Sport FOTOS: CHRISTOF STACHE / AP STACHE CHRISTOF FOTOS: Münchner Profis* im -Auswärtsspiel beim 1. FC Nürnberg: Fast ein kleiner Untergang

FUSSBALL „Warum stottert der Motor?“ Mit einer seltsam rückwärtsgewandten Trainer-Entscheidung ließ der Branchenführer Bayern München erneut Zweifel aufkommen, ob er ein innovativer Club ist. Droht das Ende einer Ära? Jetzt soll Altmeister Ottmar Hitzfeld Angriffe auf die Vormachtstellung abwehren.

s war fast wie immer. Mit hoch- eine Parklücke helfen. Nur verlor seine Jetzt kommt der Zahnarztsohn aus Süd- geschlagenem Kragen stand Ottmar mäßig inspirierte Elf am Ende mit 0:3 beim baden, inzwischen erfolgreichster Vereins- EHitzfeld, 58, neben der Trainerbank 1. FC Nürnberg, es war fast ein kleiner Un- trainer Deutschlands, aus seinem Retiro des deutschen Rekordmeisters Bayern tergang. Hitzfeld entdeckte „viel Sand im im schweizerischen Engelberg in den Leis- München, etwas fröstelnd in seinem dün- Getriebe“ und weiß: Er hat nun viel Arbeit. tungsbetrieb Bundesliga zurück. Die stress- nen dunkelblauen Mantel. So sind die Münchner kurz nach Beginn bedingte Schlaflosigkeit, die er unter an- Sobald er sich am vergangenen Freitag der zweiten Saisonhälfte in die späten derem als Grund nannte, dass er 2004 den im Nürnberger Stadion der Seitenlinie neunziger Jahre zurückgekehrt. Auch da- angebotenen Job des Bundestrainers ab- näherte, winkte er dann und wann einen mals kam Hitzfeld, ein bisschen frischer lehnte, scheint überwunden. Hitzfeld Spieler mit dieser markanten, schneidigen aussehend, um den Branchenprimus aus zurück zu den Bayern – es ist, als wollten Geste heran, als wollte er jemandem in einer Krise zu führen: Der Club war mit sie eine Epoche zurückholen, so als käme Trainer am üblichen die Union auf die Idee, bei der nächsten * Claudio Pizarro und Owen Hargreaves mit dem Nürn- Minimalziel Deutsche Meisterschaft vor- Bundestagswahl mal wieder mit Helmut berger Jan Polak am vergangenen Freitag. beigeschrammt, das Team ohne Führung. Kohl anzutreten.

132 der spiegel 6/2007 Mit dem „Turnaround“, den sich Mana- „unsere Partei“ nannte er sie. „Es will ja tertitel und Pokal und war doch für die ger Uli Hoeneß erhofft, kann nur ein kein Mensch die SPD bei uns“, bellte er da, Bayern der Falsche: zurückgezogen, leise, Stimmungswandel gemeint sein, denn als tätschelte gönnerhaft das Knie der Grü- vor allem zu dankbar, bei dem Rekord- großer Erneuerer galt Hitzfeld schon nen-Chefin Claudia Roth und blaffte den meister arbeiten zu dürfen. früher nicht. Erstes Ziel ist es, den freien CSU-Generalsekretär Markus Söder an: Geradezu devot nahm der Hobby- Fall aufzuhalten, der sich nach der Win- „Die CSU braucht doch den ganzen Schachspieler, der als Bayern-Coach kein terpause abzeichnete, mit Pfiffen im eige- Schmarrn nicht, was ihr da die ganze Zeit Vorausdenker war, die Personalentschei- nen Stadion und der Aussicht, vom kri- macht.“ dungen hin. Er arbeite mit den Spielern, selnden Giganten Real Madrid in der kom- Mit demselben Dünkel hatte die Club- die man ihm vorsetze, wiederholte er selt- menden Champions-League-Runde eine spitze zuletzt ihr Fußballunternehmen ge- sam teilnahmslos. Abreibung verpasst zu bekommen. führt. Das macht zwar 205 Millionen Euro Dabei hätte die Chefetage Nachhilfe in Die Saison wäre dann gelaufen, es droht Umsatz, kommt aber sportlich nicht vom strategischem Denken dringend nötig. Ent- sogar das Schlimmste: Platz vier in der na- Fleck. International abgerutscht, offenbar- schlossenheit in der Transferpolitik ist nicht tionalen Liga und damit der Rauswurf aus te Bayerns Mannschaft das Ergebnis einer die Stärke von Hoeneß und Vorstandschef der Spielklasse der Großen Europas. mutlosen Personalpolitik: einen wie zufäl- Karl-Heinz Rummenigge. Die panikartige Entlassung des Trainers lig zusammengestellten Spielerkader. All- So reiste das Duo einmal spontan für war das vorerst letzte Indiz, mählich dämmert auch der jahrzehnte- ein paar Tage nach Südamerika, um den dass die Unternehmensstrategie des eins- lang ehrfürchtigen Konkurrenz: Die gro- jungen Argentinier Sergio Agüero in Au- tigen Riesen in eine Sackgasse geführt ßen Bayern leiden an Schwächen in der genschein zu nehmen. Dann spielte der hatte. Der Rückwärts-Gang mit Hitzfeld Spielersichtung, es fehlt an Detailwissen Proband nicht richtig gut und auch nicht löst leise Bestürzung aus: „Es gibt keine über moderne Trainingsmethoden. schlecht, und die deutschen Inspekteure Abteilung Zukunft bei den Bayern. Man Während das Fernsehen Bilder von konnten sich nicht entscheiden. lebt nur noch im Heute“, sagt ein früherer Spielern des Ligarivalen Schalke 04 zeigt, Anderswo funktioniert Einkaufspolitik Spieler des Clubs. die mit Atemmaske auf dem Laufband die so, dass ausgesuchte Talente über Jahre Auch dem Aufsichtsratschef Franz Be- Sauerstoffzufuhr messen, sah man Magaths hinweg von abgesandten Scouts begutach- ckenbauer ist aufgefallen, dass es seit Männer meistens Medizinbälle schleppen. tet werden. Werder Bremens Führung um Jahren nicht mehr richtig vorwärtsgeht. Der wortkarge Zuchtmeister mit der De- Manager Klaus Allofs zog beim Weggang In einer Sitzung zeigte er bereits eine Liste signerbrille wirkte immer wie ein Relikt des Spielmachers Johan Micoud vorigen von Spielern vor, die sich beim FC Bayern aus der Zeit, da Fußballprofis noch wie Sommer einfach Plan B aus der Schublade: nicht weiterentwickelt hätten. Lausbuben aus dem Trainingslager aus- Den Brasilianer Diego hatte sie schon seit Zu lange hat man in München die büxten und gelegentlich einen Tritt in den mehreren Spielzeiten als möglichen Nach- Führungsrolle als naturgegeben erachtet: Hintern brauchten. folger im Blick. Der FC Bayern in Deutschland, das schien Die heutige Profi-Generation besteht je- „Die Bayern schicken ihre Scouts um ein sicherer Tipp zu sein – wie die CSU in doch aus vernetzten Einzelunternehmern, die Welt, und am Ende holen sie den van Bayern. die wissen, dass der eigene Körper ihr Ka- Buyten aus Hamburg“, wundert sich ein Wie selbstverständlich saß dann auch pital ist. Sie verlangen nach Kommunika- Fußballmanager. Selbst Bayerns Aufsichts- Manager Hoeneß vor zwei Wochen in der tion. In München beklagten die Spieler, rat Herbert Henzler, einst Europa-Chef der Polit-Sendung „Sabine Christiansen“, um dass im Trainingsalltag die Dosierung nicht Unternehmensberatung McKinsey, fragt seine favorisierte Partei zu verteidigen, stimme. Magath gewann je zweimal Meis- sich, ob richtig hingeschaut wird: „Warum waren von alle begeistert, als sie ihn in Paraguay gesehen haben, und bei uns ist er dann zu langsam?“ Zu kurz gekommen, meint Henzler, sei „die Verpflichtung von spektakulären Spie- lern mit Ausstrahlung. Ein Kaká oder ein Ronaldinho hätten uns gut zu Gesicht ge- standen“. Dabei haben die Bayern Kaká beobachten lassen, als der 17 war, und sie kannten auch Diego. Vor allem versäumten sie es, Ersatz zu beschaffen, als Michael Ballack zum FC Chelsea nach London zog. Zeit hatten sie genug. Schon bei den Vertragsgesprächen Ende 2001 hatte Hoeneß selbst das Szena- rio angesprochen: Ballack könne „nach der Weltmeisterschaft immer noch zu Real Madrid“ oder einem vergleichbar betuch- ten Club wechseln. Am Ende sind sie in München nicht einmal sicher, wo genau der Mittelfeldstar die Lücke riss: „Hinter den Spitzen“, wie Hoeneß vermutet, oder weiter hinten, „als Ballverteiler“, wie Rummenigge ihn schätzt. So genau wissen die Bayern auch nicht, welche Rolle der selten eingesetzte An- greifer für den Verein spie- len soll. Und als jetzt der Altstar Willy Bayern-Spieler Hasan Salihamidzic, Coach Hitzfeld: „Viel Sand im Getriebe“ Sagnol ausfiel, stellte sich heraus, dass

der spiegel 6/2007 133 es auf dessen Arbeitsplatz rechts hinten es nur verständlich, wenn in Vereinen, de- im teuren Kader keine taugliche Alter- ren kickendes Personal aus Brasilien, den native gibt. Niederlanden, Frankreich, Iran und Kana- Bayerns Personalpolitik, findet ein da kommt, die Amtssprache Englisch ein- Marktteilnehmer, folge in der Regel „dem geführt würde – wie in international ope- Hannibal-Lecter-Prinzip: Du begehrst, was rierenden Firmen. du siehst“. Objekt des Kaufinteresses sind Überraschend wäre es aber, wenn aus- zumeist aus Funk und Fernsehen bekann- gerechnet der FC Bayern einen Trend zur te Bundesligaspieler. Weltoffenheit setzte. Dessen Geschäftsidee Trotzdem soll sich niemand einbilden, ist ansonsten eher provinziell, alles Han- größer als der FC Bayern zu sein. Aus son- deln orientiert sich zuweilen an der Sorge, derbarem Standesbewusstsein widerstand was wohl anderntags in den lokalen Bou- Hoeneß der Versuchung, den Mittelfeld- levardblättern steht. Offiziell mag keiner mann Owen Hargreaves freizugeben, ob- aus der Branche ein kritisches Wort zu den wohl Manchester United bis zu 30 Millio- Mächtigen aus dem Süden sagen. Anonym nen Euro an Ablöse bot – für einen ge- spricht ein Manager über „Betriebsblind- schätzten Fleißarbeiter, keinen Weltstar. heit“ in der Clubspitze. „Einflüsse von

Man schnappt den Bayern eben nicht ein- MIS / IMAGO außen empfindet man dort als störend.“ fach einen Spieler weg. Bayern-Bosse Rummenigge, Hoeneß Hoeneß ist schnell beleidigt. Vor allem Umgekehrt gehen die Münchner kein „Mal mit den Muskeln gespielt“ Berichte, wonach Werder Bremen dem Risiko ein, und so horten sie weiter liquide Münchner Flaggschiff die Vorherrschaft Mittel von rund hundert Millionen Euro. steiger werde „Puderzucker in den Hintern streitig mache und auch noch den schöne- Andererseits schrumpft auch das vielge- geblasen“, war das in der Mannschafts- ren Fußball spiele, ärgern ihn. priesene Festgeldkonto, seit der Ligakrösus kabine nicht einmal Gesprächsthema. Kaum hatte er den auch vom SV Wer- die eigene Stadiongesellschaft subventio- Lähmend wirken sich die Alleingänge der umworbenen Aachener Stürmer Jan nieren muss. Die Ära der Bayern-Hegemo- seines Vorstandskollegen Rummenigge, 51, Schlaudraff unter Vertrag genommen, ver- nie neigt sich auch da dem Ende entgegen. auf die Geschäfte aus. Ständig verirrt sich stieg er sich in Interviews zu einer entlar- Ein bisschen wirken die Chefs des die Führung auf Nebenschauplätze und venden Botschaft: Mit der Verpflichtung ehrwürdigen Vorzeigeclubs wie deutsche vergeudet Zeit damit, sich selbst zu de- habe man vor allem den Bremern eins Konzernlenker, die sich jahrelang der mentieren. Erst preist Rummenigge den auswischen wollen. Der FC Bayern, eröff- Zeitenwende durch die Globalisierung Zusammenschluss der europäischen Groß- nete Hoeneß, habe halt „mal mit den Mus- entgegenstemmten. Sie hatten den Mythos clubs, die sogenannte G 14, als Vehikel zur keln gespielt“. deutscher Wertarbeit in die Welt getragen, Rettung der Menschheit, dann ist sie ihm Jetzt soll es Ottmar Hitzfeld richten. und auch als der Wettbewerbsdruck von ein Greuel: „Da wird zu viel über Geld ge- Behutsam versucht der Altmeister, die außen immer gnadenloser wurde, hielten sprochen.“ Mal ist er gegen die öffentlich- Strömungen der Mannschaft zu orten und sie lange an alten Rezepten fest. rechtliche „Sportschau“, mal dafür. ein paar Schrauben anzuziehen. „Warum“, Uli Hoeneß, 55, führt seit fast 28 Jahren Von Souveränität keine Spur. Ein Club fragt er hellhörig, „stottert der Motor?“ die Geschäfte. Gern redet er sich in Rage wie Olympique Lyon erscheint im Vergleich Bloß für vier Monate, bis Saisonschluss, über die Ungerechtigkeiten der Welt. Dann schon fast übermächtig. Dabei macht der habe er die Zusage gegeben, sagt Hitzfeld. geißelt er russische Investoren, die Clubs französische Serienmeister, längst mehr als Hoeneß dagegen will „die Zukunft nicht so wie den FC Chelsea mästen, poltert über ein Geheimtipp für den Gewinn der Cham- klar definieren“. Schuldenberge bei Real Madrid oder be- pions League, 40 Millionen Euro weniger Haben sie wieder keinen Plan? klagt die kargen TV-Einnahmen der Bun- Umsatz als die Bayern. Wahr ist, dass die Bosse den Spielern desliga. Man kann ihm nur schwer wider- Immer noch funktionierten die Münch- nicht das Gefühl geben möchten, sie hätten sprechen, aber die immergleichen Klagen ner im Wettbewerb der Fußballkonzerne nur einen Vorgesetzten auf Abruf. Ver- klingen phantasielos und bringen nieman- „wie ein klassischer Verein“, sagt der waltungsbeirat Roland Berger denkt be- den weiter. Londoner Rechtehändler Philipp Grothe, reits an „einen Innovator à la Klinsmann“ Wenn der Manager einzelne Spieler der mit Top-Clubs der englischen Premier als Hitzfeld-Nachfolger. zur Räson rief, schlugen die Stars früher League Geschäfte macht. „Um in der Bun- Vor drei Jahren, als „der Ottmar“ vor- die Hacken zusammen. Als Hoeneß jetzt desliga die Nummer eins zu bleiben, mag zeitig gehen musste, hatte Hoeneß noch schimpfte, dem Talent Bastian Schwein- das reichen, doch im internationalen Ver- erklärt: Die Mannschaft sei „mit seiner lan- gleich wirkt das betulich.“ gen Leine nicht fertig geworden“. Hitzfeld Die Erfolge in Europa bleiben aus, die galt als zu weich und als ausgebrannt. Jetzt, großen Stars kommen nicht. Als Hoeneß zu Beginn der Münchner Retrowelle, und Mitstreiter vorigen Sommer den nie- sprach der Trainer von Leidenschaft und derländischen Stürmer Ruud van Nistel- Begeisterung, davon war am Freitag nicht rooy schon an der Angel wähnten, unter- viel zu sehen. Doch ob vielleicht doch ein schrieb der kaltlächelnd bei Real Madrid. Titel herausspringt, ist ja noch nicht ent- Auch auf Münchens Trainerbank drän- schieden. gen nicht die ganz großen Namen. Dass Bayern-Rivale Klaus Allofs kommen- jetzt der des Franzosen Gérard Houllier tierte die Münchner Trainer-Rochade zumindest auf die Wunschliste rückte, of- ebenso respektvoll wie spitzzüngig: Die fenbart allerdings Ansätze neuen Denkens. Münchner, meinte der Bremer, „bleiben Bisher hielt man in der Bundesliga nur natürlich ein hartnäckiger Verfolger“. Übungsleiter für tauglich, die deutsch spre- Nur ein zäher Verfolger – das ist so un- chen, auch wenn sie noch so skurril rade- gefähr das schlimmste Urteil, das man über

PATRICK OTHONIEL / GAMMA / STUDIO X / STUDIO / GAMMA OTHONIEL PATRICK brechten wie einst Trapattoni. die Bayern fällen kann. Champions-League-Geheimtipp Lyon Fruchtbare Einflüsse des Auslands wur- Christoph Biermann, Jörg Kramer, Fast übermächtig den der Liga so vorenthalten. Dabei wäre Daniel Pontzen, Michael Wulzinger

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