THEMA Kurz weggeschaut, und schon vergreifen sich Jugendliche am Drahtgestell des berühmten Brillenträgers. Doch Filiberto ist zur Stelle. Er weist die Halbstarken zurecht und unter- Der Brillenwächter streicht resolut die Bedeutung von für den antiimperialistischen Kampf

»Nicht nur die Musik der Beatles war verpönt. Reihe der denkmalwürdigen Idole für das kubani- von Havanna Ebenso lange Haare und enge Hosen, die uns die sche Volk aufgenommen wurde; nämlich am 8. Beatles-Platten waren in Kuba lange verboten. Dennoch besitzt Havanna einen Polizisten gern mal abschnitten beziehungsweise Dezember 2000, seinem zwanzigsten Todestag. aufschlitzten« erzählt die Kubanerin Silvia Alda - Solche jähen Wendungen in der Bewertung von John-Lennon-Park mitsamt lebensechtem Bronze-Denkmal. 30 Jahre bazo über ihre Erlebnisse als jugendliche Verehrerin Künstlern sind keine kubanische Besonderheit. nach Lennons Tod ein Anlass, das Verhältnis des Künstlers zu Kuba zu erforschen. der Fab Four. In jenem kleinen Park, der heute Auch in den ehemaligen Ostblockstaaten verschob Erster Anlaufpunkt ist Filiberto. Der passt nämlich auf Johns Nickelbrille auf »Parque « heißt, hätten sie und ihre sich während des Kalten Kriegs der Blickwinkel auf Freunde in den Sechzigern oft Beatles-Musik gehört manche Musiker um 180 Grad, nachdem sich der und Bänder oder Platten ausgetauscht. »So eine LP erste Rauch des ideologischen Trommelfeuers war praktisch der Eintritt zu jeder Privatparty, auch gegen die Dekadenz des Rock’n’Roll verzogen hat- TEXT UND FOTOS GUNNAR LEUE wenn man sie sicherheitshalber in ein Cover einer te. Um die progressiven Seite eines Künstlers zu fin-

eit Jahren sitzt er als Bronzefigur auf einer von der Büste zu klauen: Filiberto wird niemals anderen Platte steckte.« Die Kubanerin findet es den, schaute man auch dort gern auf seine Wurzeln Bank in einem kleinen Park im Viertel wütend. Ganz wie selig John ist auch er ein Mann auch nicht bedauerlich, wenn der Büste im Park die in der Arbeiterklasse. In Kuba hingegen sucht man . Ganz entspannt, die Beine überein- mit unendlicher Geduld und friedlicher Gesinnung. Brille fehlt. »Wer John die Brille abnimmt, kann nur vor allem nach Facetten antiamerikanischen ander geschlagen, mit einem freundlichen Einen Traumjob hat er, so möchte man denken, der ein Freund sein«, sagt sie mit feiner Ironie. »Er soll Verhaltens. SLächeln unter seinen langen Haaren: John Lennon. Brillenwächter von Havanna. nicht sehen, wo er hier gelandet ist.« In der Hinsicht gab es bei John Winston Lennon Bloß seine berühmte Brille wurde seltsamerwei- Für Filiberto war das plötzliche Auftauchen des Das Verhältnis der kubanischen Kulturfunktio- einiges zu entdecken. Denn niemand anderes als die se nicht in die Skulptur integriert. Stattdessen Lennon-Monuments anno 2000 mithin ein Segen. näre zur westlichen Rockmusik hat sich mit der amerikanische Regierung selbst hatte den Ex-Beatle bekam der Bronze-John die Lesehilfe als Drahtge - Wie auch für diejenigen Kubaner, die den Beatles- Zeit offenbar sehr entkrampft. Bevor die Manic 1972 wegen ebensolchen Verhaltens zum Staats- stell auf die Nase gesetzt. Weil sie dort aber niemals Sänger schon länger verehrt hatten. In der Zeit nach Street Preachers 2001 als offiziell erste westliche feind erklärt. Hintergrund war allen Ernstes die lange blieb, wurden ihm alsbald Bewacher zur Seite der Revolution 1959 bis in die siebziger Jahre hinein Rockband ein Konzert in Havanna geben durften, Annahme, der britische Superstar sei ins Land ge - gestellt. Zu ihnen gehört Filiberto. Der freundliche waren solche Typen nämlich gar nicht gern gese- fand dort 1998 bereits ein dreitägiges Beatles- kom men, um »an der Sprengung des Republi - alte Herr mit der Basecap als auf dem Kopf setzt der hen: Die Beatles wie auch die Rolling Stones und all Symposium statt, in dessen Rahmen auch Lennons kanischen Wahlparteitages mitzuwirken«. Darauf - Statue die Brille immer dann auf, wenn Touristen die anderen wilden Rock’n’Roll-Gesel len galten erste Band, , spielten. hin war er wegen »revolutionärer Aktivitäten« kommen. Dann passt er auf, dass sich kein Unbe - offiziell als Ausdruck von Deka denz und Trotzdem sucht man eine Scheibe von Lennon durch das FBI bespitzelt worden. Am liebsten hät- fugter der glaslosen Augengläser bemächtigt. Über Ideologieträger der imperialistischen Welt. oder den Beatles in den Plattenläden, die ausnahms- ten ihn die Yankees ausgewiesen. John Lennon weiß er nicht viel. Aber er lächelt gern. Zeitweise gab es ein sogar allgemeines Sende verbot los vom Staat betrieben werden, bis heute vergeb- Dies rief auch der der Präsident der kubanischen Selbst wenn mal wieder Jugendliche vorbeikom- für angloamerikanische Musik und der »Sprache lich. Auch deshalb staunten die kubanischen Nationalversammlung, Ricardo Alarcón, ausführ- men und sich einen Spaß daraus machen, die Brille des Feindes«. Beatles-Fans nicht schlecht, als John Lennon in die lich in Erinnerung, als er die Büste des Bildhauers

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José Villa Soberón am Jahrestag von Lennons Grüße aus Havanna: Wo Che Guevara ist, da Musikexperte« bezeichnet, lei- Ermordung vor versammelter Staatsprominenz kann John Lennon nicht weit sein. Nur leider der wenig mitbekommen. und tausenden Bürgern einweihte. Wer unter den ist in keinem einzigen Plattenladen ein Song Keine Zeit, wie er ergänzte. Kubanern immer noch zweifelte, warum der einst von Lennon oder seinen Beatles aufzutreiben. Während die Beatles »Revo- verpönte Sänger ein Ehrenmal in Havanna verdient Die Weihe des »Parque John Lennon« blieb lution« sangen, musste er sie hat, dem half eine ergänzende Aufzählung weiterer offenbar ein Symbol ohne Folgen. Ach, Kuba... schließlich machen. vorbildlicher Taten: sein Einsatz gegen Rassismus, Die verspätete Einglieder- Apartheid und den Vietnamkrieg, sein Eintreten für In dieser Hinsicht hat er durchaus Gemeinsam - ung John Lennons in den »Be- die Emanzipation der Arbeiterklasse und der keiten mit Companero Fidel Castro, dem sicher aus stand der kulturellen Werte, Frauen, seine Forderung nach Befreiung von Angela dem Herzen spricht, was zu Füßen des Bronze- die das kubanische Volk be - Davis und anderer politischer Gefangener und Johns geschrieben steht. »Du magst sagen, ich bin wundert und respektiert« führ- überhaupt für die Macht des Volkes. ein Träumer, aber ich bin nicht der Einzige«, die te sogar dazu, dass die Partei - Wohl wahr, wenngleich man ergänzen darf, dass berühmte Textzeile aus dem Song »Imagine«, ist auf zeitung »Granma« die Beatles der heilig verehrte John stets vor seiner Ikon - Spanisch in eine Platte graviert. auf eine Liste der »relevanten« isierung warnte: »Ich kann euch nicht aufwecken. Nach der feierlichen Zeremonie zu den Klängen Persönlichkeiten des 20. Jahr- Ihr müsst euch selbst wachrütteln.« Zudem hatte er von »All You Need Is Love«, die manche Kubaner als hunderts setzte – in einer seinen missionarischen Eifer noch kurz vor seinem Akt der Aufnahme Lennons in die Reihen der Reihe mit Fidel Castro, Lenin und »Che« Guevara. verzichtet. Von seinen Beatles-Kollegen machte nur Tod relativiert, indem er seinen Radikalismus nicht Kommunistischen Partei deuteten, hatte Fidel Ches Präsenz im Straßenbild Havannas erreicht Paul McCartney einmal eine Stippvisite. Während mit seiner Mission als gebürtiger Proletarier Castro seine spät entdeckte Verbundenheit mit dem John Lennon natürlich lange nicht, aber dafür ist eines Karibikurlaubs im Januar 2000 mit Tochter begründete, sondern mit seinen Schuldgefühlen ob Musiker erläutert. »Auch ich bin ein Träumer, der der Ort der Kultstätte passend gewählt. Im Viertel und Sohn weilte er zu einem vierstündigen Sight - seines vielen Geldes. »Ich war kein Heuchler, ich seine Träume hat Realität werden sehen.« Vom Vedado – zu deutsch »Waldreservat« – lebten vor seeing in Santiago de . habe wirklich daran geglaubt. Aber wie ein künstlerischen Schaffen John Lennons und der der kubanischen Revolution viele US-Amerikaner. Zwei Jahre später kam der einstige Beatles- Chamäleon wechselte ich oft meine Ansichten.« Beatles hatte Fidel, der sich selbstkritisch als »kein Auch die amerikanische Mafia hatte sich in der Produzent George Martin und setzte sich auf die Gegend eingenistet, um in den Hotels das Glück- Bank neben John, immerhin. Anschließend sparte spiel und Geldwäsche zu betreiben. Mafia-Bosse er nicht mit Lob für den Schöpfer der Statue. Johns wie Meyer-Lansky ließen nicht nur die Puppen tan- Aussehen sei gut erfasst worden, speziell die Art zen, sondern auch bekannte Entertainer auftreten seiner Lippen. Lennons alter Weggefährte zeigte wie den befreundeten Crooner Frank Sinatra, der sich höchst erfreut darüber, dass die Menschen 1947 eine illustre Mafiosigesellschaft im Hotel John immer noch liebten und so an ihn erinnert Nacional unterhielt. würden. John Lennon war leider nie zu Besuch auf der In Wahrheit sind es vor allem Touristen, die sich Karibikinsel. Aber er soll ihn 1972 erwogen haben, stets neben der Bronzefigur des weltberühmten nachdem er von den amerikanischen Hippie- Musikers fotografieren lassen. Die Kubaner machen Führern Stew Albert und Jerry Rubin neugierig ge- das selten. Nur ganz gelegentlich sollen im »Parque macht worden war. Um seine drohende Ausweis - John Lennon« Gitarrenklänge zu hören sein. Wenn ung aus den USA durch die Nixon-Administration vereinzelte Musiker vorbeikommen, um einige sei- nicht zu riskieren, hatte er auf den Trip nach Kuba ner Lieder zu spielen. I ANZEIGE

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