Stefan Sonderegger Frühe Zeugnisse Der Nutzung
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119 Stefan Sonderegger Frühe Zeugnisse der Nutzung Schon Vorläufer des Homo sapiens hielten sich im Alpstein auf. Schriftlich belegt ist die wirtschaftliche Nutzung aber erst seit dem Mittelalter. Ab 1600 regelten Alpsatzungen Nutzung und Unterhalt, und um 1800 kam es zu einer Arbeitsteilung zwischen Sennen und Talbauern. Forschung und Fundmaterial belegen, dass geborgen werden; sie machten über 95 Prozent Von den wenigen Fundstellen in der Schweiz wirtschaft. Die Nutzung von Alpweiden für die schon Neandertaler als Jäger und Sammler der Knochenfunde aus. Untersuchungen zeig- liegen zwei im Alpstein. Die Altwasserhöhle 1 Viehhaltung kommt hier seit dem 5. Jahrtau- während einer Warmphase im Mittelpaläolithi- ten, dass die Höhlenbärenknochen deutlich (Rüte AI, 1440 m) mit Feuerstelle, Steinwerk- send v. Chr. in Frage. Allerdings verraten die ers- kum (40 000 bis 30 000 vor unserer Zeit) mit älter sind als die Steinwerkzeuge und nicht in zeug und Knochensplittern sowie ein ähnliches ten verfügbaren Informationen – Bodenfunde langen Unterbrüchen in hoch gelegenen Höh- direktem Zusammenhang mit der menschli- Jagdlager bei der Saxerlücke dienten wohl nur und schriftliche Zeugnisse – nur sehr wenig über len im Alpenraum tätig waren. So auch im chen Nutzung der Höhle stehen. Die vielen kurzfristig als Lager für die Jagd auf Gämse und die Art der Bodennutzung auf der Alpstufe. Wildkirchli (1477 m) unter den senkrechten Höhlenbären – überwiegend alte und sehr jun- Steinbock. Nord-Süd-Verbindungen über die Al- Felswänden der Ebenalp und im nahe gelege- ge – sind wahrscheinlich während ihres Win- pen sind jedoch erst nach 9000 vor unserer Zeit nen Wildenmannlisloch in den Churfirsten. terschlafs in den Höhlen natürlich verendet. nachweisbar. Erste schriftliche Zeugnisse zur Während der Wintermonate von 1903 bis Die spezialisierte Jagd auf Steinbock, Gämse, Alpwirtschaft im Alpstein 1908 grub der St. Galler Zoologe und Museums- Murmeltier, Schneehase oder Schneehuhn war leiter Emil Bächler (1868–1950) zusammen mit wohl der Hauptgrund für eine Begehung der Erste Hinweise auf eine Alpwirtschaft Die frühesten schriftlichen Hinweise auf vieh- Otto Köberle (1867–1926) in der Wildkirchli- Alpen. wirtschaftliche Nutzung des Alpsteins gehen höhle und entdeckte im Februar 1904 die ers- Nach 30 000 vor unserer Zeit stiessen die Die Ursprünge der Alpwirtschaft liegen Jahrtau- zurück ins 9. Jahrhundert. Eine auf das Jahr 868 ten prähistorischen Steinwerkzeuge, darunter Gletscher wieder weit ins Mittelland vor und sende zurück: Neuste Erkenntnisse interdiszip- datierte Urkunde des ehemaligen Klosters typische Schaber aus Ölquarzit, Radiolarit und verunmöglichten eine menschliche Besiedlung linärer Forschungen weisen beispielsweise für St. Gallen erwähnt eine Siedlung am Berg, Kieselkalk. Dieses – später eher spärlich gefun- im Gebiet der Schweiz. Auch Vegetation und das Silvretta-Gebiet eine bis ins 9. Jahrtausend «Sambutinus» genannt. Sprachforscher deuten dene – Steinmaterial hatten Vorläufer des Ho- Tierwelt wandelten sich. Erst der Rückzug der v. Chr. zurückreichende Raumnutzung der alpi- Sambutinus als den «am Samstag Geborenen», mo sapiens aus den umliegenden Gletschermo- Gletscher im Jungpaläolithikum (18 000 bis nen Höhenstufen nach. woraus im Verlauf der Jahrhunderte der deut- ränen gesammelt und bearbeitet. Daneben 12 000 vor unserer Zeit) ermöglichte dem Homo Die Alpwirtschaft bildete auch im Alpstein sche Name Säntis entstanden ist. Mit diesem konnten unzählige Knochen von Höhlenbären sapiens wieder eine Nutzung des Alpengebietes. schon früh einen festen Bestandteil der Land- frühen Beleg scheint aber nicht der Berg allein, 120 Frühe Zeugnisse der Nutzung Frühe Zeugnisse der Nutzung 121 Die Bedeutung der Viehzucht und des Vieh- handels im Alpsteingebiet unterstreichen zahlreiche Oberbilder in Wappenscheiben des 16. und 17. Jahrhunderts. Eingang zur prähistorischen Höhle «Altwasser 1» in der Nähe der Bollenwees. sondern das Säntisgebirge, der Alpstein gemeint Klostervogt übertrug dem Kloster St. Gallen drei penzell mit Einnahmen aus Zinsen und Zehnten Steinwerkzeuge (Klingen) aus den zu sein. Es ist deshalb unmöglich zu bestim- Grundstücke in Uzwil und eine «alpem pas- von verschiedenen Orten aus. Darunter befanden Wildkirchlihöhlen. men, wo diese Örtlichkeit lag. Auch über ihr cuam». Das lateinische Wort «pascuus» meint sich die Alp Soll nördlich des Sämtisersees, die Aussehen, ob es sich beispielsweise bereits um «zur Weide gehörig». Es handelte sich demnach Meglisalp südwestlich des Seealpsees, Berndli öst- Planskizze der Wildkirchli-Höhlen, eine Ansammlung von Alphütten handelte, um eine zur Weide gehörige Alp. Es ist nicht lich des Säntisgipfels und die Potersalp nördlich erstellt von Heinz Bächler. sind keine gesicherten Angaben möglich. auszuschliessen, dass zum erwähnten Hof in des Säntis. Appenzell, sprachlich als «abbatis cel- Hier stellt sich ein grundsätzliches Prob- Uzwil weiter entfernte, zum Beispiel im Ober- la», als die Zelle, die Kapelle oder das Klostergut lem: Was heisst das, wenn in alten Dokumenten toggenburg gelegene Alpen gehörten; es liegt des Abtes von St. Gallen erklärt, könnte eine wirt- von einer Alp die Rede ist? Das Wort «Alp» ist aber näher, unter «alpem pascuam» eine Vieh- schaftlich bedeutende Aussenstelle des St. Galler im Lateinischen als «alpis», im Althochdeut- weide oder eine Waldlichtung, eine Waldweide Klosters gewesen sein, zu dessen Herrschaftsge- schen als «alpa» und im Mittelhochdeutschen in der Umgebung von Uzwil anzunehmen. biet ja auch das Appenzellerland gehörte. Die als «albe» bezeugt. Die sprachliche Deutung ist Vieh wurde oft im Wald geweidet; die frühmit- Nennung von Alpen im Alpstein bei der Erster- unsicher, ursprünglich soll das Wort der kelti- telalterlichen Weideflächen bestanden wahr- wähnung Appenzells unterstreicht deren Bedeu- schen Sprache entstammen, in welcher es scheinlich zu einem guten Teil aus Waldweiden tung; sie waren offenbar ein fester Bestandteil der Hochgebirge bezeichnet. Ebenso unsicher ist mit Lichtungen, für die auch der Begriff «alpis» damaligen Klosterwirtschaft. die Sinndeutung der ersten Belege des 8. bis 10. gebraucht wurde. Diesen Eindruck bestätigen Aufzeichnun- Jahrhunderts, denn frühe Erwähnungen von Erst in Urkunden und Verzeichnissen bäu- gen von Abgaben, die Appenzeller Bauern an Alpen (alpes) meinen unter Umständen keine erlicher Abgaben des 11. bis 14. Jahrhunderts an das Kloster St. Gallen für ihnen verliehenes Alp im heutigen Sinn. Dieses Wort wurde näm- das Kloster St. Gallen werden Alpen im eigentli- Land zu entrichten hatten. Ein allgemeines Ein- lich auch allgemein für «Weide» verwendet. chen Sinne fassbar. Im Jahr 1071 stattete der künfteverzeichnis, das im Stiftsarchiv St. Gal- Das folgende Beispiel aus einer Urkunde Mitte St. Galler Abt Norbert die von ihm gegründete len lagert und das teilweise bis auf das Jahr 1200 des 10. Jahrhunderts verdeutlicht dies. Der und vom Churer Bischof geweihte Kirche in Ap- zurückgehen dürfte, führt das Gebiet um Ap- 122 Frühe Zeugnisse der Nutzung Frühe Zeugnisse der Nutzung 123 Erwähnung Appenzells und von Alpen des penzell mit Abgaben vor allem aus der Vieh- serrhodens, die Schwägalp, war bis Mitte des 14. wähnt; dazu gehört als prominentestes Beispiel che Funktion dieser «magister alpium» hatte. Es Einkünfteverzeichnis der Abtei St. Gallen Alpsteins. Die Urkunde von 1071 ist nur wirtschaft auf. Es werden Käse, halbe, Viertels- Jahrhunderts im Besitz eines Privaten, denn 1353 die Schwägalp, schweizerdeutsch «Schweige» könnte sich – modern ausgedrückt – um einen um 1200, sogenannter Rodel, mit der noch in einer um 1200 entstandenen Kopie Auflistung der viehwirtschaftlichen Abgaben. in einem Messbuch Appenzells erhalten. oder Drittels-Kühe, Schafe und Geld für Wein verkaufte ein Konrad Waibel von Hundwil an Abt im Sinne von Viehherde. Andere Beispiele sind Beamten des Klosters gehandelt haben, der vor- erwähnt; auffallend viele Käse werden aus- Hermann von St. Gallen die «alppe, die man nem- «Chüeboden» (Alp Sigel), «Chüemad» (Meglis- übergehend und als Vertreter der Herrschaft auf Darstellung in Johann Rudolf Steinmüllers drücklich als Alpkäse bezeichnet. Vergleicht met Swaigalppe». Auf diese Weise wurde das Klos- alp), «Chüesitz» (Schwägalp). Höhere, steinige die Alp kam. Unklar bleibt auch, wer für das «Beschreibung der Alpen- und Landwirth- schaft», 1804. man die Abgaben aus dem Hof Appenzell um ter zum Eigentümer, es dürfte aber die Alp oder und für schwere Tiere nur schwierig zu errei- Her abführen der Käse die 12 Brote erhielt. Wur- 1200 mit anderen Gebieten, so fällt auf, dass Teile davon an Alpnutzer verliehen haben, die chende Weideplätze sind eher Schafen vorbe- de das von den zinspflichtigen Alpnutzern oder dieser der grösste Käselieferant des Klosters war. dafür Abgaben zu leisten hatten. halten, was die Namengebung widerspiegelt: vom Kloster und seinem Dekan selber organi- Daneben sind noch Hundwil, Herisau, Gais, Über die Alpwirtschaft im Mittelalter wis- «Schäfler» im Sinne von Schafweide oder Ort siert? Gossau und Altstätten zu erwähnen, wobei die sen wir mangels vorhandener Quellen nur we- für Schafe, dann die verschiedenen «Schafber- Die uns zur Verfügung stehenden Infor- geografische Ausdehnung dieser Örtlichkeiten nig. Am meisten Hinweise liefern Namen. Die ge» (Wildhaus, Widderalp, Bollenwees, Fählen), mationen verdichten sich in der Neuzeit. Im nicht den heutigen politischen Grenzen ent- schriftliche Überlieferung verdichtet sich im «Schafmad» (südwestlich Meglisalp) und Zuge