Arbeitsanalyse Und Selbstbestimmung Zur Bedeutung Und Aktualität Von „Socialisme Ou Barbarie“
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Arbeitsanalyse und Selbstbestimmung Zur Bedeutung und Aktualität von „Socialisme ou Barbarie“ Dissertation zur Erlangung des sozialwissenschaftlichen Doktorgrades der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen vorgelegt von Andrea Gabler aus Augsburg Göttingen 2006 1. Gutachter: Prof. Dr. Rainer-W. Hoffmann 2. Gutachter: Prof. Dr. Walter Euchner Tag der mündlichen Prüfung: 22.10.2007 Inhalt 1. EINLEITUNG 3 2. SOCIALISME OU BARBARIE – DIE GRUPPE UND IHRE GESCHICHTE 12 2.1 Vorgeschichte: Von der innertrotzkistischen Opposition zur eigenen Organisation (1946-1949) 13 2.2 Die Anfänge: Organisatorische Selbständigkeit in der Isolation (1949-1951) 18 2.3 Erste Krise: Konflikt um die Organisationsfrage (1951/1952) 29 2.4 Konsolidierung: Socialisme ou Barbarie und die Risse in den „Zitadellen des Ultra-Stalinismus“ (1953-1956) 31 2.5 „Bestätigung und Aufbruchstimmung“ (1956-1958) 35 Exkurs: Tribune Ouvrière 41 Exkurs: Pouvoir Ouvrier 43 2.6 Die Spaltung von Socialisme ou Barbarie (1958) 44 Exkurs: Internationale Kontakte 46 2.7 Junge Leute und neue Sujets (1959-1963) 49 2.8 Streit um den Marxismus und erneute Spaltung (1963) 52 2.9 Auflösungsphase:„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt’s allein, wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht.“ (1963-1967) 54 2.10 Eine kurze historische Bilanz von Socialisme ou Barbarie 56 3. BÜROKRATIE ODER AUTONOMIE: THEORETISCHE LEITLINIEN EINER POLITISCHEN ARBEITSFORSCHUNGSKONZEPTION 59 3.1 Bürokratischer Kapitalismus: Gesellschaft als ‚klimatisierter Alptraum‘ 61 3.2 Sozialismus als autonome Gesellschaft 73 Exkurs: Rätekommunismus 80 3.3 Bruch mit dem Marxismus 82 3.4 Fazit 88 4. ARBEITSANALYSE VON UNTEN: DICHTE BESCHREIBUNGEN DES FORDISTISCHEN ALLTAGS 91 4.1 Erforschung der Arbeit bei Socialisme ou Barbarie: Stellenwert, Konzeption, Vorbilder 93 4.2 Die Analyse von Alltags- und Arbeitserfahrungen 103 1 4.2.1 Georges Vivier: In der Fabrik herrscht „...ein bewaffneter Frieden, und beim ersten Einsatz der Zeitnehmer entbrennt der Krieg von neuem.“ 103 4.2.2 Philippe Guillaume: „...die Fabrik ist genau das Gegenteil der Freiheit.“ 118 4.2.3 Daniel Mothé: Der Arbeiter „...tendiert dazu, die Rädchen der Verwaltungsorgane zu ersetzen. In der sozialistischen Fabrik wird er sie komplett ersetzen.“ 123 Arbeit und Selbstbestimmung 125 Betriebspolitik und Arbeiterbewußtsein 133 Neue Managementstile 147 Franzosen und Immigranten 149 Alte und Junge 150 ArbeiterInnen und Kultur 154 4.2.4 Henri Simon: „Man kann die Angestellten bestimmt nicht verstehen, wenn man nicht sensibel ist für die Diskrepanz zwischen ihren Worten und ihren Taten.“ 158 4.3 Der Ertrag: Zur Interpretation der témoignages 166 5. DIE AUFHEBUNG DER HETERODOXIE? ZUR WISSENSCHAFTLICHEN VERORTUNG UND ARBEITSPOLITISCHEN AKTUALITÄT VON SOCIALISME OU BARBARIE 179 5.1 Socialisme ou Barbarie versus Sociologie du travail: Offener Dissens, partielle Vereinnahmung 180 5.2 Problemkomplexe der deutschen Industriesoziologie: Schwache Parallelen, weitreichende Divergenzen 190 5.3 Neben- und Unterströmungen der Arbeitssoziologie mit hoher Affinität 192 5.4 Postoperaistische Reminiszenzen: ‚Immaterielle Arbeit‘ und ‚militante Untersuchung‘ 194 5.5 Die Leitbilder des Neuen als Deckbilder einer zerrissenen Arbeitsrealität: Der Ansatz von Socialisme ou Barbarie im postfordistischen Kapitalismus 199 ANHANG 205 A. Erscheinungsdatum und Umfang der Zeitschrift „Socialisme ou Barbarie“ 206 B. Von Socialisme ou Barbarie durchgeführte Diskussionsveranstaltungen und Schulungen 207 C. Kurzbiographien der Mitglieder von Socialisme ou Barbarie 210 D. Retrospektiven ehemaliger Mitglieder von Socialisme ou Barbarie 224 E. Abkürzungen 233 LITERATUR 235 2 1. Einleitung Die Domäne der Arbeit scheint in den letzten Jahrzehnten einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Nicht nur, daß mit dem Tertiarisierungsprozeß neuartige Arbeits- und Be- schäftigungsformen entstanden sind und die Informatisierung deren Gestalt teilweise grundlegend verändert. Das Zusammenspiel dieser Entwicklungen mit dem Bedeutungs- verlust des fordistischen ‚Normalarbeitsverhältnisses‘ bestimmt Arbeit in vielerlei Dimen- sionen neu: bisherige normative, (sozial-)politische, rechtliche und organisatorische Orien- tierungspunkte verflüchtigen sich. Arbeitslosigkeit und Exklusionsrisiko werden zum ge- sellschaftlichen Massen- und Dauerphänomen. Der Eindruck verdichtet sich, daß der postfordistische Kapitalismus – unter anderen Blickwinkeln auch als Dienstleistungs-, In- formations-, Wissens- oder Netzwerkgesellschaft tituliert – vor allem von sozialen Des- integrationsprozessen auf der kollektiven und erhöhtem Druck auf der individuellen Ebene geprägt wird.1 Individualität, Dezentralität, Selbststeuerung und die permanente Mobilisierung allseitiger Flexibilität erscheinen als Chiffren postfordistischer Produktionsorganisation. Die Dominanz des ‚globalen‘ Kapitalismus fordert entsprechende Opfer der Anpassung in der Arbeit. Gleichwohl und womöglich gerade aufgrund der mit den Veränderungen verbundenen Ge- fährdungen sozialer Integration scheinen die individuelle und gesellschaftliche Positivori- entierung an der Arbeit und die Bereitschaft, diese Opfer zu bringen, so stark wie nie. Das Thema Arbeit behält damit auch in der derzeitigen Phase tiefgreifender Umbrüche und in- stitutioneller Neuformierung in den entwickelten kapitalistischen Industriegesellschaften seinen besonderen Stellenwert. Die mit ihm beschäftigte sozialwissenschaftliche Forschung versucht die angedeuteten Phänomene mit Formeln wie der vom Ende der Arbeitsteilung, gar dem bevorstehenden Ende der Arbeit, zu fassen und diskutiert die neuen ‚partizipativen‘ oder dezentralen Modelle der Unternehmensorganisation sowie die Globalisierung von In- dustriestrukturen und Produktionsprozessen. 1 Als eine nicht ganz glückliche, aber für unsere Zwecke ausreichende Hilfskonstruktion dient der Begriff des Postfordismus wie der des Fordismus zur Kennzeichnung einer spezifischen historischen Konstellation (vgl. dazu etwa Hirsch/Roth 1986:46ff). Während Fordismus die zwischen den 1950er Jahren und dem Anfang der 1970er Jahre vorherrschende Verbindung aus ökonomischer Prosperität, massenorientiertem Produktions- und Konsummodell sowie keynesianischem Wohlfahrtsstaat darstellt, meint Postfordismus die darauf folgende Phase ökonomischer Krise, flexibler Produktion und des neoliberalen Staats. 3 Wie diese Diskurse über den Wandel der Arbeit von den unterschiedlichen AkteurInnen2 hervorgebracht, genutzt und verbreitet werden, so bezieht sich die mit Arbeit befaßte For- schung auch auf unterschiedliche Erkenntnisinteressen, Begriffe, Inhalte wie Methoden. Ihre Konzeptionen unterliegen sozialen Einflüssen, sind selbst dem historischen Wandel unterworfen und haben Teil an den Konjunkturen gesellschaftlicher und politischer Prob- lemwahrnehmung und Aufmerksamkeitsverteilung. Damit geht einher, daß nicht jede Kon- zeption gleichermaßen zu Rezeption und Durchsetzung gelangt. Diese sind eben – wie bereits der wissenssoziologische Gemeinplatz weiß – nicht nur vom innovativen Gehalt oder dem ‚Erkenntniswert‘ der Konzepte, sondern auch von gesellschaftlichen Bedingungen und Interessenkonstellationen abhängig. Der Wandel der auf Arbeit zielenden Forschung, insbesondere der Arbeitssoziologie, schlägt sich unter anderem in Veränderungen und Erweiterungen des Arbeitsbegriffs nieder: So wird Arbeit heute stärker in der gender-Perspektive gesehen oder auch in ihren kommunikativen Dimensionen zu begreifen versucht. Einige plädieren für eine stärkere Subjektorientierung des Arbeitsbegriffs, andere heben auf die Arbeits- bzw. Betriebskultur ab. Ein explizites Verständnis von Arbeit als Politik, als umkämpftem politischem Feld findet sich hingegen kaum noch. Ein solcher, hierzulande ansatzweise im Kontext des Programms ‚Humanisierung der Arbeitswelt‘ in Erscheinung getretener, später ausgehend von der Labour Process Debate kontrolltheoretisch und arbeits- oder mikropolitisch ausbuchstabierter Zugang, scheint in den neueren Arbeitsanalysen wieder in den Hintergrund zu treten. In der vorliegenden Studie soll durch die Rekonstruktion eines vergessenen Ansatzes von Arbeitsanalyse deutlich gemacht werden, wie lohnend es ist, den Arbeitsbegriff gleichsam politisch aufzuladen, und wie damit angemessenere Deutungen auch aktueller Entwicklungen in der Domäne der Arbeit zu befördern wären. Im Zentrum steht im folgenden eine Konzeption, die weit ab vom arbeitssoziologischen Mainstream liegt. Formuliert wurde sie in den 1950er und 1960er Jahren von Socialisme ou Barbarie, einer von Cornelius Castoriadis, Claude Lefort und anderen gegründeten links- libertären französischen Gruppe, die hierzulande bislang kaum Beachtung fand.3 Wenn über- 2 Ich versuche in meiner Darstellung durchgängig, geschlechtsneutrale Begriffe zu benutzen und habe mich deshalb für die Schreibweise mit dem Binnen-I entschieden (etwa: ArbeiterInnen, zu lesen als: Arbeiter und Arbeiterinnen). An der maskulinen Form wird nur bei Originalzitaten oder dann festgehalten, wenn sich dies eindeutig aus dem Kontext ergibt. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch darauf, daß diese Arbeit in der sog. alten Rechtschreibung verfaßt ist. 3 Die Gruppe Socialisme ou Barbarie wird im folgenden abkürzt als SouB. Um die gleichnamige, von der Gruppe herausgegebene Zeitschrift davon unterscheiden zu können, wird diese mit SB abgekürzt. Im Anhang findet sich ein Verzeichnis der benutzten Abkürzungen. Bei der Frage, ob im Text die wirklichen Namen oder 4 haupt, dann ist SouB meist nur als