Arnold F. Rusch AJP/PJA 10/2019

Filme (16): Singin’ in the Rain

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nisieren». Gesagt, getan: Bei der Premi- die Forderungen der beiden Sänger nicht ere des Films ist das Publikum begeis- mehr bewältigen konnte, machte er die tert und will Lamont live singen hören. ganze Geschichte publik. Es folgte ein Lockwood lässt dabei das arrangement regelrechter shitstorm. Nebst der Ab- platzen: Während des vermeintlichen erkennung des Grammy lancierten An- Livegesangs zieht er den Vorhang hoch, wälte eine Sammelklage gegen Arista hinter dem Selden für Lamont singt. So Records.2 Im Rahmen eines Vergleichs kann er die untalentierte und ungeliebte erhielt jeder Käufer des Milli-Vanilli- Lamont öffentlich diskreditieren und zu- Albums zwischen einem und drei Dol- gleich seine Geliebte Selden als wirklich lar, Konzertbesucher zwei Dollar fünf- talentierten Star bekannt machen. zig. Die Anwälte erhielten für ihre Be- Der Film ist äusserst witzig und mühungen 675’000 Dollar. fasziniert durch phantasievolle Tanz­ war kein Ersttäter: einlagen. Die künstlerische Authen- Er hatte einfach kein Sensorium für tizität als Leitmotiv hält einem Lack- ein künstlerisches Ganzes. Er schuf mustest allerdings nicht stand. Der primär mal Musik und überlegte sich Arnold F. Rusch* Film tat nämlich genau das, was er später, wie er sie erfolgreich produ- kritisierte: Beim wirklichen Dreh hat zieren und vermarkten könnte. Für die sich gezeigt, dass Debbie Reynolds verschiedenen Stadien kamen immer Darf man als Sänger andere singen las- auch nicht so glorios singen konnte. wieder andere Personen zum Zuge. sen, ohne dies offenzulegen? Der erfolg- Ausgerechnet sie musste aber die Rol- Schon bei Boney M. sangen offiziell reiche Film mit Gene Kelly und Debbie le von Kathy Selden spielen, die für Liz Mitchell, Marcia Barrett, Maizie Reynolds aus dem Jahre 1952 erweist die talentfreie Lina Lamont hätte sin- Williams und Bobby Farrell. Offenbar sich dabei als erstaunlich aktuell. gen müssen! Betty Noyes sang in der konnten die Stimmen von Bobby Far- Folge als ghost singer für Debbie Rey- rell und Maizie Williams nicht richtig nolds, aber auch für andere Schauspie- überzeugen. Kein Problem für Farian: Ein Film im Film lerinnen in diversen Filmen, wie man Er sang im Studio selbst mit Mitchell 1 Singin’ in the Rain ist ein Film aus dem später herausfand. und Barrett! Er gab dies 1978 öffent- Jahre 1952, der von einem Filmdreh aus lich im Teenie-Heft Bravo zu. Damals dem Jahre 1927 handelt, als gerade Fil- war das kein Problem. Moderne Formen von Urheberrechtlich gab es bei Singin’ me mit Ton aufkamen. Ein Film im Film Singin’ in the Rain also. Der etwas abgehalfterte Schauspie- in the Rain und bei Frank Farian nur ler Don Lockwood (Gene Kelly) muss Kommt Ihnen das alles irgendwie be- wenig auszusetzen. Die wahren Inter- mit seiner Filmpartnerin Lina Lamont kannt vor? Ja! Dasselbe Drama haben preten als ausübende Künstler wuss- (Jean Hagen) ein Lied vortragen, doch wir bei erlebt. Frank ­Farian ten, was sie taten. Sie haben für ihre kann Lamont eigentlich nicht singen. als Produzent von Milli Vanilli nahm mit Tätigkeit den Lohn erhalten und im Als Schauspielerin von Stummfilmen den Sängern Charles Shaw, John Davis Gegenzug wahrscheinlich sämtliche hat sie auch keine gute Aussprache. und Brad Howe 1988 den Song Girl you Rechte, die aus den Urheberpersön- Der Film im Film – ursprünglich hiess know it’s true auf. Er erachtete die Musi- lichkeitsrechten (Art. 33, 33a URG) er The Dueling Cavalier und später The ker aber als zu alt für die heranwachsen- an der Aufführung entstehen könn- Dancing Cavalier – droht deswegen de MTV-Generation. Passenden Ersatz ten, an Farian abgetreten. So kann zu scheitern. Doch der listige Lock- fand er in den beiden quirligen Tänzern der ausübende Künstler auf Wunsch wood schlägt dem Produzenten vor, die Rob Pilatus und ­Fabrice Morvan, die auch anonym wirken: Auf das Recht, Schauspielerin Kathy Selden, gespielt nicht singen konnten. Sie konnten dafür genannt zu werden, kann er verzich- von Debbie Reynolds, für Lamont sin- tanzen. Der Rest ist Geschichte: Milli ten.3 Bei Singin’ in the Rain themati- gen und sprechen zu lassen. Natürlich ist Vanilli stiegen bis zur Nr. 1 in den USA er auf Selden auch sonst scharf. Selden empor und erhielten sogar einen Gram- 2 würde Lamonts Aufnahmen «synchro- my. Als Farian die vielen Gerüchte und Freedman v. , 137 F.R.D. 225. 3 Rolf auf der Maur, Art. 33a URG N 5, 1 Greg Lastowka, The Trademark Func- in: Barbara K. Müller/Reinhard Oertli * arnold F. Rusch, Prof. Dr. iur., LL.M., tion of Authorship, 85 B.U.L. Rev. 1171, (Hrsg.), Urheberrechtsgesetz (URG), 2. A., Rechtsanwalt, Universität St. Gallen. 1235 ff. Bern 2012: «Art. 33a Abs. 1 besagt, dass

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sieren Lockwood und Selden das Ur- heberpersönlichkeitsrecht und dessen problematische Abtretung im Film deutlich. Als Selden vorschlägt, für Lamont zu sprechen und zu singen, lehnt Lockwood dies rundweg ab: «I couldn’t let you do it, Kathy. You wouldn’t be seen. You’d throw away your career.» Kathy Selden sieht das pragmatisch: «It has nothing to do with my career. It’s only for this pic- ture.» Auch lauterkeitsrechtlich gab es nichts zu monieren. Wenn Fabrice Morvan und Rob Pilatus den Gesang anderer Leute als eigene Kunst ver- markten, dann gehört dies zwar zum reverse passing off.4 In der Schweiz könnte man dies unter Art. 3 lit. d UWG subsumieren. Doch auch hier gibt es klare Grenzen. Geschieht die Das Filmplakat von Singin’ in Verwendung mit Erlaubnis der wah- the Rain aus dem Jahre 1952 ren Interpreten, lässt sich daran nichts (Bild: Metro-Goldwyn-Mayer). aussetzen. Wo überdies gar keine Ver- letzung von Immaterialgüterrechten der freien Verwendung keine Steine in wälte im Fall von Milli Vanilli auch vorliegt, soll auch das Lauterkeitsrecht den Weg legen – auch dieses Prinzip ihr Klagefundament: misrepresenta­ ist anerkannt.5 tion und fraud,6 was man bei uns zivil- Das Problem bestand vielmehr da- rechtlich mit falschen Zusicherungen ausübende Künstler ein Recht auf Anerken- nung der Interpreteneigenschaft im Zusam- rin, dass das Publikum etwas anderes und arglistiger Täuschung gleichset- menhang mit ihren Darbietungen haben. gekauft hat als das, was auf der Pa- zen kann. Merken wir uns: Urheber- Die Bestimmung entspricht Art. 9 Abs. 1 ckung stand – darauf stützten die An- rechtlich mag alles in Ordnung sein, URG, der dem Urheber dasselbe Recht ein- doch kann das Obligationenrecht dem räumt. Dabei obliegt dem Interpreten die Entscheidung, ob er mit seinem tatsächli- Verkauf fremder Töne genauso einen chen Namen, einem Decknamen (Pseudo- 5 BGE 116 II 471 E. 3a/aa: «Die Nachah- Riegel schieben. Der geschäftstüch- nym, auch Gruppennamen) oder gar nicht mung ist vielmehr grundsätzlich erlaubt, tige und geniale Frank Farian ging genannt werden, d.h. anonym bleiben will soweit nicht patent-, urheber- oder mo- aber auch mit dieser Situation souve- (s. N 15 zu Art. 9 URG).» dellrechtliche Schutzansprüche entgegen- 4 Smith v. Montoro, 648 F.2d 602, 606 f.: stehen. Es ginge nicht an, auf dem Umweg rän um. Er liess nach dem Skandal die «According to appellant’s complaint, de- über das Wettbewerbsrecht als widerrecht- wahren Sänger unter dem Namen The fendants not only removed appellant’s lich zu bezeichnen, was nach den Spezial- Real Milli Vanilli auftreten. Das Al- name from all credits and advertising, they gesetzen des gewerblichen Rechtsschut- bum hiess sinnigerweise The Moment also substituted a name of their own choos- zes erlaubt ist (BGE 108 II 75 E. c; BGE ing. Appellees’ alleged conduct therefore 105 II 301 E. 4a; BGE 104 II 332 E. 5a). of Truth. Ja, wie war das schon wieder, amounts to express reverse passing off. As Daraus, dass die Rechtsordnung für be- Frank? Hiess es nicht schon vorher a matter of policy, such conduct, like tra- stimmte Kategorien geistiger Schöpfungen Girl you know it’s true? Es war wohl ditional palming off, is wrongful because besondere – an die Erfüllung formeller wirklich nur ein Moment! it involves an attempt to misappropriate Voraussetzungen geknüpfte und zeitlich or profit from another’s talents and work- beschränkte – Ausschliessungsrechte aner- manship. Moreover, in reverse palming off kennt, folgt zwingend, dass die wirtschaft- cases, the originator of the misidentified liche Betätigung des einzelnen ausserhalb product is involuntarily deprived of the ad- der geschützten Sonderbereiche frei sein vertising value of its name and of the good- soll (BAUMBACH/HEFERMEHL, Wettbe- will that otherwise would stem from public werbsrecht, 14. Aufl. 1983, N. 388 zu § 1 knowledge of the true source of the satis- dUWG)»; vgl. Dastar v. Twentieth Century 6 Freedman v. Arista Records, 137 F.R.D. factory product.» Fox Film, 539 U.S. 23, 33 f. 225, 226.

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