SWR2 Musikpassagen
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE ________________________________________________________________________________ SWR2 Musikpassagen Ein Mann mit Geschichte Der westdeutsche Musikpionier Hans Joachim Roedelius Von Bernd Gürtler Sendung: Sonntag, 3. April 2016, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2016 __________________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. __________________________________________________________________________ Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Musikpassagen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 __________________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 Und heute, ein Mann mit Geschichte. Der westdeutsche Musikpionier Hans Joachim Roedelius steht auf dem Programm dieser Stunde. Es gibt Interviews und Musik, am Mikrofon begrüßt Bernd Gürtler. (3) HANS JOACHIM ROEDELIUS: Etoiles (3:55) CD/01 Ein bewegtes Leben, man sagt das so, oft ohne genaue Kenntnis, was das überhaupt bedeutet. Hans Joachim Roedelius jedenfalls kann auf ein bewegtes Leben zurückschauen. Geboren wird er 1934 in Berlin, ein Jahr, nachdem die Nationalsozialisten die Macht ergreifen. Diese Zeit hinterlässt schon unauslöschliche Spuren in seiner Erinnerung. O-Ton: (deutsch) (0:23) (01) Jaja natürlich, die Nazis haben versucht, mich zu indoktrinieren, als Pimpf. In den letzten Kriegsmonaten haben sie uns Kindern noch die Panzerfaust auf die Schulter gedrückt, wir sollten Panzer abknallen. Gottseidank ist es nicht dazu gekommen. Später bei den Kommunisten war dasselbe Gefühl, die wollen was von dir, das du nicht willst. Sein Vater, Soldat im Ersten Weltkrieg und Giftgasopfer, ist von Beruf Zahnarzt. Mit einem Arbeitspensum, das bewältigt sein will. O-Ton: (deutsch) (1:05) (02) Der war nie da für mich, Mutter auch nicht. Die haben mich viel allein gelassen, meine Schwester auch. Das war mir aber nicht zuwider, ich hab‘ das gut gefunden. Ich bin mit Kinderbanden durch die Gegend gezogen, habe die Gegend erkundet. Für mich war das irgendwie gut, und das hat sich dann fortgesetzt. Vater brauchte nicht in den Krieg, im Ersten Weltkrieg hatte er als Sanitäter Gelbkreuz eingeatmet und war kriegsuntauglich und hat als Zahnarzt die ganze Kriegszeit arbeiten können in seiner Praxis. In den letzten Kriegsmonaten haben sie ihn noch abkommandiert in den Sudetengau, da war ein Konzentrationslager für die, die, als sie den Hitler umbringen wollten, nicht umgebracht wurden. Also die ganz weitläufig Beteiligten saßen in einem Extra-KZ in dieser Gegend in Deschna, und die hat mein Vater dort behandelt. Deswegen ist er bei Kriegsende zu uns gekommen, und wir sind gemeinsam aus dem Sudentengau zu Fuß in die Lausitz, wo wir hängen geblieben sind, wo sie ihn zum Zahnarzt einer russischen Garnison gemacht haben. Bis der Kriegswahnsinn der Nazis am Ende die eigene Bevölkerung zu Hause vor der eigenen Haustür heimsucht, sind sie eine Familie von vielen. Nichts Besonderes, außer, dass Hans Joachim Roedelius zum Kinderstar diverser Spielfilmproduktionen der Ufa avanciert. (14) 3 O-Ton: (deutsch) (0:50) (03) Bis 1939, als der Krieg anfing und noch ein, zwei Jahre, bevor die richtigen Bombardements losgingen, war das ein sehr, wie soll ich sagen, normales Leben. Ich weiß noch, ich bin eingeschult worden. Mein Vater hat sehr prominente Patienten gehabt, unter anderen Regisseure bei der Ufa. Die haben mich irgendwann entdeckt und gesagt, den wollen wir haben, für ein paar Filme, und dann haben sie mich bei der Ufa filmen lassen. Da hatte ich ein gutes Leben. Obwohl, bei dieser Schauspielerei, als Kind, ich musste mal ein krankes Kind spielen, was ich überhaupt nicht verstanden habe. Die mussten mich mit Schokolade krank machen. Und mit einer schönen großen Eisenbahn, die man einmal in den Film eingebaut hat. Aber sonst durfte ich immer hinterher damit spielen, damit ich die Rolle überhaupt hinkriege. Aber es war eine interessante Zeit, klar. Die Sowjetische Besatzungszone, 1949 geht die DDR daraus hervor, sollte noch eine Weile sein Zuhause bleiben. Er wird zur Kasernierten Volkspolizei eingezogen, dem Vorläufer der Nationalen Volksarmee. Flieht in den Westen, kehrt freiwillig zurück, landet im Gefängnis, beginnt nach seiner vorzeitigen Entlassung eine Ausbildung zum Krankengymnasten. Setzt sich dann doch in den Westen ab und wird eine Schlüsselfigur des westdeutschen Krautrock, mit enger Bindung an Dresden und an Sachsen. (22) HANS JOACHIM ROEDELIUS: Johanneslust (4:59) CD/02 Die Spielfilme, die Hans Joachim Roedelius in seiner Kindheit bestreitet, sind nicht nur harmlose Schmonzetten wie die „Verklungene Melodie“, mit Brigitte Horney und Willy Birgel in den Hauptrollen. „Reiten für Deutschland“ beispielweise ist reine Nazi-Propaganda. Bedauert er seine Mitwirkung? O-Ton: (deutsch) (0:26) (04) Nee wieso, was soll ich denn machen. Was kann man bedauern, wenn etwas natürlich aus sich heraus wächst. Mein Vater war kein Nazi, meine Familie hat nie einen Schuss auf einen anderen Menschen abgegeben. Das ist ein Geschenk, wenn man das so mitkriegt. Lauter Pazifisten in der Familie. Das hält, das hält ewig. Ich hoffe, das hält auch bei meinen Kindern. Zurück bleibt eine tiefe Abneigung gegen jede Form von Ideologie. Sein endgültiger Übertritt in den Westen kann daran wenig ändern, die Zeit in der DDR sowieso nicht. (30) O-Ton: (deutsch) (0:37) (05) 4 Ich hab‘ für Walter Ulbricht demonstriert, mit Lutschbonbons im Mund. Ich hab‘ mir den Mund fast blutig gelutscht, weil, das war Zucker, und den kriegte man nicht so einfach. Ich musste in der Freien Deutschen Jugend mitspielen. Das waren die kleinen Bausteine für das Weitere. Deswegen habe ich auch in Westberlin, als ich endlich da gelandet bin, nicht in der politischen Bewegung mitgemacht. Ich bin nicht mit Rudi Dutschke auf die Straße gegangen. Das war einfach nicht mehr mein Ding. Mir hat das gereicht, damals schon. Alle andern waren auf der Straße, Moebius war auch auf der Straße, glaube ich. Aber er war zehn Jahre jünger. Hans Joachim Roedelius, Dieter Moebius und Joseph Beuys-Schüler Konrad Schnitzler gründen in Westberlin den Undergroundklub Zodiak Free Arts Lab und Kluster, eine Krautrock-Formation der ersten Stunde, am Anfang mit K geschrieben. Das Debütalbum von 1970 heißt „Klopfzeichen“ und besteht aus zwei Stücken von jeweils zwanzig Minuten Länge. Konrad Schnitzler verfasst den Text. (36) KLUSTER: Klopfzeichen (3:30) (Ausschnitt) CD/01 Die Bekanntschaft mit Westberliner Kommunarden aus dem Dunstkreis der RAF um Gudrun Ensslin und Andreas Baader kann ihn in seiner Skepsis gegenüber Ideologien nur noch bestärken. (39) O-Ton: (deutsch) (0:42) (06) Die Ensslin und der, der Haupttäter, ich weiß grad‘ nicht, wie der heißt, die waren da schon auf der Flucht. Die hatten schon das Kaufhaus angesteckt. Aber die anderen, die da lebten und assoziiert waren zu diesem RAF-Dings, die saßen da und quatschten und versuchten irgendein Konzept zu finden für das, was sie machen. Und ließen ihre Kinder voll im Stich, da liefen die Babys rum, ein Gewitter kam, und die hatten Angst und Schiss. Und ich und meine Freundin, wir haben uns immer um die Kinder gekümmert. Ich hab‘ mir diesen Quatsch zum Teil auch angehört und gedacht, was wollen die. Alles kaputt machen, Anarchismus spielen? Alles nachmachen, was schon mal war und nicht gut gegangen ist? Als sich Konrad Schnitzler entschließt, eigene Wege zu gehen, führen Hans Joachim Roedelius und Dieter Moebius Cluster als Duo weiter. Ab sofort verzichten die beiden bei fast allen ihren Stücken auf Texte. Der Bandname schreibt sich jetzt mit C. (43) CLUSTER: Nabitte (2:40) CD/06 Tontechnisch betreut werden sowohl die Kluster mit K als auch Cluster mit C von Conny Plank. Hans Joachim Roedelius weiß noch, wie sie dem Produzentengenie begegnet sind. 5 O-Ton: (deutsch) (0:42) (07) Wir haben in Düsseldorf ein Konzert in irgendeinem Keller gegeben, da kam der Kantor von der St. Andreas Kirche, der Oskar Gottlieb vorbei und fand das gut für sein Konzept neuer Kirchenmusik und meinte, er würde mit uns gern was produzieren und hat uns eben zu Conny Plank ins Studio in Gordorf geschleppt. Da haben wir Conny kennengelernt, und da hat er schon sehr bewusst das, was es an Studiotechnik gab, schon ganz bewusst eingesetzt, und hat sehr viel Input in das Produkt gegeben. Er war eigentlich drittes Mitglied, die ganze Zeit. Bei allen Produktionen, bei allen Live-Geschichten. Er hat sehr lange mitgemacht. Dann trennen sich auch ihre Wege. Michael Rother von der Gruppe Neu! stößt zu Hans Joachim Roedelius und Dieter Moebius und erweitert den Sound um Schlagzeugmaschinen, Gitarren und schöne Melodien. Nicht von Ungefähr nennt sich das Trio Harmonia. HARMONIA: Dino (3:30) CD/04 Die Flucht aus der DDR ist auch ein abenteuerliches Kapitel seiner Biographie. Hans Joachim Roedelius muss etwas weiter ausholen. O-Ton: (deutsch)