Swr2 Feature Am Sonntag
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE __________________________________________________________________________________ SWR2 FEATURE AM SONNTAG MY HAND, MY FRIEND, ALOHA GEORG DIBBERN, WELTENSEGLER, WELTENBUMMLER VON ANETTE SELG SENDUNG /// 03.02.2012 /// 14.05 UHR Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Ich, George Dibbern, bin – durch langjährige Aufenthalte in verschiedenen Ländern und aufrichtige Freundschaft mit vielen Menschen an vielen Orten – der festen Überzeugung, dass sich mein Platz, als Weltbürger und Freund aller Völker, außerhalb einer einzelnen Nation befindet. 1 Aus diesem Grund führe ich auf meinem eigenen Schiff meine eigene Flagge, habe ich meinen eigenen Pass und stelle mich unter keinen anderen Schutz als den des Wohlwollens der ganzen Welt. <Musik: Pascal Comelade. Haiku de Tango> Titel My hand, my friend, aloha. Georg Dibbern - Weltensegler, Weltenbürger Ein Feature von Anette Selg Track 1, O-Ton FD (Frauke Dibbern Ploog) (13 sek) Mein Vater ist ja weggegangen, 1930, da war ich siebeneinhalb. Und wir drei Schwestern, meine Schwestern warn immer jeweils ein Jahr jünger, wir hatten alle drei Masern und lagen im Bett. Also darum ist das so ein bisschen untergegangen. SprIn Vor über achtzig Jahren hat sie ihren Vater zuletzt gesehen. Frauke Ploog, geborene Dibbern. Eine Frau mit kurzen weißen Haaren im braunen Leinenkleid. Am Gürtel eine Schnalle aus Perlmutt. Die hat ihr der Vater einst aus Neuseeland geschickt. Track 6 (Anfang), O-Ton FD Und dann eben die Maorinamen, Frauke Wahine, Elke Mahate, Sunke Tai, SprIn Drei Töchter. Frauke ist die älteste. Sunke und Elke leben nicht mehr. Track 2, O-Ton FD (blättern) Das is zum Beispiel noch von damals, da ham wir so Baströckchen gehabt, von Vater war das noch, aber da war Vater schon weg. (blättern) 2 SprIn Frauke Ploog sitzt auf dem Sofa in ihrer Wohnung im bayerischen Wasserburg. Auf dem Schoß ein abgegriffenes Fotoalbum Atmo Fotoalbum-Blättern Track 3, O-Ton FD Frauke Dibbern Ploog (16 sek) Das war Vater, nich, dicker Puschelhaarkopf, dunkel, hübscher Mensch. Irgendwann kommt vielleicht noch mal, da is er. Vater hatte ne sehr große Nase, im Verhältnis, nich, und ein ganz schmales Gesicht. SprIn Georg Dibbern, Kapitänssohn, geboren 1889 in Kiel. Track 4, O-Ton FD 20 sek Er war sehr schmal, sehr beweglich, irgendwie jungshaft hatte ich ihn in Erinnerung. Hatte er ja damals auch so kurze Hosen angehabt im Garten, bisschen was gearbeitet, das weiß ich. Und dann hat er die Leiter an die Teppichstange gemacht, dann sind wir drei drauf geklettert und dann hat er uns, seinen Prinzessinnen, seinen Lieben, dann das Mittagessen serviert auf dem Dach. Nich, solche Sachen. SprIn Nach der Schule heuert er als Schiffsjunge an. Reist in die Südsee, kommt nach Australien und Neuseeland. Track 5, O-Ton FD Und was der da alles erlebt hat, der hat dann Bienen gezüchtet und war mit Maoris befreundet, hat nen Reitpferd gehabt, hat Autos verkauft, ist Akrobat gewesen. 3 SprIn In Neuseeland freundet sich Dibbern mit den Maori an. Geht mit ihnen zum Tanzen und zum Schafscheren, zum Fischen und zur Ernte. Bis 1918. Im letzten Kriegsjahr wird „German George“ interniert und 1919 nach Deutschland zurückgeschickt. Track 6, O-Ton FD Und er war ja seinerzeit bei dem ersten Aufenthalt in Neuseeland und da hat er ja die Häuptlingsfrau Mutter Rangi kennen gelernt. Aber glauben Sie, dass Vater in den ganzen Jahren, in denen er weg war: Mutter Rangi lebt, die wartet auf mich! *** SprIn Als Dibbern nach Deutschland zurückkehrt, ist er 30. Und lernt eine 19jährige kennen. Elisabeth Vollbrand. Track 7, O-Ton FD Mutter war Künstlerin und in Berlin auf der Kunstschule und, na ja, nun hatte sie sich verliebt, als sie ihn kennenlernte, weil’s der beste Freund von ihrem Vetter war. Mutter kam aus ’ner alten Professorenfamilie, Pastoren, Juristen, Ärzte - und Vater aus ’ner Handwerkerfamilie. Der Vater war Kapitän auf großer Fahrt. Und dann hat er ja sehr früh ’n Vater verloren, da war er sechs. SprIn 1921 heiratet sie den zehn Jahre älteren Georg Dibbern, gegen den Widerstand ihrer Familie. Der Seemann möchte aufs Land. Er zieht mit seiner Frau in ein kleines Dorf in Schleswig-Holstein und kauft einen alten Bauernhof . Track 8, O-Ton FD Dann hatten sie eben ’nen zweirädrigen Wagen und ’n Pferd, das war ’n Zirkuspferd. Das ging nur, wenn man Musik machte. Also musste Vater Mundharmonika spielen, nur dass das Vieh dann ging. Das im Dorf, können Sie sich vorstellen. (blättern) 4 Das is Mutter, war sie 23, hat dann immer noch die Scherenschnitte gemacht und diesen komischen Bauernhof. SprIn Die Scherenschnitte hängen heute in Frauke Ploogs Wohnzimmer: kraftvolle, expressionistische Arbeiten. Einige kauft damals auch das Folkwang-Museum in Essen an. Atmo: Blättern SprIn Das Landleben der Dibberns währt nicht lange. Track 9, O-Ton FD Etwa bis Mitte 24, dann konnten sie es nich mehr halten und haben es dann aufgegeben. An sich warn sie ja, wie Vater immer sagte, vierkanter Pfahl im runden Loch. SprIn Die Dibberns ziehen zunächst an die Kieler Bucht, dann nach Berlin-Bohnsdorf, am Rand des Bezirks Treptow-Köpenick. Track 10, O-Ton FD (ff von: Das is Mutter) Und Vater hat versucht, Geld zu verdienen, dass er eben ’ne Grönlandexpedition mitmacht und so was. SprIn Dibbern betätigt sich als Autoverkäufer, Schausteller und Bootsbauer. Ohne Erfolg. 1930 legt er als Notstandsarbeiter Friedhofswege an. Beruflos, mittellos. Nur ein zehn Meter langes Segelboot in Kiel gehört ihm noch. 5 <Musik: Pascal Comelade, Chanson Triste pour Ventriloque Aphone> SprIn ED (Elisabeth Dibbern) „Ich liebte ihn und er liebte mich und deshalb musste ich ihn fortschicken, damals 1930, als Sunke vier war und ich 29 . Sonst wären wir alle verloren gewesen.“ Track 11, O-Ton FD De facto war es so, dass sie sah, wie Vater verkam, grau krank gebeugt und elend war, und dass sie sagt, so geht’s nicht weiter, nimm das Schiff und segel los. SprIn Dibberns Segelboot heißt „Te Rapunga“, ein Maoriwort, das in der polynesischen Mythologie eine frühe Stufe der Weltentstehung bezeichnet: das „Sehnen“, das auf das „Nichts“ folgt. - Dibberns Ziel ist Neuseeland. Mutter Rangi, die weise und mächtige Maori-Häuptlingsfrau, die ihn 15 Jahren zuvor wie einen Sohn behandelt hat, soll ihm beim Aufbau einer neuen Existenz helfen. Seine Familie würde er später nachholen. Track 12, O-Ton FD Und ’30, da war er 41, nich, und ist dann eben losgefahren. Was Mutter geärgert hat oder betroffen hat, dass er Pfingsten losgefahren ist, aber erst im Herbst mit dem Schiff davon, und da nicht mehr zwischendurch zu Hause gewesen ist. *** Track 13, O-Ton Willi Hesse George Dibbern ist ja auch die Geschichte von einem Mann, der sich mit seinen Fähigkeiten in der Gesellschaft nicht aufgehoben fühlte, und der hatte Talente, der Mann, unbestritten. Aber der is ja oft auf Inseln gelandet, Europa war ja auch ne Insel zu der Zeit, wo er einfach nix machen konnte. Und dann hat er sich ein anderes Ziel gesucht. Das darf natürlich nicht zur permanenten Flucht werden. Viele Boote sind auch Fluchtfahrzeuge. 6 SprIn Willi Hesse ist Bootsbauer und passionierter Segler, der monatelange Touren auf See gemacht hat. 2010 arbeitet er auf einer Bootswerft im Norden Neuseelands. Dort macht er eine Entdeckung. Track 15, O-Ton Willi Hesse Papatoetoe is ’n Vorort von Auckland. In einem etwas heruntergekommenen Innenhof stand die Te Rapunga, abgeplant, notdürftig abgeplant, und bot eigentlich ein sehr trauriges Bild. Man konnte immer noch diese stolzen Rumpflinien erkennen, traditionell europäischer Bootsbau, sehr feine Linien, sichere Linien. Aber überall platzte die Farbe ab. Die Plankennähte und -stöße gingen auf. SprIn Willi Hesse findet auch Dokumente von Georg Dibbern, darunter alte Schiffspläne der Te Rapunga. Track 16, O-Ton Willi Hesse Ich bin Bootsbauer, ich hab viele solcher Wracks gesehen. Wie so ’n Archäologe kann man sich da durch die Schichten durchgraben bei Reparaturen oder Restaurierungen, und in diesem Boot waren sehr viele interessante Improvisationen zu bewundern. Ich hab Reparaturen an diesem Boot gesehen, die müssen irgendwo auf ’nem Strand ohne Elektroanschluss mit einfachsten Handgeräten durchgeführt worden sein, zwischen zwei Tiden. *** SprIn Im Herbst 1930 legt Georg Dibbern mit der Te Rapunga in Kiel ab. Mit an Bord sind sein Neffe Günther Schramm als Steuermann und zwei Passagiere: Albrecht und Dorothee von Fritsch. 7 Track 17, O-Ton FD Er war eben der Neffe, der Günther Schramm, und es war die Do und es war der Albrecht von Fritsch. Der hatte sehr viel Geld wohl dazugegeben. Und Do war die Schwester zu Albrecht. Und aber in England hat der sie glaub wieder verlassen, weil er nach Paris wollte und irgendjemanden heiraten. Also tzz, waren ja auch so komische Völker. SprIn Das Leben in Berlin-Bohnsdorf geht unterdessen weiter. Track 18, O-Ton FD Meine Mutter war also der sogenannte Ministerpräsident. Ich war der für Außen-, Elke für Innenministerium. Sunke der für Kultur und Wissenschaft, war nicht viel, aber immerhin. So fing das eben an, nachdem Vater weg war. Tja, die ganzen Jahre, ich hab ihn ja nie wiedergesehen. SprIn Die vaterlose Familie erhält Zuwendungen von der Wohlfahrt. Außerdem schickt eine Kränzchenfreundin der Mutter jeden Monat Geld. Track 19, O-Ton FD Ich weiß, das waren 180 Mark damals, und Mutter machte dann am Anfang des Monats entsprechende Häufchen. 63 für die Miete, so und so viel für dies und jenes, fünf Mark war für die Schneiderin. Mutter konnte nich nähen, aber hatte die Ideen. Das war ne Epileptikerin, die Schneiderin. Und dann war eben aber eine Portion auch für Telefon, das war für Mutter wichtig, dass sie mit Freunden und Verwandten und so weiter telefonieren konnte Track 20, O-Ton FD Ich mein, wir waren ja arm.