Lost Circles Im Bau Ana Andromeda

Ein Musiktheaterprojekt von æquatuor Musik | Michel Roth und Alfred Zimmerlin Installation/Regie | Marie-Thérèse Jossen und Georges Delnon

Anne-May Krüger | Mezzosopran Matthias Arter | Oboe und Lupophon Tobias Moster | Violoncello Ingrid Karlen | Klavier Stephan Widmer | Schauspieler Ueli Würth | Klangregie

Koproduktion: Festival, Theater Basel, 1 Opera Butxaca i Nova Creació, Theater Chur, æquatuor 2 Lost Circles

Michel Roth (*1976) Im Bau Fünfzehn Klangräume nach einem Fragment von Franz Kafka Uraufführung

Alfred Zimmerlin (*1955) Ana Andromeda Sieben lyrische Bilder auf einen Text von Ingrid Fichtner Uraufführung

Ensemble æquatuor: Anne-May Krüger | Mezzosopran Matthias Arter | Oboe, Lupophon Tobias Moster | Violoncello, Maracas, Singende Säge Ingrid Karlen, | Klavier, Orgel, Melodica

Stephan Widmer | Schauspieler

Tonzuspielungen | «Im Bau»: Sylvia Nopper Tonzuspielungen | «Ana Andromeda»: Sylvia Nopper (Ana Andromeda/Innere Stimme, Mutter, Flüsterchor) und Andreas Müller-Crepon (Per)

Ueli Würth | Klangregie und Audiotechnik Marie-Thérèse Jossen, Georges Delnon | Installation Roland Edrich, Cornelius Hunziker | Licht Ute Vollmar | Dramaturgie Matthias Arter | Projektleitung und Koordination

Künstlerische Produktionsleitung | Ulrike Jühe Regieassistenz | Barbara Schröder Bühnenbildassistenz | Cornelia Schmidt, Katharina Scheicher Regiehospitanz | Clara Stadler

Alle Fotos: © Priska Ketterer 3 Die Ausstattung wurde in den Werkstätten des Theater Basel hergestellt: Technische Direktion | Joachim Scholz; Mitarbeiter | Claude Blatter; Techn. Assistent / Veranstaltungs- technik | Beat Weissenberger Leitung Bühnenbetrieb | Adi Vossen Leiter Beleuchtung | Roland Edrich Leitung Tonabteilung | Robert Hermann Leitung Möbel / Tapezierer | Rolf Burgunder Leitung Requisite / Pyrotechnik | Stefan Gisler Leitung Maske | Elisabeth Dillinger-Schwarz Leitung Hausdienste | Alexander Stumpp, Stellv. Paul Wakefield Werkstätten- / Produktionsleitung | René Matern, Gregor Janson Leitung Kostümabteilung | Karin Schmitz Bühnenbildatelier | Marion Menziger

Koproduktion von LUCERNE FESTIVAL mit dem Theater Basel, dem Theater Chur, der Opera Butxaca i Nova Creació und Ensemble æquatuor.

Unterstützt von | Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Pro Helvetia, Landis & Gyr ­Stiftung, Fondation Nicati-de Luze, Fondation Nestlé pour l’Art, Kanton Luzern, Migros Kulturprozent und Ernst Göhner Stiftung

Dauer: ca. 2 Stunden (Pause nach «Im Bau»)

4 Lost Circles

Aus der Tiefe ans Licht: So könnte das Motto toren» des Instrumentalklangs, färben ihn also, dieses Musiktheaterabends lauten. Ausgangs- meist ohne ­direkt wahrgenommen zu werden. punkt für Michel Roths Kammeroper Im Bau Im Mittelteil durchbricht das Wesen die Gren- auf Kafkas fragmentarischen Text ist das Höh- ze der Moosdecke, tritt ins Freie, atmet frische lensystem eines Fuchses oder Maulwurfs, der Luft, die Elektronik verstummt. Doch hier fühlt im Glauben, seinen Bau abschirmen zu müs- es sich verloren, bedroht und kehrt in den Bau sen, ruhelos durch die Gänge schweift und sei- zurück. Nun stellt sich dort aber ein unfass- ne Gefühle eifrig kommentiert. Die Sängerin bares Geräusch ein. Der präzis formulierende verkörpert in diesem Monodram das Tier, das Kafka wird gezielt unscharf. Das irritierende Ensemble vermittelt die Akustik der Räume. Pfeifen erinnert an Erfahrungen mit Tinnitus, Im Burgplatz, verkörpert durch das tonnen- wie sie auch der Komponist machen musste: schwere Klavier, begegnen wir Hall-Klängen; «Seine Wahrnehmung ist ähnlich wie bei Kafka, der Flügel hat etwas Bergendes, umhüllt als extrem nah und doch entrückt. Es wirkt wie ein Resonanzraum die Sängerin. Gleichzeitig ist Filter. Autosuggestion hat mir geholfen, so wie er aber auch Gegenspieler und kann die Stim- dieses Wesen jeweils für kurze Zeit beruhigt me verzerren oder gar (akustisch) verschlu- einschläft, nachdem es eine vorläufige Erklä- cken. Im Labyrinth der Gänge herrscht be- rung des Phänomens gefunden hat. Ich suchte drohliche Enge; hier dominiert ein Tappen in nach einem ähnlichen Klangphänomen, diffus gleitenden Celloklängen; die enge Röhre der und bohrend zugleich, und kam darauf, dass Oboe schliesslich steht für die Moosdecke, die man mit meinem ungewöhnlichen Beschal- Grenze zur Oberwelt. lungssystem im Innenraum der Instrumente Raum und Klang werden durch Live-Elektronik gezielte Rückkopplungen erzeugen konnte. mitgestaltet. Der Beginn ist noch ­Raum-los, die Dies sind ja auch Töne ohne Ort, schwer loka- Sängerin unsichtbar. Die knackenden, kaum zu lisierbar und scheinbar ohne Ursprung – das ortenden Geräusche bilden den doppelten Bo- System erzeugt sie von selbst. Doch verwende den: Man spürt das Unheimliche, fühlt sich be- ich nicht Rückkopplungen, wie man sie beim engt, desorientiert wie das Wesen im Bau. Die Soundcheck störend erlebt, sondern solche, die Ensemble-Besetzung bringt unterschiedliche äusserst subtil gestaltbar sind.» Resonanzkörper mit sich, in welche einzelne Nach der Rückkehr in den Bau kommen wieder Klänge der Sängerin hinein projiziert werden: die Klangprojektionen, nun jedoch stellen­weise Im Innern der Oboe ist es ein rohrförmiger Laut- live von der Sängerin in die Instrumente hinein sprecher, wie er von Rapmusikern zur Manipu- «gesungen». Das Wesen streift ­erneut durch lation ihrer Stimme benutzt wird, bei Violoncel- Moosdecke, Labyrinth und Burgplatz, doch das lo und Klavier ein Kontaktlautsprecher, der den Gefühl von Vertrautheit kann gar nicht mehr Korpus in Schwingung versetzt und so zu einem aufkommen, da sich immer jener Ton dazwi- riesigen Lautsprecher umfunktioniert. Dabei schen stellt, der nun von den ­Interpreten selbst sind die projizierten ­Gesangspartien «Modula- moduliert wird: Öffnet man ­beispielsweise die

5 Oboen-Klappen, beeinflusst das die Rückkopp- auf der Bühne zurückbleiben. Das Ensemble lung, und wenn sich die Sängerin den Instru- tritt in den Zuschauerraum: man ist als Publi- menten nähert, steuert sie ihrerseits die Klänge. kum nun in derselben Situation wie das Wesen, Wie in neurotischem Zwang muss Kafkas Tier umgeben von Klängen, deren Herkunft und Ort seine Schritte begründen, ja geradezu vertei- man nicht genau eruieren kann. Die Auswahl digen. Auch Michel Roth gibt sich ständig Re- der Variantinstrumente orientierte sich an ih- chenschaft: «Ich benutzte in diesem Stück nicht rem fremdartigen Klang, der allerdings durch nur Materialvorordnungen, sondern auch eine ähnliche Spieltechniken wie beim Hauptinstru- Art Ethik, die mir bestimmte künstlerische­ ment zustande kommt. Letztere bleiben also Handlungsweisen aufzwingt und ungewöhn- nicht nur verlassen auf der Bühne zurück, sie liche Entscheidungsprozesse auslöst. Ich wollte verlieren auch charakteristische Wesenszüge, mich beim Komponieren selbst in die Enge etwa wenn die Melodica das Klavier ersetzt und meines eigenen Baus treiben und schränkte dessen typische Anschlags- und Ausklangs- meinen kreativen Spielraum bewusst so weit charakteristik aufhebt. Dadurch soll die Uto- wie möglich ein.» Kafkas Protagonist bemerkt pie der Stille zum ‹Unort› werden, entfremdet, einmal: «Freilich manche List ist so fein, dass denaturiert, tot.» sie sich selbst umbringt.» Auch der Komponist Das Ende ist bewusst offen gehalten. Da- muss sich vor der eigenen Raffinesse schüt- rauf spielt auch der Titel an: Im Bau ist dop- zen, um Freiheit zu bewahren. Oftmals sind es peldeutig und bezeichnet den Aufenthalt im vertrackte Umwege, die etwas ganz Einfaches Gebäude und den prozesshaften Vorgang des ermöglichen: «Ich bin mir bewusst, dass dies Bauens, der in dieser Geschichte wohl nie zu auch eine Art Selbstüberlistung ist, um in einen einem Ende kommen wird. Die Erzählung ist kreativen Prozess hinein zu kommen. Es kann bezeichnenderweise ein Fragment, wobei man aber durchaus geschehen, dass ich dann die nicht weiss, ob Kafka einfach aufgehört hatte ausgeklügelten Methoden im Stück gar nicht oder der Schluss bloss verloren gegangen ist. verwende oder zumindest nicht konsequent. Im Der letzte Satz «Aber alles blieb unverändert, Unterschied zu diesem Wesen glaube ich nicht das …» steht an einem Seitenende, so dass es an den perfekten Bau.» wahrscheinlich ist, dass zumindest dieser Satz Dieser würde in Kafkas Erzählung einen Bau auf einer unbekannten Folgeseite noch zu Ende im Bau bedeuten, mit absoluter Stille. Doch geschrieben wurde. dies bleibt ein utopisches Ziel – im doppelten Sinne. Das Wesen kann diesen Raum nicht bau- en und es würde ihn auch nicht bewohnen wol- Auch in Alfred Zimmerlins Ana Andromeda len, sondern lieber im Zwischenraum die Stille stand eine Raum-Vorstellung am Anfang: In von dessen Innerem bewachen – diese Passa- der Mitte die Szene, das Publikum ringshe- ge zählt zu Roths prägendsten literarischen rum, links und rechts zwei Schattenensem- Erfahrungen, weshalb er einzig hier in Kafkas bles. Auch hier kommt es zu zuvor nie gehörten Dramaturgie eingegriffen hat und sie erst kurz ­Klängen als Ausdruck eines in der Unwirklich- vor Schluss des Stücks bringt. Nun wechselt keit schwebenden Zeit-Raums: dem Zustand das Instrumentarium allmählich zu Lupophon zwischen Leben und Tod. Während Im Bau in (Bassoboe), Singender Säge und Melodica: 15 Szenen das Wesen bei seiner Bautätigkeit «Ich wollte, dass die Hauptinstrumente am und seinen Reflektionen begleitet und Aktivi- Ende wie tote Hüllen oder verlassene Räume tät und Ruhe, Getriebensein und Schlaf dem 6 ­Libretto eine eigene Zeitstruktur geben, die Von dort her erklingt auch der Chor – nicht all- ­einer ­vegetativen, instinktiven Dramaturgie wissend wie in der griechischen Tragödie, son- folgt, so bleibt die äussere Handlung in Andro- dern als involviert Teilnehmender: ein Flüster- meda stehen, um einer inneren Platz zu geben: chor als Verbindung zum Hier und Jetzt, einmal Im inneren Monolog gleitet sie in sieben Bildern Gaffer, beim Auftauchen der Mutter als Geister- rückwärts, wie in einer Psychoanalyse. Das Le- chor und Klangraum. Anders als Michel Roth ben zeigt sich als Abfolge von Beziehungen, die verzichtet Zimmerlin auf Live-Elektronik und auch die Erinnerung prägen: erfüllte Liebe, ein arbeitet mit vorbereiteten Tonträger-Zuspie- Unglücksfall, Jugend, erste Liebe, Kindheit und lungen. Das Ensemble wird so zu mehreren Geburt. Tod und Wiedergeburt in der Metamor- Ensembles vervielfacht; gleichzeitig verschie- phose zum Sternbild treffen sich. ben sie sich durch einen Vergrösserungskanon Die zyklische Wiederkehr wird auch in der Be- allmählich in der zeitlichen Achse und durch setzung angedeutet. Der Flüsterchor des An- ein langsames Glissando über mehrere Takte fangs erscheint in den letzten Bildern wieder, auch in ihrer Vertikalstruktur. Hier kommt es zu ebenso ein spezielles Instrument, das wir be- einem mikroskopischen Gleiten um einen Vier- reits bei Roth kennen gelernt haben: das Lu- tel-, Sechstel- resp. Achtelton; auch die Ober- pophon, eine Bass-Oboe, die erst in den letzten töne 7 bzw. 11 werden angesteuert. Akkorde Jahren erfunden wurde. Zimmerlin schildert laufen auseinander, Frequenzkonflikte ent- es als introvertiert, lyrisch, verinnerlicht; im stehen und Zimmerlin schafft eine Klangqua- Klang zwischen Englischhorn und Sopransa- lität des Ensembles, die man noch nicht kennt. xophon, mit viel Wärme und einem ausserge- Durch die Verschiebungen zwischen dem Live- wöhnlichen hohen Register. Ensemble und den Zuspielungen resultieren Erinnerung ist der bestimmende Gestus: lyri­ Resonanzen, Schwebungen und Interferenzen, sche Momente, die festgehalten werden, psy- gar Auslöschungen. chische Situationen, innere Zustände wie Ver- Mit Michel Roth hat es bewusst keine Abspra- trauen, Auflehnung, Geborgenheit. Rein linear chen gegeben, ausser: es galt zu reagieren auf ist dies nie: Assoziationen führen zu Vorerin- Kafka, sich abzuheben von einer «Literaturo- nerungen, Rückblenden. Der entscheidende per» die ins Tiefe hinein führt. Das Original- ­Moment des Unfalls, wo es aus Ana heraus- libretto der Dichterin Ingrid Fichtner betonte bricht, wird etwa schon im Vorspiel vorweg ge- bereits im Arbeitstitel Ins Licht die Gegenbe- nommen. Bevor Ana selbst auftritt, lässt der wegung. Wenn Zimmerlin die neutrale Bezeich- Komponist ihre Stimme von einem Tonträger nung 7 lyrische Bilder als Untertitel wählt, zugespielt aus einem Lautsprecher erklingen: spielt er mit der Form der Nummernoper, bei Ana wird aufgespalten, verdoppelt sich in Büh- der sich die Bilder attacca folgen. Jedes Bild nengestalt und Alter Ego. Ihre Sprache kreist hat seinen eigenen Klang. Einmal stehen Stim- um zentrale Begriffe wie Liebe, Glauben, im me und Klavier im Vordergrund, dann struktu- Duktus zögerlich, nachdenklich. Ihr zweites Ge- rieren Einspielungen. «Letztlich muss es gutes genüber ist Per, der das männliche Element Theater geben, es kann nicht um die Selbst- verkörpert, die Erinnerungen kommentiert verwirklichung des Komponisten gehen, wie und gliedert. Anders als der mythische Per- das vielleicht in einem abstrakten Instrumen- seus nimmt dessen Aktualisierung Per Anteil, talstück der Fall sein könnte. Die Musik hat denkt mit. Er spricht eine nüchterne Sprache, eine Funktion im Hinblick auf ein Ganzes, ein aus dem Off. Amalgam von Text, Klang, Bild. Jetzt verlangt 7 das Stück den grossen Raum, jetzt muss er auf einen neuen Ausdruck hin transformiert eng werden, zusammengezogen auf ein Duo. werden.» Eine Metamorphose, wie in Andro- Oder jetzt braucht es eine junge Stimme, ver- medas letztem Bild – das ist eine Grundkon- doppelt durch das Cello, senza Vibrato, um die stante in Zimmerlins Komponieren: integrativ Farbe der Singstimme zu ändern, etwas An- mitnehmen, was schon da war und transportie- drogynes im Mischklang zu erhalten und sozu- ren in einen neuen Ausdrucksraum. Einen As- sagen das Kind zu stützen. Das sind Theater- pekt nehmen und ihn umformulieren. Auch dies Entscheidungen. So lasse ich mich durchaus hat viel mit Erinnerung zu tun. Und damit, dass durch eine Auseinandersetzung mit Konven- Erinnerungen durch das Erinnern selbst sich tionen des Musiktheaters herausfordern. Da- verändern. Erinnerung ist nie identisch mit dem bei soll aber ein neuer, so noch nie erlebter was war. Ana Andromeda ist die Reaktion auf Ausdrucksraum entstehen. Wenn schon Um- einen Mythos, der durch Erinnerung transfor- gang mit Konvention, dann wagemutig, ja wag- miert wird in eine Erinnerung von und für heute. halsig; ich muss alles riskieren dabei, sonst kann das Neue sich nicht ereignen. Wir befin- Thomas Gartmann den uns heute in einer ästhetischen Situation, (Erstpublikation im Programmheft des Lucerne wo so viel möglich ist, wo so viel Vergangenes Festivals zur Uraufführung vom 14. 9. 2012) auch Gegenwart ist. Barockoper ist Gegenwart wie eine Beethoven-Sinfonie, Bergs Lyrische Suite, wie John Lee Hooker, Harrison Birtwistle oder John Coltrane. Einerseits ist das wunder- Tief unter die Haut gingen die zwei von Georges bar, wenn einem so unglaublich viel zur Ver- Delnon inszenierten Musiktheaterwerke: Mit fügung steht, andererseits auch unheimlich ausgeklügeltem Einsatz elektronischer Mit- schwierig; man hat heute nicht einfach irgend tel und kaum verortbaren Klängen hat Michel ein Kompositions-System zur Verfügung, son- Roth 15 «Klangräume» für Kafkas Fragment dern jeder muss selber seinen Weg finden. Das «Im Bau» geschaffen, das den hoffnungslosen ist eine zentrale Frage des heutigen Kompo- Versuch schildert, in einer Art Superreduit Si- nierens: wie kann ich selber kompositorische cherheit und Frieden zu finden. Vom Revier Verbindlichkeit schaffen, wo keine verbindliche unheildräuender Paranoia wandelte sich die Werte mehr gelten. Ich hoffe, dass Andromeda in rötlichen Schummertönen gehaltene Büh- eine persönliche Antwort darauf ist.» ne dann mit wenigen Griffen zu einem Be- Auseinandersetzung mit Konvention? In Ana schwörungsort des Eros der Erinnerung: als Andromeda stellte sich dem Komponisten die Ort für Alfred Zimmerlins «Ana Andromeda» alte Frage nach dem Affekt. Wie weit kann man nach einem Text von Ingrid Fichtner. In bezwin- hier an Grenzen gehen? Kann man heute noch gener Klangsinnlichkeit wird hier das Leben mit Affekt arbeiten? Wer Ja sagt zum Erzählen einer Frau rückwärts erzählt – mit grösstem einer Geschichte, wo die Sängerin ihre Texte Engagement und Können vom Ensemble æqua- singt, sagt auch Ja zum Affekt. Affekt ist etwas tuor und der herausragenden Sängerin Anne- Komplexes, spaltet sich in eine Vielfalt von Af- May Krüger umgesetzt.» fekten. «Es ist mir ganz zentral auch darum gegangen, gleichsam das Belcanto neu zu er- Tobias Rothfahl im «Tages Anzeiger» vom 17. 9. 2011 über die Uraufführung von «Lost Circles» in Luzern (14. 9. 2012) finden, aus dem Kontext des Stücks heraus, unter Verwendung vertrauter Elemente, die 8 Im Bau – zum Inhalt

Fünfzehn Klangräume nach einem Textfragment von Franz Kafka

1. Raum (Prolog) 5. Raum (Labyrinth) Das Wesen, Fuchs oder Maulwurf, erzählt von Auf dem Weg zum Ausgang legte das Tier an- der Entstehung seines Baus, besonders von der fänglich ein Labyrinth an, um seine Feinde Tarnung des Zugangs, die nicht sicher genug «zu ersticken – in Wirklichkeit aber eine viel scheint. «Das weiss ich wohl und mein Leben zu dünnwandige Spielerei darstellt, die einem hat selbst jetzt auf seinem Höhepunkt kaum ernsten Angriff oder einem verzweifelt um sein eine völlig ruhige Stunde.» Leben kämpfenden Feind kaum widerstehen wird.» 2. Raum (Im Bau) Im innersten des Baus findet das Tier zwar 6. Raum (Unter der Moosdecke) Ruhe und Sicherheit, doch ist es ständig mit der Das Wesen fühlt sich schon in der Nähe des Bedrohung von sich heran grabenden Räubern Ausgangs schutzlos. Trotzdem kehrt es im- konfrontiert. Der Bau gerät angesichts dieser mer wieder dorthin zurück, durchbricht dies- unterirdischen Jäger zur Falle: «Vor ihnen ret- mal sogar die schützende Moosdecke und tritt tet mich auch mein Bau nicht, wie er mich ja ins Freie. In seinen Gedanken bleibt es aber wahrscheinlich überhaupt nicht rettet, sondern weiterhin in ihm gefangen, denn «zu viel be- verdirbt, aber eine Hoffnung ist er.» schäftigt mich der Bau.»

3. Raum (Schlaf) 7. Raum (Im Freien) «Das schönste an meinem Bau ist seine Stille», Ausserhalb des Baus will das Tier die Sicher- sagt das Wesen und sinkt in diesen Momenten heit seines Baus überprüfen und beobachten, beruhigt in einen tiefen Schlaf. ob allfällige Feinde überhaupt den versteckten Eingang unter der Moosdecke wittern. «Es gibt 4. Raum (Burg-Platz) glückliche Zeiten, in denen ich mir fast sage, Im Zentrum des Baus steht der Burg-Platz, der dass die Gegnerschaft der Welt gegen mich mit höchster physischer Anstrengung dem Bo- vielleicht aufgehört oder sich beruhigt habe den abgerungen wurde. Neben Träumen von oder dass die Macht des Baues mich heraus- einem perfekten Bau kommen immer wieder hebe aus dem bisherigen Vernichtungskampf.» Zweifel auf, «einigemale wollte ich in der Ver- zweiflung körperlicher Ermüdung von allem 8. Raum (Der Vorposten) ablassen, wälzte mich auf den Rücken und Gedanken über ein Leben dauerhaft ausser- fluchte dem Bau, schleppte mich hinaus und halb des Baus gefolgt von Gefühlen der Ver- liess den Bau offen daliegen, bis ich dann nach lorenheit. «Vertrauen kann ich aber nur mir Stunden oder Tagen reuig zurückkam und fast und meinem Bau.» Vision eines siegreichen einen Gesang erhoben hätte über die Unver- Kampfes mit dem Verderber und einer end- letztheit des Baus.» gültigen Rückkehr in den Bau.

9 9. Raum (Schwierige Rückkehr) 14. Raum (Der Bau im Bau) Trotz verschiedener Versuche kommt das We- Vision eines Baus im Bau: «... den Burgplatz sen von seinem Bau nicht los. «Den Eingang in loszulösen von der ihn umgebenden Erde, bis Kreisen zu umstreichen wird meine Lieblings- auf ein kleines leider nicht loslösbares Funda- beschäftigung, es ist schon fast so, als sei ich ment einen Hohlraum zu schaffen. Hier hatte der Feind und spioniere die passende Gelegen- ich mir immer den schönsten Aufenthaltsort heit aus um mit Erfolg einzubrechen.» vorgestellt, den es für mich geben könnte. Auf dieser Rundung hängen, hinauf sich ziehen, hi- 10. Raum (Schlaf) nab zu gleiten, sich überschlagen und wieder Endlich Rückkehr unter die Moosdecke. «Aus Boden unter den Füssen haben und alle die- der Oberwelt bin ich wieder in meinen Bau ge- se Spiele förmlich auf dem Körper des Burg- kommen und ich fühle die Wirkung dessen so- platzes spielen und doch nicht in seinem ei- fort. Es ist eine neue Welt, die neue Kräfte gibt. gentlichen Raum, sondern ihn förmlich fest Ich ziehe die Moosdecke über mir zu.» zwischen den Krallen halten. Dann gäbe es 11. Raum (Ein Zischen oder Pfeifen) keine Geräusche in den Wänden, keine fre- Doch der Bau hat sich in der Zwischenzeit chen Grabungen bis an den Platz heran, dann verändert: «Ein kaum hörbares Zischen oder wäre dort der Friede gewährleistet, das Rau- ­Pfeifen weckt mich.» Spekulationen über des- schen der Stille, und ich wäre sein Wächter.» sen Ursache, «manchmal glaube ich, niemand 15. Raum (Epilog) ­ausser mir würde es hören.» Stundenlanges Rastlos streift das Tier weiter durch seinen Bau Beobachten, Horchen, Umhergehen, Probegra- und sucht erfolglos nach der Quelle des undefi- bungen, doch «unerschüttert zischt es dort weit nierbaren Geräuschs. «Wenn das Tier mich ge- in der Ferne. hört hätte, hätte doch auch ich etwas davon be- 12. Raum (Unter der Moosdecke) merken müssen, es hätte doch wenigstens in Zunehmend panische Angst vor der unbe- der Arbeit öfters innehalten müssen und hor- kannten Bedrohung. Zeitweilige Rückkehr un- chen, aber alles blieb unverändert». ter die Moosdecke. Dort herrscht «tiefe Stille. Wie schön es hier ist, niemand kümmert sich um meinen Bau, jeder hat seine Geschäfte, die keine Beziehung zu mir haben, wie habe ich es angestellt das zu erreichen.»

13. Raum (Verständigung) Fragen einer möglichen Verständigung mit dem unsichtbar zischenden Wesen. Doch «selbst wenn es ein so sonderbares Tier wäre dass sein Bau eine Nachbarschaft vertragen würde, mein Bau verträgt sie nicht.»

10 Ana Andromeda – zum Inhalt

Sieben lyrische Bilder auf einen Text von Ingrid Fichtner

Die Personen Bild 3: Ana schwelgt zuerst im Zustand der lei- Ana…...... Mezzosopran sen Glückseligkeit, leidet jedoch unter der Per...... Sprechrolle, zugespielt fehlen­den Liebe der Mutter, könnte sich von Die Mutter...... Sopran, zugespielt Per geliebt und gestützt fühlen, zweifelt aber [Flüsterchor] auch an sich selber, an ihrer Fähigkeit zu lie- ben, an ihrer Fähigkeit zu glauben, an ihrer Fä- Synopsis higkeit zu verstehen. Ana Andromeda beschreibt in einem Bogen vom schwebenden Moment des Todes zurück Bild 4: Ana erlebt einen tiefen Einschnitt in ihr bis in die Kindheit das Leben Anas, sodass am Leben, überlebt einen Unfall, ein Unglück, das Ende der Tod als in die Geburt mündend gese- sie über das Leben, den Sinn des Lebens, über hen werden kann, beide sich bündeln, ineins Schuld und über den Tod nachdenken lässt fallen. In sieben Bildern spiegelt sich die Erfah­ («Kann der Tod denn täuschen?»). rung von Liebe, von Unheil, von Unglück, von Bild 5: Ana befindet sich in einem Zustand des Enttäuschung, von Geborgenheit, von Unge- Übergangs, nun der Jugend, in einem Zustand wissheit, von Zweifeln. Ist das Leben nur ein der Ablehnung und Auflehnung, der Loslösung. Zwischenspiel, kurze Unterbrechung des Nicht­ Sie möchte den Schrecken der beherrschen- seins, so unbegreiflich wie der Tod – ein Au- den, egoistischen Mutter hinter sich lassen, sie genblick aufgehoben in der «Ewigkeit» wie die möchte vergessen, sie muss sie verlassen. Geschichte der Andromeda im Sternbild am Himmel? Bild 6: Ana erlebt eine unbelastete, ihre erste Liebe, die Leichtigkeit, die Unbeschwertheit, Die Bilder vielleicht sogar Verrücktheit solch einer ersten Bild 1: Ana liegt im Sterben, ihr Tod wird er- Liebe. Dann aber sieht sie sich doch auch schon wartet, gewünscht, befürchtet. Ihr Leben be- einer inneren Leere ausgesetzt, die sich in der ginnt sich aufzutun, rückt sie, rückt sich ins missbrauchten, verwüsteten Natur spiegelt. Licht. Ana «kehrt ins Leben ein» (nicht zurück), vielleicht wie man ein fremdes Haus betritt – Bild 7: Ana ist in ihre Kindheit, und dadurch in langsam, zögernd, vorsichtig, respektvoll. die Fröhlichkeit und Geborgenheit, die ihr der Vater vermittelt hat, zurückversetzt – bis hin Bild 2: Ana begegnet der Liebe, ist im grossen zum Moment der Geburt, der bereits das Ge- Zustand der tragenden, der gelingenden Lie- heimnis der Versetzung in eine andere Welt be, ganz von ihr erfasst – und zugleich voller birgt und zugleich an den Anfang, zum ersten Zweifel: der Andere, auch der geliebte Andere, Bild, zum Moment des Todes zurückführt. Der bleibt immer unfassbar. Kreis hat sich geschlossen.

11 12 Im Bau – Text

Fünfzehn Klangräume nach einem Textfragment von Franz Kafka Libretto: Michel Roth Anmerkung: Die originale Interpunktion wurde weitgehend belassen.

1. Raum (Prolog) 2. Raum (Im Bau) Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint Im innersten meines Baues lebe ich in Frieden. wohlgelungen. Doch inzwischen bohrt sich langsam und still der Gegner von irgendwoher an mich heran, Von aussen ist eigentlich nur ein grosses Loch ich will nicht sagen, dass er bessern Spürsinn sichtbar, dieses führt aber in Wirklichkeit nir- hat als ich, vielleicht weiss er ebenso wenig von gends hin, ich will mich nicht dessen rühmen mir wie ich von ihm, aber es gibt leidenschaft- diese List mit Absicht ausgeführt zu haben, es liche Räuber, die blindlings die Erde durchwüh- war vielmehr der Rest eines der vielen vergeb- len und bei der ungeheueren Ausdehnung lichen Bauversuche, aber schliesslich schien meines Baues haben selbst sie Hoffnung ir- es mir vorteilhaft. gendwo auf einen meiner Wwege zu stossen, Freilich manche List ist so fein, dass sie sich freilich ich habe den Vorteil in meinem Haus zu selbst umbringt, und es ist gewiss auch kühn, sein, alle Wege und Richtungen genau zu ken- durch dieses Loch überhaupt auf die Möglich- nen, der Räuber kann sehr leicht mein Opfer keit aufmerksam zu machen, dass hier etwas werden und ein süss schmeckendes, aber ich Nachforschungswertes vorhanden ist. werde alt, es gibt viele die kräftiger sind als ich und meiner Gegner gibt es unzählige, es könnte Doch verkennt mich wer glaubt dass ich feige geschehn, das ich vor einem Feind fliehe und bin und etwa nur aus Feigheit meinen Bau an- dem andern in die Fänge laufe, ach was könnte lege. Wohl tausend Schritte von diesem Loch nicht alles geschehn, jedenfalls muss ich die entfernt liegt von einer Moosschicht verdeckt Zuversicht haben, dass irgendwo vielleicht ein der eigentliche Zugang zum Bau. Gewiss, es leicht erreichbarer, völlig offener Ausgang ist, kann jemand auf das Moos treten. Wer Lust hat wo ich, um hinauszukommen, gar nicht mehr kann eindringen und für immer alles zerstören. zu arbeiten habe, so dass ich nicht etwa, wäh- rend ich dort verzweifelt grabe, sei es auch in In meinen Träumen schnuppert dort eine lü- leichter Aufschüttung, plötzlich – bewahre mich sterne Schnauze unaufhörlich herum. der Himmel – die Zähne des Verfolgers in mei- Das weiss ich wohl und mein Leben hat selbst nen Schenkeln spüre. jetzt auf seinem Höhepunkt kaum eine völlig Es gibt auch Feinde im Innern der Erde, ich ruhige Stunde. habe sie noch nie gesehn, aber ich glaube fest An jener Stelle im dunklen Moos bin ich sterb- an sie. Es sind Wesen der innern Erde, selbst lich. wer ihr Opfer geworden ist hat sie kaum ge- sehn, sie kommen, man hört das Kratzen ihrer Krallen knapp unter sich in der Erde, die ihr

13 Element ist, und schon ist man verloren. Hier Tränen der Freude und Erlösung glitzern noch ist man in ihrem Haus. an meinen Barthaaren, wenn ich erwache.

Vor ihnen rettet mich auch mein Bau nicht, wie 5. Raum (Labyrinth) er mich ja wahrscheinlich überhaupt nicht ret- Wenn ich mich dem Ausgang nähere, hat es tet, sondern verdirbt, aber eine Hoffnung ist er. immer eine gewisse Feierlichkeit. Ich kann ohne ihn nicht leben. Ich weiche ihm aus, vermeide sogar den Gang, 3. Raum (Schlaf) der zu ihm führt in seinen letzten Ausläufern Das schönste an meinem Bau ist seine Stille. zu begehn, es ist auch gar nicht leicht dort he- rumzuwandern, denn ich habe dort ein kleines Stundenlang kann ich durch meine Gänge tolles Zickzackwerk von Gängen angelegt; dort schleichen und höre nichts als manchmal das fing mein Bau an, ich durfte damals noch nicht Rascheln irgendeines Kleintiers, das ich gleich hoffen ihn je so beenden zu können, wie er in zwischen meinen Zähnen auch zur Ruhe meinem Plane dastand, ich begann halb spie- bringe. lerisch an diesem Eckchen und so tobte sich dort die erste Arbeitsfreude in einem Labyrin- Von Zeit zu Zeit schrecke ich auf und lausche, thbau aus, der mir damals die Krone aller Bau- lausche in die Stille, die hier unverändert ten schien, den ich aber heute wahrscheinlich herrscht bei Tag und Nacht, lächle beruhigt und richtiger als allzu kleinliche, des Gesamtbaues sinke mit gelösten Gliedern in noch tiefern nicht recht würdige Bastelei beurteile, die zwar Schlaf. theoretisch vielleicht köstlich ist – hier ist der Eingang zu meinem Haus, sagte ich damals 4. Raum (Burg-Platz) ironisch zu den unsichtbaren Feinden und sah Mit der Stirn bin ich tausend und tausend Mal sie sämtlich schon im Eingangslabyrinth ersti- tage- und nächtelang gegen die Erde ange- cken – in Wirklichkeit aber eine viel zu dünn- rannt, war glücklich wenn ich sie mir blutig wandige Spielerei darstellt, die einem ernsten schlug, denn dies war ein Beweis der begin- Angriff oder einem verzweifelt um sein Leben nenden Festigung der Wand, und habe mir auf kämpfenden Feind kaum widerstehen wird. diese Weise, wie man mir vielleicht zugeste- hen wird, meinen Burgplatz wohl verdient. Ei- Einem wirklich grossen Angriff muss ich gleich nigemale wollte ich in der Verzweiflung kör- mit allen Mitteln des Gesamtbaues und mit al- perlicher Ermüdung von allem ablassen, len Kräften des Körpers und der Seele zu be- wälzte mich auf den Rücken und fluchte dem gegnen suchen. Bau, schleppte mich hinaus und liess den Bau offen daliegen, bis ich dann nach Stunden oder 6. Raum (Unter der Moosdecke) Tagen reuig zurückkam und fast einen Gesang Gehe ich nur in der Richtung zum Ausgang ist erhoben hätte über die Unverletztheit des Baus. mir manchmal als verdünne sich mein Fell, als könnte ich bald mit blossem kahlen Fleisch da- Manchmal träume ich, ich hätte ihn umgebaut, stehn. ganz und gar geändert, schnell, mit Riesenkräf- ten, in einer Nacht, von niemandem bemerkt Dann bin ich unter der Moosdecke. Nur noch und nun sei er uneinnehmbar, der Schlaf in dem ein Ruck des Kopfes ist nötig und ich bin in der mir das geschieht ist der süsseste von allen, Fremde.

14 Aber schon bin ich draussen und jage, so schnell Hätte ich doch irgendjemanden, dem ich ver- ich kann, weg von dem verräterischen Ort. trauen könnte, den ich auf meinen Beobach- tungsposten stellen könnte. Im Freien bin ich nun eigentlich nicht, zwar drü- cke ich mich nicht mehr durch die Gänge, son- Vertrauen kann ich aber nur mir und meinem dern jage im offenen Wald, fühle in meinem Bau. Körper neue Kräfte, für die im Baue gewisser- massen kein Raum ist, das leugne ich nicht. Nein, ich beobachte doch nicht wie ich glaubte meinen Schlaf, vielmehr bin ich es der schläft, Doch zu viel beschäftigt mich der Bau. während der Verderber wacht. Wenn er doch jetzt käme, wenn er doch daran zu arbeiten be- 7. Raum (Im Freien) gänne, das Moos zu heben, wenn er doch sich Ich belauere den Eingang meines Hauses. Es flink hineinzwängte, damit ich endlich in einem macht mir eine unsagbare Freude, mehr noch, Rasen hinter ihm her, frei von alle Bedenken ihn es beruhigt mich. Mir ist dann, als stehe ich anspringen könnte, ihn zerbeissen, zerfleischen, nicht vor meinem Haus, sondern vor mir selbst, zerreissen und austrinken und seinen Kadaver während ich schlafe, und hätte das Glück gleich zur andern Beute stopfen könnte, vor gleichzeitig tief zu schlafen und dabei mich allem aber, das wäre die Hauptsache, endlich scharf bewachen zu können. Ich bin gewisser- wieder in meinem Bau wäre, gern diesmal so- massen ausgezeichnet, die Gespenster der gar das Labyrinth bewundern wollte, zunächst Nacht nicht nur in der Hilflosigkeit und Ver- aber die Moosdecke über mich ziehen und ru- trauensseligkeit des Schlafes zu sehen, son- hen wollte, ich glaube, den ganzen noch üb- dern ihnen gleichzeitig in Wirklichkeit bei vol- rigen Rest meines Lebens. ler Kraft des Wachseins zu begegnen. Aber es kommt niemand und ich bleibe auf mich Hier gibt es viele Feinde, aber sie bekämpfen allein angewiesen. sich auch gegenseitig und jagen in diesen Be- schäftigungen am Bau vorbei. Es gibt glück- 9. Raum (Schwierige Rückkehr) liche Zeiten, in denen ich mir fast sage, dass Ich war nicht ganz fern von dem Entschluss in die Gegnerschaft der Welt gegen mich vielleicht die Ferne zu gehn, das alte trostlose Leben wie- aufgehört oder sich beruhigt habe oder dass der aufzunehmen, das keine Sicherheit hatte, die Macht des Baues mich heraushebe aus dem das eine einzige ununterscheidbare Fülle von bisherigen Vernichtungskampf. Gefahren war und die einzelne nicht so genau Der Bau schützt vielleicht mehr, als ich im In- sehen und fürchten liess, wie es mich der Ver- nern des Baues zu denken wage. gleich zwischen meinem sicheren Bau und dem sonstigen Leben immerfort lehrt. 8. Raum (Der Vorposten) Manchmal bekomme ich den kindischen Den Eingang in Kreisen zu umstreichen wird Wunsch überhaupt nicht mehr in den Bau zu- meine Lieblingsbeschäftigung, es ist schon fast rückzukehren, sondern hier in der Nähe des so, als sei ich der Feind und spioniere die pas- Eingang mich einzurichten, mein Leben in der sende Gelegenheit aus um mit Erfolg einzubre- Beobachtung des Eingangs zu verbringen. chen. Aber haben denn meine Feinde überhaupt die richtige Witterung, wenn ich nicht im Bau bin? 15 10. Raum (Schlaf) ein Weilchen lang glaubt man, das Pfeifen sei Aus der Oberwelt bin ich wieder in meinen Bau für immer zu Ende. Es ist als öffnete sich die gekommen und ich fühle die Wirkung dessen Quelle, aus welcher die Stille des Baus strömt. sofort. Es ist eine neue Welt, die neue Kräfte Man hütet sich diese Entdeckung gleich nach- gibt. Ich ziehe die Moosdecke über mir zu. zuprüfen, man sucht jemanden dem man sie vorher unangezweifelt anvertrauen könnte, 11. Raum (Ein Zischen oder Pfeifen) man galoppiert deshalb zum Burgplatz, man Ein kaum hörbares Zischen oder Pfeifen weckt erinnert sich, da man mit allem was man ist zu mich. Ich habe es gar nicht gehört, als ich kam, neuem Leben erwacht ist, dass man schon lan- trotzdem es gewiss schon vorhanden war; ich ge nichts gegessen hat, man reisst irgendet- musste erst wieder völlig heimisch werden, um was von den unter der Erde halb verschütteten es zu hören. Vielleicht handelt es sich hier um Vorräten hervor und schlingt daran noch, wäh- ein Tier, das ich noch nicht kenne. Es müsste rend man zu dem Ort der unglaublichen Ent- eine grosse Herde sein, die plötzlich in mein deckung zurückläuft, man will sich zuerst nur Gebiet eingefallen wäre. Eine grosse Herde nebenbei, nur flüchtig während des Essens von kleiner Tiere? der Sache nochmals überzeugen, man horcht: Es ist ja nichts, manchmal glaube ich, niemand unerschüttert zischt es dort weit in der Ferne. ausser mir würde es hören. 12. Raum (Unter der Moosdecke) Sonderbar, das gleiche Geräusch auch hier. Das Ich will gar nicht behaupten, dass das Tier von Gleichbleiben an allen Orten stört mich am mei- mir weiss, mich einkreist, wohl einige Kreise sten. hat es schon um meinen Bau gezogen, seitdem ich es beobachte. Und das Geräusch wird stär- Was ist es denn? Ein leichtes Zischen, in lan- ker, die Kreise enger. gen Pausen nur hörbar, ein Nichts, an das man Wie kam es nur dass so lange Zeit alles still sich, ich will nicht sagen, gewöhnen könnte, und glücklich verlief? Das Glück seines Be- nein gewöhnen könnte man sich daran nicht, sitzes hat mich verwöhnt, die Empfindlichkeit das man aber, ohne vorläufig geradezu etwas des Baues hat mich empfindlich gemacht, sei- dagegen zu unternehmen, eine Zeitlang beo- ne Verletzungen schmerzen mich als wären es bachten könnte, beobachten, d.h. alle paar die meinen. Stunden gelegentlich hinhorchen und das Er- gebnis geduldig registrieren, aber nicht wie ich Ich irre soweit ab, dass ich bis zum Labyrinth das Ohr die Wände entlangschleifen und fast komme, es lockt mich an der Moosdecke zu bei jedem Hörbarwerden des Geräuschs die horchen. So ferne Dinge. Tiefe Stille. Wie schön Erde aufreissen, nicht um eigentlich etwas zu es hier ist, niemand kümmert sich um meinen finden sondern um etwas der innern Unruhe Bau, jeder hat seine Geschäfte, die keine Be- entsprechendes zu tun. ziehung zu mir haben, wie habe ich es ange- Das wird jetzt anders werden, hoffe ich. stellt das zu erreichen.

Manchmal scheint es mir, als habe das Ge- Hier an der Moosdecke horche ich stundenlang räusch aufgehört, es macht ja lange Pausen, vergebens. Es ist fast, als überliesse ich dem manchmal überhört man ein Zischen, dann Zischer schon das Haus. schliessen sich zwei Pausen zusammen und 16 13. Raum (Verständigung) Aufenthaltsort vorgestellt, den es für mich ge- Aber in Wirklichkeit ertrage ich es hier oben ben könnte. Auf dieser Rundung hängen, hinauf doch nicht. sich ziehen, hinab zu gleiten, sich überschla- gen und wieder Boden unter den Füssen haben Wie standen die Dinge zuletzt? Das Pfeifen war und alle diese Spiele förmlich auf dem Körper schwächer geworden? Nein es war stärker ge- des Burgplatzes spielen und doch nicht in sei- worden. Das Pfeifen ist gleich geblieben. Dort nem eigentlichen Raum, sondern ihn förmlich drüben gehen keine Veränderungen vor sich, fest zwischen den Krallen halten. dort ist man ruhig und über die Zeit erhaben, hier aber rüttelt jeder Augenblick am Horcher. Dann gäbe es keine Geräusche in den Wänden, keine frechen Grabungen bis an den Platz he- Ist das Tier auf Wanderschaft dann wäre viel- ran, dann wäre dort der Friede gewährleistet, leicht eine Verständigung mit ihm möglich. das Rauschen der Stille, und ich wäre sein Wächter. Aber vielleicht gräbt es seinen eigenen Bau, dann kann ich von einer Verständigung nicht 15. Raum (Epilog) einmal träumen. Selbst wenn es ein so son- Gehört hat mich das Tier wohl nicht. Solange derbares Tier wäre dass sein Bau eine Nach- ich nichts von ihm wusste, kann es mich über- barschaft vertragen würde, mein Bau verträgt haupt nicht gehört haben, denn da verhielt ich sie nicht. mich still, es gibt nichts Stilleres als das Wie- dersehen mit dem Bau. Wenn es mich gehört 14. Raum (Der Bau im Bau) hätte, hätte doch auch ich etwas davon bemer- ... den Burgplatz loszulösen von der ihn umge- ken müssen, es hätte doch wenigstens in der benden Erde, bis auf ein kleines leider nicht los- Arbeit öfters innehalten müssen und horchen, lösbares Fundament einen Hohlraum zu schaf- aber alles blieb unverändert, das ... fen. Hier hatte ich mir immer den ­schönsten

17 Ana Andromeda – Text

7 lyrische Bilder auf einen Text von Ingrid Fichtner Musik: Alfred Zimmerlin

Bild 1 Kalt war der Morgen Flüsterchor [Zuspiel]: aber jetzt – Jetzt … es wird Zeit, ja höchste Zeit ... ich hab die Luft ist mild … am genug, ich halt’ es nicht mehr aus, es hat ja Ende … könnt’ es nicht keinen Sinn … sie meint nicht, was sie sagt, sie könnt’ es ein Aufgehen sein? weiss nicht, was sie sagt, was sie sagt, bedeu- Die Luft ist mild … das Licht tet nichts, sie kriegt gar nichts mehr mit, sie ein warmes Tuch kriegt nichts mit … ich halt es nicht mehr aus, ich kann es nicht mehr sehen, ich kann sie nicht Bild 2 mehr sehen Ana: Per [Zuspiel]: Sacht legt der Himmel Hört auf! Seid endlich still! Schert euch doch sich auf mich und hebt mich weg! Ich will noch bei ihr sein, lasst mich mit trägt mich ihr allein! Wie sie da liegt! Sie ist: ein Bild! trägt mich ein Schweben? trägt mich ein Halten? Ana [Innere Stimme, Zuspiel]: Holt mich was? Was Wie still es plötzlich ist … sie möchten wohl, holt mich … heim? dass ich sie wissen nicht Per [Zuspiel]: sie meinen ja, sie glauben Du zweifelst? Kannst du denn nicht glauben? ich wäre schon gestorben Komm, glaube mir, die Liebe gibt es, wie den ich wäre tot … bald schon im Grab Strauch, den Baum, den Berg. Komm: Ich lie- be dich, ich möchte, dass du bist. Wie hilflos sie doch sind, und starr, man könnte meinen sie sind tot Ana: was meinen sie … sie wissen nicht In einen … in einem Himmel sie glauben … liege ich doch Wie hell nun er …. wie hell nun Ana: dieser Mann doch vor mir steht – noch ist es nicht soweit … und Und seine Hand ist warm doch … es reicht es ist genug und greift nach meiner Hand: bald … ist es dann … so … weit Die Welt dreht sich um uns ... Was andres ist ein Kuss?! Die Welt dreht sich ... um uns

Ich bin noch da ...

18 Ana [Innere Stimme]: Ana: Was sagen seine Augen? Lieb’ ich denn ... Vater Mutter? Was sagen diese Augen? Lieb’ ich denn meine Mutter? Was sahen diese Augen? Was sehen diese Augen? Hat Mutter mich denn je geliebt?

Ana: Per [Zuspiel]: Was sagt sein «Komm», Wie sie da liegt! Als hätte ein Meister sie ge- was sagen die drei Worte dacht! «Komm zu mir ...» Doch sie ist wirklich, eine Frau aus Fleisch und Was sehen diese Augen? Blut. Und ihre Augen sind voll Tränen. Wer straft sie so?! Was hat sie denn getan?! Ana [Innere Stimme]: Ana: Die Augen ... hell, ein Himmel, und dann doch wieder dunkel Wie je ... Wie jäh ... Ana: Wie jäh doch Liebe sein ... wie das Meer ... und still ... so still der Himmel ... leer ... die Luft ein Kann ich noch glauben? Lauschen Hab’ ich je geglaubt ... Ana Ana [Innere Stimme]: [Innere Stimme]: Was sehen diese Augen? Und hiesse lieben denn nicht immer glauben, Die Luft ein Lauschen heisst glauben denn nicht immer ... lieben? ein Schauen ein Lauschen ein Schauen Ana: Ich bin noch da ... doch Bild 3 kann ich mich noch bewegen? Ana: Ich bin noch da ... Und: Ob ich am Ende wissen werde, wie’s gemeint Gerettet hat er mich war? «Ich möchte, dass du bist.» Sagt das nicht nur die Liebe? Bild 4 Ich möchte es ich möcht’ es glauben können Ana: ich glaub’ ... ich möchte es, ich Gemeint? muss glauben es glauben Nein! N e i n, das darf’s nicht sein! Ich weiss es nicht. Wo kann ich hin? Da ist das Haus, die Mauer Ana [Innere Stimme]: dort die Strasse, all die Autos, nein – Könnte das Liebe sein? Dies Nichtwissen Die Welt ist fort ... ich bin noch da ... doch kann ich meine Augen öffnen, kann ich mich bewe- Ob ich noch lieben kann? gen? Kann ich noch lieben? Wie weit weg doch alles ist ...

19 die Berge ... die Häuser ... Berge ... Häuser ... in Ruh ... Sonst schaff’ ich’s nicht! Ich muss ... klein ... Spielzeug ... ich hab zu tun! Jetzt nicht! Du störst! Siehst du denn nicht? Der Tod ... hat mich ... getäuscht Ana: ... bis in den Himmel ist es immer weit ... Sie hat damit Erfolg ... Hätt’ mich die Strafe treffen sollen, die doch ihr Belohnt denn diese unsere Zeit nur noch die Rücksichtslosen, ihre Gier nach Macht? gebührte? Per Warum ... wie ist es möglich, dass ein Kind, [Zuspiel]: dass eine Tochter ... für die Mutter leiden Sie hat die Mutter sich nicht ausgesucht. statt der Mutter ... büssen muss? Sie ist ganz anders. Der Vater war ihr nah. Ana: Werd’ ich am Ende wissen, wie’s gemeint war? Vergessen möchte ich ... und gehen

Bild 5 Verlassen ... hat die Liebe mich Ana: Ist das Gerechtigkeit? Wille des Himmels? Nun will ... nun muss ... auch ich ... Eines Gottes? Einer höheren Macht? Bild 6 Ist es vorausbestimmt? Ana: Flüsterchor [Zuspiel]: Könnte es sein, dass ich ... ich Vergessen ... ist doch nichts, das leicht fällt ... träume ... ich glaube ... ich werde

Grau ist die Stadt, laut sind die Strassen, ich bin ... verliebt voller Staub; leer ist die Landschaft Ana [Innere Stimme]: ich will hinaus, bei klarer Sicht sind da Bin ich verrückt? Bin ich noch ich? die Berge, Flüsse, Seen, das Meer Wie leicht es plötzlich ist ... mit ihm zu ... gehen Ana: scheint mir ein ... Tanzen ... alle Welt Ich hab die Mutter mir nicht ausgesucht ... nicht die Welt ... dreht sich, die Welt dreht sich ... um

mich, ich glaub’, ich bin verliebt sie ... und immer Streit ...... im grossen Zimmer Ana: nie will ich sein wie sie ... heisst lieben denn nicht immer glauben, so machtbesessen ... alles, alle ... muss sie ganz heisst glauben denn nicht immer lieben? allein bestimmen Ana [Innere Stimme]: ja, beherrschen. Immer geht es nur um sie ... Die Welt ist bunt, ist reine Freude, reiner Weh’ dem, der nicht gleich tut, was sie Übermut! befiehlt, weh dem, der nicht so voller Ehrgeiz Bin ich verrückt? Bin ich ... noch ich? ist, ehrgeizig wie sie ... Bin ich noch ich?

Mutter [Zuspiel], gleichzeitig: Siehst du denn nicht?! – Jetzt nicht! Lass mich

20 Flüsterchor [Zuspiel]: Ich bin da ...

Grau ist die Stadt, laut sind die Strassen, ich bin ... voller Staub; leer ist die Landschaft ... ich ich fühle, glaube ... es, ich ich will hinaus, bei klarer Sicht sind da glaube, dass ... die Berge, Flüsse, Seen, das Meer und doch Ja!

Per Ist dieser Glanz ... ein Netz? [Zuspiel]: Und dann war keiner da. Allein war sie dem er bannt ... es hält ... und ... ich Schicksal überlassen. So weit trägt junge Lie- welch’ ... Licht! be nicht. Und jetzt? Bin ich dem Himmel denn ein Wunder wert?

Sie sieht noch nicht, weiss nicht, was ihr ge- Ist dieser Glanz ... die Welt? schieht. Ahnt sie bereits?

Ana: Er ... hebt mich hoch ... er ... holt mich ... hoch die Erde bebt das Meer, es brennt Ich glaub’ ... ich bin ... ist leer Flüsterchor [Zuspiel]: Bild 7 Sacht ... jetzt ... ist sie da ... im Licht der Anfang Ana: das Ende der Anfang im Licht Moos blüht auf den alten Stufen; es strahlen ... Sirrah ... Mirach ... Alamak in den Ritzen glitzert’s ... auch Per [Zuspiel]: die Bäume tragen Lichter ... Andromeda geht auf. in jedem Baum ... ein Mond in jedem Baum ... ein Flüsterchor [Zuspiel]: Licht, die ganze Nacht hindurch ... jetzt ... ist sie da ... in jedem Baum ein Mond, die ganze Nacht hindurch und dann, in jedem Baum, der Mond, er hängt im Laub, er hängt im Blau, im Morgen noch

Ich bin mit Vater ... sammle Muschelschalen, flach geschliff’ne Steine, Strandgut, Äste, die wie Monster aussehen ... von Vater lern’ ich ... Drachen steigen wie Gedanken fliegen Flieder stehlen ... und dann, in der Nacht, die Namen der Planeten ... Sterne Sternbilder – nein, Himmelsnähe macht mir keine Angst!

21 22 Matthias Arter Georges Delnon Ingrid Fichtner Projektleiter, Oboist Installation / Regie Libretto «Ana Andromeda» www.marterart.ch www.ingridfichtner.ch

Matthias Arter wurde 1964 in 1958 in Zürich geboren, stu- 1954 in Judenburg, Österreich­ Zürich geboren und studierte­ dierte Georges Delnon­ Ge- geboren, lebt nach ihrem Studi- zunächst Oboe bei Peter Fuchs schichte und Kunstgeschich- um der englischen Sprache an und Thomas Indermühle­ te so-wie­ Komposition. 1985 der Universität Wien und sie- ­(Musikhochschule Zürich). war er Mitbegründer des «Ate- benjährigem Aufenthalt in den ­Weitere Studien und Meister- lier 20», einer Gruppe für zeit- USA seit 1985 in der Schweiz; kurse bei Heinz Holliger und genössisches Theater und publiziert seit 1995 regelmäs- Maurice Burgue (Freiburg i. Musik in . Wichtige Insze- sig in Literaturzeitschriften und Br.). Die Arbeit mit seinen En- nierungen im Bereich zeitge- Anthologien («Jahrbuch der Ly- sembles Octomania, Arion- nössiches Musiktheater waren rik 2011», «Von Jandl weg auf Quintett, æquatuor und pre-art bisher «Das Lachen der Scha- Jandl zu», «A–CH Nachbar- soloists begleitet und prägt ihn fe» (Jacques Demierre) in Lu- schaftliche Betrachtungen»), seit vielen Jahren, regelmäs- zern, die Uraufführung «G» von sowie in Einzelbänden ( «Lich- sige Rezitals mit verschiedenen Gavin Bryars in , «22,13» te Landschaft», «Luftblaumes- InstrumentalpartnerInnen (Kla- von Marc André für die Bienna- ser», «Das Wahnsinnige am vier, Harfe, Gitarre) zeigen ihn le München, Mainz und das Fe- Binden der Schuhe», «Farb- mit einem Repertoire, welches stival d’Automne Paris/Opéra treiben»), für die sie mehrfach von der Renaissance bis zur National de Paris sowie die Ur- ausgezeichnet wurde, haupt- neuesten Musik reicht. aufführung von Carola­ Bauck- sächlich Lyrik. Seit Jahren kon- Aufführungen seiner Komposi- holts Hörtheater «Hellhörig» tinuierliche Zusammenarbei- tionen an den Tagen für Neue für die Biennale München 2008. ten mit Musikern (u.a. Michel Musik Zürich, im Musikpodium 1996–1999 war Delnon Inten- Seigner, Katharina Klement, der Stadt Zürich, sowie an an- dant des Theaters der Stadt Daniel Studer), besonders mit deren Festivals in der Schweiz, ­Koblenz und Mitbegründer Alfred Zimmerlin («Neidhart- Deutschland, Georgien, Arme- der Festungsspiele Koblenz. lieder: Winter, Sommer» 2001; nien, Ukraine, Kanada und Al- 1999–2006 leitete er als Inten- «Albrecht – Ein Königsmord in banien. Solistische CD-Produk- dant das Staatstheater Mainz. Habsburg» 2008; «Wasser-Ves- tionen u.a. bei MGB, ECM, Arte Seit der Spielzeit 2006/ 2007 ist per» 2009). Nova pan classics, col legno, Georges Delnon Direktor des und en avant. Bei «Neos» ist Theater Basel und seit 2009 ausserdem eine CD mit einigen künstlerischer Leiter des Mu- seiner Solostücke erschienen. siktheaters der Schwetzinger Matthias Arter ist ausser Festspiele. dem als Dirigent tätig, unter- richtet Oboe, Kammermusik und Improvisation an der HKB Dem Ensemble æquatuor ist, auch dank der vorzüglichen (Hochschule der Künste Bern) ­Sängerin Anne-May Krüger, eine eindrückliche Wiedergabe und ist Solooboist des Kammer- gelungen. orchesterbasel sowie des Col- Sigfried Schibli in der BAZ vom 17.9.2012 über die Uraufführung legium Novum Zürich. von «Lost Circles» in Luzern (14.9.2012)

23 Marie-Thérèse Jossen Ingrid Karlen Anne-May Krüger Installation / Regie Pianistin Mezzosopran www.annemaykrueger.de

Marie-Thérèse Jossen ist in der Nach ihren Studien in Zürich, Die Mezzosopranistin Anne- Schweiz geboren und aufge- Basel (Jürg Wyttenbach) und May Krüger wurde in Berlin wachsen, wo sie auch ausgebil- Paris (Claude Helffer) konzen- ­geboren und studierte in Leipzig det wurde. Am Luzerner Thea- trierte sich Ingrid Karlen auf die und Karlsruhe; seit 2005 wird ter entwarf sie eigene Arbeiten Musik des späten 19., des 20. sie von Rudolf Piernay betreut. als Kostümbildnerin und über- und 21. Jahrhunderts. ­Bereits als Studentin war sie nahm die Leitung der Kostüm- Konzerte als Solistin und Kam- unter anderem an der Staats- abteilung. Als freischaffen- mermusikerin in Europa,­ oper Stuttgart­ (Forum­ Neues de Kostümbildnerin für Oper, den USA, der Ukraine, China,­ ­Musiktheater und Junge Oper) Ballett und Schauspiel war sie ­Neuseeland, Australien und tätig. Gastverträge verbinden u.a. in Saarbrücken, Hanno- Südafrika, unter anderem sie mit dem Oldenburgischen­ ver, Wuppertal, Düsseldorf, am Lucerne­ Festival (Solistin­ Staatstheater und dem Theater und Wien sowie­ den in Beat Furrers «Face de la Augsburg, seit 2006 ist sie re- Schwetzinger Festspielen und chaleur» für Klavier, Flöte,­ gelmässig am Nationaltheater den Händel-Festspielen Halle­ ­Klarinette und Orchester), Mannheim zu erleben.­ 2011 gab engagiert. Am Staatstheater am Festival «Wien modern» sie ihr Debüt bei den Bad Hers- Mainz entwarf sie die Kostüme (6 Klaviersonaten von Galina­ felder Opernfestspielen in Sme- für «Così fan tutte», «Die Toch- Ustwolskaja) und am Festival­ tanas «Die verkaufte Braut». ter der Luft», «Die Schneekö- de Musica de Canarias ­ Sie arbeitete mit Formationen nigin», «Saul» und «Don Gio- (Solistin im «Requiem» für wie dem ensemble recherche,­ vanni», bei den Schwetzinger Klavier und Orchester von Ensemble Ascolta und dem Festspielen für «Il figliodelle ­ Hans Werner Henze). ­Ensemble Gelberklang. Zahl- selve», «Zaubern» und «Proser- Neben unzähligen Radioein- reiche Werke u. a. von Hans pina». Am Theater Basel war spielungen, Ur- und Erstauffüh- ­Tutschku, Kurt Schwertsik und sie Kostümbildnerin für «Car- rungen veröffentlichte sie eine Mike Svoboda entstanden ei- mina burana» und «Alexander- Solo-CD «Variations» bei ECM gens für sie. Regelmässig­ ist sie fest» im Römertheater Augu- mit Werken von Webern, Boulez, Gast auf renommierten­ Festi- sta Raurica, für die Produktion Ustwolskaja und Silvestrov. vals insbesondere Neuer Musik «Hellhörig» von Carola Bauck- In China setzte sie sich während wie «Mouvement­ – Musik im holt, für Wolfgang Rihms Oper eines einjährigen Aufenthaltes 21. Jahrhundert» des SR, «Wien «Drei Frauen» sowie für die intensiv mit der dortigen aktu- Modern» und «Contempuls» ­Uraufführung «Maldoror» des ellen Musikszene auseinander. (Prag), sie tritt aber ebenso mit Komponisten Philipp Maintz, Seit 1991 unterrichtet Ingrid kirchenmusikalischen Werken eine Koproduktion mit der. Karlen am Konservatorium und und Liederabenden in Erschei- Biennale München und dem Musikschule Zürich, nung. Anne-May Krüger erhielt Theater Aachen. Wiederholt 2002 erhielt sie für ihr künstle- Stipendien des Forum Neues ­arbeitete Marie-Thérèse Jossen risches Schaffen das Werkjahr Musiktheater und des Richard- mit dem Choreographen Martin des Kantons Zug. Wagner-Verbands sowie Pro- Schläpfer zusammen. jektstipendien der Akademie Schloss Solitude.

24 Tobias Moster Michel Roth Cellist Musik und Libretto «Im Bau» www.michelroth.ch

Geboren 1959, stammt aus Geboren 1976 in Altdorf, lebt Orchesterstück «Der Spazier- Mainz und studierte­ bei Reine in Luzern. Nach Abschluss sei- gang» den BMW-Kompositions- Flachot (Lyon), Radu Aldulescu nes Kompositions- und Theo- preis der Musica viva München und Thomas Demenga (Basel). riestudiums an der Musikhoch- (Bayerischer Rundfunk). Als Solist und Kammermusiker schule Basel (Roland Moser, Im Jahr 2011 folgte Michel Roth wirkte er bei zahlreichen Urauf­ Detlev Müller-Siemens) wurde einer Berufung an die Hoch- führungen sowie Radio- und zum Professor für Theorie und schule für Musik Basel, wo er CD-Aufnahmen mit, unter an- Komposition an der Musikhoch- als Professor für Komposition­ derem mit Werken von Carola­ schule Luzern ernannt und lei- und Musiktheorie lehrt und Bauckholt, Chris Newman, tete die dortigen Fachbereiche ­Mitglied der Forschungsabtei- ­Caspar Johannes Walter, Fre- für Komposition und zeitgenös- lung ist. derich Rzewsky, Matthias Arter,­ sische Musik. ­Alfred Zimmerlin und Walter­ Neben seiner Lehrtätigkeit Feldmann. Er unterrichtet­ ­arbeitet er als freischaffen- ­ferner am Konservatorium und der Komponist mit Interpreten Musikschule Zürich. aus dem In- und Ausland. Auf- führungen seiner­ Werke am ­Lucerne Festival, Warschauer­ Herbst, Wittener Tage für neue Kammermusik, Tage für Neue Musik Zürich und vielen ­anderen. 2007 gewann sein ­

Dass der auch von den Kompositionen her gegensätzliche Mu- siktheaterabend unter dem Titel «Lost Circles» im Luzerner Saal des KKL trägt, ist neben Georges Delnons Regie vor allem Anne-May Krüger zu verdanken. Die junge Mezzosopranistin [...] erweist sich mit ihrer Bühnenpräsenz als Glücksfall. [...] Während Kafkas Text im klassischen Sinne undramatisch ist, steuert Ingrid Fichtners Libretto auf den Höhepunkt der ersten Verliebtheit zu. Und während das Herz in Roths erstickenden Klängen stockt, blüht es bei Zimmerlin und dem superb spie- lenden Ensemble æquatuor mit Matthias Arter (Oboe und Lu- pophon), Tobias Moster (Violoncello) und Ingrid Karlen (Klavier und Orgel) auf.[...] Bleiben dem sich in der Erde verschanzenden Tier musikalische Höhenflüge versagt, darf sich Ana in einem wunderbar tragenden Solo Richtung Sterne aufschwingen.

Jürg Huber in der NZZ vom 17.9.2012 über die Uraufführung von «Lost Circles» in Luzern (14.9.2012)

25 Stephan Widmer Ueli Würth Alfred Zimmerlin Schauspieler Klangregie Musik «Ana Andromeda» www.soundworx.ch www.alfredzimmerlin.ch

In Luzern geboren, studierte­ 1982 in Herisau geboren, lebt Geboren 1955, lebt in Uster, ZH. Theaterwissenschaften und in Winterthur. Studierte Kom- Studium der ­Musikwissen­schaft Kunstgeschichte in München position und Schulmusik in und Musikethnologie;­ Kompo­ ­si­ und Bern. Ausbildung im Be- ­Luzern. Anschliessendes tionsstudien bei Hans Wüthrich­ reich der wissenschaftlichen­ ­Studium zum Tonmeis­ter an und Hans Ulrich Lehmann.­ Dokumentation. Zur Zeit als der Zürcher­ Hochschule der ­Teilnahme an den Internatio­ ­Archivar im Rudolf Steiner­ Künste. Er ist als Sounddesi- nalen Ferienkursen für Neue ­Archiv in Dornach tätig. Er er- gner im In- und Ausland für Musik in Darmstadt. Preise­ arbeitete dort Ausstellungen verschiedene Musicals tä- und Auszeichnungen, so vom wie «Summer of Love 1921», tig. Des weitern gehören so- ­Aargauischen Kuratorium «Schau in dich – Schau um wohl Studio- und Filmton- (1982, 1984 und 1999), der Stadt dich» oder «Das Werk ist produktionen als auch die Zürich (Werkjahr 1988). Auf der Lebensgang». Gleichzei- Entwicklung von spezifischen ­seiner umfangreichen Werkli- tig wirkte er in verschiedenen ­Audiosoftware-Lösungen zu ste finden sich Klavierstücke, ­Musiktheaterproduktionen seinem Tätigkeitsbereich. Kammermusik mit oder ohne am Theater Basel als Darstel- Live-Elektronik, Vokalmusik, ler mit, unter anderem von Orchestermusik, Musiktheater.­ ­Georges Delnon, Hans Neuen- Professor für Improvisation­ fels und Calixto Bieito. an der Hochschule für Musik­ Basel. 2009 erschien bei ECM eine Portrait CD mit den Streichquartetten Nr. 1 und 2 Was ist das für ein Klang? Als ein Sirren könnte man es beschrei- und der Kammeroper «Euridice­ ben, aber es ist kein Insekt. Es ist ein künstliches ­Geräusch, singt» (komponiert für das und interpretiert vom Ensemble aber es klingt nicht so, als wäre es rein künstlich erzeugt. Die- æquatuor). ser seltsame Laut, der einfach da ist, hat einen organischen Kern. Er ist so rätselhaft, wie die Geschichte, zu der er gehört. Und damit ist dieser Ton, der tonal nicht zu fassen ist, auch al- les, was um diesen Ton herum an Musik geschieht, allerfeinstes Musiktheater. Weil hier eine Geschichte mittels Musik zu einem weniger emotionalen als fast schon psychologischen Erlebnis wird. Das ist sehr subtil, sehr klug und sehr gut.

Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung vom 17. 9. 2012 über die Uraufführung von Michel Roths «Im Bau» in Luzern

26 Die Zeitschrift für aktuelle Musik

Aus dem Inhalt der Nr. 119, September 2012 (104 Seiten mit Abb.): • Berichte • CD-Rezensionen • Buchrezensionen • Nachrichten • Nachruf • Correspondance autour du canon musical aujourd’hui • Notes sur la puissance anamnésique du musical • Schweizer Werkstätten improvisierter Musik • Kreativität als Randerscheinung kleinstädtischer Urbanität am Beispiel der Berner Jazzszene • Sur scène. Im aktuellen Musiktheater • Wo steht das Collegium Novum Zürich heute? • Erinnerungen an Igor Markevitch • Le destin fabuleux d’Igor Markevitch • Projets Orchis/Pléione à la HEM de Genève

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27 Herausgeber: Ensemble aequatuor, Hagenholzstrasse 78 8050 Zürich / Theater Basel, Postfach, 4010 Basel Redaktion: Ensemble aequatuor / Dramaturgie Gestaltung: Ritz & Häfliger, Visuelle Kommunikation, Basel