Beethoven Symphonie Nr.9
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900108 B9 booklet v4 10.09.2010 12:29 Uhr Seite 1 BEETHOVEN SYMPHONIE NR.9 Krassimira Stoyanova . Lioba Braun . Michael Schade . Michael Volle Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Mariss Jansons 900108 B9 booklet v4 10.09.2010 12:29 Uhr Seite 2 LUDWIG VAN BEETHOVEN 1770–1827 Symphonie Nr. 9 d-Moll / D minor, op. 125 01 Allegro ma non troppo, un poco maestoso 15:50 02 Molto vivace – Presto 12:03 03 Adagio molto e cantabile – Andante moderato 13:37 04 Finale. Presto – Allegro assai vivace (alla Marcia) 24:08 Total time: 66:19 Krassimira Stoyanova Sopran / soprano Lioba Braun Alt / alto Michael Schade Tenor / tenor Michael Volle Bariton / baritone Chor des Bayerischen Rundfunks Michael Gläser Choreinstudierung / chorus master Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Mariss Jansons Dirigent / conductor 900108 B9 booklet v4 10.09.2010 12:58 Uhr Seite 4 Live-Aufnahme / Live-recording: Vatikan (Rom), Aula Paolo VI, 27. Oktober 2007 Tonmeister / Recording Producer: Wilhelm Meister Toningenieur / Balance engineer: Gerhard Gruber Schnitt / Editing: Monica Graul, Mechthild Homburg Verlag / Publisher: Breitkopf & Härtel Stereo & Surround Mastering: Christoph Stickel, msm-Studios München Cover: C Gerhard Richter, 2010 Die „Snow-White“ Edition (2005) umfasst 100 Arbeiten, jedes der Blätter ist ein Unikat. Ausgeführt in Acrylfarbe und Bleistift auf Offsetdruck, zeigen sie Details des Gemäldes „Abstraktes Bild“, Werkverzeichnis: 890-5, (2004). Each of the 100 works that comprise the “Snow-White” edition (2005) is unique. To create them, Richter applied acrylic paint and pencil onto offset prints of details of his “Abstract Painting” (“Abstraktes Bild”), Catalogue Raisonné: 890-5, (2004). www.gerhard-richter.com/art/editions/snow-white Fotos / Photography: C BR / Matthias Schrader Design / Artwork: [ec:ko] communications Editorial: Andrea Lauber Label Management: Stefan Piendl, Arion GmbH, Köln Eine CD-Produktion der BRmedia Service GmbH P+C 2010 BRmedia Service GmbH 900108 B9 booklet v4 10.09.2010 12:29 Uhr Seite 6 „ALLE MENSCHEN WERDEN BRÜDER“ ner Interpretation wandelt sich der Final-Jubel zu einer beredten Refle- GEDANKEN ZU BEETHOVENS NEUNTER SYMPHONIE xion über Sehnsucht und Ehrfurcht, Hoffen und Bangen, Freude und Leid. 1943 in einem Versteck des jüdischen Ghettos der lettischen Stadt Entstehungszeit 1823–1824, erste Skizzen 1815 Riga geboren, weiß Jansons persönlich von den Abgründen. Und von der Widmung König Friedrich Wilhelm III. von Preußen Dringlichkeit der Botschaft Beethovens. Musikalisch groß geworden ist Uraufführung 7. Mai 1824, Kärntnertortheater in Wien Jansons im sowjetischen Leningrad, dem heutigen St. Petersburg. „Man Lebensdaten des Komponisten * 17. Dezember 1770 in Bonn, † 26. März 1827 in Wien kann die Politik aus der Musik ausklammern, nicht aber die Geschichte“, bekennt Jansons generell, und deswegen tönt in seiner Neunten nir- Vielleicht war es nur konsequent, dass nach zwei Weltkriegen das Chor- gends hohler Effekt und affirmativer Jubel. Denn auch Beethoven schien Finale aus der Neunten von Ludwig van Beethoven misstrauisch beäugt mehr gehofft denn gewusst zu haben, der Zweifel schwingt stets mit: wurde. Wie kann man auch nach derartigen Abgründen, der systemati- Deswegen wird die ausgedehnte Schluss-Stretta zweimal retardierend schen Vernichtung von Menschen und dem ideologischen Kalten Krieg gebremst, der Jubel ist mindestens schwer erkämpft. zwischen Ost und West, glauben, dass „Millionen umschlungen“ seien und Dabei wollte Beethoven sehr wohl mit dem Chor-Finale die Ideen von alle Menschen Brüder würden? Deshalb misstraut Theodor W. Adorno Friedrich Schiller umfassend umsetzen. Keineswegs beschränkt sich näm- 1962 in seiner Einleitung in die Musiksoziologie der „auftrumpfenden Hu- lich Beethovens Schiller-Reflexion darauf, dass er hier dessen Ode An manität“ eines Komponisten, „der seine Hörer mit ‚O Freunde‘ anredet die Freude vertonte. Vielmehr ging es Beethoven zugleich um die Funk- und mit ihnen ‚angenehmere Töne‘ anstimmt.“ tion des Chores, wie Schiller sie in seiner Vorrede Über den Gebrauch des Zuvor hatte schon Thomas Mann in seinem Roman Doktor Faustus von Chores in der Tragödie zum Trauerspiel Die Braut von Messina skizzierte. 1947 die Neunte als Symbol für das Scheitern des Humanitätsgedankens Demnach reinige der Chor, indem er über „Vergangenes und Künftiges, und der Aufklärung per se beschrieben. Als Generalmusikdirektor in über ferne Länder und Völker, über das Menschliche überhaupt“ reflek- Frankfurt am Main zog auch Michael Gielen Ende der 1970er Jahre seine tiere, um „die großen Resultate des Lebens“ zu ziehen und die „Lehren Konsequenzen: Bei einer Aufführung der Neunten fügte er zwischen der Weisheit“ auszusprechen. dem dritten und vierten Satz Arnold Schönbergs Ein Überlebender aus Der Chor sei kein Individuum, sondern eine „sinnlich mächtige Masse“. Warschau von 1947 ein. Mariss Jansons geht einen anderen Weg: In sei- Deswegen schreibt Paul Bekker 1918 in seiner bedeutenden Abhandlung 900108 B9 booklet v4 10.09.2010 12:29 Uhr Seite 8 Die Sinfonie von Beethoven bis Mahler von „Gefühlsgemeinschaften“, die “ALL MEN WILL BE BROTHERS” Beethoven erschaffen wolle. Bekkers musiksoziologische Betrachtungen THOUGHTS ON BEETHOVEN’S NINTH SYMPHONY haben nicht nur Adorno, sondern zugleich die russisch-sowjetische Symphonik geprägt. So lässt sich Bekker’sches Denken bei den Theore- Composition period 1823–1824, preliminary sketches begun in 1815 tikern Iwan Sollertinski und Boris Assafjew nachweisen, die wiederum Dedication King Friedrich Wilhelm III of Prussia Dmitri Schostakowitsch beeinflussten. Indes ignoriert Bekker, dass Beet- World Première May 7, 1824, Kärntnertortheater in Vienna The Composer’s Vital Statistics: * Dec. 17, 1770 in Bonn; † March 26, 1827 in Vienna hoven den „Gefühlsgemeinschaften“ durchaus misstraute. Laut den Erinnerungen seines Schülers und Freundes Carl Czerny wollte Beethoven noch nach der Uraufführung der Neunten das Chor- Perhaps it only follows logically that after two world wars, the choral gegen ein Instrumentalfinale austauschen. Heute ist das finale Haupt- finale of Beethoven’s Ninth Symphony has been looked upon somewhat thema die offizielle Europahymne. Es würden Werte versinnbildlicht, die warily. After such devastation, the systematic annihilation of human be- alle teilten – auch die Einheit in der Vielfalt, heißt es in der offiziellen Be- ings and the ideological Cold War between east and west, how can any- gründung. 2001 wurde das Autograph der Neunten zum Weltdokumen- one believe that “millions will embrace” and “all men will be brothers”? tenerbe erklärt. Im Dezember 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, This is why, in his Introduction to Musical Sociology (1962), Theodor W. führten der Chor und das Symphonieorchester des Bayerischen Rund- Adorno states his mistrust of the “self-congratulatory humanity” of a funks unter Leonard Bernstein in Berlin die Neunte mit verändertem Text composer who addresses his audience as “Oh, friends!” and strikes up auf: „Freiheit schöner Götterfunken“ wurde gesungen. Ein halbes Jahr spä- “pleasanter tones!” ter war Deutschland wiedervereinigt, bald erlosch auch der Kalte Krieg. The Ninth also appears in the same context in Thomas Mann’s 1947 Jansons’ ehrliche Sicht vergisst nicht. Und mahnt. novel, Doktor Faustus as a symbol for the collapse of the humanity idea Marco Frei and the enlightenment per se. As General Music Director in Frankfurt on the Main, Michael Gielen drew his own conclusions. In a performance of the Ninth, he inserted Arnold Schönberg’s 1947 work, A Survivor of War- saw between the third and fourth movements. Mariss Jansons takes another tack. In his interpretation, he converts the final jubilation into an 900108 B9 booklet v4 10.09.2010 12:29 Uhr Seite 10 eloquent reflection on longing and reverence, hope and fear, joy and sor- treatise The Symphony from Beethoven to Mahler to write of “the commu- row. nities of emotion” that Beethoven wished to create. Bekker’s music- Born in 1943 in a hiding place in the Jewish quarter of the Latvian sociological observations not only left their mark on Adorno, but also on capital of Riga, Jansons has personally experienced more than his share Soviet Russian symphonic writing. Thus we can trace the impact of Bek- of devastation—and the urgency of Beethoven’s message. Jansons grew ker’s thinking on such theoreticians as Ivan Ivanovich Sollertinsky and up musically in the Soviet city of Leningrad, the once and future St. Pe- Boris Vladimirovich Assafiev, who in turn influenced Dmitry Shostako- tersburg. “We can eliminate politics from music, but not history,” Jansons vich. Bekker does, however, overlook the fact that Beethoven thoroughly acknowledges as a general rule, which is why his Ninth is dominated distrusted those “communities of emotion”. nowhere by hollow effects or mere affirmative jubilation, for Beethoven According to the recollections of his pupil and friend Carl Czerny, also seems to be building more on hope than on knowledge; doubt is Beethoven wanted to replace the chorus with an instrumental finale even always part and parcel of his equation. This is why the attenuated final after the world première of the Ninth. Today the finale is the main theme stretta is slowed down twice with ritardandi: the jubilation at least meets of the official European anthem. It is regarded as symbolizing values with some heavy opposition. everyone shares—including unity in diversity, as stated in the official In his work, Beethoven certainly did