Soziale Marktwirtschaft für Europa? Peter Schallenberg, Arndt Küppers Soziale Marktwirtschaft – kulturgeschichtlich

Michael Wohlgemuth Europäische Ordnungspolitik in der Krise

Jörg Althammer Perspektiven europäischer Sozialpolitik

Ursula Nothelle-Wildfeuer Ökologische Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft

Martin Stochma, Ondrej Socuvka Ökonomie und Ethik

Michael Barnier Finanzmarkt und Soziale Marktwirtschaft

Internationale Zeitschrift für christliche Sozialethik

Stark gegen Rechts Christoph Kopke Neonazis und Neonazismus in Deutschland

Armin Pfahl-Traugber Politische Entwicklung der NPD

Wilfried Schubarth, Juliane Ulbricht Pädagogische Strategien gegen Rechtsextremismus

Wolfgang Palaver Christliche Antwort auf den Rechtspopulismus in Europa Rainer Maria Kardinal Wölki Fremdenfeindlichkeit ist mit dem christlichen Glauben unvereinbar

Sozialinstitut Kommende Dortmund Sozialinstitut Kommende Dortmund 4/2012 4/2012

24.05.2012 23:28:11 Impressum

6. Jahrgang 2012 Heft 4 Verlag und Anzeigenverwaltung Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG Herausgeber D–48135 Münster Prälat Dr. theol. Peter Klasvogt, Dortmund Tel. (0251) 69 01 31 Sozialinstitut Kommende Anzeigen: Petra Landsknecht, Tel. (0251) 69 01 33 Prof. Dr. Markus Vogt, München Anzeigenschluss: am 20. vor dem jeweiligen Erscheinungsmonat Prof. Dr. Joachim Wiemeyer, Bochum Erfüllungsort und Gerichtsstand: Münster Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Sozialethiker Prof. Dr. Peter Schallenberg, Mönchengladbach Bezugsbedingungen Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle Preis im Abonnement jährlich: 49,80 €/sFr 85,- Stefan Lunte, F-Bresson/B-Brüssel Vorzugspreis für Studenten, Assistenten, Referendare: 39,80 €/sFr 69,20 Redaktion Einzelheft: 12,80 €/sFr 23,30; jeweils zzgl. Versandkosten Dr. phil. Dr. theol. Richard Geisen (Kommende, Dortmund) Alle Preise enthalten die gesetzliche Mehrwertsteuer. Dipl.-Theol. Detlef Herbers (Kommende, Dortmund) Abonnements gelten, sofern nicht befristet, jeweils bis auf Widerruf. Dr. phil. Wolfgang Kurek (KSZ, Mönchengladbach) Kündigungen sind mit Ablauf des Jahres möglich, sie müssen bis zum 15. November des laufenden Jahres eingehen. Konzept Schwerpunktthema Prof. Dr. Axel Bohmeyer Bestellungen und geschäftliche Korrespondenz Prof. Dr. Christian Spieß Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG D–48135 Münster Redaktionsanschrift Tel. (0251) 69 01 36 Sozialinstitut Kommende, Redaktion Amosinternational, Brackeler Hellweg 144, D–44291 Dortmund Druck Mail [email protected] Druckhaus Aschendorff, Münster Internet amosinternational.de Printed in Germany

Erscheinungsweise Umschlaggestaltung Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich freistil – Büro für Visuelle Kommunikation, Werl (Februar, Mai, August, November)

ISSN 1867–6421

amos 04_2012 - U2.indd U2 23.10.2012 14:22:20 Inhalt

Editorial Peter Schallenberg (Mönchengladbach) Herausforderung Rechtsextremismus 2 Zu diesem Heft

Schwerpunktthema Christoph Kopke (Berlin/Potsdam) Neonazis und Neonazismus in der Bundesrepublik Deutschland 3 Eine seit Jahrzehnten agierende Szene mit wachsender Schlagkraft

Armin Pfahl-Traughber (Brühl) Die politische Entwicklung der NPD 10 Ideologie, Organisation, Strategie und Wirkung einer rechtsextremistischen Partei

Wilfried Schubarth, Juliane Ulbricht (Potsdam) Rechtsextremismus als Herausforderung für die Demokratie 20 Chancen und Grenzen pädagogischer Gegenstrategien

Wolfgang Palaver (Innsbruck) Rechtspopulismus in Europa als Herausforderung für die christliche Sozialethik 27 Zur Antwort gehört eine Kultur der universalen Geschwisterlichkeit

Lilian Moreno Sánchez (Augsburg) Correcturas Simulativas IV 28

Interview Rainer Maria Kardinal Woelki (Berlin) „Mit dem christlichen Glauben absolut unvereinbar“ 36 Interview mit dem Erzbischof von Berlin über Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus

Dokumentation Katholische Akademiearbeit und Rechtsextremismus 41 Kompetenzen gegen Rechts – Katholisch-soziale Bildung in Deutschland

Umschau Rechtsextremismus in osteuropäischen Ländern 44 Zeitschriftenlese OST-WEST. Europäische Perspektiven, Heft 3/2012

Buchbesprechung Verfassung ohne Grund? 46 Entweltlichung der Kirche? 48 Sozialstaat zwischen Freiheit und Zwang 50 Leistungsfähigkeit der Sozialpartnerschaft 51 Bibelhermeneutik und Sozialethik 52

Der Überblick Summaries 54 Résumés 55

Impressum U2

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amos 04_2012 - seiten001-056.indd 1 23.10.2012 14:25:57 Editorial

ie Aufarbeitung der Drechtsextrem moti- Herausforderung vierten Morde der Zwi- ckauer Terrorzelle des „Nationalsozialistischen Rechtsextremismus Untergrunds (NSU)“ hat das Thema Rechtsextre- mismus wieder verstärkt auf die politische Agen- neuen rechtspopulistischen Bewegun- me der Arbeitsgemeinschaft katholisch- da gebracht. Auch die gen in Europa. Er verknüpft diese Ent- sozialer Bildungswerke (AKSB) setzen Peter Schallenberg Zivilgesellschaft ist neu wicklung mit spezifi schen Indikatoren, sich mit pädagogischen Konsequen- sensibilisiert. Nicht zu- bei denen vor allem die Konsens-De- zen auseinander, die aus dem Faktum letzt die Kirche und ihre verschiedenen mokratie und die aus ihr entstehende des Rechtsextremismus entstehen: Wil- Verbände sind aufgerufen, sich diesem Problematik des Minderheitenschutzes fried Schubarth und Juliane Ulbricht Problem zu widmen, stellen sich doch herauszustellen sind. Darüber hinaus entwickeln dabei mögliche Strategien rechtsextreme Tendenzen diametral macht er sich für die christliche Über- aus Sicht der Erziehungswissenschaf- gegen die von ihnen vertretene Bot- zeugung stark, die Idee der Mensch- ten, die in schulischen und außerschu- schaft. Als Problem der Gegenwart ist heitsfamilie in diesem Kontext zu be- lischen Projekten implementiert werden der Rechtsextremismus unzweifelhaft tonen, um Solidarität über ethnische können. Dabei steht jeweils eine ganz- mit einer historischen Epoche verbun- und religiöse Grenzen hinweg ermög- heitliche Persönlichkeitsentwicklung im den, die wesentliche Errungenschaf- lichen zu können. Vordergrund. Die AKSB-Stellungnah- ten der europäischen Geschichte und Zwei andere Artikel widmen sich me „Katholische Akademiearbeit und mithin wesentliche Überzeugungen des dem Thema aus historischer Sicht: Rechtsextremismus“ richtet das Augen- geschichtlich gewachsenen Christen- Christoph Kopke betont, dass erste merk auf die spezifi sch katholische Aus- tums geleugnet und umgekehrt hat. Ge- rechtsextreme Gruppierungen bereits richtung der außerschulischen Bildung, rade die vielen Blutzeugen, die sich in der frühen Bundesrepublik aktiv wa- die einen nicht unerheblichen Anteil an ob ihrer christlichen Überzeugungen ren. Diese Bewegungen, die zum einen der Erziehung zur freiheitlich-demokra- gegen das Terrorregime des National- durch ehemalige Nationalsozialisten tischen Grundordnung ausmacht. Dabei sozialismus stellten, machen deut- und zum anderen durch in der Nach- bleibt es nicht bei einfacher Wissens- lich, wie sehr die Kirche auch heu- kriegszeit sozialisierte Jugendliche ge- vermittlung: Ziel ist es in einem letzten te gefordert ist, sich politischen Ten- tragen wurden, bildeten die Grundlage Schritt durchaus auch Handlungskom- denzen entgegenzustellen, die sich zu für den Erfolg der NPD in den sechzi- petenzen herzustellen, durch die Phäno- diesem menschenverachtenden Werten ger Jahren, der allerdings 1969 jäh be- mene des politischen Geschehens ange- bekennen. Ihr Leben und Sterben für endet war. Danach begann die eigent- messen und refl exiv eingeordnet wer- die Wahrhaftigkeit ist daher zugleich liche Radikalisierung und die Heraus- den können. Erbe und Auftrag für Gegenwart und bildung einer Neo-Nazi Szene, deren Dieses Heft will an den gesamt- Zukunft der Kirche und der gesamten Mobilisierungskraft vor allem unter Ju- gesellschaftlichen Diskurs anschlie- Gesellschaft. Der Berliner Erzbischof gendlichen stark ist. Mit der spezifi sch ßen, zu dem die Kirche einen spezifi - Kardinal Rainer Maria Woelki, den politischen Entwicklung der NPD setzt schen Beitrag leisten kann. Durch die Amosinternational in diesem Zusam- sich Armin Pfahl-Traughber auseinan- Schöpfungstheologie wird die Eben- menhang interviewt, betont zu Recht, der: Dabei zeichnet er den wechselvol- bildlichkeit eines jeden Menschen mit dass die Kirche dabei klar und nachhal- len Weg der Partei zwischen 1964 bis dem Schöpfer betont. Daher dürfen wir tig Stellung beziehen muss: „Rechts- heute nach und geht auf die internen alle Menschen zu einer Menschheits- extremismus stellt eine ernste dauer- wie externen Auseinandersetzungen familie zählen, die zu Solidarität und hafte Herausforderung dar, gerade da, ein. Er betont, dass es der Partei nicht Gegenseitigkeit berufen ist. Diese Er- wo kirchliche aber auch staatliche In- gelingt, sich von einem rechtsradika- kenntnis ist immer wieder neu aufzuar- frastruktur sich zurückzieht.“ Aus wis- len Image zu lösen. beiten, denn die Ablehnung des Rechts- senschaftlich-sozialethischer Sicht be- Sowohl Wilfried Schubarth und Ju- extremismus ist leider keine Selbstver- fasst sich Wolfgang Palaver mit den liane Ulbricht als auch die Stellungnah- ständlichkeit.

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Neonazis und Neonazismus in der Bundesrepublik Deutschland Eine seit Jahrzehnten agierende Szene mit wachsender Schlagkraft

Extrem rechte Tendenzen in der Bundesrepublik wurden schon in den 1950er und 1960er Jahren als neonazistisch bezeichnet. Als Geburtsstunde des Neonazismus, wie wir ihn heute verstehen, gelten die Jahre 1970/71. Nach verschiedenen Organisati- onsverboten haben sich scheinbar informelle Strukturen („Kameradschaften“) her- ausgebildet. Seit den 1990er Jahren ist eine neue extrem rechte Jugendkultur ent- standen. Zusammen mit der inzwischen radikalisierten NPD haben die Neonazis eine beachtliche Mobilisierungsfähigkeit erreicht. Anhaltend hoch ist die Gewaltbereit- schaft, auch wenn die Mordserie der NSU bislang eine Ausnahme darstellt. Zivilge- sellschaft und Staat sind aufgefordert, wachsam zu bleiben. Christoph Kopke

ie bundesdeutsche Öffentlich- truppe über ein Jahrzehnt ihr Unwesen deutsche Jugend für das sogenannte Dkeit zeigte sich zum Jahreswech- treiben konnte, ohne dass die Sicher- nationalsozialistische Gedankengut sel 2011/2012 schockiert und über- heitsbehörden ihnen auf die Schliche einschließlich des gewaltsamen Anti- rascht angesichts der Enthüllung ei- kamen.1 Doch ereigneten sich diese semitismus zu gewinnen.“2 ner Mordserie an Gewerbetreibenden Vorfälle tatsächlich so überraschend, Mit der 1949 gegründeten Sozia- mit Migrationshintergrund und ei- angesichts einer seit Jahrzehnten agie- listischen Reichspartei (SRP) agierte ner Polizeibeamtin, begangen von ei- renden neonazistischen Szene, die ihre in der Bundesrepublik die erste Par- ner neonazistischen Gruppe, die sich Gewaltbereitschaft immer wieder auch tei, die offen an den Nationalsozia- „Nationalsozialistischer Untergrund“ durch terroristische Taten unter Beweis (NSU) nannte. In der Tat war es über- gestellt hat? 1 Es bleibt abzuwarten, ob es den Un- raschend, dass die kaltblütige Mörder- tersuchungsausschüssen des Bundestages und mehrerer Länderparlamente gelingen wird, jenes Knäuel aus Ermittlungspannen, Behördenschlampereien, undurchsichtigen Die Herausbildung der Neonazi-Szene Geheimdienstoperationen, Ignoranz von Rassismus, Vorurteilen usw. zu entwirren, Schon in den 1950er Jahren existierten in den späten 1950er Jahren der kon- um aufzuklären, warum der NSU so lange Gruppierungen, Verlage und Netzwer- servative NS-Regimegegner und CDU- ungehindert agieren konnte. Das betrifft vor ke, die bereits damals als neo-nazis- Mitbegründer Rudolf Pechel in einer allem auch die erschreckenden Mutmaßun- gen und Hinweise, Teile oder Angehörige tisch bezeichnet wurden. Damit wurde Rede zum „Neo-Nazismus in Deutsch- staatlicher Behörden könnten sogar Kon- einerseits das (Fort-)Wirken ehemaliger land“: takt zum NSU gehabt haben. Nationalsozialisten in Staat und Gesell- „Ungehindert arbeitet in Deutsch- 2 Pechel, Rudolf: 25 Jahre nach Hit- schaft bezeichnet, aber auch das Agie- land eine nationalsozialistische Presse, lers Anfang: Neo-Nazismus in Deutsch- ren rechtsradikaler Jugendbünde, de- können nationalsozialistische Verlage land [Rede 1958 in München], abgedruckt in: Ganther, Heinz: Die Juden in Deutsch- ren Führungsmitglieder wesentlich in und Buchgemeinschaften das Gift des land 1951/52–5712/1958/59–5719. Ein Al- der Nachkriegszeit sozialisiert worden Nationalsozialismus wieder verbreiten manach. Hamburg o. J. [1959], S. 365–371, sind. Sichtlich verbittert äußerte sich und sogar Versuche unternehmen, die 366

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lismus anknüpfte, die Nachkriegsord- • Weder konnte das „nationale Lager“ 1990er Jahre Bestandteil der (Bündnis-) nung und die Existenz der Bundesrepu- in Richtung CDU/CSU und FDP Brü- Politik der NPD und sollte erst Mitte blik grundsätzlich ablehnte. Sie wurde cken schlagen der 1990er Jahre durch eine neue In- von einer kleinen Gruppe früherer NS- • oder gar nach dem Vorbild der tegrationspolitik überwunden werden. Funktionäre angeführt, die ihre natio- „Harzburger Front“ der Weimarer Der Niedergang der NPD 1969/1970 nalsozialistische Gesinnung weiter of- Republik erweitert werden, und das Scheitern der „Aktion Wider- fen pfl egten. Durch ihre zeitweiligen • noch ließen sich die aktionsorien- stand“ 1971 hatte zu Folge, dass sich Wahlerfolge entbrannte schnell eine tierten, militanten und radikalen das radikal-nationalistische Spek- gesellschaftliche Debatte, wie mit der Kräfte bändigen und integrieren. trum der Bundesrepublik in verschie- SRP und dem Neonazismus umzuge- dene Stränge und Submilieus aufspal- hen sei. Das schließlich 1952 erfolgte Die Radikalisierung eines Teiles des tete. Ein Ergebnis des Niedergangs der Verbot der SRP hatte den organisier- Spektrums war durch die NPD nicht NPD war die Herausbildung einer neu- ten Rechtsextremismus auf Jahre ge- mehr zu stoppen. Die Gewalt begann en Neonazi-Szene.4 schwächt. Das SRP-Verbot markierte zu eskalieren: Schon im Mai 1970 zer- Welche Bedeutung diese Nieder- vor allem eine Grenze, die zu über- schlugen die Sicherheitskräfte mit der lagen für einzelne Aktivisten haben schreiten die Bundesrepublik künf- „Europäischen Befreiungsfront“ eine konnte, wird aus dem nachfolgenden tig nicht mehr tolerieren wollte. Die terroristische Zelle, die sämtlich aus Zitat von Michael Kühnen (1955– rechtsextremen Sammlungsparteien Mitgliedern der NPD, bzw. deren Ord- 1991), dem bekanntesten Neonazi- der 1950er und 1960er Jahre, die nungsdienst (OD), bestand. Die Grup- führer der 1970er und 1980er Jahre, (DRP) und die pe plante Anschläge und Überfälle und deutlich: 1964 daraus hervorgegangene Natio- schmiedete Mordpläne. Eine weitere „Ich war Anhänger der NPD, die naldemokratische Partei Deutschlands ähnliche Gruppe wurde mit der soge- mir allerdings von Anfang an zu ge- (NPD), sahen sich gezwungen, deutlich nannten Hengst-Bande Anfang 1971 mäßigt war […] Ich war ein kleiner Ak- gemäßigter aufzutreten. Die NPD, der ausgehoben, die von NPD-Mitgliedern tivist der Aktion WIDERSTAND, deren in den 1960er Jahren ein nahezu kome- oder ehemaligen Mitgliedern gebildet Gruß wir noch heute benutzen. Das W tenhafter Aufstieg gelang und die bald worden war. Durch anhaltende militan- war für einen kurzen geschichtlichen in sieben westdeutschen Länderparla- te und neonazistische Aktionen aus ih- Augenblick das Einheitssymbol aller menten vertreten war, konnte – so lan- rem Umfeld sah sich die NPD im No- nationalen Kräfte in der Bundesrepu- ge sie erfolgreich war – das Problem, vember 1971 schließlich gezwungen, blik. Das Scheitern der Aktion WIDER- dass vor allem jüngere Aktivisten im- diverse Unvereinbarkeitsbeschlüsse ge- STAND wurde, nach dem mißglück- mer wieder zu Militanz und Radikali- gen neu entstandene Gruppierungen ten Versuch der NPD, die 5 %-Hürde tät drängten, einigermaßen austarieren. zu fassen. Diese – zumindest forma- zu überspringen, die zweite Tragödie Nach ihrem damals überraschenden le – Abgrenzung zur neu entstandenen der nationalen Bewegung in nur fünf Scheitern bei den Bundestagswahlen militanten NS-Szene blieb bis in die Jahren.“5 1969 kam die Partei in eine tiefe Kri- se. Mit einer als „Aktion Widerstand“ bezeichnete Sammlungsbewegung, die Neuformierung rechtsextremer Strukturen gegen die Ostpolitik der soziallibera- Man kann somit 1970/71 als die Ge- lierung nationalsozialistischer Politik Nach dem Niedergang burtsstunde des Neonazismus, wie wir durch Zirkel und Gruppen, denen über- der NPD begann die ihn heute gemeinhin verstehen, anse- wiegend Menschen angehörten, die Radikalisierung und hen: Eine Neuformierung und -formu- selbst keine Rolle (mehr) im National- Aufspaltung der rechten Szene 3 Vgl. hierzu: Kopke, Christoph: Die Aktion Widerstand 1970/71: Die „nationale Oppo- sition“ zwischen Sammlung und Zersplitterung, in: Livi, Massimiliano/Schmidt, Daniel/ len Koalition und gegen den allgemei- Sturm, Michael (Hrsg.): Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mo- nen gesellschaftlichen Erneuerungs- bilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter. Frankfurt/New York prozess gerichtet war, wollte die NPD 2010, 249–262. 4 nochmals Mobilisierungskraft erlan- Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden gen3. Doch keines der von der Grün- 2012, S. 60 ff.; Pfahl-Traughber, Armin: Der organisierte Rechtsextremismus in Deutschland nach 1945. Zur Entwicklung auf den Handlungsfeldern „Aktion“ – „Gewalt“ – „Kultur“- dung der „Aktion Widerstand“ ange- „Politik“, in: Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard: Rechtsextremismus in der Bundesrepu- strebten Ziele konnte erreicht werden: blik Deutschland. Eine Bilanz. Bonn 2000, S. 71–100, bes. S. 78 ff. 5 Michael Kühnen, Die zweite Revolution, Bd. 1, o. O. 1979 (ohne Seitenangaben).

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sozialismus gespielt hatten. Allenfalls lung der bundesdeutschen Neonazi- rung der Strukturen zumindest er- die Gründer und Führer dieser Grup- Szene ein. Der Zeitsoldat wurde 1977 schweren würde. Schließlich war dem pen konnten zum Teil auf eine NS-Ver- aus der Bundeswehr entlassen, nach- ANS-Verbot das ebenfalls nach dem gangenheit zurückzublicken. Zu nen- dem er mit Gleichgesinnten in Ham- Vereinsrecht ausgesprochene Verbot nen ist etwa Thies Christophersen burg eine offen neonazistisch agieren- VSBD/PdA vorangegangen. Damit wa- (1918–1997). Der ehemalige SS-Mann de Gruppe aufgebaut hatte, die sich als ren die legalen Strukturen des militan- veröffentlichte 1973 seine Schrift „Die Aktionsfront Nationaler Sozialisten ten Neonazismus innerhalb kurzer Zeit Auschwitz-Lüge“, worin er den Mas- von empfi ndlichen Repressionsschlä- senmord und die Existenz des Vernich- Jüngere Aktivisten gen getroffen worden. tungslagers in Auschwitz leugnet. taten sich hervor, die Die FAP brachte ihre Übereinstim- Wichtig für die weitere Entwicklung keine Rolle mehr im mung mit dem historischen National- der Neonazi-Bewegung war beispiels- Nationalsozialismus sozialismus öffentlich deutlich zum weise. auch (1929– gespielt hatten Ausdruck. Dies begann bereits mit dem 2008). Der langjährige extrem rechte Parteisymbol, das die in Fraktur gehal- Aktivist (u. a. der NPD der 1960er Jah- (ANS) bzw. unter Einschluß weiterer tene Abkürzung FAP in einem Zahnrad re) gründete 1971 seine Partei der Ar- Gruppen seit 1983 bundesweit als Ak- zeigte und somit erkennbar dem Sym- beit (PdA), die er später als Volkssozia- tionsfront Nationaler Sozialisten/Na- bol der Deutschen Arbeitsfront (DAF) listische Bewegung/Partei der Arbeit tionale Aktivisten (ANS/NA) etablieren aus dem „Dritten Reich“ nachempfun- (VSBD/PdA) weiterführte, bevor diese, sollte. Der Wiederaufbau der NSDAP zusammen mit ihrer Jugendorganisa- war ihr erklärtes Ziel. Spektakulär wa- FAP-Anhänger fi elen in tion Junge Front, nach einer Reihe ren ihre provokativen Auftritte in der den achtziger Jahren schwerer Straftaten, die von VSBD-An- Öffentlichkeit, so z. B. die sog. „Esels- immer wieder durch hängern begangen worden waren, 1982 maskenaktion“ im Mai 1978: Mit Esels- Gewalt und Straftaten auf vom Bundesinnenminister verboten masken verkleidete Demonstranten tru- wurde. Aus den Strukturen ging u. a. gen Schilder um den Hals mit der Auf- den war. Mit Aufklebern und Flugblät- später die Nationalistische Front (NF) schrift: „Nur ich Esel glaube noch, daß tern trat die FAP offen rassistisch und hervor, die 1992 verboten wurde. Eine in Auschwitz Juden vergast wurden“. antisemitisch auf und verbreitete Lo- Reihe weiterer Aktivisten ließe sich an Die ANS/NA war zu Beginn der sungen wie „Arierblut – höchstes Gut“, dieser Stelle noch anführen: Meinolf 1980er Jahre die wohl wichtigste neo- „Für Rasse und Nation“ „Unsere Ju- Schönborn, Manfred Roeder, Jürgen nazistische Kaderorganisation in der gend ist arbeitslos – Ausländer raus“ Rieger – und vor allem Michael Küh- Bundesrepublik. Ihre Aktivitäten wur- und dergleichen mehr.8 Immer wieder nen. Der als charismatisch beschriebe- den nach dem Verbot zunächst inner- fi elen FAP-Anhänger und Mitglieder ne Kühnen nimmt rückblickend eine halb der Freiheitlichen Deutschen Ar- durch Straf- und Gewalttaten auf. Al- Schlüsselrolle in der weiteren Entwick- beiter Partei (FAP) weitergeführt. lein in der nordrhein-westfälischen FAP-Hochburg Duisburg, so berichte- te das Nachrichtenmagazin DER SPIE- Die Wandlung der FAP zu einer neonazistischen Kampfpartei GEL im Juni 1986, „registrierte die Po- lizei seit Ende 1983 über 30 einschlä- Die bereits im März 1978 durch den standen. Die einzelnen FAP-Landes- gige Straftaten: von der Nötigung bis ehemaligen HJ-Führer Martin Pape verbände agierten von Pape unabhän- zur Sachbeschädigung, von der Brand- (Jg. 1927) gegründete FAP war zu- gig und setzten die Wandlung der FAP stiftung bis zur gefährlichen Körper- nächst vorwiegend im Stuttgarter zur neonazistischen Kampfpartei ziel- verletzung“.9 Raum aktiv und verfügte über knapp strebig um.7 Die Aktivisten der ANS/ Die FAP versuchte Demonstratio- 200 Mitglieder. Die eher krude wirken- NA nutzten die FAP als Auffangbecken nen durchzuführen oder beteiligte sich de Pape-FAP war zwar der extremen und vertrauten darauf, dass der Par- an organisationsübergreifenden Aktio- Rechten zuzuordnen, galt aber allge- teienstatus der FAP eine Kriminalisie- nen, wie am ersten sogenannten Ru- mein nicht als neonationalsozialistisch, obwohl Kontakte in die neonazistische 6 Christians, Georg: „Die Reihen fest geschlossen“. Die FAP – Zu Anatomie und Um- 6 feld einer militant-neofaschistischen Partei in den 80er Jahren. Marburg 1990. Szene bestanden. Die FAP wurde ei- 7 gentlich erst bekannt, nachdem seit Vgl.: „Die laufen jeder Trommel nach“, in: Der Spiegel, 25/1986 (=16.6.1986), S. 72– 79. 1984 zahlreiche vormalige Mitglieder 8 Vgl. bspw. die Faksimile in: BMI (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 1986, Bonn 1987, der ANS/NA in die Partei eintraten und S. 164. so bundesweite FAP-Strukturen ent- 9 „Die laufen …“, S. 72. Dort werden zahlreiche weitere Vorkommnisse aufgeführt.

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dolf-Heß-Gedenkmarsch am 14. Au- re überwiegend von Kühnen-Anhän- sieren und ideologisch festigen lassen.12 gust 1993 in Fulda, an dem Neonazis gern betriebene Gründungen aus der Einzelne Musikformationen, wie etwa gemeinsam mit der NPD-Jugendor- FAP waren die allesamt in den frühen die als kriminelle Vereinigung verbo- ganisation Junge Nationaldemokra- 1990er Jahren verbotenen Formatio- tene Musikformation Landser verfügen ten aufmarschierten. Mit ihren Akti- nen Nationale Sammlung, Nationale über einen beträchtlichen Bekannt- vitäten versuchte die Partei gezielt ju- Liste und Nationaler Block. Die un- heitsgrad. Der RechtsRock-Bereich ist gendliche Fußballfans und Jugendliche übersichtliche Struktur der GdNF sollte aus der Skinheadszene anzusprechen, das Ausmaß eines bundesweit beste- Die rechte Musikszene diese zu rekrutieren und zu politisieren. henden organisatorischen Zusammen- trägt zur ideologischen Als Wahlpartei war die FAP beim hangs verschleiern, um so staatliche Festigung bei und Bundeswahlleiter registriert und hatte Repressionen zu erschweren. erwirtschaftet zudem an der Bundestagswahl 1987 und zwi- Millionenbeträge schen 1980 und 1990 an mehreren Kommunal- und Landtagswahlen teil- Mobilisierung der Jugend organisatorisch und personell mit der genommen. Bei den Europawahlen politischen NS-Szene vielfach ver- 1989 erreichte sie mit 0,1 % und knapp Seit Mitte der 1980er Jahre stieg der knüpft, es gibt zahlreiche fl ießende 20000 Stimmen ihr insgesamt bestes Einfl uß neonazistischer Positionen in Übergänge. Mit Musik, NS-Devotiona- Ergebnis. Noch vor dem Verbotsver- einzelnen Jugendszenen wie bei den lien und szenetypischer Kleidung las- fahren liefen Planungen zur Teilnah- Skinheads oder unter Fußballfans deut- sen sich zudem inzwischen Millionen- me an den Bundestags- und Europa- lich an. Waren bis dahin rechtsradika- beträge erwirtschaften, die zum Teil wahlen 1994. Der schon erwähnte frü- le Jugendliche eher randständig in Ju- wieder in die politische Arbeit inves- here VSBD/PdA-Führer Friedhelm gendbünden – der wichtigste war die tiert werden.13 In jüngster Zeit spielt Busse, der 1988 Parteigründer Pape als Wikingjugend – organisiert, deren Ak- das Internet als Kommunikationsort FAP-Vorsitzenden abgelöst hatte, soll- tivitäten und Stilmittel (Volkstanz und und Mobilisierungsmedium eine im- te die Europaliste anführen. Volkslieder, Wanderungen und Wehr- mer wichtigere Rolle.14 RechtsRock und sport usw.) vor allem an die historische entsprechende Internetangebote offe- 1989 spaltete sich Hitlerjugend erinnerten, entstand in rieren eine regelrechte neonazistische die sogenannte den 1980er Jahren eine neue extrem „Erlebniswelt“.15 Gesinnungsgemeinschaft rechte Jugendkultur, die sich nach und Nach der Wende in der DDR 1989/90 der Neuen Front ab nach ausbreiten konnte und seit den war es unter Teilen der ostdeutschen 1990er Jahren beträchtlichen Zulauf Jugend zu einer beachtlichen nationa- Ein Großteil der FAP-Funktionäre erhielt.11 Es bildete sich nun eine eige- listischen und fremdenfeindlichen Mo- hatte sich 1986 bei Bekanntwerden der ne Musikszene heraus (RechtsRock), in bilisierung gekommen. Einzelne Zu- Homosexualität Michael Kühnens von der sich Jugendliche politisch soziali- sammenschlüsse von Jugendlichen mit diesem distanziert, was zur faktischen Spaltung der FAP führte. 1989 verlie- 10 Der Schwerpunkt der Aktivitäten der DA lag im Raum Cottbus. Dies hatte mit der Her- ßen die Kühnen-Anhänger die Partei. kunft eines ihrer führenden Kader, Frank Maik Hübner zu tun. Hübner war 1982 in Cott- Ihre Aktivitäten wurden durch die Ge- bus Mitglied einer von seinem Bruder Peter Hübner gegründeten neonazistischen Wehr- sinnungsgemeinschaft der Neuen Front sportgruppe. Seit 1984 in Haft, wurden die Brüder Hübner 1985 von der Bundesrepublik als politische Häftlinge aus der DDR freigekauft. In der Bundesrepublik trat Frank Hübner (GdNF) fortgeführt. Dieses Netzwerk verschiedenen Organisationen bei (u. a. der Deutschen Volksunion (DVU) und der NPD) um den 1992 verstorbenen Kühnen und fand dann Anschluss an die Kühnen-Bewegung. Nach Öffnung der Grenzen kehrte er und den noch heute aktiven Neonazi- nach Cottbus zurück und rekrutierte Skinheads für die DA. Nachdem Frank Hübner jah- aktivisten (Jg. 1956) relang von der politischen Bildfl äche verschwunden schien, kandidierte er 2008 für die NPD erfolgreich zum Cottbusser Stadtparlament. bestand aus formal voneinander unab- 11 hängig agierenden Gruppen, Vereinen Vgl. zusammenfassend: Langebach, Martin/Raabe, Jan: Die Genese einer extrem rechten Jugendkultur, in: Schedler, Jan/Häussler, Alexander (Hrsg.): Autonome Nationa- und Parteien. Nach der Parteispaltung listen. Neonazismus in Bewegung. Wiesbaden 2011, S. 36–53. ging aus dem Bremischen Landes- 12 Dornbusch, Christian/Raabe, Jan: RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrate- verband der FAP die 1992 ebenfalls gien. Münster 2002. 13 verbotene Deutsche Alternative (DA) Vgl. aktuell den Bericht: Russew, Georg Stefan: Das rechtsextreme Millionenge- hervor, die kurzzeitig hauptsächlich schäft, in: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-08/rechtsextremismus- fi nanzierung-musiklabel/komplettansicht [letzter Zugriff 24.08.2012] in Ostdeutschland, vor allem im östli- 14 Busch, Christoph (Hrsg.): Rechtsradikalismus im Internet. Siegen 2010. chen Brandenburg, als neonazistische 15 Glaser, Stefan/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.): Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschen- 10 Kaderpartei fungieren sollte. Weite- verachtung mit Unterhaltungswert. Schwalbach 2007.

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deutlicher Affi nität zu nationalsozia- gen und pogromartigen Krawallen. Die ein teilweise beeinfl ussbares und mo- listischen Positionen hatten sich in der Angriffe richteten sich vor allem ge- bilisierungsfähiges Umfeld, zum an- DDR schon ab Mitte der 1980er Jahre gen Migranten und deren Unterkünfte deren sind sie im „Nationalen Wider- herausgebildet. Im Vakuum zwischen („Asylanten“), aber auch gegen alter- stand“ zusammen mit der NPD bei De- alter DDR und neuer BRD wuchs die native Jugendliche (u. a. gegen besetz- monstrationen präsent.“18 rechtsextreme Szene in Ostdeutschland te Häuser und alternative Jugendclubs) Auf die Organisationsverbote re- rasant. Es kam zu Wellen schwerster und weitere Gruppen. agierte die Neonaziszene mit Eintrit- Übergriffe, zu Morden, Brandanschlä- ten in die NPD bzw. deren Jugendor- ganisation JN und mit der verstärkten Bildung so genannter Kameradschaf- Ausgleich staatlicher Verbote durch verdeckte Netzwerke ten und dem Auftreten als „freie Na- tionalisten“ bzw. „freie Kräfte“. Damit Als staatliche Reaktion auf diese Ge- en Situation entsprechend zu begeg- sollen Organisationsgrad und Vernet- walttaten wurden Anfang der 1990er nen. Zusammenfassend heißt es in ei- zung verschleiert und staatliche Re- Jahre eine Reihe neonazistischer ner Einschätzung des Bundesamtes für pression erschwert werden. Letztlich Kleinstparteien und Organisationen Verfassungsschutz aus dem Jahr 2001: fußt das Konzept auf Kühnens GdNF. verboten. Mit diesen Verboten ver- „Den Neonazis ist es in einem nicht Kühnen hatte schon Ende der 1980er suchten das Bundesministerium des In- unerheblichen Maße gelungen, die Jahre erklärt, dass die ANS/NAler und nern und mehrerer Landesministerien Auswirkungen der Verbote zu kom- neu hinzukommende Kameraden „ei- seit Dezember 1992 die zunehmenden pensieren. Sie haben auch ohne eigen- ne politische Gesinnungsgemeinschaft rechtsextrem motivierten Gewalttaten ständige überregionale Organisationen ohne organisatorische Strukturen“ bil- einzudämmen und zugleich dem In- ihre politische Präsenz erneuert und deten, aber sich gleichzeitig „als Keim- und Ausland staatliche Handlungsfä- teilweise sogar erweitert. Einige neo- zelle der neuzugründenden National- higkeit zu demonstrieren. Die Verbots- nazistische Kader rückten in Führungs- sozialistischen Deutschen Arbeiterpar- welle betraf neben den erwähnten Par- positionen bei der NPD, und einzelne tei“ verstünden.19 Im Jahre 2001 sollen teien im Einfl ussbereich Kühnens oder neonazistische Ideologiestücke fi nden bundesweit etwa 2800 Aktivisten in der Nationalistischen Front auch die nunmehr Eingang in einen weiteren rund 150 Kameradschaften eingebun- FAP. Bundesregierung und Bundesrat Diskurs. Die Neonazis sind zum einen den gewesen sein.20 Die Kameradschaf- stellten im September 1993 beim Bun- Nutznießer der neuen NPD-Politik, an- desverfassungsgericht den Antrag auf dererseits aber minderten sie die orga- Gerade in Ostdeutschland Feststellung der Verfassungswidrigkeit nisatorischen Defi zite durch autono- wuchs die Zahl der der FAP. Doch das Bundesverfassungs- me, mit modernen Kommunikations- Kameradschaften gericht wies die Einleitung eines Partei- mitteln vernetzte Strukturen. Neben verbotsverfahrens mit der Begründung den infrastrukturellen Veränderungen ten sind unterschiedlich straff organi- zurück, dass es sich bei der FAP um (Vielzahl von Info-Telefonen, Inter- siert und mehr oder weniger miteinan- gar keine Partei handele. Die FAP bie- net-Homepages und Publikationsor- der vernetzt. Ihre Mitglieder rekrutie- te „nach dem Gesamtbild ihrer tatsäch- ganen) muss hervorgehoben werden, ren sie überwiegend aus den lichen Verhältnisse […], insbesondere dass die Neonazis (zumindest tenden- rechtsextremistisch beeinfl ussten oder nach Umfang und Festigkeit ihrer Or- ziell) ihre Isolierung im rechtsextre- rechtsaffi nen örtlichen Jugendszenen. ganisation, nach der Zahl ihrer Mitglie- mistischen Spektrum aufheben konn- Gerade in Ostdeutschland hatte in der der und nach ihrem Hervortreten in der ten. In der rechtsextremistischen Skin- Vergangenheit „das Modell der Kame- Öffentlichkeit keine ausreichende Ge- head-Subkultur erschließt sich ihnen radschaften beachtliche Erfolge zu ver- währ für die Ernsthaftigkeit“,16 tatsäch- lich auf die politische Willensbildung 16 Zitiert nach: Möllers/van Ooyen (Hrsg.): Parteienverbote, Frankfurt 2011, S. 175. Einfl uss nehmen und an der parlamen- 17 Vgl. die kritische Diskussion der BVerfG-Entscheidung bei: van Ooyen, Robert Chris- tarischen Vertretung des Volkes mitwir- tian: Die Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in: Ebd., S. 139–160. ken zu wollen. Nach dieser rechtspo- 18 Bundesamt für Verfassungsschutz: Ein Jahrzehnt rechtsextremistischer Politik. Struk- litisch umstrittenen und demokratie- turdaten – Ideologie – Agitation – Perspektiven 1990–2001. Köln 2001, S. 4. 19 theoretisch bedenklichen Entscheidung Kühnen, Michael: Lexikon der Neuen Front. 1987, derzeit online unter: http://nazi- lauck-nsdapao.com/kuehnen/Lex_start.htm [August 2012] wurde die FAP nach dem Vereinsrecht 20 17 Grumke, Thomas/Wagner, Bernd (Hrsg.): Handbuch Rechtsradikalismus. Personen – verboten. Organisationen-Netzwerke. Vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft. Opladen Trotz vorübergehender Schwä- 2002, S. 391. chung gelang es der Szene, der neu- 21 Ebd., S. 397.

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zeichnen“.21 Aktuell sollen etwa 6.000 wieder erlangte Kampagnenfähigkeit Demonstrationen rückblickend einen Personen (2010: 5.600) in der neonazis- schwer vorstellbar wäre. Vorangegan- erheblichen Geländegewinn verzeich- tischen Szene organisiert sein.22 Es gen war ein schrittweise erfolgter Öff- nen: „Wenn es vor 10 Jahren nur ca. muss davon ausgegangen werden, dass nungsprozess. Bis dato geltende Un- 100 Kameraden waren, die sich zu ei- ein schwer zu bezifferndes Umfeld vereinbarkeitsbeschlüsse wurden zu- ner Demonstration zusammengefun- sympathisierender und gelegentlich rückgenommen und namhafte Vertreter mobilisierbarer Personen hinzuzurech- der Kameradschaftsszene und Rechts- Demonstrationen werden nen ist, die Szene also größer ist. Rock-Größen, wie der Landser Kultsän- gezielt genutzt, um durch Ein Teil der Kameradschaften agiert ger Michael „Lunikoff“ Regener, traten Kampferlebnisse die seit ein paar Jahren als sogenann- der Partei bei. Inzwischen gilt die NPD kollektive Identität zu te „“.23 Diese als weitgehend neonationalsozialisti- stärken Gruppen imitieren Bekleidungs- und sche Partei.25 Mit der Integration ver- Musikstile von antifaschistischen und/ sprengter Überreste und Funktionäre den hatten, so erreichen wir heute pro- oder linksautonomen Gruppen und vorangegangener, politisch gescheiter- blemlos das 50-fache an Gleichgesinn- kopieren deren Slogans und Parolen ter oder polizeilich zerschlagener Or- ten und vom wachsen einer Bewegung (einschließlich des Layouts bspw. von ganisationen, verfügt die NPD dadurch hängt der spätere politische Erfolg Transparenten). 24 auch über einen gewachsenen orga- ab“27, heißt es in einem einschlägigen Die Neonazis der Kameradschafts- nisationserfahrenen Kader, in den ei- Artikel aus dem Jahr 1998. Das ist zwar szene kooperieren – trotz gelegentli- ne lange Tradition „nationaler“ Poli- übertrieben, real schwankt die Mobi- cher Differenzen – überwiegend mit tik in- und außerhalb der Strukturen lisierungsfähigkeit, aber im Kern nicht der NPD. Für die NPD sind die Kame- der NPD eingeht. unzutreffend. radschaften ein wichtiger Bündnispart- Zu den zentralen Elementen des ner, ohne die die in den 1990er Jahren Neonazismus gehört selbstredend „Ge- walt“. Gewalt erscheint als legitimes Mittel der politischen Auseinanderset- Aufmärsche und Gewalt als Mittel der Politik zung. In der Vorstellung einer natür- lichen hierarchischen Ordnung spielt Seit den 1990er Jahren ist die extreme Stilmittel und einer kollektiven Iden- Gewalt eine zentrale Rolle. Gewalt wird Rechte verstärkt mit Demonstrationen, tität („Kampferlebnis“, „Kamerad- in vielen extrem rechten Musiktiteln den sogenannten „Aufmärschen“ prä- schaft“). Aus ihrer Perspektive konnte verherrlicht und verklärt. Auch in der sent. Diese „Demonstrationspolitik“ hat die extreme Rechte auf dem Feld der eigenen Szene ist Gewalt alltäglich28. für die extreme Rechte verschiedene Funktionen.26 Zum einen soll die Aus- 22 dauer zivilgesellschaftlicher Gegenpro- Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht für 2011 (Vorabfas- sung). Bonn 2012, S. 57. teste herausgefordert werden, man 23 Schedler/Häusler, Autonome Nationalisten (wie Fn. 11). setzt auf einen Gewöhnungseffekt. 24 Analysen, die in der Existenz der „Autonomen Nationalisten“ endlich bestätigt se- Zum anderen sollen die Kampagn- hen, dass sich „die Extreme“ nahe sind, greifen zu kurz. Die provokative Übernahme ver- enthemen der extremen Rechten in die meintlicher oder tatsächlicher Symbole der politischen Linken gehört seit jeher zur poli- Öffentlichkeit getragen werden: Das tischen Praxis extrem rechter Bewegungen. Insgesamt wird m. E. das Phänomen der „Au- tonomen Nationalisten“ in Teilen der Publizistik deutlich überschätzt. Zur Diskussion vgl.: sind neben geschichtspolitischen Fra- Suermann, Lenard: Rebel Without a Course. Der Diskurs um die „Autonomen Nationalis- gen (z. B. angeblicher „alliierter Bom- ten“, in: Wamper, Regina u. a. (Hrsg.): Rechte Diskurspiraterien. Strategien der Aneignung ben-Holocaust“ in Dresden) vor allem linker Codes, Symbole und Aktionsformen, Münster 2010, S. 166–193. wirtschafts- und sozialpolitische The- 25 Vgl. nur: Kailitz, Steffen: Die nationalsozialistische Ideologie der NPD, in: Backes, men („Arbeit für Deutsche“) oder The- Uwe/Steglich, Henrik: Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei. men, von denen sie sich Sympathie in Baden-Baden 2007, S. 337–353. Botsch, Gideon/Kopke, Christoph: Die NPD und ihr Mi- lieu. Münster/Ulm 2009, S. 39 ff. der Bevölkerung erhoffen (z. B. „Todes- 26 Grundlegend: Virchow, Fabian: Dimensionen der „Demonstrationspolitik“ der ext- strafe für Kinderschänder“, Kampag- remen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland, in: Klärner, Andreas/Kohlstruck, Mi- nen gegen Moscheebauten). Darüber chael: Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg 2006, S. 68–101. 27 hinaus sind die Demonstrationen auch Zitiert nach: Virchow, Fabian: Die „Demonstrationspolitik“ der extremen Rechten aus anderen Gründen wichtig: Die ei- im Bundesgebiet und im Land Brandenburg, in: Kopke, Christoph (Hrsg.): Die Grenzen der Toleranz. Rechtsextremes Milieu und demokratische Gesellschaft in Brandenburg. Bilanz gene Klientel soll mobilisiert werden, und Perspektiven. Potsdam S. 109–128, 123. es geht um das gemeinschaftliche Er- 28 Speit, Andreas: Mythos Kameradschaft. Gruppeninterne Gewalt im neonazistischen leben, die Herausbildung kollektiver Spektrum. Braunschweig 2005.

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Und schließlich traten und treten un- KURZBIOGRAPHIE hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Stär- organisierte Sympathisanten und or- Christoph Kopke (*1967), Dr. phil. ke, ihrer organisatorischen und perso- ganisierte Neonazis immer wieder mit Dipl.-Pol., u. a. Lehrbeauftragter am nellen Zusammensetzung, ihrer Kam- Gewalttaten gegen Gegner und imagi- Historischen Institut der Universität pagnen- und Mobilisierungsfähigkeit, nierte Feindgruppen hervor. Die jüngs- Potsdam und Lehrbeauftragter für Poli- ihrer Gewaltbereitschaft und -aus- te und bisher herausragende Eskala- tikwissenschaft am Fachbereich Polizei übung bleibt abzuwarten. tion der Gewalt stellt sicher die Mord- und Sicherheitsmanagement der Hoch- Bei aller Fluktuation haben sich das serie der NSU dar. Christoph Busch hat schule für Wirtschaft und Recht, Ber- neonationalsozialistische Personenpo- lin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum tential und die damit verbundene poli- Rechtsradikale Gewalt Nationalsozialismus und zum Rechts- tische Schlagkraft seit den 1970er Jah- verfügt über ein extremismus (mmz-potsdam.de/index. ren deutlich erhöht. Die Szene hat sich genügendes Potential für php?ID_seite=104). ausdifferenziert und durch die Etablie- rechtsradikale Verbrechen rung einer Musik- und Jugendkultur in der Gesellschaft verankern können. nach den Enthüllungen über den NSU Mancherorts lässt sich sogar schon die das Thema wie folgt zusammengefasst: rum geht, Gewalt als Mittel der Pro- Bildung extrem rechter Parallel- und „Es gibt in Deutschland seit den paganda einzusetzen, verzichtete der Nischengesellschaften beschreiben.30 1980er-Jahren rechtsterroristische Ak- „NSU“ auf ein öffentliches Bekenntnis Zusammen mit der inzwischen radi- tivitäten. Im Zuge der Wiedervereini- zu den Taten. Der Vernichtungsgedan- kalisierten NPD haben die Neonazis ei- gung erreichte die rechtsradikale Mi- ke, der der rechtsradikalen Ideologie in- ne beachtliche Mobilisierungsfähigkeit litanz ein dauerhaft höheres Niveau, härent ist, manifestiert sich im „NSU“ erreicht. Anhaltend hoch ist die Ge- wobei es sich hauptsächlich um spon- als rassistisch motivierte Mordlust, die waltbereitschaft, auch wenn die Mord- tane, „heiße“ Gewalttaten handelt. In in langfristig geplanten Morden mün- serie der NSU bislang eine Ausnahme der rechtsradikalen Bewegung sind je- det – ein Novum in Deutschland.“29 darstellt. Angesichts dieser Entwick- doch ebenfalls Ideologie, Strategien, lungen sind Zivilgesellschaft und Staat Gewaltbereitschaft, Waffen, klandesti- aufgerufen, das Thema „Neonazismus“ ne Strukturen und personelle Kompe- Fazit nicht zu den Akten zu legen können – tenzen vorhanden, um einen Rechtster- unabhängig davon, ob sich Politik und rorismus zu begründen. […] Auch wenn Geschichte ist ein offener Prozess: Die Verfassungsgericht zu einem Verbot der rechtsradikale Gewaltbereitschaft, die weitere Entwicklung der Neonaziszene NPD werden durchringen können. vor der Tötung der vermeintlichen Feinde nicht zurückschreckt, keine neuere Entwicklung ist, stellt die lang- 29 Busch, Christoph: Der „Nationalsozialistische Untergrund“ im Lichte rechtsradikaler jährige Serie von geplanten Mordan- Gewalt, in: Deutschland Archiv Online vom 10.05.2012. Online unter: http://www.bpb. schlägen des „NSU“ eine neue Eskalati- de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/135578/der-nsu-im-lichte-rechtsradikaler- gewalt?p=all [August 2012] onsstufe dar. Während es bei den eher 30 Vgl. Botsch, Gideon: Die extreme Rechte als „nationales Lager“ – „Versäulung im le- seltenen „kalten“ vorbereiteten rechts- bensweltlichen Milieu oder Marsch in die Mitte der Gesellschaft?, in: Kopke, Grenzen der radikalen Gewalttaten den Tätern da- Toleranz, (wie Fn. 27), S. 57–81.

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Die politische Entwicklung der NPD Ideologie, Organisation, Strategie und Wirkung einer rechtsextremistischen Partei

Der Beitrag zeichnet die wechselvolle Geschichte der NPD nach. 1964 gegründet, um das rechtsextremistische Wählerpotential zu bündeln, legte sich die Partei ein mög- lichst konservatives bürgerliches Image zu. Das führte zwar zu heftigen internen Kon- fl ikten, doch auch zu einem beträchtlichen Zuwachs an Mitgliedern und Wählern. Zwischen 1967 und 1969 gelang der Einzug in fünf Landesparlamente. Bei der Bun- destagswahl 1969 konnte die Fünf-Prozent-Hürde allerdings nicht überwunden wer- den. Es folgte eine lange Zeit der Richtungskämpfe und des Niedergangs. Erst 1996 begann der langsame Wiederaufstieg mit einem neuen Programm und unter neuem Vorsitz. Erfolg bei den Wahlen und eine relativ feste regionale Verankerung hat die NPD heute in einigen östlichen Bundesländern. Im Gegensatz zu den Rechtsaußen- Parteien in manchen europäischen Nachbarländern gelingt es der NPD bis heute aber nicht, sich auf Dauer ein gemäßigtes und seriöses Image zuzulegen. Ihr Rechtsextre- Armin Pfahl-Traughber mismus bleibt unverkennbar.

ragt man heute in der Bundesrepu- ropäischen Ländern gelang ihr der Ein- len, sieht man einmal von der SRP ab. Fblik Deutschland nach der bedeu- zug in das nationale Parlament jedoch Sie erhielt 1951 bei den Landtagswah- tendsten rechtsextremistischen Or- nicht, liegt die NPD doch bei Bundes- len in Niedersachen 11 Prozent und bei ganisation, so dürfte an erster Stel- tagswahlen weit unter der Fünf-Pro- den Wahlen zur Bremer Bürgerschaft le die „Nationaldemokratische Partei zent-Hürde. Dennoch wäre sie 1969 7,7 Prozent der Stimmen. Aufgrund ih- Deutschlands“ (NPD) genannt werden: beinahe in den Bundestag gelangt. Die rer Ablehnung der freiheitlichen de- Ihre Abgeordneten sitzen in zwei ost- Erinnerung daran macht deutlich, dass mokratischen Grundordnung und ih- deutschen Landtagen, in Kooperation es sich keineswegs um eine neue Partei rer Wesensverwandtschaft mit dem Na- mit Neonazis führt die Partei regelmä- handelt. Hier soll die Entwicklung der tionalsozialismus wurde die SRP aber ßig öffentliche Demonstrationen durch, NPD im Lichte der Geschichte des deut- nach einem Antrag der Bundesregie- und in bestimmten Regionen lässt sich schen Rechtsextremismus hinsichtlich rung 1952 durch das Bundesverfas- für die NPD eine alltagskulturelle Ver- ihrer Ideologie, Organisation, Strate- sungsgericht verboten. ankerung konstatieren. Im Unterschied gie und Wirkung dargestellt und ein- Bereits zuvor entstand 1950 die zu Rechtsaußen-Parteien in einigen eu- geschätzt werden. „Deutsche Reichspartei“ (DRP) als Fu- sion des niedersächsischen Landesver- bandes der DKP-DRP und der hessi- Die Gründung der NPD als Sammelpartei schen NDP. Als eine eher traditionell der extremistischen Rechten autoritär-konservativ geprägte Partei erhielt sie durch die Zugänge ehema- Anfang der 1960er Jahre stand es aus und der „Sozialistischen Reichspartei“ liger SRP-Aktivisten einen national- Sicht seiner Anhänger schlecht um den (SRP) und zwei mit regionalem An- sozialistisch orientierten Flügel, der parteipolitischen Rechtsextremismus in spruch in Gestalt der „Nationaldemo- zwar bedeutsam, aber nicht vorherr- der Bundesrepublik Deutschland.1 Zwar kratischen Partei“ (NDP) in Hessen und schend wurde. Bei Wahlen konnte die existierten bereits zur Gründungszeit der „Wirtschaftlichen Aufbau-Vereini- DRP nicht an die Erfolge der SRP an- des neuen Staates gleich vier rechts- gung“ (WAV) in Bayern. Bei Wahlen knüpfen: Bei den Bundestagswahlen extremistische Parteien, zwei mit konnten sie aber keine Erfolge erzie- 1953 erhielt sie lediglich 1,1 Prozent bundesweitem Anspruch in Form der „Deutschen Konservativen Partei – 1 Vgl. zur Geschichte des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland: Du- Deutschen Rechtspartei“ (DKP-DRP) dek/Jaschke 1984; Pfahl-Traughber 2006; Stöss 1989.

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der Stimmen: ein Anteil, der bis 1961 Konfl ikten: Die gemäßigten Kräfte füh- sogar auf 0,8 Prozent zurückging. Zwar Die Bündelung len sich instrumentalisiert und margi- bildete die DRP als Partei die domi- rechtsextremistischer nalisiert, die radikaleren Strömungen nierende Kraft im Rechtsextremismus, Kräfte in der NPD sollte wollen sich deutlicher artikulieren und spielte aber als Wahlpartei mit einer endlich die erhofften positionieren. Daher kam es in der NPD solch geringen Zustimmung keine Rol- Wahlerfolge bringen intern immer wieder zu heftigen Kon- le. Darüber hinaus waren die organi- fl ikten um die richtige Linie. In der sierten Kräfte in diesem politischen La- hatte eine gemeinsame Liste von DRP Folge einer solchen Auseinanderset- ger nicht gebündelt, sondern in Partei- und „Deutscher Partei“ (DP) mit 5,2 zung, die aber auch einen machtpoli- en und Vereine mit unterschiedlicher Prozent der Stimmen knapp den Einzug tischen und persönlichen Charakter Schwerpunktsetzung zersplittert. Dies in das Parlament geschafft. Als Folge hatte, trat Thielen im Sommer 1967 führte nicht nur zur Aufspaltung der der bündnispolitischen und organisa- aus der Partei aus und überließ von vorhandenen Anhängerschaft, sondern torischen Entwicklung im rechtsextre- Thadden das Amt des Vorsitzenden. auch der potentiellen Wählerschaft. mistischen Lager kam es ein Jahr spä- Anfang der 1960er Jahre setzte sich ter, am 28. November 1964, zur Grün- Mit der Vortäuschung im rechtsextremistischen Lager zuneh- dung der NPD.2 In ihr versammelten von Demokratie und mend die Einsicht durch, dass man um sich fortan frühere Mitglieder anderer Rechtstaatlichkeit der beabsichtigten Wahlerfolge willen, rechtsextremistischer Parteien, wobei sollten Sympathie und die Kräfte bündeln müsste. Vorantrei- aber die Führungskräfte der DRP über- Wählerstimmen gewonnen bende Kraft dieser Entwicklung war der wogen. Gleichwohl handelte es sich um werden zwischenzeitlich zum DRP-Vorsitzen- eine Sammelpartei zur Konzentration den aufgestiegene , der Kräfte. Damit war eine wichtige la- Da er schon seit Gründung der NPD der an die Erfahrungen eines relativen gerinterne Voraussetzung für die kom- eine Art „Vorsitzender im Hintergrund“ Erfolgs bei den Wahlen zur Bremer Bür- menden Wahlerfolge entstanden. war, verlief dieser Wechsel an der Spit- gerschaft 1963 anknüpfen wollte: Dort ze relativ reibungslos. Von Thadden be- mühte sich fortan um eine straffe Füh- rung der NPD und fand dafür aufgrund Die Entwicklungsgeschichte der Partei in den 1960er Jahren seines hohen Ansehens in der Partei großen Rückhalt. Die Parteitage plan- Aufgrund der starken Dominanz von sich um ein bürgerliches, konservati- te die NPD-Führung ohnehin so, dass DRP-Funktionsträgern und -Mitglie- ves und seriöses Image, wofür das ehe- sie nur zur Legitimation des offi ziellen dern mag verwundern, warum nicht malige CDU-Mitglied Thielen mehr als Kurses und nicht zur Diskussion kon- deren Vorsitzender von Thadden, son- das frühere DKP-DRP- und DRP-Mit- troverser Fragen genutzt wurden. Bei dern Friedrich Thielen erster Bundes- glied von Thadden stand. Personalfragen konnte sich aber auch vorsitzender der NPD wurde. Dafür gab Hiermit hatte die Partei eine weite- von Thadden nicht immer durchsetzen. es einen strategischen Grund: Im öf- re wichtige Lehre für ihre strategische Trotz der erwähnten ständigen inne- fentlichen Agieren bemühte sich die Ausrichtung gezogen: In einer zuneh- ren Auseinandersetzungen, welche die neue Partei darum, vom Ruf einer mend von der Bevölkerung akzeptier- Partei in ihrer Arbeit und Außenwir- ideologischen Nachfolgeorganisation ten Staatsform der parlamentarischen kung teilweise lähmte, wuchs die Mit- der NSDAP weg zu kommen. So ver- Demokratie und des liberalen Rechts- gliedschaft binnen kurzer Zeit enorm mied die NPD etwa im Unterschied zu staates verschreckt eine sich offen ex- an. Damit war auch genügend Perso- ihren Vorläuferorganisationen aggres- tremistisch und verfassungsfeindlich nal vorhanden, um in den einzelnen sive Forderungen und bekannte sich gebende Partei weite Teile der Öffent- Bundesländern funktionsfähige Orga- formal zu „Demokratie“ und „Rechts- lichkeit und Wählerschaft. Nur mit ei- nisationsstrukturen aufzubauen. Diese staatlichkeit“ – allerdings in einer an- nem gemäßigten Image und einem le- ermöglichten einen engagierten Wahl- deren Form, als diese Prinzipien dem galistischen Kurs kann breiter in die kampf, dem zwischen 1966 und 1968 demokratischen Verfassungsstaat eigen Gesellschaft hineingewirkt und Sym- der regelmäßige Sprung in den jewei- sind. Dies diente ebenso wie die ver- pathie mobilisiert werden. Gleichwohl ligen Landtag folgte. Die NPD erweck- bale Bejahung der freiheitlichen de- führt diese strategische Ausrichtung in te so den Eindruck, dass sie sich als mokratischen Grundordnung zum ei- der Regel auch zu innerparteilichen Wahlpartei etabliert habe. nen dazu, einem möglichen Verbots- verfahren keine Anknüpfungspunkte 2 Vgl. zur Geschichte der Partei in den 1960er Jahren: Fascher 1994: 27–72; Hoffmann zu geben. Zum anderen bemühte man 1999: 74–275; Kühnl u. a. 1969; Maier 1967; Schmollinger 1984.

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der Hervorhebung ethnischer Identität Die ideologische Ausrichtung und politische Programmatik und bei sozialpolitischen Positionen der frühen NPD Unterschiede ausgemacht werden: Die NPD verfügte über eine stärker besitz- Wie bereits angedeutet gab sich die „Volksgemeinschaft“, die Einforderung bürgerliche Ausrichtung und weniger NPD bei der Artikulation ihrer poli- eines über den Gesellschaft stehenden tischen Positionen um der öffentlichen starken Staates, die doch sehr positive Die frühe NPD war Wirkung willen seriös und zurückhal- und wohlwollende Kommentierung des stark nationalistisch tend. Daher enthält das erste offi zi- „Dritten Reichs“ und die hohe Wert- ausgerichtet, dagegen elle Programm von 19673 – also zum schätzung von einigen zeitgenössi- weniger rassistisch Zeitpunkt der ersten herausragenden schen autoritären Diktaturen in Europa. Wahlerfolge – relativ allgemein gehal- Angesichts dieser Auffassungen über eine sozialrevolutionäre Orientie- tene Positionen, welche weder ein ge- stellt sich die Frage, ob die damalige rung. Hinzu kommt die ausgeprägter naues demokratie- noch ideologiethe- NPD über eine nationalsozialistische nationalistische und geringere rassis- oretisches Profi l zu erkennen geben. Ausrichtung verfügte? So angemessen tische Ausrichtung der Parteiideologie. Man fi ndet in dem Text das Bekenntnis bei den referierten Positionen die Zu- Insofern stand die NPD der 1960er Jah- zu Bauerntum und Mittelstand sowie ordnung zum Rechtsextremismus ist, re primär in der Tradition des Deutsch- zu Marktwirtschaft und Unternehmer- so muss dies nicht zwingend auch ei- nationalismus und weniger in der des tum, die Forderungen nach einer Stär- ne Zuordnung zum Nationalsozialis- Nationalsozialismus. Diese – auch im kung des Nationalbewusstseins und der mus bedingen. Die Gemeinsamkeiten Vergleich zur heutigen NPD – wichti- Überwindung der Teilung Deutsch- beziehen sich auf ideologische Merk- ge Differenzierung ändert aber nichts lands, Klagen über kulturellen Nieder- male, die weitgehend allen Rechtsex- an der Einschätzung der Partei als gang und sittlichen Verfall, die Ableh- tremisten eigen sind. Dafür können bei rechtsextremistisch. nung einer „Kollektivschuld“ der Deut- schen am Zweiten Weltkrieg und des amerikanischen und sowjetischen Ein- Die Mitgliederentwicklung und -zusammensetzung fl usses in den beiden deutschen Staa- der frühen NPD ten und die Bejahung von Arbeitsfrie- den und Interessenausgleich sowie von Im Verlauf der zweiten Hälfte der obwohl man in diesem Jahr lediglich Demokratie und Grundordnung. Letz- 1960er Jahre gelangen der NPD so- Erfolge bei zwei Landtagswahlen er- terem widersprechen allerdings andere wohl externe wie interne Erfolge, die ringen konnte. Die fünf „Sprünge“ in Aussagen und Handlungsweisen: sich für den deutschen parteipoliti- die Landesparlamente zwischen 1967 Das Gründungsmanifest der NPD schen Rechtsextremismus in dem Aus- und 1969 motivierten nur noch 3.000 von 19644 enthielt denn auch weit- maß bis zu diesem Zeitpunkt und auch Personen zum Parteieintritt. Offenbar aus schärfere Positionen, was sich et- in den späteren Jahren nicht mehr aus- war das Potential an interessierten und wa anhand der Forderung nach einem machen lassen. Zunächst zum erstge- möglichen NPD-Mitgliedern dadurch starken Staat und dessen Umsetzung nannten Gesichtspunkt: Die Zahl der schon weitgehend erschöpft. des Prinzips „Jedem das Seine“ zeig- Mitglieder wuchs 1965 auf 13.700 an, Wie setzten sich nun diese Ange- te. Darüber hinaus sollten Ausländer verdoppelte sich 1966 fast auf 25.000 hörigen der Partei sozial zusammen?6 einen geringeren Rechtsanspruch auf und stieg 1967 noch einmal auf 28.000 Hinsichtlich des Alters fällt auf, dass einen Arbeitsplatz haben, das angeb- an, um dann 1968 kurz auf 27.000 zu- in der Gründungsphase der NPD der lich „zersetzende Meinungsmonopol“ rückzugehen, aber 1969 wieder auf Durchschnitt bei um die 50 Jahre lag. des Fernsehens wollte man aufheben, 28.000 anzusteigen. Hierbei fällt auf, Damit handelte es sich um die Alters- und die Prozesse gegen ehemalige NS- dass der bedeutendste Schub beim An- gruppe, die während der Zeit des Na- Kriegsverbrecher sollten ihr Ende fi n- stieg der Mitglieder bereits im ersten tionalsozialismus und Zweiten Welt- den. Noch deutlicher wurde man in ei- Jahr der Wahlerfolge ausgemacht wer- kriegs sozialisiert wurde. Mit der Zeit nem „Politischen Lexikon“ von 19665, den konnte. 1966 verzeichnete die NPD sank der Altersdurchschnitt der NPD- das den Mitgliedern zur politischen einen Zugewinn von 11.300 Personen, Mitglieder und näherte sich dem der Orientierung diente. Darin artikulier- te sich die Forderung nach einer iden- 3 Vgl. NPD 1967. titären Demokratie mit elitärer Füh- 4 Vgl. NPD 1964. rung, die Beschwörung der Ideale ei- 5 Vgl. NPD 1966. ner ethnisch und politisch homogenen 6 Vgl. Hoffmann 1999: 383–390; Schmollinger 1984, 1981–1986.

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Gesamtbevölkerung an. Unterrepräsen- pen waren in der NPD-Wählerschaft tiert blieben dann aber auch die unter Meist gab es nur vor allem Einzelhändler, kleinere Ge- 30jährigen und die über 60jährigen. Bei einen schwachen werbetreibende, Landwirte und ande- der Geschlechterverteilung zeigte sich Zusammenhang von re Angehörige des alten Mittelstandes eine klare Überrepräsentanz von Män- Organisationsstärke und überrepräsentiert. Mit der Zeit gelang nern im Bereich von gut 90 Prozent. Wahlerfolg es aber, auch stärkere Zustimmung in Hinsichtlich der einzelnen Berufsgrup- der Arbeiterschaft zu gewinnen, wo- pen und sozialen Zusammensetzung wickelt, obgleich die NPD hier ihren mit sich ein für die Ursachenanalyse ergab sich ein deutlich höherer Anteil bislang mit Abstand größten Wahler- der Wahlzustimmung zu rechtsextre- von Bauern, Einzelhändlern und Hand- folg verbuchte. Demnach besteht ein mistischen Parteien allgemein interes- werkern, während Angestellte, Arbei- eher schwacher Zusammenhang von santer Aspekt andeutet: Je mehr die ter und Studenten unterrepräsentiert Organisationsstärke und Wahlerfolg. NPD sich als Wahlpartei zu etablieren blieben. Somit kann die Mitgliedschaft Hinsichtlich der Stadt-Land-Verteilung schien, desto mehr näherte sich die So- als stark mittelständig geprägt gelten, zeigte sich, dass die Mitgliedschaft der zialstruktur der Wählerschaft der Sozi- ihr gehörten aber auch Angehörige aus Partei weniger aus Großstädten, son- alstruktur der Gesamtbevölkerung an. anderen sozialen Schichten in bedeu- dern mehr aus kleineren und mittel- Als weitere Besonderheit bei der Zu- tender Zahl an. großen Städten stammte. Zuvor waren sammensetzung der NPD-Wählerschaft Die regionalen Hochburgen der die NPD-Angehörigen zu einem guten fällt auf, dass es sich bei ca. sieben NPD-Mitgliedschaft lagen in Bayern, Drittel in der DRP organisiert und zu Zehntel um Männer handelte und die Hessen, Niedersachsen, dem Saarland einem Fünftel vor 1945 NSDAP-Mit- Altersgruppe der 45 bis 60jährigen do- und Schleswig-Holstein, während sie in glieder. Bezogen auf die Mandatsträ- minierte. Aber auch hier gilt, dass sich Nordrhein-Westfalen nur wenig Zulauf ger der Partei in den sieben Landtagen die Altersstruktur der Wählerschaft im hatte. Ebendort konnte man als einzi- ließ sich ebenfalls ein hoher Anteil von gem deutschen Flächenstaat auch nicht Abgeordneten aus dem Mittelstand und Die Wahlentscheidung in den Landtag einziehen. Dafür war ein geringer Anteil von Akademikern zugunsten der NPD war der Landesverband in Baden-Württem- ausmachen. mehr als nur Sozialprotest berg nur durchschnittlich stark ent- Laufe der scheinbaren Etablierung der NPD als Wahlpartei immer mehr dem Die Wählerentwicklung und -zusammensetzung der frühen NPD Bevölkerungsdurchschnitt anpasste, d. h. kontinuierlich eine Verjüngung Bei den Wahlen in der zweiten Hälf- senden konnte. Alles deutete zu jener eintrat. Hinsichtlich der formalen Bil- te der 1960er Jahre gelangen der NPD Zeit darauf hin, dass die Partei bei den dung ließ sich eine Überrepräsentanz Erfolge, die danach in Deutschland Bundestagswahlen 1969 ins Parlament der höher Gebildeten in der Altergrup- nie wieder eine rechtsextremistische einziehen und sich damit als Wahlpar- pe der im „Dritten Reich“ Sozialisier- Partei in dieser Kontinuität verzeich- tei etablieren würde. Hier scheiterte sie ten ausmachen, während der Anteil der nen konnte: Bei den Bundestagswah- aber – wenngleich nur knapp – mit 4,3 höher Gebildeten unter Jüngeren bei len 1965 und den Wahlen zur Ham- Prozent der Stimmen. den NPD-Wählern unterrepräsentiert burger Bürgerschaft 1966 erzielte die Wie setzte sich nun die Wähler- war. Gegen Ende der 1960er Jahre nä- NPD mit 2,0 Prozent bzw. 3,9 Prozent schaft der NPD sozial zusammen?7 Zu- herte sich die soziale Zusammenset- der Stimmen zunächst nur Achtungs- nächst zu den Hochburgen: Dabei han- zung der Partei – mit einem leichten erfolge. Danach übersprang die Partei delte es sich um mittelständisch domi- Übergewicht der Angehörigen des al- aber bei mehreren Landtagswahlen die nierte ländliche Regionen mit relativ ten Mittelstandes – immer mehr der der Fünf-Prozent-Hürde: 1966 erhielt sie unterentwickelter Wirtschaftsstruktur Gesamtbevölkerung an. Daher kann es in Bayern 7,4 und in Hessen 7,9 Pro- und einer protestantischen Dominanz. sich bei den Motiven zugunsten einer zent, 1967 in Rheinland-Pfalz 6,9, in Es bestanden somit Kontinuitäten zu NPD-Wahl nicht primär um Sozialpro- Schleswig-Holstein 5,8, in Niedersach- den Hochburgen der anderen rechts- test aufgrund von ökonomischen Um- sen 7,0 und in 8,8 Prozent der extremistischen Parteien der 1950er brüchen handeln. Stimmen. Und 1968 gelang der NPD Jahre, aber auch zu den Hochburgen in Baden-Württemberg mit 9,8 Pro- der NSDAP vor 1933. Als Berufsgrup- zent der Stimmen ihr bislang größter Erfolg bei Wahlen, wodurch sie auch in den siebten Landtag eine Fraktion ent- 7 Vgl. Hoffmann 1999: 365–383; Schmollinger 1984: 1955–1960.

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Das Schattendasein der Partei in den 1970er und 1980er Jahren große Resonanz hatten. Die Ergebnis- se blieben meist weit unter 0,5 Prozent Nach dem gescheiterten Versuch, 1969 von dem Verleger der „National-Zei- der Stimmen. Von daher verbuchte man in den Bundestag einziehen, setzte bei tung“ Gerhard Frey 1971 gegründeten sogar die 0,8 Prozent der Stimmen für der NPD sowohl der organisatorische „Deutschen Volksunion“ zu. Sie erwies die NPD bei den Europa-Wahlen 1984 als auch der elektorale Niedergang ein. sich damit als wichtiges Auffangbecken als relativen Erfolg, zumal die Partei Die Partei hatte mit durchaus berech- für frustrierte Parteimitglieder und lös- in den Genuss der Wahlkampfkosten- tigter Hoffnung einen Wahlerfolg er- te die NPD im Laufe der 1970er Jah- erstattung kam und dadurch zumindest wartet und musste nun eine bittere und re als mitgliederstärkste Organisation teilweise ihre angewachsenen Schul- frustrierende Niederlage einstecken. im Rechtsextremismus ab. Von knapp den abtragen konnte. Weitere derartige Durch die Fixierung auf die Bundes- 5.000 Mitglieder im Jahr 1976 stieg de- Achtungserfolge gelangen ihr auf nied- tagswahl mühevoll zurückgehaltene ren Zahl 1980 auf über 10.000, wäh- riger Ebene im Rahmen einer zeitwei- innerparteiliche Spannungen brachen rend die NPD in dem gleichen Zeitraum ligen Zusammenarbeit mit der DVU: nun in offene Konfl ikte aus. In deren einen weiteren Rückgang von 9.700 auf So erhielt die NPD 1988 bei den Land- Folge trat von Thadden von seinem 7.200 zu verzeichnen hatte. tagswahlen in Baden-Württemberg 2,1 Amt als Bundesvorsitzender zurück Anfang der 1980er Jahre begann und in Schleswig-Holstein 1,2 Prozent und überließ es Martin Mußgnug. Bin- die Partei verstärkt auf das Themenfeld der Stimmen. Bei den hessischen Kom- nen kurzer Zeit verlor die NPD einen Ausländerpolitik zu setzen. So grün- munalwahlen 1989 konnte sie in ei- Großteil ihrer Mitglieder: 1970 gehör- dete man etwa aus strategischen Mo- ner für rechtsextremistische Wahlpar- ten ihr nur noch 21.000 Personen an, tiven Bürger- und Wahlinitiativen für teien günstigen Situation mit 6,6 Pro- 1972 sank die Zahl auf 14.500, und „Ausländerstopp“, die allerdings weder zent der Stimmen sogar in den Stadtrat 1975 waren es nur noch 10.800. Par- in der Bevölkerung noch bei Wahlen von Frankfurt/M. einziehen. allel dazu schrumpfte auch die Zustim- mung bei Wahlen, blieb man doch fort- an weit unter fünf Prozent der Stim- Krise und Niedergang der NPD bis 1996 men. Bei den Landtagswahlen 1970 erreichte die NPD noch zwischen 1,1 Zwischenzeitlich war zwar die Mit- verwiesen auf die in den neuen Bundes- und 3,4 Prozent, 1971 nur noch zwi- gliedschaft weiter von 7.200 (1980) auf ländern entstehenden Möglichkeiten. schen 1,3 und 2,8 Prozent und 1972 6.400 (1988) Personen geschrumpft. In einer Kampfabstimmung um das bei den Bundestagswahlen lediglich 0,6 Gleichwohl schien sich die NPD auf Amt des neuen Vorsitzenden konn- Prozent der Stimmen. diesem niedrigen Niveau stabilisiert te sich Deckert durchsetzen. Mußg- Besonders das letztgenannte Er- zu haben und konnte 1989 sogar seit nug und Schützinger traten später gebnis, das sich aber auch durch die langem wieder einen leichten Anstieg aus der NPD aus und wechselten mit starke Polarisierung von CDU und SPD der Mitgliederzahlen auf 7.000 verbu- anderen ehemaligen Mitgliedern zur im Wahlkampf und der damit verbun- chen. Allerdings sank deren Zahl im „Deutschen Liga für Volk und Heimat“. denen Fixierung auf die Großparteien nächsten Jahr erneut auf 6.500 ab. Bei Sie wurde zwar 1991 als rechtsextre- erklärt, wurde als vernichtende Nie- den Wahlen knüpfte man nicht mehr mistische Sammlungspartei gegrün- derlage empfunden. Große Teile des an die relativen Erfolge der Vorjah- det, konnte das rechtsextremistische mehr gemäßigten nationalkonserva- re an und erhielt nur noch zwischen Parteienlager aber nicht einigen und 0,2 und 0,3 Prozent der Stimmen. Im führte sogar eine noch stärkere Auf- In den 1970er Jahren hatte Juni 1991 kam es vor diesem Hinter- splitterung herbei. Der neue NPD-Vor- die neu gegründete DVU grund auf einem Bundesparteitag zu sitzende Deckert brachte die Partei in- mehr Mitglieder als die heftigen Kontroversen um die politi- dessen auf den politischen Kurs der NPD sche Zukunft der NPD. Mußgnug und 1970er Jahre zurück, was sich in der sein Stellvertreter Jürgen Schützinger Konzentration auf die Agitationsfel- tiven Flügels waren schon zuvor aus vertraten die Auffassung, die Partei ha- der Ausländerfeindschaft und NS-Ver- der Partei ausgetreten. Nun beschritten be abgewirtschaftet und solle sich bes- harmlosung zeigte. Im Gefolge derar- diesen Weg auch die jüngeren radika- ser der zwischenzeitlich gegründeten tiger Propaganda unterstützte Deckert len Kräfte. Viele von ihnen fanden sich „Deutschen Allianz – Vereinigte Rech- auch Holocaust-Leugner und wurde kurze Zeit später in den verschiedenen te“ anschließen. Demgegenüber poch- im Zuge derartiger Aktivitäten selbst Neonazi-Gruppen im Umfeld von Mi- ten der einfl ussreiche Parteifunktionär zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. chael Kühnen wieder. Wiederum an- Günther Deckert und seine Anhänger Daraufhin enthob das Bundespräsidi- dere NPD-Mitglieder wandten sich der auf die Eigenständigkeit der NPD und um ihn 1995 kurz vor Haftantritt sei-

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nes Amtes, da die zahlreichen Straf- nigen Neonazis gelang es bereits in der verfahren gegen ihn und sein Umgang Innerparteiliche zweiten Hälfte der 1990er Jahre in füh- mit dem Parteivermögen parteischädi- Kontroversen, rende Funktionen zunächst der Ju- gend seien. schrumpfende gendorganisation „Junge Nationalde- Hiermit war die NPD an ihrem bis- Mitgliederzahlen und mokraten“ (JN), dann aber auch der herigen Tiefpunkt angekommen: Die schlechte Wahlergebnisse Mutterpartei aufzusteigen. Exempla- Mitgliederzahlen schrumpften im Laufe markierten Anfang 1990er risch dafür stehen Jens Pühse als Mit- der beschriebenen Entwicklung immer Jahren den Verfall der NPD glied des JN-Bundesvorstandes und Sa- mehr; gehörten der Partei von 1990 scha Rossmüller als einer der drei stell- noch 6.500 Personen an, waren es 1992 bewegte sich die Zustimmung doch vertretenden JN-Bundesvorsitzenden. noch 5.000, 1994 noch 4.500 und 1996 allenfalls im Bereich von 0,1 bis 0,3 Die Kooperation mit der Neonazi- nur noch 3.500. Abgänge fanden auch Prozent der Stimmen. Hinzu kam die Szene ist ein Grund dafür, dass die NPD im Bereich der höheren Funktionsträ- Existenz und Konkurrenz von zwei fortan stärker auf die öffentliche Prä- ger statt, wozu neben dem ehemali- anderen rechtsextremistischen Wahl- senz setzte, z. B. bei Demonstrationen. gen Bundesvorsitzenden auch früher parteien, der „Deutschen Volksunion“ Hierbei konnte die Partei eine Reihe hochrangige Landesfunktionäre gehör- (DVU) und der „Republikaner“ (REP), von bemerkenswerten Mobilisierungs- ten. Gleichzeitig wuchs der Schulden- welche die Partei auch innerhalb des erfolgen verbuchen: Dazu gehörte etwa berg der NPD immer mehr an, und die Rechtsextremismus überfl üssig zu ma- der von ihr mit organisierte Aufmarsch Partei schien mitunter kurz vor dem chen schienen. Kurzum, die NPD stand am 1. März 1997 mit 5.000 Personen. Bankrott zu stehen. Bei Wahlen spiel- in dieser Situation vor dem endgülti- Immerhin handelte es sich um die seit te die NPD ohnehin keine Rolle mehr, gen Niedergang und Verfall. Beginn der 1970er Jahre größte öffent- liche Veranstaltung, die von Rechtsext- remisten initiiert wurde. An ihr nahmen Die Entwicklungsgeschichte der NPD ab 1996 neben NPD- und JN-Mitglieder auch Neonazis und Skinheads teil. Anlass Am Beginn der „neuen“ NPD8 stand die gemeinsame Gesprächsrunden und bot die vor Ort gezeigte Ausstellung Wahl von zum neuen Partei- Wahllisten vor. „Vernichtungskrieg. Verbrechen der vorsitzenden, hatte er sich doch nach Im organisatorischen Bereich konn- Wehrmacht 1941–1944“, die als Wan- einer Kampfabstimmung beim Partei- te die NPD in der folgenden Zeit Er- derausstellung mehrere Städte durch- tag 1996 knapp gegen Günther Deckert folge verbuchen, stiegen doch die Mit- lief und regelmäßig Rechtsextremis- durchgesetzt. Bereits unmittelbar da- gliederzahlen auf niedriger Ebene kon- ten in der erwähnten Konstellation zu nach verkündete Voigt einige Neuerun- tinuierlich an. Im Kontext dieser Demonstrationen motivierte. Es kam gen, die für die kommende Entwicklung aber auch zu Aufmärschen mit gro- von besonderer Bedeutung sein sollten. Durch Kapitalismuskritik ßer Beteiligung zu anderen Themen, Ohne grundsätzlich von den revisio- und Kooperation mit führte man doch etwa unter dem Mot- nistischen Positionen Abstand zu neh- Neonazis wurde ein to „Nationale Front gegen Sozialabbau men, trat der neue Vorsitzende gegen Neuanfang versucht und Arbeitslosigkeit“ am 1. Mai 1998 die von Deckert durchgesetzte, partei- eine Demonstration mit 4.000 Perso- intern aber umstrittene Konzentration Entwicklung stand auch die Öffnung nen durch. auf dieses Themenfeld ein. Stattdes- der Partei für Angehörige aus der Neo- sen forderte er eine Erweiterung der nazi-Szene. Lange Zeit hatte sich die bisherigen Schwerpunkte in der Agita- NPD offi ziell von derartigen Strömun- Die ideologische Ausrichtung tion auf sozialpolitische Themen, was gen distanziert und sogar Abgren- und politische Programmatik wiederum mit einer stärker kapitalis- zungsbeschlüsse gefasst. Diese verhin- der heutigen NPD muskritischen Diktion verbunden war derten zwar nicht Kontakte zwischen und später gar im Plädoyer für einen Einzelpersonen, die Abgrenzung bil- In ihrem neuen Parteiprogramm von „deutschen Sozialismus“ oder „natio- dete aber die offi zielle Position der Par- 1996 formulierte die NPD noch relativ nalen Sozialismus“ mündete. Darüber tei. Nach Voigts Wahl öffnete sich die zurückhaltend ihre Positionen. Gleich- hinaus forderte Voigt – allerdings ver- NPD jedoch immer mehr in Richtung wohl bekannte sie auch dort ganz of- gebens – eine offensivere Bündnispo- dieser Teile des Rechtsextremismus. Ei- fen, man strebe den Austausch der litik gegenüber den anderen rechts- extremistischen Parteien und schlug 8 Vgl. zur Geschichte der Partei ab 1996: Backes/Steglich 2007; Brandstetter 2006; Pfahl-Traughber 2008; Staud 2005.

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Mächtigen an, um dem deutschen lismus“ nicht ab, bekennt man sich doch Volk in einem Nationalstaat eine Zu- Die Partei knüpft an eine zu einem „freien und sozialverpfl ich- kunft zu geben. Kultur und Volkstum Ideologie der Verbindung teten Unternehmertum“.12 Gleichwohl sollten die Grundlage für die Würde von Nationalismus und soll der Staat eine dominierende Stel- des Menschen sein, welche demnach Sozialismus aus der lung gegenüber der Wirtschaft einneh- nicht als primär und vorstaatlich ver- Weimarer Zeit an men. Diese habe dem Interesse des eth- standen wird. Überhaupt zeigt sich nisch homogenen deutschen Volkes zu das Parteiprogramm von einem eth- „völkischen Sozialismus“ ausmachen. dienen. Dabei knüpft die NPD dezidiert nischen Kollektivismus geprägt, wofür Dies zeigte sich anhand der Verände- an eine Ideologietradition der Weimarer etwa die dezidierte Beschwörung der rungen im wirtschaftspolitischen Be- Republik an, welche Nationalismus und „Volksgemeinschaft“ steht.9 Noch deut- reich, wo man nicht mehr primär an Sozialismus verschmelzen wollte. Inso- licher artikulierte sich die NPD in ih- den Interessen des Mittelstandes in der fern verwundern auch die Bekenntnis- rem Aktionsprogramm von 2002: Hier Marktwirtschaft orientiert war. Zwar se zu einem „deutschen“, „nationalen“ spricht man von der „ethnisch homo- lehnt die NPD diese Wirtschaftsform oder „völkischen Sozialismus“ durch genen Volksgemeinschaft“, sieht in der trotz der Berufung auf einen „Sozia- Funktionsträger oder Parteipresse nicht. „multikulturellen“ eine „multikriminel- le Gesellschaft“ und entwickelte einen „Plan zur Ausländerrückführung“. Dar- Die Mitgliederentwicklung und -zusammensetzung über hinaus sollen in allen Lebensbe- der heutigen NPD reichen die jeweiligen Individualinter- essen den angeblichen Gemeinschafts- Wie bereits angedeutet stieg die Mit- raus lassen sich allenfalls allgemeine interessen untergeordnet werden.10 gliederzahl der NPD seit der Wahl von Aussagen formulieren: Demnach be- Hinsichtlich der extremistischen Voigt zum Parteivorsitzenden mit leich- steht ein überdurchschnittlich hoher Einstellungen wurde die NPD noch ten Einbrüchen in bestimmten Jahren Männeranteil in der Mitgliedschaft, deutlicher in ihrer Handreichung „Ar- kontinuierlich an: Auf dem Tiefpunkt der im Bereich von vier Fünftel liegen gumente für Kandidaten & Funktions- der Parteientwicklung 1996 gehörten dürfte. Hinsichtlich der Alterszusam- träger“ von 2006, welche Parteimit- ihr nur noch 3.500 Personen an, 1997 mensetzung scheint es einen beträcht- gliedern inhaltliche Hilfestellung ge- waren es schon 4.300 und 1998 kam es lichen Unterschied zwischen den ost- ben sollte. Darin bekannte man sich noch einmal zu einem Mitgliederschub und westdeutschen Landesverbänden zu einem rein ethnischen Staatsbürger- auf 6.000 Personen. Diese Zahl stag- zu geben: In den letztgenannten fi nden schaftsverständnis, könne doch nur ei- nierte 1999 und stieg 2000 dann auf sich noch große Anteile von Mitglie- ne Person Deutscher sein, welche in die 6.500 an. Von 2001 über 2002 bis 2003 dern der früheren NPD, die demgemäß „ethnisch-kulturelle Gemeinschaft“ des ließ sich allerdings ein Rückgang von auch höheren Alters sind. In den öst- deutschen Volkes hineingeboren wur- 6.500 über 6.100 auf 5.000 ausmachen. lichen Bundesländern entstanden erst de. Die Massenarbeitslosigkeit, so heißt Die Entwicklung dürfte mit durch die in der zweiten Hälfte der 1990er Jah- es weiter, sei eine direkte Folge der öffentlichen Auseinandersetzungen um re funktionsfähige Landesverbände. Sie Masseneinwanderung. Insofern wol- das seinerzeit beantragte NPD-Verbots- zogen insbesondere junge Männer an, le man die Ausländer in ihre Heimat- verfahren zu erklären sein. Seit 2004 was für einen relativ niedrigen Alters- länder zurückführen. Das Grundgesetz stiegen die Mitgliederzahlen aber wie- durchschnitt sprechen dürfte. Hinsicht- wird als Diktat der westlichen Sieger- der kontinuierlich an, von zunächst lich der sozialen Herkunft kommt wohl mächte hingestellt, welches ein schwer- 5.300 auf 6.000 in 2005 und 7.200 in die Mehrheit der Parteimitglieder aus wiegendes Legitimationsdefi zit aufwei- 2007. Vor allem in der zweiten Hälfte der Arbeiterschaft im weitesten Sinne, se. Darüber hinaus triefe es nur so vor der 1990er Jahre verdankte sich diese während auf Funktionärsebene viele „Menschenrechtstümelei“, stelle Deut- Entwicklung dem Aufbau von hand- Personen aus dem Mittelstand auszu- sche mit Ausländern gleich und habe lungsfähigen Organisationsstrukturen machen sind. mit einem „gemeinwohl-schädigenden in den östlichen Bundesländern, wo Bezüglich der politischen Zusam- Individualismus und Parteienregime“11 etwa binnen kurzer Zeit der Landes- mensetzung der NPD äußerte der Par- den Weg in den Untergang geebnet. verband in Sachsen zum bundesweit teivorsitzende Udo Voigt nach den Innerhalb des rechtsextremistischen mitgliederstärksten wurde. Ideologiespektrums ließ sich bei der Über die soziale Zusammensetzung 9 Vgl. NPD 1997, Kap. 1 und 3. NPD eine Abkehr von der bislang prä- der Mitgliedschaft liegen keine genau- 10 Vgl. NPD 2002: 14, 37 f. und 72. genden Ausrichtung am Deutsch-Nati- eren Erkenntnisse und Untersuchungen 11 Vgl. NPD 2006: 12, 15 und 29 f. onalismus und eine Hinwendung zum vor. Aus der Kenntnis der Partei he- 12 Vgl. NPD 1997: Kap. 4.

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Landtagswahlen in Sachsen 2004, es am rechten Rand der FDP ohne Ge- der rechtsextremistischen Partei getrof- gebe in ihr eine nationalkonservative, meinsamkeiten und Verbindungen zur fen zu haben. Am Wahltag selbst über- nationalliberale und nationalsozialis- Partei Voigts. Mit der nationalkonser- legte sich dies nur knapp mehr als jeder tische Strömung.13 Dabei wurden aber vativen Strömung dürfte der deutsch- Zehnte. Demnach stellt das Votum für weder Aussagen zur quantitativen Ver- nationalistisch geprägte Teil der frü- die NPD keine spontane Entscheidung teilung der Mitglieder auf diese Ten- hen NPD gemeint sein. Zu den Natio- kurz vor der Wahl ohne nähere Refl e- denzen formuliert, noch näher Beson- nalsozialisten gehören die Anhänger xionen zu diesem Schritt dar, hatten derheiten und Unterschiede zwischen der früher verbotenen neonazistischen sich doch bedeutende Teile der Wähler- ihnen erläutert. Das Vorhandensein ei- Gruppierungen, die jetzt in der NPD ein schaft so schon längerfristig entschie- nes „nationalliberalen Flügels“ in der Forum für ihre politischen Aktivitäten den. Überwiegend stammten die Vo- NPD kann so gut wie ausgeschlossen gefunden haben. Ihr Mitgliederanteil ten für die rechtsextremistische Partei werden. Allenfalls fi nden sich solche dürfte mindestens ein Drittel bis ma- zu nahezu gleichen Anteilen von frü- ideologischen Tendenzen gegenwärtig ximal die Hälfte ausmachen. heren CDU- und SPD-Wählern sowie von früheren Nichtwählern und von Erstwählern. Als Motive nannten die Die Wählerentwicklung und -zusammensetzung NPD-Wähler ein bestimmtes politisches der heutigen NPD Thema als wahlentscheidend: die ab- lehnende Einstellung der Partei zu den Bei Wahlen konnte die NPD zu- Angaben: Für die NPD votieren über- Arbeitsmarktreformen und Hartz IV. nächst noch keine Erfolge verzeich- durchschnittlich stark jüngere Wähler. nen. Gleichwohl gelang es ihr schon Der Anteil der Altersgruppe zwischen in der zweiten Hälfte der 1990er Jah- 18 und 24 Jahren ist meist doppelt so Die besondere Situation in den re, hier und da einen Achtungserfolg groß wie im Durchschnitt, während die ostdeutschen Ländern auf niedrigem Niveau zu verzeichnen. über Sechzigjährigen weit unterdurch- Die Ergebnisse bei Bundes- und Euro- schnittlich die Partei wählen. Hinsicht- Betrachtet man die Mitgliederentwick- pawahlen bewegten sich allerdings nur lich der Geschlechterverteilung zeigt lung und Wahlergebnisse der NPD ge- zwischen 0,3 und 0,4 Prozent der Stim- sich, dass die NPD mit knapp zwei Drit- nauer, so fällt der eindeutige Schwer- men. Bei den Landtagswahlen in den teln überwiegend von Männern und punkt in den ostdeutschen Ländern auf. westlichen Bundesländern schwank- Der damit verbundene Trend zeichnete te die Zustimmung zwischen 0,1 und Die Wähler der NPD sind sich allerdings erst ab Mitte der 1990er 0,8 Prozent. Aber schon zu dieser Zeit überdurchschnittlich Jahre ab. Direkt nach dem Fall der Mau- deutete sich eine weitaus höhere Be- jung und überwiegend er und der Öffnung der Grenzen hoff- reitschaft zur Wahl der NPD in den männlich te die NPD, in Ostdeutschland schnell östlichen Bundesländern an, konnte handlungsfähige Strukturen aufbauen doch die Partei mit 1,1 Prozent 1998 mit knapp über einem Drittel weniger und binnen kurzer Zeit große Wahl- in Mecklenburg-Vorpommern und 1,4 von Frauen gewählt wird. Bei der for- erfolge verbuchen zu können. Dem war Prozent 1999 in Sachsen über ein Pro- malen Bildung lassen sich die stärks- aber gerade nicht so, gelang doch jah- zent der Stimmen erlangen. Ebendort ten Ausprägungen im Bereich der mitt- relang weder das eine noch das ande- erzielte man 2004 und 2006 mit 9,2 leren und direkt danach in der niedri- re. Die unter der Bezeichnung „Mittel- Prozent in Sachsen und mit 7,3 Prozent geren Kategorie ausmachen, während deutsche Nationaldemokratische Partei der Stimmen in Mecklenburg-Vorpom- höher Gebildete nur unterdurchschnitt- Deutschlands“ gegründete Ost-Varian- mern die größten Wahlerfolge in jün- lich stark NPD wählen. Bei den Berufs- te der NPD spielte zunächst nicht nur gerer Zeit. In den westlichen Bundes- gruppen zählen insbesondere die Ar- in der Gesellschaft und bei Wahlen, ländern blieb die NPD aber weit unter beiter und Arbeitslosen mit einem meist sondern selbst innerhalb des dortigen diesen Werten, schwankten doch die doppelt so hohen Anteil wie im Durch- rechtsextremistischen Spektrums kei- Prozentzahlen mit der Ausnahme des schnitt zu den Wählern der Partei. ne Rolle.15 Dies änderte sich erst nach Saarlandes 2004 mit 4 Prozent zwi- Einige interessante Rückschlüsse dem strategischen Wechsel der Partei- schen 0,5 und 1,9. auf die Motivation für das Votum zu- führung ab 1996 und dem gleichzeitig Wie setzten sich nun die Wähler der gunsten der NPD können die Angaben NPD sozial zusammen?14 Eine Betrach- zur Wahlentscheidung und Wähler- 13 Vgl. Voigt 2004. tung der Daten zu den Wahlen mit Er- wanderung geben: Mehr als ein Drittel 14 Vgl. Pfahl-Traughber 2004, 2006a. gebnissen von über vier Prozent der der Befragten gaben an, bereits vor län- 15 Vgl. Pfahl-Traugbher 1992, Stöss Stimmen ermöglicht repräsentative gerer Zeit eine Entscheidung zugunsten 2000: 72–79.

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einsetzenden wachsenden Unmut der deutlich wird. Gegen Mitte der 1990er lor, blieb der dortige Landesverband dortigen Bevölkerung über die Folgen Jahre gehörten ihm um die 200 Perso- der bundesweit stärkste.17 der Einheitspolitik. nen an. Bereits 1998 erreichte die NPD Zwar ließ sich diese organisatori- Fortan konnte eine Schwerpunkt- ebendort ihren Spitzenwert von 1.400 sche Entwicklung und regionale Ver- verlagerung des Rechtsextremismus Mitgliedern, womit etwa ein Drittel al- ankerung nicht bei allen Landesver- ausgemacht werden: Auch wenn die ler Parteimitglieder in diesem Bundes- bänden ausmachen, aber der Trend lief organisatorischen Strukturen im Par- land lebten. Überwiegend handelte es ebenso in diese Richtung wie bei der teienbereich in den westlichen Ländern sich um Jüngere aus den unteren so- Verteilung von Wählerzustimmung. meist stärker entwickelt blieben, ließ zialen Schichten mit Sympathien zur Dies zeigen anschaulich die Ergebnis- sich bei den Gewalttaten der Neona- Skinhead-Szene, teilweise um Akti- se für die NPD bei den bundesweiten zi- und Skinhead-Szene ein eindeutiges visten aus früheren neonazistischen Wahlen vor und nach 1995: Bei den Übergewicht in den östlichen Ländern Gruppierungen. Auch wenn die NPD Bundestagswahlen 1990 votierten 0,3 ausmachen.16 Auch die NPD-Landes- in Sachsen bis zum Jahr 2000 aufgrund verbände blühten in dieser Phase auf, von internen Differenzen wieder ein 16 Vgl. Pfahl-Traughber 2000. was anhand des Verbandes in Sachsen knappes Drittel ihrer Mitglieder ver- 17 Vgl. Steglich 2005: 59–80.

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Prozent im Westen und 0,3 Prozent Um politischen Erfolg zu haben, be- KURZBIOGRAPHIE im Osten für die NPD, bei den Europa- dient sich die NPD der „Vier-Säulen- Armin Pfahl-Traughber (*1963), Prof. wahlen 1994 wählten 0,2 Prozent im Strategie“: Dr. phil., Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., studierte Westen und 0,3 Prozent im Osten die • „Kampf um die Köpfe“, also eine in Duisburg und Marburg Politikwissen- Partei. Demnach konnte von einer un- geistige Meinungsführerschaft, schaft und Soziologie mit den Neben- gefähr gleichen Verteilung der Wäh- • „Kampf um die Parlamente“, also fächern Neuere Geschichte und Phi- lerstimmen ausgegangen werden. Bei Kandidaturen bei Wahlen, losophie. Ab 1992 war er an den Uni- den Bundestagswahlen 1998 entschie- • „Kampf um die Straße“, also kon- versitäten Bonn, Köln und Marburg als den sich 0,1 Prozent im Westen und tinuierliche Präsenz in Form von Lehrbeauftragter in den Politikwissen- 0,7 Prozent im Osten und bei den Eu- Aufmärschen, und schaften tätig. Von 1994 bis 2004 ar- ropawahlen 1999 0,3 Prozent im Wes- • „Kampf um den organisierten Wil- beitete Pfahl-Traughber im Bundesamt ten und 0,9 Prozent im Osten für die len“, also Bündelung der Kräfte im für Verfassungsschutz, Abt. 2: Rechts- NPD. Ähnlich deutliche Unterschiede eigenen Lager unter der Führung extremismus zunächst als wissen- ergaben sich auch bei den seinerzeit bei der Partei. schaftlicher Mitarbeiter und später als den Wahlen noch erfolgreicheren Par- Referatsleiter. 2004 wurde er Profes- teien DVU und REP. Insofern bezieht In der Agitation setzt man bereits seit sor an der Fachhochschule des Bundes sich die angesprochene Entwicklung Ende der 1990er Jahre stärker auch auf für öffentliche Verwaltung in Brühl mit nicht nur auf die NPD, sondern gilt Themen wie Sozial- und Wirtschafts- den Arbeitsschwerpunkten Politischer allgemein für den Rechtsextremismus. politik. Die Wahlerfolge in 2004 hin- Extremismus und Politische Ideenge- gen etwa mit dem Unmut über „Hartz schichte. Seit 2008 gibt er ebendort das IV“ zusammen. Der 2011 neu gewähl- „Jahrbuch für Extremismus- und Terro- Fazit: Einschätzung zur te Parteivorsitzende setzt rismusforschung“ heraus. Seit 2009 ge- aktuellen Bedeutung der NPD darüber hinaus auf das Konzept der hört Pfahl-Traughber dem „Unabhängi- „Seriösen Radikalität“, also auf eine gen Expertenkreis Antisemitismus“ im Will man bilanzierend die aktuelle Be- formale Mäßigung im Auftreten unter Bundesministerium des Innern an. deutung der NPD einschätzen, so be- Beibehaltung der rechtsextremistischen darf es einer Differenzierung hinsicht- Grundpositionen: Die thematische Ge- lich der gesamtgesellschaftlichen und wichtung der Agitation solle sich in lagerinternen Ebene: Bezogen auf den Richtung des maroden Bankensystems, der rechtsextremistische Charakter der Stellenwert der Partei im Rechtsextre- der Europa-Krise und der „Überfrem- Partei unverkennbar. Gleichwohl ge- mismus kann zunächst konstatiert wer- dung“ verschieben, gleichzeitig seien lang ihr 2009 in Sachsen mit 5,6 Pro- den, dass die NPD nach ihrer de facto systemüberwindende Perspektiven zu zent und 2011 in Mecklenburg-Vor- Fusion mit der DVU 2011 bzw. 2012 bewahren.18 pommern mit 6,0 Prozent der Stim- die bedeutendste Partei im Rechts- men der Wiedereinzug in die dortigen extremismus ist. In den westlichen Trotz einer formalen Landtage. Gewisse Achtungserfolge Bundesländern entstand aber mit der Mäßigung im Auftreten ist verzeichnete man 2009 in Thüringen islam- und muslimenfeindlichen Pro- der rechtsextremistische mit 4,3 Prozent und 2011 in Sachsen- Bewegung eine lagerinterne Konkur- Charakter der Partei Anhalt mit 4,6 Prozent. In den westli- renz mit höheren Wahlerfolgen. Zwar unverkennbar chen Ländern liegen die Zustimmungs- verfügte die NPD 2010 mit 6.600 bzw. werte meist unter zwei Prozent. Inso- mit allen DVU-Mitgliedern zusammen Die Beibehaltung eindeutig völ- fern handelt es sich bei der NPD nicht mit 9.600 Anhängern über die höchs- kischer Auffassungen – mit teil- um eine bundesweit etablierte Wahl- te Mitgliederzahl. Damit liegt die Par- weiser Nutzung eines NS-geprägten partei, sie verfügt aber in bestimmten tei aber noch weit unter ihrem Höchst- Sprachgebrauchs (z. B. „Volksgemein- Regionen der östlichen Länder über ei- stand von 1968 mit 28.000 Anhängern. schaft“) – zieht sich auch durch das ne regionale Verankerung. Sie hat in allen Bundesländern funk- neue Parteiprogramm von 2010.19 Hier tionsfähige Strukturen, ist aber unter- besteht ein Unterschied zu den erfolg- schiedlich stark entwickelt. Bei Aktio- reichen rechtsextremistischen Parteien nen arbeitet man häufi g mit Angehö- im Ausland, wollen diese doch in der rigen der Neonazi-Szene zusammen, Öffentlichkeit das Bild von einer gemä- die in den letzten Jahren kontinuier- ßigten und seriösen Kraft vermitteln. lich auf mittlerweile 5.600 Personen Bei der NPD ist aber – auch durch die 18 Vgl. Apfel 2011. angestiegen ist. Kooperation mit der Neonazi-Szene – 19 Vgl. NPD 2010.

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Rechtsextremismus als Herausforderung für die Demokratie Chancen und Grenzen pädagogischer Gegenstrategien

Der Beitrag geht von der anhaltenden Debatte um die Gefahren eines wiedererstar- kenden Rechtsextremismus in Deutschland aus. Die Chancen und Grenzen pädago- gischer Gegenstrategien werden aus erziehungswissenschaftlicher Sicht beschrieben. Dazu werden zunächst zentrale Diskurse, Entwicklungstrends und Erklärungsansätze für Rechtsextremismus, insbesondere unter Jugendlichen, umrissen. Schulische und außerschulische Konzepte beim Umgang mit Rechtsextremismus werden diskutiert. Doch was sind die möglichen Konsequenzen? Unter anderem gehören dazu die früh- zeitige Förderung des sozialen und demokratischen Handelns, eine Stärkung der Pro- fessionalität und Wertorientierung der Pädagogen, aber auch eine verbesserte Koope- ration zwischen Schule und Jugendverbänden. Vieles kann die Pädagogik kaum be- Wilfried Schubarth Juliane Ulbricht einfl ussen, etwa die Weichstellungen durch Sozialpolitik, Justiz und Polizei. Sie muss sich gleichwohl ständig weiterentwickeln – nicht zuletzt mit Blick auf die jeweiligen Adressaten und deren sozialen Kontext.

echtsextremismus und die damit sonderen historischen Verantwortung Dabei hat sich auch ein Wandel der Rverbundenen Ideologien der Un- gerecht zu werden. Große Bedeutung rechtsextremen Jugendszene im öf- gleichheit sind zu einer dauerhaften kommt dabei der pädagogischen Ar- fentlichen Auftreten und in der Stra- Herausforderung für demokratische beit zu. Die in den letzten Jahren ent- tegieausrichtung vollzogen: Aus dem Gesellschaften geworden – auch für die wickelten schulischen und außerschu- „typischen Skinhead“ mit Glatze, Bom- Bundesrepublik Deutschland. Vor allem lischen Konzepte sind einerseits inno- berjacke und Springerstiefel ist eine Fa- seit der deutschen Wiedervereinigung vativ, andererseits in ihrer Wirkung cette im bunten Spektrum unterschied- gibt es deshalb verstärkte Bemühun- begrenzt, da es oft an professioneller licher Rechtsextremer geworden. Das gen, dem anwachsenden Rechtsextre- Umsetzung und gesamtgesellschaftli- reicht vom völlig unauffälligen Outfi t mismus entgegenzuwirken, um der be- cher Unterstützung mangelt. bis zu den „Autonomen Nationalisten“, die sich in Kleidungsstilen und Akti- onsformen an den „Autonomen“ orien- Rechtsextremismus als Herausforderung tieren. Dazu gehören auch zunehmen- für Schule und Gesellschaft de Versuche der rechtsextremen Szene, die Zivilgesellschaft gezielt zu unter- Als im Herbst 2011 die Mordserie einigung, so lassen sich verschiedene wandern, z. B. durch Mitgliedschaft der Terrorgruppe „Nationalsozialis- Konjunkturen nachzeichnen, und aktives Engagement in Vereinen, tischer Untergrund“ öffentlich wur- • angefangen von den gewalttätigen Verbänden oder Gemeinden wie Feu- de, schien es für einen Moment, als Überfällen auf Asylbewerber An- erwehr, Sportverein, Schüler- und El- würde Deutschland von den „dunklen fang der 1990er Jahre, ternvertretungen usw. Schatten“ der Vergangenheit eingeholt • über spektakuläre Wahlerfolge Generell ist zu konstatieren, dass werden. Und sogleich wurden wieder rechtsextremer Parteien, bei rechtsextremen Gewalttaten seit Fragen zum rechtsextremen Gefahren- • die Etablierung einer rechtsextre- Anfang der 1990er Jahre ein deutli- potenzial und zu möglichen Gegenstra- men Jugendkultur oder „rechter Ka- cher Anstieg zu verzeichnen ist, der tegien, z. B. NPD-Verbot, aufgeworfen. meradschaften“ sich – über alle Schwankungen hin- Blickt man zurück auf die Rechtsextre- • bis hin zur massenhaften Verbrei- weg – auf hohem Niveau stabilisiert hat mismus-Debatten seit der Wiederver- tung von Rechtsextremismus und (vgl. Gamper/Willems 2006, S. 454). Rassismus im Internet. Die häufi gste Gewaltform ist dabei die

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Körperverletzung, die ca. 85 % der Ge- schon mindestens einmal eine rechts- Finanz- und Wirtschaftskrisen der walttaten ausmacht, gefolgt von Wi- extreme Straftat begangen (vgl. Baier Nährboden für Rechtsextremismus derstandsdelikten. Im Ansteigen be- u. a. 2009, S. 114 f.). Es steht zu be- weiter gedeiht. griffen sind insbesondere Gewalttaten fürchten, dass durch die anhaltenden mit antisemitischem Hintergrund (vgl. Bundesministerium des Innern 2011, S. 36). Aufgrund der Dunkelziffer und Pädagogische Ansätze gegen Rechtsextremismus der unterschiedlichen polizeilichen Er- fassung ist insgesamt von einem noch Wenn Strategien gegen Rechtsextre- tung“ bzw. als Nichtpassung von Kom- höheren Ausmaß an „rechter Gewalt“ mismus wirksam sein sollen, müssen petenzen und gesellschaftlichen An- auszugehen. Entsprechende Täterana- sie ursachenbezogen sein. Da Rechts- forderungen. Als Konsequenz lässt sich lysen zeigen, dass die Täter „rechter extremismus ein komplexes, multifak- die Notwendigkeit der Förderung so- Gewalt“ überwiegend junge Männer torielles Phänomen ist, bedarf es auch zialer Handlungskompetenzen bei Kin- sind (nur ein Viertel ist über 25 Jahre, mehrdimensionaler Strategien. Aus er- 90 % sind männlich). Weitere Merk- ziehungswissenschaftlicher Sicht sind Ein extrem selektives male sind ein niedriger Bildungsab- mit Blick auf Gegenstrategien beson- Schulsystem spiegelt noch schluss, eine überdurchschnittlich hohe ders die empirischen Befunde zu Risi- einmal die Mechanismen Arbeitslosenquote sowie ein niedriger kofaktoren für Rechtsextremismus im gesellschaftlicher berufl icher und sozialer Status. Die Ta- Rahmen der Sozialisation von Kin- Ausgrenzung ten wurden zumeist aus dem Gruppen- dern und Jugendlichen von Bedeu- kontext heraus begangen (vgl. Gam- tung. Rechtsextreme werden schließ- dern und Jugendlichen ableiten, wozu per/Willems 2006). lich nicht als solche geboren, sondern Schule und Jugendarbeit viel beitra- Von den rechtsextremistischen Ge- in ihrer Entwicklung dazu „gemacht“. gen können. Zugleich ist zu beachten, walttaten sind rechtsextreme, fremden- Zu solchen Risikofaktoren gehören dass die Institution Schule – als Spie- feindliche und antisemitische Einstel- • Ausgrenzungserfahrungen in Kind- gelbild der Gesellschaft – durch Sozi- lungen zu unterscheiden. Diese sind heit und Jugendphase, insbesondere alisations- und Selektionsprozesse z. T. unter Jugendlichen relativ weit ver- in Familie, Schule und peer group, selbst Ideologien der Ungleichheit bzw. breitet. Nach einer Befragung von • ein autoritärer Erziehungsstil und Entsolidarisierungseffekten Vorschub 15-Jährigen durch das Kriminologische eigene Gewalterfahrungen, leistet. So ist das deutsche Schulsys- Forschungsinstituts Niedersachsen • eine deviante Cliquenorientierung, tem bekanntlich eines der sozial selek- (KFN) weisen 14 % sehr und 26 % eher • Schuldistanz und Schulprobleme, tivsten Systeme mit allen Konsequen- • Anomiegefühle (Verlust sozialer zen für die ausgesonderten Schüler- Rechtsextreme, Ordnung und Orientierung), gruppen. fremdenfeindliche • Konsumorientierungen bei geringen Ähnlich wie die Rechtsextremis- und antisemitische Realisierungschancen, mus-Debatte unterliegt auch die pä- Einstellungen sind • mangelnde diskursive Kommunika- dagogische Arbeit gegen Rechtsextre- unter Jugendlichen weit tionsformen, mismus bestimmten Konjunkturen. verbreitet • ein unkritisches Selbstbild bei nied- • Erste Ansätze zur Entwicklung rigem Selbstwertgefühl u. a. (vgl. pädagogischer Strategien gegen ausländerfeindliche Einstellungen auf. Schubarth 2010, S. 253). Rechtsextremismus stammen aus 8 % stimmen eher und 4 % in hohem den 1970er Jahren mit dem Schwer- Maße antisemitischen Aussagen zu. Diese Befunde geben bereits erste Hin- punkt „politische Bildung“ und Sowohl ausländerfeindliche als auch weise auf mögliche Gegenstrategien. „historische Aufklärung“. antisemitische Einstellungen werden Darüber hinaus stehen sie im Einklang • Seit den 1980er Jahren ist das The- eher von Jungen als von Mädchen ver- mit theoretischen Erklärungsmodellen ma Rechtsextremismus über päda- treten. Etwa jeder Zehnte gibt an, oft für Rechtsextremismus, z. B. zu Theo- gogische Fachdebatten hinaus im oder sehr oft rechte Musik zu hören rien zum „autoritären Charakter“, zur öffentlichen Bewusstsein angekom- oder über Kleidung oder Aufkleber sei- Individualisierung, zur politischen Kul- men. ne Meinung nach außen darzustellen. tur, zur Konfl iktverarbeitung, zur Ge- • Neue Impulse setzte in den 1990er 4 % der befragten Jugendlichen geben schlechtsspezifi k oder zur Sozialisa- Jahren Franz Josef Krafeld (1996) an, Mitglied in einer rechten Gruppe tion. So erklärt die Sozialisationstheo- mit dem Konzept der „akzeptieren- oder Kameradschaft zu sein. Ebenso rie Rechtsextremismus als eine Form den Jugendarbeit“, welches jedoch viele haben – nach eigenen Angaben – der „produktiven Realitätsverarbei- kontrovers diskutiert wurde.

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• Seit den 2000er Jahren ist ein Pa- Darüber hinaus gibt es viele Förder- den zahlreiche Aktivitäten entfaltet, die radigmenwechsel zu verzeichnen: programme auf Landesebene wie z. B. auch den schulischen und außerschuli- Neben der Arbeit mit rechtsextre- das Handlungskonzept „Tolerantes schen Bereich einschließen. Dabei muss men und gewaltbereiten Jugend- Brandenburg“, das allerdings auch Kri- konstatiert werden, dass solche Präven- lichen wird die Unterstützung de- tik erfahren hat. Kritisiert werden u. a. tions- und Interventionsangebote über- mokratischer und zivilgesellschaft- der späte Zeitpunkt der Einführung des wiegend im außerschulischen Bereich licher Kräfte vorangetrieben (vgl. angesiedelt sind, während die Schule Rieker 2009, S. 24 ff.), wodurch je- In den Förderprogrammen merkwürdig blass bleibt. „Stattdessen doch rechtsextreme Jugendliche zu- gegen Rechtsextremismus setzen große Teile der Öffentlichkeit auf nehmend aus dem Blick gerieten. spielen die Möglichkeiten Innere Sicherheit, mehr Polizei, schär- der Schule eine fere Gesetze und ein NPD-Verbot oder Pädagogische Projekte gegen Rechts- merkwürdig geringe Rolle aber auf die außerschulische Bildungs- extremismus werden auch durch Bun- und Beratungsindustrie“ (Jaschke 2012, desprogramme gefördert, z. B. „Jugend Programms, die mangelnde Öffentlich- S. 34). Schule tritt eher als Koopera- für Toleranz und Demokratie – gegen keitsarbeit und der fehlende Pra- tionspartner außerschulischer Ange- Rechtsextremismus, Fremdenfeind- xistransfer sowie die ungenügende ge- bote in Erscheinung. Dabei kann gera- lichkeit und Antisemitismus“ (2001– meinsame Verantwortung der entspre- de Schule aktive Primarprävention auf 2006) und „Vielfalt tut gut. Jugend für chenden Ministerien (vgl. Kleger 2007, sehr breiter Basis betreiben, ist sie doch Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ S. 165). neben Familie die einzige gesellschaft- (2007–2010). Beide Programme wer- Auf Basis dieser bundes- und lan- liche Institution, die Zugang zu allen den seit 2011 unter dem Programmtitel desweiten Handlungskonzepte wur- Jugendlichen hat. „Toleranz fördern – Kompetenz stär- ken“ fortgeführt. Ziel ist die Förderung zivilen Engagements, demokratischen Schulische Konzepte gegen Rechtsextremismus Verhaltens und des Einsatzes für Viel- falt und Toleranz (vgl. Homepage Bun- Die Schule verfügt über viele, häufi g und Fremdenfeindlichkeit eingesetzt desministerium für Familien, Senioren, jedoch noch nicht genutzte Potenziale werden. Auch Ansätze zur Wertebil- Frauen und Jugend: Toleranz fördern – beim Umgang mit Rechtsextremismus. dung und Gewaltprävention eignen Kompetenz stärken). Kritikwürdig sind So hat sie nicht nur die Aufgabe, Wis- sich, um frühzeitig soziale Kompe- dabei das (parteipolitisch) Konjunktu- sen zu vermitteln, sondern durch Bil- tenzen, Empathiefähigkeit, Selbst- und relle und das tendenzielle Ersetzen der dung und Erziehung die junge Genera- Fremdwahrnehmung der Kinder sowie strukturellen Regel- durch Programm- tion zur Teilnahme an der Gesellschaft die Auseinandersetzung mit Konfl ikten förderung, wodurch eine kontinuierli- zu befähigen. Dazu gehört vor allem die zu fördern (vgl. Schubarth 2010; Schu- che pädagogische Arbeit erschwert ist. Förderung einer „ganzheitlichen“ Per- barth/Speck/Lynen von Berg 2010). Evaluationen verweisen zudem auf sol- sönlichkeitsentwicklung mit entspre- Generell kann dabei zwischen di- che Probleme wie z. B. chenden kognitiven und sozialen Fä- rekter und indirekter Behandlung des • personelle Kontextbedingungen higkeiten. In erster Linie gehört dazu Themas Rechtsextremismus unter- (Beziehungsprobleme zwischen • der Erwerb von Kompetenzen beim schieden werden (vgl. auch Jaschke Schlüsselakteuren), Umgang mit Unsicherheiten und 2012). Gründe für eine direkte Thema- • institutionelle Kontextbedingungen Ängsten (auch angesichts prekärer (Dominanz der jeweiligen Hand- Berufsperspektiven), Bei offen auftretendem lungslogiken von Institutionen wie • die Vermittlung gewaltfreier Kon- Rechtsextremismus Schulen und Behörden) und fl iktlösungsstrategien, sind Tabuisierung und • sozialstrukturelle Kontextbedin- • die Entwicklung moralischer Ur- Wegsehen in jedem Fall gungen (Wirtschaftslage, Abwan- teilskompetenz und politischer die falsche Strategie derung, weitgehendes Fehlen so- Mündigkeit sowie ziokultureller Pluralität und zi- • die Vorbereitung auf die ethnische tisierung können beispielsweise aktu- vilgesellschaftlicher Traditionen, und kulturelle Pluralisierung der elle politische Ereignisse sein, aber insbesondere in den neuen Bun- Gesellschaft. auch das Verteilen von rassistischen desländern). Vgl. Lynen von Berg/ CDs auf Schulhöfen, rechtsextreme Palloks/Steil 2006, S. 114 f. Bereits in Kindergarten und Grund- Gruppen in der Schülerschaft oder in schule können je nach Alter Konzepte ihrem Umfeld. Wichtig ist dabei, die zur Prävention von Rechtsextremismus Inhalte sachlich zu präsentieren und

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moralisierende Ansätze zurückzudrän- demokratischen Schulkultur, um Ver- Erfahrungen und Lebenssituationen gen. Beim Auftauchen rechtsextremer antwortungsübernahme, um Achtung der Jugendlichen einbezogen werden, Symbole, Codes, Parolen oder CDs ist der Meinungen anderer und um ge- z. B. mit Plan- und Rollenspielen, rea- eine deutliche Positionierung der Lehr- waltfreie Konfl iktlösungen. Die Förde- len bzw. fi ktiven Fallbeispielen, Argu- kräfte sowohl gegenüber den betref- rung demokratischer Gegenpraxis ist mentationstraining. fenden Schülern als auch im Rahmen auf verschiedenen Handlungs- und Er- Dagegen kann die erzwungene Teil- der Klasse nötig. Die mitunter zu be- fahrungsebenen möglich. So kann sich nahme beispielsweise an einer Führung obachtende Strategie des Wegsehens auf kognitiver Ebene mit Demokratie durch ein ehemaliges Konzentrations- und der Tabuisierung ist kontraproduk- als Idee, mit demokratischen Werten, lager kontraproduktiv sein und vor- tiv, kann sie doch als Zustimmung ver- Grund- und Menschenrechten beschäf- handene Einstellungen eher verfesti- standen werden. Eine Besserung der tigt werden. Zudem sollten Schüler in gen. Dies gilt nicht nur für straffällige Situation ist nur über eine ehrliche Be- die Gestaltung von Schule und Unter- Jugendliche, sondern auch für „nor- standsaufnahme und eine offene Aus- richt einbezogen werden. male“ Schülergruppen, in denen Schü- einandersetzung innerhalb des Lehrer- Als „klassische Antwort auf rechts- ler mit rechtsextremen Einstellungen kollegiums sowie mit der Schüler- und extreme Tendenzen“ (Rieker 2009, sympathisieren. Gedenkstätten sind Elternschaft zu erreichen. Eine konse- S. 49) und als eine Hauptaufgabe von keine „antifaschistischen Durchlauf- quente Ablehnung und Ächtung von Schule gilt die politische Bildung. Im Rechtsextremismus sind auch deutli- Unterschied zu politischer Erziehung Gedenkstätten che Grenzsignale an potenzielle Mit- handelt es sich um einen ergebnis- funktionieren nicht läufer. Allerdings: Fremdenfeindliche offenen Prozess, der das Individuum als antifaschistische Einstellungen von Lehrern stellen ein zur selbstverantwortlichen Refl exion Durchlauferhitzer Tabuthema dar und sind noch weitge- und Urteilsbildung befähigen soll. Da- hend unterforscht. bei werden verschiedene, kontroverse erhitzer“; vielmehr ist die Gedenkstät- Zentrale Werte des Rechtsextre- Positionen berücksichtigt. Die Palet- tenpädagogik gefordert, neue Konzep- mismus wie Kameradschaft, Volks- te möglicher Projekte gegen Rechts- te zu erarbeiten (vgl. Seferens/Heyl gemeinschaft, Nation etc. sollten in extremismus ist vielfältig und reicht 2007, S. 367). Zu beachten ist weiter- unterschiedlichen Zusammenhängen von der Beschäftigung mit anderen hin, dass die Arbeit mit Zeitzeugen ei- Ländern bis zur Verleihung des Prä- ner zeitlichen Beschränkung unterliegt. Der Sozialraum Schule dikats „Schule ohne Rassismus“. Über Für die Zukunft müssen somit Erwei- bietet viele Möglichkeiten die tatsächliche Wirkung solcher Ak- terungen der Zeitzeugenarbeiten ge- der Erziehung zu tivitäten ist allerdings wenig bekannt, sucht werden, wie die mediale Archi- Demokratie und Toleranz die Wirkungsevaluation zum Thema vierung von Zeitzeugenberichten. Bis- „Rechtsextremismus“ steht erst am An- lang ist politische Bildung im Gegenstand des Schulunterrichts in fang (vgl. Schuster 2007; Guthmann schulischen Kontext jedoch weder in- verschiedenen Fächern wie Deutsch, 2011). Ein spezifi scher Ansatz ist die stitutionell noch curricular verankert Geschichte, Sozialkunde sein. Jenseits historisch-politische Bildung, die so- und ergänzt allenfalls in Form von Pro- dieser Themen sind Vorurteile gegen- wohl Bildungs- als auch Begegnungs- jekttagen oder freiwilligen Angeboten über ethnischen Gruppen und Min- elemente enthalten kann (vgl. Grill- das pädagogische Pfl ichtprogramm derheiten dauerhafter Bestandteil pä- meyer/Ackermann 2002). Dies kann (vgl. Rieker 2009, S. 57 ff.). dagogischer Refl exion. Die indirekte • über Besuche von Gedenkstätten, Viele und bisher noch wenig ge- Thematisierung leistet einen Beitrag Museen, Ausstellungen, nutzte schulische Potenzen bestehen zur Stabilisierung und Verfestigung • in der Arbeit mit fi lmischen Doku- im interkulturellen Lernen. Je nach- demokratischer Überzeugungen und menten und Darstellungen, dem, ob die Schüler regelmäßigen oder soll zur Infragestellung rechtsextre- • durch historische Stadtrundgänge nur geringen Kontakt mit Menschen mer Deutungen führen. Nicht nur sol- und Spurensuche, unterschiedlicher ethnisch-kultureller che Unterrichtsfächer wie Geschichte, • durch historische Seminare und Herkunft haben, können hier Angebo- Deutsch, Geografi e, Fremdsprachen, Lerneinheiten, te ansetzen. So können in Schulen mit Ethik oder Religion bieten vielfältige • durch Archivarbeit oder einem hohen Anteil an Schülern mit Potenziale für Demokratie- und Tole- • durch Zeitzeugengespräche Migrationshintergrund Projekte statt- ranzerziehung, sondern auch die In- ermöglicht werden (vgl. Rieker 2009, fi nden, um Konfl ikte und Vorurteile zu stitution Schule als sozialer Lern- und S. 56 ff.; Jaschke 2012, S. 35). Vor al- refl ektieren, damit sich Schüler ver- Erfahrungsraum insgesamt. Dabei geht lem mit der lebensweltorientierten Prä- schiedene Dimensionen von Identi- es z. B. um Erfahrungslernen in einer ventionsarbeit können die alltäglichen tät bewusst machen. Falls die Schüler

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in ihrem sozialen Raum kaum Begeg- rer Schüler in den Mittelpunkt stellt Ansätze bietet in dieser Hinsicht die nungen mit Menschen unterschiedli- und eine partizipative Schulkultur Demokratiepädagogik mit ihren kon- cher ethnisch-kultureller Herkunft ha- pfl egt, weniger Probleme mit Rechts- kreten Partizipationsformen wie Klas- ben, können durch gemeinsame Ak- extremismus aufweist. In diesem Sin- senrat, Mediation oder Service Lear- tivitäten Gefühle der Fremdheit und ne ist eine erfolgreiche Schulentwick- ning (vgl. Edelstein/Frank/Sliwka Vorurteile abgebaut werden (vgl. ebd., lung zugleich auch eine wirksame 2009). S. 37 f.). Gerade an Schulen mit hohem Rechtsextremismusprävention. Gute Migrationsanteil ist auch eine intensi- ve Elternarbeit hilfreich. Da rechtsextreme Orientierungen Außerschulische Konzepte gegen Rechtsextremismus häufi g mit verfestigten Geschlechter- rollen einhergehen, stellen geschlechts- Die Potenziale der pädagogischen Ar- Bei der Vielzahl von pädagogischen sensible Angebote einen wichtigen beit, insbesondere der Jugendarbeit, Ansätzen und Praxisfeldern geht es Präventionsansatz dar. Beispielsweise liegen vor allem in ihrer sozialinteg- letztlich immer um die soziale Inte- können im Primarbereich geschlechts- rativen Funktion für Jugendliche, die gration und Partizipation Jugendlicher spezifi sche Räume zur Verfügung ge- in Zeiten von Individualisierung und und um die Entwicklung ihrer Lebens- stellt werden und über Angebote wie Globalisierung mehr denn je gefragt kompetenzen. Kampfsport die Refl exion der eigenen ist. Dabei geht es um Hilfen für die Politische Bildungsarbeit kann so- Geschlechtsrollenidentität angestrebt Sozialisation, um Unterstützung bei wohl in der Schule als auch – wie zur- werden. Hat sich bereits ein harter der Lebensbewältigung, um die Be- zeit hauptsächlich – im außerschuli- Kern oder eine rechte Szene heraus- reitstellung sozialemotionaler Räume schen Bereich geleistet werden. Dort gebildet, braucht Schule die Unterstüt- zum Sich-Ausprobieren und zum Ex- können am ehesten Zugänge zur Ziel- zung und Hilfe von außen, z. B. durch perimentieren, ohne Leistungsdruck spezielle Experten, Vereine oder die oder Konkurrenz. Es geht aber auch Der Aufbau langfristiger Polizei. Schulen sind öffentliche Räu- um Bildungsprozesse – nicht nur im Kooperation zwischen me, in denen das Verbreiten von Pro- Sinne eines schulischen Kanons oder Schule und Jugend- pagandamitteln oder das Verwenden schulischer Wissensvermittlung, son- verbänden birgt viele von Kennzeichen verfassungswidriger dern um Selbst- und Subjektbildung, bisher nicht genutzte Organisationen unter Strafandrohung um die Gestaltung von Lebens- und Chancen zur politischen steht (§ 86 und 86a StGB). Lernwelten für Jugendliche. Bildung in Bildung Resümierend lässt sich feststellen, diesem Sinne ist mehr als Schul- und dass vielfältige Konzepte existieren, die Ausbildung, ist auch nicht selektions- gruppe der rechtsextrem gefährdeten im schulischen Kontext jedoch noch orientiert, sondern vor allem subjekt- Jugendlichen hergestellt werden. Ent- zu wenig genutzt werden. Deren Um- bezogen. Hinsichtlich des Umgangs mit wicklungsbedarfe liegen vor allem im Rechtsextremismus sind die Potenzen Ausbau der (langfristigen) Kooperation Eine Schule, die sich der Jugendarbeit vor allem in Folgen- mit Schule und Jugendverbänden. um die Persönlichkeits- dem zu sehen (vgl. Schubarth 2007; Häufi g wird politische Bildung von den entwicklung ihrer Schüler Rieker 2009; Hafeneger 2010): Schulen an die außerschulische Bil- und um eine Kultur der • in der Entwicklung professioneller dung delegiert, gemeinsame Arbeits- Beteiligung kümmert, wird pädagogischer Beziehungen (z. B. formen werden kaum erarbeitet. Auch weniger Probleme mit Akzeptanz-, Anerkennungserfah- wenn die Beteiligung bildungsferner Rechtsextremismus haben rungen im Sozialraum, was Fach- Jugendlicher an außerschulischen poli- lichkeit und (Selbst-)Refl exivität bei tischen Bildungsangeboten zugenom- setzung richtet sich neben Schulform, den Professionellen voraussetzt), men hat, sind die Zugangshürden wei- Adressaten und örtlichen Gegebenhei- • in der Arbeit mit Regeln und Grenz- ter abzubauen (vgl. Rieker 2009, S. 59). ten vor allem nach der Professionali- setzungen (Bildungsauftrag, Inter- Ein zentrales Präventionskonzept tät und der Werthaltung des Kollegi- vention, Transparenz usw.) und von Rechtsextremismus in der außer- ums. Kooperation mit außerschulischen • in der pädagogischen Arbeit mit schulischen Arbeit ist interkulturelles Partnern ist eine wichtige Ressource, Gruppen (peer groups, Cliquen- und Lernen, z. B. interkulturelle Begegnun- darf jedoch nicht der einzige Ansatz Einzelarbeit, Integration pädagogi- gen wie Workshops und Begegnungs- sein. Darüber hinaus kann angenom- scher und außerpädagogischer An- fahrten, internationale Jugendaus- men werden, dass eine „gute Schule“, gebote). tausche und außerschulische Semina- die die Persönlichkeitsentwicklung ih- re. Besonders vielversprechend sind

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kultur- und medienpädagogische An- sich dabei häufi g um kurzzeitpädago- Dieser Ansatz ist gewinnbringend, da gebote, in denen sich über unter- gische Projekte mit Schulklassen, die er an der Lebenswelt und den Interessen schiedlichste Medien wie Theater, Vi- meist als außerschulische Projekte oder der Jugendlichen anknüpft. Musik bil- deo oder Internet kreativ-gestalterisch in Form von Projekttagen mit exter- det einen „Türöffner“ für die inhaltliche mit Rechtsextremismus auseinander nen Referenten stattfi nden (vgl. ebd., Auseinandersetzung mit Rechtsextre- gesetzt wird. Ein Beispiel ist die pä- S. 104). Neben der Information über mismus. Hier zeigen sich die Potenziale dagogische Auseinandersetzung mit verschiedene Musikrichtungen sollen einer Kooperation von schulischen und rechtsextremer Musik (vgl. Elverich/ Medien- und Refl exionskompetenzen außerschulischen Angeboten. Glaser/Schlimbach 2009). Es handelt der Jugendlichen gefördert werden.

LITERATUR

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wirksameren Beitrag zur Bekämpfung KURZBIOGRAPHIE Die Musik kann des Rechtsextremismus leisten kann, Wilfried Schubarth (*1955), Dr. phil., Türöffner sein für die braucht es mehr Kontinuität, Nachhal- Professor für Erziehungs- und Soziali- Auseinandersetzung mit tigkeit und Professionalität. Das erfor- sationstheorie an der Universität Pots- Rechtsextremismus dert eine feste Grundausstattung für dam. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die reguläre Jugendarbeit. Jugend- und Bildungsforschung, ins- In einer Befragung von Mitarbei- • Aufbauend auf den Regelstruktu- besondere Gewalt, Rechtsextremismus, tern in 35 Projekten und Angeboten, ren können Sonderprogramme z. B. Prävention sowie Lehrerbildung. Kon- die sich an rechtsextreme oder frem- als Ergänzung, als Kriseninterven- takt: [email protected]. Inter- denfeindliche Jugendliche richten, tion oder als Modellversuch sinn- net: www.uni-potsdam.de/erziehungs durchgeführt vom Deutschen Jugend- voll sein. sozialisationstheorie institut e. V., gaben die Sozialpädago- • Handlungsbedarf besteht auch bei gen an, dass rechtsextreme Organisa- der Qualitätssicherung und weite- tionen eine Konkurrenz zu ihren eige- ren Professionalisierung der Ju- KURZBIOGRAPHIE nen Angeboten darstellen. Sie erachten gendarbeit sowie bei der Vernet- Juliane Ulbricht (*1987) ist wissen- die Aktivitäten der Rechtsextremen als zung der zahlreichen Maßnahmen schaftliche Mitarbeiterin an der Pro- deren Versuch, die Jugendlichen für und Akteure in diesem Bereich, z. B. fessur „Erziehungs- und Sozialisations- sich zu gewinnen und sehen ihrerseits zwischen Jugendarbeit, Schule und theorie“ an der Universität Potsdam. eine Konkurrenz in den pädagogischen Kommune. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ju- Angeboten der außerschulischen Ju- • Ein besonderer Fokus muss dabei gend- und Hochschulforschung. Kon- gendarbeit. Die befragten Mitarbeiter auf die gezielte Arbeit mit rechts- takt: [email protected] berichten von Versuchen der Rechts- extremen Jugendlichen gelegt wer- extremen, den Kontakt der Jugendli- den, die in den letzten Jahren ver- chen mit den Einrichtungen zu unter- nachlässigt wurde. Dies gilt sowohl binden – zum einen durch Verbote und für die Arbeit mit rechtsextrem ori- Sozialpolitik im Bund, im Land und den Einschüchterungen, zum anderen entierten Cliquen als auch für die Kommunen sowie die Bereiche von Po- durch verlockende Angebote. Die Stär- Auseinandersetzung mit Organisa- lizei und Justiz (vgl. Schubarth 2001). ken der außerschulischen Angebote lie- tionen wie ländlichen Feuerwehren Diese Bereiche sind im Ensemble der gen laut Befragten im Vergleich zu den oder Sportvereinen. Bei der Arbeit Entstehungsbedingungen viel wirk- Angeboten der rechtsextremen Orga- mit rechtsextremen Kameradschaf- mächtiger als pädagogische Einfl üs- nisationen darin, ten stößt Pädagogik an ihre Gren- se. Das bedeutet nicht, dass Pädagogik • als anerkannte Pädagogen offen zen. nichts bewirken könnte, vielmehr kann mit den eigenen Angeboten um- Pädagogik im Gesamtensemble der Ge- zugehen, genstrategien ihre spezifi schen Poten- • Kontakte zu Eltern und anderen Fazit und Folgerungen ziale entfalten – vorausgesetzt, die er- Einrichtungen aufnehmen zu kön- forderlichen Rahmenbedingungen sind nen, Dass die Gleichung „mehr Staatsbür- gegeben. Dazu gehört vor allem, dass • ein längerfristiges Angebot bereit zu gerkunde, mehr Jugendclubs und mehr Pädagoginnen und Pädagogen ihre halten und damit eine stabile Ver- Ausbildungsstellen = weniger Rechts- Professionalität ständig weiterentwi- trauensbasis schaffen zu können. extremismus“ nicht aufgeht, ist mitt- ckeln, dass pädagogische Institutionen lerweile weitgehend anerkannt (vgl. ihren gesetzlichen Auftrag für die Er- Schoeps u. a. 2007, S. 25). Vielmehr ziehung und Wertebildung der jungen Die außerschulische bedarf es mehrdimensionaler, adres- Generation ernst nehmen und frühzei- Arbeit muss mit den satenbezogener Strategien, die unter- tig und kontinuierlich in Zusammen- Angeboten rechtsextremer schiedliche Ebenen und Bereiche der arbeit mit außerschulischen Partnern Organisationen Gesellschaft einbeziehen sollten, um soziales und demokratisches Handeln konkurrieren Rechtsextremismus wirksam bekämp- bewusst fördern. fen zu können. Pädagogische Strate- Der wichtigste Vorteil liegt somit in gien können nur ein Teil gesamtgesell- der Respektabilität (vgl. Pingel/Rieker schaftlicher Strategien gegen Rechts- 2002, S. 103). extremismus sein. Ebenso gefordert Damit die pädagogische Arbeit, sind alle anderen Bereiche der Gesell- insbesondere die Jugendarbeit, einen schaft, insbesondere die Bildungs- und

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Rechtspopulismus in Europa als Herausforderung für die christliche Sozialethik Zur Antwort gehört eine Kultur der universalen Geschwisterlichkeit

Wolfgang Palaver Der in Europa erstarkte Rechtspopulismus befördert die Fremdenfeindlichkeit, ins- besondere die Islamophobie. Wesentliche Ursachen dafür gehen einher mit dem neo- liberalen Globalismus: die Entpolitisierung und der mangelnde Widerstand gegen die Vorherrschaft der Ökonomie; die Beschränkung der Solidarität auf die jeweils eige- ne Gruppe, gepaart mit gemeinsamer Feindschaft nach außen; die Neigung zu einer Konsens-Demokratie, in der Minderheiten leicht zum Sündenbock abgestempelt wer- den können. Christliche Kirchen können der Gefahr des Rechtspopulismus entgegen- wirken, indem sie über Religionsgrenzen hinweg für die gleichen Rechte aller Men- schen eintreten und den Geist der Geschwisterlichkeit in der Zivilgesellschaft stärken.

ie mit dem Ende des Kalten Krie- ein horizontaler hinzu kommt: Dabei Migranten, Asylanten und heute be- Dges einhergehende Globalisierung wird zwischen einem homogen ima- sonders auch gegen Muslime richtet. und Herausbildung von Gesellschaf- ginierten Volk, das für ein positives Außerdem geht mit diesen Formen von ten, die immer stärker vom kulturel- „Innen“ steht, und Menschengruppen Fremdenfeindlichkeit eine scharfe Ab- len und religiösen Pluralismus geprägt unterschieden, die nicht zum Volk ge- lehnung jener liberalen Eliten einher, werden, sowie die Vorherrschaft des hören, und die „draußen“ bleiben sol- die angeblich das Volk verraten, weil neoliberalen Wirtschaftsdenkens haben len. Diese Abgrenzung von nicht zum sie die Grenzen zu durchlässig machen. in vielen europäischen Ländern zu ei- Volk gehörenden Menschen zeigt sich Diese Kritik wird zudem sehr oft mit ei- ner Zunahme rechtspopulistischer Par- in Europa heute vor allem in Form von ner Ablehnung der Europäischen Union teien und Bewegungen geführt. Auch Fremdenfeindlichkeit, die sich gegen verbunden. wenn Demokratie und Populismus nie- Minderheiten im eigenen Land, gegen mals ganz voneinander abgekoppelt werden können, weil mit der Demo- kratie die Herrschaft des Volkes un- Rechtspopulismus in den politischen Parteien aufl öslich verbunden ist, wird gerade im deutschsprachigen Raum der Popu- Bekannte Beispiele für den europäi- nicht nur auf die politische Zuschau- lismus vielleicht etwas zu negativ be- schen Rechtspopulismus sind die Front er- und Kritikerrolle beschränkt, son- wertet. Die Betonung dieser negativen National in Frankreich, die Freiheitli- dern nahmen und nehmen auch Regie- Charakterisierung liegt dabei auf dem che Partei in Österreich (FPÖ) oder Ge- rungsverantwortung wahr. Beispielhaft demagogischen Heischen nach Zustim- ert Wilders Partei für die Freiheit in kann verwiesen werden mung des Volkes und die Propagie- den Niederlanden. Nach Jan Werner • auf Österreich mit der Regierungs- rung einfacher Antworten auf kom- Müller, einem politischen Philosophen, beteiligung der Haider-FPÖ (bzw. plexe Probleme. Eindeutiger lässt sich sind seit den frühen neunziger Jahren später BZÖ/Bündnis Zukunft Öster- hingegen das Phänomen des Rechtspo- zwanzig bedeutende populistische Be- reich) von 2000 bis 2007, pulismus kritisieren, weil hier zum ver- wegungen in Europa entstanden, von • auf die langjährige Regierungsbe- tikalen Gegensatz zwischen den Eliten denen es nur zwei heute nicht mehr teiligung der Lega Nord im Bündnis „oben“ und dem Volk „unten“ noch gibt. Dabei blieben diese Bewegungen mit dem häufi g populistisch agie-

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amos 04_2012 - seiten001-056.indd 27 23.10.2012 14:26:01 Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Amos 5, 23 f.

„Die Serie Correcturas Simulativas lebt aus der beinahe unerträglichen Spannung zwischen geschundenem Leib und reichem Ornament, zwischen Nacktheit und Gewand, Verstümmelung und Perfektion. […] Auch die Textbänder, mit der Hand geschrieben oder der Maschine, fügen sich wie die Linien des Fadens als graphisches Element ein und als inhaltliche Antipoden. Sie erscheinen als zynischer Kommentar: ‚Speziell zum Abschminken entwickelt‘ oder ‚Schmutz sowohl gründlich als auch schonend zu erfrischen‘. Die Bezüge muss der Betrachter herstellen.“ aus: Petra Giloy-Hirtz: Die Ästhetisierung des Leidens. Zu den Bilderzyklen von Lilian Moreno Sánchez (vollständiger Essay unter: morenosanchez.com)

Lilian Moreno Sánchez, geb. 1968 in Buin, Chile, Studium an der Kunstfakultät der Universidad de Chile sowie an der Akademie der Bildenden Künste, München; lebt als frei schaffende Künstlerin in Augsburg; weiteres unter: http://morenosanchez.com

amos 04_2012 - seiten001-056.indd 28 23.10.2012 14:26:01 Lilian Moreno Sánchez Serie Correcturas Simulativas Bild 4 (von 4) 1996–1997 Mischtechnik auf Stoff 165 x 190 cm

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renden Ministerpräsidenten Silvio nicht wirklich frei. Wahlerfolge der zen (Hafez 2010). Nur für die Partei der Berlusconi in Italien sowie Rechtspopulisten ließen auch diese Grünen konnte Hafez in dieser Stu- • auf Geert Wilders, der in den Nie- Schritte in eine ähnliche Richtung ma- die keinen islamophoben Populismus derlanden eine Minderheitsregie- chen. So appelliert seit einiger Zeit die festhalten. Konkrete Beispiele aus den rung von 2010 bis 2012 unter- konservative, christdemokratische Ös- jüngsten Wahlkämpfen der FPÖ in Ös- stützte. terreichische Volkspartei ÖVP mit dem terreich zeigen, wie rechtspopulistische • In Ungarn regiert die nationalpopu- Thema Sicherheit gezielt an populisti- Propaganda funktioniert. So wird der listische Partei Fidesz zur Zeit so- sche Instinkte. Auch die Sozialdemo- Slogan „Heimat muss Heimat bleiben“ gar mit einer Zweidrittelmehrheit kratie gab der rechtspopulistischen mit der Ablehnung von Muezzin, Mina- im Parlament. Stimmung nach. Alfred Gusenbauer rett und Burka verbunden. Gleichzeitig und Werner Faymann, die letzten bei- wird mit antiislamischer Intention der Rechtspopulistische Tendenzen bleiben den Bundeskanzler und Parteivorsit- Verbleib von Kreuzen in den Klassen- auch nicht auf einzelne Parteien be- zenden der SPÖ, verfassten 2008 einen zimmern öffentlicher Schulen gefor- schränkt, sondern beeinfl ussen das offenen Brief an die aufl agenstärkste dert, obwohl die offi zielle Vertretung ganze politische Spektrum. Deutlich österreichische „Kronenzeitung“, der der Muslimen in Österreich ausdrück- lässt sich das in Österreich zeigen. Seit sich als Kniefall vor der wachsenden lich für das Beibehalten der Kruzifi xe Jahren setzen die FPÖ und das unter EU-Skepsis und der irrational übertrie- eintritt. Andere Wahl-Slogans laute- Jörg Haider von der Partei abgespal- benen Angst vor einem möglichen EU- ten: „Daham statt Islam“ oder „Glo- Beitritt der Türkei verstehen lässt. Auch ckenklang statt Muezzingesang“. Be- Rechtspopulistische die Partei der Grünen ist nicht völlig sonders diskriminierend fi el ein ent- Tendenzen sind in Europa frei von solchen Tendenzen. Wie der sprechendes FPÖ-Wahlplakat bei den fast überall auf dem Politikwissenschaftler Farid Hafez in Innsbrucker Gemeinderatswahlen 2012 Vormarsch einem Aufsatz über einen Abgeordne- aus, das „Heimatliebe statt Marokka- ten der Grünen mit Migrationshinter- ner-Diebe“ propagierte. tene BZÖ auf typische rechtspopulis- grund zeigte, drängte dessen Versuch, Vorhandene Ängste in der Bevöl- tische Themen wie Fremdenfeindlich- sich medial als besonders gut integ- kerung lassen solche islamfeindlichen keit, EU-Skepsis und die angebliche rierter Österreicher zu präsentieren, Parolen auf fruchtbaren Boden fallen. Vertretung des kleinen Mannes auf der diesen zu einer islamophoben Rheto- Nach einer Umfrage aus dem Jahre Straße. Die anderen Parteien in Öster- rik (Hafez 2009). 2010 halten 71 Prozent der Österrei- reich blieben von diesen Tendenzen cher den Islam nicht für vereinbar mit der modernen Demokratie, und 54 Pro- zent fürchten sich ausdrücklich vor die- Rechtspopulismus und Islamophobie ser Weltreligion. In Deutschland sind entsprechende Zahlen zwar nicht so Seit dem 11. September 2001 äußert terscheidung vom Establishment. Ein sich die rechtspopulistische Fremden- besonders deutliches Zeichen in Rich- Mit islamfeindlichen feindlichkeit in vielen Ländern Euro- tung Islamophobie war auch die 2009 Parolen werden bei der pas in Form einer scharfen Abgrenzung durchgeführte Schweizer Volksabstim- Bevölkerung vorhandene vom Islam. Die Islamophobie ist eine mung, die mit 57,5 % Zustimmung ei- Ängste aufgegriffen Form von antimuslimischem Rassis- ne klare Mehrheit gegen den Bau von mus, der gewisse Parallelen zum Anti- Minaretten erhielt. Hier zeigt sich deut- hoch, aber auch hier zeigte das Echo semitismus aufweist. Der Begriff ist lich, wie schnell gerade die Schwei- auf Thilo Sarrazins Buch Deutschland zwar umstritten – weil er von machen zer Direktdemokratie latente Ängste schafft sich ab, dass es große Ängste Autoren zu Unrecht zur Abwehr je- der Bevölkerung in diskriminierende gegenüber dem Islam gibt. Nach einer der Kritik an muslimischen Positionen Maßnahmen umsetzen kann. Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung herangezogen wird – aber beschreibt In einer Studie über den islamo- aus dem Jahre 2010 stimmen 58,4 Pro- doch dieses zunehmend gefährliche phoben Rechtspopulismus in Öster- zent der Bevölkerung dem Satz „Für Phänomen. Beispielhaft kann hier zu- reich zeigt Farid Hafez, wie vor allem Muslime in Deutschland sollte die Re- erst auf die 2002 gegründete nieder- die von Jörg Haider geprägten rechten ligionsausübung erheblich einge- ländische Liste Pim Fortuyn verwiesen Parteien FPÖ und BZÖ, aber auch die schränkt werden“ zu. In Ostdeutsch- werden. Deren 2002 ermordeter Grün- bürgerliche ÖVP und punktuell selbst land sehen das sogar 75,7 Prozent der der verlieh seiner Bewegung die Isla- die sozialdemokratische SPÖ einen is- Menschen so. mophobie als Markenzeichen zur Un- lamophoben Populismus politisch nüt-

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Die Globalisierung stärkt die Tendenz zu kultureller Abgrenzung niederländische Gesellschaft stellt ein besonders krasses Beispiel für den rapi- Was sind die tieferen Ursachen für die en Feinden Ausschau hielt, die an die den Verlust politischer Identitäten dar. steigende Attraktivität rechtspopulis- Stelle des abgedankten Kommunismus Dort gingen nicht nur … klare klas- tischer Parteien in Europa? Ein erster treten sollten. Huntington verstand die senspezifi sche Identitäten verloren, das Grund hängt sicher mit der zunehmen- Feindschaft zwischen den Kulturen als Land erlebte zusätzlich einen drama- den Globalisierung unserer heutigen ein Mittel, mit dem die Menschen ihre tischen Rückgang der Bedeutung reli- Welt zusammen. Moderne Kommuni- eigene Identität wieder festigen könn- giöser Identitäten.“ (Crouch 2008, 40) kationsmedien, die wachsende Mobili- ten: „Wir wissen, wer wir sind, wenn Auch Crouch spricht hier das oben tät und die vor allem ökonomisch vor- wir wissen, wer wir nicht sind und ge- erwähnte Problem des mit der Globa- angetriebene Öffnung nationaler Gren- gen wen wir sind.“ (Huntington 1996, lisierung einhergehenden Identitäts- zen haben die Menschen auf der Welt 21) Mittels der mimetischen Theorie des verlustes an. immer näher zueinander gebracht. Erst- französisch-amerikanischen Kulturan- Vertreter eines radikaldemokrati- mals in der Geschichte der Menschheit thropologen René Girard lässt sich das schen Ansatzes bedienen sich ähnli- zeichnet sich wirklich so etwas wie ei- Faktum der Globalisierung als eine glo- cher Argumente wie Crouch und kri- ne Menschheit ab. Aber gerade das da- bale kulturelle Krise verstehen, die die tisieren vor allem die politische Linke, mit verbundene Verschwinden traditio- Konfl iktpotentiale in allen Gesellschaf- der sie die fortschreitende Entpolitisie- neller kultureller und nationaler Diffe- ten erhöht. Zutreffender als Hunting- rung in den westlichen Ländern vor- renzen erzeugt Probleme, die zu neuen ton erkennt Girard gerade in den feh- werfen, weil sie jeden politischen Wi- Feindmustern und gefährlichen Jagden lenden Differenzen die eigentliche Ge- derstand gegen die global herrschende auf Sündenböcke führen können. Es ist fahr, weil in der vor allem ökonomisch Wirtschaft unmöglich mache und die kein Zufall, dass Samuel Huntingtons dominierten Globalisierung auch eine Menschen in die Armen der Rechtspo- Buch Der Kampf der Kulturen nach dem globale Konkurrenz angeheizt wird, die pulisten treibe. Schon Ende der 90er Ende des Kalten Krieges geschrieben zerstörerische Rivalitäten und Gewalt- Jahre hat Slavoj Zizek auf dieses Phä- wurde und fast verzweifelt nach neu- neigungen mit sich bringt. nomen aufmerksam gemacht: „Soweit heute alle moderaten Lin- ken, von Blair bis Clinton, diese Ent- Der Beitrag der Postdemokratie zum Rechtspopulismus politisierung akzeptieren, werden wir Zeugen eines seltsamen Rollentau- Besonders die ökonomische Schlag- Virus befallen. Eine wirkliche Loslö- sches. Die einzige seriöse politische seite der Globalisierung – der neoli- sung von der Vorherrschaft der Wirt- Macht, die fortfährt die Regel eines berale Globalismus – stärkt Tenden- schaft gelingt ihnen genauso wenig, uneingeschränkten Marktes in Frage zen hin zum Rechtspopulismus. Colin wie eine nachhaltige politische Ori- zu stellen, ist die populistische extreme Crouch, der den Begriff Postdemokra- entierung. Die Fremdenfeindlichkeit Rechte (Buchanan in den USA, Le Pen tie wesentlich prägte, versteht darun- bleibt oft bloß als attraktives „Mar- in Frankreich). Als sich die Wall Street ter die zunehmende Herrschaft wirt- kenzeichen“. Crouch beschreibt dieses negativ zur sinkenden Arbeitslosenrate schaftlicher Eliten, die hinter ver- Phänomen am Beispiel der niederlän- äußerte, war der einzige, der den offen- schlossenen Türen vermehrt Einfl uss dischen Bewegung um Pim Fortuyn: sichtlichen Schluß zog, daß das, was für auf die Politik nehmen. Oberfl ächlich „Das Phänomen Fortuyn stellt so- das Kapital gut sei, offensichtlich nicht gesehen scheinen die demokratischen wohl ein Beispiel für die Postdemokra- gut für die Mehrheit der Bevölkerung Ordnungen wie gewohnt zu funktio- tie dar als auch eine Art der Reaktion sei, eben Buchanan.“ (Zizek 1998, 97) nieren, aber in Wirklichkeit drohe der auf diese. Er nutzte seine charisma- In jüngerer Zeit hat Chantal Mouf- tatsächliche Einfl uss der Politik und da- tische Persönlichkeit, um ein unkla- fe eine ähnliche Kritik an der politisch mit auch der der Wähler bedeutungslos res und unzusammenhängendes Pro- viel zu zahmen Linken vorgebracht. zu werden. Diese Schwächung der Po- gramm politischer Maßnahmen vorzu- Besonders interessant ist dabei ihre litik gegenüber den Kräften der Wirt- schlagen, das – abgesehen von einem Auseinandersetzung mit dem Aufstieg schaft und ihren einfl ussreichen Lob- Unbehagen über die Zahl neuer Immi- der rechtspopulistischen FPÖ unter byisten lässt die Menschen vermehrt granten in den Niederlanden – keine Jörg Haider in Österreich. Nach Mouffe nach politischen Gegenkräften rufen, klar artikulierten Interessen widerspie- darf dieser nicht vorschnell auf eine die im rechtspopulistischen Lager mit gelte. Dies sprach Teile einer Bevölke- österreichische Nazi-Nostalgie zurück- attraktiven Versprechungen locken. rung an, die ihre früheren politischen geführt, sondern muss vielmehr als Re- Dabei sind aber auch die Rechtspopu- Identitäten verloren hatten, half ihnen aktion auf die österreichische Konsens- listen selbst vom postdemokratischen jedoch nicht, eine neue zu fi nden. Die Demokratie mit ihrer Tendenz zur Ent-

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politisierung verstanden werden. Nach auf Gegnerschaft zielenden agonisti- mitgliedern als auch Konfl ikte mit an- Mouffe gelang es Haider, einen „mäch- schen Demokratie vorziehe, bewirke sie deren Gruppen begünstigt. Einen Vor- tigen Pol kollektiver Identifi kation“ ge- indirekt, dass alle politische Leiden- teil hatten … Individuen, die sich Grup- gen das Establishment der „Konsens- schaft in das Lager der Rechtspopulis- penmitgliedern gegenüber großzügig ten auswandere. Nur eine gepfl egte po- und solidarisch zeigten, Außenseitern Demokratie braucht litische Gegnerschaft könne vor jenem aber misstrauisch und feindselig be- interne Gegnerschaft Abrutschen in ein Feinddenken bewah- gegneten. Diese wirksame Kombina- ren, das die Rechtspopulisten gegen tion aus Gruppenmerkmalen und indi- Eliten“ zu errichten (Mouffe 2009, 89). Fremde ausagieren. Mit ihrer Betonung viduellen Charakterzügen hat von un- Mouffe betont, dass zur Politik immer der politischen Bedeutung von Geg- seren Vorfahren bis in die Gegenwart auch die Unterscheidung eines „Wirs“ nerschaft berührt Mouffe aber noch tie- überdauert – in Form des Wohlfahrts- von einem „Sie“ gehöre. Weil die Lin- fere anthropologische Fragen. staates, der eingebettet ist in ein Sys- ke den politisch lahmen Konsens einer tem schwer bewaffneter, miteinander konkurrierender Nationen.“ Rechtspopulistische Bewegun- Das Menschheitserbe des parochialen Altruismus gen nähren sich von dieser mensch- lichen Neigung zum parochialen Al- Neuere anthropologische Forschungen verfeindeter Nationalstaat war. Bow- truismus. Sie versprechen Solidarität zeigen, dass wir Menschen weder les fasst diesen Zusammenhang fol- und Gemeinschaft, indem sie klar Fein- automatisch zur zerstörerischen Kon- gendermaßen zusammen: de und Sündenböcke benennen, ge- kurrenz noch zur dauernden Gewalt „Der evolutionäre Druck hat bei un- gen die die eigene Gemeinsamkeit be- neigen. Zunehmend wird heute die Ko- seren Vorfahren folglich sowohl die stärkt werden kann. operation als ein wesentlicher Grund- Kooperation zwischen den Gruppen- zug des Menschen hervorgehoben. Aber diese Befähigung zur Solidarität ist oft von einer Schattenseite beglei- Bereit zur Jagd auf Sündenböcke – die gefährliche Seite tet. Wir Menschen sind vor allem dann der Demokratie dazu bereit, uns für das Wohl der an- deren einzusetzen, wenn wir in enger tismus, der in letzter Konsequenz von Einheit mit unseren Verbündeten Aber nicht nur die mit der Globali- der Logik des „alle gegen einen“ be- gleichzeitig gegen gemeinsame Feinde sierung einhergehende Krise und die stimmt werde. zusammenstehen. Forschungen des menschliche Neigung zum parochia- Religionspolitologisch lässt sich im amerikanischen Ökonomen Samuel len Altruismus fördern die Tendenz zu Blick auf die Totalitarismen des 20. Feinddenken und zur Jagd auf Sünden- Jahrhunderts diesbezüglich die Ge- Menschliche Solidarität böcke. Auch die Demokratie selbst ist fahr der Vergötzung des Volkes her- bezieht ihre Stärke oft mit einer solchen Neigung verbunden. ausstreichen. Das zum Götzen erho- aus der gemeinsamen Die populistische Jagd auf Sündenbö- bene, angeblich ganz mit sich selbst Feindschaft nach außen cke ist mit einer grundsätzlichen Pro- identische Volk zielt auf eine Homo- blematik der demokratischen Volks- genität, die sich durch die scharfe Ab- Bowles haben gezeigt, dass das Grund- herrschaft verbunden. Schon Kant trat grenzung von allen Fremden bestimmt. muster menschlicher Solidarität sich deshalb für die repräsentative Demo- Ausgehend von den modernen Totali- meist als parochialer Altruismus er- kratie ein, weil er dadurch dem de- tarismen konnte Girard die Identifi ka- weist. Menschliche Solidarität be- mokratischen Despotismus entgegen- tion von Volksstimme und Gottes Stim- schränkt sich also oft bloß auf den Zu- zuwirken versuchte. Kant warnte in sei- me mit seiner anthropologischen The- sammenhalt innerhalb von Gruppen ner Schrift Zum ewigen Frieden vor se vom Sündenbockmechanismus als und bezieht ihre Stärke vor allem aus den Gefahren der Demokratie als Re- Ursprung menschlicher Zivilisation in der gemeinsamen Feindschaft nach au- gierungsform, die keine Repräsenta- Verbindung bringen: „Vox populi, vox ßen. Dieser Zusammenhang von Soli- tion, d. h. keine Unterscheidung zwi- dei. Die lateinische Spruchweisheit ist darität nach innen und Feindschaft schen Legislative und Exekutive kennt. präziser Ausdruck des Sündenbocksys- nach außen gilt für ursprüngliche Das völlige Fehlen eines repräsentati- tems.“ (Girard 1990, 167) Stammesgesellschaften genauso wie ven und damit gegenüber dem Volk Der kanadische Philosoph Charles für den neuzeitlichen Sozialstaat, der transzendenten Elements mache die- Taylor greift auf Girards Anthropolo- tatsächlich oft auch ein nach außen se Regierungsform zu einem Despo- gie zurück, um sich mit grundsätzli-

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chen Problemen der modernen Demo- derheit einen Platz in unserem Volk tung eines universalen Menschenbil- kratie auseinander zu setzen. Für ihn einräumen, kann diese beanspruchen, des zeigt. Am deutlichsten kommt dies ist der Zusammenhang von demokra- unsere politische Identität zu ändern; wohl in Jesu’ Aufforderung zur Fein- tischer Revolution und der Jagd auf wenn wir diese Minderheit ausschlie- desliebe in der Bergpredigt (Mt 5,43– Sündenböcke ein bleibendes Problem ßen, verweigern wir ihren Mitgliedern 44) und im politisch brisanten Gleich- eines der Grundrechte der Moderne, das nis vom Barmherzigen Samariter (Lk Der neuralgische Punkt Recht auf Staatsbürgerschaft. In beiden 10,25–37) zum Ausdruck. Indem Je- moderner Demokratien Fällen kann es dazu kommen, dass die sus in diesem Gleichnis einen Men- ist ihr Umgang mit Minderheit Teile unseres Territoriums schen zum moralischen Vorbild erklärt, Minderheiten für sich reklamiert. Also müssen wir der als Samariter zu einem verfeinde- ihre Mitglieder assimilieren, und wenn ten Nachbarvolk gehört, zeigt er, dass der Moderne. Ethnische Säuberungen sie sich widersetzen, sind wir versucht, eine christliche Ethik sich nicht bloß begleiten seiner Meinung nach nicht zum Mittel der ethnischen Säuberung auf die eigene Sippe oder das eigene zufällig den Aufstieg der Demokratie: zu greifen. Daher ist es kein bloßer Zu- Volk bezieht, sondern abseits der üb- „Das Prinzip der Volkssouveränität fall, dass das 20. Jahrhundert sowohl lichen Freund-Feind-Muster alle Men- macht Minderheiten zu einem Problem. den Aufstieg der Demokratie als auch schen einschließt und die parochialen Nach diesem Prinzip wird die Identi- den Höhepunkt der ethnischen Säube- Abschließungen sprengt. tät eines Staates in letzter Instanz vom rungen verkörpert.“ (Taylor 2002, 63) Wie schwer den Menschen aller- Volk entschieden. Wenn wir einer Min- dings der Auszug aus der Welt der ge- schlossenen und auf Feindschaft ge- gründeten Gesellschaften fällt, zeigt Der parochiale Altruismus muss zum Universalismus hin die Geschichte des Christentums, das geöffnet werden selbst immer wieder in die alten Mus- ter zurückgefallen ist. Auch heute gibt Besonders wichtig an den Forschungs- gen die Fremdenfeindlichkeit Partei es leider noch viel zu viele Christen, arbeiten von Samuel Bowles ist seine ergreift. Am Beispiel der katholischen die sich bedenkenlos auf die Seite der Feststellung, dass wir Menschen nicht Kirche kann das gut verdeutlicht wer- Rechtspopulisten stellen. Vor allem de- auf den parochialen Altruismus fest- den. So wird im Kompendium der So- ren aktueller Kampf gegen den Islam gelegt sind. Ausdrücklich weist er bei- ziallehre der Kirche das auf die „Ein- erscheint vielen Kulturchristen als be- spielsweise auf Formen weltweiter So- heit der Menschheitsfamilie“ gerich- sonders attraktiv. lidarität hin, die heute auch aufgrund tete „universale Gemeinwohl“ betont Die Botschaft des Zweiten Vatikani- der neuen Medien bei großen Katas- und gleichzeitig jede Form von „Ras- schen Konzils, dass Christen und Mus- trophen sehr schnell zur Hilfeleistung sismus und Rassendiskriminierung“ lime denselben Gott anbeten, und dass motivieren. Ebenso nennt er als posi- als moralisch unhaltbar zurückgewie- gerade angesichts der langen Geschich- tives Beispiel das mittelalterliche, isla- sen (Nr. 433). Auf lokalkirchlicher Ebe- te der Feindschaft zwischen diesen bei- misch geprägte Spanien, das ein fried- ne kann auf eine kürzlich erfolgte Ab- den Religionen, es heute vor allem um liches Zusammenleben von Muslimen, grenzung vom Rechtspopulismus durch die Zusammenarbeit für den Frieden Christen und Juden jenseits üblicher Alois Glück, den Präsidenten des Zen- und die soziale Gerechtigkeit geht, ist Freund-Feind-Muster möglich gemacht tralkomitees der deutschen Katholiken bei vielen Katholiken noch überhaupt hatte. Für Bowles gehört der parochia- hingewiesen werden. Glück forderte die nicht angekommen. In diese Richtung le Altruismus zum menschlichen Ver- deutschen Katholiken dazu auf, „klare braucht es noch viele kleine Schritte mächtnis. Er ist aber keineswegs un- Grenzen zu ziehen gegenüber Gruppie- hin zu einem gesellschaftlichen Klima, ser Schicksal. rungen, die die ‚christlich-abendländi- dass an die Stelle der Angst vor dem Den Religionen und Weltanschau- schen Werte‘ im Namen des Konserva- Islam ein gegenseitiges Verstehen tre- ungen fällt hier die verantwortungs- tiven beschwören und gleichzeitig die ten lässt. Erst ein solches Klima des volle Aufgabe zu, Wegbereiter einer Würde anderer Menschen nicht ach- Dialogs und der Zusammenarbeit ent- universalistischen Haltung zu sein, ten“.1 Diese klare Positionierung ver- zieht der Islamophobie ihre Grundlage. die allen Menschen die gleiche Würde dankt sich jenem Kern der biblischen zukommen lässt. Tatsächlich vertreten Botschaft, der sich als Überwindung heute beispielsweise viele christliche des parochialen Altruismus in Rich- Kirchen und ihre Repräsentanten ei- ne Haltung, die klar für die Univer- 1 http://www.zdk.de/veroeffentlichungen/pressemeldungen/detail/ZdK-Praesident- salität der Menschenrechte und ge- Glueck-fordert-Abgrenzung-gegenueber-Rechtspopulismus-711u/

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Die ethisch-spirituellen Voraussetzungen KURZBIOGRAPHIE einer menschengerechten Demokratie Wolfgang Palaver (*1958), Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Der Rechtspopulismus wird nur dann Will eine Demokratie ihren eigenen Theologischen Fakultät der Universität an Attraktivität verlieren, wenn es der Versuchungen widerstehen, so bleibt Innsbruck; Forschungsschwerpunk- Politik wieder gelingt, den neolibera- sie auf tugendethische und auch re- te: Religion und Gewalt; die Anthro- len Globalismus in seine Schranken zu ligiös-spirituelle Voraussetzungen pologie der katholischen Soziallehre; weisen. Dazu bedarf es einer stärke- angewiesen. Erst politisch engagierte wichtige Veröffentlichungen: Die my- ren Politisierung im Sinne der radi- Menschen, die entsprechende Wert- thischen Quellen des Politischen. Carl kaldemokratischen Forderungen von haltungen verkörpern, garantieren ei- Schmitts Freund-Feind-Theorie (Stutt- Crouch, Zizek oder Mouffe. Doch auch ne menschengerechte Demokratie. Der gart 1998); René Girards mimetische deren Konzepte sind nicht ohne Ge- italienische Rechtsphilosoph Norberto Theorie (Münster 2008). fahr, denn sie spielen mit dem Feuer Bobbio nannte vier Ideale, die die De- der Feindschaft, wenn sie die Gegner- mokratie zur Voraussetzung hat: To- schaft dem Dialog und dem Konsens leranz, Gewaltfreiheit, die schrittwei- vorziehen. Wie lässt sich denn der se Erneuerung der Gesellschaft und die auf deren transzendenten Ursprung von Mouffe angemahnte Agonismus Geschwisterlichkeit (Bobbio 2009, 90– hingewiesen: „Die zunehmend globa- vor dem Abgleiten in den Antagonis- 92). Ich beschränke mich im Folgenden lisierte Gesellschaft macht uns zu mus des Feinddenkens bewahren? Da- auf die Tugend der Geschwisterlichkeit, Nachbarn, aber nicht zu Geschwistern. zu bedarf es demokratisch engagierter weil sie einerseits eng mit der Franzö- Die Vernunft für sich allein ist imstan- Menschen, die von einer Haltung ge- sischen Revolution verbunden ist, aus prägt sind, die bei allem berechtigen der die heutigen Demokratien in Eu- Die Weltreligionen können Streit um Interessen und Anliegen im- ropa hervor gegangen sind, und weil die Geschwisterlichkeit mer auch die größere Verbundenheit sie andererseits eine häufi g übersehene auch dadurch stärken, aller Menschen untereinander nicht und fast vergessene Tugend darstellt. dass sie auf ihren aus den Augen verlieren. transzendenten Ursprung hinweisen

Die Geschwisterlichkeit als Voraussetzung einer de, die Gleichheit unter den Menschen menschengerechten Demokratie zu begreifen und ein bürgerliches Zu- sammenleben herzustellen, aber es ge- Die Geschwisterlichkeit (fraternité) noch nicht verwirklicht ist“ (Nr. 390).2 lingt ihr nicht, Brüderlichkeit zu schaf- wird im Vergleich zur liberalen Frei- Nur wenn alle Menschen als Geschwis- fen. Diese hat ihren Ursprung in einer heit (liberté) und zur demokratischen ter, als Angehörige einer Menschheit, transzendenten Berufung durch Gott Gleichheit (égalité) immer noch viel zu verstanden werden, können notwen- den Vater, der uns zuerst geliebt hat wenig beachtet, gehört aber gerade in dige politische Auseinandersetzungen und uns durch den Sohn lehrt, was ge- unserer heutigen Zeit zu den notwen- davor bewahrt werden, in aggressive schwisterliche Liebe ist.“ (Nr. 19) digen Voraussetzungen einer Demo- Sündenbockjagden oder zerstörerische kratie, die sich den Herausforderungen Feindschaften zu pervertieren. Ge- der Globalisierung stellt. Ausdrücklich schwisterlichkeit bewahrt sowohl die „Für eine Politik in wird auf die Geschwisterlichkeit im Freiheit als auch die Gleichheit vor de- Gemeinschaft“ Kompendium der Soziallehre der Kir- struktiven Entgleisungen. Vor allem die che als Voraussetzung für das politi- großen Weltreligionen können einen Eine menschengerechte Demokra- sche Zusammenleben hingewiesen, wichtigen Beitrag zur Stärkung der Ge- tie lebt von einer moralisch und reli- wobei ebenso deren unaufl ösliche Ver- schwisterlichkeit leisten. Zu Recht hat giös orientierten Zivilgesellschaft. Auf bundenheit mit den Prinzipien Freiheit Benedikt XVI. in seiner Sozialenzykli- dieser Ebene haben auch die christli- und Gleichheit aufgezeigt wird. Es han- ka Caritas in veritate sowohl auf die chen Kirchen eine wichtige Aufgabe. delt sich bei der Geschwisterlichkeit um Notwendigkeit der Geschwisterlichkeit Als konkretes, positives Beispiel kann ein Prinzip, „das vor allem aufgrund im Zeitalter der Globalisierung als auch auf die Fokolar-Bewegung verwiesen des Einfl usses individualistischer und kollektivistischer Ideologien in den 2 Im Sozialkompendium wird in der deutschen Übersetzung von „Brüderlichkeit“ ge- modernen und zeitgenössischen poli- sprochen, das einer etwas zu wörtlichen und engen Übersetzung des englischen bzw. des tischen Gesellschaften zum größten Teil italienischen Begriffs (fraternity bzw. fraternità) entspricht.

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werden, die sich mit ihrem Programm Fazit 3. Gerade das Erbe des parochialen „Für eine Politik in Gemeinschaft“ be- Altruismus ruft nach Öffnung hin wusst für eine Stärkung der Geschwis- Das Erstarken des Rechtspopulismus zu einem universalen Menschen- terlichkeit in der Politik einsetzt (Lu- in Europa hat vielfache Ursache, wo- bild, wie es insbesondere auch von bich 2003). Dieses Programm fasst die bei neben einem genuinen Christentum ver- Bedeutung der Geschwisterlichkeit für • der Globalisierung, treten wird. die Politik präzise zusammen: „Es geht • der Dominanz des neoliberalen Glo- 4. Die inhärenten Gefahren der De- darum, politisches Handeln und Den- balismus, mokratien verlangen ein verstärk- ken zu entwickeln, das • dem uralten Erbe des pariochialen tes Bemühen um jene ethischen • die Menschheit als eine einzige Fa- Altruismus auch und religiösen Tugenden, die eine milie ansieht, deren Wert in ihrer • die inhärenten Probleme der zur menschengerechte Demokratie zur Vielfalt liegt Homogenität und Ausschließung Voraussetzung hat. Ergänzend zu • nach Beweggründen sucht, um den des Fremden neigenden modernen Freiheit und Gleichheit muss vor Anderen wie sich selbst zu lieben Demokratie allem die Geschwisterlichkeit ge- • die Kategorie des Feindes überwin- beachtet werden müssen. Die Ant- stärkt werden. Die christlichen Kir- det und sich dem Verständnis des worten auf die Herausforderung des chen sind besonders dazu präde- anderen vorbehaltlos öffnet Rechtspopulismus müssen auf mehre- stiniert, eine geschwisterliche Zi- • die Geschwisterlichkeit aller als Ba- ren Ebenen erfolgen. vilgesellschaft lebendig werden zu sis für den gesellschaftlichen Fort- 1. Die globalistische Vorherrschaft der lassen. Wo die Geschwisterlichkeit schritt wiederentdeckt“3 Ökonomie muss durch eine Politi- das sozio-kulturelle Klima prägt, Ausdrücklich muss in diesem Zusam- sierung der westlichen Demokra- verliert der Rechtspopulismus sei- menhang auch auf das Engagement tien in die Schranken gewiesen nen Nährboden. der Fokolar-Bewegung für den inter- werden, die auf ein erneuertes Pri- religiösen Dialog hingewiesen wer- mat der Politik zielt. den, wobei gerade der Dialog zwischen 2. Jede Stärkung politischer Gegner- Christen und Muslime im Vordergrund schaft droht aber wieder in Muster steht. Zahlreiche Muslime stehen im des parochialen Altruismus zurück engen Kontakt mit der Fokolar-Bewe- zu fallen, die innergesellschaftliche gung oder gehören ihr sogar als Mit- Solidarität nur gegen äußere Fein- 3 http://www.fokolare.at/site/imdialog/ glied an. de herzustellen versucht. kultur/politik

LITERATUR

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Interview

„Mit dem christlichen Glauben absolut unvereinbar“ Interview mit dem Erzbischof von Berlin über Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus

Ein besonders bewegender Augen- Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden blick während des Papstbesuches in sollen. Das rechtsextreme Weltbild ist gekennzeichnet durch Deutschland im vergangenen Jahr Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, völkische Ideologie, Anti- dürfte für Viele die Übergabe ei- semitismus, Geschichtsklitterung, häufi g einhergehend mit der nes künstlerisch gestalteten Fens- Verherrlichung des NS-Regimes und Relativierung oder Leug- ters des Strafgefängnisses Plötzen- nung der Shoa, Diffamierung und Ablehnung des demokrati- see durch den Berliner Erzbischof schen Rechtsstaats und seiner Institutionen. Folgende Merkmale Kardinal Woelki gewesen sein. Wo- können als Anhaltspunkte für rechtsextremistische Orientierung elki begrüßte den Papst im Berliner gewertet werden: ein aggressiver Nationalismus, für den nur die Olympiastadion mit den Worten: deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Na- Rainer Maria Kardinal Woelki „Unsere Stadt ist […] keine gott- tionen als „minderwertig“ betrachtet; der Wunsch nach einer lose Stadt. Sie ist vielmehr sogar Volksgemeinschaft auf „rassischer“ Grundlage, die die Rechte eine Stadt der Märtyrer. In keiner deutschen Stadt sind im 20. des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Ge- Jahrhundert mehr Christen als Zeugen für Christus und sei- sellschaft das Modell des „Volkskollektivismus“ („Du bist nichts, ne Botschaft gestorben als hier in Berlin. Wir möchten Ihnen Dein Volk ist alles“) entgegensetzt; eine aggressive, extrem ge- als Zeichen unserer Verbundenheit ein Geschenk überreichen, waltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis einer Wiederbe- das Plötzenseer Diptychon, dessen Rahmen aus einem original lebung rassistischen und damit verbunden antisemitischen Ge- Treppenhausfenster von Haus 1 im Gefängnis Plötzensee be- dankenguts; letztlich der Wunsch nach einem „Führerstaat“ mit steht. Es erinnert im Sinn des vom seligen Papst Johannes Paul militärischen Ordnungsprinzipien (Militarismus); die Relativie- II. formulierten ‚Ökumenismus der Heiligen und Märtyrer‘ an rung oder sogar Leugnung der Verbrechen des „Dritten Reiches“ die Blutzeugen, die wegen ihrer christlichen Überzeugung und und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung ihres Einsatzes für den Nächsten vom NS-Terrorregime verur- des Nationalsozialismus; die Diffamierung der demokratischen teilt wurden.“ Woelki räumte damit der Haltung zum National- Institutionen und ihrer Repräsentanten. sozialismus eine zentrale Bedeutung für das katholische Selbst- Rainer Maria Woelki wurde in Köln geboren, seine Eltern stam- verständnis ein – das von beeindruckenden Leistungen des Wi- men – wie übrigens auch sein Berliner Vorgänger Georg Kardinal derstands ebenso geprägt ist wie von der offenen Wunde des Sterzinsky – aus dem ostpreußischen Ermland. Woelki studierte versäumten Widerstands. Was bedeutet die historische Bürde Theologie in Bonn und Freiburg, wurde in Rom an der Päpst- einerseits, die historische Leistung andererseits für den Katho- lichen Universität vom Heiligen Kreuz promoviert und nennt lizismus heute? Resultiert daraus eine besondere Verpfl ichtung Joseph Ratzinger, den heutigen Papst, als seinen wichtigsten im Hinblick auf den Rechtsextremismus der Gegenwart? Wir theologischen Lehrer. Von 2003 bis 2011 war er Weihbischof in haben darüber mit Kardinal Woelki gesprochen, der zunächst Köln, seit 2011 ist er Erzbischof in Berlin. Im Hinblick auf die Wert legt auf eine präzise Bestimmung des Ausdrucks „Rechts- räumliche Ausdehnung ist Woelkis Bistum das zweitgrößte in extremismus“: Rechtsextremisten lehnen die freiheitlich-demo- Deutschland. Der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölke- kratische Grundordnung ab und wollen − auch unter Anwen- rung allerdings liegt in Berlin nur bei 9 %, im Umland weit da- dung von Gewalt − ein autoritäres oder gar totalitäres staatli- runter. Bereits im Februar 2012 wurde Woelki in das Kardinals- ches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches kollegium aufgenommen.

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Amosinternational Herr Kardinal, in der im Trägerverein „Erinnern für die Zu- seelischer Gewalt bzw. Gewaltbereit- Hedwigs-Kathedrale, Ihrem Bischofssitz, kunft“ des Hauses der Wannseekon- schaft. Hinzu treten gewisse Symbole ruht der selige Bernhard Lichtenberg, Wi- ferenz. bzw. „Codes“, die der Ideologie des Hit- derstandskämpfer gegen den National- Erwähnen möchte ich auch das Ma- ler-Regimes entlehnt sind. Und schließ- sozialismus und „Gerechter unter den ximilian-Kolbe-Werk, das neben der lich nutzen die heutigen Rechtsextre- Völkern“ in Yad Vashem. Konrad Kardinal Hilfe für die Opfer von Konzentrations- misten zeitliche Daten der Hitler-Na- von Preyßing, Ihr Vorgänger in den Jahren lagern immer wieder auch die Versöh- zis zu öffentlichen Demonstrationen. 1935 bis 1950, hat sich wiederholt ver- nung und die Erinnerung thematisiert. nehmlich vom Nationalsozialismus distan- Amosinternational Das Erzbistum Berlin ziert, er stand – in seinen Predigten und Amosinternational Resultiert aus dem hat eine weite Ausdehnung von der Ostsee Hirtenbriefen – für eine klare Abgrenzung historischen Erbe eine Art Verpfl ichtung bis in den Süden Brandenburgs und von der der katholischen Kirche gegenüber dem in Bezug auf die Haltung des Erzbischofs polnischen Grenze bis ins westliche Bran- NS-Staat, verurteilte die – von der Berli- von Berlin gegenüber Fremdenfeindlich- denburg. Welche Formen des Rechtsextre- ner Tiergartenstraße aus koordinierten – keit und Rechtsextremismus? Oder würden mismus begegnen der Kirche? Euthanasiemorde und setzte sich mit ei- Sie sagen, dass solche historischen Aspek- nem eigens gegründeten Hilfswerk, das er te, so bedeutend sie sind, sachlich wenig Woelki Katholiken aus unseren fremd- sogar selbst leitete, um keine Mitarbeiter mit dem heutigen Phänomen des Rechts- sprachigen Gemeinden, insbesondere zu gefährden, für von den Nazis verfolg- extremismus zu tun haben? wenn sie durch Sprache oder Aussehen ten Menschen ein. Welche Bedeutung hat als Ausländer erkennbar sind, berich- dieses historische Erbe für Sie? Woelki Die historische Verpfl ichtung ten immer wieder von fremdenfeindli- und das lebendige Gedenken sind das chen Äußerungen, aber auch von Über- Kardinal Woelki Dieses Erbe hat eine eine, aber dazu kommt ein weiterer As- griffen. In rechtsextremistischen Inter- große Bedeutung für mich, und dies pekt: Das katholische Berlin war im- net-Foren wurde auch schon einmal nicht im Sinne einer Tradition, die le- mer geprägt von Zuzügen – aus Schle- gegen offi zielle Vertreter bzw. Vertre- diglich um ihrer selbst gepfl egt wird, sien, aus ganz Deutschland und Europa, terinnen unseres Erzbistums offen ge- sondern als leider dauernde Herausfor- mittlerweile aus der ganzen Welt – die hetzt, gar zu Gewalt gegen sie aufge- derung. Damit weiß ich mich übrigens Integration von „Fremden“ ist eine an- rufen, über Schwester Bührle, die Lei- eines Geistes auch mit meinem unmit- haltende Aufgabe im Erzbistum Berlin. terin des Katholischen Büros Schwerin, telbaren Vorgänger im Amt des Berliner 20 % der Katholiken im Erzbistum Ber- hieß es auf einer rechtsextremen In- Erzbischofs, Kardinal Georg Sterzinsky. lin sind nicht-deutscher Mutterspra- ternetseite: „Die Betschwester – haut Preyßing, Bengsch, Sterzinsky die Ber- che, Fremdenfeindlichkeit kann keinen drauf!“. Auf der anderen Seite nehme liner Bischöfe waren sich immer der be- Platz in unserem Bistum haben. Nicht ich auch wahr, dass Rechtsextremis- sonderen Verantwortung bewusst, die zuletzt bin ich selbst hier zugezogen ten versuchen, so wie anderswo, sich uns als Kirche in Berlin schon allein da- und darauf angewiesen, angenommen auch bei uns einzuschleichen. Von ei- durch zufällt, dass Holocaust, „Endlö- zu werden. ner „Unterwanderung“ kann man nicht sung“, „Reichspogromnacht“, „Totaler Aus diesem klaren nein zu Frem- sprechen, aber auch solche Einzelfälle Krieg“ untrennbar mit Berlin verbun- denfeindlichkeit folgt auch eine kla- sind ernst zu nehmen. den sind. In meinem Bistum liegt das re Absage an Rechtsextremismus, der Man muss vielleicht auch noch et- Holocaust-Mahnmal, das Konzentra- sich nicht zuletzt ja durch Fremden- was zu den Größenordnungen sagen: tionslager Sachsenhausen, Plötzensee, feindlichkeit positioniert. Zur katholische Kirche gehören in Ber- das Haus der Wannsee-Konferenz, auch Auch wenn ich kein Experte für lin 9 % der Bevölkerung, in Branden- Maria Regina Martyrum, die Gedenk- Rechtsextremismus in Deutschland bin, burg und Vorpommern sind es noch kirche der deutschen Katholiken für die halte ich die Phänomene des heutigen viel weniger. Unsere Kräfte sind daher Opfer des Nationalsozialismus liegt in Rechtsextremismus für historisch un- begrenzt, aber auch die Zahl der Ka- Berlin, 2013 feiern wir den 50. Wei- trennbar mit dem Rechtsextremismus tholiken unter den Opfern von Rechts- hetag. Die Rolle des „Hauptstadtbis- der Hitler-Nazis verbunden: Es ist das extremismus sind – rein statistisch – tums“ wird auch dadurch festgelegt: gleiche Gedankengut, das eine frei- wenige. Aber als eine Gruppe, die sich an einer lebendigen Erinnerungskul- heitlich-demokratische, pluralistische vorgenommen hat, die Gesellschaft mit tur mitzuwirken. Grundordnung ablehnt, verächtlich zu prägen und zu gestalten, sind wir Ich erlebe dafür eine große Sensi- Menschen gesellschaftlich ausgrenzt natürlich im Blick rechter Gruppen. bilität in unseren Gemeinden und im und national-totalitäre Ansprüche Diözesanrat, wir sind vertreten im Auf- stellt – verbunden mit einem hohen trag der Deutschen Bischofskonferenz Maß an manifester körperlicher und

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Amosinternational Wie reagiert die Kirche, werkstrukturen zur Förderung der De- der Kommission für gesellschaftliche die Verbände, die Gemeinden auf Rechts- mokratie hilft. und politische Fragen und der Mig- extremismus? Wenn wir auf Rechtsextremismus rationskommission, die sich mit Zu- reagieren müssen, ist es streng genom- wanderern unter uns befasst und in Woelki Wir haben als deutsche Bischö- men schon zu spät. Mir gefällt es oh- der auch der Berliner Weihbischof Dr. fe am 24. Januar 2012 anlässlich der nehin besser, wenn wir uns nicht von Matthias Heinrich engagiert ist. Zu- Aufdeckung der neonazistischen Zelle Rechtsextremen die Agenda diktieren dem gibt es eine Kommission „Justi- aus Zwickau und unter dem Eindruck lassen, also nicht nur „gegen rechts!“ tia et Pax“ in Trägerschaft der Deut- des Massenmords eines norwegischen sondern „für Demokratie!“ agieren und schen Bischofskonferenz, die sich mit Rechtsextremisten eindeutig Stellung vor allem Angebote auch in struktur- Menschenrechtsfragen befasst. Wir Bi- bezogen. Diese Ereignisse führten uns schwachen Gebieten machen, weil ge- schöfe in Deutschland sind uns einig, drastisch vor Augen, dass auch in den rade da, wo sich alle anderen zurück- dass entschlossen gegen Rassismus und zivilen europäischen Gesellschaften ziehen, rechte Gruppierungen sich breit Rechtsextremismus vorgegangen wer- „ein Bodensatz des fanatischen Hasses machen. den muss. auf alles Fremde“ besteht. Daher haben So verstehe ich auch die Jugend- wir erneut und gemeinsam betont, dass verbände im BDKJ. Deren Anliegen ist Amosinternational Gibt es in einzelnen Fremdenhass, Rassismus, Antisemitis- es, Jugendliche stark zu machen, so Gemeinden auch Opfer rechter Gewalt, et- mus und jede Form des Rechtsextre- dass sie sich selbst gegen Rechtsextre- wa Katholiken nicht-deutscher Herkunft? mismus mit dem christlichen Glauben mismus stark machen können. Konkret absolut unvereinbar sind. verstehen sich katholische Jugendver- Woelki Katholiken stellen keine eigene Rechtsextremismus stellt eine ernste bände als „Werkstätten der Demokra- Opfergruppe rechter Gewalt dar. Wenn dauerhafte Herausforderung dar, gera- tie“, die – so hoffe ich – wehrhaft ma- Katholiken betroffen sind, dann nicht, de da, wo kirchliche aber auch staat- chen gegen rechte Polemik. weil sie katholisch, sondern weil sie liche Infrastruktur sich zurückzieht. Aus dem gleichen Grund ist das Erz- nach Hautfarbe, Gebräuchen oder Her- Pfarrer berichten mir, dass sie immer bistum Berlin Mitglied in der Initiati- kunft anders oder fremd sind. Entspre- häufi ger um Mitwirkung bei öffent- ve „Tolerantes Brandenburg“ und im chend wird die Bedrohung in unseren lichen Aufrufen, „Koalitionen-gegen- „Berliner Ratschlag für Demokratie“, fremdsprachigen Gemeinden natürlich rechts“, oder Demonstrationen ange- in Mecklenburg-Vorpommern gehö- stärker empfunden. fragt werden. In Einzelfällen sind wir ren wir zu den Mitinitiatoren der Ini- Das kann aber nicht unsere erste auch mit ausgestiegenen katholischen tiative „WIR.Erfolg braucht Vielfalt“. Frage sein. Es ist nicht entscheidend, Rechtsextremen und Aussteigern in Deswegen sind wir auch jedes Jahr an ob ein Opfer katholisch ist, damit die unseren Pfarreien befasst. der Interkulturellen Woche beteiligt, Kirche auf den Plan tritt. Das hat auch Um besser reagieren zu können, die ich in diesem Jahr bundesweit in der jüngste antisemitische Übergriff auf haben wir – gemeinsam mit dem Erz- Potsdam mit eröffnen durfte. Der Diö- Rabbiner Alter in Berlin wieder gezeigt. bistum Hamburg – eine „Arbeitsge- zesanrat der Katholiken im Erzbistum Wir erheben unsere Stimme, wenn je- meinschaft ‚Rechtsextremismus‘“ ge- Berlin verleiht seit Jahren den „Drei- mand aus rassistischen Gründen be- gründet. Ich stelle mir vor, dass diese Königs-Preis für Integration“ – auch droht wird unabhängig von seiner Re- Arbeitsgruppe dann auch weitere Stra- das ist ein Zeichen gegen Rechtsextre- ligion. tegien und Kompetenzen entwickelt, mismus. wie wir in Pfarreien, Verbänden und Amosinternational Welche Rolle spielen Einrichtungen auch in akuten Situa- Amosinternational Gibt es Beauftragte in rechtsextreme Tendenzen in der katholi- tionen reagieren können. der Kirche, in den Diözesen oder Dekana- schen Kirche? Wie hoch schätzen Sie die Ich weiß darüber hinaus von Ein- ten für Rechtsextremismus und fremden- Gefahr ein, die von offenkundig rechter Ge- zelpersonen, die sich bereits seit Jah- feindliche Gewalt? sinnung im Umfeld der katholischen Kirche ren und hartnäckig gegen rechts en- ausgeht – etwa vom Internetportal kreuz. gagieren. Bei unserem Caritas-Verband Woelki Eine spezielle Beauftragung für net, das sich als „Initiative einer interna- zeigt es sich insbesondere in Vorpom- die Herausforderungen durch Rechts- tionalen privaten Gruppe von Katholiken mern, wo sich die Caritas in Gemein- extremismus gibt es nicht. In der Deut- in Europa und Übersee, die hauptberufl ich wesenprojekten bei der Demokratieför- schen Bischofskonferenz besteht eine im kirchlichen Dienst tätig sind“, bezeich- derung engagiert, Theaterprojekte or- Zuständigkeit für die Phänomene von net? Gibt es gar eine Art „rechter Szene“ ganisiert, die in Schule für Toleranz Rechtsextremismus und fremdenfeind- innerhalb des Katholizismus? werben, oder beim Aufbau von Netz- licher Gewalt im Rahmen der bischöf- lichen Kommissionen, vor allem bei

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Woelki Wenn es um Gesinnung und Konzil zurückgehen möchte bzw. zu- Woelki Sprachliche Festlegungen ver- Tendenzen geht, stehe ich vor dem Pro- rück geht, darf und kann automatisch ändern auch die Wirklichkeit. Nicht nur blem, dass ich keine belastbaren Zah- mit rechtsextremistischer Gesinnung bei der Beurteilung der rechten Gefahr len, Umfragen oder Untersuchungen gleichgesetzt werden. Eine anonyme stehen wir immer zwischen Verharm- nennen kann. Es gibt – so jedenfalls Plattform wie kreuz.net muss eben mit losung und Panikmache. Im nächsten meine Einschätzung – vielleicht in Ber- den Geistern leben, die sie rief: Wo nie- Jahr erinnern wir uns an die sogenann- lin noch stärker als anderswo ein Ge- mand mit seinem Namen und seiner te „Machtergreifung“ durch Adolf Hit- spür bei vielen Gläubigen, wo die Gren- Identität für seine Meinung einstehen ler und all die verheerenden Folgen ze liegt, was nicht mehr geht. Vielleicht muss, ist leider Antisemitismus, Frem- für die ganze Welt. 1945 hat sich in liegt das auch an einer Gedenkland- denfeindlichkeit und Rechtsextremis- Deutschland ein Staat gegründet, dem schaft und Gedenkkultur, die in Ber- mus nicht mehr fern. das „Nie wieder!“ in die Gründungs- lin besonders sensibilisiert für rechte, urkunde eingeschrieben ist. Ich fi nde fremdenfeindliche und antisemitische Amosinternational Das Vorgehen des Ver- schon, dass sich unsere Demokratie der Tendenzen. Im Diözesanrat mit seinem fassungsschutzes in Bezug auf die Akti- rechtsextremen „Verlockungen“ immer Drei-Königs-Preis, in vielen Gruppen vitäten der als „Nationalsozialistischer wieder gut erwehrt hat und ich sehe und Initiativen, die ich bereits genannt Untergrund“ (NSU) bekannt gewordenen keine Hinweise, dass sich das ändert. habe, äußert sich das sehr selbstbe- Terrorgruppe stößt zunehmend auf Unver- wusst. Und die Verführung, für kom- ständnis und teilweise auch bei nüchter- Amosinternational Offenkundig richten plexe Probleme einfachen Lösungsvor- nen Beobachtern auf Entsetzen. Sollte die sich rechte Ressentiments vorzugsweise schlägen rechter Propaganda zu folgen, Kirche, sollte ein Bischof sich zu den Ab- gegen Angehörige bestimmter kultureller bleibt aktuell. Wie weit das in unse- läufen äußern oder liegt das außerhalb des und religiöser Minderheiten, gegen Juden re Gesellschaft hineinreicht, hat man kirchlichen Kompetenzbereichs? und Muslime. Gibt es eine Art „natürlicher ja an der Debatte um die Thesen von Verbundenheit“ oder Solidarität zwischen Thilo Sarrazin gesehen. Woelki Kirche hat hier eine anwalt- Kirche einerseits und Personen und Grup- Ich kann nicht ausschließen, dass liche Aufgabe, ich sehe meinen Platz pen, die aufgrund ihres religiösen Bekennt- es auch unter den Katholiken im Erz- auf der Seite der Opfer. Dazu gehört, nisses bzw. ihres kulturellen Hintergrun- bistum Berlin Einzelne mit rechts- dass man einer sprachlichen Stigmati- des zur Zielscheibe rechtsextremer Miss- extremistischer Gesinnung gibt. Dies sierung wie dem Begriff „Döner-Mor- achtung werden? zu überprüfen ist allerdings schwierig, de“ entschieden entgegentreten muss. ja, sogar unmöglich, wenn wir nicht In der Trauerfeier für die Opfer hat die Woelki Bei allen Unterschieden in den den Verfassungsschutz in unseren Rei- Bundeskanzlerin es so formuliert: „Wir Bekenntnissen: Was uns verbindet ist hen haben wollen, was ich für uner- alle können Ihnen heute zeigen: Sie ste- die Überzeugung, dass wir gleich ge- freulich halten würde. Jedenfalls wird hen nicht länger allein mit Ihrer Trau- schaffen sind, dass der Gott, an den beim Kommuniongang nicht die poli- er. Wir fühlen mit Ihnen, wir trauern wir glauben, keine Unterschiede zwi- tische Gesinnung abgefragt. mit Ihnen“, dem kann ich mich an- schen den Menschen macht: Es gibt Ich ermutige unsere Gemeinden, ak- schließen. Ich sehe aber nicht, dass wir nicht wertvollere oder wertlosere Men- tiv gegen Gemeindeglieder vorzuge- als Kirche Kompetenzen hätten, Ver- schen je nach Herkunft, Hautfarbe oder hen, die rechtsextreme Anschauungen fassungsschutz-Aktivitäten zu bewer- Bekenntnis. Was uns mit anderen Reli- vertreten und diese darauf ansprechen. ten. Dass hier Fehler begangen wur- gionen auch verbindet, ist die deutsche Das darf kein Tabu werden. Ich kann den, scheint mir außer Frage zu stehen. Verfassung und deren Werte, insbeson- mir nicht vorstellen, dass NPD-Mitglie- Aber diese Fehler werden aufgedeckt, dere auch die Grundrechte. Im Grund- der unsere Gemeinden als Mitglieder die parlamentarische Kontrolle funk- gesetz heißt es unter der Prämisse der in Pfarrgemeinderat oder Kirchenvor- tioniert. Das gehört zu der oben schon Präambel – „im Bewusstsein der Ver- stand nach außen hin repräsentieren. erwähnten freiheitlich-demokratischen antwortung vor Gott“ – in Artikel 1, Denn zum Rechtsextremismus ge- Grundordnung, die die Voraussetzung dass die Würde des Menschen unan- hört ein Menschenbild, das ausgrenzt für unser Handeln zum Wohl der Ge- tastbar ist. Diese Würde ist uns Men- und diskriminiert, außerdem schüren sellschaft darstellt. schen von Gott gegeben, und dies be- rechtsextreme Parteien wie die NPD deutet, dass sie von keiner irdischen den Sozialneid etwa gegenüber aus- Amosinternational Wie schätzen Sie die Instanz abgesprochen werden kann. ländischen Arbeitsplatzbesitzern. Gefahr ein, die von gewaltbereiten rechts- Als Vertreter von Religionen müs- Eine andere Unterscheidung aber ist orientierten Personen ausgeht? Kann man sen wir – gerade in aktuellen Debat- mir wichtig: Nicht alles, was inner- von einer „Welle rechter Gewalt“ oder von ten – wachsam bleiben, dass wir uns kirchlich vor das Zweite Vatikanische „rechtem Terror“ reden? nicht von rechtsextremen Gruppierun-

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gen gegeneinander ausspielen lassen. giösen Gründen Dinge tun, die nicht- neu. Christen wie Bernhard Lichtenberg Der „Al Quds-Tag“, der muslimische religiöse Menschen nicht tun würden. oder der von Ihnen erwähnte Vater von „Jerusalemtag“ zum Ende des Rama- Was Muslime und Juden in dieser De- Joachim Fest, aber auch die, die in der dan hat dies in diesem Jahr sehr deut- batte mit dem Argument der „körper- ehemaligen DDR standgehalten haben, lich gemacht: Ein von Ayatollah Cho- lichen Unversehrtheit“ trifft, berührt stehen mit ihrem Leben dafür. meini eingeführter religiöser Termin, ein Unverständnis für priesterliche Was unter Diktaturen galt, gilt auch der letztlich aber politisch die Politik oder klösterliche Existenz, die Ent- heute, auch wenn wir in unserem Land Israels kritisiert, wurde von der Initia- scheidung, schon kleine Kinder taufen eine Trennung von Kirche und Staat er- tive „Pro Deutschland“ zum Protest- zu lassen, es betrifft Speise- und Ge- reicht haben, die niemand zurückneh- tag gegen Muslime und Moscheen in betsvorschriften unterschiedlicher Re- men möchte, zumal wir das Verhältnis Deutschland umgemünzt. Die Begrif- ligionen und vieles mehr. Dieses Un- zwischen Kirche und Staat nicht nur fe „Deutschland“ und „Islam“ können verständnis, das in der Tat nichts mit partnerschaftlich nennen, sondern es aber streng genommen gar keine Anti- Rechtsextremismus zu tun hat, macht auch so gestalten. poden sein, da sie sich auf unterschied- mir aber auch Sorgen. liche Systeme beziehen, auf politische Amosinternational Joachim Fests Buch und religiöse. Auch das sollte uns im Amosinternational Mit der Minderheiten- endet überraschender Weise mit dem Mau- interreligiösen Dialog verbinden: Wir position des Katholizismus in Preußen und erfall, das er als historisches Ereignis in- lassen uns nicht politisch instrumen- Berlin hängt, jedenfalls nach einer verbrei- terpretiert, das dem Grauen des National- talisieren und ideologisch provozieren! teten Auffassung, traditionell ein gewisser sozialismus gewissermaßen diametral ge- Das will man natürlich erreichen mit „Anti-Etatismus“ zusammen, eine Distanz genübersteht, „in dem sich die Vernunft dem Vorzeigen von Mohammed-Ka- zu Politik und Staat. Der in Berlin aufge- ausnahmsweise gegen alle Verblendung rikaturen oder Verunglimpfungen des wachsene Historiker und Journalist Jo- und Gräuellaune durchgesetzt hat“. In der Papstes. achim Fest beschreibt in seinen Kindheits- Stadt, in der Sie Bischof sind, säumen die und Jugenderinnerungen „Ich nicht“ – mit Kandelaber Alberts Speers noch Straßen- Amosinternational Es gibt auch eine anti- dem Titel würdigt Fest die Haltung seines züge und die Spaltung der Welt in Ost und religiöse Haltung oder Stimmung, die weit überzeugt katholischen Vaters – einen frei- West ist noch greifbar. Welchen Stellenwert von rechter Gesinnung entfernt ist: Der Re- lich nicht durchgängig kompromisslosen sollte die Erinnerung an die deutsche Ge- ligionssoziologe José Casanova hat deut- katholischen Widerstandsgeist gegen den schichte der vergangenen 80 Jahre, sollte liche Parallelen zwischen der gegenwärti- Nationalsozialismus. Spielt dieses traditio- das Gedenken haben? gen Diskriminierung der Muslime und der nelle katholische, letztlich stärker auf die historischen Diskriminierung der Katholi- globale Glaubensgemeinschaft als auf den Woelki Ich sprach schon von der ein- ken aufgezeigt. Manuel Borutta, ein Kul- Nationalstaat bezogene Selbstverständnis, zigartigen „Gedenklandschaft“, die in turhistoriker, diagnostiziert in Bezug auf heute eigentlich noch eine Rolle? einer „Gedenkkultur“ ihren Ausdruck die Situation in der katholischen Kirche in fi ndet. „Das Geheimnis unserer Erlö- den europäischen Kulturkämpfen einen Woelki Ich bin nicht sicher, ob es da- sung ist Erinnerung“, so heißt es bei ausgeprägten und teilweise sehr aggres- mals die entscheidende Rolle gespielt Franz Rosenzweig in der jüdischen Tra- siven „Antikatholizismus“. Nun soll hier auf hat. Viel wichtiger ist mir die Beschrei- dition. Der Kern unseres Glaubens, die keinen Fall eine Parallele solcher Tenden- bung des Christen als ein Mensch, der Eucharistie, ist eine Erinnerungsfeier. zen zu rechtsorientierter Aggression ge- gleichzeitig in der Welt von heute lebt Ich bin dankbar, dass es in Berlin so gen Muslime und Juden angedeutet wer- und sich auch für diese Welt engagiert, viele Orte und Stellen gibt, an denen den. Aber auch die katholische Kirche und der aber auch vom Anbruch des Rei- man zur Erinnerung aufgefordert wird. ihre Mitglieder fi nden sich im Erzbistum ches Gottes weiß und sich dort behei- Ich bin auch dankbar, dass wir uns in Berlin in einer deutlichen Minderheitensi- matet weiß. Berlin auch wieder mit Juden gemein- tuation. Gibt es da die Erfahrung von Dis- Wo an Jesus Christus und seine Bot- sam erinnern dürfen. Das ist ein großes kriminierung und Missachtung? schaft von Reich Gottes geglaubt wird, Geschenk, das uns die Nachkommen empfangen sterbliche Menschen schon derer machen, die vor 70 Jahren aus Woelki Diskriminierung und Missach- jetzt göttliches Leben, fangen zu leben dieser Stadt verfolgt, vertrieben und tung kann ich nicht sagen. Aber an der an wie er, geweiht für die anderen, be- ermordet wurden. aktuellen Diskussion um das Beschnei- sonders für die, deren Würde mit Fü- dungs-Urteil ist mir etwas anderes auf- ßen getreten wird und die oftmals nur Die Fragen stellte Christian Spieß, gefallen: Was geschwunden ist, ist das die Schattenseiten dieses Lebens ken- ICEP Berlin Verständnis für das Religiöse. Es fehlt nen. Wo Menschen diese Liebe emp- die Einsicht, dass Menschen aus reli- fangen, wird die Welt anders, wird sie

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Dokumentation

Katholische Akademiearbeit undAndreas Rechtsextremismus Lienkamp Kompetenzen gegen Rechtsextremismus – Katholisch-soziale Bildung in Deutschland

Bildung zählt zu den wichtigsten Schlüsseln im gesellschaftlichen Kampf gegen den Rechtsextremismus, besonders in Deutschland. Hierzulande beteiligen sich daran zahlreiche Akteure, zu denen traditionell auch die katholischen Akademien und Bildungsein- richtungen gehören. Die katholisch-soziale, außerschulisch organisierte Bildung in Deutschland leistet seit Jahrzehnten bis heute ihren ganz spezifi schen Beitrag für den Erhalt einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die sich aus christlicher Sicht als ein bewährter Ort für die Entfaltung von Gemeinwohl und individuellem Leben begreifen lässt. Die Vermittlung von Kompeten- zen für die Begegnung mit zutiefst menschenfeindlichen extremistischen Gesinnungen ist eine Daueraufgabe der Bildung, auch abseits des aktuellen politischen Tagesgeschehens.

Politische Bildung in Deutschland

Wenn es um Bildung als Interventi- se Besonderheit geht in erster Linie auf Geschichte wurde mit ihr eine Orga- onsfaktor in der Auseinandersetzung die durch den Faschismus verführte Ju- nisation geschaffen, die sich bis heute mit einem mancherorts bereits alltags- gend und die nach dem Zweiten Welt- zentral der Stärkung von Demokratie- kulturell situierten Rechtsextremismus krieg forcierte Politik der Reeducation bewusstsein und -handeln der Bürge- geht, ist es in erster Linie die „politi- zurück.“1 rinnen und Bürger widmet.2 Speziell auf sche“ Bildung, die hier ihren beson- Bis heute ist es elementares staatli- dem Gebiet der politischen Jugendbil- deren Zuständigkeitsbereich fi ndet. ches Anliegen, die demokratische Er- dung ist es in Deutschland zudem der In Deutschland erscheint diese in der rungenschaft gegen Anfeindungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes, Doppelstruktur von schulischer und au- Inneren insbesondere aus dem rechts- der einen entscheidenden Faktor zur ßerschulischer Bildung als ein gut or- extremen Spektrum der Gesinnun- Förderung junger Menschen hinsicht- ganisiertes Feld der didaktisch ange- gen und Aktionen in der Gesellschaft lich ihrer „Mitwirkung an der Gestal- leiteten Erziehung insbesondere von zu schützen. Die in der Nachkriegszeit tung einer freiheitlich-demokratischen jungen Menschen zu einem Mehr an eingerichtete und beständig geförder- Gesellschafts- und Staatsordnung“ dar- Mündigkeit, Urteilsschärfung und Par- te Einrichtung der dem Bundesminis- stellt.3 Von den staatlich geschaffenen tizipation in politisch-demokratischen terium des Innern unterstellten Bun- Voraussetzungen für Bildung und Erzie- Angelegenheiten. Verglichen mit an- deszentrale für politische Bildung (bpb) hung als Widerstand gegen den Rechts- deren europäischen Ländern hat die po- zeigt, dass es der Staat bis heute ernst extremismus profi tiert schließlich auch litische Bildung in ihrer außerschuli- meint. Bereits in der Stabilisierungs- die katholisch-soziale Bildung. schen Gestalt in Deutschland gar eine phase der bundesrepublikanischen herausragende Stellung: „Die deutsche 1 staatliche Förderung von Fachorgani- Achim Schröder: Politische Jugendbildung, in: Benno Hafenegger (Hrsg.): Handbuch sationen, die politische Jugendbildung Außerschulische Jugendbildung. Grundlagen – Handlungsfelder – Akteure. Schwalbach/ Ts. 2011, S. 173–186, hier: 173. außerhalb der Schule in eigener Verant- 2 Zu nennen sind hier auch die Landeszentralen für politische Bildung. wortung durchführen, ist einzigartig.“ 3 http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/Pdf-Anlagen/richtlinien-kjp- Und der Grund hierfür liegt nahe: „Die- stand-april-2012,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf, Seite145.

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Katholisch-sozial orientierte politische Bildung tigen Werteerziehung zu verfolgen. In dieser Weise ist für diese die Ori- Dass die katholische Bildung in übernahme (Handlungskompetenz). entierung an Werten der Freiheit, der Deutschland als eine durchaus gewich- Die AKSB-Mitgliedseinrichtungen ha- Verantwortung sowie der Partizipa- tige Playerin formiert ist, die auf dem ben sich in ihren didaktischen Leitori- tion die leitende Grundintention. Und Weg der außerschulischen politischen entierungen zudem auf die Prinzipien zentral gerade in der Auseinanderset- Bildung das Anliegen verfolgt, Bür- des sogenannten „Beutelsbacher Kon- zung mit den extremistisch verengten gerinnen und Bürger die Aneignung senses“ aus dem Jahre 1976 verpfl ich- Weltbildern und der ihnen zutiefst in- vielfältiger Kompetenzen im Dienste tet, der für die Bildnerinnen und Bild- newohnenden Eindimensionalität be- der Demokratiesicherung zu ermögli- ner im Gegenüber zu den Bildungs- fürwortet katholisch-sozial orientierte chen, ist eine nicht selten verkannte zielgruppen ein Indoktrinationsverbot Bildung die Wertschätzung von Plura- Tatsache. In der praktischen, öffentlich ausspricht und zugleich die Realisie- lität und Diversität. Die Stärkung des geförderten Bildungsarbeit hat sie die rung der Prinzipien der Kontroversität individuellen Erkennungs- und Urteils- Möglichkeit, unter Wahrung ihres ganz sowie der Teilnehmerorientierung ein- vermögens sowie des zivilcouragier- eigenen Profi ls an der Prävention ge- fordert. Dieses besondere didaktische ten Eintretens gegenüber jener „grup- genüber der Entfaltung antidemokra- Erbe lässt sich nicht ohne den Hinter- penbezogenen Menschenfeindlichkeit“ tischer Tendenzen, wie sie im Extre- grund der besonderen deutschen Erfah- (W. Heitmeyer), die das gesellschaftli- mismus von rechts repräsentiert sind, rungen mit den Exzessen rechtsextre- che Wohl und die Würde des einzel- bildend mitzuwirken. Die 1952 gegrün- mistischer Gewaltherrschaft verstehen. nen Menschen gleichermaßen konter- dete Arbeitsgemeinschaft katholisch- Überdies macht es eine personen- kariert, fi ndet gerade in einer men- sozialer Bildungswerke in der Bundes- und lebensweltbezogene Didaktik dem schenrechtlich orientierten und hierbei republik Deutschland (AKSB), einer der Verständnis der katholisch-sozial ori- insbesondere pluralitäts- und diversi- großen Träger in der Landschaft au- entierten politischen Bildung zufolge tätsaffi nen Bildungskonzeption ihren ßerschulischer politischer Bildung in möglich, das Anliegen einer nachhal- basalen Ausgangspunkt. Deutschland, verdankt ihr Bestehen da- bei – wie auch die bpb – nicht von un- gefähr eben dem Ansinnen der Festi- „Kompetent gegen Rechts“ – ein Good-practice-Beispiel gung der Demokratie als Antwort auf die Katastrophe der NS-Diktatur des Die katholisch-sozial orientierte poli- hört heute zentral das Web 2.0, welches 20. Jahrhunderts. Dem Leitbild folgend, tische Bildung in Deutschland weist in den Bildungsakteurinnen und -akteu- das weitgehend auf den Kernprinzi- ihrer konventionellen Seminararbeit, ren das Hervorbringen gänzlich neuer pien der Christlichen Sozialethik be- die den Rechtextremismus zum thema- methodischer Ansätze für die Kompe- ruht, bieten die in der Arbeitsgemein- tischen Gegenstand hat, eine Vielfalt tenzschulung im Umgang mit Medien schaft zusammengeschlossenen rund von Methoden und Formaten auf. Die abverlangt. Und mehr noch: Web 2.0 60 katholischen Akademien, Bildungs- von den katholischen Akademien und begegnet heute nicht allein als blo- einrichtungen, Vereine und Verbände Einrichtungen organisierte Bildungs- ßes Medium. Es gleicht vielmehr ei- ein Veranstaltungsangebot im Semi- praxis etwa der historisch-politischen nem Kulturraum mit hoher soziali- nar- und Fortbildungsbereich, das sich Bildung will in ihrer Adressatenorien- sationsprägender Kraft, insbesondere gezielt der demokratischen Grundbil- tierung ein Erfahrungslernen ermögli- für die Menschen der jungen Genera- dung von Menschen aller Generatio- chen, das im persönlichen Erleben an tion, die als „digital natives“ täglich nen widmet. Lernorten durch den Besuch histori- in virtuellen Räumen navigieren und Dem didaktischen Anspruch nach scher Stätten oder auch durch das Ge- soziale Netze sowohl pfl egen als auch verfolgt die katholisch-sozial orientier- spräch mit Zeugen aus der national- neu erschließen. Dabei erweist es sich te politische Bildung das, was gemein- sozialistischen Zeit verwirklicht wird. als nicht unwahrscheinlich, an unter- hin als „Dreischritt“ der politischen Bil- Neben der historisch-politischen schiedlichen Knotenpunkten des sozia- dung grundgelegt ist. Die Bildnerinnen Bildung werden aber auch unkonven- len Netzwerkens auch mit solchen Ak- und Bildner zielen in der Bildungspra- tionell gänzlich neuartige Herausfor- teurinnen und Akteuren in Berührung xis auf die Vermittlung von Wissen derungen und Entwicklungen verhan- zu kommen, die das extremistische Ge- (Sachkompetenz), auf eine Schärfung delt, die sich als genuines Produkt der sinnungsspektrum der Gesellschaft re- von Urteilsfähigkeit (Urteilskompe- Gegenwartsgesellschaft erachten las- präsentieren und in einer gerade für tenz) sowie auf die praktische Partizi- sen und zugleich Chancen wie auch ei- junge Menschen oft nicht leicht er- pation in Form demokratieorientier- ne Reihe von Gefahren mit sich brin- kennbaren Weise diese mit demokra- ten Handelns bzw. Verantwortungs- gen. Zu diesen Herausforderungen ge- tiefeindlichem Gedankengut konfron-

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tieren. Studien von Jugendschutz.net schaft scheint ebenso dringlich, da sie sätzliches Problem, so ein weiteres Pro- oder no-nazi.net belegen den verstärk- kontaktnahe Bezugspersonen sind, sich jektergebnis, liegt nach wie vor darin, ten Einsatz der digitalen Medien sei- in vielen Fällen allerdings als zu wenig dass „Probleme mit Rechts“ an deut- tens rechtsextremer Gruppierungen zu „webaffi n“ erweisen und als ernstzu- schen Schulen nicht selten unerkannt strategischen Zwecken. nehmende Ratgeber aus Sicht der Ju- und in den Schulen selbst zuweilen so- Die innerhalb dieses medialen Kon- gendlichen ausscheiden. Ein grund- gar bagatellisiert werden. textes damit angewachsenen Gefähr- dungen durch Verbreitung antide- mokratischer Gesinnungen haben im Perspektiven katholischer Bildung vergangenen Jahr katholische Bil- dungseinrichtungen zum Anlass ge- Der thematische Zusammenhang von Vermittlung von Kompetenzen ange- nommen, um neben der konventio- Web 2.0 und Rechtsextremismus in den wiesen sind, um den Lockrufen vonsei- nellen Seminararbeit zum Thema Angeboten der katholisch-sozial orien- ten rechtsextremistischer Gruppierun- Rechtsextremismus ein Projekt mit tierten politischen Bildung für Schü- gen kompetent begegnen zu können. bundesweiten Beteiligungsstrukturen lervertretungen in SV-Formaten hat Letztlich bleibt aber auch die katho- zu realisieren.4 Unter dem Titel „Ju- vor dem Hintergrund der öffentlichen lische Erwachsenenbildung nach wie gend im Web 2.0: Kompetent gegen Diskussion nach Bekanntwerden des vor ein wichtiges Feld für die intensi- Rechts“ wurden mit der Zielgruppe der Bestehens rechtsterroristischer Zellen ve Beschäftigung mit den Ideologien Jugendlichen in Schülervertretungen an zusätzlicher Relevanz gewonnen. und organisierten Kräften antidemo- und Jugendverbänden Web-2.0-basier- Gleichwohl versteht die katholisch-so- kratischer, menschenfeindlicher Aus- te und gegen Rechtsextremismus ge- zial orientierte politische Bildung ihren richtung. Angesichts steigender wirt- richtete Strategien sondiert und prak- Einsatz gegen antidemokratische Ge- schaftliche Sachzwänge wird es Auf- tisch operationalisiert. Die Realisierung sinnungen, eingedenk historischer Er- gabe der katholisch-sozial orientierten erfolgte wiederum durch gezielt konzi- fahrungen, als eine Kern- und Dauer- politischen Bildung sein, ihre Kräfte in pierte Bildungsseminare, in denen die aufgabe. Die Seminarpraxis wie auch ihrem Engagement auf dem Themen- Vermittlung von Medienkompetenz im Projektdurchführungen in der darge- feld noch stärker zu bündeln als zuvor Hinblick auf das Social Web bei gleich- stellten Weise zeigen, dass katholische und weiterhin in den Dienst des Schut- zeitiger Förderung der Auseinander- Akademien und Einrichtungen der zes einer Gesellschaftsordnung zu stel- setzung mit Rechtsextremismus sowie politischen Bildung in Deutschland auf len, in der unabhängig von Herkunft, des Engagements gegen diesen ermög- dem Gebiet der Auseinandersetzung Geschlecht und sozialer Lage jedem licht wurde.5 mit einem zurzeit verstärkt öffentlich Menschen reelle Chancen für ein ge- Wie das Projekt gezeigt hat, ist das wahrgenommenen Rechtsextremismus lingendes Leben eröffnet werden. Das Web 2.0 als virtueller, in das reale Le- in unterschiedlicher Weise tätig sind, ist ein unaufgebbarer christlicher Auf- ben hinein aber durchlässiger Raum zu den Fokus des Engagements aber stets trag, von dem die gesamte Gesellschaft verstehen, der große Relevanz im All- schärfen müssen. Es ist zunächst sinn- profi tiert. tagsleben insbesondere junger Men- voller Weise die politische Jugendbil- schen hat und in dem sich ein inten- dung, die hier die vielversprechendsten Autor: Dr. Boris Krause, Referent für sives Ringen um soziale Anerkennung Ansatzpunkte für die Arbeit der poli- politische Bildung bei der AKSB. Nä- ereignet. Web 2.0 ist für viele Jugendli- tischen Bildnerinnen und Bildner lie- heres unter www.aksb.de che also unverzichtbar. Wie sich zeigt, fert. Schülervertretungen etwa, die sich fällt es ihnen, wenn sie Stellung gegen- durchaus als „Schulen der Demokra- über denen innerhalb dieses Raumes tie“ verstehen lassen, können als eine begegnenden rechtsextremistischen wichtige Zielgruppe der Bildungsarbeit Denkmustern beziehen sollen, aller- zum Thema Rechtsextremismus ausge- dings nicht leicht, zwingende Argu- macht werden. Gleiches gilt aber eben- mente zu entwickeln und zu artikulie- so für sozial benachteiligte Jugendli- ren. Eine intensive Auseinandersetzung che, die in besonderer Weise auf die mit den Grundsätzen der Demokratie 4 bleibt damit ein dringendes Desiderat Ludwig-Windhorst-Haus (Lingen), Akademie Klausenhof (Hamminkeln), Bonifati- der Bildung, die sich aber nicht nur an ushaus (Fulda), Franziskanisches Bildungswerk e. V. (Großkrotzenburg), Heinrich-Pesch- Haus (Ludwigshafen), Caritas-Pirckheimer-Haus (Nürnberg), Jugendbildungsstätte der KAB Schülerinnen und Schüler zu richten und CAJ gGmbH (Waldmünchen) und Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal hat. Eine stärkere Sensibilisierung ins- (Ostritz). besondere bei der Lehrer- und Eltern- 5 Weitere Informationen auf der Webseite des Projektes wir-bewegen-schule.de

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Umschau

Rechtsextremismus in osteuropäischen Ländern Zeitschriftenlese OST-WEST Europäische Perspektiven, Heft 3/2012

Bricht die Mitte weg? Diese Frage stellt sich die neue Ausgabe von OST-WEST un- ter dem Schwerpunktthema „Rechtsextremismus in Mittel- und Osteuropa“. In Zei- ten des Wandels und der Krisen melden sich nicht nur die zu Wort, welche den Fort- schritt mitgestalten und die Krisen konstruktiv bewältigen wollen, sondern auch solche, die angesichts derartiger Veränderungen einen destruktiven gesellschafts- politischen Revisionismus propagieren. Drohende Staatspleiten, milliardenschwere Rettungspakete, Arbeitslosigkeit und soziale Not angesichts immer härterer Spar- maßnahmen – die Eurokrise lässt Fragen um die Zukunft Europas entstehen. Ant- worten auf diese Fragen formulieren vermehrt auch rechtsextreme Parteien, die sich am rationalen Diskurs nicht beteiligen, sondern damit auf Stimmenfang gehen, dass sie Europa eine gemeinsame Zukunft absprechen und die Vision Europa verneinen.

n der Ablehnung rationaler Diskur- den Beitrag. Begriffe wie Faschismus, Ise und der gleichzeitigen Betonung Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Na- autoritärer Kommunikationsformen tionalismus oder Autoritarismus sind drückt sich ein Aspekt rechtsextre- also nicht Synonyme, sondern Facet- mer Ideologie aus: Gewaltakzeptanz. ten des Begriffs Rechtsextremismus. Gewalt ist in ihr als Konfl iktlösungs- Realität ist Rechtsextremismus in Beitrag Unterschiede und Gemein- strategie anerkannt. Verbunden mit der Ost- wie Westeuropa gleichermaßen. samkeiten rechtsradikaler Erschei- Ablehnung der Vorstellung, dass alle Ob die FPÖ in Österreich (17,5 %), Job- nungen in Ost- und Westeuropa. Ei- Menschen gleichwertig sind, ergibt sich bik in Ungarn (16,7 %) oder die Partei ne Gemeinsamkeit ist die Bestimmung ein Ethnozentrismus, der Minderheiten für die Freiheit in den Niederlanden der Zugehörigkeit über den als eth- gewaltsam auszugrenzen sucht. Doch (15,5 %) – jede dieser Parteien konnte nisch homogen defi nierten „Volkskör- diese Ungleichwertigkeitsvorstellung genug Stimmanteile auf sich vereinigen per“ und die folgerichtige Ausgrenzung steht im Rechtsextremismus nicht im um ins jeweilige nationale Parlament alles Anderen und Fremden. Die eigene Singular, sondern im Plural: „Rechts- einzuziehen. Doch auch wenn alle diese Zukunft wird in der Vergangenheit ge- extremismus kann man als ein mehr- Parteien und ihre Anhänger als rechts- sucht: „Die Akteure beschwören etwas dimensionales Einstellungsmuster be- extrem bezeichnet werden, unterschei- angeblich Vergangenes, eine ethnisch zeichnen, das sich aus Menschen- und den sie sich in ihrer jeweiligen Agen- und religiös homogene Gesellschaft, Gesellschaftsbildern zusammensetzt, da, betonen jeweils andere Aspekte der die es freilich in der Realität nie gab.“ in denen verschiedene Vorstellun- rechtsradikalen Ideologie. Die Komple- (173) Schellenberg bezeichnet dieses gen von Ungleichwertigkeit enthalten xität des Begriffs erlaubt eine ganze Phänomen als „regressive Utopie“. Na- sind. Diese beruhen auf einer ganz- Reihe verschiedener Erscheinungsfor- tionale Identität gegen multikulturelle heitlichen Weltsicht.“ (169) So schreibt men rechtsextremer Ideologie. Britta Gesellschaft. Unterschiede macht die Stefan Borrmann in seinem einleiten- Schellenberg dokumentiert in ihrem Autorin vor allem darin aus, dass die

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osteuropäische Rechte zwar weniger die Stabilität einer Politik, die kein Zweidrittelmehrheit regiert, noch wei- organisiert, gleichzeitig aber wesent- Interesse an einer Verringerung oder ter nach rechts“ (196). Dabei handelt lich gewaltbereiter ist als ihr westeu- Überwindung dieser Ungleichstellung es sich bei ihm um einen Politiker, der ropäisches Pendant. Dazu passt eine durch Bildung, Aufklärung und Qua- nationalistischen Parolen schon vor- starke Ausprägung des subkulturellen lifi kation hat“(185). Die Nationalisten her nicht abgeneigt war. Die unga- Milieus, das oft auch als Transportve- suchen währenddessen das Problem rische Regierung betreibt eine Poli- hikel für rechtsextreme Organisations- nicht in der Gesellschaft, sondern bei tik des Geschichtsrevisionismus. Da- formen und Ideen dient: „Es zeichnet den Roma selbst und geben ihnen die mit verbunden ist auch die Abwendung sich durch lose Strukturen und ein ho- Schuld an ihrer Misere. Die ca. 38 Pro- von Europa. „Wir werden keine Kolo- hes Gewaltpotenzial aus“ (172). Wäh- zent der bulgarischen Bevölkerung, die nie sein“ zitiert Ozváth den ungari- rend rechte Parteien in westeuropäi- sich dafür aussprechen die Roma aus- schen Premier in diesem Zusammen- schen Staaten mit nahezu durchgehen- zusiedeln, scheinen ähnlicher Auffas- hang. Die Frustration in der Krise sorgt der demokratischer Tradition vorgeben, sung zu sein. bei der rechtsextremen Jobbik für Zu- die eigentlich wahren Demokraten zu In der Minderheit befi nden sich lauf. In der Hoffnung diese potenziel- sein und allenfalls die parlamentari- die Roma auch im Kosovo. Auch hier len Wähler einzufangen, wird auch der sche liberale Demokratie ablehnen, ist sind sie Vorurteilen und Diskriminie- Ton der Regierungspartei schärfer. Da- die osteuropäische Rechte „häufi g per rung ausgesetzt wie Jeton Neziraj be- zu gehört u. a. offener Antisemitismus: se antidemokratisch“ (177). Zielgrup- richtet. Im albanisch-serbischen Kon- Orbán diskriminiert Juden als „Fremd- pe der rechten Parteien sind, besonders fl ikt gerieten die Roma zwischen die herzige“. Und so lautet die Einschät- im postkommunistischen Osteuropa, Fronten, insbesondere, weil viele von zung des Autors: „Die Rechte ist über- die relativen Verlierer gesellschaftli- ihnen unter Milosevic von der Diskri- mächtig“ (201). cher Veränderungsprozesse. minierung der Serben profi tiert haben: Auch im Nachbarland Rumänien Dass sich der Hass dieser soge- Nach der Vertreibung vieler Albaner ist es der Hass auf Minderheiten, ins- nannten Verlierer aber nicht unbe- von ihren Arbeitsplätzen wurden einige besondere auf Roma und Ungarn, so- dingt gegen die Gewinner, sondern davon mit Roma besetzt und auch ser- wie auf den Multikulturalismus und die oft gegen die noch größeren Verlierer bische Milizen rekrutierten Roma. Des- EU, welcher die rechtsextremen Partei- richtet, zeigt die soziale Marginalisie- halb gelten sie großen Teilen der alba- en und Organisationen eint. Allerdings rung der Roma in Bulgarien. Die so- nischen Bevölkerung als „Handlanger ist die Rechte im politischen Rumäni- ziale Realität, die Dimitar Denkov in des serbischen Extremismus“ (189). Ein en längst nicht so etabliert wie sie es seinem Beitrag beschreibt ist erschre- Vorurteil, das sich auch unter kosova- in Ungarn ist. Die Organisation Noua ckend: Während bereits 24 Prozent der rischen Intellektuellen fi ndet. Dreapta () „defi niert sich Bevölkerung in Bulgarien unter der Ar- „Diese Rasse muss man hier in ein […] als eine euroskeptische Gegnerin mutsgrenze von 101 € pro Monat le- paar Tagen durch den Fleischwolf dre- des Multikulturalismus und der NATO“ ben, müssen 84 Prozent der Roma mit hen“ (198). So äußerte sich der ungari- (221). Zusammen mit einer weiteren ul- einem Euro oder weniger pro Tag aus- sche Kommunalpolitiker Oszkar Juhász tranationalistischen Organisation gibt kommen. Auf dem Land sind 35–50 von der Partei Jobbik über die Roma, es seit 2011 den Plan zur Schaffung ei- Prozent der Roma arbeitslos und selbst die in Ungarn die größte Minderheit ner entsprechenden Partei. Er ist bis- in Sofi a, wo die Arbeitslosenquote nur stellen. Bei den Wahlen 2010 erhielt her allerdings nicht umgesetzt wor- 3–4 Prozent beträgt, sind 30 Prozent, seine Partei 17 Prozent der Stimmen den. William Totok konstatiert in sei- das heißt ungefähr 18.000 Roma, ohne und ist damit im nationalen Parlament nem Beitrag: „Die […] rechtsextremen Arbeit. Dies treibt die Roma mehr und vertreten. Es ist eine Partei aus deren Parteien sind untereinander allerdings mehr an den Rand der Gesellschaft und Umfeld Leute kommen, die Roma aus heillos zerstritten […] Die ‚Führer‘ sol- auch in die Kriminalität. In der Folge rechtsextremer Überzeugung ermor- cher rechtsextremer Gruppierungen er- bleibt die Minderheit unter sich, Inte- det haben. Man möchte meinen, dies heben eifersüchtig den Anspruch dar- gration wird „aufgrund eines fehlenden seien extremistische Randerscheinun- auf, allein die Ideale der rumänischen gemeinsamen Arbeits- und Alltagsle- gen, wie in Deutschland die NPD ei- Nation zu vertreten“ (220). Die Gefahr bens unmöglich“ (184). Das wird be- ne ist, und es habe nichts gemein mit sieht der Autor bisher nicht so sehr im sonders deutlich wenn man den Blick den Überzeugungen der politischen politisch recht schwachen Rechtsextre- auf das Bildungssystem richtet: 20,5 Führung und der Mehrheit des Vol- mismus, sondern eher darin, dass na- Prozent der Roma haben nie eine Schu- kes. Doch, so Stefan Ozsváth in sei- tionalistische Rhetorik auch zum wahl- le besucht, gut die Hälfte hat nur einen nem Artikel, „die Rechtsextremen trei- taktischen Repertoire demokratischer Grundschulabschluss. Ein solch gerin- ben Viktor Orbán, den national-kon- Parteien gehört – dies kann die De- geses Bildungsniveau „garantiert […] servativen Ministerpräsidenten, der mit mokratie unterminieren.

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Zu Zeiten der UdSSR wurden jeg- schen. Dieses seinem Sinn und seiner sinnvoll und folgerichtig bemerkt An- liche nationalistischen Gruppierungen Struktur nach archaische Prinzip wur- na Tatar in ihrem Artikel: „Die Kennt- in der Ukraine vom KGB und vom In- de prägend für die neue Identität des nis dieses wichtigen sozialen Problems nenministerium sofort zerschlagen. postsowjetischen Menschen“ (226). in Polen ermöglicht Maßnahmen, um Während der zwei ersten Jahrzehn- Diese Vorstellung von der Besonder- Diskriminierung und Intoleranz entge- te nach dem Zerfall der Sowjetunion heit des Eigenen stärkt den Eindruck genzuwirken, sowie positive Einstel- blieben rechtsextreme Gruppierungen von der Andersartigkeit des Fremden lungen wie etwa Toleranz und Offen- eine Randerscheinung ohne Relevanz und beinhaltet dessen Exklusion. Über heit gegenüber Fremdheit und Multi- bei nationalen Wahlen. Aber seit dem die Jahre entwickelte sich daraus eine kulturalität zu fördern“ (211). Ende des letzten Jahrzehnts werden sich immer weiter verfestigende Xe- Bricht die Mitte also weg? Das lässt auch Erfolge der Rechten sichtbar. So nophobie in Russland: „Die Xenopho- sich so verallgemeinernd nicht sagen, gewann die ultranationalistische Par- bie ist […] Syndrom einer stagnieren- dennoch bleibt der Rechtsextremismus tei Svoboda (Freiheit) 2009 bei Regio- den Gesellschaft, in der die Autoritä- eine Gefahr, die es zu beobachten gilt. nalwahlen in einem Westukrainischen ten, die Idealvorstellungen und Ziele, Der Gründungsvertrag der EU wurde Bezirk mit 34,7 Prozent der Stimmen die Hoffnungen auf die Zukunft feh- beschlossen „in dem Wunsch, die So- und stellt damit 50 der 120 Abgeord- len. Sie stellt die primitive Form eines lidarität zwischen ihren Völkern unter neten. Noch ist keine rechtsradika- konservativen Selbstschutzes dar, ei- Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur le Partei im ukrainischen Parlament nes Wiederstandes gegenüber der Mo- und ihrer Traditionen zu stärken“, so vertreten, ob sich das bei den nächsten dernisierung […]“. (232) steht es in der Präambel. Es gilt stets Wahlen ändert, bleibt abzuwarten – so Rassismus, Faschismus, Nazismus, diese Solidarität in Europa zu erhalten die Autoren Anton Shekhovtsov und Antisemitismus und Homophobie – in und gegen Extremismus zu verteidigen, Andreas Umland. diesen Kategorien erfasst der Verein wie Uwe Backes im Interview am Ende In Russland, dem „großen Bruder“ „NIGDY WIECEJ“ („Nie wieder“) Straf- des Heftes feststellt: „Die Auseinander- der bisher angesprochenen Staaten, taten mit fremdenfeindlichem und setzung mit [dem Rechtsextremismus] gibt es derweil eine wachsende Frem- rassistischen Hintergrund in Polen. stellt aller Erfahrung nach eine gesell- denfeindlichkeit. Für Natalja Zorka- In Ermangelung einer entsprechenden schaftliche Daueraufgabe dar.“ (237) – ja hat die Sowjetepoche daran einen staatlichen Institution beobachtet und gerade in Zeiten der Krise. wesentlichen Anteil. Eine ihrer wich- katalogisiert der Verein entsprechende tigen Folgen ist „ein bis heute aus- Vorfälle systematisch. Man muss das Christian Willmes, Heidelberg schlaggebendes Massen- oder Kollek- Problem kennen, um darüber reden zu tivbewusstsein des russischen Men- können. Deshalb ist eine solche Arbeit

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Verfassung ohne Grund?

Essen, Georg (Hg.): Verfassung ohne sind Entscheidungen, Aussagen oder FAZ-Redakteur Christian Geyer und äu- Grund? Die Rede des Papstes vor dem Texte von Papst Benedikt Gegenstand ßert sich sehr kritisch gegenüber dem Bundestag. Freiburg im Breisgau: Herder der Debatte in diesen Bänden; diesmal von Benedikt vertretenen Naturrechts- 2012, 278 S., ISBN 978–3–451–30576–4. ist es dessen Rede vor dem Deutschen ansatz, die andere kommt aus der Fe- Bundestag am 22. September 2011. Das der von Otto Kallscheuer und ist gera- Der Dogmatiker Georg Essen hat ein wei- Buch enthält nach dem Wortlaut der Re- dezu euphorisch positiv, nicht nur im teres Bändchen in der durchaus hilfrei- de zunächst zwei geringfügig überarbei- Hinblick auf die Bundestagsrede, son- chen Reihe „Theologie kontrovers“ bei tete, eher feuilletonistische Ad-hoc-Re- dern auf den gesamten Deutschland- Herder herausgegeben. Immer wieder aktionen auf diese. Die eine stammt vom besuch des Papstes. Grund für das Lob

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bietet gemäß Kallscheuer nicht nur die thal, wodurch ihre Interpretation letztlich performative Anerkennung demokrati- unter der Hand doch wieder in offen- scher Institutionen, sondern die Bezug- barungstheologische Abhängigkeit ge- nahme auf die allgemeine Grundvoraus- rate. Schelkshorn vermutet schließ- setzung einer freiheitlichen Verfassung, lich sogar, der Papst könne sich mit den die in Menschenwürde und Menschen- Grundprinzipien demokratischer Willens- rechten besteht. So weit so gut; wenn- bildung nicht wirklich anfreunden, weil gleich wir innerkirchlich ein halbes Jahr- diese für ihn zu nahe am Relativismus lie- hundert nach dem Zweiten Vatikanischen gen. Auch Martin Rhonheimer stellt fest, Konzil offenbar schon einigermaßen be- dass der Papst zwar nicht direkt zum Aus- scheiden geworden sind, dies als positive druck bringt, dass doch wieder „die Legi- Überraschung zu feiern. timität demokratisch-parlamentarischer Der Teufel steckt aber bekanntlich im Rechtssetzung an kirchlich gelehrte Kri- Detail und das wurde offenkundig erst terien von Moral und Naturrecht zurück- bei gründlicher Relektüre des Redetex- gebunden werden” (76) soll, dies durch tes eingehender refl ektiert. So wurden seine Ausführungen aber eben auch nicht nach und nach auch kritische Stimmen wirklich ausgeschlossen wird. Dennoch geäußert, nachdem zunächst „Die Zeit“ kommt er letztlich wohl zur positivsten bündig resümiert hatte: „Selbst Päpste Lesweise der Bundestagsrede im vorlie- können vernünftig sein”. Die starke Be- genden Band, indem er betont, es gehe tonung der Vernunft schien einer An- auch in der Geschichte der Kirche schon darin nicht eigentlich um eine Kritik an sprache vor den Mandataren eines demo- so manches gerechtfertigt; etwa auch ei- demokratischen Rechtsfi ndungsprozes- kratisch gewählten Parlamentes bestens ne Ablehnung der Demokratie. Ganz all- sen, sondern primär um den Hinweis auf angemessen. Gerade der konkret verwen- gemein wird die „Natur rechtlich zu re- die Hintergrundkultur, die alle politischen dete Vernunftbegriff steht nun aber wie- gelnder Gegenstände in vielen Fällen un- Prozesse trägt. Freilich ließe sich auch derholt im Fokus der Auseinandersetzung terschiedlich interpretiert” (92), wodurch dieser Begriff nochmals problematisie- des vorliegenden Bandes; denn was damit die Frage nach einem festen Boden, auf ren, vor allem, wenn man danach fragt, genau gemeint ist, kann – ebenso wie die dem Rechtsetzung stehen kann, ledig- ob es denn in dieser Hintergrund- auch Rede von Natur – von Fall zu Fall doch lich verschoben aber nicht gelöst wird, eine Leitkultur gibt oder geben soll. noch einmal sehr verschieden sein. wie Judith Hahn zeigt. Die Beiträge von „Verfassung ohne Werfen wir somit einen Blick auf Zustimmung fi ndet die Kritik Bene- Grund?” würdigen in respektvoller Weise die acht weiteren, von TheologInnen dikts an einem naturwissenschaftlich das Anliegen des Papstes, sprechen aber und PhilosophInnen verfassten Beiträ- eingeengten Vernunftbegriff. Auch die auch offen über die konzeptuellen Män- ge. Begreifl icherweise gibt es in den Tex- Diagnose, dass Demokratie dann in ei- gel des in seiner Rede zum Ausdruck kom- ten Überschneidungen und ähnliche Ar- ne prekäre Lage gerät, sobald ihre nicht menden Denkansatzes. Das Kircheno- gumente, doch aber auch eine bunte Viel- disponiblen Fundamente in Frage ge- berhaupt will den freiheitlich-säkularen falt von Gedanken und Anmerkungen, stellt werden, teilen die Kommentato- Rechtsstaat auf normative Fundamente die durchgehend sehr sachlich und aus- rInnen größtenteils, ebenso wie das An- gestellt sehen, die nicht durch die Ver- gewogen präsentiert werden. Vermieden liegen, darauf hinzuweisen, dass positiv schiebung von Machtverhältnissen belie- wurde also glücklicherweise die Inszenie- gesetztes Recht nicht immer Gerechtig- big verändert werden können. Der Papst rung einer krampfhaften Kontroverse von keit zum Ausdruck bringt. Der in der Re- scheitert am Entwurf solcher Fundamen- Extrempositionen. Am polemischsten ist de entwickelte Lösungsansatz für die an- te auf der Grundlage universaler Vernunft noch der Artikel von Rudolf Langthaler gezeigten Probleme stößt aber auf we- letztlich aber, weil er, wenn schon keinem geraten, der sich nicht nur an der seines nig Zustimmung. Mit großer Präzision offenbarungstheologischen, so doch zu- Erachtens undifferenzierten und unbe- und analytischer Schärfe decken etwa mindest einem schöpfungstheologischen rechtigten Aufklärungskritik des Papstes Christoph Hübenthal und Hans Schelks- Ansatz folgt. Ist vom Bischof von Rom stößt, sondern auch den Mangel an phi- horn die Unstimmigkeiten des ins Treffen aber denn wirklich eine andere Argumen- losophischer Tragfähigkeit des in der Re- geführten Naturrechtsansatzes auf. „Wie tation zu erwarten? Eigentlich nicht, hät- de zur Normenbegründung herangezo- man es auch dreht und wendet, norma- te er solche Erwartungen nicht selbst in genen Naturbegriffs darlegt. Damit ist ein tive Eigenschaften der Natur erweisen seiner Rede geweckt. Leider geht auch wunder Punkt getroffen, der bereits im sich bei allen möglichen Betrachtungs- der Kommentarband m. E. zu wenig auf Vorwort des Herausgebers thematisiert weisen als äußerst merkwürdige onto- das ein, was die eigentlich spannende wird: Gerade im Namen der Natur wurde logische Entitäten” (113f) meint Hüben- Frage wäre, die Parlamentarier an den

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Papst stellen könnten: Wie steht denn se eingebracht, die konkurrierende Gel- der freilich lediglich ein subjektiver Kon- ein gläubiger Christ als gläubiger Christ, tungsansprüche, die aus anderen Reli- sens ist und von den tatsächlich vorhan- der seinen Glauben ja nicht an der Gar- gionen und Weltanschauungen erwach- denen gemeinsamen Auffassungen be- derobe des Bundestages abgeben kann, sen, respektiert” (211). Diesen Respekt, stimmt wird“ (197). In einer Kirche, die zum freiheitlich-säkularen Rechtsstaat? der mehr als Toleranz ist, theologisch zu gesellschaftliche Pluralität wirklich ak- Am ehesten versucht noch Thomas Sö- fundieren und ihn den politischen Vertre- zeptiert, wenn schon nicht liebt, würde ding eine genuin christlich-theologische tern eines liberalen, religiös nicht gebun- es ihrem Oberhaupt im Grunde besser Begründung von Demokratie und pluraler denen Staates zuzusichern, ist der Papst anstehen, vor einem Parlament darzu- Rechtsstaatlichkeit, allerdings wird die- schuldig geblieben, und auch der in sei- legen, welche guten Argumente für De- se zu wenig als kritische Weiterführung ner kritischen Analyse durchaus lesens- mokratie sich aus dem eigenen Glauben und zu sehr als Interpretation der Papst- werte Diskussionsband hätte hier etwas ergeben, um dann aufzuzeigen, wie man rede selbst präsentiert. Man fragt sich mehr leisten können. diesen eigenen Glauben in das Gespräch daher mitunter, wo Söding seine inhalt- Man mag sich daher abschließend und das Ringen um einen gemeinsamen lich treffenden Argumente bei Benedikt fragen, ob wir denn wirklich schon in Weg einbringen will und kann. Beides hat zu fi nden vermag. Ein Großteil der an- der Realität des Pluralismus angekom- Papst Benedikt nicht thematisiert, viel- deren Kommentare bleibt bei Fundierun- men sind: Wir, die Kirche, aber auch wir, mehr hat er versucht der Gesamtgesell- gen des Rechtsstaates mit transzenden- die europäischen Gesellschaften. In ei- schaft zu sagen, wo sie die Basis gemein- talpragmatischen und diskursethischen ner wirklich pluralistischen Gesellschaft samer Weltgestaltung zu suchen hat. Of- Mitteln. Das sind zweifellos berechtigte müsste wohl auch der Vernunftoptimis- fenbar, so drückt es Hans Schelkshorn im und treffende Ansätze, wenngleich auch mus der Mehrzahl der AutorInnen die- Buch aus, „versteht der Papst seine An- diese nur das prozedurale Gerippe einer ses Bandes und mit ihm der vorausge- sprache weniger als einen Beitrag für ei- Ordnung entwerfen, die immer erst mit setzte Gerechtigkeitsbegriff etwas rela- ne öffentliche Debatte, sondern eher als der Vielfalt inhaltlich gefüllten Wertvor- tiviert werden in dem Sinn, dass wir ihn eine autoritative Belehrung” (143). Das stellungen und Wahrheitsansprüche zu als inhaltlich gefüllten, doch nicht ein- soll Benedikt keineswegs als böse Absicht bekleiden ist. Ein solcher Wahrheitsan- fach vorgegeben haben – auch nicht auf unterstellt sein, ergibt sich aber beinahe spruch ist der christliche, der als mora- Verfassungsebene –, sondern dass wir nur notwendig aus einem Denkkonzept, in lischer Anspruch gilt, der für die Gläu- miteinander nach dem immer Gerech- dem katholische Theologie nicht nur als bigen nicht beliebig ist, wie Tine Stein teren suchen können. Dann gilt eben, vernunftgemäß, sondern geradezu als mit festhält, wenngleich natürlich gilt: „Er wie Essen schreibt, dass der Staat „seine Vernunft identisch erscheint; dann näm- wird in der Demokratie von den gläubigen normativen Grundlagen nur im aktuel- lich ist das apostolische Lehramt auch ei- Bürgerinnen und Bürgern in einer Wei- len Konsens der Bürger zu fi nden scheint, ne Autorität der säkularen Rationalität. Wilhelm Guggenberger, Innsbruck

Entweltlichung der Kirche?

Erbacher, Jürgen (Hg.): Entweltlichung Die Autorinnen und Autoren unter- deren positiven Intentionen und Bedeu- der Kirche? Die Freiburger Rede des Paps- scheiden sich in ihrer (kirchlichen) Stel- tungsgehalten. So lässt der Band ein zwar tes (THEOLOGIE KONTROVERS), Freiburg/ lung, ihren Perspektiven und Intentionen breites, aber nicht das gesamte Spektrum Basel/Wien: Herder, 260 S., ISBN 978–3– stark. Trotzdem sind wichtige Überein- der Reaktionen auf die Konzerthausre- 451–30577–1. stimmungen nicht zu übersehen. Alle Bei- de sichtbar werden. Eine unkritische Zu- träge bezeichnen den Begriff „Entweltli- stimmung zu Benedikts Forderung fi ndet Immer wieder hält Benedikt XVI. Reden, chung“ als vieldeutig und damit missver- sich in ihm ebenso wenig wie Positionen, die im Gedächtnis bleiben, weil sie ver- ständlich. Sie halten ihn auch für mehr die den Text ablehnend zur Seite legen. stören. So auch am 25. September 2011 oder weniger unglücklich. Alle sind sich Die durchweg prägnanten und gut im Freiburger Konzerthaus, wo er nach- darin einig, dass der Papst mit der Re- lesbaren Beiträge lassen sich zwei Grup- drücklich eine „Entweltlichung“ der Kir- de keine konkreten Anweisungen – et- pen zuordnen. Die einen fragen vorrangig che forderte. Seitdem wird, vor allem in- wa zum deutschen Kirchensteuersystem – nach den möglichen praktischen Konse- nerkirchlich, heftig darüber diskutiert, geben wollte. Es sei ihm um eine grund- quenzen der vom Papst eingeschärften was dieser Begriff bedeuten mag und sätzliche Orientierung für das Verhältnis Trennung von Kirche und Welt (1). Die was von ihm zu halten sei. Vorliegender der Kirche zur Welt gegangen. Schließlich anderen setzen sich vor allem mit die- Band versammelt zwanzig Interpretati- verbindet alle die Auffassung, dass die Re- ser Unterscheidung selbst kritisch aus- onsversuche und Stellungnahmen. de zu denken gebe, und sie suchen nach einander (2).

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(1) Die deutsche Kirche unterscheidet ses Denken gewichtige Einwände (Höhn, sich in der Organisation und Professio- Kaufmann, Ebertz, Striet, Hoff, Thierse). nalisierung ihrer Dienstleistungen struk- Deren grundlegender Einwand verdankt turell wenig von nichtkirchlichen Orga- sich einer philosophischen Refl exion: Aus nisationen und ist nicht zuletzt deshalb der dem Menschen allein zugänglichen hoch effektiv. Die dadurch gesicher- Perspektive der Immanenz ist ein Bezug te Handlungsfähigkeit etwa der Caritas zur Transzendenz nur in immanenter steht nicht notwendig im Gegensatz zu Form möglich (144): in Gestalt mensch- dem vom Glauben motivierten und ge- licher Rede und menschlichen Handelns. prägten Einsatz der Kirche für die Welt Eine absolute Transzendenz kann weder und in der Welt. Sie ermöglicht und er- von der Welt erreicht werden noch die leichtert diesen auch. So argumentieren Welt erreichen. Deshalb ist für die christ- mehrere Beiträge und weisen deshalb ei- liche Theologie der Glaube zentral, dass ne Interpretation der Papstrede zurück, Gott die von ihm unterschiedene Welt die einen Verzicht der Nutzung „weltli- aus Liebe geschaffen hat und in Liebe cher“ Mittel für „kirchliche“ Zwecke for- mit ihr verbunden bleibt. Die Christolo- dert (Neher, Nothelle-Wildfeuer). Auch in gie übernimmt die anspruchsvolle Aufga- einer anderen Hinsicht ist die Kirche eine be, die „unvermischte und ungetrennte“ „weltliche“ Kirche. Sie und ihre Mitglieder Vermittlung von Immanenz und Trans- sind Teile der und Akteure in der Zivilge- zendenz, von Gott und Welt zu denken. sellschaft. Sie können und müssen sich Statt aber im Anschluss an Lumen Gen- an deren Gestaltung beteiligen – unter andere Beiträge mit der ihr zugrundlie- tium (8.1) auch analog von der Kirche zu den Rahmenbedingungen eines säkularen genden Unterscheidung von Kirche und denken, wählt Benedikt die dualistische Staates und einer weltanschaulich plura- Welt. Recht leicht lässt sich die Sorge Entgegenstellung der realen Kirche zur len Gesellschaft. Verschiedene Beiträge zerstreuen, Benedikt XVI. rate der Kirche als gegenkirchlich defi nierten Welt, ge- des Bandes würdigen die große Bedeu- zur Weltfl ucht. Durch den Bezug auf an- nauer: Gesellschaft. Wie hoch problema- tung der gesellschaftlichen Teilhabe der dere Texte – vor allem Joseph Ratzingers tisch dieser Schluss ist, zeigt sich nicht Kirche. Sie weisen eine dagegen gerich- Beiträge zur Ekklesiologie von 1969 und zuletzt am missglückten Versuch Bene- tete „Entweltlichung“ entschieden zurück die Enzyklika Benedikts XVI. „Deus caritas dikts, in dieses Schema einen Verweis auf (Glück, Höhn, Thierse, Kues, Kretschmann, est“ – machen verschiedene Autoren dar- die Missbrauchsfälle in der katholischen Rupert/Valachanow). auf aufmerksam, dass für den Papst die Kirche einzufügen (154). Der von den hier summarisch cha- Verantwortung der Kirche für die Welt Der Verzicht auf einen solchen Dua- rakterisierten Beiträgen herausgestell- außer Frage steht (Kasper, Erbacher, Ring- lismus aber ist nicht gleichbedeutend mit te Nutzen der „Weltlichkeit“ der deut- Eifel). Sie hat den Menschen innerhalb dem Verzicht auf jegliche Differenzie- schen Kirche ist zweifellos wertzuschät- und außerhalb der Kirche ein Zeugnis der rung. Die für die Kirche und die Gesell- zen. Doch deren Verteidigung gerät in Liebe Gottes zu geben. Die Caritas ist ei- schaft, in der sie lebt, sowie für das Ver- den Verdacht der Besitzstandswahrung, ne essentielle Aufgabe der Kirche. Gleich- hältnis beider wichtigste Unterscheidung sobald sie den Eindruck erweckt, die Kir- zeitig zieht sich durch die Referenztexte ist die ethische Scheidung von Gut und che könne nicht anders als in diesen For- ebenfalls die Aufforderung, sich der Welt Böse. Diese zu treffen und sich an ihr zu men ihrem Auftrag für die Welt gerecht nicht anzugleichen. Damit greift Ratzin- messen, ist – bei allen Schwierigkeiten, werden. Hier erweitern der französische ger auch als Papst eine biblische Warnung Gut und Böse je konkret zu bestimmen – Blick auf die Rede des Papstes (Nientiedt) auf. Das Neue Testament warnt regelmä- Pfl icht jedes Menschen, die Glaubende in sowie die staatskirchenrechtlichen Bei- ßig vor Haltungen und Handlungen, die Verantwortung vor Gott zu erfüllen su- träge (Muckel, Hense) des vorliegenden sich auf die Immanenz irdischen Lebens chen (Zollitsch). Bandes den Horizont. Sie zeigen, dass das beschränken (Söding). Doch diese Ver- Anknüpfend an die Dualismus-Kritik Verhältnis von Religion und Gesellschaft, suche, durch die Kontextualisierung der vieler der genannten Beiträge sei an das Kirche und Staat in Frankreich ganz an- Konzerthausrede den Begriff der „Ent- Ende dieser Rezension eine Erinnerung ders gestaltet ist und auch im Rahmen weltlichung“ zu entschärfen, können gestellt: Hans Jonas hat 1962 in einer des deutschen Grundgesetzes ganz an- nicht verdecken, dass Benedikt strikt du- eindringlichen Rede die Theologen davor ders gestaltet werden könnte. alistisch denkt. Kirche und Welt werden – gewarnt, sich mit Heidegger einzulassen (2) Ohne direkt nach der konkreten wie Gott und Welt – in einen strikten und von ihm theologischen Gewinn zu Gestalt der vom Papst eingeforderten Gegensatz gestellt. Andere Beiträge des erwarten (Heidegger und die Theologie, „Entweltlichung“ zu fragen, befassen sich vorliegenden Bandes erheben gegen die- in: Böhler [Hg.]: Orientierung und Verant-

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wortung, Würzburg 2004, 39–58). Sein der Gnosis-Experte und ehemalige Hei- biblisch gegründeten Glauben nicht ver- Argument: Heideggers Denken sei ebenso degger-Schüler Hans Jonas, letztlich zu einbaren. Den Autorinnen und Autoren wie die Gnosis von einem strikten Dualis- einer Entwertung alles Weltlichen und des lesenswerten Buches ist diese Sorge mus geprägt – einem Dualismus zwischen damit zur Verabschiedung einer Ethik zu nicht fremd, wenn sie sich kritisch mit Geist (für die Gnosis: Gott) und Welt. Ein führen, die Menschen und Erde wertzu- der päpstlichen Forderung zur „Entwelt- solcher Dualismus aber stehe in Gefahr, so schätzen wüsste. Dies lasse sich mit einem lichung der Kirche“ auseinandersetzen. Michael Bongardt, Berlin

Sozialstaat zwischen Freiheit und Zwang

Wolf, Thomas: Der aktivierende Sozial- Verzicht auf Freiheit, zu erlangen und zu staat zwischen Freiheit und Zwang. Der bewahren ist“ (S. 136). So plädiert er – begrenzte Spielraum moderner Sozial- inspiriert von L. T. Hobhouse – dafür, von politik. Verlag Ferdinand Schöningh: Pa- „sozialer Freiheit“ zu sprechen. Aus so- derborn 2011, 306 S., ISBN 978–3–506– zialethischem Blickwinkel steht er damit 77199–5. in der langen Tradition kirchlicher Ver- lautbarungen und anthropologisch-ge- Die leidenschaftlich geführte öffentlich- sellschaftstheoretischer Refl exionen über mediale Auseinandersetzung um den So- das Verhältnis von Individuum und Ge- zialstaat entzündet sich immer wieder an meinschaft sowie großer zeitgenössischer der strittigen Frage, ob oder inwieweit der Gesellschaftsvertragstheorien. Staat im Rahmen der Gewährung sozi- Die innovative Dimension dieser be- alstaatlicher Leistungen unangemessen griffl ichen Zuspitzung mag daher nicht vorgeht, wenn er z. B. in die personale recht einleuchten. Aufhorchen lässt in- Autonomie eingreift und die Unterstüt- des sein Hinweis, dass eine allzu material zung Einzelner von deren Mitwirkungs- am Gedanken der positiven Freiheit ori- bereitschaft abhängig macht. Auch der entierte Politik die Gefahr in sich birgt, wissenschaftliche Diskurs wird oft ent- Einfallstor für autoritäre Wohlfahrts- lang der Verhältnisbestimmung von Für- und Beglückungspolitik zu sein und da- sorgepfl ichten des Staates und Beitrags- mit vorzuzeichnen, wie ein gelingendes pfl ichten des Bürgers geführt. Thomas der christlichen Caritas. Freilich sieht er Lebens auszusehen habe. Erläutert wird Wolf greift diesen Spannungsbogen in diese Traditionslinien nicht übergangs- diese Gefahr insbesondere anhand des seiner überarbeiteten Dissertation sach- los in den Sozialstaat moderner Prägung historischen Phänomens der „guten Poli- gerecht auf. Er entwickelt seine Überle- mit seiner rechtsstaatlichen Fundierung cey“. Dieses kritische Moment einer allzu gungen zum „aktivierenden Sozialstaat“ münden. Wolf beklagt zudem das in Be- „wohlwollenden“ und „steuernden“ So- zwischen den Polen von „Freiheit“ und zug auf praktische Sozialpolitik beste- zialpolitik wird später leider nicht mehr „Zwang“. In den drei Dimensionen: Ur- hende, ideengeschichtliche Refl exions- deutlich genug aufgenommen, wenn sprungskonfl ikt, Steuerungsmittel und defi zit. Diese laufe vielmehr den sozia- Wolf sich dezidiert etwa mit Giddens Zielsetzung beleuchtet er die Entwick- len Problemfeldern hinterher. Konzeption des „dritten Weges“ und lung staatlicher Sozialpolitik. Dabei geht Breiten Raum nimmt im ersten Teil der Adaption durch Gerhard Schröders er im ersten Teil politikphilosophisch und die Abgrenzung von positiver und nega- „Agendapolitik“ oder Tony Blairs „New im zweiten Teil mehr an den faktischen tiver Freiheit ein, die Wolf im Anschluss Labour“ beschäftigt. Überzeugend weist Entwicklungen des aktivierenden Sozial- an Isaiah Berlin thematisiert und über Wolf allerdings nach, dass diese Konzep- staates orientiert vor. weitere Autoren wie Hegel, Fichte oder tionen – welche mit den Begriffen des Grundlegungen sozialstaatlicher Charles Taylor entfaltet. Er kommt zu „Fördern und Fordern“ oder „Rights and Ideen identifi ziert er nicht erst mit der der These, dass individuelle Freiheit nur Responsibilities“ verbunden sind – kei- Etablierung des Sozialstaats am Ende der in sozialer Vermittlung möglich ist: „Der nen Bruch mit früheren Ansätzen der 19. Jahrhunderts, sondern anfanghaft grundlegende Konfl ikt zwischen positi- Sozialpolitik bedeuten oder gar origi- bereits in antiken Modellen des Eudä- ver und negativer Freiheit ist ebenso- näre Neuschöpfungen sind, sondern al- monismus oder im aristotelischen Glück- wenig aufzuheben wie das Paradoxon, lenfalls „Neuakzentuierungen“ darstel- seligkeitsansatz sowie in der „guten Poli- dass Freiheit nicht ohne Einwilligung in len. Im Spannungsfeld von Freiheit und cey“ absolutistischer Fürstenstaaten und soziale Bindungen, also den bewussten Zwang breitet er kenntnisreich die Tradi-

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tionslinien aktivierender Sozialpolitik aus da sich hier die Sanktionsmacht des Staa- „begrenzten Spielraum moderner Sozial- und wendet sich z. B. der „Neue Subsidia- tes steuerungspraktisch besonders effek- politik“ konsequenter auch aus Sicht der rität“ oder des „New Public Management“ tiv anwenden lasse. Andererseits seien Klienten zu problematisieren. Insgesamt zu. Neben neueren Steuerungsmitteln im diese Mittel kaum geeignet, auf spezi- aber hinterlässt die Veröffentlichung ei- Umfeld akteurzentrierter Theorien, wie fi sche Probleme Einzelner zu reagieren. nen guten Eindruck und aus politikhisto- etwa pädagogischer Einfl ussnahme auf Derartig kritische Anmerkungen, die rischer Perspektive liest sich Wolfs Buch Klienten, bleiben nach Wolf weiterhin die die Grenzen des „Förderns und Forderns“ äußerst anregend. Es füllt eine Lücke in klassischen (und systemtheoretisch fun- aus Sicht der „Geförderten und Gefor- der ideengeschichtlichen Refl exion des dierten) Mittel „Recht“ und „Geld“ ent- derten“ in die Waagschale werfen, hätte aktivierenden Sozialstaates. scheidende Stellschrauben in der Me- man sich an der ein oder anderen Stel- Udo Lehmann, Wuppertal chanik aktivierender Sozialpolitik. Dies le noch deutlicher gewünscht, um den ist seines Erachtens kaum verwunderlich, im Untertitel der Arbeit proklamierten

Leistungsfähigkeit der Sozialpartnerschaft

Priddat, Birger P.: Leistungsfähigkeit len Marktwirtschaft mit ein. Zu Recht: der Sozialpartnerschaft in der Sozia- Das bewährte Modell der Sozialpart- len Marktwirtschaft. Mitbestimmung nerschaft mit den Elementen der über- und Kooperation, Marburg: Metropolis betrieblichen Tarifautonomie und der 2011, 363 S., ISBN 978–3–89518–862–6. betrieblichen Mitbestimmung hat, ne- ben der vielgescholtenen Agenda-Poli- Es ist noch gar nicht lange her, da war das tik, großen Anteil daran, dass Deutsch- Kollektive Arbeitsrecht eines der Haupt- land ohne größere wirtschaftliche und felder der rechts- und sozialpolitischen soziale Friktionen durch die 2007/08 Auseinandersetzung in Deutschland. Die ausgebrochene internationale Finanz- hatte ihren Höhepunkt vor knapp zehn markt- und Wirtschaftskrise gekommen Jahren, als die rot-grüne Regierung ist. Über die Gründe klärt Priddat auf. Er Schröder die Agenda 2010 verkündete stellt die Sozialpartnerschaft, insbeson- und sich an die umfassende Renovie- dere die Mitbestimmung als Institution rung des altehrwürdigen deutschen So- sozialer Ordnung dar. Dazu evaluiert er zialstaats machte. Das Kollektiv-Arbeits- zunächst einmal die Ergebnisse der em- recht war in das damalige Renovierungs- pirischen Mitbestimmungsforschung der programm nicht einbezogen. In diesem letzten Jahrzehnte und kommt zu dem Punkt mochte die alte Arbeiter- und Ge- Schluss, dass es falsch sei, die Mitbestim- werkschaftspartei SPD dann doch nicht mung als bloßen Kostenfaktor und Rest- der Kritik und den Ratschlägen der ton- schaft und als Aufsichtsratsvorsitzender riktion unternehmerischer Handlungsdy- angebenden „neoliberalen“ Wirtschafts- des Nord-Stream-Pipeline-Konsortiums namik darzustellen. Die Mitbestimmung experten folgen. Umso eifriger trommel- aufbessert. Manche seiner alten Weg- stelle vielmehr eine Art von Konfl iktre- ten manche Lobbyisten in der Sache. Mi- gefährten hingegen sind noch aktiv in gelungs-Verfassung dar, die diese Hand- chael Rogowski etwa, damals Präsident der Politik und erfi nden sich gerade neu. lungsdynamik stärke. In der Summe wür- des Bundesverbandes der Deutschen In- Nur eines hat sich nicht verändert: das den die empirischen Studien zeigen, dass dustrie, wollte den Flächentarifvertrag deutsche Kollektiv-Arbeitsrecht. Und das Wachstum und Produktivität jedenfalls „im Lagerfeuer verbrennen“, und die ge- wird sich auch nicht so schnell ändern. nicht beeinträchtigt werden durch die setzliche Mitbestimmung nannte er ei- Denn inzwischen singen nicht mehr nur Mitbestimmung. nen „Irrtum der Geschichte“. die Gewerkschaften, sondern auch die Ar- Priddat neigt vielmehr unübersehbar Zehn Jahre, zwei Regierungswech- beitgeber- und Industrieverbände sowie der Idee zu, dass die ordnungsstabilisie- sel und eine Weltwirtschaftskrise später Politiker aller Parteien wieder das Lob- rende Rolle der Sozialpartnerschaft im sieht die Welt ganz anders aus. Reform- lieb auf die deutsche Sozialpartnerschaft. Allgemeinen und der Mitbestimmung im kanzler Schröder ist inzwischen Privatier, In dieses Loblied stimmt die Studie Besonderen die Produktivität und Wett- der seine Ruhestandsbezüge durch diver- von Birger P. Priddat zur Leistungsfähig- bewerbsfähigkeit der deutschen Wirt- se Beratertätigkeiten in der Privatwirt- keit der Sozialpartnerschaft in der Sozia- schaft im internationalen Vergleich so-

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gar befördert. Diesen Gedanken ordnet er sich für das Spezialthema der Mitbestim- mente, die das ordoliberale Anliegen ver- in einen größeren Zusammenhang, wenn mung interessieren, sondern auch für je- folgen, Macht- und Informationsun- er darstellt, dass in der jüngeren wirt- ne, die sich über neue Tendenzen in der gleichgewichte auszugleichen, in diesem schaftswissenschaftlichen Literatur dem wirtschaftswissenschaftlichen Theorie- Fall jene zwischen Arbeitgebern und Ar- Aspekt der Bedeutung von Kooperation bildung informieren möchten. beitnehmern. Insofern ist die Sozialpart- in der Wirtschaft eine wachsende Auf- Tarifautonomie und Mitbestimmung nerschaft ein integraler Bestandteil des merksamkeit geschenkt wird. Ausdruck sind keine Residuen aus den Tagen des ordnungspolitischen Modells der Sozia- dessen war auch die Verleihung des No- Klassenkampfes, und sie sind auch kein len Marktwirtschaft. Und nach der stu- belpreises für Wirtschaftswissenschaften sozialistisches Kuckucksei, das in das libe- piden und monotonen Deregulierungsli- an Elinor Ostrom und Oliver E. Williamson rale Nest der Marktwirtschaft geschmug- tanei vergangener Jahre ist es befreiend, im Jahr 2009. Priddats Studie ist insofern gelt worden ist. Es handelt sich vielmehr das wieder sagen und sich trotzdem als nicht nur für diejenigen interessant, die um ordnungspolitisch begründete Instru- Liberaler bezeichnen zu dürfen. Arnd Küppers, Mönchengladbach

Bibelhermeneutik und Sozialethik

Heimbach-Steins, Marianne/Steins, Ge- Der erste Teil behandelt „Hermeneu- org (Hg.), Bibelhermeneutik und Christli- tische Basiskategorien und -begriffe“. che Sozialethik, Stuttgart: Kohlhammer Georg Steins entwickelt ein Modell „Ka- 2012, 320 S., ISBN 978–3–17–022215–1. nonbewusster Bibelauslegung“. Im Ka- non sieht Steins die Grundlage für eine Die Bibel spielt für die gegenwärtige, Stimmenvielfalt. Heutige Leser und Le- stark sozialphilosophisch und sozialwis- serinnen können in einen Dialog mit den senschaftlich geprägte Christliche Sozial- in der Bibel bezeugten existentiellen Er- ethik nur eine untergeordnete Rolle. Im fahrungen eintreten. Kerstin Rödiger be- Rahmen einer „autonomen Moral“ und schäftigt sich im Anschluss an Elisabeth mit Blick auf ihr Anliegen, sozialethische Schüssler Fiorenza mit „Lesen als ethi- Normen über einen christlichen Rahmen schem Akt“ und widerspricht dabei der hinaus kommunikationsfähig zu halten, Trennung von Exegese (Auslegung) und ist die Christliche Sozialethik allenfalls Applikation (Anwendung). Alexander Fili- sekundär auf die Bibel angewiesen. In- povic beschäftigt sich in interdisziplinärer sofern ist es durchaus provozierend, dass Perspektive mit der hermeneutischen Ka- die Münsteraner Sozialethikerin Marian- tegorie der Interpretationsgemeinschaft, ne Heimbach-Steins und der Osnabrücker die in ihren sozialen und politischen Di- Alttestamentler Georg Steins (in Verbin- Gesprächs mit dem Text, das kontext- mensionen in das Kompetenzfeld der So- dung mit Alexander Filipovic und Kers- sensibel zwischen Bibel und Gegenwart zialethik fällt. Daniel Bogner und Betti- tin Rödiger) einen Sammelband dem Ge- vermittelt. Die Bibel ist für Heimbach- na Wellmann weisen in ihrem Beitrag im spräch zwischen Bibelhermeneutik und Steins einer von mehreren Kontextbezü- Anschluss an Hans Joas auf, dass nicht Sozialethik widmen. Hervorgegangen ist gen der Sozialethik als christlich-theo- nur normative Texte, sondern die Bibel er aus einem ambitionierten gemeinsa- logischer Disziplin. Dabei knüpft sie an insgesamt „als Quelle und Reservoir der men Projekt ihrer beider Oberseminare. befreiungstheologische und feministi- Inspiration für ein erneuertes Verständ- Heimbach-Steins hat sich der Thematik sche Hermeneutiken an. Sie geht nicht nis vom handelnden Menschen betrach- schon in mehreren Einzelbeiträgen ge- hinter die „basale Forderung nach Ko- tet werden“ (132) kann. Axel Bernd Kunze widmet, die hier zusammen mit anderen härenz von biblischem Impuls und sittli- beschäftigt sich ausgehend von theolo- Autoren weitergeführt werden. cher Vernunft“ (30) zurück, sieht aber in gischen Freiheitsrefl exionen mit Fragen Der Band wird von einem program- der Ethik, über eine bloße Normbegrün- der Nachfolge. matischen Beitrag der Herausgeberin dung hinaus, die „Selbstrefl exion sittli- Der zweite Teil widmet sich mit einem eingeleitet. In Abgrenzung von gängi- cher Subjekte“ (32) als zentral an. thematisch breit gehaltenen Spektrum gen Vereinnahmungen der Bibel als „ver- Sodann ist der Band in drei Teile mit „Ethischen Grundfragen – biblisch ge- meintliches Antwortreservoir für gegen- insgesamt 15 Beiträgen gegliedert, die spiegelt“. Indem Walter Lesch einen kul- wartstypische Fragen“ (13) entwickelt hier nur in aller Kürze angesprochen wer- turgeschichtlichen Zugang zum Dekalog sie das Modell eines ergebnisoffenen den können: bis in seine aktuelle Rezeption wählt, wei-

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tet sich nochmals das Feld. Dies gilt glei- geht das jedoch in dieselbe Richtung wie ihrem hohen Grad an Spezialisierung ge- chermaßen für seinen Beitrag zu Pau- der hier beschriebene „Sinn-Raum“ (19) rade im deutschen Sprachraum bis heute lus an späterer Stelle des Bandes. Sebas- oder die „Sinnproduktion“. Der neue Ak- prägend ist, erweisen sich oft als kaum tian Zink versucht, als Gegenstück zur zent scheint wohl darin zu liegen, dass anschlussfähig für die Systematische zukunftsorientierten Nachhaltigkeits- die innerbiblische Vielfalt („Pluralisierung Theologie im Allgemeinen und die (So- debatte eine biblisch inspirierte Erinne- der Textbasis“, 86) sowie die Vielfalt mög- zial-)Ethik im Speziellen. So ist denn die rungsdimension in die Sozialethik einzu- licher Rezeptionen stärker betont wer- historisch-kritische Methode längst nicht bringen. Andreas Lienkamp setzt sich auf den; und dass nicht nur die im engeren mehr der einzige akzeptierte Weg der Bi- der Grundlage biblisch-philologischer Er- Sinne ethischen Bibeltexte berücksichtigt belexegese. Hier wird ihr eine andere bib- kenntnisse und in Abgrenzung von ei- werden. Was all dies in einem säkularen lische Hermeneutik zur Seite gestellt. nem „Ökobiblizismus“ (187) mit dem Kommunikationsrahmen bedeutet, muss Manchmal könnte dabei der Eindruck biblischen Herrschaftsauftrag und dem noch weiter ausgeführt werden: entstehen, dass über die hier vorgestell- Sozialprinzip der Nachhaltigkeit ausein- • Spaltet sich die Sozialethik in eine ten exegetischen und hermeneutischen ander. Anna Maria Riedl möchte die Kla- nach außen orientierte weltliche und Ansätze breiter Konsens besteht. Dies gepsalmen für eine Theologie der Diako- eine nach innen gerichtete biblische ist angesichts der ebenso kontroversen nie fruchtbar machen. Peter Meiners be- Stimme, wie es Thomas Nauerth na- wie pluralen Debatten der Bibelwissen- schäftigt sich mit der Amos-Rezeption helegt (vgl. 305)? schaften mitnichten der Fall. Im vorlie- bei Michael Walzer, der in der prophe- • Könnten biblische Bezüge nicht auch genden Band kommt nur eine Schulrich- tischen Sozialkritik einen pluralitätsfä- wie andere Sinnressourcen der Gesell- tung alttestamentlicher Exegetische zu higen Universalismus erkennt. Mariano schaft stärker „unübersetzt“ nach au- Wort. Blickt man auf die hier nur am Barbato behandelt biblische Weisheits- ßen getragen werden? Rand herangezogene neutestamentliche literatur im Kontext der Postmoderne. • Ist die Bibel wirklich nicht mehr als Exegese, würde man auf noch schärfe- Der dritte Teil umfasst „Fallstudien zur ein Kontextbezug der Sozialethik (vgl. ren Widerspruch treffen. Andere Ansät- Bibelrezeption in kirchlichen Texten“, und 12)? ze wie die sozialgeschichtliche Exegese zwar anhand könnten ebenso fruchtbar eingebracht • des Hirtenbriefs der amerikanischen Da der Schwerpunkt des Bandes auf her- werden, um neben dem Kanon stärker Bischöfe „Wirtschaftliche Gerechtig- meneutischen Fragen liegt, kommen kon- den Entstehungskontext von Einzeltex- keit für alle“ (Gregor Adamski), krete Beispiele notgedrungen etwas zu ten und Einzelschriften zu erhellen. Gera- • des Dokuments „Gerechter Friede“ der kurz. So wird etwa im Beitrag von Bog- de bei der im vorliegenden Band (im An- deutschen Bischofskonferenz (Tho- ner/Wellmann auf eine Fülle von Bibel- schluss an den Literaturwissenschaftler mas Nauerth) und stellen Bezug genommen, ohne jeweils Stanley Fish) stark gemachten Kategorie • des Dokuments der Päpstlichen Bibel- in die Tiefe zu gehen, was im Sinne der der Interpretationsgemeinschaft besteht kommission „Bibel und Moral“ (Georg Stoßrichtung des Bandes vermieden wer- die Gefahr einer kirchlich-autoritativen Steins). den sollte. Von hohem Interesse wäre eine Vereinnahmung. In diesem Zusammen- detaillierte Auseinandersetzung mit Ein- hang ist auch der Bezug auf kirchliche Diese Rezeptionen entsprechen nur in zeltexten im Sinne der grundlegenden In- Dokumente zweischneidig: Sie können manchen Ansätzen den im vorliegen- tention des Bandes. Angedeutet wird das die Vielfalt der Lektüren einschränken; den Band aufgestellten Ansprüchen. So etwa von Lienkamp in Bezug auf die An- andererseits wird hier aber auch gezeigt, fällt insbesondere das Fazit von Steins thropologie der biblischen Urgeschichte dass sie einer kritischen Analyse zu unter- sehr kritisch aus. (vgl. 192–207) und von Rödiger in Bezug ziehen sind. Die Spannung zwischen indi- Aufs Ganze betrachtet bietet das auf Joh 12,1–8 (vgl. 79–85). viduellen Rezeptionen und dieser kollek- Buch einen zeitgemäßen Ansatz zur Re- Dem Band kommt in mehrfacher Hin- tiven Kategorie bleibt unaufl ösbar. Mög- zeption biblischer Texte und ihrer wis- sicht ein großes Verdienst zu: Für die So- licherweise kann der historisch-kritischen senschaftlichen Refl exion, der sich klar zialethik als theologische Disziplin ist der Methode gegenüber Vereinnahmungen von der binnenorientierten Engführung Bezug zur Bibel unverzichtbar. Was wie aller Art wieder eine korrigierende Funk- eines Stanley Hauerwas unterscheidet. eine Banalität klingt, ist nicht unbe- tion zukommen. Dennoch bleiben manche Fragen einer dingt eine Selbstverständlichkeit. Auch Dem Band ist eine breite Rezeption biblisch sensiblen Sozialethik offen. An Sozialethiker sind „Lesende“ der Bibel (80 zu wünschen. Es wäre erfreulich, wenn mehreren Stellen wird der Wille bekun- Anm. 35). Angesichts der Vereinzelung der Impuls zum Gespräch mit der Exege- det, über Alfons Auers Bestimmung der theologischer Fächer ist der hier ange- se in der Sozialethik breiter aufgegriffen Bibel als motivierend und sensibilisierend stoßene Dialog ein wichtiger Schritt. Er- würde. Es könnte in Zukunft sicherlich hinauszugehen (vgl. 19, 55). Wenn Auer gebnisse der historisch-kritischen Aus- eine Bereicherung darstellen, wenn ein vom Sinnhorizont der Ethik Jesu spricht, richtung der biblischen Exegese, die mit solcher Dialog auf ökumenischer Basis

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stattfi nden würde, zumal auf evangeli- bewertet wird (vgl. Heinrich Bedford- logie und Ethik?, in: HerKorr 62 [2008], scher Seite ein Ernstnehmen der Bibel als Strohm, Ökumene in der Sozialethik. Wie 192–196, 194 f.). Schritt der ökumenischen Annäherung eng ist die Verbindung zwischen Ekklesio- Hansjörg Schmid, Stuttgart

Summaries

Christoph Kopke: Neo-Nazis and Neo- parliaments. However they did not reach ers they are: early promotion of social Nazism in the Federal Republic of Ger- the election threshold of 5 per cent in the and democratic attitudes, strengthen- many. An active scene with growing national election of 1969. A long time of ing of professionalism and value orien- vigour political infi ghting and decline followed. tation of the educators but also an im- Extreme right-wing tendencies in Not until 1996 the slow comeback be- proved cooperation between schools and Germany are referred to as “Neo-Nazi” gan with a new political programme and youth organizations. Many things can in- since the 1950s and 1960s. The birth of a new chairman. At present the NPD has fl uence pedagogics, for instance deci- Neo-Nazism as understood today, how- success at the polls and relatively strong sions by social politics, justice and police. ever, goes back to the years 1970/71. regional roots in some eastern federal At the same time, it has to develop con- After prohibition of different organiza- states. In contrast to right-wing parties stantly – not least in view of the partic- tions seemingly informal structures have in some neighbouring European coun- ular addressees and their social context. formed (“Kameradschaften” – comrade- tries the NPD does, until today, not man- ships). Since the 1990s a new, extreme age to put on a moderate and respect- Wolfgang Palaver: Right-wing pop- right-wing youth culture has emerged. able image. Her Right-wing extremism ulism in Europe as challenge for Chris- Together with the, by now radicalised, remains unmistakable. tian social ethics. A culture of univer- NPD the Neo-Nazis have gained remark- sal brotherhood belongs to the answer able abilities of mobilization. The inclina- Wilfried Schubarth, Juliane Ulbricht: -wing populism which tion towards violence remains on a high Right-wing extremism as challenge for gained strength in Europe promotes level, although the NSU-killings represent democracy. Opportunities and borders xeno phobia, especially Islamophobia. an exception. Civil society and state are of pedagogical counterstrategies Main reasons for this go along with the still asked to stay alert. The article originates from the contin- neo-liberal globalism: the de-politiciza- uous debate about the danger that right- tion and the lacking opposition against Armin Pfahl-Traughber: The political wing extremism regains power in Germa- the predominance of economy; the lim- development of the NPD. Ideology, or- ny. The opportunities and borders of ped- itation of solidarity on the own group, ganisation, strategy and impact of a agogical counterstrategies are described paired with shared hostility towards the right wing party from the perspective of educational sci- outside; the affi nity towards a consen- The article retraces the changeful his- ence. Therefore, to begin with, the ar- sus democracy, in which minorities may tory of the NPD. Founded in 1964 to cen- ticle outlines central discourses, trends easily be turned into a scapegoat. Chris- tralize the potential of right-wing voters, and explanatory approaches concern- tian Churches are able to counteract the the party put on a conservative, middle- ing right-wing extremism – especially danger of right-wing populism across re- class image. This led to heavy internal amongst adolescents. Curricular and ex- ligious borders, by standing in for equal confl icts, but also to an increase in mem- tracurricular concepts to deal with right- human rights and the spirit of brother- bers and voters. From 1967 to 1969 the wing extremism are discussed. But what hood in civil society. party managed to move into fi ve federal are possible consequences? Amongst oth-

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Rainer Maria Kardinal Woelki: ”Ab- able accomplishments of the resistance church’s activities against extremism and solutely incompatible with Christian as well as the open wound of neglect- in favour of the promotion of democ- faith”. An Interview about Xenophobia ed resistance. But what do the historical racy. Also inside the parishes there are and Right-Wing Extremism with the burden on the one hand and the histori- right-wing extremist tendencies, which Archbishop of Berlin cal achievements on the other mean for one has to uncover. The belief that God The archbishop of Berlin acknowl- Catholicism today? Does this result in a has granted every human being the same edges the key role of attitude towards special responsibility for contemporary dignity, regardless of origin, skin colour or National Socialism for catholic self-con- right-wing extremism? Cardinal Woel- confession, is indispensable. It connects cept. It was formed by both the remark- ki affi rms this question and explains the across confessional or religious borders.

Résumés

Christoph Kopke: Néonazis et néo- Armin Pfahl-Traughber: L‘évolution européens voisins, le NPD ne réussit tou- nazisme en République Fédérale d‘Alle- politique du Parti national-démocrate jours pas à se donner durablement une magne. Un milieu actif depuis des dé- d‘Allemagne (NPD). Idéologie, organi- image de marque modérée et sérieuse. cennies et d‘une croissante puissance sation, stratégie et infl uence d‘un parti Son extrémisme de droite reste évident. Dès les années 1950 et 1960, on a d‘extrême droite qualifi é de néonazies les tendances d‘ex- La contribution dessine les contours Wifried Schubarth, Juliane Ulbricht: trême droite en RFA. Cependant, ce sont de l‘histoire mouvementée du NPD. Fondé L‘extrémisme de droite – un défi pour les années 1970/71 qui sont considérees en 1964 pour rallier le potentiel électoral la démocratie. Chances et limites de comme heure de naissance du néona- d‘extrême droite, le parti se donna une contre-stratégies pédagogiques zisme tel que nous le comprenons au- image de marque le plus conservatrice et La contribution prend pour point de jourd‘hui. Après diverses interdictions bourgeoise possible. Cela a conduit à de départ le débat persistant sur les dangers d‘organisations, des structures appara- graves confl its internes mais aussi à un du renouveau de l‘extrémisme de droite ment informelles (« camaraderies ») se accroissement considérable de membres en Allemagne. Il décrit du point de vue sont formées. Depuis 1990 a surgi une et d‘électeurs. De 1967 et à 1969, le parti des sciences de l‘éducation les chances et culture des jeunes très marquée droite. a enfi n réussi à s‘implanter dans cinq par- les limites de contre-stratégies pédago- Avec le NPD (Parti national-démocrate lements régionaux. Lors des élections au giques. A cette fi n, les auteurs esquissent d‘Allemagne), les néonazis ont atteint Bundestag en 1969, la barre des cinq pour d‘abord les discussions-clé, les tendances une capacité de mobilisation considé- cent n‘a cependant pas pu être dépas- de l‘évolution et les tentatives d‘explica- rable. La disposition à la violence conti- sée. Il a suivi une longue période de lutte tion de l‘extrémisme de droite notam- nue d‘être très élevée, même si la série entre différents courants et le déclin de ment parmi les jeunes. Ils discutent en- de meurtes commis par le NSU (Groupe ce parti. Ce n‘est qu‘en 1996 qu‘ avec un suite les concepts pédagogiques scolaires national-socialiste clandestin), jusqu‘ici, nouveau programme et sous une nouvelle et extrascolaires en rapport avec l‘extré- fait exception. présidence, une lente remontée a com- misme. Mais quelles orientations en ti- mencé. Le NPD enregistre aujourd‘hui des rer? En font partie, entre autres, la pro- succès électoraux ainsi qu‘un ancrage ré- motion précoce d‘un agir démocratique gional dans certains nouveaux Länder de et social, le renforcement de la compé- l‘Allemagne de l‘Est. Contrairement aux tence professionnelle et du sens des va- partis radicaux de droite de certains pays leurs des pédagogues ainsi qu‘une co-

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opération améliorée entre l‘école et les tion de la solidarité à son propre groupe, résistance impressionnants mais aussi par mouvements de jeunesse. L‘infl uence de qui s‘accompagne d‘une hostililté collec- l‘absence de résistance qui reste une plaie la pédagogie est limitée. Elle s‘exerce dans tive envers le monde extérieur; la pro- ouverte. Mais que signifi ent ce sombre un cadre institutionnel déterminé par la pension à une démocratie consensuelle héritage d‘une part et les mérites histo- politique sociale, la justice et la police. où les minorités risquent d‘être traitées riques d‘autre part pour le catholicisme Elle doit pourtant s‘efforcer d‘ innover en boucs émissaires. d‘aujourdhui? En résulte-t-il un devoir constamment – en étant attentive aux Les églises chrétiennes peuvent agir moral particulier face à l‘extrémisme de caractéristiques et au contexte social des contre le populisme de droite en s‘en- droite actuel? Le cardinal Woelki donne groupes auxquels elle s‘adresse. gageant, au delà des frontières des reli- une réponse positive à cette question en gions, pour l‘égalité des droits de tous les expliquant les activités de l‘Eglise contre Wolfgang Palaver: Le populisme de hommes et en promouvant l‘esprit de la l‘extrémisme de droite et pour la promo- droite – un défi pour l‘éthique sociale fraternité dans la société civile. tion de la démocratie. Au sein des com- chrétienne. Une culture de fraternité munautés paroissiales, il y aurait parfois universelle doit faire partie de la ré- Absolument incompatible avec la foi aussi des tendances d‘extrémisme de ponse chretienne“. Interview de l‘archevêque droite qu‘il ne faudrait pas passer sous le populisme de droite qui, en Europe, de Berlin, Rainer Maria Woelki, sur la silence.. Dieu a doté tous les hommes de connaît un renouveau, favorise la xéno- xénophobie et l‘extrémisme de droite la même dignité: une conviction indis- phonie et notamment l‘islamophobie. Selon l‘archevêque de Berlin l‘atti- cutable – indépendamment de l‘origine, Une des principales causes en est la mon- tude à l‘égard du national-socialisme la couleur de peau et l‘appartenance re- dialisation néolibérale: le recul du poli- revêt une signifi cation majeure pour la ligeuse. Elle serait un lien au-delà des tique et le manque de résistance contre conscience catholique. Celle-ci est mar- frontières confessionnelles et religieuses. la suprématie de l‘économie; la limita- quée non seulement par des exemples de

SCHWERPUNKTTHEMEN DER BISHER ERSCHIENENEN HEFTE

4/2006 Markt für Werte (vergriffen) 1/2010 Gerechte Energiepolitik 1/2007 Lohnt die Arbeit? 2/2010 Steuern erklären 2/2007 Familie – Wachstumsmitte der Gesellschaft? 3/2010 Neue Generation Internet – 3/2007 Zuwanderung und Integration grenzenlos frei? 4/2007 Internationale Finanzmärkte (vergriffen) 4/2010 Agrarpolitik und Welternährung 1/2008 Klima im Wandel 1/2011 Zivilgesellschaft 2/2008 Armut/Prekariat 2/2011 LebensWert Arbeit 3/2008 Gerüstet für den Frieden? 3/2011 Wohlstand ohne Wachstum? 4/2008 Unternehmensethik 4/2011 Soziale Marktwirtschaft für Europa 1/2009 Wie sozial ist Europa? 1/2012 Religionspolitik 2/2009 Hauptsache gesund? 2/2012 Was dem Frieden dient 3/2009 Caritas in veritate 3/2012 Finanzmärkte und Staatsschulden 4/2009 Wende ohne Ende? 4/2012 Stark gegen Rechts

VORSCHAU

Heft 1/2013 Heft 3/2013 Schwerpunktthema: Weltweite Bevölkerungsentwicklung Schwerpunktthema: Geschlechtergerechtigkeit

Heft 2/2013 Heft 4/2013 Schwerpunktthema: Interreligöse Sozialethik Schwerpunktthema: Alter und Pfl ege

56 MOSINTERNATIONAL 6. Jg. (2012) Heft 4

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