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Hans-Jürgen Perrey Emil Ludwig (1881–1948) Dichter – Kämpfer – Menschenfreund Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel

HANS-JÜRGEN PERREY Emil Ludwig (1881 – 1948) Dichter – Kämpfer – Menschenfreund Aufsätze Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel

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Lektorat: Dr. Kai U. Jürgens Umschlaggestaltung: Selina Schnetger Titelfoto: Emil Ludwig und seine Frau Elga 1928 (Ullstein Bild, Berlin)

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

ISBN 978-3-86935-323-4 Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel

INHALT

Vorwort...... 7

Anmerkungen zu Emil Ludwig...... 11

Spurensuche...... 11

Genie und Charakter...... 21

Der Augen-Cohn...... 33

Der Künstler...... 43

Goethe...... 60

Plutarch der Republik...... 74 Erfolg...... 74 Bürgerkriegsstimmung...... 92

Vom Emigranten zum Exilanten...... 100 Kämpfer und Führer...... 100 Der Fall Ludwig...... 111

The Germans...... 124 Letzte Warnung...... 124 Pacific Palisades...... 127 Know Your Enemy...... 136

Finis Germaniae...... 147

Aufsätze...... 165 »... als wäre kein Stück Mephisto in ihm gewesen.« Bismarck im Leben und Werk Emil Ludwigs...... 165 Theodor Fontane – ein Wegbereiter Emil Ludwigs und der Historischen Belletristik?...... 210 Der »Fall Emil Ludwig« – Ein Bericht über eine historiographische Kontroverse der ausgehenden Weimarer Republik...... 223 Betrifft: Emil Ludwig – Anmerkungen zu einem Dornröschenschlaf im 40. Jahr...... 239 Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel

Endnoten...... 247

Anhang...... 277

Emil Ludwig – Ein Werkverzeichnis...... 277

Bücher und selbständige Schriften...... 278

Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchbeiträge...... 284

Quellen- und Literaturverzeichnis...... 300 Unveröffentlichte Quellen...... 300 Sekundärliteratur...... 301

Chronologie...... 316

Register...... 320 Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel

VORWORT

Dieses Buch ist keine Emil-Ludwig-Biographie. Die steht noch aus. Ich habe nach langjähriger, oft unterbrochener Beschäftigung mit diesem nach 1945 vergessenen Künstler und Schriftsteller nur eine gewisse Ord- nung in das bringen wollen, was ich an Büchern, Material, Erinnerungen und Gedanken sowie kleinen Kostbarkeiten angesammelt hatte. Wie ich zu alldem gekommen bin, erzähle ich im ersten Beitrag Spurensuche. Wen meine persönlichen Mitteilungen nicht interessieren, beginne die Lektüre am besten mit dem Kapitel Genie und Charakter. Oder – besser noch – mit meinem Aufsatz Der Fall Emil Ludwig aus dem Jahr 1992, der von Anbe- ginn als Einführung in die Ludwig-Thematik gedacht war.1 Ein Hinweis zu den hier versammelten Texten: Sie weisen eine gewisse Redundanz auf, die gewollt ist, denn mir lag daran, die Aufsätze zur Bis- marck- und Fontane-Problematik als Ganzes zu erhalten und nicht »auf- zulösen«, um sie in die Anmerkungen zu Emil Ludwig einfließen zu lassen. Für alle Beiträge gibt es ein zentrales Verzeichnis der Sekundärliteratur. Die Schriften Emil Ludwigs sind über das Werkverzeichnis zu erschließen. Die Endnoten sind möglichst knapp gehalten, um den Lesefluß nicht allzu sehr zu stören. Einige Schreib- und Zitierweisen wurden vereinheitlicht. Ende August 2016 war das Manuskript zu den Anmerkungen über Emil Ludwig weitgehend abgeschlossen. Zu meiner Überraschung stieß ich Anfang September im Verlauf einer Internet-Recherche auf einen soeben von Thomas F. Schneider herausgegebenen Aufsatzband über Emil Lud- wig.2 Die Forschung über den lange Zeit vernachlässigten Schriftsteller kommt also weiter voran. Allerdings hatte ich nun zu erwägen, ob und in welchem Umfang ich auf die acht Beiträge noch eingehen wollte. Ich habe mich entschieden, einige wenige Aussagen zu kommentieren, aber keine umfangreichere Auseinandersetzung mit den neuen Forschungsergebnissen zu suchen. Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 8

So viel vorweg: Begrüßenswert ist vor allem, daß die Autoren in hohem Maße neue Quellen erschließen, vor allem internationale Zeitungstexte, die jetzt für weitere Untersuchungen schnell herangezogen werden können. Freudig überrascht war ich zudem über den Umstand, daß Ludwig als Theaterdichter bzw. Dramatiker nach vielen Jahrzehnten endlich einmal zur Kenntnis genommen wird.3 Und noch eine gute Nachricht: Emil Ludwig hat es geschafft, auf der Kinoleinwand verewigt zu werden. In dem Film Vor der Morgenröte. Stefan Zweig in Amerika (Regie: Maria Schrader, Erstaufführung 2. Juni 2016) tritt er auf, verkörpert von Charly Hübner. Es ist ein kämpferischer Ludwig, der im September 1936 in Buenos Aires auf der internationalen Tagung des P.E.N.-Clubs eine vielbeachtete und mitreißende Rede über das Verhältnis von Politik und Literatur hält. Während Zweig grundsätzlich am politi- schen Engagement des Schriftstellers zweifelt, ist Emil Ludwig von der Idee durchdrungen, daß die deutschen Schriftsteller im amerikanischen Exil sich am Kampf gegen Hitler-Deutschland, zumindest mit geistigen Waffen, zu beteiligen hätten. Wer von Emil Ludwig (1881–1948) spricht, braucht mit Superlativen nicht zu geizen. In den Jahren der Weimarer Republik, insbesondere den Golden Twenties, zählt er zu den meistgelesenen Autoren Deutschlands. Seine Biographien über Goethe, , Wilhelm II., Bismarck und Lin- coln sind nicht nur hier Bestseller, sondern machen Ludwig in Europa und den USA zum bekanntesten deutschen Schriftsteller. Ludwig ist Demokrat, Pazifist und Pan-Europäer, was ihn in den Augen der Nationalsozialisten zum bestgehaßten Publizisten der Republik werden läßt. Und last but not least – im amerikanischen Exil ist er aufgrund seiner radikalen deutsch- landpolitischen Forderungen der umstrittenste deutsche Exil-Autor. Mein Buch beleuchtet wichtige Stationen der außergewöhnlichen Lebensgeschichte dieses Dichters, Schriftstellers und Publizisten. In der Regel bieten die Viten von Dichtern und Denkern wenig Spektakuläres, spielt sich ihr Leben meist zwischen den vier Wänden ihres Studios ab. Das ist bei Emil Ludwig anders. Salopp gesprochen: Er kennt Gott und die Welt, die er unermüdlich bereist. Den Männern, die Geschichte machen und die er biographisch porträtiert, begegnet er nicht selten persönlich. So lernt er als junger Literat kennen, der ihm im Frühjahr 1914 eine Korrespondentenstelle in London verschafft. Mit Richard Deh- mel und Gerhart Hauptmann verbinden ihn langjährige Freundschaften. 1926 begrüßt er in seiner Villa am Lago Maggiore Gustav Stresemann. Als einer der wenigen Journalisten trifft er Ende 1931 mit Josef Stalin im Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 9

Kreml zusammen, um ihn zu interviewen. 1932 veröffentlicht er seine umstrittenen Gespräche mit Mussolini. US-Präsident Franklin D. Roose- velt lädt ihn ins Weiße Haus und auf seinen Landsitz Hyde Park ein. Wenn Ludwig Mitte der 1920er Jahre privat nach London oder Paris reist, wird er nicht selten wie ein offizieller Staatsgast begrüßt. Für das europäische Ausland dieser Jahre ist er – neben Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger – der Repräsentant des neuen, des anderen Deutschlands. Nach 1933 gehört er zu den verbrannten und verbotenen Dichtern, ab 1940 zu den wichtigsten deutschen Autoren und Publizisten im US-ame- rikanischen Exil. Daß er nach 1945 nicht nur vergessen, sondern auch verdrängt wurde, macht ihn aus heutiger Sicht nur interessanter. Es ist Zeit, Emil Ludwig wieder stärker ins allgemeine Bewußtsein zu rücken. Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel

ANMERKUNGEN ZU EMIL LUDWIG

Dreimal habe ich die Gnade des Schicksals im Leben erfahren: durch den Kastanienwald in Moscia, durch Goethe und durch meine Frau ... Emil Ludwig4

SPURENSUCHE

An diesen frühen Sonntagabend, es war der 15. Februar 1987, erinnere ich mich noch gut. Jemand wollte mich am Telefon sprechen. Ich eilte herbei, der Hörer lag bereit, und ich erkannte die Stimme sofort. Es war Axel Eggebrecht, dessen abendlichen Rundfunk-Kommentaren ich viele Jahre lang im NDR zugehört hatte. Ich hatte den bekannten Journalisten angeschrieben und nach Erinnerungen an Emil Ludwig gefragt. In seiner Autobiographie Der halbe Weg war ich nicht fündig geworden, weshalb ich nachhaken wollte, schließlich arbeitete er in den zwanziger Jahren für die Weltbühne und die Literarische Welt. Eggebrecht war Ludwig ein-, zweimal begegnet, konnte mir also kaum helfen. Doch unversehens fiel der Satz: »Er war wichtig!« Als ich mich später mit dem Streit um die Historische Belletristik beschäf- tigte, fand ich diese Aussage sinngemäß bei Carl von Ossietzky wieder. Doch wenn Ludwig wichtig war, wollte ich mehr über ihn wissen. Da war es belanglos, daß er, der in den zwanziger Jahren Weltruhm erlangt hatte, nach 1945 keine Rolle mehr spielte und in Vergessenheit geraten war. Bei meinen regelmäßigen Antiquariatsbesuchen hatte ich schon einige seiner Bücher erworben und fand die alte Logik bestätigt: Wenn gewisse Werke die Antiquariate zuhauf bevölkern und alles in allem recht günstig angeboten werden, besagt das nichts anderes, als daß sie einst in hohen Auf- lagen gedruckt wurden, eben weil der Autor und seine Bücher wichtig waren. Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 12

Mein erstes Ludwig-Buch war die Taschenbuchausgabe der Cleopatra- Biographie. Die hatte mein Geschichtslehrer mir in der 10. oder 11. Klasse geschenkt, weil ich seinem Unterricht geistig demonstrativ ferngeblie- ben war. Er wußte aber, daß ich gern schrieb und mit dem Journalismus liebäugelte. Und eines habe ich noch vor Augen: Am selben Nachmittag verbrachte ich viele Stunden auf meiner Couch und las mein erstes Emil- Ludwig-Buch und war Feuer und Flamme. Mitte der 1980er Jahre – ich war inzwischen selbst im Schuldienst tätig – beschloß ich, mich nach Jahren der Abstinenz erneut mit ihm zu beschäf- tigen. Und wieder hatte ich ein Leseerlebnis: Die Geschenke des Lebens waren es, die mich begeisterten und endgültig in die Ludwigschen Gefilde lockten. Hinzu kam, daß ich gerade an einem Jugendroman schrieb, der die Aufarbeitung der NS-Zeit behandelte, so daß die Themen Geschichtsver- mittlung, Popularisierung und Literarisierung von Historie sich regelrecht aufdrängten. Ich nahm Kontakt zu Ludwigs Sohn Gordon und dessen Frau Margaret auf. Beide lebten in Losone bei Ascona. Auch dieses Mal erfolgte auf den Brief prompt ein Anruf, der voller Begeisterung, ja Dankbarkeit für mein Interesse war, so daß ich beschloß, ins Tessin zu reisen. Die Gastfreund- schaft war hinreißend. Es dauerte nicht lange, und wir befanden uns inmit- ten der Welt des einst so gefeierten Schriftstellers. Ich bewunderte den Schreibtisch, an dem die bekannten Werke entstanden waren. Er befand sich jetzt im Keller. Wir nahmen Fotoalben, Dokumente, originale Texte und Manuskript gebliebene Beiträge in die Hand, darunter natürlich die Geschenke des Alters, die der herzkranke Ludwig 1945 nach seiner Rückkehr aus den USA begonnen, aber bis zu seinem Tod 1948 nicht mehr hatte zuende bringen können. Selbstverständlich bestaunten wir die Gästerolle, wo lauter illustre Besucher sich verewigt hatten: Richard Dehmel, Gus- tav Stresemann, Gerhart Hauptmann, Bernard Shaw, Ernst Toller, Max Brod, Bruno Walter, Hellmut von Gerlach, Thomas Mann, Erich Maria Remarque, Stefan Zweig, Fritz Kortner, Neville Chamberlain, Theodor Wolff, Heinrich Brüning, Georg Lukács – um nur einige zu nennen. Und dann die Fahrt nach Moscia.5 Gordon wollte nicht mitkommen. Zu viele Erinnerungen hingen an dem ehemaligen Domizil, wo er Kindheit und Jugend unbeschwert verbracht hatte, dessen Nieder- und Untergang er zwischen 1945 und 1952 aber ebenfalls mit ansehen mußte. Wir fuhren die Via Emilio Ludwig hinauf und standen vor Bauzäunen. Ein riesiger Kran stellte sich in den Weg. Die Baustelle war menschenleer. Mit einem leichten Schaudern blickte ich den 80 Meter tiefen Abhang hinunter. Auf Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 13 einem verwucherten Pfad gingen wir den Berg hinauf und standen, was ich so nicht erwartet hatte, vor dem legendären Waldhaus. Ich hatte sogleich die Kapitel aus den Geschenken des Lebens vor Augen, wo Emil Ludwig berichtet, wie seine Frau Elga und er 1906 nach ihrer Flucht aus Deutsch- land hier Fuß fassen. In dem 300 Jahre alten zweigeschossigen Steinhaus wohnten sie zunächst zur Miete. Dessen ersten Raum habe ich damals vermessen. Er betrug 4 m × 3.50 m, stellte also eine recht bescheidene Poe- tenklause dar. 1907 erwarb das junge Ehepaar das Haus, zusammen mit einem Morgen Land. Möbel wurden angeschafft, 1908 eine Wasserleitung installiert, in den folgenden Jahren weiteres Land hinzugekauft, so daß es jetzt einen Zugang zum See gab. Wir hatten es nicht weit, kamen zum ebenfalls überwucherten Arka- denweg und standen vor der Villa, die Ludwig 1913 errichten ließ. Auch darüber berichtet er in den Geschenken ausführlich. Jetzt, nach Jahren des Hin und Her, sollte das schöne große Areal hoch über dem Lago Maggiore, das von 25.000 qm eigenem Garten und Wald umgeben war, anscheinend doch parzelliert werden. Hier würden Eigentumswohnungen mit Blick auf den See entstehen. Ein Stück Bergwald würde dran glauben müssen. Doch an all das will ich in diesem Augenblick nicht denken. Ich durch- streife das Haus, versuche möglichst viele Eindrücke festzuhalten. Die Villa ist seit zehn Jahren unbewohnt und wird allein deshalb zum Abenteuer, weil sich seit Ludwigs Tagen in der Grundstruktur wie Einrichtung nur wenig geändert hat. Und trotzdem – jetzt ist alles Ruine, ist baufällig, abbruchreif, die Räume sind durchwühlt und ausgeplündert, die Scheiben zersplittert. Überall liegt Bauschutt, der Putz bröckelt, Leitungen hängen aus den Wänden heraus. Möbel, Papiere und Bücher wurden zurückgelas- sen. Die Villa Ludwig ist ein Ort der Verwüstung. Draußen sieht es nicht anders aus. Das Grundstück ist verwildert, die Natur hat längst damit begonnen, sich ihren Teil zurückzuholen. Damals kauften Emil und Elga weitere angrenzende Grundstücke hinzu, so daß auch ein stattlicher Gemüsegarten angelegt werden konnte. 1918 wurden Telefon und WC installiert, zwei Jahre später elektrisches Licht. Zwischen 1919 und 1923 wurde Moscia immer wieder vermietet, weil Lud- wigs Honorare in Deutschland gezahlt und schnell ein Opfer der Inflation wurden. 1924 beginnen die goldenen Jahre des Ludwigschen Anwesens, als sich an diesem Ort Europas Prominenz die Klinke in die Hand gibt. 1925–27 ent- stehen eine neue Küche, Kinder-, Gäste- sowie ein Musikzimmer. Draußen wird die Terrasse erweitert und ein Tennisplatz angelegt, später die Auto- Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 14 straße dem Berg abgetrotzt. Mitte der zwanziger Jahre wird weiter ange- baut, modernisiert, angeschafft und – gerade im Gartenbereich – immer wieder neu gestaltet. In der Beschreibung eines Immobilienbüros soll es Jahrzehnte später heißen: »Alle Räume des Erdgeschosses verfügen über ein offenes Kamin: Eingangshalle, Salon, Esszimmer, Atelier, Solarium und die Bibliothek. Im Obergeschoss befinden sich fünf Schlafzimmer, zwei Badezimmer und eine sonnige Terrasse mit einer unvergleichlichen Aussicht. Die Zimmer der Hausangestellten über dem Atelier verfügen über einen gesonderten Eingang.«6 Moscia – das war das Werk eines Schöngeis- tes, das Tusculum eines Künstlers, der zu den bestbezahlten Schriftstellern seiner Zeit gehörte, der Geld aber grundsätzlich keine Bedeutung beimaß. Für Ludwig hatte Geld nur dem Zweck zu dienen, daß man es in Schönheit verwandelte. 1930 baut er ein Haus in Suvretta, St. Moritz im Engadin. Das großzügig angelegte Ferienhaus, ein Geschenk an Elga, läßt er heimlich entstehen und nennt es die Suvrettina. Das Haus beziehen sie am 15. Juni 1930. Elf Jahre später verkaufen sie es bereits wieder. Emil und Elga leben inzwischen in den USA und befinden sich in finanziellen Nöten, die besonders nach dem Krieg die Familie begleiten. Elga muß schließlich drei Jahre nach Emils Tod Moscia ebenfalls veräußern. Neue Eigentümerin wird die Male- rin Germaine Verna, die hier bis 1975 wohnt. Mit unzähligen Katzen soll sie zuletzt gehaust haben. In einem Schränkchen im Schlafzimmer fand ich sogar ein beschriebenes Blatt Papier, eine stenographische Notiz Emil Ludwigs, die Gordon kurz darauf entschlüsselte. In ihr berichtet Emil ausführlich von einem Traum, der von einem Besuch im Vatikan handelt. Wir standen wieder auf der Terrasse, verweilten einige Zeit an der Balus- trade und blickten auf den Lago Maggiore, der im Oktoberlicht glitzerte. An dieser Stelle hatten sie gestanden, all die berühmten Besucher, die Ludwigs Gastfreundschaft genossen. Hier und im vielbestaunten Garten wurde Theater gespielt. Feste wurden gefeiert, die drei Tage lang dauerten. In den dreißiger Jahren kamen Thomas und Katia Mann von Zürich einige Mal herüber. Drüben in Porto Ronco, gewissermaßen in Nachbarschaft, wohnte Erich Maria Remarque. Er schaute oft vorbei, wußte er doch Lud- wigs Weinkeller zu schätzen.7 Unwillkürlich fallen mir Thomas Manns Tagebucheinträge ein, ins- besondere der vom 13. April 1933. In den dramatischen Wochen der NS- Machtergreifung, die sich jenseits der schützenden Grenze abspielt, ist der Schriftsteller und Nobelpreisträger für einige Wochen im schweizeri- schen Lugano untergekommen. Im Tagebuch heißt es dann: »1/212 Uhr Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 15 in Ludwigs Wagen zu seinem schönen Wohnsitz bei Ascona. Gesellschaft: Remarque und Frau, der alte Graf Wolf-Metternich, Toller, später Staatsse- kretär Abegg. Frühstück, Haus- u. Gartenbesichtigung, angeregte Unter- haltung, fast nur über die politischen Dinge.« Das ist ganz nach Emil Ludwigs Geschmack: vier prominente Exilanten sowie ein aristokratischer Diplomat alter Schule werden als Gäste begrüßt und verleihen Moscia den kosmopolitischen Glanz, den der Hausherr so liebt.8 Der Ausblick auf den See lud zum Nachdenken ein. Was für eine Geschichte, diese Biographie Emil Ludwigs! Sie barg den Stoff eines Romans in sich, war alles in allem filmreif: Der Lebensweg eines deut- schen Juden, der einer bürgerlichen Existenz entflieht, vom armen Poeten und Bohemien zum Schriftsteller von Weltformat aufsteigt, der zwischen den Kriegen die Großen des Jahrhunderts interviewt und biographisch porträtiert, der die Welt kennt und bereist, im US-Exil zum Publizisten mit partiellem Einfluß aufsteigt und am Ende erstaunlich schnell in Ver- gessenheit gerät. Allein die Beschäftigung mit diesem faszinierenden, aber auch umstrittenen Menschen war eine Herausforderung, ganz gleich, ob man sie literarisch oder wissenschaftlich anpackte. Nach unserem Besuch begann eine Phase der Materialrecherche, wobei ich Gordon bis heute dankbar bin für die großzügige Hilfe, die er meinem Projekt einer Biographie zuteil werden ließ. Wenn ich diese Zeilen und Seiten niederschreibe, zehre ich unter anderem von der ergiebigen Korre- spondenz, die sich zwischen meinen Besuchen in Losone entfaltete. Aber auch das stand mir immer klarer vor Augen: die Thematik war von einer ebenso erdrückenden wie reizvollen Vielschichtigkeit. Sie reichte von der Geschichte Breslaus im 19. Jahrhundert bis zur Geschichte des Judentums in Deutschland, berührte Fragen der Theater-, Literatur- und Kunstge- schichte, umfaßte zentrale Entwicklungen zur deutschen wie allgemeinen Zeitgeschichte und hatte sich der Geschichte der Exilliteratur anzunehmen. Das alles war vor dem Hintergrund des kaum zu überblickenden Werks Emil Ludwigs zu beleuchten. Die Materialmenge war immens, verstreut auf zahlreiche Archive und in meiner damaligen Berufs- und Lebenssituation nicht nebenbei zu bewältigen. Im Oktober 1985 arbeitete ich eine Woche im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, womit ein Anfang gemacht war. Mehr allerdings nicht. 1988 besuchte ich Polen. Ein Reiseziel war natürlich Wrocław, Breslau, wo Emil Ludwig am 25. Januar 1881 geboren wurde. Er war das jüngste von vier Kindern. Großes Unglück kam über die Familie, als der Bruder und die jüngere der beiden älteren Schwestern 1892 der Tuberkulose erlagen. Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 16

Schwester Anna, Jahrgang 1874, und Emil blieben den Eltern. Emils Vater war der berühmte Augenarzt Hermann Ludwig Cohn (1838–1906), seine Mutter Valeska (1853–1927) die Tochter des oberschlesischen Kohlemagna- ten Emanuel Friedlaender, der kurz vor Emils Geburt starb und dem Emil so ähnlich war. Sie alle verstanden sich als deutsche Juden, die – ganz und gar assimiliert – in der deutschen Kultur aufgingen. Aufgrund des zunehmenden Antisemitismus im wilhelminischen Kai- serreich beantragte Hermann Cohn bei der preußischen Regierung eine Namensänderung für seine Kinder. Mit einer Königlichen Kabinettsordre vom 3. Juli 1883 wurde den Kindern der mittlere Vorname des Vaters als Nachname vorgeschrieben. Emil hieß ab jetzt Ludwig. Ludwig ist also kein Künstlername, sondern der reguläre Nachname. Die beliebten Zusätze, die man in der Literatur häufig findet, »Eigentlich Cohn« oder »(Cohn)«, sind sachlich falsch. Ludwigs politische Gegner auf Seiten der Rechten haben ihn stets genüßlich »Cohn« genannt, denn der Antisemitismus war in den 1920/30er Jahren ungleich ausgeprägter als zu Zeiten des Vaters. Das alles erzählte ich meinen Mitreisenden und unserer polnischen Rei- seleiterin. Wir standen auf dem jüdischen Friedhof zwischen verwitterten, umgeworfenen, einigen schon restaurierten Grabsteinen, von denen viele Einschüsse aufwiesen. Breslau war 1945 zur Festung erklärt worden, was der Stadt insgesamt zum Verhängnis wurde. Wir machten Fotos, insbesondere die Inschrift auf dem bereits restaurierten Grabstein des Augen-Cohn, wie die Breslauer Ludwigs Vater respektvoll genannt hatten, war mir wichtig. Er hatte sie selbst verfaßt: Augenkrankheiten zu verhüten betrachtete er als seine Lebensaufgabe. Wir wollten gerade hinübergehen zum Grab Ferdinand Lassalles, da näherte sich uns ein Mann in meinem Alter. Es war Maciej Łagiewski, der Kustos des Friedhofs. Als er hörte, wir seien aus Westdeutschland, ent- spannten sich seine Gesichtszüge, schließlich befand Polen sich noch unter strenger kommunistischer Herrschaft. Wir kamen schnell ins Gespräch. Herr Łagiewski erwies sich als Kenner der Breslauer Geschichte, vor allem des Judentums seiner Heimatstadt.9 War es schon seine Heimatstadt? Die Familie war nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ostpolen vertrieben worden. Man hatte sie von Lemberg ins zerstörte deutsche Breslau verpflanzt. Als ich erzählte, was ich ihm via Schweiz alles über den Augen-Cohn schi- cken könnte, wurde mir eines klar: Wenn der polnische Historiker die Geschichte dieser seiner Stadt erforschen wollte, mußte er tief in die deut- sche Geschichte eintauchen. Herr Łagiewski zeigte mir im Anschluß Emil Ludwigs Elternhaus, jenes Haus am Stadtgraben, wo der Augen-Cohn im 3. Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 17

Stockwerk seine private Klinik betrieben hatte. Herr Łagiewski – das sei noch nachgetragen – wurde 1990 Direktor des Historischen Museums in Breslau. Seit 2000 ist er Generaldirektor des Museums der Stadt Breslau, das aus sechs Abteilungen besteht. Am 17. September 1988 jährte sich Ludwigs Tod zum 40. Mal. Mit etwas Verspätung brachte die Tessiner Zeitung am 1. Oktober 1988 einen aus- führlichen Artikel unter der Überschrift: Emil Ludwig: Kontroversen um einen Vergessenen. Der Verfasser war Marc Baumann. Gordon, der den Nachlaß seines Vaters, aber auch dessen Werk, Bild und Reputation in der Öffentlichkeit wie ein Gralshüter verwaltete und beschützte, entdeckte sofort zahlreiche Fehler, Falschaussagen und Unterstellungen. Er schickte einen harschen Brief an die Redaktion. Doch auch seine Frau Margaret blieb nicht untätig. Sie rief voller Empörung bei mir an und bat darum, ich möge doch ebenfalls Stellung zu dem Artikel beziehen. Alles mußte sehr schnell gehen. Am 5. November druckte die TZ mei- nen Beitrag zu der Kontroverse ab, ebenso eine kurze Gegendarstellung Gordons zu Baumanns Text. Ich selbst war in meinem Artikel auf die Aspekte, die Ludwigs schwieriges Verhältnis zur Schweiz, insbesondere in den Jahren der NS-Diktatur, behandelten, bewußt nicht eingegangen. Ich war der Meinung, daß mir das als deutschem Autor nicht zustand. Außerdem wußte ich zu wenig über dieses Thema. Mein Ziel war vor allem, Emil Ludwig wieder stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken. Gewissermaßen als historisches Dokument drucke ich meinen damaligen Beitrag am Ende dieser Aufsätze ab, womit ich zugleich einräumen möchte, daß ich aus heutiger Sicht manches anders formulieren würde. Für den Oktober 1989 plante die VHS-Trittau, die meine Frau leitete, eine DDR-Exkursion. Es sollte unverhofft eine Reise in die Wende werden. Im Vorfeld, im Rahmen der Reise-Vorbereitung, hielt ich einen Vortrag über Goethe und die Deutschen. Ich erlaubte mir, dabei stärker auf Emil Ludwig einzugehen, und erfuhr, daß hier ein weites Feld zu beackern war. Stefan Zweig zum Beispiel kannte man – Emil Ludwig? Nie gehört. Als wir am zweiten Reisetag erkundeten – es war der Tag, an dem Honecker gestürzt wurde –, unternahm ich einen kurzen Abstecher ins Goethe-Schiller-Archiv. Ich war nicht angemeldet und fragte eher aus Übermut, ob man etwas über Emil Ludwig habe, speziell darüber, wie er im Mai 1945 die verschollenen Särge Goethes und Schillers wiederfand. Mit einer Vollmacht Eisenhowers und militärischem Begleitschutz war er im Gefolge der US-Truppen durch Süddeutschland und Thüringen gereist. Er wollte, wie er es viele Jahre regelmäßig getan hatte, einen Kranz auf Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 18

Goethes Grab legen, mußte aber hören, daß die Sarkophage der beiden Klassiker an unbekanntem Ort evakuiert worden waren. Recht schnell gelang es ihm, den Verbleib der Särge ausfindig zu machen. Ich wurde, als ich meinen Wunsch vorgetragen hatte, mißtrauisch beäugt, doch schließlich erschien ein Herr, der mir höflich mitteilte, daß eine Nutzung des Archivs auf die Schnelle nicht möglich sei (wofür ich volles Verständnis hatte – das wäre in der Bundesrepublik nicht viel anders gewesen), aber man hätte einige Fotos aus dem Bestand geholt, die zeig- ten den Abtransport der Särge durch einen Lkw der US-Streitkräfte. Ich dankte und berichtete Gordon von meinem Abenteuer. Einige Jahre spä- ter griff die Weimar-Forschung auf Emil Ludwigs Tagebuch zurück, das Gordon in jahrelanger Arbeit aus der stenographischen Ur-Fassung tran- skribierte und partiell für die eine oder andere Thematik zur Verfügung stellte.10 Der Fall der Berliner Mauer und die deutsche Einheit führten dazu, daß wir verstärkt auf Goethes und Fontanes Spuren wanderten, Bildungsrei- sen in die neuen Bundesländer organisierten und oft in Weimar, sprich: Thüringen, waren. – Apropos Berliner Mauer. Am 8. November 1989 hielt ich im Rahmen einer Lehrerfortbildung einen Vortrag in Rendsburg. Das Thema: Emil Ludwig. Ich berichtete von jenem Streit, den der einst weltbe- kannte Verfasser vielgelesener Biographien mit der Historikerzunft Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre ausgefochten hatte. Es wurde spät, meine Frau war auch unterwegs gewesen, so daß wir die Nachrichten verpaßten. Am nächsten Morgen, als ich in der Küche das Radio einschal- tete, war von volksfestartigen Ereignissen am Brandenburger Tor die Rede, Berlin stand Kopf, die Mauer war gefallen. Mein Vortrag wurde 1992 in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht abgedruckt und ist auch in diesem Buch zu finden.11 Wie gesagt: Ich verfolgte das Ziel, Emil Ludwig wieder stärker ins allgemeine Gesichtsfeld zu rücken, was insofern gelang, als ich eines Tages von Herrn Wolfgang Müller, dem Redakteur der NDR-Kulturredaktion, einen Anruf erhielt, ob ich in Sachen Emil Ludwig zu einem Interview bereit wäre. Natürlich sagte ich zu. Am 1. Februar 1994 wurde ich in der Rothenbaum- chaussee in einer alten Villa interviewt. Wann der Beitrag gesendet wurde, weiß ich nicht mehr. Vorsichtshalber hatte ich zu Beginn des Aufsatzes mein Vorhaben erwähnt, eine Biographie zu verfassen. Ich wollte einen Fuß in die Tür stellen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sicher war, ob das Projekt so, wie ich es mir vorstellte, überhaupt realisierbar war. Gordons Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 19

Arbeit an den Tagebüchern machte Fortschritte. Allerdings zog sich wie ein roter Faden das Problem durch unsere Korrespondenz, ob ich überhaupt Einblick in diesen unverzichtbaren Quellenbestand erhalten würde. Man zierte sich in Losone, hatte Angst, daß ich Geheimnissen auf die Spur kom- men könnte, die ich längst durchschaute. Und soviel stand für mich fest: Ohne die Auswertung der Tagebücher wollte ich die Ludwig-Biographie nicht anpacken. Gordon hatte einigen Forschern – auch mir – kleinere Ausschnitte aus diesem zentralen Quellenfundus zur Verfügung gestellt, aber das waren eben nur Ausschnitte gewesen. 1999 teilte er mir nochmals kategorisch mit, daß das Tagebuch bis auf weiteres gesperrt sei, was sich mittlerweile geändert hat. Eine Anfrage im Schweizer Literaturarchiv ergab, daß die mehr als 2.000 Seiten im Lesesaal eingesehen werden können. In der zeithistorischen Forschung hat die Beschäftigung mit Emil Ludwig in den vergangenen drei Jahrzehnten Fahrt aufgenommen. Der erwähnte Streit um die Historische Belletristik steht dabei im Vordergrund. Ludwigs Rolle im US-Exil wäre genauso zu nennen wie sein Engagement im Prozeß gegen David Frankfurter, den Mörder Wilhelm Gustloffs. Ich selbst habe auch spezielle Fragestellungen verfolgt, woraus die Artikel ent- standen, die den Bezug Ludwigs zu sowie zu Theodor Fontane näher untersuchen. Diese Spezialthemen gingen nach 1990 aus Vorträgen hervor, die ich im Rahmen von Lehrerfortbildungen an der Europäischen Akademie in Waren (Müritz) oder auch an der Universität Rostock hielt. Hier denke ich gern an die fachkundige und freundschaftli- che Zusammenarbeit zurück, die ich viele Jahre lang mit Herrn Dr. Günter Kosche, dem Geschichtsdidaktiker an der Universität Rostock, erleben durfte. Während eines Besuches in Losone unternahmen das Ehepaar Ludwig, meine Frau und ich eine kleine Wanderung in das Maggia-Tal. Ich über- raschte Gordon, inmitten eines Gesprächs über seinen Vater, mit der Idee, vielleicht doch einen Roman über Emil Ludwig zu schreiben. Gordon reagierte ablehnend, wollte davon nichts wissen. Er erinnerte mich an die einschlägigen Aussagen seines Vaters zu dem Thema, die letztlich auf Vorbehalte Goethes zurückgingen. So hatte Emil Ludwig 1929 geschrieben: »Der historische Roman ist das exakte Gegenteil der Biographie; dem Autor des historischen Romans ist das geradezu aufgetragen, was dem Biographen verboten ist: aus den Anregungen der Dokumente über ihre Ränder hinwegzuschweifen, zu erfinden. Es wird ein schlechter Roman, der nicht viel erfindet, es wird eine schändliche Biographie, die es ein einziges Leseprobe © Verlag Ludwig, Kiel 20

Mal tut; man möchte Strafen für den fordern, der unter dem Vorwand historischer Wahrheit erfindet, und dies gilt, wie in der Eidesformel, vom Zusetzen so gut wie vom Verschweigen. Der Biograph, der ein einziges wesentliches Dokument ausließe, versetzte oder frei ergänzte, müßte wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Entziehung der venia scribendi bestraft werden.«12 Mich zumindest reizte die Roman-Idee, weil ich meinem Helden auf diesem Wege ungleich näher kam als in einer Biographie. Wo der Biograph auf Lücken stößt, die nicht zu überbrücken sind, kann der Romanautor ans Werk gehen und diese auffüllen. Und aus meiner Sicht waren die gesperr- ten Tagebücher eine solche Lücke. Eine Dichtung – das ist meine feste Überzeugung – vermag ein Porträt zu schaffen, das oft tiefere Eindrücke beim Leser hinterläßt als der nüchterne Sachtext. Im Frühjahr 2004 traf ich in Reinbek kurz mit Herrn Dr. Carsten Kretschmann zusammen, der heute an der Universität Stuttgart arbeitet. Er wollte wissen, ob ich noch beabsichtigte, eine Biographie über Emil Ludwig zu verfassen. Das verneinte ich und teilte ihm mit, ich würde möglicherweise einen Roman zu dem Thema schreiben. Auf seiner Home- page kündigt Dr. Kretschmann seit vielen Jahren an, im Rahmen eines umfangreicheren Forschungsvorhabens, eine »intellektuelle Biographie Emil Ludwigs entstehen« zu lassen. Als mich 2011 eine schwerere Erkrankung zwang, meine Publikationstä- tigkeit weitgehend einzustellen, beschloß ich eines Tages, inmitten lästiger Grübeleien, von einer auf die andere Stunde, mit Vorarbeiten für einen Emil-Ludwig-Roman zu beginnen. An Schreiben war zwar nicht zu den- ken, aber ich begann, meine private Emil-Ludwig-Sammlung, die mich seit Jahren mahnend angeblickt hatte, zu sichten und halbwegs zu ordnen. Dabei stieß ich auf Materialien, von deren Existenz ich überhaupt keine Kenntnis mehr hatte. Besser als so manche Medizin wirkte die erneute Lektüre der Geschenke des Lebens auf meinen gesundheitlichen Zustand. Ich nahm mein Tage- buch zu Hilfe und stellte verwundert fest, wieviel Lebenszeit ich seit 1985 in das Projekt »EL« investiert hatte und über was für Schätze ich ins- gesamt verfügte. Während der Roman im Kopf heranwuchs, schrieb ich Anmerkungen zu Emil Ludwig nieder. Als nächstes schloß ich die beiden Aufsätze ab, die einige Jahre zuvor als Vortragsskripte gedient hatten und jetzt ins Internet gestellt wurden: Theodor Fontane – ein Wegbereiter Emil Ludwigs und der Historischen Belletristik? (2011) sowie »... als wäre kein