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SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

Viva la Malibran! - Porträt einer Diva (3)

Mit Sylvia Roth

Sendung: 24. Mai 2018 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2018

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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SWR2 Musikstunde mit Sylvia Roth 22. Mai – 25. Mai 2018 Viva la Malibran! - Porträt einer Diva (3)

Viva la Malibran! Porträt einer Diva ... zu der Sie Sylvia Roth begrüßt, guten Morgen! Diese Woche geht es um die Opernsängerin : Nachdem wir gestern erlebt haben, wie die Diva als Komet am Pariser Opernhimmel aufgestiegen ist, verfolgen wir heute ihre künstlerische Karriere weiter – und werfen dabei auch einen indiskreten Blick auf ihr Liebesleben ...

Maria Malibran hat sich zur Pariser Attraktion gemacht: Einzig und allein ihrer Gesangskunst wegen reisen Aficionados aus aller Welt an die Seine – sogar zwei Häuptlinge aus dem Stamm der Cherokees pilgern für einen Opernbesuch von Baltimore nach Paris. Marias Gagen wachsen ins Unermessliche, sie inspiriert Komponisten, Dichter und bildende Künstler zu Werken. Bald werden die Nachbarn neidisch: Nicht nur in Paris, nein, auch in lechzt man nach Auftritten der großen Stimmvirtuosin. Also erweitert Maria ihren bühnengeographischen Radius.

London ist ein begehrtes Pflaster für Virtuosen aller Couleur: Die kulturbesessenen Briten feiern Künstler nicht nur in Opernhäusern, sie reichen sie ebenso gerne bei Musikfestivals umher und laden sie zu gut bezahlten Vorstellungen in ihre Salons. Eine Londoner Saison ist anstrengend, aber lukrativ für die Interpreten – morgens Konzerte, abends Vorstellungen, danach noch ein Auftritt bei einer Privatsoirée ... Nicht „faire de l'art“, sondern „faire de l'ar-gent“ pointiert Marias Schwester Pauline es später – also nicht Kunst machen, sondern Geld.

M 01: Charles Edward Horn: Cherry Ripe (1'55) I: (Gesang), Richard Bonynge (Cembalo) CD: Vocal Recital Joan Sutherland, Alto / Musical Concepts, ALC 1185, LC 30388

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Reife Kirschen in den Londoner Straßen zu verkaufen – vom englischen Komponisten Charles Edward Horn vertont, von Joan Sutherland gesungen.

Maria wird mit höchster Spannung in London erwartet: Im Alter von 17 Jahren hat man sie an der Themse als vielversprechende Debütantin García erlebt, nun kommt sie vier Jahre später als berühmte Malibran zurück. Im April 1829 singt sie im King's Theatre die Desdemona – und einem dieser Auftritte wohnt auch - Bartholdy bei.

Anfangs reagiert er skeptisch auf das leidenschaftliche Spiel der Malibran – so etwas kennt man im biedermeierlichen Deutschland nicht ... Dann aber ist auch er überwältigt: „Es gibt Stimmen, deren bloßer Ton einen zum Weinen stimmt,“ schreibt er an seinen Freund Eduard Devrient, „eine solche hat sie, und singt damit sehr ernsthaft und feurig und zart, und kann auch spielen. Du solltest sie sehen!“

Derart schwärmerisch berichtet Mendelssohn nach Deutschland, dass seine Eltern sich Sorgen machen, er verliere womöglich sein Herz an die Diva. Doch als auch Mendelssohns Vater Abraham einige Zeit später Malibran erlebt, ist er nicht minder hingerissen: „Welch ein Strömen, Sprudeln, Brausen von Kraft und Geist, von Laune und Übermut, von Leidenschaft und Esprit, welche Keckheit und Sicherheit der Mittel,“ schreibt er seiner Frau nach Berlin. „Sie liebte, schmachtete, ruderte und trommelte mit so wunderbarer Sicherheit, mit so übermütiger Beherrschung (...) aller ihrer unerschöpflichen Mittel, dass man wirklich von ihr sagen kann: Sie sang Lieder ohne Worte, sie sang Gefühle, Stimmungen, Situationen.“

Trotz ihres stattlichen Pensums an Auftritten – „faire de l'ar-gent...“ – knüpft Maria in England zahlreiche Freundschaften. Eine besonders innige pflegt sie zur Familie des Pianisten und Komponisten Ignaz Moscheles: Der schwärmt in seinem Tagebuch von Malibrans Virtuosität, ihrem „musikalischen Genie“ –und widmet eben diesem Genie ein klingendes Denkmal: In seiner Komposition „Bijoux à la Malibran“ übersetzt er Marias vokale Feuerwerke in perlende Klaviermusik.

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M 02: Ignaz Moscheles: Fantaisies dramatique sur des Airs favoris. Biijoux à la Malibran, op. 72 Nr 4 (3'50) I: Michael Krücker (Klavier) CD: Pastels MA 9709829, LC 05057

Hommage an die Verzierungskunst Maria Malibrans: Die „Bijoux à la Malibran“ von Ignaz Moscheles; der Pianist Michael Krücker spielte uns einen Auszug daraus.

Doch was für ein Mensch pulsiert hinter den Verzierungen und Koloraturen, hinter den zahlreichen Bühnenfiguren, die Maria Malibran verkörpert? Ganz eindeutig eine Frau mit einem ungewöhnlichen, mutigen, geradezu modernen Charakter: Sie liebt Ausritte, je wilder, desto besser – „Maria singt wie ein Engel und reitet wie ein Teufel,“ frotzeln die Freunde. Wenn ein Kutscher nicht schnell genug fährt, verfrachtet sie ihn ins Wageninnere und übernimmt die Zügel selbst. Sie läuft gerne in Männerkleidern umher, ist eine exzellente Schützin und schlagfertige Fechterin. Frauenrechtlerinnen bewundern ihre unerschrockene Persönlichkeit, Männer zeigen sich eher schockiert. So etwa beschwert der biedermeierliche Komponist Otto Nicolai sich über Marias „freies, fast männliches Benehmen“ und spottet: „Sie mag wohl auf dem Theater von angenehmerer Wirkung sein, denn da ist ja Ungeniertheit eine Bedingung der vollkommenen Kunstleistung.“ Kurze Zeit später ist er dann aber so hingerissen von Maria, dass er ihr einen Heiratsantrag macht.

Sie ist gebildet, spricht fünf Sprachen, verschlingt Bücher aus allen Epochen der Weltliteratur. Immer trägt sie einen Zeichenblock bei sich: Bei Proben portraitiert und karikiert sie ihre Opernkollegen in flüchtigen Skizzen – und manchmal entwirft sie auch ihre Bühnenkostüme selbst. Sie besitzt eine derart schnelle Auffassungsgabe, dass sie ein Stück am Morgen lernt und es am Abend singt – wobei sie selbstverständlich nicht nur ihre eigenen, sondern auch alle anderen Partien einer Oper beherrscht, die Klavierbegleitung mit eingeschlossen. Rossini jedenfalls resümiert: „Sie übertraf (...) alle Frauen, die mir begegnet sind, durch ihre geistige Überlegenheit, ihr breit gefächertes Wissen und ein rasantes Temperament, von dem man sich nicht die geringste Vorstellung machen kann.“

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Und noch eine Fähigkeit besitzt sie, die zu ihrer Zeit eigentlich nur Männern zusteht: Sie komponiert.

M 03: Maria Malibran: Les Brigands (2'30) I: Katherine Eberle (Gesang), Robin Guy (Klavier) CD: From a Woman's Perspective, Vienna Modern Masters, 5788-82005-2, LC 02872

Ein Überfall, der Blut, aber auch Gold einbringt: Zwei Räuber auf frischer Tat vertont – „Les Brigands“, eine Komposition von Maria Malibran, gesungen von Katharine Eberle, begleitet von Robin Guy am Klavier.

Die meisten von Maria Malibrans Kompositionen entstehen zum Zeitvertreib. Es sind Gelegenheitsminiaturen, während der Proben aufs Papier geworfen, melancholische Nocturnes, Barkarolen, Lieder. Eher schlicht gesetzt gleichen sie in keinster Weise den virtuosen Partien, die Maria als Primadonna auf der Bühne interpretiert. Es sind Geschenke für ihre Freunde, gedacht für eine Aufführung im Salon, zu später Stunde, wenn alle schon ein wenig betrunken sind.

Manche ihrer Lieder veröffentlicht sie in insgesamt vier Liedsammlungen, die bereits zu Lebzeiten erscheinen – typisch für den Stil von Maria Malibran ist etwa die Romanze „Le prisonnier“: Eine Ballade über einen Gefangenen, der sich in seiner Zelle nach Freiheit sehnt. Einzig und allein durch den Gesang zweier Mädchen, die jeden Tag in einem Boot an seinem Gefängnis vorbeifahren, erlebt er die Außenwelt. Lotte Lehmann und Renée Doria singen dieses kleine Duett in einer historischen Aufnahme:

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M 04: Maria Malibran: Le prisonnier (3'00) I: Renée Doria, Lotte Lehmann (Gesang), Maïtie Etcheverry (Harfe) CD: Hommage à la Malibran, 1960, BnF Collection 2016

Renée Doria und Lotte Lehmann mit Maria Malibrans „Le prisonnier“.

Ein innerer Motor treibt Maria an, ihre Energie scheint unerschöpflich. „Sie war verrückt, konnte keine Sekunde stillsitzen,“ charakterisiert ihre Schwester Pauline sie später. Doch hinter der Unruhe steht eine große Härte gegen sich selbst: Egal, was passiert, La Malibran tritt auf. Halsschmerzen? Kein Grund, die Vorstellung abzusagen. Blasen auf den Lippen? Kann man mit einer Schere zerschneiden und blutend auf die Bühne gehen. Ein gebrochener Arm? Undenkbar, dass die Malibran deshalb ihr Publikum im Stich lässt. Ihr Resumée, nachdem sie die Vorstellung mit dem Arm in der Schlinge bewältigt hat: „Noch nie haben die Leute so viel geklatscht, obwohl ich ja geradezu handlungsunfähig war. Ich sollte in Zukunft weniger spielen.“

Hart ist Maria auch im Umgang mit ihren Konkurrentinnen, obwohl in der Überlieferung meist anderes behauptet wird: In Marias erster Londoner Saison treten zur selben Zeit auch und Henriette Sontag auf – eine Herausforderung für alle drei Sängerinnen. Maria kennt Pasta seit ihrer Kindheit, verehrt sie, hat ihr als Jugendliche schwärmerische Briefe geschrieben – die zehn Jahre ältere Kollegin ist eher ein Ansporn denn eine Bedrohung. In Bezug auf Henriette Sontag sieht das schon anders aus: Nur zwei Jahre älter als Maria, ist die Deutsche Webers ideale Agathe, ein blonder, engelhafter Frauentypus, ganz anders, als ihn die wilde Malibran verkörpert. Dementsprechend fallen die Vergleiche aus: „Wenn die Sontag sang, dann kamen die Töne so schimmernd und perlend aus ihrer Kehle, dass man von einer reinen Woge des Lichtes reden konnte,“ berichtet Ernest Legouvé. „Die Stimme der Malibran (hingegen) glich dem kostbarsten Metall, es war Gold, aber dieses Gold musste aus der Tiefe der Erde heraufgeholt werden ... Man musste es schmieden, prägen, geschmeidig machen wie das Metall unter dem Hammer.“

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Weder Henriette Sontag noch Maria Malibran passt es, dass sie in London in gemeinsamen Duetten auftreten müssen. Als bekannt wird, dass Sontag von ihrem Geliebten, dem Diplomaten Rossi, schwanger ist, schlachtet Malibran dies genüsslich aus: „Sie hat keine so hübsche Taille mehr,“ schreibt sie schadenfroh an ihren Mann nach Amerika und erzählt, Sontags gesellschaftliche Reputation sei „wie ein Soufflé“ in sich zusammengefallen. Als Henriette Sontag nach der Heirat mit Rossi die Bühne erst einmal verlässt, ist Maria von ihrer schärfsten Konkurrentin befreit – bis dahin aber treten die beiden in vielen Vorstellungen gemeinsam auf. In Rossinis „“ etwa verkörpern sie ausgerechnet ein Liebespaar – allerdings eines, dessen Liebe zahlreiche Hindernisse, Intrigen und auch Streits überwinden muss.

M 05: Gioacchino Rossini: “Tancredi”, Duett Tancredi, Amenaide: „Lasciami non t'ascolto“ (2. Akt) (5'57) I: Vesselina Kassarova, Eva Mei (Gesang), Münchner Rundfunkorchester, ML: Roberto Abbado CD: Duets, BMG Classics, 82876 52929 2, LC 00316 M0081501 008

Das Duett zwischen Amenaide und Tancredi aus Rossinis „Tancredi“: Henriette Sontag und Maria Malibran sangen es in London gemeinsam – wir hörten es in der SWR2 Musikstunde mit den Stimmen von Vesselina Kassarova und Eva Mei sowie dem Münchner Rundfunkorchester unter Roberto Abbado. Die gemeinsamen Auftritte von Malibran und Sontag sorgen in London für höchste Begeisterung: Über das eben gehörte Duett schreibt die Presse, es sei so perfekt dargeboten gewesen, als hätten die beiden Frauen mit einer einzigen Stimme gesungen.

Ebenso wie in Paris, tritt La Malibran auch in London vornehmlich als Rossini- Sängerin auf – füllt als Aschenputtel in „“ und als Ninetta in „La Gazza Ladra“ zuverlässig die Reihen des King's Theatre. Dann jedoch bittet der Direktor des Drury Lane sie um Hilfe: Die Saison läuft nicht gut für ihn, Malibran soll den Karren aus dem Dreck ziehen und eine ihr noch unbekannte Partie interpretieren: Die Amina in Bellinis „“ – und zwar in englischer Sprache. Die

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Rechnung geht auf – für den Theaterdirektor ebenso wie für Maria: Das Publikum ist begeistert. Viel wichtiger aber: Auch Bellini sitzt bei der Premiere im Saal. Sowieso schon vom „Land des grauen Himmels“ deprimiert, entsetzt es ihn vollends, sein Werk auf Englisch zu hören, dargeboten von Sängern, die nach seiner Aussage „wie Papageien krächzten“. „Nur wenn die Malibran sang“, schreibt er am nächsten Tag an seinen Freund Francesco Florimo, „kannte ich meine 'Sonnambula' wieder. In die letzte Szene, besonders in die Worte 'Ah, m'abraccia', legte sie einen so hohen Ausdruck und gab die Phrase mit einer solchen Wahrheit wieder, dass ich zunächst überrascht, dann tief beglückt war.“

M 06: : “La Sonnambula”, Arie der Amina (2. Akt) „Ah, non credea mirarti“ (4'45) I: Anna Netrebko (Sopran), Saimir Pirgu (), Mahler Chamber Orchestra, ML: Claudio Abbado CD: Sempre libera! Deutsche Grammophon 00289 474 8002, LC 0173 SWR M0023388 004

Anna Netrebko mit der Arie der Amina aus Bellinis „Sonnambula“, „Ah, non credea mirarti“. Die ersten Takte dieses berührenden Stücks Musik sind übrigens in Bellinis Sarkopharg eingraviert.

„La Sonnambula“ erzählt von einer Schlafwandlerin, die aus ihrer schweizerischen Dorfgemeinschaft verstoßen wird, weil sie vermeintlich fremd gegangen ist. Eine Geschichte wie geschaffen für Maria Malibran, für ihre zarte Erscheinung, ihren differenzierten Gesang, ihre szenische Intensität. Bellinis Freund, der Musikforscher Francesco Florimo, empfindet Malibrans Interpretation als sublimste von allen: „Sie wusste sich so sehr mit dem Charakter der Amina zu identifizieren,“ berichtet er, „dass sie die zarten, scheuen Gefühle dieser Figur perfekt auf die Bühne übertrug und dank ihrer puren und zugleich leidenschaftlichen Stimme die allerhöchste Wahrheit erreichte.“ Zwei Jahre nach der italienischen Uraufführung durch Giuditta Pasta sind viele Zeitgenossen der Meinung, Malibran habe der Sonnambula eine zweite Premiere gegeben.

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Maria Malibran mutiert also von der Rossini- zur Bellini-Sängerin: „Wie soll man es anstellen, sich nicht in diesen kleinen Teufel Malibran zu verlieben?!“, fragt Bellini augenzwinkernd – und behauptet, Maria habe drei Seelen, denn eine allein sei für eine Frau wie sie nicht genug. Bellini hat seine ideale Interpretin gefunden, La Malibran ihren idealen Komponisten. Als Bellini sich 1835 an die Komposition einer neuen Oper, „“, macht, schwebt ihm Maria als Elvira vor: „Die Oper ist durchaus klar, und ganz für dieses Teufelchen Malibran geschrieben, die vom Abend bis zum Morgen eine ganze Oper auswendig lernt,“ berichtet er. Zwar findet die Uraufführung nach langem Hin und Her dann doch mit Giulia Grisi statt, aber in der Hoffnung, sein Werk irgendwann mit Maria zu hören, komponiert Bellini eigens eine zweite, tiefere Fassung der Elvira-Partie – und schreibt darin auch eine eigene Arie nur für Maria, „Son vergin vezzosa“. Stolz berichtet er nach der Fertigstellung des Bravourstücks, es sei „so brilliant, dass sie überwältigt davon sein wird, denn es ist genau das, was sie mag. Diese Arie ist mehr wert als zehn Kavatinen.“

M 07: Vincenzo Bellini: “I puritan”, Arie der Elvira / Ensemble (1. Akt) „Son vergin vezzosa“ (3'10) I: Sumi Jo (Sopran), English Chamber Orchestra, ML: Giuliano Carella CD: Bel Canto, Erato 0630 17580-2, LC 0200

Sumi Jo mit einer für Maria Malibran komponierten Arie aus Bellinis „I Puritani“, es begleitete das English Chamber Orchestra unter der Leitung von Giuliano Carella. Leider hat Maria Malibran selbst diese Arie nie aufgeführt.

Befindet sich Maria als Bühnenkünstlerin also an der Spitze der Zeit, so ist ihre Situation innerhalb der Gesellschaft eine weitaus weniger stabile. Denn sie ist in zweifacher Hinsicht benachteiligt: Einerseits durch ihren Status als Frau, andererseits durch ihren Status als Sängerin. Als Frau besitzt sie keinerlei Rechte, noch immer kann ihr in Amerika befindlicher Ehemann über ihr Geld verfügen. Als Künstlerin bewegt sie sich auf ebenso dünnem Eis, die soziale Benachteiligung von Theatermenschen hat eine lange Tradition. Und Maria leidet unter dieser Entwertung: „Nichts als eine Künstlerin! Nichts als eine Sklavin, die sie bezahlen, damit man sie unterhält!“, so ihre Worte.

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Penibel achtet sie auf ihren Ruf: Den Männern, die sie scharenweise umschwärmen, nähert sie sich nur im Rahmen der Freundschaft. Zu ihrer engeren Entourage gehören der Schriftsteller Ernest Legouvé, der eine der ersten Biografien über sie verfasst. Der Journalist oder auch ihr liebster Sängerkollege, der Bassist Luigi Lablache. Allzu offensive Verehrer weist sie zurück. Bis sie bei einem Konzert in Brüssel einen Mann kennenlernt, der sie unmittelbar fasziniert, sowohl als Mensch als auch als Künstler: der belgische Violinvirtuose Charles de Bériot.

M 08: Charles de Bériot: La Polka aus 12 Scenes op. 109, (2'20) I: Bella Hristova, Violine CD: Naxos, 8.572267, LC 05537

Eine Polka von Charles de Bériot, gespielt von Bella Hristova.

Als Maria Charles de Bériot zum ersten Mal bei einem Konzert begegnet, ist dieser pikanterweise gerade von ihrer Konkurrentin Henriette Sontag zurückgewiesen worden. Bériot, sechs Jahre älter als Maria, brilliert seit einigen Jahren als erster Geiger am königlichen Hof in Frankreich: Ein exzellenter Virtuose, von dem auch Paganini tief beeindruckt ist. Auf dem Konzertpodium gefeiert, scheint Bériots Charakter eher blass gewesen zu sein: Liszt spricht von einem „recht öden Zeitgenossen“, Moscheles bezeichnet ihn gar als „kalt“.

Malibran und Bériot treten mehrfach zusammen auf, bevor sie ein Liebespaar werden. Dass Maria es ist, die – bar jeder Konvention – die Initiative zum Liebesgeständnis ergreift, verwundert nicht. Doch die Affäre kann nur unter schwierigsten Bedingungen gelebt werden, denn auch wenn oder gerade weil der Gatte im fernen Amerika schmort, steht Maria unter Aufsicht einer Erziehungsberechtigten. Liebesbriefe müssen heimlich am „Tugenddrachen“ vorbeigeschmuggelt werden, immer dringlicher wird der Wunsch nach einer Scheidung, doch leichter gesagt als getan: Selbst die Mobilisierung einer ganzen

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Armada von Rechtsanwälten kann dieses zähe Phantom eines Ehemanns nicht abschütteln – Eugène Malibran klebt wie eine Klette an Maria.

M 09: Charles de Bériot: Nr. 4: Allegretto: Tempo di Fandango aus Spanish Airs, op. 112 (2'40) I: Christine Sohn, John Marcus (Violinen) CD: Naxos 8.570748, LC 05537

Noch ein Werk von Charles de Bériot, ein Fandango, gespielt von Christine Sohn und John Marcus.

Die Öffentlichkeit registriert die Affäre zwischen Malibran und Bériot zunächst kaum; man sieht darin eine künstlerische Freundschaft, die Verbundenheit zweier Musiker – ganz der Konzertarie „Infelice“ entsprechend, die Mendelssohn für Malibran und Bériot komponiert und in der die Violin- und die Gesangsstimme im innigen Dialog miteinander verbunden sind. Doch dass die beiden nicht nur den Notenständer miteinander teilen, wird spätestens dann klar, als Gerüchte einer Schwangerschaft Malibrans durchsickern. Für die Wintersaison nach Paris zurückgekehrt, muss Maria erleben, wie Freunde aus den Salons sie zunehmend meiden. Noch kurz zuvor hat sie über den gesellschaftlichen Sturz der Henriette Sontag gespottet – nun droht ihr dasselbe Unglück.

Hinzu kommt, dass sich ganz Paris gerade im Meyerbeer-Fieber befindet: An der Grand-Opéra steht die Premiere von „“ bevor, niemand interessiert sich für das Théatre-Italien. Als Maria dort im November 1831 in „La gazza ladra“ auftritt, sind die Zuschauerreihen halb leer. Das hat sie noch nie erlebt. Aus der Göttin der Romantik ist über Nacht eine Außenseiterin geworden – einzig und allein deshalb, weil sie sich erlaubt hat, ein Mensch zu sein.

Das Kind, das Maria schließlich in aller Heimlichkeit auf dem Land zur Welt bringt, lebt nur kurz. Nach der Geburt verlässt sie Frankreich und schwört, erst wieder nach Paris zurückzukehren, wenn sie von Malibran geschieden und mit Bériot verheiratet ist. Bis dahin verdreht sie, von den Franzosen verstoßen, nun den Italienern die

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Köpfe – doch davon morgen mehr. Jetzt hören wir noch eine kleine Kuriosität: Johann Nepomuk Hummels „Air à la tyrolienne“, 1830 erschienen und mit dem Vermerk versehen: „Zum ersten Mal von Madame Malibran-Garcia in London gesungen, für sie komponiert und ihr zugeeignet.“ übernimmt Malibrans Partie. Mein Name ist Sylvia Roth, ich freue mich auf ein Wiederhören – machen Sie's gut bis dahin!

M 10: Johann Nepomuk Hummel: Air à la Tyrolienne (5'11) I: Cecilia Bartoli (Gesang), Orchestra la Scintilla, ML: Adam Fischer CD: Maria. Cecilia Bartoli. DECCA 475 9077 DH, LC 00171 SWR M0083112 008

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