Journal of Eastern Christian Studies 58(3-4), 253-263. doi: 10.2143/JECS.58.3.2020831 D© IE2006 ENTWICKLUNG by Journal of DER Eastern CHRISTLICH Christian-ARABISCHEN Studies. All S rightsTUDIEN reserved. IN DEUTSCHLAND 253

DIE ENTWICKLUNG DER CHRISTLICH-ARABISCHEN STUDIEN IN DEUTSCHLAND*

EIN KURZER ÜBERBLICK

CARSTEN-MICHAEL WALBINER

Die Beschäftigung mit den arabischen Christen, insonderheit mit ihren kul- turellen Errungenschaften, gehört heutzutage zur übergreifenden Wissen- schaftsdisziplin der Orientalistik oder Orientwissenschaft, trägt allerdings häufig – und das erklärt sich aus der Natur der Sache – auch einen stark theologischen Charakter. Überhaupt waren ja die orientalischen Studien über Jahrhunderte hinweg nicht viel mehr als eine Hilfswissenschaft für die christliche Theologie in ihrem Ringen um ein besseres Verständnis der bibli- schen Texte oder auch in ihrer apologetischen und polemischen Auseinan- dersetzung mit dem Islam. Angesichts dieser Interessenlage ist es verständ- lich, dass anfänglich in Europa christlich-arabische Schriften stärkeres Inter- esse fanden als muslimische. Und so griffen auch die deutschen Theologen- Orientalisten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts für ihre Beschäftigung mit der arabischen Sprache und Geschichte häufig auf christlich-arabische Quel- len zurück.1 Die Situation änderte sich, als (1716-

* Überarbeitete, ergänzte und ins Deutsche übertragene Fassung eines auf dem 35th In- ternational Congress of Asian and North African Studies 1997 in Budapest in Englisch gehaltenen Vortrags (vgl. Alexander Fodor [Hrsg.], Proceedings of the and Islamic Sections of the 35th International Congress of Asian and North African Studies (ICANAS), Part Two, The Arabist. Budapest Studies in Arabic, 21-22 [Budapest, 1999], S. 239-247). 1 Siehe Johann Fück, Die arabischen Studien in Europa (, 1955), vor allem S. 45- 47, 58, 91f. Da es weit über die Möglichkeiten und Absichten eines kurzen Überblicks hinausginge, eine umfassende Bibliographie der christlich-arabischen Studien in Deutsch- land zu geben, sei hier und in den folgenden Anmerkungen nur auf einige Beispiele ver- wiesen. Für das 18. Jahrhundert können die o. g. Angaben Fücks noch um die Arbeiten des Theologen Johann Friedrich Rehkopf (1733-1789) über die seinerzeit noch Severus Ibn al-Muqaffa¨ zugeschriebene Geschichte der Patriarchen von Alexandria ergänzt wer- den: Vitae patriarcharum Alexandrinorum quinque. Specimen primum. Arabice edidit latine vertit notasque adiecit (Leipzig, 1758); Specimen secundum (Leipzig, 1759); Animad- versiones historico-criticae ad vitas patriarcharum Alexandrinorum saeculi primi et secundi, (Leipzig, o. D.), siehe Georg Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Bd. 2

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1774), der als der Begründer der arabischen Philologie als eigenständiger Wissenschaftsdisziplin in Deutschland gilt, Mitte des 18. Jahrhunderts „Ernst (machte), mit der Einsicht, dass das christlich-arabische Schrifttum in jeder Hinsicht hinter dem der Muslims zurücksteht“ und „deshalb […] den Zugang zu den Schätzen der arabisch-muslimischen Literatur“ suchte und darin „anderen den Weg“ wies, wie Johann Fück (1894-1974), der große Historiker der deutschen Arabistik, es formulierte.2

Als sich die Orientalistik bzw. in einem engeren Verständnis die Arabistik dann in der Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend von den Fesseln der Theologie befreit und als eigenständige Wissenschaftsdisziplin etabliert hat- te, war die Meinung Reiskes zur uneingeschränkt vorherrschenden gewor- den. Dies wird deutlich, wenn man die Bände der ersten drei oder vier Jahr- zehnte der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (ZDMG) durchsieht. Die ZDMG war für lange Zeit die einzige wissenschaftliche Zeitschrift der deutschen Orientalistik. Nach der Einschätzung Carl Brockelmanns (1868-1956), des wohl bekanntesten deutschen Orientali- sten, hat sie „etwa 40 Jahre lang […] ihre Aufgabe mit unbestrittenem Erfolg gelöst, ihre Führerstellung in der deutschen Orientwissenschaft be- haupten können und deren gesamte Entwicklung getreu widergespiegelt“.3 Dabei waren die Anfänge aus Sicht jener, die die arabische Kultur nicht einseitig als eine islamische begreifen, durchaus hoffnungsvoll. Band 1 der ZDMG, der 1847 in Leipzig erschien, räumte der Beschäftigung mit dem Christlichen Orient einen angemessenen Raum ein. Friedrich Tuch (1806- 1867) gab „Erläuterungen und Berichtigungen zu orientalischen Schriftstel- lern“, darunter auch den christlichen Historikern Barhebraeus (Abu l-Farag) und Eutychius (Sa¨id Ibn Ba†riq).4 Der bekannte Heinrich Leberecht Flei- scher (1801-1888) unterrichtete „Ueber einen griechisch-arabischen Codex

(Vatikanstadt 1947), S. 304. Zu den zahlreichen Publikationen von Johann Heinrich Callenberg (1694-1760) siehe Hartmut Bobzin, „Die arabischen und arabistischen Publi- kationen von Johann Heinrich Callenberg“, in Walter Beltz (Hrsg.), Übersetzungen und Übersetzer im Verlag Jh. H. Callenbergs. Internationales Kolloquium in (Saale) vom 22.-24. Mai 1995, Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft, 19 (Halle, 1995), S. 14-22. 2 Fück, Die arabischen Studien (s. Anm. 1), S. 123. 3 , „Die morgenländischen Studien in Deutschland“, ZDMG, 76 (1922), S. 12. 4 ZDMG, 1 (1847), S. 57-65.

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rescriptus der Leipziger Universitäts-Bibliothek“.5 Fleischer wies in seiner Untersuchung der arabischen Passagen der Handschrift, die „Bruchstücke einer legendenartigen Lebensbeschreibung von vier Klosterheiligen der grie- chischen Kirche enthält“6, auf die grammatikalischen, orthographischen, syntaktischen und lexikalischen Eigenheiten „des“ – wie er es nennt – „christlichen Arabismus“ hin.7 Er lieferte so eine erste und durchaus treffen- de Analyse jener nachklassischen Form des Arabischen, die heute gemeinhin als Mittelarabisch bezeichnet wird. In Band 8 der ZDMG war es abermals Fleischer, der sich der christlich- arabischen Literatur zuwandte und eine kurze „Beschreibung der von Prof. Dr. Tischendorf im J. 1853 aus dem Morgenlande zurückgebrachten christ- lich-arabischen Handschriften“ präsentierte.8

Aber die so gegebenen Anregungen zu einer näheren Untersuchung der Sprache und Literatur der christlichen Araber fanden keinen Widerhall un- ter den anderen deutschen Orientalisten. Während syrologische Studien in den ersten Jahrzehnten in der ZDMG ihren festen Platz hatten und z. T. breiten Raum einnahmen, blieb die christlich-arabische Literatur im glei- chen Zeitraum von den oben genannten Veröffentlichungen abgesehen un- erwähnt. Ein Indiz für die fast völlige Vernachlässigung dieses Forschungsgegen- standes in der deutschen Orientalistik9 bietet auch der „Wissenschaftliche Jahresbericht über die Morgenländischen Studien im Jahre 1880“10, in wel-

5 ZDMG, 1 (1847), S. 148-160. 6 Ebd., S. 150. 7 Ebd., S. 155-160. 8 ZDMG, 8 (1854), S. 584-587. 9 Als rühmliche Ausnahmen sei allerdings auf zwei Arbeiten verwiesen. Der bekannte Judaist Moritz Steinschneider (1816-1907) veröffentlichte 1877 eine Studie über die Pole- mische und apologetische Literatur in arabischer Sprache zwischen Muslimen, Christen und Juden, nebst Anhängen verwandten Inhalts, Abhandlungen für die Kunde des Morgenlan- des, VI,3 (Leipzig), die von Georg Graf als bedeutsame Vorarbeit für seine eigene Ge- schichte der christlichen-arabischen Literatur gewürdigt wurde (Bd. 1., [Vatikanstadt, 1944], S. 9). Ferdinand Wüstenfeld (1808-1899), einer der herausragenden Arabisten sei- ner Zeit, edierte und übersetzte das koptische Synaxar nach einer arabischen Vorlage (Synaxarium das ist Heiligen-Kalender der Coptischen Christen [Gotha, 1879]). 10 Herausgegeben von Ernst Kuhn und August Müller, ZDMG – Supplement zum vier und dreissigsten Bande (Leipzig, 1883).

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chem dem Syrischen ein eigener Abschnitt gewidmet ist, während „das Ge- biet der jüdischen und christlichen Geschichte und Litteratur auf islami- schem Gebiet“ nur kurz in acht Zeilen innerhalb des Berichtes über Arabien und den Islam berührt wird, wobei die angeführten Titel sich meist mit der jüdischen Literatur beschäftigen.11 Auch einige wenige, gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der ZDMG er- schienene Aufsätze und Notizen ändern nichts an diesem Bild fast völliger Vernachlässigung der christlich-arabischen Studien seitens der deutschen Orientalistik12 und es muss konstatiert werden, dass es den christlich-arabi- schen Studien nicht gelungen war, sich innerhalb der allmählich konstituie- renden wissenschaftlichen Orientalistik einen Platz als Teildisziplin zu ver- schaffen. Für die meisten etablierten Orientalisten, also jene, die die Uni- versitätslaufbahn gewählt hatten, war die christlich-arabische Literatur von keinem oder doch nur sehr marginalem Interesse. Als Beispiel für diese Haltung mag der schon erwähnte Carl Brockelmann dienen. Zwischen 1898 und 1902 veröffentlichte Brockelmann die erste Ausgabe seiner le- gendären Geschichte der arabischen Litteratur,13 die in ihrer überarbeiteten Form bis heute als Standardwerk gilt. Da Brockelmann das Arabische als die „Litteratursprache“ und das „gemeinsame geistige Band“ der „den Islam bekennenden Völker“ ansah, schloss er für seine Untersuchung zwei Gebie- te aus, „die sich nicht an die Gesamtheit der arabisch Redenden wenden, sondern nur an einen ausdrücklich beschränkten Kreis. Das sind die specifisch christlichen und jüdischen Schriften. Diese können nur im Zu- sammenhang mit den übrigen christlichen Litteraturen des Orients einer- seits und mit dem neuhebräischen Schrifttum andererseits behandelt wer- den“.14 Für die christlich-arabische Literatur unternahm es Brockelmann einige Jahre später selbst, für einen Überblick zu sorgen. Allerdings fallen die sie- beneinhalb Seiten, die er in einer 1907 erschienenen Geschichte der christli- chen Litteraturen des Orients der „christlich-arabische[n] Litteratur“ widmete im Vergleich zu den mehr als 1200 Seiten, auf denen er in seiner Geschichte der arabischen Litteratur das muslimische Schrifttum abgehandelt hatte,

11 Ebd., S. 176. 12 Bezeichnenderweise kennt das Register der Bände LI-LX der ZDMG wohl „christlich- Palästinensisch“ als Stichwort, nicht aber „christlich-Arabisch“. 13 Bd. 1 (Weimar, 1898); Bd. 2 (Berlin, 1902). 14 Ebd., Bd. 1, S. 2.

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mehr als dürftig aus.15 Die Abhandlung, die Anton Baumstark (1872- 1948)16 im Jahre 1911 zum selben Gegenstand veröffentlichte,17 war da schon von anderer Qualität18 und belegt, dass der Wissensstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts es durchaus erlaubte, sich fundiert zur christlich-arabi- schen Literatur zu äußern.

Baumstarks Arbeit widerspiegelt einen Wandel, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatte und sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fortsetzte. Nach einer langen Phase der Vernachlässigung und des Desinteresses hatte die Anzahl jener Gelehrten, die sich der Erforschung der christlich-arabischen Literatur zuwandten, deutlich zugenommen. Viele gehörten dem Priesterstande an und betrieben diese Forschungen als Privat- vergnügen, aber es gab – wie z. B. den schon erwähnten Anton Baumstark oder Adolf Rücker (1880-1948) – auch Inhaber orientalistischer Lehrstühle, bisweilen gar für den Christlichen Orient, oder Vertreter der allgemeinen Sprachwissenschaft, die zur christlich-arabischen Literatur forschten und publizierten oder zumindest Dissertationen ihrer Schüler anregten, „die auch in das Gebiet des Christlichen Orients reichten“.19 „Mitarbeiter im

15 „Die christlich-arabische Litteratur“, in Geschichte der christlichen Litteraturen des Ori- ents (Leipzig, 1909), S. 67-74. Der Abriss Brockelmanns wurde von Georg Graf ganz zu recht als unzureichend charakterisiert: „Carl Brockelmanns Ausführungen […] sind auf den für sie in Anspruch genommenen 8 Seiten […] zu spärlich ausgefallen, als dass daraus ein nur annähernd gerechtes Bild vom Umfang und vom Wert der behandelten Literatur gewonnen werden könnte.“ (Geschichte, Bd. 1 [siehe Anm. 9], S. 10). 16 Zu Baumstark, der – wenngleich vorrangig Syrologe und Liturgiewissenschaftler – nach Georg Graf die bedeutendsten Beiträge zu den christlich-arabischen Studien in Deutschland leistete, siehe Reinhold Baumstark und Hubert Kaufhold, „Anton Baumstarks wissenschaftliches Testament. Zu seinem 50. Todestag am 31. Mai 1998“, Oriens Christianus, 82 (1998), S. 1-52. 17 Die christlichen Litteraturen des Orients (Leipzig, 1911); die christlich-arabische Litera- tur wird auf S. 7-36 behandelt. 18 Georg Graf würdigt die Arbeit mit den Worten: „Dagegen bietet Anton Baumstarks Darstellung […] unter tatsächlich wissenschaftlichen Gesichtspunkten fast alles, was im Rahmen eines auf breitere Interessenkreise gerichteten Umrisses, wie ihn die genannte Sammlung bezweckt, und bei dem damaligen Stand der Forschung gegeben werden konnte.“ (Graf, Geschichte, Bd. 1 [siehe Anm. 9], S. 10). 19 Hubert Kaufhold, „Einleitung“ zu ders., Oriens Christianus: Gesamtregister für die Bän- de 1 (1901) bis 70 (1986) (Wiesbaden, 1989), S. 15. Hier einige Beispiele in chronologi- scher Reihung: Johannes Arendzen, Theodori Abu Kurra de cultu imaginum libellus e codice arabico nunc primum editus latine versus illustratus (Bonn, 1897); Wilhelm Riedel, Die

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Dienste der Erforschung der christlich-arabischen Literatur sind es in eph- emeren Publikationsorganen viele geworden…“, konnte Georg Graf zurück- blickend über die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts schreiben.20 Lang- sam aber sicher nahmen die christlich-arabischen Studien als eigenständige Subdisziplin der Orientalistik Konturen an, und Georg Graf (1875-1955)21 sollte der Vollender dieses Prozesses werden.

Wichtige Impulse für diese Entwicklung waren dabei vom Orient, insbeson- dere von ausgegangen. Hier wirkte seit 1877 der Jesuitenpater Louis Cheikho (Luwis SaiÌu) (1859-1927), der zu den Gründungsvätern der dor- tigen Sankt Josephs-Universität gehörte. Als Schriftleiter der von ihm 1898 gegründeten Zeitschrift al-Masriq sowie als unermüdlicher Autor und Her- ausgeber klassischer (christlich-)arabischer Texte war Cheikho eifrig bemüht, das christlich-arabische Erbe unter weiteren Kreisen seiner Landsleute sowie

Kirchenrechtsquellen des Patriarchats Alexandrien (Leipzig, 1900); Gustav Westphal, Unter- suchungen über die Quellen und die Glaubwürdigkeit der Patriarchenchroniken des Mari ibn Sulaiman, ¨Amr ibn Matai und ∑aliba ibn JoÌannan (Kirchhain, 1901); Wilhelm Riedel, „Der Katalog der christlichen Schriften in arabischer Sprache von Abu ‘l-Barakat“, Nach- richten von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse, 1902 (Heft 5), S. 635-706; Christian Friedrich Seybold, Severus Ben al-Moqaffa¨. Historia Patriarcharum Alexandrinorum, CSCO, 8 und 9 (Beirut und Paris, 1904/1910); Georg Graf, Die christlich-arabische Literatur bis zur fränkischen Zeit (Ende des 11. Jahr- hunderts), Straßburger theologische Studien, VII/1 (Freiburg i. Br., 1905); ders., Der Sprachgebrauch der ältesten christlich-arabischen Literatur (Leipzig, 1905); Heinrich Goussen, Die christlich-arabische Literatur der Mozaraber, Beiträge zur christlich-arabischen Litera- tur, Heft IV (Leipzig, 1909); Christian Friedrich Seybold, Severus ibn al Muqaffa¨ Alexan- drinische Patriarchengeschichte von S. Marcus bis Michael I. 61-767, nach der ältesten 1266 geschriebenen Hamburger Handschrift im arabischen Urtext herausgegeben, Veröffentlichun- gen aus der Hamburger Stadtbibliothek, 3 (, 1912). 20 Geschichte, Bd. 1 (siehe Anm. 9), S. 10. 21 Zu Leben und Werk Georg Grafs siehe Hubert Kaufhold, Christlicher Orient und schwäbische Heimat. Leben und Werk von Prälat Professor Dr. theol. Dr. Phil. Georg Graf (15. März 1875 – 18. September 1955). Katalog der Ausstellung im Rathaus Dillingen a. d. Donau anlässlich der Gedenkveranstaltungen zum fünfzigsten Todestag Georg Grafs am 17. und 18. September 2005 in Dillingen (Beirut, 2005); ders., Georg Graf. Christli- cher Orient und schwäbische Heimat. Kleine Schriften, Bd. 1, Beiruter Texte und Studien, 107a (Beirut, 2005), S. XV-XLVIII; ders., „Georg Graf – schwäbische Heimat und Christlicher Orient“, Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen, Bd. 107 (Dillingen, 2006), S. 63-88; Samir Khalil Samir, „Georg Graf (1875-1955), sa bibliographie et son rôle dans le renouveau des études arabes chrétiennes“, Oriens Christianus, 84 (2000), S. 77-100.

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in der internationalen Wissenschaft bekannt zu machen.22 Seinen Bemü- hungen war auch durchaus Erfolg beschieden, waren es doch „die Veröffent- lichungen der Jesuiten-Universität St. Joseph zu Beirut“, die den deutschen Priester und Gelehrten Georg Graf „auf die christliche arabische Literatur aufmerksam“ machten.23 Graf war der erste westliche Gelehrte, der die christlich-arabischen Studien zu seinem wesentlichen Forschungsgegenstand machte und in ihnen seine wissenschaftliche Berufung sah. Mit seinen syste- matischen, nach neuen wissenschaftlichen Methoden betriebenen Forschun- gen führte Graf die christlich-arabischen Studien als eigenständige Disziplin in den Fächerkanon der deutschen und internationalen Orientalistik ein. Frucht und Krone dieser jahrzehntelangen Bemühungen ist die umfassende fünfbändige Geschichte der christlichen arabischen Literatur, die von 1944 bis 1953 im Vatikan erschien.24 Sie ist ein würdiges Gegenstück zu Brockel- manns Geschichte der arabischen – in der Bedeutung von muslimisch-arabi- schen – Litteratur und stellt bis heute das zentrale und unübertroffene Nachschlagewerk für die christlich-arabischen Studien dar.25

Allerdings fand Georg Graf in seinem Bemühen, die Kenntnis der christ- lich-arabischen Literatur zu heben, kaum Mitstreiter. Er blieb ein Einzel- kämpfer und – wenn auch teilweise durchaus respektierter – Außenseiter. Dabei hatte zu Grafs Lebzeiten der Christliche Orient als Wissenschafts- zweig insgesamt deutlich an Vitalität gewonnen, nur die Beschäftigung mit dem christlich-arabischen Erbe blieb weiter peripher. Mit dem 1901 ins Leben gerufenen Oriens Christianus war zwar ein Forum für die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse über den christlichen Orient geschaffen worden, Beiträge zur christlich-arabischen Literatur blieben aber auch hier

22 Zu Cheikho als Pionier der christlich-arabischen Studien siehe Carsten-Michael Wal- biner, „Forschungsgebiet christlicher Orient. Der Beiruter Standort des Orient-Instituts der DMG und Perspektiven einer Revitalisierung der Wissenschaft vom arabisch- sprachigen christlichen Orient“, Beiruter Blätter, 3 (1995), S. 65-67 und die dort ange- führte Literatur. Zu den wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Graf und Cheikho sie- he Kaufhold, Christlicher Orient und schwäbische Heimat (s. Anm. 21), S. 14, 17 und 22. 23 Hieronymus Engberding, „Nachruf [auf] Georg Graf“, Oriens Christianus, 40 (1956), S. 138; vgl. auch die diesbezüglichen Bemerkungen Grafs in seiner Geschichte, Bd. 1 (s. Anm. 9), S. 7. 24 Studi et Testi, 118, 133, 146, 147, 172. 25 Zur Entstehungsgeschichte und für eine Würdigung des Werkes siehe Kaufhold, Christlicher Orient und schwäbische Heimat (s. Anm. 21), S. 41-51.

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eher sporadisch, obwohl die Zeitschrift eigentlich auch der „Veröffentli- chung […] arabischer […] Texte“ dienen sollte.26 Das änderte sich dann erst mit dem Hinzukommen Georg Grafs. Von Band 9 bis Band 38 erschienen mehr als zwei Dutzend Abhandlungen zu christlich-arabischen Themen.27 Obwohl Georg Graf durch sein unermüdliches Schaffen wesentlich dazu beitrug, den christlich-arabischen Studien zu Ansehen und einem klar um- rissenen Forschungsprogramm zu verhelfen, war nach seinem Tode 1955 kein deutscher Gelehrter in der Lage oder gewillt, sein Erbe anzutreten und die Fahne der von Graf etablierten Forschungsrichtung hochzuhalten. Dies hatte Graf im übrigen mit dem ihm eigenen Realitätssinn schon erfasst. In einem Brief aus dem Jahre 1949 heißt es leicht resignierend: „Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, mein großes Bedauern darüber zu äu- ßern, dass wir in Deutschland zur Zeit so wenige Fachgelehrte und Interes- senten für die Wissenschaft vom christlichen Orient haben, in Sonderheit für das Christlich-Arabische. Wir haben keinen Ersatz für die verstorbenen Heffening, Baumstark, Rücker.28 […] Die große Pastorations-Not der Ge- genwart verdrängt stark das Interesse an wissenschaftlicher Leistung unter dem jungen Klerus.“29

So konnte auch Ernst Hammerschmidt in einem 1964 veröffentlichten Auf- satz über „Die Erforschung des christlichen Orients in der deutschen Orien- talistik“30 der Beschäftigung mit dem christlich-arabischen Schrifttum nur einen kurzen Absatz widmen, in dem vor allem das Wirken Georg Grafs gewürdigt wird.31

26 Kaufhold, „Einleitung“ (s. Anm. 19), S. 30. 27 Siehe Kaufhold, Oriens Christianus: Gesamtregister (s. Anm. 19), S. 159f. 28 Allerdings waren insbesondere Wilhelm Heffening und Adolf Rücker keine ausgespro- chenen Experten für christlich-arabische Forschungsgegenstände (C.W.). 29 Brief an René Draguet vom 4. Oktober 1949, zitiert in Kaufhold, Christlicher Orient und schwäbische Heimat (s. Anm. 21), S. 57. 30 Oriens Christianus, 48 (1964), S. 1-17. 31 Ebd., S. 10f. Neben den Arbeiten Grafs finden noch Erwähnung: Julius Aßfalg, Die Ordnung des Priestertums. Ein altes liturgisches Handbuch der koptischen Kirche (tartib al- kahnut), Publications du Centre d’Etudes Orientales de la Custodie Franciscaine de Terre- Sainte, Coptica, 1 (Kairo, 1955) und Otto Spies und Wilhelm Hoenerbach (Hrsg.), Ibn a†-™aiyib Fiqh an-naÒraniya, 4 Bde., CSCO 161, 162, 167, 168 (Louvain, 1956/57).

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Insbesondere in jener Periode nahmen die Orientalistik und Arabistik noch stärker als bisher islamwissenschaftliche Züge an. Dies wird auch aus einer Denkschrift zur Lage der Orientalistik deutlich, die 1960 im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorgelegt wurde. Darin wird das Fach Christlicher Orient als „Sonderdisziplin“ der Gruppe Semitistik und Islam- kunde angeführt, „die sich räumlich ungefähr mit demselben Gebiet be- schäftigt wie die Islamwissenschaft, […] aber gegenüber der Erforschung der islamischen Welt zurück [tritt], da das Christentum und die christlichen Literaturerzeugnisse im Orient stark zurückgedrängt worden sind“.32

Später verbesserte sich die Lage an den deutschen Universitäten im Zuge ei- ner großzügigen Stellenpolitik etwas. Es wurden auch einige Professuren für den Christlichen Orient vergeben, bezeichnenderweise aber keine Ordinaria- te. Die Inhaber, von denen keiner christlich-arabische Studien zu seinem Hauptarbeitsgebiet erkor, leisteten dennoch einige wichtige Beiträge zur wei- teren Erforschung dieser Materie. Zu erwähnen sind vor allem Julius Aßfalg (1919-2001) und C. Detlef G. Müller (1927-2003).33 Darüber hinaus soll- ten auch diejenigen Orientalisten und Islamwissenschaftler nicht vergessen werden, die sich in einigen ihrer Arbeiten mit den christlichen Arabern befassten. Als Beispiele mögen hier Bertold Spuler (1911-1990), Otto Spies (1901-1981), Gerhard Endreß (geb. 1939) oder Stephan Leder (geb. 1951) stehen.34 Und auch einige Theologen forschten und publizierten zu christ- lich-arabischen Themen, so beispielsweise Peter Kawerau (1915-1988).35

32 Denkschrift zur Lage der Orientalistik, im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in Zusammenarbeit mit zahlreichen Fachvertretern herausgegeben von Prof. Dr. Adam Falkenstein (Wiesbaden, 1960), S. 8. 33 Aßfalg, Die Ordnung des Priestertums (s. Anm. 31); ders. und Paul Krüger, Kleines Wör- terbuch des christlichen Orients (Wiesbaden, 1975); C. Detlef G. Müller, Grundzüge des christlich-islamischen Ägypten von der Ptolemäerzeit bis zur Gegenwart, Grundzüge, 11 (Darmstadt, 1968); ders., Geschichte der orientalischen Nationalkirchen, Die Kirche in ih- rer Geschichte, 1/D2 (Göttingen, 1981). 34 Spies und Hoenerbach, Ibn a†-™aiyib Fiqh an-naÒraniya (s. Anm. 31); Bertold Spuler, Die morgenländischen Kirchen, Sonderdruck aus Handbuch der Orientalistik, 1. Abt.: Der Nahe und der Mittlere Osten, 8 (, 1964); Stephan Leder, Die arabische Ecloga. Das vierte Buch der Kanones der Könige aus der Sammlung des Makarios, Forschungen zur By- zantinischen Rechtsgeschichte, 12 (Frankfurt a. M., 1985); Gerhard Endreß, The Works of YaÌya ibn ¨Adi. An Analytical Inventory (Wiesbaden, 1977). 35 Peter Kawerau, Christlich-arabische Chrestomathie aus historischen Schriftstellern des Mit- telalters, 3 Bde., CSCO, 370, 374, 385 (Louvain, 1976/77).

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Allerdings waren diese vereinzelten Aktivitäten bei weitem nicht ausreichend, die christlich-arabischen Studien, und sei es auch nur als Subdisziplin, an deutschen Universitäten zu verankern. Seit dem Tod von Michel Breydy (1928-1993),36 einem libanesischen Gelehrten, dem es gelungen war, 1984 an der Privatuniversität Witten/Herdecke ein kurzlebiges Institut für christ- lich-arabische Literatur zu schaffen, das allerdings im wesentlichen auf seine Person ausgerichtet war, wenig Wirkung entfaltete und mit Breydys Tod auch wieder aufgelöst wurde, sind christlich-arabische Studien an deutschen Universitäten in der regulären Lehre und Forschung kaum mehr präsent.

Es ist daher mehr als nur eine Übertreibung, wenn in einer Broschüre, die 1995 aus Anlass des 150. Gründungsjubiläums der Deutschen Morgenlän- dischen Gesellschaft erschien, behauptet wird, dass sich drei namentlich ge- nannte Orientalisten hauptsächlich mit christlich-arabischen Studien befas- sen würden,37 war doch keiner Erwähnten zu jenem Zeitpunkt auf diesem Gebiet tätig oder dies in den letzten Jahren zuvor gewesen. Bezeichnender ist da schon, dass auf dem Orientalistentag im Jubiläumsjahr, der in Leipzig stattfand, ein einziger von mehreren Hundert Vorträgen einer christlich-ara- bischen Thematik gewidmet war.38

Es bleibt also zu resümieren, dass die christlich-arabischen Studien trotz der bahnbrechenden Leistungen von Georg Graf in Deutschland keine Heim- statt finden konnten. Sie vermochten sich nicht als Wissenschaftsdisziplin zu etablieren, die Arabistik oder auch die vorübergehend an einigen Univer- sitäten existierende, jetzt aber zum Aussterben verurteilte Kunde vom Christlichen Orient waren nicht gewillt oder in der Lage, ihnen einen festen und angemessenen Raum zuzubilligen.

36 Zu Breydys Arbeiten, die sich hauptsächlich mit der Literatur der Maroniten und eini- gen melkitischen Historikern befassen, siehe http://www.breydy.org/werke-liste.htm (zu- letzt eingesehen am 14.09.2006). 37 Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft. Seit 1845 der Erforschung der Sprachen und Kulturen des Orients, Asiens und Afrikas und dem Verstehen des Fremden verpflichtet (o. O., 1995), S. 47. 38 Der Verfasser dieses Aufsatzes referierte über „Makarius Ibn az-Za¨im als Historiker. Anliegen – Arbeitsweise – Ergebnisse“ (siehe Holger Preißler, Heidi Stein [Hrsg.], Annä- herung an das Fremde. XXVI. Deutscher Orientalistentag vom 25. bis 29.9. 1995 in Leipzig [Stuttgart, 1998], S. 155-163).

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Mittlerweile ist wieder jenes Land zum Mittelpunkt der christlich-arabi- schen Studien geworden, von dem aus dank der Veröffentlichungen Louis Cheikhos für Georg Graf alles seinen Anfang genommen hatte, nämlich der Libanon. Hier wird an zahlreichen universitären und kirchlichen Einrich- tungen Forschung zur Kultur und Geschichte der arabischen Christen betrieben. Jährlich erscheinen zahlreiche relevante Einzelpublikationen, und Zeitschriften wie al-Masriq, al-Masarra, Parole de l’Orient oder Chronos ver- öffentlichen regelmäßig aktuelle Forschungsergebnisse.39 Besondere Erwäh- nung verdient das von dem Jesuitenpater Samir Khalil Samir (geb. 1938) geleitete Centre de Documentation et de Recherches Arabes Chrétiennes (CEDRAC), das führende und in gewisser Weise auch einzige wissenschaft- liche Institut der Welt, dass sich explizit die Erforschung der Kultur und Geschichte der christlichen Araber zur Aufgabe gemacht hat.40 Dass sich das CEDRAC und einige andere Forscher und Einrichtungen im Libanon der Zusammenarbeit mit dem deutschen Orient-Institut in Beirut sowie einigen vereinzelten deutschen Wissenschaftlern erfreuen können, ist sicher aller Ehren wert, aber wohl kaum ausreichend, das Vermächtnis Georg Grafs sei- tens der deutschen (Orient-)Wissenschaft mit Leben zu erfüllen.

39 Siehe auch die Passage über den Libanon im Aufsatz von Hubert Kaufhold (S. 156- 164 in diesem Heft). 40 Zu den Aktivitäten des Instituts siehe http://www.cedrac.usj.edu.lb

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