Zwischenspiel
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Zwischenspiel Mechanismen der Verzerrung – Das Wunderbare als Grenzkategorie Gerade im Zusammenhang mit Reichardts Geisterinsel und Webers Elfenklang zeigt sich der Prozess einer musikalischen Charakterisierung der Figurenwelt. Werden im 18. Jahrhundert die Elfenfguren zunächst behandelt wie antike Götter und Könige, wenig diferenziert in Kostüm, Klang und Gebaren, so erreichen sie, wie an den verschiedenen Verschiebungsprozessen sichtbar geworden ist, in der Mit- te des 19. Jahrhunderts eine eigene ästhetische Signatur. Diese hat Charakteristika und Attribute ausgebildet und eine kulturelle Verankerung gewonnen. Die Elfen- welt wird zur Parallelwelt, die von der göttlichen Sphäre ebenso unterschieden ist wie von der menschlichen Welt, sie folgt eigenen Gesetzen und zeichnet sich durch eine Ambivalenz der Erscheinung aus. Deutlich wird jedoch auch, dass un- terschiedliche Vorstellungen von Elfen nebeneinander existieren. Sie schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. So ist das Nebeneinander der Elfenbilder, das sich bei Tieck und Mendelssohn fndet, symptomatisch in seiner Prozesshafigkeit und Heterogenität. An der Ausbildung der Bildwelten ist eine Verzerrung aufällig, die sowohl die Körper als auch die medientechnologischen Inszenierungsaspekte betrif und eine Form der Weltvergewisserung spiegelt. Die Veränderung der Größe, die einhergeht mit einem Ausbrechen aus den menschlichen Dimensionen, ist bereits in der Ana- lyse der Dramentexte im Rahmen der Einleitung als Merkmal diskutiert worden, um die Abständigkeit der Elfen zu markieren. Im Zusammenhang mit der Besetzung der Elfen in der Tieck-Inszenierung ist die Analyse des Dramentextes mit der Körper- aufassung eines historisch und sozial bestimmten Moments verbunden worden. Mechanismen der Vergrößerung wie der Verkleinerung spielen aber auch auf der Ebene der Medientechnologie eine Rolle. So zeigt der Blick auf den Oberon, dass in der Gestaltung der Reisen – im Narrativen wie in der Inszenierung durch Wandel- kulissen – Welt und Protagonisten verkleinert werden, bis sie in die zeitlichen und räumlichen Maßgaben der Proszeniumsbühne passen. Zentral steht die Überwin- dung von Distanzen mehrerer tausend Kilometer, von Aachen geht die Reise nach Bagdad, nach Tunis. Auf der Bühne jedoch dauert die Reise nur wenige Minuten. Es ist der Elfenzauber, der die Dimensionen des Makrokosmos auf menschliches Maß verkleinert und es dem Blick ermöglicht, die Unendlichkeit der Weite zu fassen. Hierin spiegelt sich auch ein für das 19. Jahrhundert mit Dampfschif und Eisenbahn symptomatischer Prozess der Weltaneignung. Gerade umgekehrt begegnet uns die Verzerrung im Zusammenhang mit dem mikroskopischen Blick auf die Elfenwelt. Die Bühne wird hier zur Linse, die den Mikrokosmos Natur auf Menschenmaß ver- größert. Die Szene des Wunderbaren rückt Fragen von Skalierung in den Blick, sie 262 Zwischenspiel bildet die Schwelle zum Anderen, das sowohl das Ungewisse der Ferne als auch das Unentdeckte des Mikrokosmos erfahrbar macht. Shakespeare als Prüfstein des Theaters If we shadows have offended, Think but this, and all is mended That you have but slumb’red here While these visions did appear. (MSND S. 127, V. 409–412) Zum Abschluss des Midsummer Night’s Dream stellt Puck noch einmal alle Rahmun- gen zur Disposition. Das, was die Rezipierenden gesehen und gehört haben, rückt er in den Bereich der Vision, des Traumes. Damit beansprucht er für das Teater die Freiheit, dem Realitätsrahmen, ästhetischen Entscheidungen, sozialen und po- litischen Verankerungen mit Eigengesetzlichkeit zu begegnen. Die vorstehenden Analysen haben in diesem Sinne verschiedene Szenen des Wun- derbaren in den Blick genommen. Im Fokus des Interesses stand dabei die Frage, welche Konkretisierungen theatrale Ereignisse für die von Puck proklamierte Ofen- heit der Vision fnden und wohin sie das Potenzial derselben entwickeln. An Fragen nach dem Wie schlossen sich unmittelbar Fragen nach dem Wann und Woher an. Wann ist die Zeit reif für einen Gedanken? Wann ermöglicht die Szene des Wunder- baren den Blick nach vorn, wann erscheint sie als Ort der Nostalgie, wann darf sie sich selbst feiern? Wo nimmt sie ihren Ausgangspunkt und an welche kulturellen Parameter ist sie gebunden? Zum Abschluss wird noch einmal der Blick auf die Berührung von Teater und Musik geworfen, die symptomatisch im Prisma der Szene des Wunderbaren unter- sucht wurde: Trotz aller Heterogenität und Kompromissbereitschaf fnden sich in der Einrichtung des Sommernachtstraums für die Königlichen Bühnen die ent- scheidenden Linien der deutschen Shakespeare-Rezeption vereint. Shakespeares Text bringt Herausforderungen mit sich, denen sich zunächst Übersetzer wie Wie- land stellen, die in der zweiten Hälfe des 18. Jahrhunderts eine Übertragung der englischen in die deutsche Sprache suchen. Wo Reichardt Shakespeares Geister im Musikalischen der deutschsprachigen Öfentlichkeit vorstellen kann, ist es Tieck, der durch die mit Schlegel herausgegebenen Dramentexte, das Werk Shakespeares fächendeckend – und bis heute prägend – in deutscher Sprache verfügbar macht.859 Wechselnd liegt das Augenmerk entweder auf der Sprache oder auf dem Geist der Dichtung. Schnell gesellt sich eine zweite Komponente hinzu, in der versucht wird, nicht nur die Sprache, sondern auch die Form der Dramatik zu übertragen und sie dafür zu nutzen, einen an die Gegenwart angepassten deutschen Nationalstil zu be- gründen. Es ist Tieck, der in seinem Aufsatz die Musik als das Element artikuliert, welches den Zugang zu den wunderbaren Welten ermöglicht, indem es die Rezi- pierenden mit hinübernimmt. Es ist Tieck, der Reichardts Ouvertüre genau diese Fähigkeit zuschreibt und seine Ideen 1843 schließlich einlösen kann. Die Bemühun- 859 Zur Bedeutung der Schlegel-Tieck Übersetzung vgl. Paulin (2003), S. 344–348. Zwischenspiel 263 gen der Jahrhundertwende 1800 um eine national verankerte Kultur fnden in thea- tralen Formen, die sich zwischen gesprochenem und gesungenem Wort, zwischen begleitendem Orchesterpart und instrumentalen Interludien verorten, einen Weg der Shakespeare-Inszenierung. Das Zwischen der Gattungen und Institutionen er- möglicht einen freien Einsatz von Formkriterien, sozialen Räumen und maschinel- len Apparaten, wie die Analysen der Geisterinsel zeigen. Die 1820er Jahre, in denen die Shakespeare-Dramen adaptiert und fortgespon- nen werden, sehen im Übertrag des poetischen Gehaltes in instrumentale Musik den einzig angemessenen Umgang. Mendelssohns Ouvertüre op. 21 wird hierbei als paradigmatisch betrachtet. Gleichzeitig zeigt sich bei Tieck das Bedürfnis, die historischen Gegebenheiten der Shakespeare-Zeit zu betrachten. Dabei geht es ihm gleichermaßen um eine Rekonstruktion als auch darum, Impulse für die Gegenwart zu erhalten, die den Schauspielstil ebenso betrefen wie die Raumgestaltung. Eine Seitenlinie eröfnet Webers Oberon. Einerseits wird hier über die Form diskutiert, andererseits über Szenarien der Elfeninszenierung und ihre kulturellen Möglichkeiten. Im englischen Diskurs gilt es die Positionierung Shakespeares zwi- schen legitimen oder illegitimen Teatern zu verhandeln. Im deutschen Diskurs gilt das Melodramatische als minder legitime Form, die kulturelle Wertigkeit, die dem Werk zugesprochen wird, wird an der Person des Komponisten festgemacht. Die drei Fallstudien legen eine Entwicklung frei, in der die Szene des Wunder- baren einen Spielraum von Teater zurückerobert, den strikte institutionelle und formale Trennungen verloren hatten. Zielpunkt dieser Entwicklung ist gerade nicht die Überhöhung des Wunderbaren ins Heilige, das Sandra Bornemann-Quecke in Richard Wagners Konzept vom »Kunstwerk der Zukunf« liest,860 sondern das Spie- lerische des Unzeitgemäßen und Anachronistischen, das den Blick gleichermaßen in die Vergangenheit richtet oder mögliche Zukunf entfaltet. Die analysierten Sze- nen des Wunderbaren suchen nicht die Amalgamierung der am theatralen Ereignis beteiligten Künste, sondern die jeweils passende Kombination: Bühnentechnik und Musik, Visualität, Raumbewegung und Klang kreieren ein Momentum, das ein Be- spiegeln kultureller Diskurse und Konventionen in Gang setzt. 860 Vgl. Sandra Bornemann-Queckes im Erscheinen begrifene Studie Heilige Szenen. Räume und Strategien des Sakralen im Teater der Moderne, in der sie das Heilige als ästhetisches Erfahrungsmoment der Moderne entfaltet. Epilog: »Which unseen world are we talking about?« (Woody Allen) In der Frage, die Woody Allen (*1935) 1982 in seinem Film A Midsummer Night’s Sex Comedy861 ofen lässt und zugleich eloquent mit einer Vielzahl von Antworten versieht, kristallisiert sich die Herausforderung, die der Szene des Wunderbaren ein- geschrieben ist: Was passiert mit dem Wunderbaren in einer entzauberten Welt? Welche Mechanismen seiner Inszenierung bleiben virulent, fallen weg oder ent- wickeln sich? Wie verhalten sich Innovation und Konvention zueinander? Welchen Experimentierraum bewahrt das Wunderbare? Anhand dieser Fragen widmet sich der Epilog der intermedialen Zirkulation der Shakespeare’schen Elfenszenarien im 20. und 21. Jahrhundert. Die Analysen der vorangegangenen Kapitel haben sich in zwei Rahmungen be- wegt, die im Epilog ausgeweitet werden sollen. Die erste Rahmung bildet der his- torische Zeitraum von den 1790er bis zu den 1890er Jahren, in etwa von der franzö- sischen Revolution bis zur Gründung des deutschen Reiches. Ausgangpunkte waren die preußische Hofultur und die Konsolidierungsphase des Bürgertums. Der Autor Shakespeare erweiterte den lokalen Rahmen um eine transnationale Perspektive,