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Sendung vom 25.01.2002, 20.15 Uhr

Dr. Werner Schneyder Autor, Schauspieler, Ex-Kabarettist im Gespräch mit Klaus Kastan

Kastan: Herzlich willkommen zu Alpha-Forum. Unser heutiger Gast hat viele Berufe: Er ist Schriftsteller, Regisseur, Fernsehentertainer, Moderator, Chansonsänger, Publizist, Lokal- und Sportreporter, Boxkampfrichter, Werbetexter, Dramaturg und ganz nebenbei ist er auch noch Dr. phil. Wenn Sie ihn sehen, dann sagen Sie sicher: "Das ist doch der Werner Schneyder, der Kabarettist." Aber das ist er gar nicht mehr, oder? Schneyder: Ja, seit fünf Jahren nicht mehr. Kastan: Aber damit werden Sie nach wie vor identifiziert. Schneyder: Die Leute tun sich schwer damit, sich vorzustellen, dass jemand, der etwas lange gemacht hat, das nun nicht mehr macht. Wir leben wohl in einem Sprachraum, in dem die Leute von der Wiege bis zur Bahre etwas ganz Bestimmtes sind und sein müssen. Sie müssen sich in dieser einen Disziplin auch ständig perfektionieren, sie wollen darin berühmt werden usw. So ein Crossover-Mensch wie ich ist da doch ein bisschen ungewohnt: Er verwirrt die Leute auch gelegentlich. Kastan: Da wird man also sehr schnell in Schubladen gesteckt, obwohl man eigentlich nicht nur in eine, sondern in viele hineingehört. Schneyder: Man wird eben nicht in Schubladen gesteckt, weil das nicht möglich ist. Deswegen wird man in den entsprechenden Schubladen auch nicht gefunden. Das heißt also – das ist eine kleine Beschwerde, die ich nun loswerden möchte –, dass dann, wenn die Schublade "Literatur" aufgezogen wird und man unter "sch" nachsieht, Schneyder nicht dabei ist. Auf die Rückfrage, warum denn Schneyder nicht dabei ist, bekommt man die Antwort: "Aber der ist doch auch das und noch das und noch jenes usw." Insofern bin ich also überhaupt kein vielseitiger Mensch, sondern ein sehr einseitiger: Ich übe einen Beruf aus und der Beruf heißt "Werner Schneyder". Kastan: Ein Name, ein Programm. Schneyder: Ja, für mich. Kastan: Wenn man sich mit Ihrer Biographie beschäftigt, dann fallen einem zunächst einmal diese vielen Berufe auf, die Sie dann doch durchaus hatten. Mit 15 Jahren haben Sie z. B. schon die ersten Sportreportagen geschrieben für eine Zeitung. Schneyder: Ich nenne das nicht Berufe, ich nenne das Tätigkeiten. Kastan: Wie auch immer. Sind Sie eigentlich von der einen Tätigkeit immer weggelaufen zu einer anderen? Schneyder: Ich habe mich eigentlich immer gefordert und zwar deshalb, weil ich mich nie langweilen wollte. Ich wollte in meinem Leben nicht nur die Leute unterhalten, sondern auch mich. Ich finde es ganz wichtig, dass man nicht fachidiotisch verblödet in irgendeiner Schiene. Wenn man so ein Triebtäter ist wie ich, dann hat man immer Sehnsucht nach etwas Neuem. Man hat auch das Gefühl, dass man noch für etwas anderes eine Begabung oder eine Leidenschaft haben könnte. Man möchte jedenfalls geklärt haben, ob das auch wirklich eine Begabung oder lediglich eine Illusion ist. Sich in der Weise zu testen, macht schon Spaß. Kastan: Die "Welt" hat einmal über Sie geschrieben: "Hansdampf in allen Unterhaltungsgassen." Kränkt Sie das etwas, denn "Hansdampf" ist ja doch eher negativ belegt? Schneyder: Ach, wenn es in der "Welt" steht, ich bitte Sie. Kastan: Dann kränkt einen das nicht so sehr? Schneyder: Nein. Kastan: Hauptsache, es wird überhaupt über jemanden geschrieben, oder? Schneyder: Wie Oscar Wilde schon gesagt hat: Die Hauptsache ist, dass der Name richtig geschrieben wird. Was bei mir aber gelegentlich nicht der Fall ist, weil dieses "y" doch etwas ungewohnt ist. Aber dieser Buchstabe ist nicht zugelegt, nein, ich bin so geboren. Kastan: Darüber sind Sie wohl auch ganz froh, denn "Schneider" gibt es ja viele. Aber einen Schneyder mit "ey" nur einmal. Schneyder: Ja, jedenfalls gibt es in der Öffentlichkeit nur einen. Kastan: Was machen Sie ganz aktuell? Schneyder: Ich stelle ganz aktuell ein Buch vor. Es heißt "Ansichten eines Solisten" und ist sozusagen ein bilanzierendes Meinungsbuch mit Essays, mit Polemiken, mit Parodien usw. Es ist ein recht umfangreiches Buch geworden. Ich kann es vielleicht auch mal herzeigen, wenn man eine Kamera darauf richten möchte. Kastan: Sie haben es ja deswegen extra mitgenommen. Schneyder: Ja, extra mitgenommen, in aller Unschuld natürlich! Aus diesem Buch kann ich in der Tat viel vorlesen. Bevor ich damit aber auf die große Lesereise gehe, mache ich noch mit Nikolaus Harnoncourt in Salzburg zusammen den "Schauspieldirektor": Das ist dieses kleine entzückende Singspiel von Mozart, das ich bearbeitet habe. Bei dieser Aufführung konferiere ich und spiele auch selbst den Schauspieldirektor. Danach inszeniere ich in Klagenfurt noch die vergessene und von mir ausgegrabene Lehar-Operette "Eva". Ein Stück mit sehr, sehr guter Musik, das jedoch ein nicht spielbares Buch hat. Dieses Buch musste man also erst herrichten. Dann gehe ich, wie gesagt, auf diese große Lesereise. Im Juni habe ich ein paar Galas mit dem Diabelli-Trio: mit Weinlyrik und Weinliedern. Dann ist der Sommer und im Herbst gehe ich dann noch einmal mit dem Hildebrandt zusammen und dem Stück "Sunny Boys" auf Tournee. Kastan: Diese Zusammenarbeit mit gibt es also nach wie vor. Schneyder: Ja, aber auf anderem Gebiet, nicht mehr auf dem Gebiet des , sondern auf dem Gebiet des Theaters. Das heißt, wir gehen da mit diesem wunderbaren Stück von Neil Simon, das wir uns erarbeitet haben, zusammen auf Tournee. Die persönliche, die private Beziehung zu ihm ist ja immer aufrecht geblieben. Kastan: Sie sind ja nicht als Kabarettist oder Künstler geboren, wie ich vermute. Sie haben Abitur gemacht, Sie haben studiert, Sie haben den Doktor phil. gemacht usw. Sie haben damals Kulturgeschichte studiert... Schneyder: Ja, ein bisschen Kunstgeschichte. Aber das war nur das Nebenfach, denn mein Hauptfach war Publizistik. Kastan: Sie haben jedenfalls in diesem Fach auch promoviert. Schneyder: Ja. Kastan: Wissen Sie denn noch das Thema, über das Sie promoviert haben? Schneyder: Ja, das war ein sehr aufwendiger Titel, denn es hieß so ungefähr: "Die Wechselwirkung zwischen Herausgeberprogramm und publizistischem Erfolg." Das klingt irrsinnig hochtrabend. Kastan: War es das auch? Schneyder: Nein. Ich weiß nicht, ob ich das hier sagen kann. Sagen Sie mal, wird diese Ihre Sendung eigentlich auch von Schülern und Studenten gesehen? Kastan: Die dürfen durchaus zuschauen, ja. Schneyder: Nun ja, ich weiß nicht, ob es pädagogisch zu verantworten ist, was ich da nun sage. Kastan: Das verantworten dann wir. Schneyder: So, das verantworten Sie. Nun gut, diese Dissertation war auf eine geniale Weise geklaut. Es gibt nämlich von Ortega y Gasset das von mir damals sehr verehrte Buch "Aufstand der Massen". In diesem Buch geht es um die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Führer und Masse bzw. Gefolgschaft. Er vertritt dabei folgende These: Der Führer dirigiert die Masse und dadurch entsteht ein Massenwille, der wiederum den Führer in die Pflicht nimmt. Der Führer ist also über dieses Echo seinerseits in der Pflicht und kann sich nicht mehr wirklich bewegen. Ich habe mir dann gedacht, dass das doch eigentlich genau dem Verhältnis zwischen Zeitungsherausgeber und Abonnent bzw. Zeitungskäufer entspricht. Ich habe mir also den Ortega y Gasset links von mir neben die Schreibmaschine gelegt, habe Papier eingespannt und mir überlegt, wie das denn im Journalismus aussieht. Insofern war ich mit dieser Dissertation auch sehr rasch fertig. Kastan: Hauptsache man weiß, wie es schnell geht. Danach waren Sie also Dr. phil. Sie hatten jedoch bereits davor im Journalismus gearbeitet. Sie haben sich immer schon für Sport interessiert und waren daher ganz zu Beginn auch mal Sportreporter bei einer kleinen Zeitung. Schneyder: Ja, das war der Einstieg. Ich mit 15 1/2 Jahren – ich weiß heute nicht mehr warum – zur Provinzausgabe einer Provinzzeitung gegangen. All das gibt es heute nicht mehr: Diese Zeitung ist heute in der österreichischen Innenpolitik eine sehr wichtige Zeitung geworden. Ich ging also dorthin und habe gesagt, dass ich Journalist werden möchte. Da saßen zwei so altgediente Haudegen in der Redaktion und der eine von den beiden hat zu mir gesagt: "Na, Burschi, was kannst denn?" - "Eigentlich nichts", habe ich gestammelt. "Verstehst was vom Fußball?" - "Na ja freilich, ich bin doch Fußballtorwart!" Daraufhin sagte er zu seinem Kollegen: "Besetz ihn mit einem Unterklassenmatch!" So ging ich also zu diesem Unterklassenspiel, sah mir das an, ging nach Hause und kam dann darauf, dass ich ja gar nicht Schreibmaschine schreiben kann. Ich habe also ein Blatt eingespannt und das dann mit Schweiß auf der Stirn und mit zwei Fingern auf dieser alten Remington von der Mutter heruntergetippt. So wurde ich Journalist, genauer gesagt, zunächst einmal Sportjournalist. Kastan: Danach haben Sie dann auch über Lokales geschrieben. Schneyder: Ja, aber zunächst einmal musste ich meine sportjournalistische Palette ausweiten. Ich wurde also bald einmal zum Boxen geschickt. Daraufhin habe ich dann meinen ersten Bericht über einen Boxkampf geschrieben. Nach diesem Bericht hat mich dann ein Boxtrainer angerufen: Der Bericht muss wirklich ein unglaublicher Blödsinn gewesen sein. Denn dieser Trainer hat zu mir gesagt: "Burschi, wenn du schon über Boxen schreiben willst, dann solltest du wenigstens ein bisschen Ahnung davon haben!" Man würde das heute einigen Journalisten auch gerne mal wünschen: dass sie nämlich von einem Trainer angerufen und ins Cafehaus bestellt werden, wo ihnen dann diese Sache einmal wirklich erklärt wird. Das war also mein erster Schritt zum Boxen. Danach kam dann noch das Eishockey dazu. Und danach kam dann bald das Lokale: Da durfte ich dann schon über die Preise fürs Gemüse auf dem Wochenmarkt schreiben. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass ich damals die erste Caterina Valente Tournee rezensieren durfte. Da war ich vielleicht so 16 1/2 Jahre oder so. Kastan: Wahnsinn. Die hat wahrscheinlich ziemlich Spaß gemacht damals. Schneyder: Ja, großen Spaß. Sie trat damals mit dem Orchester Kurt Edelhagen auf, wenn Sie sich erinnern. Ich habe natürlich auch darüber nur Unsinn geschrieben. Kastan: Das war alles in welchem Ort in Österreich? Schneyder: In Klagenfurt, in der Hauptstadt von Kärnten. Kastan: Geboren sind Sie aber in . Schneyder: Ja, aber in Klagenfurt aufgewachsen. Mein Vater war Wiener und meine Mutter Karlsbaderin. Ich bin also quasi ein innerösterreichischer Kosmopolit. Kastan: Sie haben sich also damals sehr für Sport interessiert. Lassen Sie uns daher ein wenig über den Sport sprechen. Die drei Sportarten, die Sie als Ihre Lieblingssportarten genannt haben, sind ja typische Männersportarten: Boxen, Fußball, Eishockey. Sind Sie ein Macho? Schneyder: Na ja, Macho bin ich keiner, aber doch ein Mann, der den Zweikampf liebt, und zwar in jeder Hinsicht. Ich spiele nämlich z. B. auch sehr gerne Schach. Kastan: Haben Sie denn selbst auch mal geboxt? Schneyder: Ja, im Training, 15 Jahre lang. Kastan: Sie waren dann ja auch Ringrichter beim Boxen. Schneyder: Ja, bei den Amateuren. In meiner Salzburger Zeit bin ich ein- bis zweimal in der Woche in den Boxklub gegangen und habe dort seriös mittrainiert, um dem körperlichen Verfall irgendwie vorzubeugen. Ich habe auch gerne Tennis gespielt, freilich nur in einer mäßigen Klasse, aber immerhin. Ich habe auch eine Zeit lang ganz gut Tischtennis gespielt und ich schwimme wahnsinnig gerne. Ich habe nie Wettkampfschwimmen betrieben, aber so für mich schwimme ich bis heute: Das ist tatsächlich mein Leistungssport geblieben. Ich schwimme im Sommer jeden Tag ein gewisses Pensum und zwinge mich dabei, innerhalb einer bestimmten Zeit zu bleiben. Kastan: Dieter Hildebrandt ist ja auch Tennisspieler. Wer gewinnt denn, wenn Sie gegen ihn antreten? Schneyder: Er hat keine Chance. Er hat keine Backhand und behauptet seit 50 Jahren, sie würde ihm ausgerechnet heute nicht gelingen. Aber er hatte nie eine Rückhand und wird auch nie eine haben. Kastan: Das heißt, Sie obsiegen dort auf alle Fälle. Schneyder: Ich brauche ihm die Bälle immer nur lang auf die Rückhand spielen, dann ist er verloren. Kastan: Wir wollen heute nicht allzu viel über Boxen sprechen. Denn Ihre Karriere als Boxkommentator vor allem für RTL haben Sie inzwischen ja auch beendet. Wenn Sie lesen, dass die Clay-Tochter gegen die Frazier-Tochter boxt: Finden Sie, dass das ein Sport für Frauen ist? Schneyder: Ich wurde das schon mehrfach gefragt und habe darauf eine sehr feige Antwort, die ich auch heute zum Besten geben werde: Über Frauenboxen sollen Frauen urteilen. Denn in dem Moment, in dem ich hier meine ehrliche Meinung sage, fallen doch die Emanzen über mich her und schreien: "Wie kommt dieser Macho, der sich hier als Softie geriert, dazu zu sagen, Frauenboxen sei eine scheußliche Angelegenheit?" Daher sage ich das nicht und hoffe, dass die Frauen auch dieser Meinung sind. Kastan: Sie haben diesen Kampf aber gesehen? Schneyder: Nein. Mir ist das absolut unangenehm. Kastan: Was ist so schön am Boxen? Was hat Ihnen daran immer so gut gefallen? Ist das dieser Zweikampf, dieses Kräftemessen? Schneyder: Schön finde ich am Boxen überhaupt nichts. Interessant finde ich es! Denn es führt uns zu den Wurzeln der Dramaturgie zurück. Ich würde sagen, dass das Boxen etwas Grundsätzliches ist: sowohl in dramaturgischer Hinsicht wie auch in Bezug auf das menschliche Verhalten. Der Versuch, so eine Grundaggression, wenn sie denn schon körperlich ausgelebt wird, in ein Regelwerk zu zwingen und womöglich auch noch so eine Art von Fairness einzubauen, hat etwas Interessantes an sich. Diese Dinge kann man beim Boxen in der Tat beobachten und ich selbst habe den Sport ja auch immer nur so betrachtet, dass ich daraus Rückschlüsse auf die übrige Gesellschaft zu ziehen versuchte. Kastan: Was Sie lieben im Sport, darüber haben wir nun gesprochen. Was Sie hassen, darüber habe ich zumindest schon gelesen: Sie hassen das Auto fahren. Sie selbst besitzen auch keinen Führerschein. Schneyder: Ja. Kastan: Und die Autos mögen Sie nicht! Schneyder: Ja, ich finde, sie sind die Dinosaurier unseres Verkehrssystems. Die ökonomische Geiselhaft, in der wir uns da befinden, hindert uns daran, das zu begreifen. Aber ich habe z. B. nichts gegen Taxis, um Gottes Willen. Kastan: Sonst käme man ja gar nicht vorwärts. Schneyder: Ich lasse mir auch gerne sagen, dass es Berufe gibt wie meinetwegen Vertreter oder Ärzte, die Erste Hilfe leisten müssen, für die das Auto durchaus sinnvoll ist. Aber der Stadtverkehr, bei dem immer nur ein Mensch in seinem Fünfsitzer täglich zu seiner Arbeitsstelle fährt, ist wirklich absolut geisteskrank. Diese Vergötterung des Autos in ihrer extrem pervertierten Form findet in der Formel 1 statt: Das ist das absolut Widerwärtige. Kastan: Sie könnten sich auch nicht vorstellen, mal so ein Formel-1-Rennen zu kommentieren? Schneyder: Oh doch. Aber dann brennt RTL! Ich habe mir das ja gewünscht, ich habe gesagt: "Bitte, lasst mich einmal, nur einmal ein Formel-1-Rennen kommentieren. Es kann ja im Fasching sein." Aber auch das wagte man nicht. Kastan: Im Fasching gibt es, wie ich glaube, noch keine Rennen in der Formel 1, weil sie immer erst im März anfangen. Schneyder: Ja, ja, weil das eben eine ernste Angelegenheit ist. Kastan: Sie wollten immer, wenn ich das mal so floskelhaft ausdrücken darf, anspruchsvolle Unterhaltung machen. Stimmt das? Schneyder: Ja, im Fernsehen. Kastan: Es wird da ja immer unterschieden zwischen diesen U- und E-Bereichen. Ich glaube, das ist eine Unterscheidung, die es fast nur im deutschsprachigen Raum gibt. In anderen Ländern wird das keineswegs so streng getrennt, denn... Schneyder: Man merkt das bei uns z. B. im Theater. Wenn man ein Stück von Neil Simon spielt, dann heißt es bei uns immer, das sei ein Boulevardklassiker. Den Begriff "Boulevardtheater" gibt es aber im angelsächsischen Raum gar nicht. Nein, so ein Stück von Neil Simon ist eine Charakterkomödie: Das ist ein moderner Molière. Aber ich habe gerade Ihren Gedanken unterbrochen, Entschuldigung. Kastan: Gibt es denn überhaupt schlechte Unterhaltung, wenn man von anspruchsvoller Unterhaltung spricht? Was empfinden Sie, wenn Sie heute in die Fernsehprogramme hineinschauen? Schneyder: Es kommt jetzt ganz darauf an, welches Raster Sie anlegen. Ich möchte die Leute nicht bevormunden, die sich bei Karl Moik glücklich fühlen. Aber für mich ist so etwas, wo jemand den Mund aufreißt und nicht wirklich singt, schon a priori schlechte Unterhaltung, weil es Betrug ist. Und über Betrug mag ich noch nicht einmal sprechen. Diese Play-back-Mitklatsch- Veranstaltungen sind ja nicht nur schlechte Unterhaltung, sondern zudem auch noch widerwärtig und volksverblödend. Kastan: Play-back konnten Sie als Kabarettist nie machen. Wann hat es eigentlich angefangen, dass Sie Kabarettist wurden? Schneyder: Das war im Jahre 1973. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon mal des Öfteren aus einem Satireband vorgelesen. Wenn man Satiren liest, dann lachen die Leute eben auch manchmal. Wenn man das öfter macht, wird man im Laufe der Zeit ein bisschen virtuoser, setzt die Pointen genauer und kann dann auch manche Passagen schon auswendig. In Salzburg gab es damals noch einen anderen Literaten und dieser andere Literat hat eines Tages mal zu mir gesagt: "Du, machen wir doch zur Festspielzeit eine Protestlesung gegen die Salzburger Festspiele, bei der wir die so genannte Hochkultur verhöhnen." Wir haben uns ein paar Texte zusammengestellt und dann überlegt, dass wir an einigen Stellen mit ein paar Sachen auch in Wechselrede gehen sollten. Der Kollege hat dann gemeint, wir sollten dabei vielleicht auch ein bisschen singen. Er fragte mich, ob ich singen könnte. "Ja, ich kann das, ich war in meiner Studentenzeit Barsänger." Also machten wir das auch noch und schrieben ein paar kleinere Parodielieder auf vorhandene Schlager. Diese von uns ganz harmlos projektierte Veranstaltung hatte einen unglaublichen Effekt, das war ein wirklicher Sprengsatz. Es herrschte damals wohl eine große Dürre auf dem Gebiet des Kabaretts. Alle Leute kamen auf uns zu und beglückwünschten uns und speziell zu mir haben sie gesagt: "Das ist dein Weg!" Ich war zwar sehr geschmeichelt, aber vorstellen konnte ich mir das eigentlich überhaupt nicht. Kastan: Sie waren damals noch Dramaturg? Schneyder: Nein, da war ich schon freier Autor. Kastan: Davor aber waren Sie Dramaturg gewesen. Schneyder: Ja, ich war drei Jahre lang Theaterdramaturg gewesen. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich schon freier Autor: Ich habe Fernsehserien geschrieben, Shows geschrieben, Chansons übersetzt usw. Kastan: Sie haben auch mal als Barsänger gearbeitet, wie Sie soeben sagten. Schneyder: Ja, das war in meiner Studentenzeit. Kastan: Damit haben Sie sich ein bisschen Geld verdient? Schneyder: Ja, und es gab dabei auch noch gratis Skiurlaub, das war natürlich auch nicht unwichtig. Es war also so, dass ich mich damals nach dieser Sache in Salzburg zwar geschmeichelt fühlte, das aber nicht weiter verfolgt habe. Ein gemeinsamer Freund von Hildebrandt und mir war dann mal mit dem Hildebrandt auf einer Theatertournee. Denn Hildebrandt hatte damals ja bei der Lach- und Schießgesellschaft aufgehört als Kabarettist. Sie waren also, wenn ich das richtig erinnere, mit dem Stück "Der Manager" von Felicien Marceau auf Tournee. Im Tourneebus hat der Hildebrandt eines Tages mal zum Kurt Weinzierl, denn das war dieser gemeinsame Freund, gesagt: "Wenn ich je wieder mache, dann nur mit einem schreibenden Partner und mit einer neuen Dramaturgie, also in einer neuen Form." Opas Kabarett war also quasi tot für ihn. Kastan: Das war die Phase, in der Hildebrandt bei der Lach- und Schießgesellschaft bereits aufgehört hatte. Schneyder: Ja, er hatte damals ja quasi das Ensemble gesprengt mit seinem Entschluss aufzuhören. Der Sammy Drechsel hat daraufhin gesagt, dass es ohne Hildebrandt dann auch keine Lach- und Schießgesellschaft mehr geben könne. Kurt Weinzierl hat dann noch im Tourneebus zum Dieter Hildebrandt gesagt: "Den Mann, den du suchst, kenne ich!" Er hat so lange auf den Hildebrandt eingeredet, bis der mich eines Tages angerufen und zu mir gesagt hat: "Unser gemeinsamer Freund Kurt Weinzierl ist der Meinung, wir sollten einander kennen lernen." Daraufhin fuhr der Hildebrandt zu mir nach Salzburg. In seinem ersten Erinnerungsbuch "Was bleibt mir übrig" hat er das ja auch sehr schön beschrieben. Wir hatten einander über Kabarett gar nichts zu sagen, weil ich das Kabarett damals eigentlich auch gar nicht mochte. Wir haben stattdessen über Fußball geredet und über's Trinken. Über das Trinken haben wir aber nicht nur geredet, sondern auch tatsächlich getrunken miteinander. Irgendwie waren wir einander sympathisch. Kastan: War das Liebe auf den ersten Blick? Schneyder: Sympathie auf den ersten Blick. Danach dann kam von mir ein kleines Büchlein heraus, eine erste kleine Aphorismensammlung. Dieses Buch habe ich ihm geschickt und daraufhin rief er mich an und sagt, dass wir tatsächlich etwas zusammen machen sollten. Was dann kam, ist eigentlich kaum glaubhaft, aber es war wirklich so. Wir haben uns in München zusammen mit seiner ersten Frau im Montgelas-Keller getroffen und er fragte mich, was wir machen wollen. Ich hatte mir das im Zug überlegt und sagte ihm daher: "Im Moment sprechen alle Menschen von Talkshows. Wir machen daher ein Programm, in dem zwei Menschen nicht mehr miteinander reden, sondern nur noch talken – und zwar in verschiedenen Figuren. Das ergibt quasi den permanenten Talk." - "Wie soll das Programm heißen?", fragte er mich bereits ein wenig amüsiert. "Es soll 'Talk für Talk' heißen." - "Ah, das klingt schon ganz gut." Wir sprachen dann weiter und beschlossen, diese Idee später noch zu vertiefen. Ich sollte dann einige Zeit später nach Kitzbühl kommen, wo er im Skiurlaub war. Ich fuhr also nach Kitzbühl. Dort fuhren wir gemeinsam im Skilift nach oben: er vor mir, ich hinter ihm. Und auf einmal drehte er sich während dieser Liftfahrt um zu mir und schrie: "Talk täglich!" Ich rief zurück: "Auch gut!" So war unser erstes Programm geboren. Das war ein Blitzstart aus dem Nichts ganz nach oben und so ist es dann geblieben all die Jahre mit ihm. Kastan: Heute könnte man über diesen Titel gar nicht mehr lachen, denn heute gibt es ja diese Talkshows wirklich täglich: überall und auf allen Programmen. Schneyder: Ja, auch der Titel ist uns wahrscheinlich unschuldigerweise sogar schon mehrfach geklaut worden. Kastan: Es gab tatsächlich mal eine Sendung, die "Talk täglich" hieß. Schneyder: Ja. Kastan: Schauen Sie sich Talkshows an? Schneyder: Kaum. Allenfalls solche, in denen ich dabei bin – aber auch die erst drei Jahre später, damit ich keine Aggressionen kriege. Kastan: Man kann dann ja auch feststellen, wie man sich selbst verändert. Schneyder: Ja. Kastan: Danach fing eine lange, gemeinsame Periode mit Hildebrandt an. Ich glaube, es waren dann acht Jahre, in denen Sie zusammengearbeitet haben. Schneyder: Ja, wir waren acht Jahre zusammen. Kastan: Sie haben dabei fünf Programme gemacht, mit denen Sie unglaublich erfolgreich waren. Schneyder: Ja. Und wir hatten auch, wie ich jetzt im Nachhinein leicht sagen kann, das Glück, so gescheit zu sein, im richtigen Moment aufzuhören. Wir haben vor unserem letzten Duoprogramm gesagt, dass für uns der Weg ausgeschritten ist: "Wir haben alles, was uns beide zusammen ausmacht, ausgereizt, wir sollten daher das nächste Programm als letztes Programm schreiben." Über den Titel dieses letzten Programms, das mag jetzt vielleicht ein bisschen unwahrscheinlich klingen, haben wir drei Tage nachgedacht: Wir brauchten drei Tage, um auf "Ende der Spielzeit" zu kommen. Wir haben ein unglaubliches Brainstorming veranstaltet, bis wir endlich diesen Titel hatten. Bei meinen Soloprogrammen war es dann genauso: Ich habe mit ungefähr 55 Jahren gesagt, dass ich mit 60 Jahren aufhöre damit. Ich habe dann das Programm, das ich mit 57 Jahren herausgebracht habe, "Abschiedsabend" genannt. Dieses Programm habe ich mit Mutationen fast drei Jahre lang gespielt. Das war übrigens auch mein erfolgreichstes Programm, so wie damals das "Ende der Spielzeit" auch unser erfolgreichstes gemeinsames Programm gewesen war. Auf diesem Gebiet hat also die Planung zwei Mal wirklich genau gepasst. Kastan: Was hatte Hildebrandt, was Sie nicht haben und umgekehrt? Schneyder: Der Hildebrandt hatte und hat ja noch die Fähigkeit, Dinge in kürzester Zeit umzusetzen und in den Griff zu bekommen. Er ist ein Mann, der sich noch eine halbe Stunde vor der Vorstellung in der Garderobe eine Textvariation überlegen kann – sie möglicherweise notiert – und sie dann auf der Bühne auch bringt. Davon abgesehen kann er etwas, was mir damals neu war: Er kann das Stottern schreiben. Das heißt, er kann sich diese quasi improvisierte Sprechweise bereits notieren. In seinen besten Kabarettsoli waren daher die besten und genauesten Versprecher vorher sehr genau und eindeutig gesetzt. Das war mir völlig neu, denn ich war damals noch ein bisschen gläsern: Ich war der Ausgestellte mit der Sprache, der immer ganz genau sein musste usw. Er hat von mir gelernt, dass man nicht einfach Nummer an Nummer reihen kann, sondern dass auch dieser Beruf des Kabarettisten sehr viel mit Dramaturgie zu tun hat. Man muss so ein Programm nämlich thematisch aufbauen und man muss auch innerhalb einer Nummer auf die Dramaturgie aufpassen. Das heißt, man kann eine Pointe nicht dort sprechen, wo sie einem einfällt. Stattdessen muss man sie dort sprechen, wo sie hingehört. Am Anfang war er da manchmal ganz baff, wenn ich gesagt habe: "Du, da ist was falsch, die Nummer läuft falsch, sie müsste viel eher so und so laufen!" Ein hoch intelligenter Mann wie er – und auf diesem Gebiet so offen wie ich auch seinem Können gegenüber – hat das jedoch sofort umsetzen können. Kastan: Haben Sie oft gestritten miteinander? Schneyder: Gestritten? Nie. Wir haben diskutiert, wir haben auch politisch diskutiert, aber wir waren dabei nie gereizt. Nein, das waren wir nie. Kastan: Das war also eine ideale Paarung, aber irgendwann sagten Sie dann doch, dass der Zeitpunkt gekommen ist, an dem alles ausgereizt ist. Sie haben dann einen klaren Schnitt gemacht. Tut das eigentlich weh, wenn man eine für einen selbst doch so wichtige Epoche plötzlich beendet? Schneyder: Natürlich. Aber ich glaube überhaupt, dass das Leben aus Abschieden besteht. Wir verabschieden uns doch permanent von Lebensaltern, von Lebenspartnern, von Berufspartnern, von körperlichen Fähigkeiten usw. Damit ich das nicht zu sehr dramatisiere, rede ich mir bei jedem Wiener Schnitzel, das ich esse, ein, dass ich beim letzten Bissen einen unendlichen Abschiedsschmerz verspüre. Aber, es ist gegessen! Kastan: Und ein neues Schnitzel wird kommen. Schneyder: Ja, es wird ein neues Schnitzel kommen. Kastan: Das ist dann die große Hoffnung, die man hat. Schneyder: So ist es. Kastan: Wenn Sie von heute aus auf diese acht Jahre mit Dieter Hildebrandt zurückblicken: Gibt es da eine Nummer, von der Sie sagen, dass das die beste Nummer war, die Sie zusammen je hatten? Schneyder: Es ist schwer, da etwas einfach so herauszuklauben. Im letzten Programm, also in "Ende der Spielzeit", gab es aber eine Nummer, für die das vielleicht zutrifft. Das war eine Parodie auf ein Lied in der "Fledermaus" von Johann Strauß, auf dieses Lied der großen Verbrüderung. Daraus haben wir eine eigene Nummer gemacht, bei der Hildebrandt übrigens wunderschön gesungen hat: Er hatte immer eine Scheu vor dem Singen, dabei kann er das eigentlich sehr gut. In dieser Nummer haben wir diese "Umarmungs"- Gesellschaft verhöhnt, bei der Menschen, die einander eigentlich ins Gesicht spucken müssten, so tun, als wären sie die besten Freunde. Diese Gesellschaft haben wir in der Nummer hochgenommen. Kastan: Sie haben dann also als Solist weitergemacht. Schneyder: Ja, 14 Jahre lang. Kastan: Dabei hatten Sie Mitte der achtziger Jahre auch die Möglichkeit, in der DDR aufzutreten. Ich glaube, Sie waren der erste nicht-kommunistische Kabarettist, der in Leipzig in der "Pfeffermühle" auftreten durfte. Hat das Spaß gemacht? Schneyder: Das war mehr, das Wort "Spaß" reicht hier nicht. Das war unbeschreiblich aufregend. Das war natürlich auch eine Geschichte, die einen ganz bestimmten Vorlauf und auch so ihre Ecken hatte. Peter Horton hatte damals in der ARD eine Chansonsendung in Hamburg. Dort bin ich aufgetreten und habe zwei Liebeslieder gesungen. Es läutete danach dann eines Tages plötzlich das Telefon bei mir und es meldete sich folgende Stimme: "Hier ist das staatliche Fernsehen der Deutschen Demokratischen Republik, Rostock. Wir haben eine Sendung mit Namen die 'Rostocker Musenmühle'. Dafür haben wir immer einen internationalen Gaststar bei uns. Möchten Sie nicht demnächst dieser unser Gaststar sein? Denn wir haben jetzt auf NDR gehört, dass Sie auch Unpolitisches machen." Ich dachte mir, dass das eine einmalige Chance wäre, mal dorthin zu kommen und zu schauen, wie es dort aussieht. Wie hätte ich ansonsten in die DDR kommen sollen? Gut, als Boxringrichter war ich davor schon mal in Ostberlin gewesen. Ich habe also zugesagt, dort aufzutreten. Einige Zeit, nachdem der Vertrag für diese Sendung unterschrieben war, rief mich die Leipziger "Pfeffermühle" an und sagte: "Wir hören, Sie kommen in unsere Republik." - "Ja, ich komme in Ihre Republik." - "Hätten Sie nicht Lust, auch bei uns aufzutreten?" Wie sich später herausstellte, war der Leiter der Leipziger "Pfeffermühle" der Moderator der "Rostocker Musenmühle". Da muss also schon im Vorfeld irgendwie ein Ding gelaufen sein. Ich habe das nie genau recherchiert, aber es war dann jedenfalls tatsächlich so, dass ich in Leipzig zwei Abende gespielt habe. Ich habe dort natürlich nicht das Programm aus München eins zu eins gespielt. Stattdessen habe ich aus zwei, drei Programmen, die ich damals hatte, Nummern herausgenommen, von denen ich dachte, dass sie dort in Leipzig richtig platziert wären. Das war wirklich alles unglaublich aufregend. Kastan: Und einige Jahre später konnten Sie sogar mal mit Hildebrandt gemeinsam auftreten in der "Pfeffermühle". Schneyder: Ja, das war in der Zeit, in der Hildebrandt und ich bereits getrennt waren. Das war dann erst im Jahr 1984. Als ich nämlich zum zweiten Mal in Leipzig gewesen war, hatte man zu mir gesagt: "Du könntest uns einen Gefallen tun." - "Welchen?" - "Wir hätten so wahnsinnig gerne den Hildebrandt mal bei uns." - "Da kann ich aber nichts dafür tun." - "Den kriegen wir normalerweise nicht zu uns rein, weil das eben 'BRD' ist. Wenn du aber noch einmal mit ihm im Duo arbeiten würdest, dann könnten wir dich engagieren – und deinen Partner!" So wurde das dann auch tatsächlich arrangiert. Das hat ganz bestimmt irgendein vernünftiger Mensch im Ministerium decken müssen, das ist klar. Es wurden also von der "Pfeffermühle" engagiert: "Werner Schneyder, Österreich, mit Partner Dieter Hildebrandt." Ich hatte den Dieter also quasi im Gepäck. Kastan: Er ist gerne mitgereist, wie ich mir denke. Schneyder: Klar. Kastan: Ich nehme an, dass Sie da vor ausgesuchtem Publikum auftraten? Schneyder: Jein. Es war zunächst einmal natürlich ein ausgesuchtes Publikum, aber ein gewisser Restprozentsatz an Plätzen muss dann wohl auch über die Kasse gelaufen sein. Das war schon sehr berührend: Das sind manche Menschen drei Tage und drei Nächte um Karten angestanden in Leipzig. Das war so, als würde in Wien der Domingo den "Othello" singen. Es war wirklich der blanke Irrsinn. Es gibt in dem Zusammenhang noch eine ganz interessante Geschichte. Der letzte Abend von uns war im Leipziger "academixer"-Keller. Das war eine geschlossene Veranstaltung für alle Kabarettisten der DDR. Die DDR hatte ja überall Kabarettensembles verordnet: Es gab überall in der DDR diese von den Politikern abgenommen Kabarettensembles mit ihren „systemkritischen“ - im Sinne von systemerhaltenden - Programmen. Der Hildebrandt sagte zu mir vor der Vorstellung: "Mein Gott, das wird ein furchtbarer Abend, lauter Kollegen!" - "Du, das wird kein furchtbarer Abend, weil die Kollegen hier anders sind. Ich kenne sie nämlich." Das war dann auch wirklich der Wahnsinn. Am Schluss schrien sie alle im Chor: "Wiederkommen, wiederkommen, wiederkommen!" Da habe ich zum ersten und einzigen Mal in den Augen des Hildebrandt Tränen gesehen. Da hat er hinter dem Vorhang zu mir gesagt: "Für diesen Abend hat sich der ganze Beruf ausgezahlt!" Kastan: Wahnsinn! Wie frech durften Sie da eigentlich sein? Schneyder: Nun, wir waren unfassbar listig. Das heißt, so unfassbar listig war das gar nicht, denn im Grunde genommen haben wir nur eine uralte Satiremethode angewandt. Wir haben nämlich ununterbrochen auf den Westen geschimpft und die Missstände angeprangert, von denen wir wussten, dass sie im Osten noch viel krasser sind. Danach sagten wir dann einfach immer nur: "Wissen Sie, bei Ihnen ist das ja alles ganz anders. Denn im Sozialismus kommt so etwas nicht vor, weil das doch die überlegene Gesellschaftsordnung darstellt." Kastan: Peter Ensikat ist dieser große Kabarettist, der bereits zu DDR-Zeiten dort sehr bekannt war. Er hatte es damals nämlich immer wieder geschafft, sich gegen das dortige Systeme durchzusetzen. Heute ist er der künstlerische Leiter der "Distel". Er war damals wohl ein bisschen zornig auf Sie, als er diese Vorstellung sah, weil Sie zu wenig „reingehauen“ hätten in die DDR. Heute, sagt er, versteht er das besser, weil er in der Zwischenzeit wohl auch mal mit Ihnen bzw. Dieter Hildebrandt darüber gesprochen hat. Heute sagt er: "Na ja, die wollten halt auch wiederkommen und sagten sich daher, dass man sich da beim ersten Auftritt nicht gleich die Tür zuschlagen darf." Schneyder: Der Ensikat betreibt hier Geschichtsfälschung! Er ist ein ganz besonders gescheiter und auch lieber Freund von mir, aber in diesem Punkt hat er absolut unrecht. Denn diejenigen Leute, die unser Gastspiel zu verantworten hatten, haben mir später mal erzählt, dass sich das ein Jahr lang politisch nicht beruhigt hatte. Wir waren an der äußersten Grenze dessen, was möglich war: Wir waren manchmal sogar ein paar kleine Zacken über dem, was möglich war. Es hat ganz einfach mit dem Selbstwertgefühl des damaligen DDR-Kabarettisten zu tun, wenn er hinterher ankam und sagte: "Ihr wart großartig, aber warum wart Ihr so sanft?" Da kann ich nur sagen, ach Gott, ach Gott. Denn wenn der Ensikat gesagt hätte, was wir gesagt haben, dann wäre er im Gefängnis gelandet: Das könnte ich ihm heute noch nachweisen. Kastan: Es haben sich im Laufe der Jahrzehnte der deutschen Teilung im Grunde genommen zwei Kabarettszenen entwickelt: Auch jetzt nach der Wiedervereinigung kann man das noch feststellen. Es gibt das Kabarett in den neuen Ländern und es gibt das Kabarett in den alten Ländern. Woran liegt das, dass es so schwer ist mit der Annäherung und Angleichung dieser beiden Szenen? Schneyder: Nun ja, das kann erst nach einem Generationswechsel angeglichen sein. Denn die Kollegen, die bereits in der DDR Kabarett gemacht haben, hatten dafür einen eigenen Stil entwickeln müssen: Da musste man mit sehr leisen Wirkungen arbeiten, da musste man sehr indirekt sein, da war man demgemäß natürlich auch sehr literarisch, da hat man in Gleichnissen gesprochen usw. Wenn man so etwas mal 20 Jahre gemacht hat, dann kann man nicht sagen, dass man nun ab morgen ganz direkt oder unverschämt oder polemisch werden wird. Wenn man sich vornimmt, das ab morgen zu sein, dann ist man dabei u. U. womöglich gar nicht mehr so gut wie früher: Man hatte das halt in der Weise nicht so gelernt. Für den Kabarettisten aus dem Westen war es damals natürlich unbeschreiblich toll, vor diesem Publikum der ehemaligen DDR zu spielen: Denn sie haben selbstverständlich jeden Halbsatz verstanden! Wenn man hier im Westen vor der Pointe eine Pause machen und den Leuten durch die Interpretation quasi helfen musste, damit sie draufkommen, dass es da nun einen Untertext, eine zweite Ebene im Text gibt, konnte man dort an so einer Stelle gnadenlos durchsprechen: Die Leute haben sich nass gemacht vor lauter Lachen. Kastan: Das waren sicherlich Ereignisse, an die Sie gerne zurückdenken und die Sie vielleicht auch geprägt haben. Schneyder: Ja, absolut. Kastan: Kabarettisten haben ja immer so ein bisschen das Image, Linke zu sein. Ist das berechtigt? Schneyder: Wenn das Links-Rechts-Muster heißt, dass der Linke der Kritische und der Rechte der Angepasste ist, dann soll das meinetwegen stimmen. Im Sinne der politischen Parteienstruktur stimmt das mit Sicherheit nicht: Denn Satire ist Kontrolle der Macht, ist literarische Kontrolle der Macht mit dem Mittel des Spotts, der Parodie, der polemischen Desavouierung usw. Hildebrandt/Schneyder haben gespielt zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition. Das war eine Zeit, in der dumme Journalisten schrieben, dass die Zeit für politische Kabarettisten nun vorbei sei, denn nun haben sie ja die Regierung, die sie immer haben wollten. Diese Journalisten haben allen Ernstes geglaubt, dass Freunde des Palme-Brandt-Kreisky-Sozialismus einer Regierung von Helmut Schmidt völlig unkritisch gegenüber stehen würden. Das war natürlich völlig idiotisch. Kastan: In dem Zusammenhang sehen Sie also das Label "links" nicht so starr. Aber dieses Label war vermutlich doch der Grund dafür gewesen, dass man Sie in die DDR hineingelassen hatte: Denn dort dachte man, dass Sie jemand seien, der immer kräftig auf die Regierung der Bundesrepublik einschlägt. Schneyder: Nein, in die DDR hat man mich hineingelassen, weil ich Österreicher bin. Wir waren ein neutrales Land, wir waren nicht in der NATO und wir hatten gute Handelsbeziehungen zur DDR. Unser Kreisky hat natürlich mit der DDR ordentlich gute Geschäfte gemacht. Kastan: Was kam dann danach? Davor hatte es ja dieses Duo Hildebrandt / Schneyder gegeben – einschließlich dieses Auftritts in der DDR. Danach traten Sie dann alleine auf: Was kam dann? Schneyder: Ich habe mein erstes Soloprogramm mit drei Musikern in Zürich getestet. Ich habe mir gedacht, dass es wenigstens niemand erfährt, wenn es alleine nicht funktioniert, wenn ich dafür bis nach Zürich gehe. Es hat aber funktioniert. Danach kamen dann Auftritte in Stuttgart usw. Ich habe damals München für den "Broadway" gehalten, wohl mit Recht, und ich habe mich auch oft an diesem "Broadway" versucht. Ich machte also mein erstes Soloprogramm mit drei Musikern. Kurze Zeit später schon kam ein neuer Pianist hinzu: Dieser neue und junge Pianist – das ist der mittlerweile berühmt gewordene Christoph Pauli – brachte drei junge Musiker mit, von denen dann zwei geblieben sind. Wir waren 14 Jahre lang zusammen! 14 Jahre lang waren das meine musikalischen Begleiter! Daher hatten meine Programme auch immer eine starke musikalische Schlagseite. Ich habe auch mal ein reines Chansonprogramm und ein reines Wortprogramm gemacht. Mit dem letzten Programm "Abschiedsabend" waren es insgesamt acht Soloprogramme, die ich gemacht habe. Kastan: Wir haben vorhin schon über die Politik gesprochen: Hatten Sie und haben Sie auch viel Kontakt zu Politikern? Schneyder: Ja. Kastan: Mögen sie die alle? Sagen die Politiker, der Schneyder sei ein guter Typ? Oder ärgern sie sich auch oft über Sie? Schneyder: Sie reiben sich an mir. Es gibt Leute, die sagen: "Mit diesem unverschämten Menschen möchte ich nichts zu tun haben!" Aber andere wiederum sagen: "Das Gespräch mit ihm ist interessant, es kommt immer etwas heraus dabei." Kastan: Sie haben ja Ihr neuestes Buch mitgebracht, "Ansichten eines Solisten. Wortmeldungen und Nachreden ". Vielleicht könnten Sie mal ein kleines Stück daraus im Hinblick auf den Dialog mit Politikern vorlesen. Das Kapitel heißt "Intellektuelle im Dialog mit Politikern". Schneyder: Das mache ich sehr gerne und ich kürze es auch an einer Stelle, damit das nicht zu lange wird. "Gelegentlich wird nach dem Verhältnis zwischen Politikern und Intellektuellen gefragt. Da muss man doch gleich einmal rückfragen, aufgrund welcher Erfahrungen man annimmt, unter Politikern seien Intellektuelle nicht vertreten, Intellektuelle hätten nie den Entschluss gefasst, Politiker werden zu wollen. Die Rückfrage provoziert die Wahrheit. Intellektuelle, die Politiker geworden sind, begannen sich auf populär, bürgerlich, volkstümlich, genossenhaft zu schminken, bis die Schminke zur unabkratzbaren Maske erstarrt war. Sie schämen sich aus pragmatischen Gründen ihres Intellekts und halten ihn auch in der eingetretenen Verkümmerung verborgen. Bei Intellektuellen ist ein ähnlicher Deformationsprozess zu beobachten. Manche haben den Verdacht, ihre politischen Ziele als Politiker besser vertreten zu können denn als freischwebende Geistesgrößen, und müssen also vor sich begründen, warum sie politisches Wirken schwänzen und basteln sich daher eine Begründung dafür, indem sie Politik als mieses, deformierendes Geschäft entlarven, mit dem ein intellektuell Anständiger oder ein anständiger Intellektueller nichts zu tun haben dürfe. Es gibt bei Politikern eine schauerliche Scham davor, öffentlich den Verdacht aufkommen zu lassen, ihre Haltung begründe sich auf zitierbare Philosophen, Erkenntnistheorien oder geisteswissenschaftliche Gebäude. Sie werden von sich oder ihren geistigen Garderobieren ständig davor gewarnt, vor das Volk hinzutreten und zu sagen: ‚Freunde, dieses Buch habe ich für euch gelesen, weil Ihr erstens ohnehin keine Zeit dafür hättet und es zweitens nicht so begreifen könntet wie ich. Daher sage ich euch, ich habe aus diesem Buch Folgendes gelernt und werde, mit eurer gütigen Wählerstimmenerlaubnis, daran gehen, das Gelernte zu realisieren.‘ Nein, diese Politiker sagen: ‚Ich bin ein genauso armes, besorgtes und überarbeitetes Würstel wie du. Aber miteinander werden wir aus der Scheiße schon irgendwie herauskommen. Wähl mich!‘ Bei Intellektuellen sieht das wiederum so aus: Keiner hat die Entschlossenheit zu der einfachen Begründung: ‚Wählen Sie den Meier, denn der Müller ist der weit ärgere Pfuscher!‘ Ohne einen tief greifenden Hinweis auf die politisch-philosophischen Basistheorien der Herren Meier und Müller und deren Stellung zur drohenden Apokalypse tun sie es ungern..." Kastan: Herzlichen Dank. Politiker sind also doch auch Intellektuelle? Schneyder: Zum Teil. Es sind ja auch nicht alle Intellektuellen intelligent. Kastan: Das ist richtig. Schneyder: Und je politischer sie sich geben, desto dümmer wird es manchmal. Kastan: Über österreichische Politiker äußern Sie sich regelmäßig, vor allem auch über Haider, denn den mögen Sie gar nicht. Lassen Sie uns also nicht über österreichische Politiker reden, sondern über deutsche und über das Deutschland heute. Wie sieht das der Österreicher Schneyder? Schneyder: Es hat schon etwas mit dem Haider zu tun, wenn man heute danach fragt, welcher Kanzlerkandidat in der Union diesen Herrn Schill verhindern kann. Normalerweise machen ja die Österreicher immer die Deutschen nach, aber hier waren die Österreicher mal die Vorreiter in dem Sinne, dass sie in Europa ein wirklich rechtspopulistisches Gefahrenmoment installiert haben. Jetzt steht die deutsche Innenpolitik ebenfalls vor diesem Problem. Kastan: Wie wird das gelöst werden? Was meinen Sie? Schneyder: Nun, da könnte ich jetzt viel Geld verdienen, wenn ich wüsste, wie man das lösen kann. Kastan: Lösen wird das so schnell keiner können, aber wir haben ja vorhin auch davon gesprochen, ob Kabarettisten links sind: Sie haben gesagt, dass Ihnen der Begriff "links" eigentlich nicht so passt und Sie sich eher als unangepasst sehen. Haben wir in unserem Land zu wenig unangepasste Menschen? Schneyder: In unserem Land? Da tue ich mir immer sehr schwer mit einer Antwort. Kastan: Ich meine den deutschsprachigen Raum: Denn es gibt ja viele Parallelen zwischen Deutschland und Österreich. Schneyder: Gibt es in Dänemark zu wenig kritische Dänen? Gibt es in Schweden zu wenig kritische Schweden? Ich glaube, dass es ein generelles Problem der Demokratie ist, dass die Menschen den Freiraum, den sie als Demokraten, den sie als Meinungsträger haben, nicht hinreichend wahrnehmen. Es gibt überall diesen vorauseilenden Gehorsam. Und es gibt, was noch viel schlimmer ist, einen nacheilenden Ungehorsam: Wenn irgendwo dann ein Tyrann gestürzt ist, dann waren plötzlich vorher immer schon alle dagegen gewesen. Ich bezeichne mich ja immer als österreichischen Patrioten, weil ich meiner Regierung in Österreich im Rahmen meiner Intelligenz, die natürlich auch beschränkt ist, nichts durchgehen lasse. Kastan: Und die Regierung hält sich immer daran? Schneyder: Natürlich nicht. Aber Patriotismus heißt tatsächlich, ständig für die Verbesserung der Gemeinschaft, für diesen Komplex namens Staat, für diesen Komplex namens Volk zu kämpfen: jeder an seinem Platz. Kastan: Sie haben gesagt, Sie fühlen sich als österreichischer Patriot: Sind Sie stolz Österreicher zu sein? Schneyder: Stolz? Na, wissen Sie, Stolz ist ein gefährliches Wort. Kastan: Deshalb frage ich ja. Schneyder: Ja, ja. Nein, ich finde es eher zufrieden stellend, Österreicher zu sein. Ich habe dafür auch einen sehr wichtigen Grund: Das hat nämlich mit meinem Verhältnis zum Kleinstaat zu tun. Ich bin Anhänger der übrigens in Österreich geborenen Theorie "small is beautiful". Ich finde es wunderbar, wenn man nicht so groß und stark ist, dass man sofort nach Afghanistan fliegen muss, um dort den "Frieden" zu organisieren. Ich finde es wunderbar, wenn man stattdessen zu Hause bleibt und sagen kann: "Bitte, wir sind ganz arm. Wir haben kein Benzin für unsere Flugzeuge für so etwas." Das ist mir viel lieber. Kastan: Unterscheidet sich eigentlich das Publikum in Österreich von dem Publikum in Deutschland, wenn Sie dort auftreten? Schneyder: Minimal. Ein Publikum, das zu einem Autor bzw. Kabarettisten kommt, der auf Lesereise bzw. auf Tournee ist – heute bin ich ja kein Kabarettist mehr – , geht ja gezielt dorthin. Es irren sich wirklich nur wenige in der Adresse bei solchen Veranstaltungen. Kastan: Auftreten tun Sie also nach wie vor und gelegentlich und immer wieder auch mit Dieter Hildebrandt. Schneyder: Ja, aber nur als Theaterschauspieler. Kastan: Also nur noch als Theaterschauspieler und nicht mehr als Kabarettist. Das Kapitel "Kabarettist" ist beendet für Sie? Schneyder: Ja, das ist absolut abgeschlossen. Wenngleich ich mich manchmal hinsetze und aus den Büchern, in denen meine Kabaretttexte stehen, so eine Art von montierter Lesung mache. So eine Lesung hat dann immer den heimtückischen Namen "Als ich noch Kabarettist war". Dadurch kann ich sozusagen durch die Hintertür noch ein wenig Satire betreiben – freilich nur noch in einem historischen Sinne. Kastan: Warum haben Sie gesagt, dass nun Schluss sei mit Kabarett? Schneyder: Das waren drei Gründe. Ich sage den Ernstesten zuerst: Politisches Kabarett nach meinem Verständnis ist die Notwehr einer Generation gegen das, was man ihr zumutet bzw. zumuten wird. Das heißt, das Kabarett ist naturgesetzlich eine Sache von Dreißigjährigen. Denn die haben ja noch etwas vor sich oder bekommen vielleicht gerade ihre Kinder bzw. haben gerade ihre Kinder bekommen. Es ist eine ziemlich unwürdige Situation, wenn man als 60-Jähriger auf der Bühne steht und unten sitzen 28-Jährige, die sagen: "Erstaunlich, wo der alte Mann diese Wut hernimmt!" Das ist das Eine. Der zweite Grund ist die körperliche Erschöpfung, die einem ein zweistündiges Solokabarett bereitet. Irgendwann einmal beginnt man nämlich zu wissen, es könnte einem auch schlecht werden auf der Bühne. Wenn mir schlecht wird, dann will ich aber, dass da möglichst kein Publikum dabei ist. Der dritte Grund ist, dass man erbärmlicherweise – und hier hadere ich mit meinem Gott – nur eine Biographie hat. Wir haben es ja zu Beginn schon angesprochen: Wenn man in seinem Leben vielerlei machen möchte, dann muss man eines Tages zu sich sagen: Ich habe zu wenig Theaterregie gemacht, ich habe eigentlich keine große Prosa geschrieben, ich bin mir dieses und jenes naturgemäß schuldig geblieben, denn 22 Jahre Kabarett hat mich komplett ausgefüllt. Ich nütze also jetzt die Zeit noch als Quereinsteiger und schaue, dass ich noch ein bisschen was los werde. Kastan: Wollen Sie vielleicht auch das verhindern, was Sie in dem Boulevardstück "Sunny Boys", um diesen Begriff von vorhin noch einmal aufzugreifen, spielen? Dort geht es doch um zwei Kabarettisten, die alt geworden sind, die in Ehren alt geworden sind, aber deren große Zeit einfach vorbei ist. Sagen Sie vielleicht auch deswegen, dass Sie diesen Status lieber nicht erreichen wollen? Schneyder: Nein, ich möchte weitermachen und weitermachen. Ich will machen, was möglich ist. Es gibt von dem hoch zu schätzenden Sir Peter Ustinov einen wirklich wunderbaren Satz. Auf die Frage: "Wie möchten Sie sterben?", hat er gesagt: "Nach einem Satz!" Diesen Satz nehme ich einfach für mich, das klaue ich ihm. Ich zitiere ihn natürlich schon als Autor dieses Satzes, aber das ist es wirklich: Ich möchte nach einem Satz sterben! Ich stelle mir da z. B. vor, ich sitze an der Schreibmaschine und schreibe gerade einen bösen Brief, der mit "Sehr geehrter Herr, wenn Sie noch einmal..." beginnt: Zack, da, in dem Moment soll es aus sein! Kastan: Von Ihnen erhoffen wir uns noch viele Sätze. Was steht als Nächstes auf dem Programm? Was wollen Sie demnächst machen? Schneyder: Das ganze Jahr 2002 ist erfreulicherweise verplant inklusive Urlaub. Was 2003 wird, wird sich ergeben. Es wird sicherlich eine ernsthafte Theaterregie kommen und ich werde vielleicht eine bereits begonnene größere Prosa weiterschreiben. Und ich werde viel vorlesen aus meinen Büchern, denn die Nachfrage nach Leseabenden aus diesem Buch ist Gott sei Dank sehr, sehr groß. Das ist etwas sehr Schönes, eine Lesereise, bei der man in den Zug einsteigt, mit leichtem Gepäck und nur einem Buch. Damit fährt man dann von Stadt zu Stadt, das ist sehr schön. Kastan: Sie wissen dann ja auch immer, was Sie lesen werden. Schneyder: Ja. Kastan: Ich bedanke mich herzlich für Ihren Besuch hier bei uns in Alpha-Forum. Jetzt komme ich schon wieder in die Schwierigkeit, wie ich Sie denn verabschieden soll. Ich sage einfach, das war Werner Schneyder. Schneyder: Ja, das wäre mir das Liebste. Kastan: Ein Name, ein Programm. Schneyder: Herr Kastan, es war mir eine Freude. Kastan: Mir auch, Danke schön. Ich hoffe, auch Ihnen hat dieses Gespräch Spaß gemacht. Das war Alpha-Forum.

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