Die Arbeitspartei tritt der Netanyahu-Regierung bei - Mehr als ein linkes Feigenblatt für eine rechte Koalition?

Von Dr. Ralf Hexel, FES 2. April 2009

1. Bei den am 10. Februar 2009 erfolgten vorgezogenen Wahlen zur 18. er- rang das rechte/ultra-orthodoxe Lager einen Wahlsieg. Der Likud-Vorsitzende wurde mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.

2. Tzipi Livni, mit 28 Sitzen die eigentliche Wahlsiegerin, lehnt eine Regierungskoali- tion mit Netanyahu ab und geht in die Opposition. Sie besteht auf der Zwei-Staa- ten-Lösung als Ziel für den Israelisch-Palästinensischen Friedensprozess.

3. verhandelt an den Gremien seiner Partei vorbei mit Netanyahu ein Koalitionsabkommen und will dessen rechter Regierung beitreten. Nach heftigen Diskussionen bestätigt ein Sonderparteitag der Arbeitspartei den Regierungsbei- tritt.

4. Die Arbeitspartei ist tief gespalten. Die Befürworter des Regierungsbeitritts beto- nen die nationale Verantwortung der Partei und ihr Mitwirken bei der Bewälti- gung der Wirtschaftskrise. Die Gegner prophezeien den Ausverkauf ihrer sozial- demokratischen Werte und weiteren politischen Bedeutungsverlust. Sie fordern den Gang in die Opposition. 5. Die von Netanyahu gebildete Sechs-Parteien-Koalition aus Likud, Yisrael Beitenu, Arbeitspartei, Shas, Vereinigtes Torah-Judentum und Jüdisches Heim ist weltan- schaulich und ideologisch sehr heterogen zusammengesetzt. Eine erfolgreiche Bewältigung der Wirtschaftskrise und mutige Entscheidungen im Friedensprozess sind mit dieser Regierungskoalition nur schwer vorstellbar.

Am 31. März wurde in Israel eine neue weltanschaulich weit auseinander lie- Regierung mit dem Likud-Vorsitzenden genden Parteien sind in Israel eher die Benjamin Netanyahu als Ministerpräsi- Regel als die Ausnahme. Trotzdem sorg- dent vereidigt. Neben dem rechten Li- te es für eine Überraschung, dass es kud gehören der Regierung fünf weitere Benjamin Netanyahu gelang, die von Parteien an: die rechts-nationalistische Ehud Barak geführte linke Arbeitspartei Partei Yisrael Beitenu, die sozialdemo- in sein ansonsten rechtes Regierungs- kratische Arbeitspartei, die ultra-ortho- bündnis zu holen. Es stellt sich die Frage, doxen Parteien Shas und Vereinigtes ob die Arbeitspartei, die aus den Wahlen Torah-Judentum sowie die rechts-religi- geschwächt hervorging, in dieser Kon- öse Partei Jüdisches Heim. Breite Regie- stellation eigene politische Ziele und rungskoalitionen von ideologisch und Inhalte umsetzen kann, oder ob sie vor allem als linkes Feigenblatt in einer an- glaubt, dass er die besten Chancen hat, sonsten rechten Koalition dienen soll. eine Regierung zu bilden.“ Da sowohl die rechten wie auch die ultra-orthodo- Wahlsieg der Rechten und Regie- xen Parteien sich für Benjamin Netany- rungsbildung durch Benjamin Neta- ahu als neuen Ministerpräsidenten aus- nyahu sprachen, erhielt dieser 10 Tage nach der Wahl von Shimon Peres den Auftrag Bei den am 10. Februar 2009 erfolgten zur Regierungsbildung. Laut Gesetz ste- vorgezogenen Wahlen zur 18. Knesset hen ihm dafür 28 Tage zur Verfügung. errang das rechte/ultra-orthodoxe Lager Wenn es in dieser Zeit nicht gelingt, eine einen Wahlsieg. Der von Benjamin Ne- Koalition zu bilden, kann er eine Verlän- tanyahu geführte Likud (27), die Partei gerung dieser Frist um weitere 14 Tage Yisrael Beitenu (15) des Rechtspopulis- beantragen. Netanyahu musste diese ten Avigdor Lieberman, der mit anti- Frist auch in Anspruch nehmen, da es arabischen Slogans den Wahlkampf be- ihm nach 28 Tagen nicht gelungen war, herrschte, die beiden ultra-orthodoxen eine regierungsfähige Koalition zu bil- Parteien Shas (11) und Vereinigtes To- den. rah-Judentum (5) sowie die rechts-religi- ösen Parteien Nationale Union (4) und Bereits vor der Wahl hatte Netanyahu Jüdisches Heim (3) errangen zusammen erkennen lassen, dass er einem Regie- 65 der insgesamt 120 Sitze in der Knes- rungsbündnis mit Kadima und der Ar- set. Dieses Ergebnis bestätigte den sich beitspartei, also einer Regierung der na- seit Monaten andeutenden Rechtsruck tionalen Einheit, den Vorzug geben in der israelischen Gesellschaft, der würde. Grund dafür sind seine Erfah- durch den Gaza-Krieg - mehr als 90% rungen als Ministerpräsident in der der jüdischen Bevölkerung unterstützte 1996-99 von ihm geführten rechten diesen Krieg - noch verstärkt wurde. Die Regierung. Mit ultimativen Forderungen linken Parteien erlitten eine dramatische besonders im Friedensprozess nahmen Niederlage, in der sich ein deutlicher ihm seine rechten Koalitionspartner den politischer Bedeutungsverlust manifes- für ein erfolgreiches Regieren notwendi- tiert. Die Arbeitspartei erreichte unter gen politischen Spielraum und führten Führung von Verteidigungsminister Ehud damit das vorzeitige Ende der Regierung Barak lediglich 13 Mandate, nachdem Netanyahu herbei. Die daraufhin ange- sie in der vorigen Knesset noch mit 19 setzten Neuwahlen führten zu einem Abgeordneten vertreten war. Die links- Sieg der Arbeitspartei und brachten liberale Meretz verschlechterte sich von Ehud Barak in das Amt des Ministerprä- 5 auf nun nur noch 3 Sitze. sidenten. Im Nachhinein bezeichnete Netanyahu die damals von ihm gebildete Sieger der Wahl waren Außenministerin rechts/ultra-orthodoxe Regierungskoali- Tzipi Livni und ihre Kadima-Partei mit 28 tion als den „größten Fehler meines Le- Mandaten. Trotzdem wurde sie von bens.“ Die Wiederholung einer solchen Staatspräsident Shimon Peres nicht mit Konstellation und der daraus resultie- der Regierungsbildung beauftragt. Das renden politischen Entwicklungen will er israelische Grundgesetz schreibt vor, diesmal unbedingt vermeiden. Unmittel- dass der Präsident nach den Wahlen die bar nach der Wahl machte er daher Ka- in der Knesset vertretenen politischen dima und der Arbeitspartei das Ange- Parteien konsultieren muss, um dann bot, einer von ihm geführten Koalition auf der Grundlage dieser Konsultationen beizutreten. In einem solchen breiten den Politiker mit der Bildung der neuen Bündnis, sah er die beste Voraussetzung Regierung zu beauftragen, „von dem er

2 für stabiles und handlungsfähiges Regie- Neuwahlen anstehen könnten, wird in ren. ihren Überlegungen ebenfalls eine wich- tige Rolle gespielt haben. In der eigenen Tzipi Livni gibt sich prinzipienfest Partei bekam Livni für ihre Entscheidung und geht in die Opposition nur begrenzt Unterstützung. Führende Kadima-Vertreter wie Ex-Verteidigungs- Netanyahu begann seine Koalitionsver- minister Shaul Mofaz und die bisherige handlungen mit starken Angeboten an Parlamentspräsidentin Dalia Itzig forder- Tzipi Livni und Kadima. Er bot ihr eine ten sie auf, ernsthaft mit Netanyahu volle Partnerschaft im zukünftigen Kabi- über eine Regierung der nationalen Ein- nett, das Amt der Außenministerin, eine heit zu verhandeln und Kadima nicht so weiteres Schlüsselministerium für ihre einfach in die Opposition zu führen. Vi- Partei - Verteidigung oder Finanzen - ze-Premier Haim Ramon sagte: „Kadima sowie weitere Ministerposten an. Es gab und Likud sind natürliche Partner, nicht in der Folge eine Reihe von persönlichen Shas und die extreme Rechte.“ Livni Treffen, aber Tzipi Livni lehnte Netanya- setzte sich mit ihrer Position jedoch hus Angebote ab. Sie macht die Ver- durch, was zeigt, dass sie in ihrer Partei pflichtung der neuen Regierung auf das derzeit unangefochten ist. Erreichen einer Zwei-Staaten-Lösung im Friedensprozess mit den Palästinensern Parallel zu den Bemühungen um Tzipi zur Bedingung ihres Eintritts in die Koali- Livni und Kadima verhandelte Netany- tion. Außerdem fordert sie, die sich als ahu mit den rechten und ultra-orthodo- die eigentliche Gewinnerin der Wahlen xen Parteien, die ihn in den Konsultatio- versteht, eine Rotation des Ministerprä- nen mit dem Staatspräsidenten als Mi- sidentenamtes. Danach würde zwei Jah- nisterpräsident empfohlen hatten. Das re Netanyahu als Premier agieren und erste Koalitionsabkommen schloss er mit zwei Jahre sie. Dieses Modell hatte es - Avigdor Lieberman und dessen Partei gekennzeichnet vor allem von politi- Yisrael Beitenu ab. Dieser erhält das Au- schem Stillstand - in Israel bereits 1984- ßenministerium und seine Partei vier 88 gegeben, als sich Yitzhak Shamir (Li- weitere Ministerposten. Mit seinen zent- kud) und Shimon Peres (Arbeitspartei) ralen inhaltlichen Forderungen aus dem das Amt teilten. Netanyahu lehnte diese Wahlkampf - der Einführung der Zivilehe Forderungen aber ab. Er weiß, dass er und einem Loyalitätstest für die Araber die Unterstützung der rechten Parteien in Israel - kann Lieberman sich jedoch verlieren würde, wenn er die Zwei-Staa- nicht durchsetzen. Gegen die Zivilehe ten-Lösung zum Ziel seiner Regierung kommt vehementer Protest von den ult- erklärt. Und das Amt des Ministerpräsi- ra-orthodoxen Parteien, die ebenfalls mit denten - mit zwei Jahren für jeden der Netanyahu verhandeln. Und auch der beiden - will er mit Livni auch nicht tei- von ihm geforderte anti-arabische Loya- len. Zu sehr könnte sie die politische litätstest („Ohne Loyalität keine Staats- Entwicklung dann in ihrem eigenen Sin- bürgerschaft“) findet in dieser Form im ne gestalten. Koalitionspapier keine Erwähnung.

Tzipi Livni entschied sich, in die Opposi- Danach einigte sich Netanyahu mit Shas tion zu gehen und von dort ihre politi- auf ein Koalitionsabkommen. Die Partei schen Ziele zu verfolgen. Gewiss folgte erhielt vier Ministerposten, nämlich für sie damit ihren politischen Überzeugun- Inneres, Wohnungsbau, Religion und gen und Prinzipien, aber das Kalkül, dass einen Minister ohne Portfolio. Für Shas eine reine Rechtsregierung nicht sehr ist es zentral, Zugang zu staatlichen So- lange regieren würde und schon bald zialleistungen zu bekommen, um so der

3 besonders aus sozial schwachen Schich- sich gegenüber den Palästinensern nicht ten stammenden Wählerschaft zählbare eindeutig zu einer Zwei-Staaten-Lösung Ergebnisse liefern zu können. Das Woh- bekennt. Dies ist beim Likud zweifellos nungsministerium war daher eine ganz der Fall, denn Netanyahu hatte in seinen wesentliche Forderung. Außerdem er- Wahlkampfauftritten immer wieder er- zielte die Partei eine deutliche Erhöhung klärt, dass es mit ihm weder eine Räu- des Familien- und Kindergeldes. In den mung von Siedlungen noch eine Teilung kommenden drei Jahren werden dafür Jerusalems geben werde. Anstelle der laut Koalitionsvereinbarung 1,4 Mrd. Zwei-Staaten-Lösung, wolle er einen Shekel (ca. 260 Mio. €) an zusätzlichen „ökonomischen Frieden“ mit den Paläs- Mitteln bereitgestellt. Für Aufmerksam- tinensern anstreben, d.h., die wirt- keit sorgte auch die Entscheidung Neta- schaftliche und soziale Entwicklung soll nyahus, Shas in Form eines Ministers im vorangebracht werden, um so ein siche- Büro des Ministerpräsidenten die Ver- res Fundament für einen politischen antwortung für die ultra-orthodoxen Frieden zu schaffen. Zu einem späteren Schulen zu übertragen und diese damit Zeitpunkt könne man dann sehen, ob aus der Verantwortung des Bildungsmi- ein umfassendes Friedensabkommen nisteriums herauszulösen. möglich sei.

Nach der relativ geräuschlos verlaufenen Nach der Wahl änderte Barak offenbar Koalitionsverhandlung mit der Partei seine Position. Noch in der Wahlnacht Jüdisches Heim, die das Wissenschafts- erklärte er angesichts des Wahlergebnis- ministerium zugesprochen bekam, hatte ses, dass die Wähler ein Bündnis von Netanyahu 56 Abgeordnete hinter sich Kadima, Likud und Arbeitspartei gebracht. Sollte er nach der Absage wünschten. Führende Vertreter der Ar- durch Tzipi Livni die Verhandlungen mit beitspartei wie der Ex-Vorsitzender Amir der radikal rechten und siedlerfreundli- Peretz, Generalsekretär Eitan Cabel, die chen Nationalen Union sowie mit dem bisherige Bildungsministerin Yuli Tamir Vereinigten Torah-Judentum vorantrei- und Ex-Generalsekretär Ophir Pines-Paz ben, um so eine reine Rechtsregierung lehnten diesen Weg angesichts des zu bilden? Einer Konstellation also, die Wahlergebnisses ab. Nach ihrer Mei- er unbedingt vermeiden wollte? Oder nung ist die Partei durch die ständige sollte er die bestehenden Kontakte zu Regierungsbeteiligung der vergangenen Ehud Barak und der Arbeitspartei noch Jahre inhaltlich und personell verschlis- einmal intensivieren, um sein ursprüngli- sen. Sie votierten für den Gang in die ches Ziel - die Schaffung eines möglichst Opposition, um von dort die Erneuerung breiten Regierungsbündnisses - doch der Partei in Angriff zu nehmen. noch zu erreichen? Netanyahu tat bei- des. Er verhandelte weiter mit seinen Im Alleingang und an allen Parteigre- Verbündeten aus dem rechten Lager mien vorbei stellte Barak ein Verhand- und machte Ehud Barak neue politische lungsteam zusammen, das mit dem Li- Angebote, um ihn und die Arbeitspartei kud geheime Verhandlungen aufnahm. in das Regierungsbündnis zu holen. Dieses Team bestand aus Ofer Eini, Vor- sitzender des Gewerkschaftsdachver- Ehud Barak will mitregieren und bandes Histadrut, dem bisherigen handelt mit Netanyahu eine Koaliti- Landwirtschaftsminister und Barak-Ver- onsvereinbarung aus trauten Shalom Simhon und dem An- walt Alon Gerhart. Außerdem traf Barak Vor der Wahl hatte Barak ausgeschlos- selbst mehrfach mit Netanyahu zusam- sen, mit einer Partei zu koalieren, die men. Auf die Proteste seiner innerpartei-

4 lichen Opponenten, die von den Ver- chen Dienst; d) Anhebung der staatli- handlungen keinerlei Kenntnis hatten, chen Renten; e) Schaffung eines Not- entgegnete er bei Bekanntmachung der fonds für Klein- und Mittelbetriebe; f) Verhandlungen am 18. März: „Was ist Programme zur Förderung von Be- falsch daran, mit Netanyahu zu spre- rufsausbildung und Umschulung; g) chen? Ich habe mit führenden Terroris- Stärkere Integration von Minderheiten ten der PLO gesprochen. Ist Netanyahu (sprich der arabischen Israelis) in den etwa der schlimmste Feind unserer Na- Arbeitsmarkt; h) Verkürzung der Berech- tion? Die außen- und sicherheitspoliti- tigungszeit für Arbeitslosengeld. schen, die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen, vor denen Israel 3) Politik und Sicherheit: a) Ehud Barak steht, machen es der Arbeitspartei zur wird in alle zentralen außen- und sicher- Pflicht, Netanyahus Angebote ernsthaft heitspolitischen Entscheidungen einbe- zu prüfen“. Baraks Strategie bestand zogen; b) Ausarbeitung eines Planes für ganz offensichtlich darin, hinter dem ein regionales Friedensabkommen im Rücken seiner Partei - ganz im Stile eines Nahen Osten; c) der Friedensprozess geheimen Kommandounternehmens - wird fortgeführt und alle bestehenden eine möglichst attraktive Koalitionsver- Abkommen werden respektiert; d) ille- einbarung mit dem Likud zu erzielen, gale Siedlungs-Außenposten (völker- um erst dann die Parteigremien darüber rechtlich sind sowohl Außenposten wie abstimmen zu lassen. Siedlungen illegal) und illegale palästi- nensische Bauten werden geräumt. Begleitet von weiteren heftigen Diskus- sionen und Protesten wurde für den 24. 4) Justiz: a) Schutz der Stellung des o- März das Zentralkomitee der Arbeitspar- bersten Gerichtshofes; b) Änderung der tei, dem etwa 1.700 Mitglieder angehö- Grundgesetze ist nur bei Zustimmung ren, zu einem Sonderparteitag einberu- aller Koalitionspartner möglich. fen, um über die ausgehandelte Verein- barung abzustimmen. Die Koalitionsver- Außerordentlicher Parteitag der Ar- einbarung zwischen Likud und Arbeits- beitspartei - Wohin geht die Reise? partei enthält die folgenden wesentli- chen Punkte: Die Koalitionsvereinbarung wurde den 1476 anwesenden Mitgliedern des Zent- 1) Ministerien: die Arbeitspartei erhält ralkomitees der Arbeitspartei am 24. insgesamt vier Ministerien: Verteidigung März auf einem Sonderparteitag in Tel (Ehud Barak), Industrie, Handel und Ar- Aviv zur Abstimmung vorgelegt. Nach beit (Benjamin Ben Eliezer), Landwirt- teilweise hochkontroversen Diskussionen schaft (Shalom Simhon) und Soziales stimmten 680 Delegierte für den Beitritt (). Avishai Braverman wird zu Netanyahus rechter Regierungskoali- Minister ohne Portfolio mit Verantwor- tion und 507 dagegen. tung für Minderheiten. Die Redebeiträge zeigten, dass die Partei 2) Wirtschaft, Arbeit, Soziales: a) Einrich- über den Beitritt zu dieser Regierung tief tung eines „Runden Tisches“ unter Ein- gespalten ist. Mehrere Redner riefen in beziehung von Regierung, Histadrut, dramatischen Appellen dazu auf, in die Bank of Israel und Arbeitgebern zur Be- Opposition zu gehen, denn nur dort wältigung der Wirtschaftskrise; b) Erar- könne die Partei zu alter Stärke zurück- beitung eines Wirtschaftsnotprogramms finden. Sie warnten Barak voller Emotio- unter Beteiligung der Sozialpartner; c) nen vor einem Schulterschluss mit den Keine Kürzung der Gehälter im öffentli- rechten Parteien und damit vor einem

5 politischen Ausverkauf und dem Verlust nung des Gewerkschaftsführers, dessen von Grundwerten der Partei. Sie be- Handschrift in dem Koalitionsdokument fürchteten, dass eine erneute Regie- deutlich sichtbar ist, neoliberale Lö- rungsbeteiligung zu einem weiteren po- sungskonzepte verhindert und die Inte- litischen Profil- und Bedeutungsverlust ressen der Arbeitnehmer geschützt wer- der Arbeitspartei führen würde. Ophir den. Eini setzte in den Verhandlungen Pines-Paz wandte sich in seiner Rede durch, dass es für Staatsangestellte kei- direkt an Barak und hielt diesem vor, ne Gehaltskürzungen geben werde und dass sich „Ben Gurion, Golda Meir und dass Kündigungen möglichst vermieden Yitzhak Rabin in ihren Gräbern umdre- werden sollen. Barak machte sich die hen würden“ und dass er kein Mandat Argumentation Einis zu eigen und sagte besitze, „die Partei in den Abfalleimer in seiner Rede, dass die Arbeitspartei der der Geschichte zu werfen“. Amir Peretz neuen Regierung vor allem deshalb an- kritisierte in seiner Rede vor allem Baraks gehören müsse, um die Krise wirksam Alleingang, an allen Parteigremien vor- bekämpfen zu können. bei mit Netanyahu über eine Regie- rungsbeteiligung verhandelt zu haben. Wirtschaftliche und soziale Fragen do- minieren die Koalitionsvereinbarung Ehud Barak rechtfertigte sein Vorgehen sichtbar. Hier liegt möglicherweise der damit, dass es notwendig sei, eine rein wesentliche Grund dafür, dass es Barak rechtsorientierte Regierung zu verhin- gelang, eine deutliche Mehrheit des Par- dern. Es sagte: „Wir haben eine Ver- teitages für sich zu gewinnen. Wenn die antwortung für die Arbeitspartei, aber dazu getroffenen Vereinbarungen Reali- wir sind auch für den Staat Israel, für tät werden, könnte die Arbeitspartei der Frieden und Sicherheit verantwortlich. Wirtschaftspolitik der Regierung Netan- Die Arbeitspartei ist kein Feigenblatt, jahu einen sozialdemokratischen Zu- sondern ein echtes Gegengewicht zu schnitt geben, wenn auch völlig unge- den rechten Parteien“. Auf den Vor- wiss ist, wie die Maßnahmen finanziert wurf, dass es ihm vor allem um sein Amt werden sollen. Angesichts der enormen als Verteidigungsminister gehe, erwi- politischen und ideologischen Heteroge- derte er: „Ich jage keinem Amt hinter- nität der Sechs-Parteien-Koalition sind her.“ daran aber starke Zweifel angebracht. Erst die politische Praxis wird zeigen, Ofer Eini, Vorsitzender des einflussrei- was dieses Dokument wirklich wert ist. chen Gewerkschaftsdachverbandes Histadrut und Mitglied von Baraks Team Anders als die Wirtschaftskrise spielte für die Koalitionsverhandlungen, war der Nahost-Friedensprozess in Baraks dessen wichtigster Verbündeter in der Argumenten für den Regierungsbeitritt innerparteilichen Diskussion um den nur eine nachgeordnete Rolle. In den Regierungsbeitritt. Eini führte in seiner Vereinbarungen ist nur relativ allgemein Rede als Hauptargument für einen Re- von Einhaltung der bestehenden Ver- gierungsbeitritt der Arbeitspartei die träge, wie z. B. der Roadmap sowie von internationale Finanz- und Wirtschafts- der Weiterführung der Friedensgesprä- krise an, die Israel jetzt mit großer che die Rede. Außerdem werde die Re- Wucht treffe und die es notwendig ma- gierung gegen illegale Siedlungs- che, im Interesse des Landes und zur Außenposten vorgehen. Klare Aussagen Rettung von Arbeitsplätzen mit Netan- darüber, was konkret erreicht werden yahu zusammenzuarbeiten und eine soll - z. B. die Formulierung der Zwei- stabile und handlungsfähige Regierung Staaten-Lösung als Ziel eines politischen zu bilden. Nur so könnten nach Mei- Prozesses - finden sich in der Vereinba-

6 rung nicht. Der Israelisch-Palästinen- niemals wirklich gefragt, was falsch ge- sische Konflikt wird sehr wahrscheinlich laufen ist.“ keine oberste Priorität auf der politi- schen Agenda einer Netanyahu-Lieber- Wohin die Reise für die Arbeitspartei mit man-Barak Regierung bekommen. Alle ihrer Beteiligung an Netanyahus Rechts- drei stimmen darin überein, dass der koalition gehen wird, ist völlig offen. Kampf gegen die atomare Bedrohung Wird es gelingen, in der Regierung eine durch den Iran weitaus wichtiger ist. inhaltliche Erneuerung einzuleiten, den Abwärtstrend zu stoppen und der Partei Der Parteitag offenbarte eine tief gespal- ihr politisches Gewicht zurückzugeben? tene Partei. Zwar erreichte Barak eine Oder wird das eintreten, was nicht we- klare Mehrheit, trotzdem stehen sich nige Mitglieder und Sympathisanten der beide Lager - die Befürworter und die Arbeitspartei befürchten und was die Gegner eines Beitritts zu dieser rechten auflagenstarke Zeitung Yediot Ahronot Regierung - unversöhnlich gegenüber. am Tag nach dem Parteitag prophezeite. Auch die Knesset-Fraktion der Arbeits- Sie verglich die Arbeitspartei mit einem partei ist gespalten. Nachdem auf dem schwerkranken Mann, der seinem Tod Parteitag noch sieben Abgeordnete ge- entgegensieht, sich aber „besser fühlt, gen den Regierungsbeitritt auftraten, wenn er erster Klasse reist und das Bett sind davon inzwischen noch fünf übrig weich ist.“ (Cabel, Peretz, Pines-Paz, Tamir, Yachi- movich). Die Befürworter argumentie- Was kann die neue Regierung ren, dass die Partei sich ihrer Verantwor- leisten? tung für die Nation stellen müsse und nur durch ihr Mitregieren die Sicherheit Die 32. Regierung (vgl. angehängte Liste des Landes und die durch die schwere der Minister) ist die größte, die es jemals Krise bedrohten Interessen der Arbeit- in Israel gab. Nachdem Netanyahu sei- nehmer bewahrt werden könnten. Die nen zukünftigen Koalitionspartnern Gegner argumentieren, dass eine er- großzügige Angebote in Form von Mi- neute Regierungsbeteiligung zu einem nisterposten machte, hatte er zum Ausverkauf der sozialdemokratischen Schluss kaum noch Ministerien für seine Werte der Partei und zu einer Beschleu- eigene Partei übrig. Er löste dieses Prob- nigung ihres politischen Bedeutungs- lem, indem er bestehende Ministerien verlusts führen wird und fordern deshalb aufspaltete und außerdem neue Minis- den Gang in die Opposition. terposten ohne Portfolio schuf. Insge- samt besteht die neue israelische Regie- Die israelische Öffentlichkeit verfolgt die rung nun aus 30 Ministern. Damit sind Entwicklung in der Arbeitspartei, die 25% der Knessetabgeordneten Minister. jahrzehntelang eine dominierende Rolle Aber nur zwei von ihnen sind Frauen. in Politik und Gesellschaft in Israel ge- spielt hat, mit gespannter Aufmerksam- Benjamin Netanyahu ist der eigentliche keit. Der renommierte Journalist Yossi Gewinner des Beitritts der Arbeitspartei Verter schrieb dazu in der links-liberalen zu seiner rechten Regierungskoalition. Zeitung : „Von Wahl zu Wahl ist Nach dem Auftrag zur Regierungsbil- die Partei schwächer geworden, ihre dung - und damit dem Ministerpräsiden- Werte sind verblasst und ihre Führer sind tenamt - hat er ein weiteres wichtiges umgefallen wie Schießbudenfiguren. Ziel erreicht: er hat den Fehler seiner Geblieben ist einzig die Gier nach Macht ersten Amtszeit nicht wiederholt und um jeden Preis. Diese Partei hat in 17 eine reine Rechtsregierung vermieden. Jahren 31 Knessetsitze verloren und sich Er gewinnt nach innen, denn seine Re-

7 gierung hat mit der Arbeitspartei eine Abstimmung widersetzen, bleiben ihm breitere politische Basis, was ihm mehr immer noch 61 der 120 Stimmen. Spielraum gegenüber den radikalen Rechten bringt. Und er gewinnt nach Es ist fraglich, wie lange und wie gut es außen, denn mit den Erben Yitzhak Ra- Netanyahu gelingen wird, die stark di- bins als Regierungspartner wird es der vergierenden Weltanschauungen und dem Nahost-Friedensprozess verpflichte- Ideologien seiner Sechs-Parteien-Koali- ten Obama-Regierung und auch den tion auszubalancieren. Folgt er den Poli- europäischen Partnern weit schwerer tikvorschlägen der Arbeitspartei, könn- fallen, ihm eine grundsätzlich ableh- ten die Rechten mit Austritt aus der Re- nende Haltung zum Friedensprozess zu gierung drohen. Folgt er der Politik der unterstellen. Rechten, besteht auf der anderen Seite die gleiche Gefahr. Gewiss kann er die Aber ein wirklich verlässlicher Koaliti- verschiedenen Gruppen gegeneinander onspartner ist die in sich gespaltene Ar- ausspielen, aber mutige Entscheidungen beitspartei trotzdem nicht. Fünf ihrer 13 im Friedensprozess sind so nur schwer Abgeordneten lehnen das Bündnis mit vorstellbar. den Rechten ab. Bei der Abstimmung über die neue Regierung waren sie zwar Sollte sich Netanyahu aber trotzdem zu anwesend, nahmen aber nicht an der grundlegenden Fortschritten im Verhält- Abstimmung teil. Es ist nicht abzusehen, nis zu den Palästinensern oder den ara- ob sie in der Zukunft bei strittigen Ab- bischen Nachbarn - z. B. zu Syrien - ent- stimmungen in der Knesset ihren Über- scheiden, kann er neben der Unterstüt- zeugungen oder der Parteidisziplin fol- zung durch die Arbeitspartei auch mit gen werden. Die Erweiterung nach links Tzipi Livni, der zukünftigen Oppositions- hat Netanyahu damit zwar mehr Spiel- führerin und ihrer Kadima-Partei rech- raum aber nur bedingt Stabilität ge- nen. Einer solchen Entwicklung würde bracht. sie ihre politische Unterstützung gewiss nicht verweigern. Wie er mit diesem Problem möglicher- weise umgehen wird, hat er gezeigt, als Der Arbeitspartei wird es schwer fallen, er nach dem Abschluss der Koalitions- in dieser Koalition ihre politischen Ziele vereinbarung mit der Arbeitspartei - er zu erreichen. Sie stellt nur fünf von drei- hatte damit numerisch 69 Abgeordnete ßig Ministern und 13 von 120 Abgeord- hinter sich - das Vereinigte Torah-Juden- neten. Ob das ausreicht, um die Regie- tums (5) ebenfalls in sein Regierungs- rung dahin zu bringen, die in der Koali- bündnis holte. Der politische Preis dafür tionsvereinbarung niedergeschriebenen war nicht sehr hoch, denn die Partei wirtschafts- und sozialpolitischen Ver- versteht sich als nicht-zionistisch und einbarungen umzusetzen und vielleicht lehnt es traditionell ab, Minister zu stel- sogar Fortschritte im Friedensprozess zu len. Sie erhielt zwei Vize-Ministerposten erreichen, erscheint mehr als fraglich. und außerdem den Vorsitz im einfluss- Die israelische Öffentlichkeit wird auf- reichen Finanzausschuss der Knesset. merksam verfolgen, ob es Ehud Barak Mit den nun 74 Stimmen hat Netanyahu und der Arbeitspartei tatsächlich gelingt, ein Druckmittel gegen die Arbeitspartei. mehr als nur das linke Feigenblatt einer Sollten sich ihre 13 Abgeordneten einer rechten Regierung zu sein.

8 Die Regierung Netanyahu

Kabinettsliste der 32. Regierung (ab 31. März 2009)

Funktion Name Partei

Premierminister Benjamin Netanyahu Likud Minister für strategische Wirt- schaftsplanung

Vize-Premierminister Silvan Shalom Likud Moshe Ya`alon

Minister für Finanzen Yuval Steinitz Likud

Minister für Verkehr und Ver- Israel Katz Likud kehrssicherheit

Ministerin für Kultur und Sport Limor Livnat Likud

Minister für regionale Entwick- Silvan Shalom Likud lung, Minister für regionale Entwicklung des Negev und Galiläa

Minister für Information und Yuli Edelstein Likud Diaspora Angelegenheiten

Minister für Kommunikation Moshe Kahlon Likud

Minister für Bildung Gideon Sa'ar Likud

Minister für Justiz Ya’akov Neeman Likud

Minister für Umweltschutz Gilad Erdan Likud

Minister für Strategische Her- Moshe Ya'alon Likud ausforderungen

Minister ohne Portfolio (Beauf- Michael Eitan Likud tragter für die Verbesserung des Bürgerservices)

Minister für die Geheimdienste Dan Meridor Likud und Atomenergie

Minister ohne Portfolio Benjamin Begin Likud

9 Minister ohne Portfolio Yossi Peled Likud

Minister für Auswärtige Ange- Avigdor Lieberman legenheiten

Minister für Tourismus Stas Misezhnikov Yisrael Beiteinu

Minister für Nationale Infra- Yisrael Beiteinu struktur

Minister für Innere Sicherheit Yitzhak Aharonovitch Yisrael Beiteinu

Ministerin für Eingliederung der Sofa Landver Yisrael Beiteinu Immigranten

Minister für Verteidigung Ehud Barak Arbeitspartei

Minister für Wohlfahrt und Isaac Herzog Arbeitspartei soziale Dienstleistungen

Minister für Landwirtschaft und Shalom Simhon Arbeitspartei ländliche Entwicklung

Minister für Industrie, Handel Benjamin Ben-Eliezer Arbeitspartei und Arbeit

Minister ohne Portfolio (Beauf- Avishay Braverman Arbeitspartei tragter für Angelegenheiten der Minderheiten)

Minister für Innere Angelegen- Eliyahu Yishai Shas heiten

Minister für Bau und Woh- Ariel Atias Shas nungswesen

Minister für religiöse Angele- Ya’akov Margi Shas genheiten

Minister ohne Portfolio (Verant- Meshulam Nahari Shas wortlich für die ultra- orthodoxen Schulen im Büro des Ministerpräsidenten)

Minister für Wissenschaft Daniel Hershkowitz Jüdisches Heim

Ansprechpartnerin: Annette Lohmann, Tel: 030 / 26 935-7423, E-Mail: [email protected] Friedrich-Ebert-Stiftung, Internationale Entwicklungszusammenarbeit, Referat Naher/Mittlerer Osten & Nordafrika, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin Sie finden den Hintergrundbericht zum Herunterladen sowie Informationen zur Arbeit der FES in der Region auf http://www.fes.de/nahost

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