AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Rap
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68. Jahrgang, 9/2018, 26. Februar 2018 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Rap Marc Dietrich Heidi Süß RAP ALS SEX(ISMUS) OHNE GRUND? FORSCHUNGSGEGENSTAND ZUM ZUSAMMENHANG VON RAP UND GESCHLECHT Jeffrey O. G. Ogbar RAPKULTUR UND POLITIK. Fabian Wolbring EINE US-AMERIKANISCHE ZUM VERHÄLTNIS VON GESCHICHTE GANGSTA-RAP UND KRIMINALITÄT Martin Seeliger RAP UND GEGEN- Marcus Staiger IDENTITÄTEN IN DER ANTISEMITISMUS MIGRATIONSGESELLSCHAFT IM DEUTSCHEN RAP ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung Rap APuZ 9/2018 MARC DIETRICH HEIDI SÜẞ RAP ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND SEX(ISMUS) OHNE GRUND? HipHop ist seit Jahren die größte Jugendkultur. ZUM ZUSAMMENHANG VON RAP Nach anfänglicher Verzögerung hat sich in UND GESCHLECHT den Sozial- und Kulturwissenschaften eine Zu den häufigsten Vorwürfen gegenüber Rap zäh- thematisch und perspektivisch breit aufgestellte len Sexismus, Misogynie und Homophobie. Den HipHop-Forschung etabliert, deren wesentliche Zusammenhang von Rap und Geschlecht auf diese Linien in dem Beitrag dargestellt werden. teils zutreffenden Schilderungen zu reduzieren, Seite 04–10 wird der Komplexität und Diversität der Szene mit Blick auf Geschlecht jedoch nicht gerecht. Seite 27–33 JEFFREY O. G. OGBAR RAPKULTUR UND POLITIK. EINE US-AMERIKANISCHE GESCHICHTE FABIAN WOLBRING Seit seiner Entstehung in der New Yorker ZUM VERHÄLTNIS VON GANGSTA-RAP South Bronx in den 1970er Jahren war Rap als UND KRIMINALITÄT „schwarze Kunstform“ von Natur aus stark Der Artikel verhandelt an den Beispielen politisch aufgeladen. Die Willensbekundung und Bushido und Kollegah das ambivalente Verhält- Mobilisierung mithilfe von Rap hat im Laufe der nis von Authentizität und Fiktion im deutschen Zeit verschiedene Formen angenommen. Gangsta-Rap, indem er den genrespezifischen Seite 12–20 Authentizitätsanspruch skizziert und aktuelle Tendenzen im digitalen Medienzeitalter aufzeigt. Seite 34–39 MARTIN SEELIGER RAP UND GEGENIDENTITÄTEN IN DER MIGRATIONSGESELLSCHAFT MARCUS STAIGER Fremdheit und Migration sind zentrale Bezugs- ANTISEMITISMUS IM DEUTSCHEN RAP punkte deutscher Rapmusik. Woher kommt das? Die Diskussion über Rap und Antisemitismus ist Aufschlussreich sind neben den historischen verworren. Denn stets wird der Nahost-Konflikt Zusammenhängen die Wechselwirkungen mitverhandelt, an dem sich harte ideologische zwischen dem Integrationskrisendiskurs und Grenzen auftun, die meist nichts mehr mit dem den Inszenierungspraktiken im Gangsta-Rap. Nahost-Konflikt, sondern nur noch etwas mit Seite 21–26 dem eigenen Standpunkt zu tun haben. Seite 40–45 EDITORIAL Rap ist allgegenwärtig: sei es als Filmmusik, Werbemelodie, beim Einkaufen oder als Unterhaltungseinlage bei Sport- und anderen Großveranstaltungen; Rapalben werden in Feuilletons diskutiert, Rapper treten in Talkshows auf und sind Identifikationsfiguren für Kinder und Jugendliche, Bekleidungsketten machen mit Fanartikeln reißenden Absatz. Als Teildisziplin des HipHop, zu dem unter anderem auch Breakdancing und Graffiti-Writing zählen, gehört Rapmusik zur dominanten Kultur der Gegenwart. Von ihren Anfängen in den New Yorker Armutsvierteln der 1970er Jahre bis in den globalen Mainstream war es jedoch ein weiter Weg. Seit jeher hat die Kunstform polarisiert. Im Sinne des geflügelten Wortes von Rap als „black CNN“ sehen manche darin eine niedrigschwellige künstlerische Ausdrucksmöglichkeit für marginalisierte Gesellschaftsgruppen und begrüßen das Genre als politisches Sprachrohr der Unterdrückten mit erheblicher sub- versiver Kraft. Für andere sind die oft explizite Sprache, mit der Themen wie Sexualität, Kriminalität und sozialer Status in Raptexten verhandelt werden, sowie der unter Rappern verbreitete prahlerische Habitus Alarmsignale für einen kulturellen Verfall. Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung sind insbesondere mit Blick auf das Subgenre des Gangsta-Rap häufige Vorwürfe. Ungeachtet dieser Kontroversen hat sich Rap zu einem äußerst vielfältigen Genre mit einer großen Bandbreite an lyrischem, musikalischem und techni- schem Anspruch entwickelt, das weltweit Anknüpfungspunkte für sehr unter- schiedliche Hörerschaften bietet – mittlerweile auch zunehmend jenseits der traditionell heteronormativen und industriezentrierten Ausrichtung der Szene. So spiegeln sich in der Musikrichtung, ihren Erfolgsmustern und dem dazuge- hörigen Lifestyle stets auch gesellschaftliche Entwicklungen und Konfliktlinien wider. Es ist das darin liegende zeitdiagnostische Potenzial, das eine wissen- schaftliche Auseinandersetzung mit Rap so vielversprechend für die politische Bildung macht. Anne-Sophie Friedel 03 APuZ 9/2018 RAP ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND Marc Dietrich Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass tivisch breit aufgestellten HipHop-Forschung, HipHop in den vergangenen Jahrzehnten fast deren wesentliche Linien im Folgenden darge- jeden Teil von Popkultur „irgendwie“ berührt stellt werden sollen. hat: 01 Rap ist der Soundtrack zu populären Se- rien ebenso wie zu Blockbustern und Videospie- VERZÖGERTE len, läuft während der Superbowl-Pause, in Bou- FORSCHUNGSAUFNAHME tiquen und Supermarktketten, und manchmal wird ein Track sogar zur politischen Hymne in Die rein journalistische Beschäftigung mit und Konflikten. Die Relevanz von HipHop im ma- Dokumentation von HipHop ist fast so alt wie krosoziologischen Maßstab ist jedenfalls kaum ihr Gegenstand selbst und setzte in den späten bezweifelbar – nicht nur, weil sogar der Such- 1970er Jahren ein. Die wissenschaftliche Erfor- maschinenanbieter Google glaubte, den 11. Au- schung florierte in den Vereinigten Staaten bis gust 2017 zum „44. HipHop Anniversary“ er- auf wenige Ausnahmen jedoch erst ab den 1990er klären zu müssen, sondern auch, weil er längst Jahren. 05 Gründe für diese Verzögerung mögen in der Forschung angekommen ist. HipHop sei zum Teil öffentliche Wahrnehmungsweisen und „weltweit die mit Abstand größte Jugendkul- Mediendebatten gewesen sein, die die steigen- tur“, schrieb der Jugendforscher Klaus Farin be- de Relevanz und den zunehmendem Einfluss der reits vor Jahren. 02 black culture auf ein weißes Publikum mit Sorge Angesichts der Tatsache, dass in Deutsch- betrachteten und in einigen Fällen eindeutig ras- land mittlerweile nicht nur Wu-Tang-T-Shirts sistische Untertöne aufwiesen. 06 bei H&M verkauft werden, sondern auch eine Es dauerte, bis sich Rap, der lange Zeit über- HipHop-Partei gegründet wurde und Rapalben haupt nicht im Radio stattfand, medial durch- im Feuilleton neben Filmen von Jim Jarmusch setzen konnte. Den kulturellen Nährboden für und Dramen von Elfriede Jelinek besprochen die Akzeptanz afroamerikanisch dominierter werden, können Journalisten und Akademike- Popkultur bei einem breiteren weißen Publi- rinnen sogar zusätzlich darüber nachdenken, ob kum sehen die Journalisten Dan Charnas und HipHop nicht ein ganz wesentlicher Teil einer Bakari Kitwana durch eine Reihe von Akteuren alters- und generationsübergreifenden Main- und Formaten bereitet, 07 die zum Teil auch in stream kultur geworden ist. Denn „35 Jahre Rap Deutschland einflussreich waren: Eddie Mur- in Deutschland“ 03 haben ihre Spuren hinterlas- phy mit dem Film „Beverly Hills Cop“, Oprah sen – in der HipHop-Szene verkehren mittler- Winfrey mit ihrer gleichnamigen Fernsehshow weile Akteure aus den Anfangstagen mit Teen- oder Spike Lee, der als Autorenfilmer das so- agern, die erst neu dazustoßen. Diese starke genannte New Black Cinema mitkreierte, aber generationale Heterogenität zeigt, dass Hip- selbstverständlich auch die frühen HipHop- Hop jenseits des biologischen Jugendalters ge- Filme „Wild Style!“ und „Beat Street“. In den lebt wird, es also neben dem generellen kulturel- 1980er und frühen 1990er Jahren wurden also len „Impact“ auch um einen altersunabhängigen vornehmlich kulturelle Kämpfe um eine Eta- Lebensstil der „Juvenilität“ geht. 04 blierung und wenigstens partielle öffentliche Die Etablierung von HipHop in Medien- und Anerkennung ausgetragen, bevor HipHop als Bildungsinstitutionen hat insofern auch mit den akademischer Gegenstand in den USA Fuß fas- älteren HipHop-Fans zu tun, die ihre Kultur in sen konnte. die Redaktionen und Universitäten getragen ha- Noch etwas mehr Verzögerung gab es dies- ben. Letzteres führte in den Sozial- und Kultur- bezüglich in Deutschland, wo sich die ameri- wissenschaften zu einer thematisch und perspek- kanischstämmige Kultur zunächst verfestigen 04 Rap APuZ musste, um dann sukzessive zu einer eigenen kul- dienwissenschaftler Rainer Winter, Lothar Mi- turellen Identität zu gelangen. Die zeitversetz- kos und Udo Göttlich in den deutschsprachigen te Auseinandersetzung mit dem Forschungsge- Raum vermittelt, und Popkulturforschung wur- genstand HipHop hängt hier allerdings auch mit de „ salonfähiger“. 10 zwei weiteren Faktoren zusammen. Zum anderen musste HipHop zunächst ei- Zum einen musste in den Wissenschaften erst ner gehaltvollen theoretischen Gegenstandser- eine normative Perspektive überwunden wer- schließung zugeführt werden. Wenn sozial- und den, der ein elitäres Kultur- und Kunstverständ- kulturwissenschaftliche Disziplinen den For- nis zugrunde lag. Schließlich galt Popkultur lan- scherinnen und Forschern ohnehin zur Unter- ge als nicht untersuchenswert oder -würdig: suchung eines Gegenstands „Legitimationsstra- Der Blick auf Popkultur war über weite Stre- tegien“ abverlangen, dann musste auch im Falle cken durch kulturpessimistische Einschätzun- von HipHop eine kultur- und gesellschaftsthe- gen geprägt, die sich ideologisch nicht zuletzt oretische Einbettungsleistung