhalt), könnte – falls chen Bäumen ist jedoch entsprechend be- keine Fehldetermination vorliegt – darauf zu- grenzt, und es können sich hier nur wenige rückzuführen sein. Tiere entwickeln.

In stehenden abgestorbenen Bäumen finden Durchaus nicht jeder Fäulniszustand des sich dagegen hin und wieder Kolonien. Holzmaterials soll nach Ansicht mancher Ob dabei auch eine aktive Besiedlung toter Autoren für Osmoderma eremita in Frage zu Bäume erfolgt, oder lediglich das vor Jahren kommen. TIETZE (1996) bezeichnet für das besetzte Quartier noch nicht aufgegeben Vorkommen einen bestimmten Zersetzungs- wurde, ist nicht bekannt. Beobachtungen des grad des Holzmulms (schwarzer Mulm) in Autors an einer schon vor längerer Zeit ab- den Brutbäumen und eine sich darauf ent- gestorbenen, weitgehend entrindeten, oben wickelnde besondere Pilzflora (besondere De- offenen Kopfweide legen eine fortdauernde tritus-Zusammensetzung) als Voraussetzung 190 Ulrich Schaffrath

Abb. 31: Stadien im Alterungsprozeß von Laubbäumen (verändert nach KELNER-PILLAUT 1974). Die Kopfweide (obere Reihe) fault vom Kopf her aus, der Mulm- meiler geht schließlich durch einen Riß im Stamm verloren (dargestellt sind Querschnitt und Außen- ansicht). Bei der Kastanie (untere Reihe) geht die Fäulnis von einem Ast aus, zum Verlust des Mulmbereichs kommt es durch Aufbrechen des Stammzylinders am Fuß des Baumes.

(vgl. a. GRILL 2000). STEGNER (brfl. 2002) Die Europa-Verbreitungskarte des Eremiten hälterte dagegen (Rosen-)Käferlarven, aus (vgl. Abb. 22, 23) zeigt, daß er allgemein zu denen sich u. a. Eremiten entwickelten, in den mäßig wärmeliebenden Arten gerechnet einem Gemenge aus weißfaulem Buchenholz werden muß. Und mikroklimatische Verhält- und Waldstreu; das Material war in diesem nisse spielen nach Meinung verschiedener Falle erst hinterher schwarzfaul. Die Larven Autoren eine große Rolle bei der Besiedlung bewirken demnach selbst die Umwandlung von Baumhöhlen. Neben der essentiellen des Substrats zu schwarzem Mulm. Feuchtigkeit kommt dem Faktor Temperatur eine bedeutende Rolle zu. Je nach Lage im Der Autor fand bei Untersuchungen in Hessen Baum, der Exposition und der Größe der Reste von Imagines sowie die Kotpillen der Höhle sowie weiteren Parametern, die durch Larven auch einige Male in rotfaulen Eichen. die Vegetation im Umfeld bestimmt sind, So lebt die Art in (außerdem von Gnorimus können Baumhöhlen sehr unterschiedliche variabilis besiedelten) Eichen im NSG Urwald Bedingungen aufweisen. Sababurg / Reinhardswald, ebenso im rotfau- len Substrat alter Huteeichen bei Jesberg oder Messungen in zwei Höhlen im selben Baum Lauterbach. Die Kotpillen der Larven waren in durch KELNER-PILLAUT (1974) ergaben, daß diesen Fällen stets rotbraun gefärbt und nicht die nach Westen offene in der Nacht höhere wie sonst üblich schwarz oder schwarzbraun. Temperaturen aufwies als die nach Norden sich öffnende Höhle. Hingegen war die Tages- temperatur in beiden annähernd gleich. Für Zur Auswahl der Bruthöhle die beiden wie der Eremit Baumhöhlen „Als Brutbäume werden vielfach einzelste- bewohnenden Käferarten Elater ferrugineus hende Eichen in Parkanlagen, Alleen, an L. und Pseudocistela ceramboides L. konnte Waldrändern, auf Lichtungen bevorzugt“ KELNER-PILLAUT ermitteln, daß diese sich nur (HORION 1958). „Seine ökologische Plastizität oberhalb einer 5°C-Grenze weiterentwickeln ist sehr groß“ (GREBENSCIKOV 1982). können. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 191

Der Sonne zugewandte Höhlen fanden auch im geschlossenen Forst. Bedeutender Faktor RANIUS & NILSSON (1997) gegenüber denen hierbei ist wohl die Sonneneinstrahlung im auf der Nordseite des Baumes vorzugsweise Frühjahr, die in offenen und halboffenen Habi- besiedelt. Eine nach Süden oder Westen aus- taten ungehindert den (ganzen) Stamm erwär- gerichtete Höhlenöffnung und die damit in der men kann, während im Sommer und Herbst Nacht höhere Innentemperatur in der Höhle das Laubwerk für Schatten sorgt und somit könnte für die Bewohner die thermischen Ent- kühlend wirkt. wicklungsbedingungen optimieren, mithin bei einem wechselwarmen Insekt die Entwick- RANIUS & NILSSON schließen nach Fragment- lungszeit verkürzen. funden in verschiedenen Höhlen, daß ein positiver Zusammenhang gegenüber einem In der Regel wird ein Käfer jedoch jede geeig- dichten Blätterdach, das auch (im Sommer) nete Mulmhöhle annehmen, die er erreichen den Höhleneingang beschattet, und ein nega- kann. Ob oder inwieweit das Insekt über tiver zur Geschlossenheit des Baumbestan- Sinne verfügt, die adäquate Höhle von einer des besteht. Beide Variablen bedingen zwar schlechteren zu unterscheiden, ist unbekannt. eine Stabilität der mikroklimatischen Verhält- Nach welchen Kriterien ein Käfer überhaupt nisse, allerdings in unterschiedlicher Weise. ein neues Quartier sucht, ist fraglich: Olfak- torische Reize könnten eher von einer stär- Die Größe der Höhle bzw. die Menge des zur ker erwärmten, nach Süden (also sonnen- Verfügung stehenden Substrates sind eben- exponiert) ausgerichteten Höhle ausgehen, falls bedeutende essentielle Faktoren: Abge- optische Reize (dunkles Loch: vgl. Kap.: sehen von der Tatsache, daß ein großer Orientierung der Imagines) wären ebenfalls Mulmkörper eine höhere Anzahl von Larven eher auf der Südseite eines Stammes wahr- aufnehmen und ernähren kann, ist er in der nehmbar, so daß er tatsächlich während eines Lage, einerseits Temperaturschwankungen nachmittäglichen Rundflugs genau jene besser abzufangen, andererseits auch Feuch- südlich oder westlich ausgerichteten Höhlen- tigkeitsschwankungen abzupuffern, da das öffnungen an erster Stelle findet. Substrat (= Mulmmaterial) sehr viel Wasser zu absorbieren vermag. Die vermeintliche Bevorzugung von der Son- ne zugewandten Quartieren könnte aber auch Verbreitet ist die Ansicht, der Käfer komme dadurch begründet sein, daß die Brut unter nur in hoch oben im Baum befindlichen suboptimalen Bedingungen auf der Nordseite Höhlen vor. Zwar sind im geschlossenen eines Baumes nicht oder nur schlecht zur Ent- Baumbestand die oberen Stammpartien eher wicklung kam und so eine natürliche Auslese von der Sonne erwärmt; im aufgelockerten stattfand. Andererseits sind auch für den Bestand, im Freistand oder bei randständigen Eremiten reichbesetzte Höhlen auf der Schat- Bäumen kann jedoch ebensogut der untere tenseite eines Baumes belegt. PALM (1959) Stammbereich oder gar der Stammfuß geeig- berichtet von einer Eiche, in der sich in einem nete Bedingungen aufweisen. So wurden in meterdicken Stamm die Fäulnis von innen der Bad Arolser Allee bei einer Fällaktion 1998 her nach der sonnenabgewandten Seite aus- gleich zwei Vorkommen mit jeweils mehr als gebreitet hatte. Hier fanden sich hinter der 100 Individuen nachgewiesen, die im Stamm- Rinde, die allein den Mulmkörper gehalten fuß und damit praktisch bis zu einem halben hatte, zahlreiche Larven verschiedener Größe Meter unter der Erdoberfläche zu finden sowie einige Puppen. waren (vgl. Abb. 83 a & b, Teil 2: S. 264).

Schon HORION (1958), ebenso auch MARTIN Beide Bäume dürften Jahrzehnte (oder län- (1993) oder RANIUS & NILSSON (1997) bestäti- ger?) zuvor von Eremiten in einem Astloch gen die höhere Akzeptanz sonnenexponierter besiedelt worden sein, denn bei der einen Standorte. Der Käfer kommt deutlich häufiger Eiche war das „unterste“ Einschlupfloch in in offenen und halboffenen Habitaten vor als ca. sieben Metern, bei der zweiten in mehr als 192 Ulrich Schaffrath

11 Metern Höhe zu finden. Folglich hatten die vor längerer Zeit ausstarb, weil notwendige Tiere den Baum zwar tatsächlich hoch oben klimatische Lebensbedingungen nicht mehr besiedelt, waren aber dann mit der weiter erfüllt waren (vgl. RANIUS 1999). ausgefaulten Höhlung nach unten abgesackt. In beiden Fällen war der Stamm dieser Allee- Die Mehrzahl der Beobachtungen legt dem- bäume fast ganztägig den Sonnenstrahlen nach nahe, daß der Käfer offene, wärme- ausgesetzt. begünstigte Strukturen bevorzugt besiedelt (s. o.). Heutige Eremitenvorkommen im „Wald“ Nach MÜLLER (2001) bilden aber nicht alle sind in der Regel auf Randzonen, Fehlstellen Baumarten in gleicher Weise Höhlen in unter- im Baumbestand oder lichte Bereiche be- schiedlichen Stammpartien aus. Im Gegen- grenzt. Viele sind auf ehemalige Hutebereiche satz zu Eiche und Linde, die Mulmhöhlen auch oder historische fürstliche Jagdwaldbereiche in unteren Bereichen aufweisen könne, sind zurückzuführen, andere wiederum mit natür- sie nach seinen Erfahrungen bei der Rotbuche lichen Kalamitäten in Verbindung zu bringen: nur Höhlen in höheren Etagen ausgebildet. Der Eremiten-Bestand im Metzgergraben Der Autor fand Mulmhöhlen in Buche im Be- (Spessart) zum Beispiel ist mit einer histo- reich zwischen ca. vier und siebzehn Metern rischen, den Bestand öffnenden Feuersbrunst vor, ein ausgefaulter Stammfuß enthielt ledig- in Verbindung zu betrachten, die lediglich die lich weißfaules, nasses Holzsubstrat, jedoch starkborkigen Eichen überstanden (BUSSLER keinen Mulm. mdl. 2001).

Mikroklimatischen Bedingungen können sich Lichter Stand des Höhlenbaums dürfte aber im Laufe der Jahre stark verändern. Wenn an- nicht allein der Larval-Entwicklung des Eremi- dere Bäume aufwachsen, stellt sich oftmals ten förderlich sein, sondern auch der Suche durch Beschattung eine völlig andere Situa- der Käfer nach einem neuen Brutbaum. Diese tion ein, als sie zu der Zeit herrschte, als das Suche ist stets ein Suchflug; freistehende Insekt den Baum für tauglich befand und die oder randständige Bäume sind folglich leichter Höhle in Besitz nahm (besonders etwa durch anzufliegen als solche im geschlossenen Anpflanzung schnellwüchsiger Nadelbäume). Bestand. Behindern Äste den Flug, kommt es häufiger zu Abstürzen, bedingt durch die In uralten Eichen auf der Insel Vilm bei Rügen mechanische Behinderung (mehrere Beob- konnte der Autor im November 1999 Kotparti- achtungen des Autors im Buchenbestand der kel feststellen, die nach Form und Größe als Kasseler Karlsaue), die nicht nur eine direkte Larvenfaeces des Eremiten gedeutet werden Gefahr für das Insekt darstellen, da es am müssen, da Arten, die vergleichbar große Kot- Boden eher potentiellen Prädatoren zum pillen produzieren, nach deren Verbreitungs- Opfer fällt (vgl. Kap.: Zur Zoozönose: Wirbel- grenze nicht in Frage kommen. Eine Verifizie- tiere, Teil 2: S. 250). Auch der hohe Energie- rung der Annahme über Käferreste oder gar aufwand, der für einen Flug notwendig ist, lebende Insektenstadien in den Oberflächen- kann nicht unbegrenzt betrieben werden. schichten des Mulmkörpers war nicht möglich.

Wenn die Bäume auf Vilm nicht schlichtweg Zur Höhlenbildung „leergefressen“ waren, die essentielle Res- Die substratgefüllte Höhle ist Vorbedingung source Mulm mithin erschöpft war, könnte für eine Besiedlung durch den Käfer, er tritt eine mögliche Erklärung sein, daß nach Auf- nicht als Primärbesiedler in Erscheinung und gabe der Nutzung der Insel und der „Verwilde- erzeugt sein Brutsubstrat Mulm nicht selbst rung“ des Baumbestandes die betreffenden (vgl. TIETZE 1996), auch wenn er darauf durch Brutbäume aufgrund des sich schließenden die Fraßtätigkeit der Larven im Laufe der Zeit Kronendachs des Waldes sich für die Entwick- Einfluß nimmt. Die Höhlenbildung wird von lung weiterer Käfergenerationen nicht mehr in verschiedenen Organismen beeinflußt und Frage kamen und somit die Population schon vorangetrieben. Denkt man auch gewöhnlich Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 193 zuerst an Spechtvögel, die in kurzer Zeit eine rechnet man 200 oder 250 Jahre, bis für entsprechende Kaverne anlegen, so gehören Osmoderma geeignete Bedingungen vor- doch besonders verschiedene Pilze zu den handen sind. Eine einmal vorhandene Höhle ersten Besiedlern. Astbruchstellen, Blitzrin- steht dann aber die dem „kranken“ Baum nen etc. sind geeignete Orte, an denen diese verbleibenden 100, 300 oder vielleicht 500 ihr Zersetzungswerk beginnen können. Der Jahre zur Verfügung. Holzkörper verliert durch den Einfluß der zersetzenden Pilze seine Festigkeit: Es ent- Nicht so langlebig sind Weiden, jedoch zeigen stehen Faulstellen. Jetzt können weitere Or- sie ein rasches Dickenwachstum. Zu Kopfbäu- ganismen angreifen, Insekten und andere Tie- men umgestaltete Weiden (und überhaupt alle re erweitern die erste Höhlung, vielfach kommt Kopfbäume) werden sehr gerne vom Eremiten es zu einem Zusammenspiel von Pflanzen angenommen (vgl. KUNZ 2001). Die Weide und Tieren bei der weiteren Erschließung des scheint aber im Vergleich mit anderen Baum- Lebensraums Baumhöhle. Im Idealfall ent- arten insofern einen großen Vorteil zu besit- steht dann ein erster Mulmkörper, der von zen, als sich die Höhlen- und Mulmhöhlen- Pionier-Arten besiedelt werden kann. bildung in relativ kurzer Zeit vollzieht. An den Schnittflächen können Pilze eindringen und LUCE (1996) benennt als Arten, die dem Ere- somit eine rasche Höhlenausfaulung bedin- miten vorausgehen, die Cetoniden Gnorimus gen (vgl. BUSSLER 2000). LUCE (1996) nimmt nobilis (L.) und Protaetia fieberi (KRAATZ), die an, daß Silberweiden (Salix alba), an den rich- schon wenig umfangreiche Mulmansammlun- tigen Platz gepflanzt und zu gegebener Zeit gen besiedeln können. Der Autor fand in einer geköpft, schon im Alter von 10 - 20 Jahren ehemaligen wieder überwallten Astbruchstelle Höhlen ausbilden können, die für die Larval- an einer Eiche im Kasseler Auepark die Reste entwicklung des Eremiten geeignet sind. Dies dreier Imagines von G. nobilis in einem Mulm- könnte die Kopfweide zu einem zentralen Ob- pfropf von ca. ½ Liter Volumen (vgl. SCHAFF- jekt für die Naturschutzarbeit machen, wenn RATH 1994). Die geringsten Mulmansamm- es eines Tages um die Wiederansiedlungs- lungen, in denen vom Autor erwachsene projekte gehen sollte. Auch Monitoring- Eremitenlarven (Allee-Eiche, Bad Arolsen) Leistungen sind durch die relativ geringe Höhe bzw. Kokons (Buche, Kassel / Karlsaue) fest- der Bäume hier leichter zu erbringen. gestellt werden konnten, hatten ein geschätz- tes Volumen von drei bzw. fünf Liter. Sie ge- Als Sonderfall bezeichnet BUSSLER (2000) die hörten jeweils zu einer größeren Population in Strukturen in Streuobstbeständen (nach den Nachbarbäumen und zählten nur sehr STEGNER (in Vorb.) liegt ein Verbreitungs- wenige Individuen. schwerpunkt im Raum Meißen / Sachsen in alten Streuobstwiesen mit Apfel- und Kirsch- Die Höhlenbildung dauert in Eichen minde- bäumen). Denn bereits in jugendlichem stens viele Jahrzehnte oder aber auch einige Baumalter und bei geringen Dimensionen Jahrhunderte. Bei einer Eiche geht man davon kann durch Pilzbefall die Höhlenbildung ein- aus, daß diese ca. 150 bis 200 Jahre lang treten, z. B. durch den Zottigen Schillerporling wachsen muß, um eine ausreichende Stärke (Inonotus hispidus FR.) der speziell Apfelbäu- für die Ausbildung einer Stammhöhle zu me alsbald ausfaulen läßt. HARDTKE (2001) erlangen. Höhlenbäume werden oftmals als berichtet auch von einer ca. 80-jährigen Robi- „krank“ oder „in der Absterbephase befindlich“ nie (Robinia pseudoacacia) in Possendorf / bezeichnet (vgl. GRILL 2000). Zu bedenken Sachsen, in deren Mulmraum 25 Exemplare ist bei dieser Wortwahl allerdings, daß der Al- des Käfers beobachtet wurden. terungsprozeß eines Baumes sich (je nach Art) über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte Der Zeitpunkt, zu dem Bäume eine besied- hinzieht, in denen dieser vielen spezialisierten lungsfähige Höhle ausbilden können, ist also Insekten und anderen Organismen als Le- sehr unterschiedlich und offenbar abhängig bensraum dienen kann. Bei einer Eiche z.B. von der Art des Baumes. So scheint ein 194 Ulrich Schaffrath gewisser Zusammenhang zwischen dem Die Aktivität ist offenkundig temperaturabhän- erreichbaren Alter eines Baumes und der gig, von der Tageszeit dagegen unabhängig. möglichen Höhlenbildung zu bestehen, da An warmen Tagen erscheinen die fertigen Baumarten, die besonders alt werden können, Käfer oberhalb des Mulmkörpers, oft kann erst in höherem Alter zum Ausfaulen von man sie dann im Bereich des Höhleneingangs Höhlen neigen, während relativ kurzlebige beobachten, wo sie , so wie von SCHENKLING Arten dies schon weit früher zulassen. beschrieben, unbewegt sitzen oder langsam und bedächtig klettern (vgl. Abb. 32, 33). TOCHTERMANN (brfl. 1995) registrierte die Ak- Zu Lebensweise und Verhalten der tivitätsschwelle bei 23°C, nach Erfahrungen Imagines des Autors sind die Käfer bereits ab 15°C lauf- aktiv. Mit zunehmender Temperatur erfolgt Erscheinungszeit der Käfer eine Aktivitäts-Zunahme; bei kühlem Wetter „Die Imagines verlassen die Kokons ziemlich halten sich die Käfer im Mulm verborgen. schnell nach dem Schlupf, indem sie die Wände zerbeißen“ (PALM 1959). Aus Gefangenschaftsbeobachtungen ist zu konstatieren, daß sich Individuen, im selben „Versus finem aetatis“ [Gegen Sommerende] Raum und unter denselben Bedingungen (GYLLENHAL 1808). gehalten, in kleinen, sich schneller den Umge- bungstemperaturen anpassenden 3 - 10-Liter- „Ein ziemlich plumpes und träges Tier, be- Gefäßen, schon zur Imago verwandelt hatten, wohnt morsche, hohle Laubbäume, ..., inner- während diejenigen in großen 23-Liter- halb deren Höhlungen oder an deren an- Behältern noch im Puppen- oder gar noch brüchigen Stellen er langsam umher steigt“ Vorpuppenstadium im Kokon verharrten. So (SCHENKLING 1885). wurden vom Autor Anfang Juli (1. - 4.7.1999) jene drei Stadien (Vorpuppe, Puppe, Imago) Osmoderma eremita ist ein Hochsommertier. nebeneinander angetroffen. Die Imagines erscheinen im zentralen Mittel- europa frühestens ab Juni, die letzten sind Ob dies im normalen Spektrum der Individual- meist schon im August wieder verschwunden, entwicklung liegt oder ob fehlende (aus- konnten aber vom Autor im Versuch (Füttern reichende) Kältestimulanz den Ausschlag für mit Obst) bis Oktober am Leben erhalten wer- diese – immerhin sechswöchige – Verzöge- den. Die Entwicklung zum Vollinsekt ist nicht rung zwischen der Entwicklung von der Larve gleichbedeutend mit dem ersten Auftreten: im zum Käfer verantwortlich ist, muß überprüft Freiland werden die ersten Tiere oft erst im werden. Doch hat auch PALM (1959) in Juli gefunden. Nach LUCE (1996) verlassen Schweden „Puppen zur gleichen Zeit und fer- die Imagines unter natürlichen Umständen tige Käfer, die auf die Stämme hinausge- ihren Kokon „am Beginn des Sommers“, in krochen waren in der zweiten Hälfte des Som- Nordfrankreich generell in der zweiten Juni- mers gesehen“. So könnte die beobachtete woche. Diese Beobachtungen decken sich in unterschiedliche Erscheinungszeit durchaus etwa mit den Beobachtungen des Autors: im artspezifischen Rahmen liegen. zwischen dem 20 - 25 Juni waren die ersten Imagines in den Versuchsbehältnissen an der Datenträger unter Sammlungsstücken, die Oberfläche anzutreffen, während in der den Zeitpunkt des Fangs dokumentieren Kasseler Karlsaue der Käfer meist erst vier sollen, sind in diesem Falle übrigens wenig zu- Wochen später zu sehen war. PALM erhielt in verlässig. Besonders ältere Sammlungsetiket- Schweden aus drei eingetragenen Kokons ten geben oft zu wenig Auskunft über die Um- zwischen dem 11. und 14. Juli die Käfer (PALM stände, unter denen ein Käfer eingetragen 1959). wurde. Auch wenn ein Datum vermerkt ist, ist Vorsicht geboten: Stammen die Käfer nämlich z. B. aus Zuchten, so ist es möglich, jene Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 195

Abb. 32: Die hochaufgerichteten Fühler des Käfers signalisieren gesteigerte „Aufmerksamkeit“, zum Beispiel vor dem Abflug.

Abb. 33: An heißen Sommertagen verlassen die Käfer oft die Bruthöhle und können dann am Stamm kletternd angetroffen werden. 196 Ulrich Schaffrath schon im April oder noch weit früher erhalten ben Dichtung und Wahrheit ungeprüft mitein- zu haben. Auch Literaturangaben sind darauf- ander vermengt worden. Auch das Entstehen hin kritisch zu betrachten. manchen „Beweises“, wie des Eremiten-Fotos in SAUERs Naturführer „600 Käfer nach Farb- Als Kuriosum in Sachen Etikettierung ist ein fotos erkannt“ (SAUER 1993, S. 201), liegt im Eremitenexemplar in der naturwissenschaft- Dunkeln, denn der Käfer kann ja auch genau lichen Sammlung im Hamburger Museum zu so gut dorthin gesetzt worden sein. Ein erwähnen, das lediglich ein glaubhaftes Fang- Kuriosum in diesem Zusammenhang liefert Datum aufweist: „Capturé par ma petite Marie STRESEMANN (1970), der Liguster (Ligustrum le 19. 8. 1926“. vulgare) unter den „Fraß- und Entwicklungs- pflanzen“ des Eremiten nennt, womit jedoch allenfalls die Beobachtung eines Käfers auf Zu Blütenbesuch und Ernährung der dem Blütenstand gemeint sein könnte (vgl. Käfer Kap.: Brutbäume und Entwicklungsstätten, „Käfer tagsüber auf Blüten“ (MACHATSCHKE S. 184). 1969). „Manchmal fliegen sie am Tage umher, besuchen aber dagegen keine Blumen“ (PALM Spärliche Meldungen jedoch liegen auch aus 1959). neuerer Zeit vom Blütenbesuch des Eremiten vor: BAHN meldet einen Käfer von blühender Manche Käferarten suchen fliegend Futter- Umbellifere (Bernburg / Sachsen-Anhalt 1988; quellen auf. Auch viele Verwandte des Eremi- FFH-Datenbank Sachsen-Anhalt). ZINKE (mdl. ten besuchen Blüten oder fressen an reifen 1999) berichtet, er habe in Dresden einmal in Früchten. So trifft man regelmäßig die Cetoni- den Vormittagsstunden einen Käfer auf einem den Cetonia aurata und Protaetia cuprea auf Holunderblütenstand (Sambucus) festgestellt. weißen Blütenständen (Dolden, Scheindolden Aus Mecklenburg-Vorpommern wird der Käfer etc.) an. Auch Valgus hemipterus (Valginae) von HOMUTH „auf Weißdorn“ gemeldet (Kartei ist dort zu finden, und von den Trichiinae, zu Naturparkverwaltung Nossentiner / Schwinzer denen auch der Eremit geordnet wird, noch Heide; Stand 1996), doch läßt das Funddatum Gnorimus nobilis, sehr selten jedoch Gnori- (18. August) keine Verbindung mit einem mus variabilis (vgl. PALM 1959: Mädesüß / Blütenbesuch des Insekts (Blütezeit beider Filipendula ulmaria). BECKERS (1890) berich- Arten des Weißdorns in Mitteleuropa: V-IV) tet von letzterem, von dem er eine große Zahl zu. gesammelt hatte, daß er ihn niemals auf Blüten gefunden habe. RAPP (1935) schreibt: „Unter den Baumsaft- leckenden Arten wird O. e. nicht erwähnt“, Auch vom Eremiten werden Blütenbesuche doch TOCHTERMANN (mdl. 1995) berichtet angegeben. Unter die „Schirmblumenkäfer“ vom Safttrinken der Käfer an Bäumen und (wie die Gnorimus-Arten) reiht ihn auch will dies durch Foto belegt haben. Aus dem SCRIBA (1790) ein, wenn auch mit Bedenken Freiland wird Osmoderma weiter von einer hinsichtlich dieser Verwandtschaft. Er führt blutenden Wunde an einem Baum gemeldet dann aber nicht dessen Blütenbesuch (wie bei (MÜLLER mdl. 1999). HOFFMANN (1939) zitiert Gnorimus nobilis: „auf Schirmblumen, sonder- HARRIS (1863), nach dem auch die amerika- lich dem Holder“; vgl. Abb. 12 b, S. 174) an, nischen Arten der Gattung als Saftlecker be- sondern schreibt: „Einmal an einem Weiden- obachtet wurden. Gärender Eichensaft wurde stamm, meistens aber auf der Erde“ (SCRIBA jedoch in Experimenten des Autors nicht von 1790). den Insekten angenommen. RANIUS (2001) lehnt beides, sowohl den Besuch von Blüten In der Folge ist nicht zu erkennen, wieviele als auch den von Saftflüssen durch den authentische Beobachtungen zum Eremiten Eremiten ab, denn niemals habe ein Käfer bei auf Blüten vorliegen, denn, wie so oft üblich, der Nahrungsaufnahme beobachtet werden sind im Laufe der Zeit beim Zusammenschrei- können (vgl. a. RANIUS / HEDIN 2001). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 197

In Gefangenschaft nahmen die Käfer während gehabt und wurden nun in einen gemein- der Studien des Autors Blüten als Nahrungs- samen Zuchtbehälter überführt. Diese Experi- quelle nicht an, fraßen jedoch, sowohl Männ- ment konnten über fünf Jahre hinweg mit je- chen als auch Weibchen, gern an saftigen weils etwa 20 bis 30 Individuen wiederholt Früchten (Apfel, Banane; vgl. Abb. 109 - 111, werden, die Verhaltensweisen der Insekten Teil 2: S. 308, 309). waren stets dieselben:

Die in Einzelbehältern gehaltenen Tiere sind Sexualverhalten und Vermehrung der auch an warmen Tagen nicht alle aktiv, man- Imagines che blieben eingegraben im Mulm verborgen. Nach LUCE (1996) ist die Paarung schwer zu Die Entnahme stellt eine unvermeidliche beobachten und bisher nie beschrieben wor- Störung dar, auf die die Geschlechter unter- den. In den Experimenten des Autors konnte schiedlich reagieren: Die Weibchen graben nun die Paarung dokumentiert werden, außer- sich, bedingt durch die vom Experimentator dem erstmals auch ein Rivalenverhalten der herbeigeführte Störung, in der Regel sogleich Männchen, wie es bei vielen Großkäferarten ein und flüchten in die Tiefe des Mulmkörpers. (Lucaniden, Cerambyciden) beobachtet wer- den kann. Die Männchen hingegen verraten einen hohen Erregungsgrad, sie reagieren auf alle Bewe- Zwecks der individuellen Duftanalyse einzel- gungen in ihrer nächsten Umgebung. Beim ner Insekten waren die Kokons im Mai in Ein- zufälligen Zusammentreffen mit einem ande- zelbehälter überführt worden (vgl. Abb. 34). ren Käfer wird dieser offenbar genau fokus- Die (ca. Ende Juni / Anfang Juli) reifen Käfer siert: mit ruckenden Bewegungen verfolgt hatten also niemals Kontakt zu Artgenossen der Käfer die Aktionen seines Gegenübers,

Abb. 34: Für verschiedene Beobachtungen und Experimente mußten die Tiere vor ihrem Erscheinen getrennt gehalten werden. Die Kokons wurden demnach vor dem Schlupf der Käfer in separate Behältnisse vereinzelt. 198 Ulrich Schaffrath

Phasen des Verharrens mit ausgeprägtem, gegebenenfalls aus dem Pronotum hebelartig Aufmerksamkeit signalisierenden Fühlerspiel hervorgestoßen werden kann. Dieses Hoch- wechseln ab mit kurzen Laufstrecken, bei werfen des Kopfes ist begleitet von einem denen er dem anvisierten Käfer folgt. Beide Vorschnellen des Körpers, bewirkt durch Mus- Geschlechter werden zunächst gleich behan- kelkontraktionen der Beine. Häufig können delt, die Verfolgung selbst wird augenschein- auch Phasen beobachtet werden, in denen die lich allein durch optische Reize ausgelöst, Kontrahenten versuchen, sich gegenseitig denn das Hinwende-Verhalten kann auch vom wegzudrücken. Die Stoß- und Schiebephasen Experimentator künstlich ausgelöst werden. wechseln ab mit Pausen, in denen die Tiere (auch in Kampfstellung) völlig unbeweglich Die Reaktionen sind aber dennoch sehr unter- verharren; lediglich die hochaufgerichteten schiedlich, je nachdem, ob sich der Verfolgte Fühler verraten dann den hohen Erregungs- als Männchen oder als Weibchen herausstellt. grad (vgl. Abb. 35 - 37). Diese Überprüfung des Geschlechts, die ohne Zweifel auf olfaktorische Reize hin erfolgt, und Der Angreifer jedoch ist offenbar bestrebt, den durch die hoch aufgerichteten Fühler (Blut- Konkurrenten lateral zu attackieren, woraufhin druck!; vgl. MEIXNER 1933 - 1936) signalisiert der Angegriffene versucht, wieder in eine wird, löst verschiedene Verhaltensweisen Frontalstellung zu gelangen. Gelingt es aber aus: Handelt es sich um ein Weibchen, ver- dem einen, den Kopf unter den Körper des sucht der Eremiten-Mann stets, dem weib- Gegners zu schieben, so besteht die Möglich- lichen Tier zu folgen, auch wenn dieses sich in keit, diesen auszuhebeln (Abb. 37): Der den Mulm einzugraben im Begriff ist. Handelt Rammstoß, dazu das Hochreißen des Kopfs es sich jedoch um ein anderes Männchen, las- kann bewirken, daß der andere den Halt ver- sen oft beide, manchmal einer, unverzüglich liert. Auch kleine Männchen können auf diese agonistisches Verhalten erkennen, manchmal Weise größere Geschlechtsgenossen vertrei- gehen sie sich auch einfach aus dem Weg. ben. Dieses Rivalenverhalten der Männchen ist manchmal nur für wenige Minuten zu beob- Männchen und Weibchen zeigen also zumin- achten. Der Autor konnte aber auch (bei dest in dieser Phase des ersten Aufeinander- erstmals zusammengeführten Tieren) einen treffens deutliche Unterschiede im Verhalten. Kampf von etwa zwei Stunden Dauer registrie- Die im Experiment erzeugten Bedingungen ren. dürften in der Natur so zwar nur selten eintref- fen, da die Käfer sich in zeitlichen Abständen Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang zum Vollinsekt entwickeln und heranreifen. der unterschiedliche Bau von Caput und Jedoch zeigt der Versuch gerade dadurch in Pronotum bei Weibchen und Männchen. Der übersteigerter Form, welche Verhaltenswei- aufgeworfene Vorderrand des Kopfschilds sen den Tieren angeboren sind, die aber unter und die Hörnchen über dem Fühleransatz bei natürlichen Bedingungen aus den genannten den Männchen sowie der breitere, beuligere Gründen wohl nur sehr selten beobachtet Halsschild sind vielleicht als morphologische werden können. Das Experiment jedenfalls Anpassung an das Rivalenverhalten zu inter- konnte von Jahr zu Jahr mit gleichen Resul- pretieren: Schutz der wichtigsten Rezeptions- taten wiederholt und die Verhaltensweisen organe, der Fühler, durch die darüber auf- filmisch dokumentiert werden. ragenden Hörner, Verstärkung der Schutz- funktion des Hals-Schildes (sic!; vgl. Abb. 4, S. 165; 7 a, S. 168) durch Schwielen sowie der Kampf der Männchen Hebelform und Unterstützung der Hebelwir- Die Männchen versuchen, zur Verteidigung kung des Kopfes durch den wulstigen, winklig eine frontale Stellung zum Rivalen aufrechtzu- aufgebogenen Kopfvorderrand. erhalten. Dabei neigen sie die Köpfe und bie- ten dem Gegenüber die wulstige Front von Solange dieser „Kampf“ auf dem Mulmkörper Pronotum und darin eingesenktem Caput, das stattfindet, wird der Gegner, falls er nicht ganz Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 199

Abb. 35: Rivalisierenden Auseinandersetzungen zwischen Männchen geht eine olfaktorische Prüfung des Gegenüber voraus (vgl. Abb. 5). Kopf an Kopf versuchen die Männchen, sich gegenseitig wegzuschieben. Die verschiedenen Phasen werden durch mehr oder weniger lange Ruhepausen unterbrochen, in denen die Stellung beibehalten wird.

auf den Rücken fällt, zumindest an der Verfol- tungen des Autors ebenfalls mit vergleich- gung eines sich eingrabenden Weibchens baren Rammstößen Nahrungskonkurrenten gehindert. Männchen, die dem Weibchen (und zwar Männchen wie Weibchen) von der folgend sich bereits teilweise eingegraben Futterstelle, doch konnte ansonsten niemals haben, werden vom Gegner wieder ausgegra- agonistisches Verhalten der Weibchen unter- ben und der Kampf wird fortgesetzt. Treffen einander registriert werden. aber Männchen vor der Höhle an der senk- rechten Stammfläche aufeinander (Abb. 36), so ist die Auseinandersetzung dazu geeignet, Werbung und Paarung den Gegner vom Baum zu werfen und damit Das Männchen ist allen Beobachtungen zufol- vorerst aus dem Revier zu vertreiben. Beide ge der aktive Partner und sucht seinerseits Möglichkeiten konnten im Experiment wieder- nach einem Weibchen, das er nach bislang holt beobachtet werden. Im Verlauf des Som- unbekannten (aber wohl olfaktorischen) Merk- mers nimmt die Intensität der Kämpfe jedoch malen von männlichen Artgenossen unter- rasch ab, auch lassen sich durchaus nicht scheiden kann. Eine absichtliche Hinwendung alle Männchen durch Attacken irritieren, wenn eines weiblichen zu einem männlichen Tier sie gerade Kontakt zu einem Weibchen konnte nicht belegt werden. haben. Das Männchen folgt bei der Werbung dem Durch das Reiben der Chitinpanzer anein- Weibchen und versucht immer wieder aufzu- ander ist ein solcher Rivalenkampf bisweilen reiten. Da dies auch auf der Mulmschicht auch für menschliche Ohren zu hören. Weib- geschieht, ist diese Verhaltensweise gut zu chen vertreiben übrigens nach den Beobach- beobachten: Nach gelungenem Aufreiten hält 200 Ulrich Schaffrath

Abb. 36: An senkrechten Flächen, beispielsweise vor dem Höhleneingang, kann der Kommentkampf der Männchen zum Absturz eines der Widersacher führen.

Abb. 37: Ein Kontrahent versucht den anderen auszuhebeln, indem er den Kopf unter dessen Körper schiebt. Dann folgt ein ruckartiger Rammstoß, bei dem der Vorderkörper hochgerissen wird. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 201

Abb. 38 a - d: Begattungsversuche konnten (in der künstlichen Bruthöhle) häufig beobachtet werden, doch kam es in den registrierten Fällen nie zu einer Vereinigung. Das Weibchen konnte sich jeweils dem Männchen entziehen. Auch in Rückenlage setzte das Männchen seine Kopulationsversuche fort. Häufig wurde das Paar von rivalisierenden Männ- chen gestört (Videosequenz).

sich das Männchen mit den vorderen und mitt- Die Weibchen zeigten jedoch in keinem (auf leren Tarsenpaaren am weiblichen Tier fest dem Mulmkörper) beobachteten Fall die und bestreicht abwechselnd mit den beiden Bereitschaft, dem Werben eines Männchens Hinterschienen bzw. -tarsen das Abdomen nachzugeben. Sie trugen den Partner lediglich des Weibchens, offenbar ein taktiles Verhal- (gezwungenermaßen) durch das Haltungs- tenselement, das evtl. auf die Partnerin sedie- system, oft geriet das Paar in Rückenlage, rend wirkt, gleichzeitig aber dazu dient, die ohne daß das Männchen die Umklammerung Öffnung am Pygidium zur Einführung des löste. Auf dem Mulmkörper war jedoch nie Aedoeagus zu finden, der in dieser Phase eine Kopula zu beobachten. Konnte sich der vom Männchen ausgestülpt wird. Dieses Ver- weibliche Käfer dann doch vom Männchen halten wird gegebenenfalls auch dann weiter- befreien, wiederholte dieses seine Werbung geführt, wenn das Paar in Rückenlage gerät sogleich bei derselben oder einer anderen (vgl. Abb. 38 a-d). Die Phasen der Werbung Partnerin. Im Zuchtkasten wurden die Partner sind stets von inaktiven Momenten unter- außerdem immer wieder von rivalisierenden brochen. Männchen gestört, die die Verbindung zu lösen suchten (vgl. Abb. 38 c - d). 202 Ulrich Schaffrath

Begattung in Nischen und Ecken, abgelegt (vgl. dazu Begattungen konnten während der Unter- auch LUCE 1996), im Experiment im Plastik- suchungen dreimal beobachtet werden. Zwei- gefäß stets in Boden- und Wandungsnähe. mal wurden sich paarende Käfer in der oberen Das Weibchen orientiert sich offenbar zur Mulmschicht des Behälters gefunden, so daß Eiablage an einer festeren Struktur in der Brut- erstmals eine fotografische Dokumentation höhle, vielleicht aus Gründen des besseren möglich war (Abb. 39, 40). Die Paarung findet Schutzes vor mechanischer Beanspruchung, aber wohl in der Regel in tieferen Schichten vielleicht auch nach optimalen Feuchtebe- des Mulmmeilers statt, wie die zufällige Beob- dingungen. Dies könnte wichtig sein für die achtung einer Begattung am 4.7.1999 belegt, Embryonalentwicklung. PAGEIX (1968) fand als ein Paar in copula ca. 10 cm unter der Eier des Käfers in 10 bis 40 cm Tiefe im Sub- Mulmoberfläche vorgefunden wurde. Beide strat, häufig in kleinen Hohlräumen abgelegt. Tiere waren drei Tage zuvor noch im ungeöff- neten Kokon in jenen Behälter umgesetzt Nach LUCE (1996) legt ein Weibchen worden und niemals zuvor an der Oberfläche zwischen 20 und 80 Eier ab, PAGEIX (1968) erschienen, so daß wiederum davon auszuge- konstatierte ein Maximum von 10 Eiern pro hen ist, daß eine eventuelle „Reifezeit“ schon Käferweibchen. In den Ansätzen des Autors während der Ruheperiode des ausgehärteten lebten die gefütterten Weibchen zwar bis zu Käfers im Kokon erfolgt ist. drei Monate, die ermittelten Nachkommen- zahlen liegen jedoch bei plus minus 10 pro Die eigentliche Begattung, die nur zufällig bei weiblichem Käfer. Ein Zuchtgefäß mit je vier der Kontrolle der Behälter unter der Ober- Weibchen und Männchen enthielt Anfang fläche des Mulms festgestellt werden konnte, September 51 Junglarven. In einem Ansatz erfolgt – wie schon die Begattungsversuche von vier weiblichen und sieben männlichen auf dem Mulmkörper andeuteten – in Aufreit- Käfern in einem 10-Liter-Gefäß wurden im haltung. Über die Dauer einer Vereinigung lie- Oktober 36 L1-Larven gezählt. Allerdings gen bislang keine aussagekräftigen Beobach- waren in den Zuchtgefäßen stets auch Feinde tungen vor. wie Alleculiden- und Elateridenlarven belas- sen, die nachweislich auf die Zahl der Nach- TOCHTERMANN (mdl. 1995) hatte seine Zucht- kommen Einfluß nehmen. ansätze nicht den freilandklimatischen Außen- bedingungen und damit dem Witterungs- Dagegen fand VERNON et al. (1997) in einem wechsel ausgesetzt, sondern Zimmerzucht Ansatz von je fünf weiblichen und männlichen betrieben. Er konnte hierbei keinerlei Zucht- Käfern, die zuvor getrennt gehalten worden erfolge verbuchen, da die Käfer zu ganz waren, nach fünf Tagen (bei 25°C) in einem unterschiedlichen Zeiten im Jahr schlüpften gemeinsamen, von möglichen Freßfeinden und sich so nie begegneten. Dies ist ein Indiz befreiten Zuchtbehälter 23 Eier, die für Experi- für die hohe Bedeutung der Umgebungstem- mente entnommen wurden. Etwa 20 Tage peratur für die Steuerung der Individualent- später entnahm er weitere 28 Eier zu experi- wicklung, die alle Tiere derselben Art in einer mentellen Zwecken, 60 Eier (aus demselben hinreichend gleichen Zeitspanne erscheinen Ansatz?) beobachtete er bis zum Schlupf der läßt, somit erst eine Partnerfindung ermöglicht Larven, der nach weiteren 5 Tagen erfolgte. und dadurch den Erhalt der Art sicherstellt. Auf jedes der Weibchen kämen in diesem Fal- le, falls alle Eier aus demselben Ansatz stam- men, statistisch mehr als 22 Nachkommen. Eiablage und Eizahlen Die Eiablage erfolgt in tieferen Mulmschichten Eine relativ geringe Vermehrungsrate dürfte der Höhle. Die Weibchen sind in dieser Zeit oft für die Erhaltung der Art in einem Baum aus- für mehrere Tage nicht auf dem Mulmkörper reichend sein, da einerseits die Lebensgrund- zu beobachten. Die Eier werden einzeln und in lage Mulm für weitere Generationen geschont unmittelbarer Nähe zur Höhlenwandung, gern wird, andererseits bei zu hohem Besatz ohne- Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 203

Abb. 39: Die Begattung erfolgt in der Regel verborgen im Mulm, bislang war jedenfalls niemals eine Kopula beobachtet worden. Dieses Paar wurde zufällig bei der Kontrolle des Mulmbereichs gefunden.

Abb. 40: Kopulierendes Paar in typischer Aufreitstellung. Die massive Störung durch das Herausnehmen der Tiere aus dem Mulmbereich führte nicht zu einem Abbruch der Begattung. 204 Ulrich Schaffrath hin limitierende Strategien greifen (siehe: größere Häufigkeit von Weibchen in der Natur Kannibalismus, S. 237). erklären (vgl. BARAUD & TAUZIN 1982; TAUZIN 1994 b). Tatsächlich sind im Experiment Letal- Vom verwandten Gnorimus variabilis (s. Abb. fälle in den ersten Wochen nur unter den 12 a, S. 174; Abb. 49, S. 215) berichtet BEK- Männchen auszumachen, nachdem beide KERS (1890), daß er von einem Zuchtpaar 32 Geschlechter zusammengesetzt wurden (ab- Eier erhalten habe. Fünf Mal konnte er die gesehen von parasitierten Imagines). Wieder- mehrstündige Kopula oben auf dem Mulm be- holt wurden tote Männchen mit ausgestülptem obachten. Zur Eiablage kroch das Weibchen Aedoeagus aufgefunden, woraus sich schlies- jedesmal wieder in den Mulm zurück und setz- sen läßt, daß die Tiere vielleicht während, te die Eier sehr zerstreut darin ab. wenigstens aber unmittelbar nach der Begat- tung eingegangen waren. Ein vom Autor im Experiment einzeln gehalte- nes Weibchen des Eremiten legte mehrere Wieviele Weibchen ein Männchen begatten unbefruchtete Eier ab. kann (erfolgreich oder nicht), ist nicht beob- achtet worden. Es konnten vom Autor jedoch Fälle von Langlebigkeit unter den Männchen Lebensdauer der Imagines belegt werden, auch wenn diese sich bereits „Der Käfer erscheint im Juli, doch hat Herr verpaart hatten (paarweise Haltung und Dr. Rosenhauer im Jahre 1853 noch am gleichzeitig Ablage befruchteter Eier). Relativ 27. September ein lebendes Stück erhalten“ ist aber die Lebensdauer der Weibchen deut- (STURM 1857). lich länger als die der Männchen. HOFFMANN (1939) ermittelte für den amerikanischen Nach TAUZIN leben Männchen, wenn sie sich Osmoderma eremicola (KNOCH) eine mittlere fortgepflanzt haben, nur noch 10 bis 20 Tage, Lebensdauer von 38 Tagen für Männchen und und dieser Umstand könnte die scheinbar von 58 Tagen für Weibchen. Gramm

Abb. 41: Lebensdauer und Gewichtsentwicklung verschiedener Imagines eines Jahrgangs (Zeitschritte nicht einheitlich; Lücken in den Meßreihen durch am Meßtag verborgene Individuen). Die Käfer wurden je nach Bedarf mit Apfelscheiben gefüttert (Gewichtszunahme). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 205

Ein ungefüttertes Weibchen konnte in den ist, ob Männchen und Weibchen gleich stark Zuchtbehältern des Autors noch am 27. und in gleicher Weise duften. Ich habe in August festgestellt werden. Spätestens Mitte keinem der mir zur Verfügung stehenden Oktober waren jedoch auch die letzten gefüt- Käferwerke darüber auch nur eine einzige An- terten Tiere eingegangen. Viele Käfer wiesen gabe finden können, und als ich mich an Herrn zuvor schon erhebliche körperliche Alters- Prof. DR. H. V. LENGERKEN wandte (Berlin, erscheinungen auf, die ohne künstliches Landwirtschaftliche Hochschule), einen aus- Markieren ein individuelles Wiedererkennen gezeichneten Kenner der Biologie der Käfer, ermöglichten: Mehrfach waren Tarsen oder erhielt ich folgende Antwort: ‚Soweit ich weiß, Teile davon abgebrochen. Trotzdem lebten sind Untersuchungen über den Geruch von die Käfer (bei Fütterung) noch wochenlang, Osmoderma eremita nicht vorhanden. Daß die ein Weibchen konnte so vom 11.7 bis 12.9. Käfer etwa nach Juchten riechen, weiß ja (tot aufgefunden am 28.9.; mindestens 63 jeder Sammler, aber woher der Geruch Tage) beobachtet werden, ein Männchen vom stammt, ist nicht ermittelt.‘ Wenn man sich nun 30.6. bis 28.9. (tot aufgefunden am 2.10.; fragt, ob der Geruch für den Käfer selbst eine mindestens 90 Tage) (vgl. Abb. 41). Bedeutung haben mag, so kann man wohl all- gemein nur daran denken, daß es vielleicht Bisher liegt lediglich eine Winterbeobachtung ein Reizduft oder Geschlechtsduft sein muß, eines lebenden (weiblichen) Käfers vor. Das der gegenseitigen Erkennung und Anlockung Tier fand sich im Januar im Forst von Fon- der Geschlechter dienen wird. Etwas weiteres tainebleau / Frankreich (TAUZIN 1994 b). Dies läßt sich infolge des völligen Fehlens von ist sicher eine große Ausnahme. Eine Erklä- Untersuchungen einstweilen nicht sagen“ rung hierfür könnte sein, daß es sich mög- (RICHTER 1940). licherweise um ein nicht begattetes Tier han- delte. (Eine Lebensdauer von zwei Jahren ist Der markante, namengebende Duft der Käfer, von einem einzeln gehaltenen (gefütterten) der auch von anderen Osmoderma-Arten Weibchen vom Rosenkäfer Protaetia aerugi- (z. B. von den nordamerikanischen Spezies) nosa (DRURY) belegt (DIETZE 1936), und wie belegt ist (vgl. HOFFMANN 1939), wurde lange JÄNICKE (mdl. 1999) mitteilte, konnte er eben- Zeit nur als Phänomen registriert. Fast 60 falls über eineinhalb Jahre einen einzelnen Jahre hat sich an dem Datenmangel, den Rosenkäfer (Cetonia aurata L.) am Leben er- RICHTER beklagt, nichts geändert. Auch halten. Andererseits ist auch eine zu früh ein- TAUZIN konstatiert in seiner umfangreichen setzende Metamorphose denkbar, vielleicht Übersicht über die Gattung lediglich, daß der infolge einer Wärmeperiode im Dezember. Duft erst zwei bis drei Tage nach dem Verlas- sen des Kokons emittiert (TAUZIN 1994 b), sich also erst entwickeln muß. Anmerkungen zum „Duft“ und zur Verhaltensbiologie Beim Moschusbock (Aromia moschata L.; Cerambycidae) ist dagegen die Duftquelle „Osmoderma“ wohl bekannt: Das Sekret stammt aus Drüsen, „Über Herkunft und Zweck des scharfen Juch- die ventral an der Hinterbrust des Käfers zu tengeruchs von Osmoderma eremita SCOPOLI finden sind. Es enthält Monoterpenoide, die (Trichiini) ist nichts Näheres bekannt“ (MEIX- aus der Futterpflanze der Larve (Weidenarten, NER 1933 - 1936). Salix sp.) stammen (JACOBS & RENNER 1988). Manche Aaskäfer (Silphidae) produzieren „Leider ist über den Geruch des Juchtenkäfers Duftstoffe (Terpene, organische Säuren), die weiter nichts bekannt, als daß er eben vorhan- zur Abwehr dienen, in Rektaldrüsen. Diese den ist, also z. B. nichts darüber, wo sich die Beispiele zeigen ausreichend, daß je nach Art entsprechenden Duftdrüsen befinden; wo die oder Gattung und Familie sehr unterschied- Stelle ist, die den Duft auftreten läßt; ob beide liche Bereiche des Insektenkörpers für die Geschlechter riechen, und wenn es der Fall Lage der Duftdrüsen in Frage kommen. 206 Ulrich Schaffrath

Duftanalyse wendung finden. Dieses Verhalten lieferte Erst der Kontakt des Autors mit Professor DR. letztlich auch den ersten Hinweis auf den WILHELM BOLAND im Juni 1996, damals Max- Erzeugungsort des Duftstoffs, eine Drüse, Planck-Institut für Organische Chemie und über deren genaue Lage allerdings bislang Biochemie in Bonn, heute MPI für Chemische keine Beobachtung vorlag. Ökologie in Jena, brachte die entscheidende Wende auch beim Eremiten. DR. ALES SVA- Im Freiland konnte „Posing“ zum ersten Mal TOS analysierte den zunächst bei Männchen an einem einzelnen, an der Öffnung einer und Weibchen festgestellten Duftstoff, der den Baumhöhle am Fuße einer Buche sitzenden Käfern anhaftete. Männchen beobachtet und dokumentiert werden (Abb. 42). Dieses Männchen saß über Im Gaschromatographen wurden die ver- mehrere Wochen (immer alleine) an, in oder schiedenen Bestandteile des Käfer-„Parfums“ vor der Höhle am Fuße einer alten Buche. getrennt. Es ergaben sich ein Deka-Lakton als Unter diesen Umständen war eine direkte Duftstoff, der auch für die menschliche Nase Beobachtung ohne Störung leicht möglich. wahrnehmbar ist. Laktone sind Abkömmlinge Das eigentümlich Ausdrucksverhalten wurde organischer Hydroxysäuren. Vor allem die vom Autor nur zufällig dokumentiert und ihm höhergliedrigen (15 - 17 Ringglieder) weisen zunächst keine Bedeutung beigemessen bzw. einen starken, meist angenehmen Geruch auf. nicht einmal bemerkt. Erst spätere Analysen Diese Duftstoffe kommen in der Natur sonst zeigten die Übereinstimmung mit dem oft in Früchten, z. B. in Pfirsichen und Apriko- Verhalten von Tieren im Experimentierkäfig sen vor, der alte Name „Aprikosenkäfer“ hat (Abb. 43). also durchaus Berechtigung. Ausschließlich männliche Käfer können bei Das Deka-Lakton des Eremiten ist fast voll- dieser mit einer eigenartigen Motorik verbun- ständig enantiomerenrein (ob R- oder S-Konfi- denen Haltung beobachtet werden: Sie sprei- guration?), was nach Professor DR. BOLAND zen die Beine ab der Hüfte vom Körper ab und eher ungewöhnlich ist. Eine eigene Publika- richten sich somit deutlich über dem Unter- tion dazu ist von DR. SVATOS, nach noch- grund auf, gleich, ob auf der Rinde, vor der maliger Wiederholung und Bestätigung des Höhle oder auf dem Mulmkörper, gerne aber Experimentes, vorgesehen. offenbar an einer exponierten Stelle. Beson- ders das mittlere Beinpaar wird dabei zusätz- lich nach vorne gedreht, so daß die Schenkel, dorsal betrachtet, etwa rechtwinklig vom „Posing“ – ein Ausdrucksverhalten der Körper abstehen (vgl. Abb. 44 a - d). Männchen „Gefangen verbreitet er einen durchdringen- Wenn die Käfer sich in dieser Haltung bewe- den Geruch wie Juchtenleder“ (REDTEN- gen, ähnelt dies sehr der Lokomotion von BACHER 1849). „Duften besonders im Sonnen- männlichen Spinnentieren (z. B. Therapho- schein nach Juchten“ (STRESEMANN 1970). siden / Vogelspinnen). Allerdings ist darunter keineswegs eine Fortbewegung (= Lokomo- Mit der Gefangennahme hat der eigentüm- tion) zu verstehen, sondern viel mehr ein „Auf- liche Geruch des Tieres nichts zu tun, denn der-Stelle-Treten“ oder ein „Sich-Drehen“, auch freilebende Exemplare sondern ihn ab. wobei der Käfer nur wenige Schritte macht – Die Duftabsonderung, die in der Tat beson- also eine Motorik. Dieses Verhalten kann viele ders bei hohen Temperaturen wahrnehmbar Minuten andauern, bei Störung (intern: durch ist, steht vielmehr offenbar in Zusammenhang andere Imagines; extern: Blitzlichtfotografie) mit einem bisher nirgendwo beschriebenen wird es abgebrochen, und der Käfer senkt Verhalten, das entfernt an das Posieren von sich wieder in seine Normalhaltung nach un- Bodybuildern erinnert. Daher soll dafür im Fol- ten zurück. Jedoch gelang es durchaus, einen genden der englische Begriffs „posing“ Ver- Käfer, während er das entsprechende Verhal- Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 207

Abb. 42: Posing eines Männchens am Höhleneingang. Freilandbeobachtung im Staatspark Karlsaue, Ende Juli (im Hintergrund Volvariella bombycina, Wolliger Scheidling, im ausgefaulten Stamm der Buche).

Abb. 43: Auch einfach auf der Mulmoberfläche wurde das Posing-Verhalten beobachtet, Bedingung ist neben einer ausreichenden Temperatur außerdem Störungsfreiheit. 208 Ulrich Schaffrath

Abb. 44 a - d: Die Posing-Haltung wird gern auf erhöhter Warte eingenommen, hier auf einem leeren Kokon oder auf einem Holzstück. Das Verhalten muß gedeutet werden als aktive Handlung, die das Verströmen des Duftstoffs begünstigt (Videosequenz).

ten zeigte, (für Filmaufnahmen) in ein anderes Zur Duftdrüse Behältnis zu überführen. Da Posing ausnahmslos an heißen Tagen zu beobachten und gleichzeitig der Duft dann be- In den Experimenten des Autors zeigten die sonders stark wahrnehmbar war (vgl. STRESE- Tiere das entsprechende Verhalten auch bei MANN 1970), lag es nahe, das beschriebene Anwesenheit anderer Männchen und Weib- motorische und lokomotorische Verhalten des chen im selben Gefäß, aber doch immer nur Männchens, das Aufrichten über dem Grund dann, wenn kein direkter Kontakt zu diesen und das Abspreizen der Beine vom Körper, anderen Individuen bestand. Bei Annäherung mit der Duftabsonderung in Verbindung zu eines Weibchens (< ca. 5 cm) wurde das bringen. Dementsprechend wurden die Ven- Posieren abgebrochen, und das Männchen tralseite und dort die inneren Beinsegmente versuchte, dem Weibchen zu folgen. An- des Käfers einer genaueren Untersuchung näherungen von männlichen Geschlechtsge- unterzogen. nossen löste meist agonistisches Rivalen- Verhalten aus (s. o.). Als Austrittsort einer möglichen Absonderung kam eigentlich nur die einzigen am Käferbein Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 209 sichtbaren und beim Eremiten ca. 0,25 - hier Drüsenzellen zu finden sein müßten 0,3 mm im Durchmesser messenden Öffnun- (DR. SVATOS mdl.). Das Posing-Verhalten des gen an allen drei Beinpaaren in Frage, die im Männchens ist demnach als Handlung zu se- Bereich Coxa / Trochanter gelegen sind. Der hen, die aktiv die Absonderung des Duftstoffs Trochanter dringt hier an der dem Körper des unterstützt und seine Verbreitung verstärkt. Käfers zugewandten Seite zapfenförmig durch eine Öffnung in der Coxa hindurch. Die- Noch nicht ermittelt wurde, welche Beinpaare ses anatomische Merkmal des Käferbeins ist zu dieser Sekretionsleistung befähigt sind weder art- noch geschlechtstypisch, viele Ar- bzw. welche Beine daraufhin untersucht ten weisen es in beiden Geschlechtern an die- wurden. Leider brach die Verbindung zu sem körpernahen Scharniergelenk gleicher- DR. A. SVATOS, der die Untersuchungen maßen auf, und es ist nichts anderes als der durchführte, nach dessen Rückkehr in die Angelpunkt des Gelenks auf der dem Körper Tschechische Republik ab. Inzwischen haben zugewandten Seite. In Ruhehaltung ist es ver- aber schwedische Kollegen ebenfalls den borgen, erst beim Drehen des Beines in der Duftstoff analysiert und dazu bereits weitere Hüfte wird es (von hinten betrachtet) sichtbar Experimente durchgeführt. (vgl. Abb. 45 a, b).

Die chemische Analyse der Stoffe, die an Olfaktorischer Unterschied der dieser Stelle austraten, wurde von DR. ALES Geschlechter SVATOS / Prof. DR. WILHELM BOLAND vorge- Da nur die Männchen das erwähnte Verhalten nommen. Nach den Konzentrationen des zeigen, war anzunehmen, daß auch nur sie Duftstoffs im Bereich der Öffnung (welches den Duft produzieren. Zur Manifestation die- Beinpaar?) konstatierte DR. SVATOS, daß in ser Annahme wurden die Kokons getrennt der Tat die Quelle des Eremitenduftes hier im und entwickelten sich einzeln in 0,5 l Gefäßen, Bereich Coxa / Trochanter zu suchen ist. Auch die zu 3/4 mit Holzmulm aufgefüllt worden eine erste Gewebeanalyse der Coxa hinter waren (vgl. Abb. 34, S. 197). Bei den isoliert jener Öffnung bestätigte die Vermutung, daß aufgewachsenen weiblichen Käfern konnte

Abb. 45 a, b: Präparat eines Männchens, ventral von schräg hinten betrachtet. Im Bereich der Coxa ist knopfartig der die Hüfte durchdringende Zapfen des Trochanter zu erkennen. An dieser Stelle war das Eremiten-Lakton in konzentrier- ter Form nachzuweisen. 210 Ulrich Schaffrath keinerlei Hinweis auf eine Duftproduktion eine schwedische Studie in der Tat die Lock- gefunden werden; sie produzieren offenbar wirkung des Laktons auf Weibchen. Demnach keine Laktone. Beim Kontakt mit männlichen flogen diese verstärkt Höhlen an, die mit dem Tieren überträgt sich dieser Duftstoff jedoch Lakton als Lockstoff versehen worden waren auch auf den Chitinpanzer des Weibchens (TOLASCH mdl. 2001). Das Lakton könnte (Imprägnierung). Der Duftstoff ist so haltbar, damit eine bedeutende Rolle spielen, wenn es daß selbst ein Insektenkasten, in dem längere um den Nachweis der Art im Gelände geht: Zeit Eremitenkäfer aufbewahrt wurden, nach Einmal könnten Duftfallen zum Artnachweis der Entfernung der Tiere noch lange Zeit eingesetzt werden, andererseits ist die Ent- deutlich duftet. wicklung eines Meßgerätes denkbar, das den Duftstoff im Gelände nachweisen kann. Daß manche Tiere also nicht duften, wie man- che Autoren konstatieren, dürfte demnach Auf bereits im selben Bruthabitat „künstliche daran liegen, daß es sich bei ihnen um jung- Höhle“ gemeinsam lebende Weibchen konnte fräuliche weibliche Tiere handelt. RICHTER dagegen keine Wirkung registriert werden. (1940) hatte noch Altersgründe für die Ge- Die Wirkung in geringerer Konzentration (auf ruchlosigkeit eines Käfers erwogen: „Es war Distanz) könnte andere Verhaltensweisen merkwürdigerweise ohne Geruch, und man hervorrufen als unter einer massiven „Dunst- kann deshalb vielleicht annehmen, daß es glocke“ im unmittelbaren Umfeld mehrerer sich um ein altes und schon fast abgelebtes Männchen. Unter den halbnatürlichen Hal- Tier handelte, das die Fähigkeit zur Erzeu- tungsbedingungen durch den Autor konnte gung des Duftstoffes bereits eingebüßt hatte.“ keine Reaktion eines weiblichen Käfers beob- Auch der erste Osmoderma-Käfer, den der achtet werden, die eindeutig auf eine aktive Autor 1985 im Kasseler Auepark aufgesam- Hinwendung zu einem Männchen schließen melt hatte, ist völlig geruchlos gewesen: ein ließ. Dagegen brachen Männchen bei (zufälli- Weibchen, das wohl noch keinen Kontakt mit ger?) unmittelbarer Annäherung eines weib- einem „duftenden“ Männchen hatte. lichen Käfers das auffällige Verhalten unver- züglich ab und folgten dem Weibchen.

Mögliche soziale Funktionen des Duftes Der Duft könnte auch ein suchendes männ- Eine Erklärung für das auffällige Verhalten liches Tier vor einer Annäherung an die schon und die Duftabsonderung der Männchen ist besetzte Bruthöhle warnen. Der Duft würde sicherlich an erster Stelle im Zusammenhang also zur olfaktorischen Territorialmarkierung mit der Reproduktion zu suchen. Beispiele aus dienen. In der Tat verhalten sich frische Männ- der Welt der Insekten, die die Wirkung von ol- chen agonistisch, sobald sie aufeinandertref- faktorischen Reizen belegen, sind ohne Zahl. fen. Dennoch sind in den Bruthöhlen stets Darüber hinaus bieten sich weitere Über- mehrere Männchen synchron anzutreffen. Im legungen an, denkbar ist auch ein Wirkungs- Laufe des fortschreitenden Lebensalters der gefüge, das sowohl intra- (Sozialpheromon?) Käfer werden aggressive Handlungen zuneh- als auch extraspezifische Bedeutungen (auf mend seltener. Prädatoren) hat: Eine abwehrende Funktion des Duftes auf an- Die naheliegendste Vermutung lautet also: dere Männchen scheint auch deswegen nicht der Duft wirkt auf Weibchen distanzverrin- plausibel, da in aller Regel zusammen mit den gernd / attrahierend. Der männliche Käfer ver- Männchen auch Weibchen anzutreffen sind. mag so, unterstützt durch sein die Signalaus- So könnte der Duft der Männchen auf Artge- breitung verstärkendes Verhaltenselement nossen beider Geschlechter attrahierend wir- „Posing“, weibliche Käfer in ein geeignetes ken: Männchen machen allgemein über olfak- Bruthabitat zu locken. Experimente diesbe- torische Signale auf eine geeignete Bruthöhle züglich waren dem Autor unter den gegebe- aufmerksam. Das wäre sinnvoll hinsichtlich nen Umständen nicht möglich, doch belegt des genetischen Austauschs zwischen ver- Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 211 schiedenen Populationen, allerdings negativ Käfer sein olfaktorisches Attraktivum gezielt für den Duftproduzenten selber, falls zu viele einsetzt und die Drüsenöffnung nur dann frei- männliche Artgenossen reagieren. Letztend- gibt, wenn sowohl infolge der Außentempera- lich aber läge eine der Art dienende Strategie tur ein erhöhter Wirkungsgrad sichergestellt vor. ist als auch gleichzeitig die Temperaturen eine entsprechend hohe Flugaktivität bei den Art- Auch könnte der Duftstoff interspezifische genossen erwarten läßt (biologisch funktional; Wirkung auf Organismen haben, die den Brut- arterhaltend). ablauf des Juchtenkäfers stören könnten. Oder aber: Andere Arten, die normalerweise die gleiche ökologische Nische besetzen, wer- Zum Posing am Höhleneingang den olfaktorisch abgeschreckt. Tatsächlich Die männlichen Käfer wurden oftmals beim z. B. gibt es keinen Nachweis für die gleich- Posing in, an oder vor der Baumhöhle sitzend zeitige Entwicklung von Protaetia aeruginosa angetroffen. Markieren sie tatsächlich damit (DRURY) und O. eremita (SCOP.) im selben das Territorium, so ist bemerkenswert, daß, Substrat (vgl. Kapitel zur Zoozönose, Teil 2: aus menschlicher Sicht betrachtet, durchaus S. 250). nicht jede Höhle, vor der ein Männchen posierte, auch als Vermehrungsort geeignet Eine mögliche abschreckende Wirkung auf scheint. Das erste Foto beispielsweise, das Prädatoren ist nicht festzustellen. Vögel vom „Posing“, dem Sitzen in der beschriebe- jedenfalls, die ohnehin bei der Mehrzahl der nen Spinnenhaltung, entstand (vgl. Abb. 42), Arten ein nur gering ausgeprägtes Geruchs- zeigt einen Käfer, der vier Wochen lang (bei wahrnehmungsvermögen besitzen, sind als schönem Wetter) seine Höhle am Fuß einer Vertilger von Eremitenkäfern bekannt (Eulen- Buche anzeigte, die – etwa in Höhe der Erd- gewölle), und auch eine Abschreckungs- oberfläche – gerade so viel Substrat enthielt, wirkung auf Säuger ist wenig wahrscheinlich, daß er sich bei Kälte darin notdürftig ver- wenn man an die Verfütterung großer Cara- stecken konnte. biden (Carabus sp.) an Maulwürfe (Talpa europaea) erinnert, die sich auch von den ät- Andere Höhlen, die im Sommer von Männ- zenden Sekreten der Wehrdrüsen (Metacryl- chen markiert wurden, stellten sich bei einer und Tiglinsäure) nicht abhalten ließen, die Kontrolle mit dem Hubsteiger als völlig trocke- Käfer zu fressen. ne Astabbruchstellen ohne erkennbaren wei- teren Höhleneingang dar. Ob es doch noch Eine ausschließlich interspezifische Wirkung irgendwo verborgen einen Einschlupf zu einer des Duftstoffs ist ganz auszuschließen, da tiefer im Stamm gelegenen Mulmhöhle gibt, dies im Widerspruch stehen würde zum beob- wird wahrscheinlich erst die Öffnung des Bau- achteten Zeitraum des auffälligen „Posing“, mes nach einer Fällung zeigen ... Jedenfalls der mit der höchsten Aktivität der Käfer- scheint es nicht Aufgabe des Männchens zu imagines einhergeht. Aus demselben Grund sein, die Höhle hinsichtlich ihrer Eignung als ist die Bedeutungslosigkeit der duftenden Brutquartier zu prüfen. Auch KUNZ (brfl. 1996) Substanz auszuschließen. berichtet über Käfer, die an Bäumen saßen, welche keine Larven enthielten.

Auslöser für die Duftproduktion Der Fund einer einzigen Larve im ersten Auf jeden Fall scheint „Posing“ und damit Stadium in staubtrockenem Mulm einer Eiche die aktiv unterstützte Duftabsonderung und in Bad Arolsen, ohne Hinweise auf ein Vor- -verbreitung nur bei höheren (= optimalen) kommen weiterer Käfer oder Larven in diesem Temperaturen aufzutreten, Temperaturen, bei Baum, weist möglicherweise auf den Versuch denen Flugaktivität beobachtet werden kann einer Besiedlung hin, der aber von dem Weib- und Duftmoleküle besonders flüchtig sind. chen wieder abgebrochen wurde. Hier könnte also gefolgert werden, daß der 212 Ulrich Schaffrath

Bemerkungen zum Flugverhalten wonach der Seitenrand des Scutellums „Auf den Flug des Juchtenkäfers sei noch hin- schräg abschüssig und gleichzeitig mit einer gewiesen. (...) Er gehört (...) zu der geringeren flachen Rinne versehen ist, in die sich der an Zahl von Käfern, die mit geschlossenen das Schildchen anschließende Rand der Flügeldecken fliegen müssen, weil sie es nicht Flügeldecken einlegt. Dagegen besitzen die fertig bringen, dieselben zu heben oder auszu- nächsten Verwandten, die Gnorimus- und breiten. Unter den geschlossen bleibenden Trichius-Arten, einen scharf schneidenden Flügeldecken zieht Osm. erem. die häutigen Schildchenrand, unter denen die beim Flug Hinterflügel seitlich hervor, um sie dann zum wie bei den meisten Käfern nach außen und Fluge zu entfalten. In derselben Weise fliegt oben gestreckten Elytren (vgl. Abb. 48, übrigens, was vielleicht mancher schon Hirschkäfer / Lucanus cervus) in Ruhehaltung beobachten konnte, der bei uns nicht seltene eingeschoben werden. schöne, grüne Rosenkäfer, der ja ein Ver- wandter von Osm. erem. ist“ (RICHTER 1940). Gnorimus variabilis (L.) fliegt also mit weit abgespreizten Flügeldecken (vgl. Abb. 49), Diese mehrfach geäußerte Meinung (z.B. während für den nach Ansicht der Systema- FRICKEN 1885: „mit geschlossenen Flügel- tiker entfernter verwandten Valgus hemipterus decken schwärmender Europäer“ oder STURM (L.; vgl. Abb. 12 d, S. 174) dieselbe Flugweise, 1857: „Beim Fliegen kann er die Flügeldecken wie sie auch der Eremit zeigt, schon von FRIK- weder ausbreiten noch heben und muß wie KEN (1885) beschrieben wurde: „nach Weise die Cetonien mit geschlossenen Deckschilden des Totengräbers mit nach oben gerichteten fliegen“; vgl. a. ERICHSON 1848) ist zumindest Seitenrändern der Flügeldecken fliegender mißverständlich. Europäer.“ Vielleicht sind die verwandtschaft- lichen Bande zwischen Osmoderma und Fotos und Filmaufnahmen abfliegender Valgus enger, als bisher angenommen wird. Eremiten belegen, daß der Käfer die Elytren seitlich anhebt, um die Hautflügel zu entfalten (Abb. 46 a - f, 47). Er besitzt auch als Vertreter Start und Flug der Trichiinae – im Gegensatz zu den Im allgemeinen gelten die Lamellicornier als verwandten Cetonia- oder Protaetia-Arten – gute Flieger. Der Eremit ist jedoch ein keine Ausbuchtung im Flügeldeckenrand schlechter Starter, der lange Vorbereitungen (Cetoniinenfalte), die jenen das Ausstrecken trifft. Wie beim Maikäfer und anderen Groß- der Hautflügel bei „nahezu“ (MEIXNER 1933 - käfern geht dem Abflug ein deutliches, minu- 1936) geschlossenen Elytren und somit den tenlanges „Pumpen“ voraus, so daß sich die verhältnismäßig sehr schnellen Start erlaubt. Flugabsicht lange zuvor ankündigt. Dieses Pumpen wie es auch in der Literatur für Der Eremit klappt die Flügel an den lateralen Melolontha und Lucanus belegt ist (ca. 20 bis Außenrändern deutlich sichtbar nach oben, 30 „Atemzüge“ vor dem Abflug; MEIXNER um die Hautflügel ausstrecken zu können. 1933 - 1936) bewirkt neben einer erhöhten Entlang der Naht bleiben sie geschlossen, der Sauerstoffzufuhr auch eine Erwärmung des Käfer knickt sie also entlang der Elytrennaht Körpers und der Flugmuskulatur. Im Gegen- etwas v-förmig zusammen. Meist ist dieses satz zu vielen anderen Lamellicorniern ist es Anheben der Elytren beim Start der Käfer mit dem Eremiten offenbar nicht möglich, vom bloßem Auge nicht wahrnehmbar, doch gibt Boden aus zu starten. Beobachtungen im es einzelne Exemplare, die diese Prozedur Freiland zeigten, daß ein (z. B. durch Kollision gleichsam in Zeitlupe vollführen, so daß der mit Ästen) zu Boden gefallener Käfer niemals Vorgang recht deutlich wird. versuchte, sofort wieder aufzufliegen. Viele Beobachtungen des Käfers gehen auf solche Nach SCHAUFUSS (1916, CALWERs Käfer- „Bodenfunde“ zurück: BRAHM (1790): „... ein- buch) ist diese Flugweise mit einer anato- mal an einem Weidenstamm, meistens aber mischen Anlage in Zusammenhang zu sehen, auf der Erde“. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 213

Abb. 46 a - f: Phasen der Flügelentfaltung beim Abflug zweier weiblicher Käfer (jeweils von oben nach unten): Die Elytren werden seitlich angehoben, bleiben aber an der Naht geschlossen (Videosequenzen). 214 Ulrich Schaffrath

Abb. 47: Männlicher Käfer unmittelbar beim Start. Während des Flugs streckt der Käfer die Mittelbeine als Stabilisato- ren v-förmig nach schräg oben.

Abb. 48: Hirschkäfer (Lucanus cervus L.) unmittelbar vor dem Abflug. Die Deckflügel werden nahezu rechtwinklig nach außen gedreht und angehoben. Ebenso fliegen auch die mit Osmoderma verwandten Gnorimus-Arten. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 215

Alle vom Autor am Boden angetroffenen Tiere liefen zunächst mit großer Geschwindigkeit auf den nächsten Stamm zu und kletterten behende daran empor. Erst in einer Höhe von etwa eineinhalb bis zwei Metern verlangsam- ten sie ihre Lokomotion und stiegen entweder „bedächtig“ weiter aufwärts, oder aber sie ver- suchten, von der gewonnenen Höhe aus er- neut zu starten. Meist drehten sie sich dazu um 180 Grad, so daß sie nun kopfunter am Stamm zu sitzen kamen und führten mit den Vorderbeinen Greifbewegungen ins Leere aus. Dann ließen sie sich mit gleichzeitig aus- gestreckten Hautflügeln mehr oder weniger fallen, bis der Fall durch den Auftrieb abgefan- Abb. 49: Gnorimus variabilis (L.) spreizt beim Flug – im gen werden konnte – was nicht immer gelang. Gegensatz zum nah verwandten Eremiten – die Deck- Die Mittelbeine werden, was ebenfalls durch flügel weit ab (aus Videosequenz). Foto- und Filmaufnahmen deutlich wurde, unmittelbar vor dem Entfalten der Hautflügel v-förmig nach oben gestreckt (Frontal- Ansicht), was der Stabilisierung des Fluges voraus, oftmals war auch, bei schräg hoch- dienen dürfte (vgl. Abb. 47). gerecktem Abdomen, die Abgabe eines Kotspritzers zu beobachten (vgl. Abb. 50 a - c). Der Flug selbst, der in den vom Autor im Frei- land registrierten Fällen wieder hinauf in die Wie schon im Freiland beobachtet, drehen Baumkronen führte, ist schnell und wendig sich die flugwilligen Käfer mehr oder weniger und ähnelt dem der Rosenkäferverwandt- seitlich bis kopfunter zum Start, doch wurde schaft. HILLERT (brfl. 2001) berichtet von ei- auch der Abflug geradeaus rücklings beob- nem fliegenden Käfer, den er einige Minuten achtet. Aufsteigender Flug scheint dem Ere- lang beobachten konnte, und er vergleicht das miten nicht möglich zu sein, was sicherlich mit Flugverhalten mit dem einer Hummel auf Nek- der Stellung der Deckflügel beim Abflug in Zu- tarsuche. Dieser Käfer, der in ca. 3 - 5 Metern sammenhang steht. Vergleichbar große Arten Höhe um eine dicke Eiche und weitere alte wie der Hirschkäfer (Lucanus cervus L.) oder Bäume kreiste, war offenbar auf der Suche die dem Eremiten verwandten Gnorimus- nach einem geeigneten Brutbaum, eine Arten, bei denen ein solcher Steigflug zu Landung des Insekts wurde nicht bemerkt. beobachten ist, fliegen stets mit offenen, an der Naht weit gespreizten Elytren (vgl. Experimente mit Zuchttieren unterstützen die Abb. 48). Beobachtungen aus dem Freiland: Zunächst versuchen flugwillige Tiere, die aus dem Be- Waren die Käfer im Zuchteimer verblieben reich des Entwicklungssubstrates kommen, und hatten an der glatten Wandung also nicht kletternd an Höhe zu gewinnen. Die Tiere ver- die Möglichkeit, einen bedeutend erhöhten raten ihre Flugabsicht zunächst durch eilige, Punkt zu erreichen – ein austrocknungs- nervöse Bewegungen und ihr Bemühen, eine verhindernder Kunststoffdeckel war höchste erhöhte Warte zu erklimmen. Dieses Verhalten Erhebung –, gelang es ihnen nicht abzu- ähnelt einem auf der Hand laufender Marien- fliegen. Die Zuchtgefäße kamen also ohne käfer, der sich erst startbereit macht, wenn er Draht- oder Gazeabdeckung aus, weil selbst eine erhöhte Warte erreicht hat. Im Zuchtkäfig fluchtwillige Käfer nicht entkommen konnten. erkletterten die Käfer den eingestellten Holz- In einem Zuchteimer, der noch mit Buchen- scheit oder auch die Kastenwand. Dem Abflug laub (als Kälte-Isolierung aus der Über- geht stets ein lang andauerndes „Pumpen“ winterungsphase) ausgestattet war, konnte 216 Ulrich Schaffrath

jedoch ein erfolgreicher Start von der ca. 5 cm starken Laubdecke aus registriert werden; das Luftpolster hatte hier also zum Start ausge- reicht. Allerdings ist dazu zu bemerken, daß Tiere, die in Gefangenschaft nachgezüchtet wurden, oftmals sehr viel kleiner, mithin leichter sind als Freilandtiere (suboptimal ernährt?). In diesem Falle handelte es sich um einen Käfer aus einer Zucht, die seit mehreren Jahren unverändert im gleichen Gefäß durch- geführt wurde, bei der sich stets nur mittlere und kleine Käfer entwickelt hatten.

Die Eremiten-Käfer richteten ihren Flug ausnahmslos nach der offenen, verdrahteten Käfigseite (Licht!) – wo sie versuchten, sich blitzschnell (Reflex?) anzuklammern. Dieser Versuch gelang etwa in der Hälfte aller Fälle, da die scharfen Klauen an den Tarsen im Draht guten Halt fanden. Dieselbe Technik dürfte auch im Freiland an Borkenrissen etc. zum Erfolg führen.

Was die Flugaktivität einzelner Tiere auslöst, ist nicht bekannt. Nach menschlichem Ermes- sen ist alles vorhanden, was die Käfer benöti- gen: Substrat in der „Höhle“, Futter in Form von Bananen oder Äpfeln, angemessene Feuchtigkeit und angenehme Temperatur, potentielle Geschlechtspartner. Neben einem normalen, angeborenen Dispersionsverhalten kommt auch zu dichter Besatz des Zucht- käfigs als Auslöser für den Abflug in Frage. Entzieht man jedoch einem Käfer das Sub- strat, so versucht dieser in der Regel unver- züglich den nächst erreichbaren höchsten Punkt zu erklimmen und zu starten. Ziel ist dabei nach den Beobachtungen des Autors nicht der Mulm-Behälter mit den Artgenossen im gleichen Raum, sondern die größte Licht- quelle (z. B. Fenster).

Treue zum Brutbaum Abb. 50 a - c: Vor dem Abflug gibt der Käfer oft zunächst „Sie ... kommen im Mai oder Juni als einen Kotspritzer ab (Videosequenz). Käfer zum Vorschein. Alsdann trifft man nicht selten die ganze Familie beisammen an“ (SCHENKLING 1885).

Flugfähigkeit und Flugaktivität stehen im Zu- sammenhang mit der Ausbreitung des Käfers, Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 217 der auf diese Weise neue Habitate zu besie- der der Baumgemeinschaft reichten für dieses deln vermag. Gründe, die für andere Tiere gefährliche Unterfangen aus. wichtig sind, z. B. Nahrung zu suchen, einen Geschlechtspartner oder einen Eiablageplatz Erst wenn der Brutbaum zu zerfallen beginnt zu finden, sind für den Eremiten nicht von Be- und zunehmend unbrauchbar wird, werden deutung, da er alles Notwendige am Ort seiner sicherlich weit mehr Imagines, die einzige Ontogenese vorfindet. Auch die Flucht vor nicht ortsgebundene Phase, versuchen, eine Fraßfeinden kommt nicht in Betracht, da das neue Brutstätte zu erreichen. Im Experiment Insekt eine lange Startvorbereitungsphase versuchten alle Käfer, denen der Mulmtopf braucht (s. o.). entzogen wurde, umgehend fliegend zu ent- kommen. Tatsächlich ist bei Osmoderma die „Treue“ zur Bruthöhle auffällig. Die Imagines zeigen kei- Das konservative Festhalten am Brutbaum nen großen Drang, die Höhle, in der sie sich bewahrt zwar einerseits die Population davor, entwickelt haben, zu verlassen. In erster Linie zu viele Individuen einzubüßen, die vielleicht paaren und vermehren sich die Tiere in dem- ohnehin nur schlechtere Bedingungen antref- selben Baum, in dem sie selbst zum Vollinsekt fen, als sie vorher zur Verfügung hatten. Viel- herangewachsen sind. leicht hat diese Eigenschaft die Art bis heute vielerorts, wenn auch nur in winzigen Popula- Diese Beobachtungen belegt mit eindrucks- tionen, vor dem Aussterben bewahrt. Anderer- vollen Zahlen eine schwedische Studie. So seits vermindert sich so die Wahrscheinlich- meldet RANIUS (2001) 812 von insgesamt 818 keit, daß neue Quartiere überhaupt entdeckt markierten und wiedergefangenen Käfern in und besetzt werden, und dadurch das Insekt demselben Baum, in dem sie zuvor gefunden sich weitere Lebensräume erschließt. Darüber wurden, nur sechs hatten den Baum gewech- hinaus wird die Möglichkeit eines genetischen selt. Nach RANIUS & HEDIN (2001) hatten von Austauschs gemindert. 901 Tieren neun (7 Männchen, 1 Weibchen, ein Exemplar unbekannten Geschlechts) ei- Auch in den Zuchtansätzen des Autors ver- nen anderen Baum aufgesucht, die anderen suchten Käfer beiderlei Geschlechts ab und 892 waren geblieben, wo sie waren. Per an aus den Behältern fliegend zu entkommen: Computersimulation errechneten sie daraus Nie alle Anwesenden, aber immer wieder eine Dispersionsrate von 15%. einzelne machten solche Abflugversuche „mit unbekanntem Ziel“, während sich andere Der Eremit ist somit nicht nur ökologisch eine gleichzeitig um Nahrung oder einen Sexual- „konservative“ Art, ein typischer K-Stratege partner bemühten. Festzuhalten ist an dieser (Lebensraumnutzung unterhalb der Kapazi- Stelle, daß im Beobachtungs- bzw. Zuchtkäfig tätsgrenze), von dem in länger besiedelten von den ca. 100 Abflugversuchen etwa zwei- Bäumen stets verschiedene Entwicklungsstu- bis dreimal so viele von weiblichen Tieren re- fen gemeinsam angetroffen werden, sondern gistriert werden konnten als solche von Männ- auch in seiner Treue zum Brutbaum. Dieses chen. Als „Reifeflug“ kann dieses Verhalten Merkmal „geringes Dispersionsbedürfnis“ ist keinesfalls gedeutet werden, da die Partner im Zusammenhang mit evolutiven Anpassun- bei einer Mulmkontrolle schon in Kopula ange- gen zu sehen: Für die Gattung, die noch heute troffen werden konnten, bevor sie jemals an mit allen Spezies die gemäßigten nemoralen der Substratoberfläche erschienen waren. Zonen mit ihren sommergrünen Bäumen be- wohnt, war dieses Verhalten jedenfalls nicht Möglicherweise sind häufige innerartliche von Nachteil: Langsam wuchsen die Bäume Kontakte im Zuchtkäfig und damit verbundene auf, lange dauerte auch der Absterbeprozeß, Streßsituationen wenn nicht als Auslöser, so so daß in der Folge der Käfergenerationen doch als förderlich für den Abflug zu betrach- genügend Zeit für die Suche nach neuen ten. Die Suche nach einem weniger oder Quartieren blieb. Nur jeweils einzelne Mitglie- gar nicht besetzten Quartier wäre sicherlich 218 Ulrich Schaffrath biologisch auch sinnvoll, denn in einem von Hannover von „um die Mittagszeit flugaktiven vielen Käfern und entsprechend zahlreichen Käfern an sonnigen und warmen Tagen“. Larven bewohnten Mulmkörper könnten JÄNICKE (brfl. 1996, mdl.) konnte einen flie- die Entwicklungsbedingungen für die eigene genden Eremiten am späten Vormittag gegen Nachkommenschaft eingeschränkt sein 11.30 Uhr in einer alten Kirschbaum- und (Kannibalismus der Larven). Im übrigen ist die Apfelplantage beobachten. GRILL konstatierte regionale resp. Lokale Vergrößerung der An- 2000 einen Käfer gegen 15.00 Uhr „bei zahl von Einzelkolonien / Brutbäumen – also schwülem Wetter fliegend“ bei Plötzkau / eine generelle Stärkung der Populationsgröße Sachsen-Anhalt (FFH-Datenbank Sachsen- – als arterhaltende Strategie zu werten. Auf Anhalt), PAGEIX (1968) traf einen fliegenden sie kann allerdings eine in hohem Maße kon- Osmoderma in Fontainebleau / Frankreich um servative Art (vom Standpunkt der Evolutions- ca. 16.00 Uhr an. Tagesbeobachtungen sind biologie betrachtet) verzichten, deren Lebens- also keine Zufallsereignisse, wie lange Zeit bedingungen in ungestörten (und ebenso angenommen wurde (vgl. TIETZE 1996), konservativen) „Urwald mit Auwald-Charak- sondern die Regel. ter“ keinen Stabilitätswechseln unterliegt. Freilandstudien des Autors im Kasseler Aue- park an den über Nachmittag und noch bis Zeiten der Flugaktivität weit in die Abendstunden hinein hochaktiven „Bei Sonnenuntergang treten sie Schwarm- Tiere wurden mit einbrechender Dunkelheit flüge an“ (HORION 1958). „Fliegt in der bren- abgebrochen. Alle Beobachtungen legen nenden Mittagssonne“ (KNIEPHOF in BERCIO / nahe, daß Bedingung für eine Flugaktivität in FOLWACZNY 1979). erster Linie ausreichend hohe Temperaturen sind. Da die höchsten Temperaturen in den Die Meinungen in der Literatur gehen hier weit Mittags- und Nachmittagsstunden erreicht auseinander. Fliegende Käfer konnten nach werden, beginnt hier auch die höchste Käfer- den Meldungen vieler Entomologen jedenfalls bzw. Flugaktivität, die dann bis in die Abend- nur an sehr warmen Tagen beobachtet und Nachtstunden anhält, solange es die Luft- worden. Entsprechend wurden vom Autor in temperaturwerte zulassen. Kassel Freiland-Flüge ab einer Lufttemperatur von 25°C aufwärts registriert, also etwa ab der Von „Schwarmflügen“ (vgl. HORION 1958) zweiten Julihälfte (um den 20. Juli) bis ca. kann keine Rede sein, denn niemals erheben Anfang September. Zu jenem letzten, späten sich Eremiten wie Maikäfer oder deren nähere Zeitpunkt im Jahr ist jedoch die Aktivität der Verwandtschaft alle etwa gleichzeitig in die wenigen noch lebenden Tiere einer Kolonie Luft. In größeren Kolonien hingegen wird es schon deutlich eingeschränkt, Flugversuche vielleicht möglich (gewesen) sein, synchron sind dann nur noch selten festzustellen. In den einige oder mehrere Tiere fliegen zu sehen. Zuchtkäfigen waren einzelne Käfer in man- So berichtet STAVEN (mdl. 2001), in den chen Jahren schon ab Anfang Juli flugaktiv, 1970er Jahren in der Herrenhäuser Allee in abhängig von der Temperaturentwicklung im Hannover mehrere Tiere mehr oder weniger Jahresverlauf und den ersten ausreichend zur gleichen Zeit fliegend gesehen zu haben. heißen Tagen. Echte „Schwarmflüge“ dienen jedoch stets der Flugaktivität ist ab dem späten Vormittag bis in Geschlechterfindung an einem Ort, an dem die Nachtstunden belegt. BETTAG (brfl. 1996) sich meist nicht gleichzeitig die Entwicklung konnte 1980 Käferanflug an eine tote Held- der Art vollzieht (wie beim Maikäfer, der sich bock-Eiche gegen 11.00 Uhr vormittags regi- auf Bäumen, also auf der Fraßpflanze paart, strieren. Im Kasseler Auepark konnte ein die Eier jedoch im Boden ablegt, oder Amei- Abflug gegen 11.30 Uhr festgestellt werden sen, die Gipfel umschwärmen). Eremiten paa- (SCHAFFRATH 1994). Auch STAVEN (brfl. ren sich hingegen unmittelbar an der Stelle, an 1996) berichtet aus der Herrenhäuser Allee in der Eiablage und Larvenentwicklung erfolgen, Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 219 so daß ein „Schwärmen“ biologisch unsinnig biet durch VOIGT / Dresden brachten keinen wäre. Es wurden offensichtlich unkritisch die einzigen Nachweis der Art, obwohl aus der Begriffe „Fliegen“ und „Schwärmen“ gleich- unmittelbaren Umgebung der Lichtfangplätze gesetzt. Nachweise sowohl von Larven als auch Imagines vorlagen (VOIGT, brfl. 1999).

Nächtlicher Lichtanflug Nächtliche Kontrollen der Behälter, in denen „Vielfach wird auch nächtlicher Lichtanflug der Autor die Käfer untergebracht hatte, zeig- gemeldet“ (HORION 1958). ten, daß die Tiere auch bei Temperaturen über 25°C in der Regel nicht aktiv waren. In Diese Aussage wurde von HORION nicht wei- einzelnen Fällen wurden zwar einzelne Eremi- ter präzisiert und läßt sich auch aus der Litera- ten in der Nacht hier vorgefunden, diese tur nicht belegen. Auch von den amerikani- waren aber stets sehr matt und in der Regel schen Arten wird jedoch berichtet, daß sie am folgenden Tag verendet. Anzumerken ist, nachts oft am elektrischen Licht gefangen daß die Behälter in der Nacht niemals von werden (HOFFMANN 1939). einer nennenswerten Lichtquelle angestrahlt waren. Nächtlicher Lichtanflug ist aus neuerer Zeit nur spärlich gemeldet: In Forchheim / Bayern Wie manch anderes Insekt (z. B. Vespa flog 1993 ein Osmoderma aus einer Kolonie, crabro, Protaetia cuprea u. a.) scheint Osmo- die in alten Eichen-Kopfbäumen siedelt, auf derma also kein üblicherweise zur Nachtzeit einer erleuchteten Terrasse an (SCHMIDL fliegender Käfer zu sein. Falls sich jedoch – brfl.). Zwei weitere Angaben stammen vom bei ausreichenden Temperaturen – eine Licht- Favoritepark in Ludwigsburg / Baden-Würt- quelle bietet, kann er diese offenbar zielgenau temberg, wo ein Käfer am 28.8.1980 um ca. ansteuern. Dies ist von Bedeutung, wenn ein 21.30 Uhr gegen eine erleuchtete Fenster- Käfer – beispielsweise bei der Suche nach scheibe prallte. Ein weiteres Tier flog ebendort einem neuen Quartier – ohne „anzuecken“ nachts an ein Fenster am Krankenhaus an, und abzustürzen freien Flugraum zu erreichen beide Tiere waren sofort tot (BRETZENDORFER sucht. mdl. 1998, 2001).

Aus Quedlinburg / Sachsen-Anhalt meldet Orientierung der Imagines SCHUMANN zwei Beobachtungen „am Licht“ Nach einer Studie in schwedischen Habitaten (FFH-Datenbank Sachsen-Anhalt). In diesen werden bevorzugt Höhlen auf der Süd- bzw. Fällen wurden am 17.7.1982 bzw. am Westseite der Stämme angenommen. Einer- 7.7.1988 zwei jeweils nicht mehr sehr vitale seits bieten Höhlen mit dieser Ausrichtung Weibchen morgens in der Senke zwischen klimatisch vorteilhaftere Bedingungen als öst- zwei Gewächshausdächern gefunden. In den lich oder nördlich ausgerichtete (vgl. KELNER- Gewächshäusern, in denen nachts Kunstlicht PILLAUT 1974; RANIUS et. al. 1997). Die be- eingeschaltet war, brannte dieses zum stimmenden Reize könnten primär aber auch Zeitpunkt des Fundes der Tiere nicht mehr. optischer Art sein, da ein dunkles Loch auf Über die Art der Leuchtkörper, ob z. B. Queck- einem sonnenbeschienenen Stamm leichter silberdampflampen betrieben wurden, konnte entdeckt wird als auf der Schattenseite. Mit jedoch keine sichere Aussage gemacht einigen Ausnahmen (Geotrupidae) besitzen werden. Die Tiere, so ist zu vermuten, flogen Lamellicornier nach MEIXNER (1933 - 1936) von einem am anderen Ufer der Bode gele- hinsichtlich Sehweite und Sehschärfe einen genen Parkgelände her an (SCHUMANN mdl. leistungsfähigen (eukonen) Augentyp. 2002). Von Protaetia aeruginosa (DRURY), die ähn- Lichtfänge im Hauptverbreitungsgebiet und liche Habitate wie Osmoderma besiedelt, zur Flugzeit des Käfers im Dresdner Stadtge- wurde ein bemerkenswerter Nachweis durch 220 Ulrich Schaffrath

NIEHUIS (1986) geführt: er holte in Landau / aber noch nicht die Neuerschließung einer bis Pfalz ein ziemlich verrußtes, aber lebendes dato unbesetzten Baumhöhle. Exemplar aus einem im Freien stehenden Ofen und vermutet, daß der Käfer offenbar die dunkle Ofenrohröffnung mit einer Höhle in Flugradius einem Baumstamm verwechselt habe. Oder Über Flugentfernungen liegen Forschungser- reagierte das Tier auf Holzteer bzw. Holz- gebnisse aus Schweden vor. ANTONSSON essig? Was wurde verbrannt? Auch Chemo- (brfl. 1998) berichtet über Isotop-Markierun- attraktion der Imagines ist möglich. gen der Elytren durch RANIUS, Universität Lund. Danach scheint eine Distanzüberwin- Freilandbeobachtungen an Bäume anfliegen- dung von 500 bis maximal 1000 Meter wahr- der Käfer liegen nur sehr wenige vor. Bei der scheinlich. TOCHTERMANN (brfl. 1995) nimmt Orientierung scheinen jedenfalls teilweise eine mögliche Flugstrecke von 2 km an. RA- visuelle Strategien eine Rolle zu spielen, denn NIUS & HEDIN (2001) fanden (markierte) Tiere der Eremit fliegt einen Baumstamm oder einen jedoch höchstens im Umkreis von maximal starken Ast gezielt an: BETTAG (brfl. 1995) 190 Metern wieder, niemals weiter entfernt, berichtet vom Wipfelanflug und der Landung doch merken sie an, daß ein Flug über weitere eines Weibchens, das dann etwa 8 Meter den Distanzen vielleicht nur deshalb noch niemals Stamm hinunter lief. HILLERT (brfl. 2001) be- dokumentiert werden konnte, weil er zu selten obachtete über mehrere Minuten einen Käfer, vorkommt. der einige Bäume in einem alten Baumbe- stand umkreiste, bevor er in den Baumkronen Es gibt jedenfalls Anhaltspunkte dafür, daß verschwand. Eine alte Eiche umrundete er die Käfer unter Umständen doch in der Lage dabei etwa 20 Mal (vgl. Kap.: Start und Flug). sind, größere Strecken zu überwinden. Dafür Welche Eigenschaften die jeweiligen Bäume sprechen Meldungen von Ornithologen, die für die Käfer interessant (bzw. uninteressant) fliegende Eremiten, ca. 3 - 4 km vom nächst- machen, ob optische oder chemische (oder möglichen Entwicklungsort entfernt gesehen beide) konnte nicht ermittelt werden. haben wollen, beim Überflug über einen Ge- birgseinschnitt, begünstigt durch Aufwinde in Maulwürfe steuern beim Schwimmen senk- ca. 750 m Höhe (BENSE mdl. 2002). GREBEN- rechte (dunkle / schmale) Strukturen an. Sie SCIKOV (1981) berichtet von einem vielleicht gelangen so eher ans Ufer – Schilf / Auwald – vergleichbaren Fund, bei dem er einen flie- als aufs offene Wasser [CIBA, in WITTE, Hrsg., genden Käfer auf über 1500 m NN im Prenj- ZPU III, 1995]. Bei Osmoderma könnte eine Gebirge (Herzegowina) antraf. Auch die ame- vergleichbare Selektion vorliegen. rikanischen Osmoderma-Arten werden von HOFFMANN (1939) als gute Flieger bezeich- Duftstoffe sind in der Insektenwelt aber in der net, was sich aber nicht auf die Flugstrecke Regel die wichtigsten Orientierungshilfen. Die beziehen muß. Käfer könnten auf olfaktorische Reize des Holzmoders oder sich zersetzender Holzpilze reagieren, die dem fliegenden Insekt die Rich- Komfortverhalten und weitere Verhaltens- tung weisen. TOCHTERMANN (mdl. 1995) be- weisen richtet von der Lockwirkung von ungereinigter Durch den regelmäßigen Kontakt der Käfer chinesischer Eichengerbsäure (Acetum tan- mit der umgebenden Holzerde ist von Zeit zu nicum) auf den Käfer. SCHMIDT (brfl. 1997) Zeit eine Reinigung wenigstens der funktio- meldet ein Sammlungsexemplar, gesammelt nalen Körperteile notwendig. Besonders die 1983 von KOHOUCEK im Lorscher Wald, mit empfindlichen Antennen werden einer gründ- der Angabe „Köderfang“, auf die Art des lichen Pflege unterzogen. Hierzu klappt der Köders wird leider nicht eingegangen. Daß der Käfer die beiden Fühlerkeulen mehrmals hin- Eremitenduft eine Lockwirkung besitzt, wie in tereinander synchron unter den Kopfschild schwedischen Forschungen bestätigt, erklärt und beleckt sie mit den Mundwerkzeugen. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 221

Beobachtet wurde auch das „Kauen“ eines Entwicklung der Präimaginalstadien unter den Mandibeln hängenden großen „L’élevage sur plusieurs générations ne braunfarbigen Flüssigkeitstropfens, den offen- présente pas de difficultés“ (GANGLOFF 1991). bar der Käfer selbst ausgespien hatte. Da auch in diesem Falle die Antennen synchron Die Weiterzucht von Larven zur Imago aus unter den Kopf geklappt wurden, ist dieser gefällten oder vom Sturm geworfenen Vorgang vielleicht als gesteigerte Form des Bäumen ist in der Vergangenheit von vielen Komfortverhaltens zu deuten. Der Tropfen Entomologen versucht worden, meistens mit wurde später abgesetzt bzw. ging verloren. gutem Erfolg. Die Weiterzucht der Tiere über mehrere Generationen hingegen wurde selten Die Kopfoberfläche bzw. die Augen reinigt dokumentiert, und so bestehen unterschied- Osmoderma eremita mechanisch durch liche Ansichten z. B. hinsichtlich der Verweil- abwechselndes Bestreichen von innen nach dauer in den einzelnen Stadien, Zahl der außen mit den Vordertibien. Auch von den Nachkommen und sogar der Anzahl der Hautflügel werden nach einem Flugmanöver, Larvenstadien, die jedoch bei den in Europa bevor sie wieder unter die Elytren eingefaltet vorkommenden Arten der Lamellicornier stets werden, mit den Hinterbeinen oder durch drei beträgt. einfaches aneinander Reiben von eventuell anhaftenden Schmutzteilchen befreit. Embryonalentwicklung Schattenwurf auf einen Käfer in der Sonne Das frisch abgelegte befruchtete Ei schimmert bewirkt in der Regel eine Fluchtreaktion, opalartig matt-weiß. Nach TAUZIN (1994 b) zumindest aber eine Aufgabe des bisherigen wird es vom Weibchen individuell durch einen ruhigen Verhaltens. Grelle Lichtblitze bei der geschmeidigen Substratüberzug geschützt. fotografischen Dokumentation rufen immer Dies konnte bei den Zuchtversuchen durch eine Schreckreaktion hervor: der Käfer ver- den Autor nicht bestätigt werden; bei allen birgt seine wichtigsten Orientierungsorgane, Kontrollen lagen die Eier blank und ohne an- die Fühler, unmittelbar unter dem Kopf, den er haftendes Substrat einzeln und gut erkennbar noch dazu senkt, er „scheut“. Diese Reaktion im umgebenden Mulmmaterial. war regelmäßig zu beobachten, und oft ver- suchte das Tier anschließend, in eine andere Im Laufe der Reifung vergrößert sich das Vo- Richtung laufend zu entkommen. Ein Abflug lumen infolge Wasseraufnahme um das dop- als spontane Fluchtreaktion (wie bei den pelte bis dreifache auf einen Durchmesser von verwandten Rosenkäfern) konnte nicht beob- 4 - 5 mm und das Ei verfärbt sich gelblich (vgl. achtet werden und kommt wegen der notwen- Abb. 51). Ein frisch abgelegtes Ei wiegt im digen langen Vorbereitungsphase („Pumpen“) Schnitt etwas über 10 mg bei einem Wasser- sicher nicht in Frage. gehalt von ca. 80%; die zur Entwicklung des Embryos notwendige Wasseraufnahme läßt Vor dem Abflug wurde wiederholt die Abgabe das Eigewicht auf über 19 mg anwachsen eines Kotspritzers festgestellt, was – analog (VERNON et al. 1997). Die Embryonalentwick- zu anderen fliegenden Organismen, z. B. lung ist temperaturabhängig und dauert Vögel – als Gewichtsreduktion vor dem kraft- zwischen 14 und 20 Tage, 17 Tage bei aufwendigen Flug zu verstehen ist (vgl. „Normaltemperatur“ (um ca. 22°C bis 26°C) Abb. 50, S. 216). Auf Störungen reagieren (vgl. TAUZIN 1994 b). frisch geschlüpfte Jungkäfer oftmals mit spontaner Abgabe des Puppenharns (vgl. Nach VERNON et al. (1997) schlüpfen die Kap.: Larvenstadien und Entwicklungsdauer; Larven nach 3 - 4 Wochen. Beim Schlupf mißt Abb. 74 a - c, S. 245). die Larve etwa 5 - 6 mm (vgl. Abb. 52). Diese erste Larve (L1), die Eilarve, besitzt auf dem Metanotum – wie bei Lamellicorniern üblich – ein Paar Schalensprenger (entsprechen in der 222 Ulrich Schaffrath

Abb. 51: Die Eier werden von den Weibchen tief unten in der Mulmhöhle einzeln abgesetzt. Hier wurden vom Autor Eier verschiedener embryonaler Entwicklungsstadien zusammengestellt. Als Größenvergleich dient dabei die Kotpille einer erwachsenen L3-Larve.

Abb. 52: Eier und L1-Larve des Eremiten. Im Bild rechts oben ist die leere Eihülle der soeben geschlüpften Junglarve zu erkennen (7. September). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 223

Zur Unterscheidung von ähnlichen Lamellicornierlarven In der Praxis ist es von Bedeutung, die Larven des Eremiten von anderen, im selben Lebens- raum vorkommenden Arten unterscheiden zu können. Durch morphologische Kennzeichen läßt sich sie sich auch relativ leicht von ande- ren „Engerlingen“ aus der Rosenkäferver- Abb. 53: Die Eilarve der Lamellicornier befreit sich mit wandtschaft unterscheiden, die sich üblicher- Hilfe sog. Schalensprenger (egg-burster) aus der Eihülle weise ebenfalls in Mulmhöhlen entwickeln (hier am Beispiel von Anomala dubia (SCOP.) = aenea können. Die Larven von Protaetia aeruginosa DEGEER) (nach MEIXNER 1933-1936). (DRURY) (vgl. Abb. 59), P. lugubris (HBST.), P. fieberi (KR.), P. cuprea (F.), Cetonia aurata (L.), Gnorimus nobilis (L.) und G. variabilis (L.), die Anlaß zu Verwechslungen bieten können, zeichnen sich alle durch eine in Funktion dem Eizahn bei Vogelküken), mit Längsrichtung ventral auf dem letzten Abdo- deren Hilfe sie die Eihülle aufreißt. Wegen minalsegment vor dem Anus verlaufende un- ihrer geringen Größe sind diese schwer aus- behaarte Zone aus, die von kräftigen Borsten zumachen (vgl. MEIXNER 1933 - 1936; EMDEN umstellt ist (Abb. 57 f - h). Dem Eremiten fehlt 1941; vgl. Abb. 53). eine solche Längsborstenreihe gänzlich (Abb. 57 e, 58).

Zur Larvenmorphologie Nach Form, Zahl und Anordnung dieser Bor- Die Eremitenlarve ist, wie bei allen Lamellicor- sten können die Rosenkäferarten unterschie- niern, ein typischer „Engerling“ (Abb. 54 a - j). den werden, doch empfiehlt sich zur Sicher- Dieser zeichnet sich durch einen in Ruhe- heit die Weiterzucht zur Imago. Eigentümlich haltung (bei der Rosenkäferverwandtschaft für Larven der Rosenkäfer ist im übrigen, daß nur wenig) ventral c-förmig eingekrümmten sie sich rücklings vorwärts bewegen, wenn sie Körper und eine wenig sklerotisierte Körper- eine günstige Stelle zum Wiedereingraben ins hülle aus, die wachs-weißlich erscheint. Das Substrat suchen. Eremitenlarven versuchen Abdomen (das bei den Lamellicorniern keine dagegen stets auf der Seite liegend in den Cerci am 9. Tergit besitzt), manchmal auch Mulmkörper „abzutauchen“. andere Körperpartien können durch die aufge- nommene Nahrung bzw. Kotpartikel dunkel Die Larve des Hirschkäfers (Lucanus cervus erscheinen, besonders dann, wenn noch kein (L.)), die unter natürlichen Umständen nicht Fettkörper aufgebaut ist (vgl. Abb. 55). Die zusammen mit dem Eremiten vorkommt, son- drei Beinpaare, die Kopfkapsel mit den Anten- dern an Wurzeln lebt, unterscheidet sich durch nen sowie die Stigmen (je 1 am Prothorax, je 8 eine y-förmige Afterspalte (bei Osmoderma auf den ersten Abdominalsegmenten) sind ein einfacher Querspalt). Im Unterschied zu mehr oder weniger stark chitinisiert und den Larven der Lucaniden weisen alle ande- erscheinen daher braun gefärbt (vgl. Abb. 56). ren Vertreter der Lamellicornier außerdem Die Beine dienen jedoch kaum noch der Fort- eine deutliche Furchung der Abdominal- bewegung, eher noch der Zuführung von Nah- segmente (bis auf die beiden letzten) auf, die rungspartikeln, während dorsale Querwülste den Hirschkäfern gänzlich fehlt. und peristaltische Muskelbewegungen der Larve weitgehend die Aufgabe der Loko- Am schwierigsten noch scheint die Trennung motion im Substrat übernommen haben (vgl. der Larven des Eremiten und des Nashorn- MEIXNER 1933 - 1936). käfers (Oryctes nasicornis (L.), Abb. 57 a - d, 60), da beide ein in etwa gleichartig beborste- tes Abdomenende ohne Längsborstenreihe 224 Ulrich Schaffrath

a c

d

b

e g k

f

hi j

Abb. 54 a - j: Larve von Osmoderma eremita (SCOP.): a) Erwachsene (L3-)Larve (aus REITTER 1909; vgl. JANSSENS 1960); b) L3-Larve, wahrscheinlich nach Alkoholmaterial gezeichnet (aus TAUZIN 1994 b); c) Kopfkapsel L3-Larve (aus PANIN 1957; vgl. MEDVEDEV 1960); d) Kopfkapsel L3-Larve (aus TAUZIN 1994 b); e) Kiefertaster (aus MEDVEDEV 1960); f - g) Bein, Klauenglied (aus MEDVEDEV 1960); h) Abdomen ventral (aus MEDVEDEV 1960), vgl. Abb. 58; i) Abdomen ventral (aus TAUZIN 1994 b); j - k) Mittel- und Enddarm, chitinisierte Darmborsten (aus WIEDEMANN 1930). Vgl. a. Abb. 4, S. 165.

besitzen. Bei der Nashornkäferlarve erscheint tration von Chitindörnchen auf dem Rücken jedoch das Analsegment durch eine ring- des zweiten bis sechsten Abdominalsegments förmige Querfurche in zwei Hälften geteilt, so bei der Larve des Nashornkäfers auszuma- daß man geneigt ist, 10 statt 9 Abdominalseg- chen, was diese deutlich von der des Eremiten mente zu zählen. Außerdem ist eine Konzen- unterscheidet, bei der Chitindornen mehr oder Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 225

Abb. 55: Zwei L3- Larven und eine L1-Larve (r. u.) im Vergleich. Der fehlende Fettkörper der L1-Larve läßt den Darm- inhalt durchscheinen, so daß das Tier dunkel gefärbt scheint. Eremitenlarven versuchen stets – im Gegensatz zu Rosenkäferlarven – sich aus der Seitenlage im Mulm zu vergraben.

weniger gleichmäßig über alle Segmente ver- diesem Zusammenhang nicht relevant, sie teilt sind. Darüber hinaus ist das vierte Fühler- liegen im Bau von Labrum (dreilappig), dem glied etwas kürzer als das zweite, ein Merk- Fehlen von Stemmata (Larvenaugen) an der mal, das bei der Eremitenlarve umgekehrt Fühlerbasis und den kurzen, kegelförmigen ausgebildet, aber nicht immer leicht zu erken- Klauen und weiteren Merkmalen an den Füh- nen ist (nach KORSCHEFSKY 1940). lern (KRELL in KLAUSNITZER 1996; MEDVEDEV 1952; KORSCHEFSKY 1940) (vgl. Abb. 54, 56). Die Larve des Kulturfolgers Nashornkäfer, die die Größe der Eremitenlarve erreicht und üblicherweise übertrifft (Kopfkapselbreite Larvenstadien und Entwicklungsdauer Oryctes-L3-Larve um 10 mm, Länge bis Bis auf eine (exotische) Ausnahme (Pleoco- 12 cm), findet sich in der Regel in Faulholz- minae, KRELL brfl. 2000) sind drei Larven- substraten mit Bodenschluß (Mieten) und nur stadien bei allen Lamellicorniern die Regel, selten in Mulmmeilern, während Eremiten- die dritte Häutung führt zur Puppe (MEIXNER larven wohl nur durch Lagerung gefällter 1933 - 1936; EMDEN 1941; vgl. a. LUCE Höhlenbäume in derartige Substrate gelan- 1996). Meldungen, die auch beim Eremiten gen. von bis zu fünf Stadien ausgehen, sind ohne Zweifel auf die enormen Größen- und Weitere Bestimmungsmerkmale, die zu einer Gewichtsunterschiede innerhalb der einzel- eindeutigen Identifizierung des Insekts führen, nen Larvenstadien zurückzuführen, die sich und die Verwechslungen mit anderen Lamelli- teilweise beträchtlich überschneiden können cornier-Larven ausschließen lassen, sind in (Abb. 61). 226 Ulrich Schaffrath

weiß, noch kein Darminhalt durchschim- mernd) neben der Eihülle, die 0,02 g wog (vgl. Abb. 52).

Die Eilarve beginnt sofort nach dem Schlüpfen zu fressen und macht oft noch im gleichen Jahr die Häutung zur L2 durch (bereits Ende September waren im Experiment L2-Larven feststellbar). Larven aus spät gelegten Eiern überwintern als L1, sowohl bei Zuchten mit ge- fütterten Käfern als auch im Freiland. In einem Ansatz, in dem die Käfer erst in der ersten Augustwoche zusammengeführt worden wa- ren, lagen Mitte Oktober noch alle 36 Larven im ersten Stadium vor, mit deutlichen Unter- schieden in ihrer Entwicklung (Abb. 63). Die Larven des ersten Stadiums wachsen auf knapp 0,4 g heran (zwischen 0,15 g und 0,39 g gewogen am 9.10), verzwanzigfachen also annähernd ihr Gewicht, bis sie sich erstmals häuten.

Bei Lamellicorniern reißt bei der Häutung der ersten Larvenstadien die Haut unmittelbar hinter der Kopfkapsel quer auf, woraus die L2- bzw. L3-Larve hervorkriecht, nur bei der Häu- tung zur Puppe entsteht zunächst ein Längs- riß auf der Dorsalseite der L3-Larvenhaut Abb. 56: L3-Larve im Profil (nach Präparat). (MEIXNER 1933 - 1936). Eine Häutung selbst konnte bisher nicht beobachtet werden, doch macht sich diese im Vorfeld durch eine starke Verdickung des vorderen Körperendes der Larve hinter der alten Kopfkapsel bemerkbar, Die einzelnen Stadien unterscheiden sich hinter der die neue und größere sich bildet, so nicht unbedingt durch ihre Größe bzw. ihr daß dieser Bereich wie eingezogen wirkt. Eine Gewicht, doch gibt die Breite der Kopfkapsel L1-Larve (0,39 g) konnte bei einer Kontrolle in stets zuverlässig Auskunft über das Stadium, dieser Phase am 9.10. festgestellt werden. in dem sich eine Larve befindet: L1 = ca. 2 - Die Häutung L2- zur L3-Larve wurde im Zeit- 2,5 mm, L2 = ca. 3 - 4 mm, L3 = ca. 5,5 - 7 mm. raum zwischen dem 12.5. und dem 29.6. fest- EMDEN (1941) hat ebenfalls an einigen Larven gestellt: eine im Mai 2,25 g schwere Larve wog Kopfkapselmessungen vorgenommen und Ende Juni bereits 6,54 g. Die Gewichtszu- nennt folgende Maße: L1 hw (= head-width) nahme ist in dieser Phase nach der Häutung 2,5 mm, L2 hw 4,0 mm, L3 hw 6,1 - 6,8 mm. geradezu rasant. Individuelle Unterschiede in der Größe der Kopfkapsel sind einzukalkulieren, jedoch Eine Meßreihe an fünf Larven, die im Jahr zu- wurden bei diesem Merkmal keine Über- vor aus dem Ei gekrochen waren, belegt die schneidungen festgestellt (vgl. Abb. 62 a - c). Häutung der L2 zur L3 im Frühsommer und eine anschließende starke Gewichtszunahme L1-Larven wiegen beim Schlüpfen etwa der Tiere (Abb. 64): Am 16.5. wogen die L2 0,019 g (vgl. VERNON 1997). Der Autor fand zwischen 2,55 g und 2,92 g (Ø = 2,71 g), am am 8.9. eine frisch geschlüpfte Larve (ganz 26.7. die L3 zwischen 6,96 g und 7,97 g Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 227

a

b Abb. 58: Abdomenende Osmoderma eremita, L3-Larve ventral (nach Präparat; vgl. Abb. 57 e).

d (Ø = 7,61 g). Ebenso zeigt die Meßreihe, daß c die Tiere nicht in demselben Jahr, in dem sie sich zur L3-Larve verwandelt haben, auch zur Verpuppung schreiten. Vielmehr überwinter- ten sie als erwachsene Larve und erst am Ende des folgenden Jahres begannen sie, ohne weiteren Gewichtszuwachs im Vergleich e zum Vorjahr, mit dem Bau des Kokons.

Die Tiere haben also in diesem Falle eine drei- jährige Entwicklungsdauer. Auch für den ame- rikanischen Osmoderma eremicola (KNOCH) wird eine Entwicklungsdauer von drei Jahren angegeben (STOREY et al. 1993). Für die L3- f h Larven wurden in Gefangenschaft Gewichte zwischen 1,50 g („Hungerlarven“ sogar nur g 1,16 g) und 12,40 g ermittelt. links: Abb. 57 a - h: Vergleich ähnlicher Lamellicornier- Larven: a) Oryctes nasicornis (nach REITTER 1909); b) In Frankreich konstatierte TAUZIN (1994 b) Abdomenende O. n. lateral (aus MEDVEDEV 1952); c) den Bau des Kokons bereits am Ende des Abdomenende O. n. ventral (aus KORSCHEFSKY 1940); d) zweiten Jahres. In der Tat konnte vom Autor Abdomende O. n. ventral (aus PAULIAN & BARAUD 1982); e) Abdomenende Osmoderma eremita ventral (aus experimentell nachgewiesen werden, daß MEDVEDEV 1960; vgl. Abb. 58); f, g) Abdomenende, Tiere unter günstigen Bedingungen nur zwei Borstenfeld Protaetia aeruginosa (aus MEDVEDEV 1964); Jahre vom Ei bis zum Käfer benötigten: In ein h) Abdomenende Protaetia lugubris (aus MEDVEDEV 1964). 5-l-Gefäß wurden zwei Larven eingesetzt, die bereits am 28. September das zweite Larven- stadium (0,45 g bzw. 1,22 g) erreicht hatten. Die frostfrei überwinterten Tiere wogen am 16. Mai des Folgejahres 2,17 g bzw. 2,73 g. Am 26.7. hatten sie das L3-Stadium erreicht 228 Ulrich Schaffrath

Abb. 59: Experimentell zusammengeführte L3-Larven von Protaetia aeruginosa (DRURY), links, und Osmoderma eremita (SCOP.), rechts.

Abb. 60: Die Larven des Nashornkäfers (Oryctes nasicornis (L.)) finden sich oftmals in großer Zahl in mit Holzschnitt versetzten Erdmieten bzw. Kompostanlagen von Großgärtnereien, Parkanlagen und Autobahnmeistereien. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 229

Abb. 61: Vergleich der Larvengewichte der drei Stadien des Eremiten. Alleine über das Gewicht ist nicht mit Sicherheit auf das Larvenstadium zu schließen. In Zweifelsfällen ist eine Messung der Kopfkapsel aufschlußreich.

und wogen nun 10,22 g bzw. 12,4 g, eine Kon- zucht eines einzigen Zuchtjahrgangs im La- trolle der Tiere am 7.9. ergab ein Gewicht von bor, die im Freien im selben Gefäß überwintert 11,48 g und 11,91 g. Am 26.4. des darauffol- hatten: Am 20.7. des Folgejahres lagen genden Jahres lagen beide Individuen als Ko- nebeneinander Tiere zwischen 1,56 g (L2) kon vor. Unter natürlichen mitteleuropäischen und 5,51 g (L3) vor. Klimabedingungen ist eine zweijährige Ent- wicklung vom Ei zur Imago nicht zu erwarten. Nach diesen Beobachtungen aus den Zucht- ansätzen des Autors scheint sowohl ein drei- Dagegen wurde unter Freiland-Haltungsbe- als auch vierjähriger Zyklus unter mitteleuro- dingungen auch vierjähriger Entwicklungs- päischen Klimabedingungen üblich zu sein. Zyklus nachgewiesen: Eine Larve, die sich im Denkbar ist auch eine Möglichkeit, bei der Juni zur L3 Larve verwandelt hatte (30.6.: beide verzögerten Entwicklungsschritte bei 4,08 g) fertigte erst nach weiterer zweimaliger demselben Individuum vorkommen, woraus Überwinterung den Kokon. Andererseits wur- eine fünfjährige Entwicklung resultierte, belegt de belegt, daß L1-Larven aus dem Vorjahr wurde dies nicht. sich im Sommer zur L2-Larve häuteten und dann in diesem Stadium überwinterten. Auch Beeinflussende Faktoren sind vor allen Din- in diesen Fällen kam es zu einem vierjährigen gen Wärme und Nahrungsangebot, welche Zyklus, da die L3-Larven, die im Jahr darauf zusammen die Entwicklungszeit bedingen. Zu daraus wurden, erneut überwinterten. Die geringer Feuchtigkeitsgehalt des Substrats Larven durchlaufen demnach auch individuell und Streß durch zu hohen Besatz scheinen unterschiedlich schnell ihre Entwicklung. überdies einen negativen Einfluß auszuüben. Beleg dafür ist auch die Kontrolle der Nach- Wenn nur wenige Larven zusammenlebten, 230 Ulrich Schaffrath

Abb. 62 a - c: Maßstäbliche Darstellung der Kopfkapseln der Larvenstadien (nach Präparaten). Maßstab: 1 mm (im linken Bild oben). Von links: L1 = 2,33 mm, L2 = 3,67 mm, L3 = 6,62 mm.

entwickelten diese sich unter gleichen Milieu- Eine vierjährige Entwicklungszeit wird von bedingungen schneller und wurden größer als LACZNY (1993, unveröffentlicht) von der ähn- solche, die in großer Anzahl auf begrenztem lich großen Protaetia aeruginosa (DRURY) aus Raum gehalten wurden (Gedrängefaktor). der Göhrde / Niedersachsen konstatiert, die Jedoch sind limitierende Faktoren bisher nicht dort, am nördlichen Rande ihres Verbreitungs- unter standardisierten Bedingungen unter- gebietes, regelmäßig nur alle vier Jahre gefun- sucht worden. Auch BRECHTEL (1981) nimmt den wird. SCHERF (1955) hingegen, dem die Art bei seinen Zuchten mit Protaetia aeruginosa wahrscheinlich aus Hessen vorlag, bemerkt: (DRURY) Streßfaktoren an, die die Entwick- „Normalerweise umfaßt die Gesamtentwick- lung hemmend beeinflussen. lung einen Zeitraum von drei Jahren, schwankt aber je nach klimatischen Gegebenheiten“. Im Süden des Verbreitungsgebietes von Diese Entwicklungsdauer wird auch von Osmoderma eremita, wo die Larven bei insge- MACHATSCHKE (FHL 1969) angegeben. samt höheren Temperaturen leben und auch BRECHTEL (1981) fand im Bienwald im Novem- witterungsbedingt eine längere Zeit pro Jahr ber gleichzeitig in einem Habitat Eier, Larven in fressen können, mithin erst später in die Win- vier (?, s.o.) Stadien sowie voll entwickelte terpause gehen müssen, wobei diese dann Imagines dieses Käfers im Kokon und schließt auch – verglichen mit Mitteleuropa – weniger daraus, daß die Imagines im fünften Jahr er- lange andauert, verläuft die Individualentwick- scheinen. BRECHTEL führte aber weder eine lung mit Sicherheit relativ rascher, und die Kopfkapselmessung durch, noch zog er die Käfer haben lediglich eine drei- oder zweijähri- Tiere ex ovo auf, so daß eine Fehldeutung des ge Generationenfolge. Im Norden dürfte der Stadiums der Larven, bedingt durch die Grös- Generationenwechsel dagegen entsprechend senvariabilität der L3-Larve, vorliegt (vgl. o.). länger dauern. Gleiches ist vom Hirschkäfer (Lucanus cervus L.) oder von den Maikäfern Das Gewicht der Larven vervielfacht sich wäh- (Melolontha sp.) bekannt. Als Optimum für rend der Entwicklung; das letzte Stadium kann die Gewichtszunahme der Eremiten-Larven mehr als 12 g wiegen, ein lebender Käfer hin- gibt WIEDEMANN (1930) eine Temperatur von gegen wiegt nur zwischen einem (kleine 26°C an; die Versuchstiere suchten einen Zuchttiere) und vier Gramm (vgl. Abb. 9, Bereich zwischen 22°C und 26°C auf, als be- S. 169). Die hohe Gewichtsdifferenz, die vorzugte Temperatur nennt derselbe 23°C. zwischen Verpuppung und Schlupf eintritt, re- Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 231 sultiert aus Stoffwechselumsätzen und Was- 48 L1-Larven zwischen 0,08 g und 0,25 g serverlusten im Rahmen von Kokonbau, Lar- (durchschnittliches Gewicht 0,16 g, Standard- venhaut L3 und Puppenhaut, Gewebeheizung abweichung 0,03 g). Alle Individuen sind Tiere im Winter, Atmungsverluste, Bewegungen im aus dem Vorjahr und im selben Stadium der Rahmen des Abstreifens der L3 bzw. Puppen- Entwicklung. haut und der energieaufwendigen Umwand- lungsprozesse während der Verwandlung von 48 L2-Larven zwischen 0,34 g und 1,84 g der Larve über die Puppe zum Vollinsekt und (durchschnittliches Gewicht 0,96 g, Standard- schließlich der Abgabe des Puppenharns abweichung 0,42 g). Es ist anzunehmen, daß (Mekonium; Abb. 74 a - c, S. 245). es sich bei den Larven dieses Stadiums um Tiere aus zwei verschiedenen Jahrgängen handelt: es besteht eine imaginäre Zäsur Ergebnisse von überwinternden Freiland- oberhalb 0,91 g und unterhalb 1,3 g, zwischen Larven denen nur 5 Larvengewichte angesiedelt sind. Bei Fällarbeiten im Februar 1998 Bad Arolsen/ Vernachlässigt man die Werte zwischen die- Hessen wurden jeweils drei überwinternde sen Gewichten, so erhalten wir zwei Gruppen Larvenstadien sowie Kokons des Eremiten von Tieren mit durchschnittlich 0,68 g (30 Lar- gefunden: Aus den Hohlräumen der Bäume ven) und 1,56 g (13 Larven) bei einer jeweili- wurden mehr als 200 Larven sichergestellt, gen Standardabweichung von 0,17 g. die über die Kopfkapselbreite genau in vier Stadien einteilbar waren (vgl. Tab. 1, Teil 2: 74 L3-Larven zwischen 2,18 g und 8,14 g S. 260 - 261): (durchschnittliches Gewicht 4,87 g, Standard-

Abb. 63: Larvengewichte und Anzahl von L1-Larven im Vergleich. Zuchttiere gewogen am 14. Oktober, Freilandtiere am 2. April. Im Freiland hatten sich, im Gegensatz zu den Zuchttieren, vermutlich einige Larven bereits zur L2 verwandelt (vgl. Tab. 1). 232 Ulrich Schaffrath

Abb. 64: Larvengewichte einer Kontrollgruppe. Verwandlung der L2- zur L3-Larve zwischen Mai und Juli, Überwinterung der L3-Larven und Bau des Kokons im Herbst des folgenden Jahres (Ende der Meßreihe).

abweichung 1,48 g). Auch bei den Larven des 33 L1-Larven zwischen 0,08 und 0,2 g dritten Stadiums ist anzunehmen, daß es sich (durchschnittliches Gewicht 0,135 g). wohl nicht um Tiere eines Jahrganges han- 4 L2-Larven zwischen 0,47 und 1,46 g delt, sondern daß wir es hier mit Individuen zu (durchschnittliches Gewicht 1,07 g). tun haben, die einerseits ca. ab 5,5 g aufwärts 7 L3-Larven zwischen 2,46 und 4,52 g in diesem Jahr zur „Kokonierung“ (die Ver- (durchschnittliches Gewicht 3,62 g). wandlung zur Puppe findet erst im Folgejahr Außerdem enthielt der Mulmmeiler 5 Kokons. statt) schreiten, oder aber, die mit leichteren Gewichten, ein weiteres Jahr als Larve über- Die L3-Larven in dieser Buche gehören alle zu wintern werden. (In einer vergleichbaren Meß- einer Gewichtsklasse, die nach den Erfahrun- reihe bauten Larven ab einem Gewicht von gen des Autors nicht im gleichen Jahr zur Ver- 6,5 g aufwärts (am 16. 5. gewogen) im Herbst puppung schreitet, sondern ein weiteres Mal den Kokon, während Larven aus demselben als Larve überwintert. Die wenigen L2-Larven Ansatz, vielleicht ab 5,7 g und weniger, noch- scheinen wie die Tiere aus den Bad Arolser mals als Larve überwinterten). Eichen zu zwei verschiedenen Jahrgängen zu gehören. Außerdem fanden sich in den drei Bad Arolser Eichen 49 Kokons im Mulm. Diese Ergebnisse sprechen für eine drei- bis vierjährige Entwicklungszeit als Norm und In der Kasseler Karlsaue / Hessen wurde in bestätigen somit die Ergebnisse aus den den ersten Apriltagen 2002 ein Brutbaum Laborversuchen. Abgesehen von der L1- (Buche) des Käfers umgelegt, der 49 Indivi- Larve kann alleine vom Stadium einer Larve duen in vier Stadien enthielt (vgl. Tab. 1, Teil (insbesondere bei der L3-Larve) nicht auf das 2: S. 260 - 261): Geburtsjahr geschlossen werden. Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 233

Ernährung der Larven seinen Angaben besonders Holz auf, dessen Die Larven des Eremiten gelten üblicherweise Zellulose in nur geringem Umfang von Bak- als xylobionte Mulmfresser, da sie stets und terien und Pilzen befallen war. ausschließlich in diesem Medium gefunden werden. Nicht zu vergessen ist dabei aber, Die ersten Zuchtversuche des Autors be- daß der Mulm natürlicherweise stets in einem schränkten sich auf einen mit Originalsubstrat hölzernen Gefäß, dem ausgefaulten Baum- gefüllten Eimer (ca. 10 l Volumen), dem oben stamm vorliegt, in dem darüber hinaus außer ein Stück trockenes Eichenholz aufgelegt war, den Käfern in der Regel noch viele weitere eigentlich nur zu dem Zweck, um das Organismen zuhause sind (vgl. Abb. 65, Austrocknen des Substrats zu mindern. Stets 66 a + b). fanden sich die Junglarven unter dieser Abdeckung ein und benagten das Holzstück, Der Mulm erfüllt neben der Nutzbarkeit als das sie im Laufe der Jahre, als es völlig im Nahrung weitere essentielle Aufgaben: Mulmkörper eingegraben war, ganz auf- fraßen. In der Kasseler Zucht wurden die 1) Er schützt den weichhäutigen Engerling Larven in ihrem Ursprungssubstrat (Eichen- gegen Prädatoren und Austrocknung; mulm in Bad Arolsen, Buchenmulm in Kassel) 2) Er verhindert durch eine gewisse antisep- belassen, aber (aus Beschaffungsgründen) tische Wirkung den Schimmelbefall der vorwiegend mit weißfaulem Buchenastholz Larven; gefüttert. Auf die Nahrungsannahme durch die 3) Er dient der Anfertigung des Verpuppungs- Larven aus Eiche hatte diese Futterumstel- gehäuses / Kokon; lung keinen sichtbaren Einfluß. 4) Er dient als Element, in dem die Tiere sich bewegen und aktiv ihnen (im jeweiligen Während die Larven sich im Winter in den Stadium) zusagende Verhältnisse auf- tiefen Schichten des Mulmmeilers aufhalten, suchen können. ergaben Untersuchungen des Autors im Frei- land in der warmen Jahreszeit stets Larven, Andererseits muß der Mulmvorrat auch noch die sich frei im Mulmkörper bewegten. In weiteren Generationen zur Verfügung stehen: Mehrheit aber lagen sie an der Wand der Er ist Ort der Paarung und der Eiablage. So Höhle oder auf deren Grund, besonders gerne betrachtet, ist es biologisch sinnvoll, wenn in Nischen und Septen, die sich in der Höhlen- sich die Larven außer dem Mulm auch ande- wand gebildet hatten. Aus diesen waren sie ren Nahrungselementen vor Ort zuwenden: bisweilen nicht herauszuholen (anläßlich der als Strategie zu einer möglichst langen Bergung der Tiere aus gefällten Bäumen), da Erhaltung des derzeit besiedelten Brutraums das verbliebene Holz außerordentlich hart für Osmoderma. war. Reichte man im Zuchtgefäß das Futter- holz in der Mitte, so waren bald die meisten Das festere Faulholz der Höhlenwandung an Larven dort versammelt und fraßen an und in der Grenze zwischen weicherem und härte- den äußeren Schichten (vgl. Abb. 67). Nach rem Holz bezeichnet PALM (1959) als die völligem Austrocknen der oberen Mulmschicht Larvennahrung. Nach EISINGER (1993) nagen meiden die Tiere diese Bereiche. die Larven alle Lockerteile in der Höhle ab, die hierdurch geglättet wird; dabei werden die BECKERS (1890) stellte das gleiche Brut- Jahresringe „herauspräpariert“. Er meint über- habitat (in Erle / Alnus) für Gnorimus variabilis dies deutlich erkennen zu können, daß die fest. Die Larven dieser Art lebten nach seinen Larven einen bestimmten Feuchtigkeits- Angaben ebenfalls am Rande der Mulm- zustand des Substrats bevorzugen. PAGEIX massen, gerne auch in den schmalen Gängen (1968) stellte Freilandbeobachtungen an zwischen zwei Holzschichten, ohne sich Faulholzstellen von Eichen an, die während jedoch in dieses einzubohren, oft aber mit der Vegetationsperiode geschlagen worden noch eingegrabenen Kiefern auch in härteren waren. Die Eremitenlarven suchten nach Holzteilen. 234 Ulrich Schaffrath

Durchmesser Kokonreste (Cetoniden), ca. 80 cm manchmal Nester von Hymenopteren

Nester von Dohlen, Greif- vögeln; Reisig, Moos etc. Trox scaber, Gnathoncus, Gewölle, Federreste, Tenebrio, Dermestes, Überreste von Insekten Ptinus etc. Kokons Graue, sandige Zone (Sand Larven und Kokons von mit Moos zusammen einge- Cetoniden, manchmal auch tragen), teilweise verbacken Osmoderma; einTotfund und mit Überresten von von Protaetia aeruginosa Vogelnestern durchsetzt

Braunes Substrat

Larven von Osmoderma; Prionychus Rotes Substrat

Seitentaschen, angefüllt mit schwarzem Mulm und Zahlreiche Cetonidenlarven Larvenexkrementen

Faulholz

Faulholz mit Pilzmycel durchsetzt

Abb. 65: Schematische Darstellung einer Baum-höhle mit Eremiten-Brut, schematisch (verändert nach PAGEIX 1968).

In der Natur dürften die Larven einerseits die auf der Mulmschicht, wenn eine weitere Ab- Lockerholzteile der Höhlenwand verzehren, deckung, z. B. ein Holzscheit, vorhanden ist außerdem aber auch Holzmehl und gröbere (TOCHTERMANN erwähnt die Lichtempfindlich- Holzteilchen, die als Folge der Tätigkeit ande- keit der Larven, die nach seinen Erfahrungen rer Organismen von der Höhlendecke herab- nach Lichtexposition (UV-Strahlung?) veren- rieseln und schließlich in den Mulmkörper deten). Dieser Aufenthalt in den oberen Sub- integriert werden. Zu denken ist hierbei an stratschichten deutet darauf hin, daß wertvolle Nagemehl von Käfern, Ameisen oder auch Nahrung häufig auch an der Substratober- Wespen, außerdem an Holzmaterial, das von fläche zu finden ist. Fledermäusen, Mardern, Waschbären etc. ab- gerissen oder durch Spechte und Kleinvögel TOCHTERMANN (brfl. 1995) ist der Ansicht, abgemeißelt wurde. daß die Larven ausschließlich bei Nahrungs- mangel an der Höhlenwand fressen. Nach In den Sommermonaten sind oft mehrere Lar- seinen Beobachtungen präferieren sie sich ven in der obersten Schicht des Mulmkörpers zersetzende Vogelnester (oder Mäuse- und anzutreffen oder liegen ganz und gar oben Bilchnester); für optimal hält er indessen die Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 235

Ernährung mit Fledermauskot, wobei die Lar- ven bloß zwei Jahre zur Entwicklung brauchen sollen. Auch RANIUS & NILSSON (1997) stell- ten fest, daß die Besiedlung von Baumhöhlen durch den Eremiten wahrscheinlicher war, wenn sie Reste von Vogelnestern enthielten, fanden aber keine Erklärung hierfür.

Unter vom Autor den Eremitenkäfern als Nah- rung angebotenen Bananenscheiben wurden später frisch geschlüpfte Junglarven fest- gestellt, und auch ältere Larvenstadien wur- den hier manchmal angetroffen. Ob sie dabei lediglich ihren Feuchtigkeitsbedarf deckten oder ob sie das sich zersetzende Fruchtfleisch insgesamt als übliche Nahrung (= Faulstoffe) behandelten, ist nicht klar. Jedenfalls fraßen die Larven des Eremiten auch an gekochten Hühnereiweiß, das im Experiment gereicht wurde, das aber sehr schnell verdarb und ent- fernt wurde.

Larven von Gnorimus variabilis (L.) nehmen Zone 1: Mulm stark kotdurchsetzt, Junglarven, Bananenscheiben bevorzugt an und verzeh- Kokons ren diese bis auf die harte Außenschale. SCHWARTZ (brfl. 1999) fütterte Larven des Rosenkäfers Protaetia lugubris (HBST.) mit Zone 2: kotdurchsetzt, L2- und L3-Larven auf den Mulm aufgelegten Apfelschnitzen und Möhrenscheiben. Wie Fotos beweisen, fraßen die Larven bevorzugt den Markbereich der Möhren aus. Die Rosenkäferverwandtschaft Zone 3: Laubblätter, ist also nicht rein xylophag, wie man durch kein Kot, keine Larven ihren Lebensraum mulmgefüllte Baumhöhle annehmen könnte, sondern sie nutzen viel- mehr viele Energiequellen, wenn diese zur Verfügung stehen, und schonen auf diese Zone 4: Junglarven, Weise die Ressource Mulm. L3-Larven, Kokons

Allein schon wegen des Kokonbaus oder der Eiablage und der Ernährung der Junglarven muß immer freies Mulmmaterial in der Höhle ad libitum verfügbar sein. Larven, die im rei- Abb. 66 a-b: Schematische Darstellung zweier Bruthöh- len des Rosenkäfers Protaetia aeruginosa (DRURY), der nen Mulmkörper (ohne Holzzusatz) gehalten sich unter vergleichbaren Umständen wie der Eremit wurden, brauchten das Substrat im Laufe ihrer entwickelt. Der Mulmbereich der großen Höhle lag Entwicklung relativ rasch auf, so daß am Ende zwischen 4 m und 6 m Höhe im Stamm, die kleine Höhle die Larven nur noch zwischen den Kot- befand sich in ca. 17 m Höhe (beide in Stieleiche) (nach BRECHTEL 1981, Grafik verändert). partikeln der Generationen zu liegen kamen. Sie waren zwar völlig vital, doch bereitete rotfaules Holz, ± feuchter Mulm, Waben, die Herstellung der Kokons in diesem Fall Spechthöhle, altes Vogelnest, Kirschkerne, größte Schwierigkeiten: Diese gerieten zu Mulm mit Laub, Heteromerenlarven, Eich- dünn und zu brüchig, weil statt des lockeren hörnchennest, Larven, Kokons (z.T. leer) 236 Ulrich Schaffrath

Abb. 67: Eine L3-Larve hat sich in weißfaules Buchenholz eingefressen, das als Nahrung im Mulmbereich gereicht wurde (17. Juli).

Mulmmaterials nunmehr viele Kotteilchen mit wirkt. So dauert dieser Prozeß oft viele Jahre, in die Wandung eingebaut werden mußten. in der die Imagines die Chance haben, das Jedenfalls ist die Menge des in einer Höhle sich zunehmend suboptimal entwickelnde vorhandenen Mulmanteils als wichtiger limitie- Milieu zu verlassen und schließlich besser ge- render Faktor zu betrachten, der für die dauer- eignete Brutbäume zu suchen. Im Experiment hafte Besetzung eines Brutbaums von ent- zu trocken gehaltene Larven zeigen auffällige scheidender Bedeutung ist. Mangelerscheinungen, der Wassermangel läßt die Larven einschrumpfen, doch können Im Schrifttum wird erwähnt, daß die Art auch sie meistens durch Wiederbefeuchten des in toten Bäumen lebt (vgl. TAUZIN 1994 b). Substrats erhalten werden. Außerdem ist Auch der Autor fand einen Käfer in einer offen- Feuchtigkeitsmangel als möglicher Auslöser sichtlich seit Jahren abgestorbenen und oben für kannibalische Übergriffe anzusehen offenen Kopfweide auf dem mit Kotpartikeln (vgl. u.). durchsetzten Mulmkörper sitzend, was durch- aus für eine vitale Population in diesem Baum Osmoderma eremita zeigt zwar eine relative spricht. Toleranz gegen Trockenheitsstreß, doch kann nur die Imago ein sich zunehmend ungünstig Tatsächlich kann ein Mulmmeiler auch in entwickelndes Milieu verlassen. Vier Kokons einem toten Baum noch sehr lange ausrei- mit abgestorbenen Larven konnten vom Autor chende Feuchtigkeitswerte aufweisen, wenn im Kronenbereich einer seit einigen Jahren Regenwasser, das ja auch in Höhlen lebender völlig abgetrockneten, bereits weitgehend ent- Bäume eindringt, der Austrocknung entgegen- rindeten Buche nachgewiesen werden. Diese Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 237

Spechthöhle reichte etwa einen Meter tief (un- HOFFMANN (1939) dagegen ist der Ansicht, terhalb des Einfluglochs) und maß nur 15 cm daß die Larven der (nordamerikanischen) im Durchmesser. Sie war etwa bis zur Hälfte Eremiten durch ihren Holzkonsum einen mit Larvenexkrementen angefüllt, fast ohne schnelleren Verfall der Bäume herbeiführen. Lockermaterial und ohne weitere Larven; die Dazu ist anzumerken, daß im 19. Jahrhundert Kokons lagen tief unten am Boden der Höhle. die Eremitenlarven von manchen Zeitgenos- sen in den USA als Schädlinge, als Baumver- DAJOZ (1980) verglich den prozentualen derber betrachtet wurden. Ein Zitat dazu bei Feuchtigkeitsgehalt von Kotpillen mit dem des PACKARD (1890) übernimmt HOFFMANN umgebenden Substrates und kam zu einem (1939), merkt dazu aber an, daß die meisten Verhältnis von 12% Wasser im Kot zu 77% im Autoren einen schädlichen Einfluß auf das Substrat. Er folgerte daraus eine große lebende Baumgewebe, wenn überhaupt, für Wasserrückhaltefähigkeit der Larve. Gleich- gering erachten. Die Vitalität des Baumes wird zeitig kann aus dem geringen Wassergehalt demnach jedenfalls vom Eremiten nicht beein- der Kotpartikel deren hohe Stabilität abgeleitet trächtigt, problematisch ist wohl eher die werden, die offenbar von den Larven erkannt Wandung und damit die Stabilität des Hohl- werden und so nicht wieder in den Nahrungs- zylinders, den die Tiere bewohnen. kreislauf gelangen. Doch die endgültige Aus- trocknung des Mulm-Substrats ist mit Sicher- Festzustellen ist außerdem noch, daß die Ima- heit ein Grund, der die Käfer zum Ortswechsel gines, die sich in den künstlichen Behältern veranlaßt, sie stimuliert, nunmehr geeignetere entwickelten, im Durchschnitt nicht die Größe Brutbäume für die eigene Reproduktion aufzu- von Freilandtieren erreichten. Die Ursache ist suchen. neben evtl. suboptimaler Feuchtigkeit des Substrats oder ungünstiger Exposition der In der Regel verzehren die Larven im leben- Zuchtgefäße, vor allem in der Ernährung der den Baum lediglich den toten inneren Holz- Tiere zu sehen. Gezielte Fütterung mit Faul- körper, nicht aber den peripheren Stamm- stoffen tierischer oder pflanzlicher Art oder mit zylinder, der unfern der Rindenzone verholzt. proteinreicher Nahrung (Aas?; im Experiment Jedoch werden auch Fälle gemeldet, bei wurde Hühnereiweiß angenommen, s. o.) denen die Larven in den bis unter die Rinde könnten hier vielleicht Aufschluß geben. durchmorschten Holzbereich vorgedrungen Denkbar ist, daß Substanzen, die von Wirbel- waren, so daß allein die Borke den Mulmkör- tieren in die Baumhöhle eingetragen werden, per zusammenhielt (vgl. PALM 1959). An einer von ihnen ausgeschieden werden oder aber teilweise entrindeten Eiche konnte der Autor ihre Körper selbst (z. B. verendete Jungvögel) dagegen feststellen, daß der Mulmkörper von einerseits den entscheidenden Schub für ein einem wenige Millimeter starken Hartholz- optimales Wachstum darstellen (vgl. TOCH- mantel zusammengehalten wurde. Möglicher- TERMANN, s. o.), andererseits kannibalistische weise verhindern in diesem Falle physika- Übergriffe der Larven untereinander mindern lische Faktoren (Feuchtigkeitsmangel, Härte) helfen (s. u.). das Durchfressen der Larven.

TOCHTERMANN (brfl. 1995) geht sogar davon Kannibalismus aus, daß zwischen dem Vorkommen einer Über den Kannibalismus der Eremitenlarven Eremitenpopulation und der Baumerhaltung liegen verschiedene Beobachtungen vor. ein direkter Zusammenhang besteht, da die Fest steht, daß Osmoderma-Larven andere Larven durch die Beseitigung fauler Holzteile Osmoderma-Larven auch gleicher Größe weitere Baumfäule in den Höhlen verhindern. fressen (SCHEUERN brfl., mdl.; Beobachtun- Ein Baum lebe demnach länger, wenn ihn gen des Autors). Unbekannt sind jedoch die Osmoderma besiedele; durch ihre Tätigkeit Auslöser dieses Verhaltens. Keineswegs erhielten sich die Insekten also um so länger kann es so sein, daß eine Larve, trifft sie ihre Entwicklungsstätte. auf eine andere, sofort versucht, diese zu 238 Ulrich Schaffrath attackieren. Wenn dem so wäre, dann wären Als Auslöser für das kannibalische Verhalten sicherlich als Antwort Abwehrmechanismen dürften gleichzeitig aufgetretener Nahrungs- entwickelt worden, denn es wäre biologisch und Wassermangel angesehen werden. nicht sinnvoll, wenn sich die Tiere, die in Kannibalismus zur Optimierung des Wasser- anonymen Larvengesellschaften im gemein- haushalts ist bei Kerbtieren vielfach belegt. samen Nahrungssubstrat (Mulmmeiler) leben, So ist von Lycaeniden-Larven bekannt, daß einander ohne Grund dezimieren. diese sich in zu trocken gehaltenen Kulturen (in Petrischalen) gegenseitig auffressen. Vielfach wurden akustische Warnsignale Ohne Zweifel stellen die Larven selber außer- von unverträglichen Larven entwickelt (vgl. dem die ergiebigste Eiweißquelle für alle ihre MEIXNER), die beim europäischen Eremiten Mitbewohner dar, nicht nur für sogenannte jedoch bisher nicht registriert wurden. Maxil- Fraßfeinde, sondern auch für ihre Geschwi- lare Stridulationsorgane werden dagegen für ster. Ob nur geschwächte Tiere angegriffen die Larven der amerikanischen Osmoderma- wurden oder ob lediglich bereits verendete auf Arten erwähnt (RITCHER 1966), über die Funk- diese Weise entfernt wurden oder ob gar auf tion dieser Verständigungsorgane liegen alle Artgenossen Jagd gemacht wurde, ließ jedoch noch keine Erkenntnisse vor. sich nicht feststellen.

In den Zuchtansätzen des Autors kam es bei Auch im Freiland ist zu beobachten, daß geringem Besatz der Gefäße niemals zum hin und wieder der Inhalt der Bruthöhle im Übergriff einer Larve auf andere; die Zahl der wesentlichen nur noch aus den Kotpillen der Larven war in diesem Falle bei durchgeführten Art zu bestehen scheint. Auch hier, also unter Kontrollen stets stabil. Auch Larven, die nach natürlichen Umständen, liegt es durchaus im den Meßreihen für kurze Zeit zusammen in normalen Verhaltensmuster der Art, daß sich großer Anzahl in ein kleines Gefäß umgesetzt die Brut gegenseitig dezimiert. Dies ist auch wurden, kam es nicht zu Angriffen von Larve von Hirschkäfern bekannt (BILY 1990). Die auf Larve. Dagegen wurde in den Zuchtbehäl- Anzahl der aktuellen „Fresser“ wird damit auf tern festgestellt, daß abgestorbene Larven ein adäquates Maß limitiert resp. reduziert, von ihren Mitbewohnern inkorporiert wurden. so daß der Lebensraum für die Population / In einem Behälter, der erdiges, verbackenes Kolonie möglichst lange erhalten bleibt Material (mit einigen Anneliden) enthielt, (K-Stratege). konnten zwei erwachsene Larven dabei über- rascht werden, als sie an einer bereits abge- Braune Flecke, meist im Bereich des Ab- storbenen Schwester-Larve fraßen. domens der Larven, könnten vielleicht auf Angriffe der Geschwisterlarven gedeutet wer- DAJOZ (1980) bemerkte bei seinen Experi- den (vgl. Kap.: Zur Zoozönose; Begleitarten menten eine hohe Trockenheitstoleranz der und Prädatoren). Larven des Eremiten. Bei einer Überbe- setzung des Zuchtgefäßes mit Junglarven und einer zunehmenden Austrocknung des Sub- Verdauen strats konnten vom Autor aber massive Über- Der Eremit wird wie seine europäischen griffe von Larven auf Larven beobachtet wer- Rosenkäfer-Verwandten i. w. S. (Cetoniinae, den. Viele Reste der Tiere, besonders Teile Trichiinae, Valginae), der Nashornkäfer der harten Kopfkapseln, wurden im Substrat (Oryctes nasicornis) und die Hirschkäferarten gefunden, die im Laufe der Zeit aber ver- (Lucanidae) zur ernährungsphysiologischen schwanden und wohl ebenfalls gefressen Gruppe der Xylobionten gezählt, da sich seine wurden. Der Mulmkörper war in diesem Falle Larvenstadien – wenn auch nicht ausschließ- nahezu völlig aufgebraucht worden, und das lich – von Holz bzw. Holzabbauprodukten er- die Larven umgebende Material bestand nur nähren. Die übrigen Mitglieder der Familie der noch aus den festen Kotpillen der Eremiten- Lamellicornier haben dagegen viele andere larven. Nahrungsquellen erschlossen, es finden sich Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 239 rhizophage Arten (Melolonthidae), myceto- versauert. Jetzt können Proteasen aus den phage Arten (Bolbelasmus sp., Odonteus sp., Anhangdrüsen des Mitteldarms wirksam wer- Ochodaeus sp.), koprophage Arten (div. den und Bakterien und Einzeller verdauen. , Geotrupidae), saprophage Die Resorption erfolgt ebenfalls im volumi- Arten (z. B. mehrere Aphodius-Arten), necro- nösen Dickdarm an borstenfreien Feldern, phage / keratophage Arten (Trogidae) darun- wo die Chitinauskleidung sehr dünn und von ter, daneben weitere Sonderformen (z. B. phy- zahlreichen Kanälchen durchbrochen ist. tophage: Lethrus sp.). Als phylogenetisch ursprünglichster wird der xylobionte Ernäh- WIEDEMANN (1930) konnte bei den Larven rungstyp betrachtet, wobei die Larven sich von Osmoderma eremita (und Oryctes nasi- meist direkt im Nahrungssubstrat entwickeln cornis L.) allerdings keine resorbierbaren Ab- und bei dem sich aus diesem Grund die bauprodukte der Zellulose nachweisen und größten Vertreter unter den Lamellicorniern schließt, daß sie von den Bakterien restlos herausbilden konnten (vgl. IABLOKOFF- verbraucht werden, daß aber die im nahezu KHNZORIAN 1977). bakterienfreien Mitteldarm gebildeten, infolge seiner Alkalität hier unwirksamen Proteasen Wie viele andere xylobionte Käferlarven kön- erst in dem durch jene bakterielle Zersetzung nen auch die von Osmoderma die Zellulose der Zellulose neutral oder schwach sauer ge- nur mit Hilfe von Darmbakterien und Proto- wordenen Enddarminhalte wirksam und mit zoen verdauen. Nach WIEDEMANN (1930) ragt ihrer Hilfe die Bakterien und die von ihnen die Speiseröhre als Einstülpung ein kurzes lebenden Flagellaten und Ciliaten verdaut Stück in den zylindrischen Mitteldarm hinein, werden, die Holzsubstanz also im Umwege der bei Lamellicorniern ausschließlich der Se- über das Plasma der Mikroben als Eiweiß- kretion und dem Durchmischen der Nahrung (Stickstoff-)Quelle verwertet wird, weshalb der mit den Sekreten dient, die aus drei Gürteln Kot auffallend arm an ihnen ist. RIPPER (1930) fingerförmiger Blindschläuche austreten. Der gelang es jedoch im Dickdarm der Larven von Enddarm der Larve ist dreigeteilt, der Mittelteil Osmoderma (und Dorcus parallelipipedus zwischen Dünndarm und dem Endstück ist (L.)) weder fermentchemisch eine Zellulase, stark erweitert und immer prall mit Nahrungs- noch durch quantitativen Vergleich des brei gefüllt (vgl. Abb. 54 j, S. 224). Zellulosegehalts von Futter und Kot einen merklichen Zellulose-Abbau nachzuweisen, Hier findet die Verdauung der Nahrung statt. dagegen Zucker-Resorption (MEIXNER 1933 - Ein „Bakteriengemisch“ (WIEDEMANN 1930) 1936). Larven der Baumhöhlen bewohnen- zersetzt – vergleichbar dem Wiederkäuer- den Rosenkäferverwandtschaft (Osmoderma, Pansen – in alkalischem bis neutralem Milieu Protaetia) können den Rohzellulosegehalt die Zellulose; von den Bakterien ernähren sich des Mulms offenbar weit effektiver nutzen als wiederum Einzeller. Die Larvensymbionten beispielsweise Lucanidenlarven (vgl. PAW- sollen spezifisch sein, da sie bei jeder Blatt- LOWSKI in SZUJECKI 1987). hornkäferart an die Temperatur des Hinter- darmes angepaßt sein müssen; dement- Der Anfangsteil des als Rectum bezeichneten sprechend ist die „Verdauungstemperatur“ letzten Darmabschnitts ist verhältnismäßig artverschieden und beträgt bei Osmoderma weit und sehr muskulös. Hier werden die eremita 23°C (nach IABLOKOFF-KHNZORIAN charakteristischen Kotballen gebildet, WIEDE- 1977). MANN nimmt an, daß diese Kotpillen alleine durch Muskelwirkung geformt werden und daß „Chitinbäumchen“ (MEIXNER 1933 - 1936), hier, aufgrund einer dicken Chitinauskleidung, fein verästelte Chitinborsten (Abb. 54 k), in keine Resorption stattfinden kann. Durch ein Gruppen zusammenstehend, ragen in diesen ebenfalls muskulöses dünnes Verbindungs- Darmbereich hinein und halten den Nahrungs- stück wird der Kotballen in den letzten Darm- brei mechanisch zurück, so daß dieser durch abschnitt überführt, der den Kot durch Aus- die Tätigkeit der Bakterien stellenweise stülpen ausscheidet. 240 Ulrich Schaffrath

Die Kotpillen („Kotpellets“, Kotpillen, Käkel, einzige Beobachtung eines Käfers im Winter Faeces; vgl. Abb. 51, S. 222) der L3-Larven (s.o.) ist als Ausnahme zu bewerten. Je nach- sind in frischem Zustand schwarzbraun und dem, ob die Eier zum Beginn oder aber erst queroval. Sie sind sehr dauerhaft und gegen Ende des Sommers gelegt wurden, charakteristisch, sieht man von der Verwechs- überwintert schon das zweite oder noch das lungsmöglichkeit mit denen einiger weniger erste Larvenstadium. Es decken sich dabei anderer Lamellicornier-Larven einmal ab. eigene Beobachtungen der Zuchttiere mit den Dauerhaftigkeit und relative Größe machen bei LUCE (1996) angegebenen. diese Faeces in der Naturschutz-Praxis zu einer bedeutenden Nachweismöglichkeit für Bisweilen konnten im Freiland in einigen das Vorkommen von Osmoderma. Nach gefällten Eremiten-Eichen (Bad Arolsen) nur BUSSLER (2000, unveröff.) weisen sie durch- überwinternde Tiere ab dem zweiten Larven- schnittlich folgende Maße auf: Länge 7,1 mm, stadium festgestellt werden. Eine mögliche Breite der Längsachse 3,4 mm, Breite der Erklärung dafür wäre ein früheres Absterben Querachse 2,8 mm. Messungen des Autors der Käfer in jenen Bäumen infolge fehlender ergaben Werte zwischen 7,3 mm und 8,8 mm Nahrung. So ist wahrscheinlich, daß alle Eier in der Länge, zwischen 3,6 mm und 4,8 mm in schon im Juli abgelegt, die Larven also der Breite der Längsachse und zwischen 2,8 ausnahmslos „frühgeborene“ waren, die so mm und 3,6 mm in der Breite der Querachse. bis zur Winterruhe ihre erste Häutung bereits absolviert hatten. Der mit großer Sicherheit zu führende Nach- weis von Kotpillen in von Osmoderma besetz- In der Regel überwintern Larven aller Stadien ten Bäumen geht mit einem physikalischen in den tieferen Schichten des Mulmkörpers. Phänomen einher, das als sog. „Paranuß- Dort ist das Substrat meist sehr feucht und Effekt“ seit 1930 bekannt ist. Danach steigen läßt sich gut modellieren. Larven verschiede- in einem Gemisch verschieden großer Partikel ner Stadien legen darin ein Hibernaculum, beim Mischen oder Schütteln stets die größten eine nahezu runde Überwinterungshöhle an, an der Oberfläche. Diese Verteilung ist abhän- in der sie zusammengekrümmt liegen (vgl. gig vom physikalischen Dichteverhältnis zwi- Abb. 68). Junglarven wurden hier noch Anfang schen großen und kleinen Objekten, darüber April angetroffen. Dieser Hohlraum, den hinaus auch vom Luftdruck in den Zwischen- schon STURM (1857, s.o.) erwähnt, dient räumen. Die Wandergeschwindigkeit ist ab- sicherlich der Isolierung. Er ist jedoch nicht mit hängig vom Verhältnis der Partikeldichten dem Kokon zu vergleichen, in dem die Ver- zueinander, außerdem vom Luftdruck: Je wandlung der erwachsenen Larve zu Puppe niedriger der Druck zwischen den Partikeln, und Imago stattfindet, denn jenes Hiberna- desto langsamer drängen die größeren nach culum besitzt weder die typische ovale Form, oben. Derselbe Effekt ist auch dafür verant- in der sich die Vorpuppe ausstreckt, noch die wortlich, daß oft leere Kokons oben auf der Stabilität der Wandung eines Kokons. Mulmoberfläche zu finden sind, obwohl die Verpuppung in tieferen Schichten stattfindet. Kältetoleranz der Überwinterungsstadien Je weiter man nach Südeuropa kommt, in Überwintern desto höheren Lagen ist auch der Käfer „Beim Beginne des Winters verschließen sich noch anzutreffen. FRISCH fand einen Eremiten die Larven, da sie mehrere Jahre zu ihrer Ver- auf dem Peloponnes / Griechenland auf ca. wandlung brauchen – und zwar große und 1000 m NN: Erimanthos, Kato Vlasia, kleine – in eine aus Mulm gefertigte Kugel“ 20.07.1990. Ein Sammlungsexemplar im STURM (1857). Museum Hamburg trägt die Angaben: „Gap, Hes Alpes 1914“ (Gap wird im Atlas mit 978 m Grundsätzlich übersteht der Eremit den NN angegeben; Anm. d. A.). GREBENSCIKOV Winter als Larve in verschiedenen Stadien; die (1981) fing den Käfer im Flug auf über 1500 m Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 241

Abb. 68: Überwinternde Larven verschiedener Stadien im Hibernaculum, welches nicht zu verwechseln ist mit einer starkwandigen Kokonkapsel (Bad Arolsen, Große Allee, 5. Februar).

NN im Prenj-Gebirge (Herzegowina). In Mittel- werden die Larven dann, gleich, in welchem europa ist die Art nur in der Ebene und in den Stadium der Entwicklung sie sich befinden, niederen Gebirgslagen (Täler) heimisch. zunehmend frosttolerant und überleben Ver- eisung im Gewebe und den Körperflüssig- VERNON et al. kamen bei ihren Versuchen mit keiten. Dabei soll ihr Letal-Unterkühlungs- Eiern von O. eremita (SCOP.) in Frankreich zu punkt bei ca. -5°C liegen, andere Befunde dem Schluß, daß diese wohl kälteintolerant jedoch zeigten, daß eine tödliche Unterküh- seien. In allen Stadien der Embryonal- lung während des Winters wohl erst unter Entwicklung schrumpften und vertrockneten -12°C beginnt (VERNON et al. 1997). L2- die Eier nach dem Auftauen im einen Fall, Larven jedenfalls überlebten Unterkühlungen nach anderen Beobachtungen wurde jedoch bis -11°C, starben aber unterhalb -12°C ab ein mittlerer Unterkühlungspunkt von ca. (VERNON et al. 1996). -14°C ermittelt bei Extremen zwischen -26°C bis -52°C (VERNON et al. 1997). Jedoch sind Experimente mit dem amerikanischen Osmo- diese Versuche insofern erstaunlich, da derma eremicola (KNOCH) belegen ebenfalls Osmoderma nach allen bislang gemachten eine gewisse Kältetoleranz der Larvenstadien. Erfahrungen niemals im Eistadium über- Sie überlebten Minustemperaturen von -8,3°C wintert. 96 Stunden lang, während ihre Körperflüssig- keit zu 64% gefroren war (JOANISSE et al. Auch die Larven sind den Sommer über frost- 1992). Die kritische Letaltemperatur im Winter intolerant. Diese Intoleranz steht im Zusam- wird für die Larven dieser nahe verwandten menhang mit der Nahrungsaufnahme. Vor Art mit ca. -10°C angegeben (STOREY 1993). dem Beginn der winterlichen Diapause 242 Ulrich Schaffrath

Abb. 69: Vorpuppe im geöffneten Kokon, zum Größenvergleich dient ein gewöhnliches, ca. 45 mm langes Streichholz (15. März; vgl. Abb. 73).

Abb. 70: Noch helle, frisch gehäutete Puppe in einem beim Fällen des Baumes zerstörten Kokon (Bad Arolsen, Große Allee, 28. Mai). Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 243

Abb. 71: Die beginnende Pigmentierung zeigt an, daß die Puppe kurz vor der Häutung zum Käfer steht (24. Juni).

Abb. 72: Junger Käfer unmittelbar nach der Häutung zur Imago (24. Juni). Die Deckflügel sind noch fast pigmentfrei, die Hautflügel sind ausgestreckt und werden erst nach dem Trocknen unter die Deckflügel gefaltet. 244 Ulrich Schaffrath

Abb. 73: Junger Käfer (m) auf dem Kokon (15. Juli). Es handelt sich um dasselbe Individuum, das als Vorpuppe abgebildet wurde (vgl. Abb. 69).

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Kokonbau, Verpuppung und Verwandlung die Beobachtung, daß die Larven im April, zur Imago nach dem Überwintern, leichter sind als im Juli „Die Larve gleicht ziemlich der der Maikäfer des Vorjahres, ja, daß eine Gewichtsabnahme und macht sich zur Verpuppung eine eirunde bereits im September zu verzeichnen war. So Höhle von Erde und zerbissener Baumrinde“ wurde eine Larve mit folgenden Gewichten (THON 1838). kontrolliert: 16.05.: 5,72 g; 26.07.: 8,3 g; 07.09.: 7,64 g; 26.04.: 7,6 g; 29.06.: 8,18 g. Der Bau des Kokons, der das Insekt während Zur Begründung bei der überwinterten Larve der empfindlichen Verpuppungsphase vor kommen natürlich Stoffwechselumsätze in mechanischen Störungen uns Austrocknung Frage, andererseits ist aber auch eine Was- schützen soll, erfolgt in der Regel zwischen serreduzierung vor dem Überwintern sicher August und Oktober (nach LUCE 1996: Sep- sinnvoll, da auf diese Weise die Wahrschein- tember-Oktober). Die Larven fertigen den lichkeit eines Zerreißens der Zellen infolge Kokon, indem sie im Substrat, im Holzhumus Gefrierens gemindert wird. Die höhere Kon- einen ihrer Körpergröße entsprechenden zentration der Zellinhaltsstoffe (Zucker) bzw. Hohlraum schaffen und denselben innen deren Umwandlung könnte einen natürlichen glätten. Sie benutzen dazu einerseits ihren Frostschutz darstellen, wie dies von anderen Darminhalt, andererseits Absonderungen der Organismen (auch Insekten) bereits bekannt Munddrüsen (vgl. TAUZIN 1994 b). So entsteht ist. eine meist länglich-ovale, drehrunde Birne, der zunächst relativ viel umgebendes Mate- rial, Kotteilchen der Larven etc. anhaftet. Die Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 245 eigentliche Verpuppungskammer ist kaum einen Millimeter stark, aber relativ stabil, Reste derselben können noch nach Jahren im Mulmmeiler gefunden werden.

Nach PALM (1959) kann auch die Holzwan- dung der Höhle in den Kokonbau einbezogen sein („in ausgegrabenen Löchern im Holz“). Dies ist auch bei Protaetia aeruginosa beob- achtet worden, wobei die Larve im Experiment die Wandung des gläsernen Aufzuchtbehäl- ters in den Kokonbau einbezog (BRECHTEL 1981). Die Larve dieses Käfers unterschied demnach nicht zwischen dem glatten Glas / Holz und der durch ihre eigene Tätigkeit geglätteten Kokonwand. Vom Autor konnten ähnliche Befunde von Osmoderma in den Plastik-Gefäßen oder im Freiland bei der Kon- trolle von >300 Kokons nur fünfmal erbracht werden, wobei jeweils das „Fußende“ des Kokons an der Gefäßwand anlag und eine kleine Öffnung aufwies.

Osmoderma eremita überliegt in der Regel als stark geschrumpfte Larve (sog. „Vorpuppe“, Abb. 69) bis zum Frühjahr, was erstmals MARIE (1928) konstatierte und was LUCE (1996) bestätigt. Die Käfer, die im Sommer erscheinen, haben also weder als Puppe überwintert noch als Imago, wie dies viele andere Lamellicornier tun. Die Verwandlung zur Puppe und zur Imago findet vielmehr erst im Erscheinungsjahr der Imago statt, ebenso wie dies bei anderen Sommertieren unter den Blatthornkäfern der Fall ist (vgl. z. B. Amphi- mallon solstitiale), die etwa zur selben Zeit auftreten wie der Eremit.

Die Vorpuppe liegt stets in Rückenlage im Kokon. Bei der Häutung zur Puppe reißt die Larvenhaut dorsal in Längsrichtung auf (vgl. MEIXNER 1933 - 1936), durch windende Bewegungen wird diese zum Kopfende hin abgestreift und der glatten Kokonwand an- gedrückt. Auch die Mumienpuppe reift in Abb. 74 a - c: Ein junger Käfer (m) setzt den Puppenharn Rückenlage im Kokon (Abb. 70, 71). (Mekonium) in Form eines weißlichen Tropfens ab (Videosequenz). Eine Kontrolle am 26.7. von acht L3-Larven ergab Gewichte zwischen 8,30 g und 12,40 g. Am 7.9. hatten bereits vier dieser Tiere ihre Kokons angefertigt. Eine weitere Kontrolle am 246 Ulrich Schaffrath

26.4. des Folgejahres zeigte, daß nur eine bildeten Stoffwechselprodukte, den Puppen- Larve übriggeblieben war, drei weitere hatten harn (= Mekonium), in Form eines weißlichen sich bis zu diesem Datum ebenfalls einkoko- Tropfens ab (Abb. 74 a - c). niert. In einem anderen Zuchtbehälter wurde am 9.10. eine Larve beim Bau des Kokons SWEETMAN & HATCH (1927) geben als Dauer gestört, 7 weitere Kokons sowie 7 kleinere des Puppenstadiums für den amerikanischen L3-Larven konnten gleichzeitig festgestellt Osmoderma eremicola KNOCH in drei beob- werden. achteten Fällen ca. 16 Tage an.

Im Kasseler Experiment des Autors wurde Blatthornkäferarten mit ebenfalls mehrjähriger u. a. beobachtet, daß sich manche Larven Entwicklungsdauer und einer einzigen Imagi- später, vielleicht im Frühwinter oder sogar erst nalgeneration pro Jahr, die jedoch jahreszeit- im zeitigen Frühjahr einen Kokon bauen: Im lich früher erscheinen, wie z. B. Maikäfer oder November waren alle Zuchtbehälter auf vor- Hirschkäfer, haben die Verwandlung zum handene Kokons hin kontrolliert worden, diese Käfer bereits im Vorjahr abgeschlossen und entnommen und die übrigen Larven gezählt als Imagines in der Puppenwiege überwintert. und gewogen worden. Anschließend wurden sie ins Winterquartier überführt. Eine der Zerstören des Kokons führt normalerweise November-Larven hatte sich jedoch bis zum zum Absterben der betroffenen Tiere. Die nächsten Sommer ebenfalls zum Käfer ent- Larven sind nicht in der Lage, einen neuen wickelt; wann sie ihren Kokon gebaut hatte, ob Kokon zu bauen, da sie enorme Flüssigkeits- noch im gleichen Jahr oder aber im ersten mengen zum Kokonbau verbraucht haben und Frühjahr, ist nicht bekannt. nun stark geschrumpft sind. Puppen (z. B. bei einem Fällen des Brutbaums im Mai, während Auch erhielt EISINGER (1993) aus Larven der Puppenruhe, s. o.) drehen sich, wird (ausdrücklich keine Kokons oder Puppen!), ihr Kokon eingedrückt, zu Tode, bei dem die er nach den Winterorkanen 1989 / 1990 Bemühen, die störenden losen Partikeln zu eintrug und bei Zimmertemperatur (!) kultivier- entfernen (vgl. Abb. 70). te, schon im kommenden Mai / Juni Imagines. Gleiches bestätigt JÄNICKE (mdl. 1999), der Dieses Verhalten des Sich-Drehens im Kokon aus erwachsenen Larven, die ihm „im zeitigen dient dazu, die Wandung des Kokons zu Frühjahr“ gebracht wurden, gegen Ende Juni glätten und somit dem frisch geschlüpften desselben Jahres die Käfer erhielt. Die Ent- Käfer eine ungestörte Entfaltung (Flügel!) zu wicklung zu Puppe und Käfer verläuft dann gewährleisten. Offenbar unmittelbar nach offenbar parallel zu der von bereits im Herbst dem Abstreifen der Puppenhaut dreht sich das kokonierten Tieren. Insekt im Kokon um: Die Hinterflügel sind in dieser Phase ausgestreckt, sie härten in die- Erst im April / Mai verpuppt sich das Insekt, ser Stellung aus und werden erst dann unter was durch Freilandfunde zerstörter Kokons die Deckflügel eingefaltet, die zum Zeitpunkt bei der Fällung alter Eichen in der „Großen des Schlüpfens noch weitgehend pigmentfrei Allee“ in Bad Arolsen in Anzahl zu belegen und nur leicht gelblich bis roséfarben sind war. Zu diesem Zeitpunkt waren die Puppen (vgl. Abb. 72). noch hell, eine Pigmentierung fehlte auch noch den früh sich färbenden Körperteilen. Im den vom Autor benutzten Zuchtgefäßen Etwa Ende Mai/Juni schlüpft der Käfer aus der (zwischen 8 Litern und 23 Litern) waren die Puppe, erhärtet und durchbricht den Kokon Kokons in aller Regel tief unten im Substrat zu (vgl. Abb. 72, 73), tritt aber meist erst im Juli finden. Dies ist in der Natur durchaus nicht in in Erscheinung. Er ist damit einer der jahres- gleicher Weise zu bestätigen. So waren im zeitlich am spätestens auftretenden Blatt- Falle der Bad Arolser Eichen, die einen Mulm- hornkäfer. Oft auf eine Störung hin setzt der körper von bis zu 130 l enthielten, die Kokons Jungkäfer die während der Verwandlung ge- besonders in den höheren Mulmschichten und Zu Lebensweise, Verbreitung und Gefährdung von Osmoderma eremita (Scop.), Teil 1 247

Abb. 75: Männchen mit voll ausgebildeter, jedoch sehr kleiner rechter Vordertibie und stark verkürzten Tarsengliedern. Oft kommt es zu Verkümmerungen von Gliedmaßen, wenn Störungen während der Puppenruhe eintreten.

etwas oberhalb der (L3-)Larven anzutreffen. digen der Puppen im Kokon durch andere Ähnliche Befunde erbrachte die Kontrolle des Larven, wenn sich zu wenig Substrat im Gefäß Mulmkörpers (ca. 40 l) in einer Höhlenbuche befand. Ebenso stellte er fest, daß sich auch in der Kasseler Karlsaue. In Mulmkörpern von bei P. aeruginosa die Kokons bei Freiland- sehr geringem Umfang lagen die Kokons auch funden in der Regel (mit Ausnahmen) in den im Freiland stets am Boden der Höhlung. oberen Mulmschichten über den Larven fanden. Bei zu hoher Feuchtigkeit verschim- In umfangreichen Mulmmeilern suchen die melten die Tiere im Kokon (BRECHTEL 1981). verpuppungsreifen Larven zum Kokonbau offenbar einen Platz aktiv auf, der spezielle Ei- genschaften aufweist. Vielleicht ist entschei- Mißbildungen dender Faktor eine adäquate Substratfeuchte: Mißbildungen sind bisher so gut wie unbe- STEGNER (brfl. 2002) stellte bei seinen Beob- kannt. Lediglich ein sehr großes, etwas mon- achtungen eine hohe Empfindlichkeit des ströses Männchen aus Thüringen (auch mit Puppenstadiums gegen über Austrocknung Ungleichmäßigkeiten an den Parameren) lag fest. Möglicherweise sind aber auch die Auf- dem Autor vor. Ein vom Autor nachgezüchte- last des Substrats oder die (geringe) Störan- ter Käfer wies eine verkümmerte Vordertarse fälligkeit bei der Wahl des Platzes von Bedeu- auf (vgl. Abb. 75). Dieses Phänomen ist bei tung. In diesem Bereich (diesen Bereichen) vielen Insekten zu beobachten und geht in der sind dann stets Kokons in Anzahl anzutreffen. Regel auf Störungen während ihrer Individual- entwicklung (Puppenruhe) zurück. BRECHTEL beobachtete bei Zuchtversuchen mit Protaetia aeruginosa (DRURY) ein Beschä- 248 Ulrich Schaffrath

Manuskript bei der Schriftleitung eingegangen am 25. November 2002

Anschrift des Verfassers Ulrich Schaffrath Marienstraße 12 34117 Kassel