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Kultur

Sänger Williams Witz, Wahnsinn und Charme

Haufen habe ich noch nie ge- sehen“, schmeichelte der En- tertainer. Na ja: Man sah viele sehr blonde Frauen, oft flan- kiert von Bürschchen, die wie gutverdienende Fußballer mit zu viel Gel im Haar auftraten. Die nicht ganz so attraktiven und glücklichen unter den Zu- schauern, die eher nach „Big Brother“ aussahen, verdankten ihre Anwesenheit womöglich einer Verlosungsaktion von Williams’ neuem Werbepartner T-Mobile. Ein Mädchen namens Liz, stark geschminkt und von Be- ruf Werbetexterin, behauptete, vor der Tür 600 Euro für ihr Ticket bezahlt zu haben. Ein zerzauster junger Kerl namens Brett hatte viel weniger be- zahlt, dafür aber zwei Tage im Nieselregen vor dem Astoria kampiert. Zur Belohnung wur- de er vom Star des Abends persönlich begrüßt: „Mein Ma- nager hat mir ein Foto von dir gezeigt, Brett, ich hoffe, dass sich der Aufwand für dich gelohnt hat“, sagte Williams und strich dem in der ersten Reihe stehenden Knaben über den Kopf. Der grinste und zuckte die Schultern. „Zumin- dest versäumst du nichts im

YUI MOK / PA / EMPICS YUI MOK / PA Fernsehen; ich habe ins Pro- gramm geschaut und kann dir versichern: Da läuft nur Dreck.“ To- POP sender Applaus. ist ein anständiger Sän- ger und hat viel Gespür für Melodien, vor Das Lächeln des Siegers allem aber ist er ein überragender Enter- tainer. Er besitzt Witz, Wahnsinn und Ende des Monats erscheint Robbie Williams’ neues Album Charme. Er ist eher Dean Martin als Bono, mehr Elvis als Paul McCartney – und „Intensive Care“ – zur Einstimmung trat der schafft es, die Zuhörer wirklich zu über- Musiker bei ein paar Konzerten schon mal vors Publikum. zeugen, wenn er wie an diesem Abend vor 2000 Menschen ins Mikrofon flötet, dass s roch nach viel Parfüm, viel Schweiß stand, victorious, the only ever man to dieses Konzert einzigartig sei und jedes (und also nach Dorfdisco), und es make you come.“ Es folgte ein absolut hys- spätere „Mist im Vergleich zu dieser Eklang wie zu besten Zeiten der terischer Applaus. Nacht“ sein werde. Beatlemania – sehr laut, sehr bedrohlich –, Vorhang auf für Robbie Williams, den Trotzdem ist ihm der Druck anzumer- als Robbie Williams am frühen Abend des lustigsten Egomanen des Pop-Geschäfts: ken. Es ist nicht leicht, die Nummer eins zu- vorvergangenen Samstags auf die Bühne Ende Oktober bringt er sein sechstes mindest unter Europas Pop-Helden zu sein des Londoner Astoria tanzte. Das Kon- Studio-Album, „Intensive Care“, heraus – – und zu bleiben. Vor drei Jahren, also vor zerthaus, ein Steinwurf von der Oxford und das gilt vorab als wichtigstes Pop- Erscheinen seines bislang letzten Albums, Street entfernt, ist alt und ehrwürdig Ereignis der Saison. Angeheizt wurde die „Escapology“, hat Williams einen umfang- und wahrscheinlich nicht viel größer als Stimmung mit vier ziemlich exklusiven reichen Vertrag abgeschlossen, für den er die Garage für Williams’ Motorradsamm- Konzerten, in Paris, London, Amsterdam angeblich 80 Millionen britische Pfund er- lung daheim in den kalifornischen Holly- und zuletzt in Berlin; um die wenigen hielt. Als Gegenleistung hat er Hits, Hits wood Hills. Tickets lieferten sich die Fans seit Monaten und noch mal Hits zu liefern und auf mög- In T-Shirt und Jeans, mit dunklem Le- wilde Bietergefechte im Internet. lichst triumphale Tourneen zu gehen. dersakko und einem hämischen Grinsen Hier in London hatten es viele ansehn- Williams aber verblüffte die Branche im Gesicht, postierte sich der Star am Büh- liche junge Menschen geschafft hineinzu- etwa zu jener Zeit damit, dass er seinem nenrand und sang zur Begrüßung: „Here I kommen. „So viele Schönheiten auf einen altbewährten Co-Autor Guy Chambers,

170 der spiegel 41/2005 „Insane“ geschrieben. Inspiriert und irre klingen auch die zwölf Songs, die auf dem Album geboten werden. Es gibt das zacki- ge Elektro-Rock-Stück „Sin Sin Sin“, einen Rolling-Stones-ähnlichen Krawallsong na- mens „A Place to Crash“ und eine Wun- derkerzen-Weihnachtsballade mit dem Titel „“. Die erste Single ist die wundersam futuristische Reggae- Nummer „Tripping“ und entwickelt sich offenbar zum erwarteten Renner. Alles andere wäre aber auch eine Kata- strophe: Mit dem durchaus anspruchsvol- len Album leitet Williams so etwas wie die zweite Phase seiner Karriere ein. Der 31- Jährige möchte endlich als Künstler richtig ernst genommen werden. So platzte er neulich in eine Runde bri- tischer Journalisten, die gerade unter stren-

MARTIN ARGLES / THE GUARDIAN ARGLES MARTIN gen Sicherheitsvorkehrungen das neue Duffy: Ein Hochbegabter mit schlechtem Gefühl für Karriere-Timing Album zu hören bekamen, und konfron- tierte die Anwesenden mit ihren Williams- der an Gassenhauern wie „Angels“ oder Er gehörte zu den Gründern von Duran Rezensionen der vergangenen Jahre. Die „Feel“ beteiligt war, die Freundschaft und Duran, stieg aber aus, bevor sie berühmt meisten Artikel, die er dabei in der Hand Zusammenarbeit aufkündigte. Dafür holte wurden. Wenig später lehnte er es ab, Lie- schwenkte, waren Verrisse. „Was mich am er einen Ersatzmann an Bord, der bis da- der für eine Nachwuchskünstlerin namens meisten ärgert, ist, dass die Leute glauben, hin kommerziell ungefähr so erfolgreich Madonna zu schreiben. Ein widersprüch- irgendein Mr Big würde bei mir stets im war wie der FC St. Pauli im Fußball- licher Kerl. Nun ist auch das Album, das er Hintergrund die Strippen ziehen“, zeterte geschäft. Stephen Duffy heißt der Mann. mit Robbie Williams in den vergangenen Williams, „als ob ich nichts mit dem Ent- Ein Hochbegabter, der sich mit seiner Folk- zwei Jahren geschrieben hat, ein höchst stehen meiner Lieder zu tun hätte.“ Pop-Band The Lilac Time als Dauer- ungewöhnliches Werk geworden. Aufgewachsen im britischen Stoke-on- geheimtipp etabliert hat. Leider ließ sein Auf den aktuellen Robbie-Williams-Fan- Trent, landete Williams als Teenager dank Karriere-Timing immer zu wünschen übrig. T-Shirts steht vorn „Inspired“ und hinten einer Zeitungsannonce bei der Boygroup Kultur

Auch so lauern jede Menge europäische Paparazzi in den Bäumen um sein Anwe- sen; aber ein wirklich interessanter Blick hinter die Mauern ist bisher noch keinem gelungen. So sprudeln die Gerüchte. Nonstop wer- den ihm neue Frauengeschichten nach- gesagt. Angeblich prahlte der Sänger da- mit, vier von fünf Spice Girls verführt zu haben – was immerhin zwei davon ab- stritten. Klatschreportern gilt die ameri- kanische Schuhdesignerin Tamara Mellon als Williams’ aktuelle Freundin; die jahre- lang kolportierten Enthüllungsgeschichten vor allem britischer Medien, dass er in Wahrheit mehr an Männern interessiert sei, hat Williams zuletzt sogar mit dras- tischen Mitteln dementiert – ein Magazin musste sich entschuldigen, weil es be-

LIVE 8 / GETTY IMAGES LIVE hauptet hatte, der Sänger habe sich in der Musiker Williams bei einem Konzert (in London): Zweite Phase der Karriere gestartet Vergangenheit auf Herrentoiletten her- umgetrieben. Take That. Nach diversen Triumphen wur- im freiwilligen Exil in den Millionärshü- Im Saal des Londoner Astoria jedenfalls de er dort wegen schlechten Benehmens geln von Hollywood, wartet bis heute ver- kreischten die jungen Frauen nach Her- und Drogenkonsums wieder vor die Tür gebens auf seinen Durchbruch auf dem US- zenslust, und nachdem Williams endlich gesetzt. Als Solokünstler hat Williams seit- Pop-Markt – sein neues Album wird sogar die letzte Nummer zum Besten gegeben dem über 35 Millionen Tonträger verkauft bis auf weiteres gar nicht in Nordamerika hatte, versicherte Sarah, eine nicht mehr und im Studio mit Schönheiten wie Kylie veröffentlicht. „Ich wäre doch verrückt, ganz frische Blondine aus Richmond, sie Minogue und Nicole Kidman geträllert. wenn ich mir den ganzen Trubel an den werde sich im Internet nach Tickets für die Trotz der opulenten, unter seiner Mit- letzten Ort holen würde, an dem ich noch Williams-Tournee des kommenden Jahres wirkung entstandenen Biografie „Feel“ ist unbehelligt über die Straße gehen kann“, umtun: „Ob er schwul ist oder nicht, ist mir Williams bis heute umwabert von zahlrei- behauptet Williams, ohne mit der Wimper wirklich egal“, sagte sie, „er ist auf jeden chen Gerüchten. Er lebt seit einigen Jahren zu zucken. Fall der Größte.“ Christoph Dallach