„Wir Sind Wieder Ski-Nation Nr. 1“
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6214_07_MI62_Kern_fsch.qxd:6214_07_MI_Kern_fsch 28.11.2007 12:16 Uhr Seite 36 Minas Dimitriou/Christian Mortsch „Wir sind wieder Ski-Nation Nr. 1“ Zur sprachlichen Transformation nationaler Stereotypen in der österreichischen Sport bericht- erstattung am Beispiel der Ski Alpin WM (Aare 2007) man sich dieser Thematik ohne die Unterstützung Prolog empirischer Untersuchungsergebnisse nur frag menta - risch annähren. Daher nehmen sich die Verfasser vor, Blieb das Interesse am Skisport in der Zwischenkriegszeit anhand einer Analyse der Berichterstattung der Ski Alpin nur einer kleinen und verhältnismäßig privilegierten WM (03.–18. Februar / Aare 2007) in den österreichischen Bevölkerungsgruppe in Österreich vorbehalten, so Printmedien, stilistische und inhaltliche Differenzen avancier ten seit Ende der 50er Jahre die alpinen Diszi - zwischen den verschiedenen Zeitungstypen sowie ferner plinen zu den ultimativen Publikumsmagneten. Einen die Re-Konstruktion von nationalen Stereotypen im wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung leisteten Mediensport aufzuzeigen. Dabei wurden anhand der einerseits die Medien, die seit den 50er Jahren durch ihre aktuellen Auflagezahlen1 folgende sechs österreichische ausführliche Berichterstattung nicht nur eine Infor- Tageszeitungen herangezogen: „Neue Kronen Zeitung“ mations-, sondern auch eine Unterhaltungsfunktion (K) und „Österreich“ (Ö) als Boulevardblätter, „Der übernommen haben. Andererseits spielten die außer - Standard“ (St) und die „Kleine Zeitung“ (KZ) als gewöhnlichen Leistungen der österreichischen Aktiven Qualitäts zeitungen und schließlich die „Salzburger eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn die Siege Nachrichten“ (SN) und die „Tiroler Tageszeitung“ (TT) als haben insbesondere auf internationalem Terrain zur überregionale Tageszeitungen. Insgesamt wurden 1095 Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins und zur Artikel untersucht. Stimulierung des Identifikationsprozesses zwischen Der theoretische Hintergrund der Analyse basierte auf der Zuschauern und SportlerInnen geführt. Argumentationslinie zur Bedeutung und Funktion der Der Beitrag des Mediensports zur Re-Konstruktion der Stereotypisierung von Lippmann (1990), wobei hier unter nationalen Identität in Österreich war oft Gegenstand Stereotypen „sozial verankerte geistige Konstrukte, die als wissenschaftlicher Untersuchungen. Betrachtet man den Orientierungs- und Entscheidungshilfe operierten, indem seit Anfang der 90er Jahre herauskristallisierten For - sie Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse durch Re - schungs stand zu der oben geschilderten Thematik, dann duktion und Vereinfachung erleichtern und beschleunigen“ stellt man fest, dass die durchgeführten Studien einen (Lippmann 1922, 1990, zitiert nach Wernecken 2000, 113) starken theoretischen Charakter aufweisen. Dabei verstanden werden. Ausgegangen von der Annahme, dass bildeten die kulturhistorischen Entwicklungs zusammen - Kommunikation sowohl die Vermittlungs- als auch die hänge der nationalen Identität, wie sie bei Anderson Konstruktionsrolle von Images und Stereo typen (1983), Hobsbawm (1991), Gellner (1991) und Billig (1995) übernimmt (Tommasi 1997), konzentrierte man sich im dargestellt wurden, die zentrale Argumentationsbasis für Rahmen der vorliegenden Untersuchung auf die die Analyse zeithistorischer Ereignisse. Außerdem sprachlichen kommunikativen Korrelate, die zur Kons truk - konzentrierte sich die Mehrheit der Autoren – siehe z.B. tion nationaler Identität beitragen (Wodak et al. 1998). Horak (1992, 1995) und Marschik (1997, 1998) – auf die In Anlehnung an die Arbeit von Wernecken (2000) Rolle des Fußballsports zur Bildung eines österreichischen konnten daraufhin folgende Untersuchungskategorien nationalen Selbstbewusstseins vor und nach dem für die sprachliche Analyse generiert werden: Nationale Zweiten Weltkrieg. In einem von 2003 veröffentlichten Stereotypisierung (z.B. Wikinger), Pronomen (wir vs. ihr), Artikel setzten sich Horak und Spitaler mit der Bedeutung Beinamen / Spitznamen / Namenskreationen (z.B. des alpinen Skisports zum Aufbau einer kollektiven „Schöni“), Metaphorik (Bildhafter Ausdruck z.B. „Schnee - nationalen Identität auseinander. In diesem Zusammen - könig“), Hyperbolik (Übertreibung z.B. der „Unbesieg - hang untersuchte auch Müllner (2005) sportpolitische bare“), Fremdwörter (z.B. „Speed-Girls“) und Wort - Narrative in Österreich nach 1945 und stellte im Rahmen schöpfungen (z.B. „Jahrhundert-Debakel“). einer Analyse diverser Skistarbiographien fest, dass „der sportliche Erfolg allein nicht ausreicht, um im kollektiven Zur quantitativen Annäherung Gedächtnis einer Gesellschaft verankert zu werden“ (S. 104). Darüber hinaus ist eine Verbindung der Narration Die TV-Übertragungen des ORF aus Aare stießen auf mit den vorherrschenden sozialen Werten und Diskursen reges Interesse innerhalb der österreichischen Bevöl - notwendig (vgl. Sieder, 2004, S. 16, zitiert nach Müllner, kerung. Insgesamt 4,977 Millionen Menschen verfolgten 2005, 104). die Live-Berichterstattung in ORF 1 bei der Ski-WM. Das Obwohl die oben geschilderten Studien einen konstruk - entspricht 71,4 Prozent der österreichischen TV-Bevöl - tiven Einblick in die Beziehung zwischen der natio nalen Identität und dem Sport in Österreich ermöglichen, kann 1 http://www.media-analyse.at/frmdata2006.html (21.01.2006) 36 | heft nummer 62 | Dezember 2007 6214_07_MI62_Kern_fsch.qxd:6214_07_MI_Kern_fsch 28.11.2007 12:16 Uhr Seite 37 Minas Dimitriou/Christian Mortsch „Wir sind wieder Ski-Nation Nr. 1“ Zur sprachlichen Transformation nationaler Stereotypen in der österreichischen Sportberichterstattung am Beispiel der Ski-Alpin-WM (Aare 2007) kerung.2 In einem überdurchschnittlichen Umfang wid - sichtigten (Siehe Tab. 1). Hinsichtlich der Analyse der meten sich auch die Printmedien der erwähnten Sport - Themen verteilung wurden in Anlehnung an Loosen veranstaltung, sodass zahlreiche Artikel und Bilder der (1998) die Kategorien Wettkampf, Historie, Human Zeitungen – nicht nur im Sportteil – die Ski-WM zum Interest, Kommerzialisierung, Ethik, Organisation und Thema hatten. Medizin untersucht. Konkreter konnte die vorliegende Studie zeigen, dass die Betrachtet man die Themenverteilung des Daten - Boulevardblätter Kronen Zeitung und Österreich den mit materials, so stellt man fest, dass die Human Interest Abstand größten Platz zur Sport- und WM-Bericht - (Hintergrund, Personalisierung, Privatleben, Meinungs - erstattung zur Verfügung stellten. Diese Entwicklung verschiedenheit etc.) in spezifischen Artikeln einen korrespondiert mit der allgemeinen Tendenz, dass erheblichen Anteil – 28,4 bei den national und 17,3 Pro zent Boulevardzeitungen einen erhöhten Umfang der Sport - bei der international orientierten Beiträgen – ein nimmt. berichterstattung gegenüber anderen Zeitungstypen zu Die vorliegenden Befunde bestätigen eine in den letzten verzeichnen haben (vgl. u.a. Beck 2006, 172f.). Jahren ersichtlich gewordene Hinwendung der Sport - Auch hinsichtlich der Anzahl der WM-Artikel bietet sich bericht erstattung in Richtung Unterhaltung (Boyle/ ein ähnliches Bild wie bei der Fläche der WM-Bericht- Haynes 2000), die insbesondere für die Zeitung als erstattung. Während die Blätter Österreich 17,55 Artikel komplementäres Medium zum Fernsehen stetig an täglich und Kronen Zeitung 14,39 Artikel täglich durch - Bedeutung gewinnt. Außerdem wurde im Rahmen der schnittlich veröffentlichten, druckten die Tiroler Tages- vorliegenden Studie ersichtlich, dass die sporthistorischen zeitung 11,2 Artikel, die Kleine Zeitung 9,28 Artikel, die Themen in der nationalorientierten Berichter stattung Salzburger Nachrichten 7,6 und der Standard 4,73 Artikel einerseits als Wissenslieferant anderseits als emotionales pro Tag ab. Im Zuge eines direkten Vergleichs zwischen Bindeglied der Rezipienten an das Kom muni kationsthema der Tiroler Tageszeitung und den Salzburger Nachrichten eingesetzt wurden (Dimitriou et al. 2007). konnten auch regionale Unterschiede festgestellt werden: Die Tiroler Tageszeitung publizierte nämlich im Wie oben erwähnt wurden diverse sprachliche kommuni - Schnitt pro Tag 3,26 Artikel mit Tirol-Bezug, während die kative Korrelate zur Textanalyse generiert: Bezüglich der Salzburger Nachrichten täglich nur 1,53 Beiträge über nationalen Stereotypisierung konnten für Österreich und Personen „ihres“ Bundeslandes brachten. das Austragungsland Schweden nur spärliche – 63 – als Stereotypen zu bezeichnende Formulierungen identifi- Zur qualitativen Analyse ziert werden, wobei ihre Mehrheit als neutral zu bewer - ten war. Allerdings bezog sich der Großteil der negativen Die nationale bzw. internationale Orientierung und die Stereotype auf das Land Schweden: „Kaltes Land“, „Über- Themenverteilung der Beiträge standen eingangs im mäßiger Alkoholkonsum“, „Nationalismus“ etc. Mittel punkt der qualitativen Inhaltsanalyse. Bezüglich Die Anwendung von Pronomen blieb der eigenen Nation der Orientierung fokussierten die Boulevardblätter ihre bzw. Österreich vorbehalten. Dazu dienten Fürwörter Berichterstattung primär auf die österreichischen nahezu nur den Boulevardblättern als Stilmittel. Allein in Aktiven, während die Qualitätszeitungen auch die Österreich sind mehr als drei Viertel aller 322 Pronomen Entwicklungen auf internationalem Terrain berück - zu finden. Der Standard und die Salzburger Nachrichten arbeiten gänzlich ohne dieses Stilmittel. Pronomen sind K Ö St KZ SN TT Gesamt bei beiden Boulevardzeitungen vor allem in Titeln sehr National 64,1 81 49,3 49,7 52,6 51,2 62,6 beliebt, wobei sie vermehrt bei Erfolgen