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Leibniz Online, Nr. 42 (2021) Zeitschrift der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. ISSN 1863-3285 Leibniz Online Internetzeitschrift der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften e.V. Jahrgang 2021 ● Nummer 42 Ingolf E. Blasig (MLS), Sophie Dithmer und Reiner F. Haseloff: Kurzer Abriss zur Struktur, Funktion und Pharmakologie der Blut-Hirnschranke Gisela Jacobasch (MLS): Corona. Prävention und Therapie bei Coronavirus-Infektionen Hans D. Knapp: UNESCO-Weltnaturerbe Buchenwälder. Einzigartig und vielfältig, verletzlich und wunderschön Armin Jähne (MLS): Redlichkeit der Wissenschaft und Wissen als Grundlage gesellschaftlichen Fortschritts (Sammelrezension) Viktor Jakupec (MLS): Bernd Meier: Von der allgemeinbildenden Schule in die Arbeitswelt in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche: Rückblicke und Ausblicke (Rezension) Horst Kant (MLS): Jost Lemmerich: Max von Laue – Furchtlos und treu. Eine Biographie des Nobelpreisträgers für Physik (Rezension) Heinz Kautzleben (MLS): Marcia Bjornerud: Zeitbewusstheit. Geologisches Denken und wie es helfen könnte, die Welt zu retten (Rezension) Werner Kriesel (MLS): Jörg Pohle und Klaus Lenk (Hrsg.): Der Weg in die „Digitalisierung“ der Gesellschaft. Was können wir aus der Geschichte der Informatik lernen? (Rezension) LO-Redakteur: Rolf Hecker [email protected] Redaktionsschluss: 15. März 2021 Leibniz Online, Nr. 42 (2021) Zeitschrift der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. ISSN 1863-3285 Ingolf E. Blasig (MLS), Sophie Dithmer und Reiner F. Haseloff, Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie, Berlin-Buch. Kurzer Abriss zur Struktur, Funktion und Pharmakologie der Blut-Hirn- schranke Vortrag in der Klasse für Naturwissenschaften und Technikwissenschaften am 6.12.2018 Veröffentlicht: 15. März 2021 1 Zellbarrieren Endothelien und Epithelien, wie z.B. in der Blut-Hirnschranke (BHS, Abb. 1) bzw. der Blut-Zerebrospinalschranke, grenzen Ge- webe voneinander sowie von inneren und äußeren Einflüssen ab und bilden in höhe- ren Organismen lebensnotwendige Kom- partimente. Substrate, endogene und exo- gene Wirkstoffe müssen die Barrieren überwinden um an ihren Wirkort zu gelan- gen [1]. Dazu sind die Zellmembranen so dicht miteinander verbunden, dass polari- sierte Zellen mit polarisierten Plasma- membranen entstehen, deren apikaler und basaler Teil sich strukturell und funktionell unterscheiden [2]. Zellkontakte sind Tight Junctions (TJs; Abb. 1, 2), Adhärenz Junc- tions, Desmosomen und Gap Junctions [3]. Die TJs sind essentiell für alle Barrierefunk- tionen. Abb. 1: Die Blut-Hirnschranke. (A) Bildung durch Endothelzellen Adhärenz Junctions werden vornehmlich (EZ) unter Einfluss weiterer neurovaskulärer Komponenten. AZ, aus Cadherinen gebildet [4, 5] und stabilisie- Astrozytenendfüße; PZ, Perizyten. (B) Tight Junctions (TJs) dich- ren interzelluläre Kontakte durch Verknüp- ten den Spalt zwischen den EZ ab. AJ, Adherens Junction. (C) Pas- sagerouten der Blut-Hirnschranke (nach [420]). TJs verhindern fung benachbarter Aktinzytoskelette. Sie parazelluläre passive Diffusion weitestgehend (rot) und bedin- unterstützen die TJ-Ausbildung [6, 7] sowie gen dadurch transzelluläre Diffusion durch Plasmamembran/Zy- die Entwicklung und Aufrechterhaltung von tosol (hellblau), aktiven/erleichterten transzellulären Transport Zellbarrieren [8]. In Endothelien liegen über Transporter/Membrankanäle (schwarz), Rezeptor-vermit- Tight- und Adhärenz Junctions als Misch- telte Transzytose (grün) oder ermöglichen Effluxtransportern barrierewirksam zu werden (gelb). kontakte (im Gehirn weitgehend distinkt), in EZ, Endothelzellen, AZ, Astrozytenendfüße, PZ, Perizyten, AJ, Ad- Epithelien getrennt voneinander vor [9] härenz Junction, TJ, Tight Junction (beide Komplexe werden auch als apikal- junktionaler Komplex zusammengefasst). Desmosomen sorgen für starke interzelluläre Adhäsion und Zytoskelettverankerung, vor allem in Or- ganen mit starker mechanischer Belastung wie Herz oder Haut [10]. Gap Junctions interagieren mit TJs [3, 11] und unterstützen Barrierefunktionen [12]. Durch Connexine der Gap Junctions [13, 14] werden interzelluläre Kanäle gebildet, die die Zellen elektro- und biochemisch durch Austausch von Ionen, Ingolf E. Blasig (MLS), Sophie Dithmer und Reiner F. Haseloff Leibniz Online, Nr. 42 (2021) Kurzer Abriss zur Blut-Hirnschranke S. 2 v. 45 Botenstoffen und kleinen Metaboliten koordinieren. Zusätzlich zur parazellulären Abdichtung durch TJs (s. Kap. 2) führen asymmetrisch in der apikalen bzw. basalen Zellmembran verteilte Effluxtranspor- ter (Abb. 1C) zur Ausschleusung ansonsten barrieregängiger Solute und verstärken die Schrankenfunk- tion (s. Kap. 4). Hauptvoraussetzung für die Ausprägung von Zellbarrieren sind also TJs, die im Fall der BHS von Endothelzellen unter Einfluss umgebender zerebraler Strukturen (neurovaskuläre Einheit [15, 16]) exprimiert werden (Abb. 1A). 2 Tight Junctions TJs sind apikale Zellkontakte (Abb. 1B) und bilden Strangnetzwerke zwischen benach- barten Plasmamembranen [3]. Die Stränge enthalten ca. 10 nm große Parti- kel, die dicht aneinander gereiht sind und den Zellzwischenraum für lösliche Sub- stanzen, Ionen, Immunzellen, Pathogene und Pharmaka [17, 18] komplett ver- schließen [19]. TJs können auch eine grö- ßen- und ladungsselektive Permeation er- möglichen [20, 21]; so ist z.B. die BHS we- sentlich dichter als die Blut-Zerebrospinal- schranke [22]. Sie verbinden Zellen gürtel- artig (Abb. 2B), und ihre transmembrana- len Proteine (Abb. 2C) bedingen apikal und basolateral unterschiedliche Memb- ranzusammensetzungen [23] – was als Membranpolarität bezeichnet wird [24]. Dadurch wird in der Membran eine late- rale Diffusion von Lipiden und Proteinen verhindert. TJs sind durch posttranslatio- nale Modifizierungen ihrer Proteine regu- Abb. 2: Schematische Darstellung von Tight junctions (TJs). (A) liert und an verschiedenen Prozessen, da- Longitudinale und zirkuläre TJ-Bereiche (pink) an dem am meisten luminalen Teil der lateralen Plasmamembran zerebraler Kapilla- runter Zellproliferation und -differenzie- rendothelzellen (EC). (B) Parazelluläre Abdichtung durch gürtelför- rung [25, 26], beteiligt. miges Strangnetzwerk benachbarter Plasmamembranen durch Morphologische Störungen, wie z.B. transmembranale TJ-Proteine (nach [421]). (C) TJ-Komponenten durch virusbedingte Gewebereorganisa- (nach [422]): Claudine, Occludin, JAMs (Junctional Adhesion Molecules) sind in Zweizellkontakten, Tricellulin in Dreizellkontak- tion [27, 28], Entzündungen [29], Tumor- ten angereichert (vgl. A). Zytosolisch assoziierte Zonula occludens progression [30] oder Alkoholexposition (ZO) Proteine fixieren TJs am Zytoskelett (Aktinfilamente). (D) Pro- [31] beeinträchtigen die Barriereintegri- tein-Interaktionen in TJs. Claudine: JAMs, Occludin, (Tricellulin) oli- tät. Entzündungsstimuli (z.B. Thrombin, gomerisieren entlang der Plasmamembran sowie zwischen zwei Histamin, TNFα, Botenstoffe/Toxine von (drei) Zellmembranen und werden durch das Adaptorprotein ZO-1 rekrutiert. Selbstassoziation: Claudine extrazellulär, JAMs N-termi- Tumorzellen bzw. Mikroorganismen) er- nal, Occludin C-terminal, und ZO-1 mittels seiner PDZ2-Domäne. höhen die parazelluläre BHS-Durchlässig- Die C-Termini der Claudine binden an PDZ1, die der JAMs an PDZ3 keit [32, 33]. Andererseits können antiin- und die von Occludin an die SH3-Hinge-GuK Einheit von ZO-1. Mit flammatorische Mediatoren wie Sphingo- letzterer interagieren auch regulatorische Moleküle wie G-Proteine oder der Y-box Transkriptionsfaktor ZONAB (nach [423]). sin-1-phosphat und Angiopoietin-1 ab- dichtend wirken [34]. TJ-Proteine umfassen mehr als 30 transmembranale Proteine und eine größere Zahl von Adapterproteinen, die an Ausbildung, Stabilisie- rung und/oder Regulation der TJs beteiligt sind; dabei ist die Verbindung mit dem Zytoskelett von be- sonderer Bedeutung. Wesentliche Komponenten sind Mitglieder der Claudin (Cldn) Proteinfamilie [35, 36], TJ-assoziierte MARVEL-Proteine (TAMP: Occludin, Tricellulin, MarvelD3) [37], Junktionale Ingolf E. Blasig (MLS), Sophie Dithmer und Reiner F. Haseloff Leibniz Online, Nr. 42 (2021) Kurzer Abriss zur Blut-Hirnschranke S. 3 v. 45 Adhäsionsmoleküle (JAMs) [38] und zytosolische TJ-assoziierte Proteine (z.B. Zonula occludens (ZO)- Proteine) [39] (Abb. 2C, D). JAMs und ZO-Proteine bilden allein keine TJs. Die Transmembranproteine unterliegen einem kontinuierlichen, meist Endozytose-vermittelten Turnover über Clathrin [40, 41], Caveolin [42] oder Makropinozytose [43], gefolgt von lysosomalem Abbau oder Recycling zur Memb- ran [42, 44, 45]. Strukturelle Hauptbestandteile der TJs sind Claudine (27 multigene Mitglieder, 20-29 kDa) [46], de- ren erste Vertreter 1998 beschrieben wurden [35]. Sie sind unverzichtbar für die parazelluläre Abdich- tung [20, 47] und enthalten 4 Transmembrandomänen, 2 extrazelluläre Schleifen (EZS), 1 intrazelluläre Schleife, 1 kur- zen N-terminalen sowie 1 vari- ablen C-terminalen Teil [48, 49]. Die Kristallstrukturen (Cldn15: [48], -19: [50], -4: [49]) zeigen ein Bündel aus 4 Transmembranhelices und eine gemeinsame extrazellu- Abb. 3: Struktur- und Wechselwirkungsmodelle von Claudinen. (A) Allgemeines läre Strukturdomäne aus ei- Modell, basierend auf der Kristallstruktur von Claudin-15 ([48]); der C-Terminus nem β-Faltblatt (5 β-Stränge) ist kristallbedingt um 33 Aminosäuren verkürzt. EZS1 und -2 bilden eine extrazel- und 2 kurzen Helices (Abb. 3A). luläre Domäne aus einem β-Faltblatt (5 antiparallele β-Stränge, blau) und 2 α- Helices (rot), unstrukturierte Bereiche