Rote Liste Gefährdeter Rüsselkäfer (Coleoptera: Curculionoidea1) Bayerns
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Rote Liste gefährdeter Rüsselkäfer (Coleoptera: Curculionoidea1) Bayerns Bearbeitet von Peter Sprick, Horst Kippenberg, Jürgen Schmidl und Lutz Behne unter Mitarbeit von Robert Frieser und Ingo Wolf. Allgemeines phytophagen Käferfamilie, den Blattkäfern, offen- bar in der Regel nicht über Gifte verfügen: Meist Die überwiegend phytophagen Rüsselkäfer sind werden Färbung oder auch Struktur des bevorzug- in Deutschland mit ca. 950 Arten vertreten, von ten Aufenthaltsorts/Hintergrunds nachgeahmt: denen in Bayern immerhin 777 Arten autochthon Boden-lebende Rüssler weisen schwarze, braune, vorkommen. Weitere 4 bzw. 3 Meldungen sind beige oder graue Farbtöne auf, während Arten als Fehlmeldungen oder als fraglich einzustufen, der Baumschicht auch über grüne Farben verfü- 3 weitere Arten gelten als importiert (SPRICK et al. gen können. Die überwiegende Zahl der Kraut- 2003, SCHMIDL 2002). schichtbesiedler ist aber ebenfalls meist unauffäl- lig gefärbt oder verfügt über Schwarz-Weiß-Kon- Neben der großen Mehrzahl der Arten, die sich traste (Vogelkot-Imitationsfärbungen); bei einigen an oder in krautigen oder schwach verholzten Formen geringer Körpergröße kommen auch me- Pflanzenteilen entwickeln, gibt es unter ihnen tallische Färbungen vor (vorwiegend blau-metalli- auch einige Holz- bzw. Totholzbesiedler. Eine Aus- sche Farbtöne). nahmeerscheinung stellt die parasitoide Lebens- weise dar: Ein kleiner Teil der Arten entwickelt sich in Blattwespengallen und eine in den von Faunistischer Kenntnisstand einem anderen Rüsselkäfer angefertigten Blatt- wickeln. Mit dem Verzeichnis der Käfer Deutschlands wur- de eine wichtige Datenbasis über die Verbreitung Morphologisch und ökologisch lassen sich zwei der Käfer in Deutschland geschaffen (KÖHLER & große Gruppen unterscheiden: Die kurzrüssligen, KLAUSNITZER 1998). In diese regionalisierte Check- meist polyphagen, in der Regel flugunfähigen Ar- liste sind sowohl Daten aus weiter zurückliegen- ten, die sich überwiegend am Boden oder in der der Zeit eingegangen (z. B. KITTEL 1873–84) (z. B. unteren Krautschicht aufhalten und die langrüss- KITTEL 1881–1883) als auch Daten, die ein aktuel- ligen, geflügelten Arten mit oft ausgeprägten les Vorkommen von Arten belegen. Die Situation Wirtspflanzenspezialisierungen. Die kurzrüssligen in Bayern ist jedoch durch das Fehlen einer faunis- Arten leben meist gut versteckt in der Boden- tischen Gesamtbearbeitung gekennzeichnet. Die- streu, von der sie sich teilweise auch ernähren; se Aussage von GEISER & KÖHLER (1998), die sich Otiorhynchus-Arten hinterlassen oft charakteristi- auf alle Käfer bezieht, trifft im Besonderen auf die sche Fraßkerben an ihren Wirtspflanzen. Die Lar- Rüsselkäfer zu. Es gibt nur eine sehr geringe An- ven der Kurzrüssler entwickeln sich im Boden au- zahl an Bestandserhebungen, die mit dem Ziel ßen oder – je nach Verwandtschaftsgruppe – im einer vollständigen Erfassung der Rüsselkäfer ei- Innern von Pflanzenwurzeln. Die Wirtspflanzen- nes bestimmten Gebiets in Bayern durchgeführt spezifität dieser Arten ist meist nicht sehr ausge- worden sind. Die heute vorliegenden Kenntnisse prägt. Die langrüssligen Arten sind dagegen stark zum Vorkommen und zur Gefährdung der bayeri- auf bestimmte Wirtspflanzen spezialisiert; Mono- schen Rüssler gehen auf das Wirken und die und Oligophagie sind die Regel. Besiedelt werden Arbeit einer größeren Anzahl lokalfaunistisch täti- – ebenfalls artspezifisch – bestimmte Pflanzentei- ger Entomologen zurück, von denen sich die we- le (Blüte, Knospe, Frucht, Stängel, Blatt, Wurzel- nigsten speziell den Rüssel- oder den phytopha- hals, Wurzel). Die Larven entwickeln sich meist gen Käfern allein gewidmet haben. Es besteht im Pflanzeninnern, nur bei wenigen Gruppen sind die Notwendigkeit, in ausgewählten Gebieten sie ektophag (z. B. die Schwebfliegen-ähnlichen Bestandsaufnahmen durchzuführen, um die Larven der Hyperini); die Larven der Springrüssler Kenntnisse über die Verbreitung der Rüsselkäfer (Rhynchaeninae) minieren in Blättern. Die Rhyn- Bayerns zu verbessern und um die aktuelle Ge- chitidae und Attelabidae fertigen zum Teil kunst- fährdungssituation zahlreicher Arten besser volle Blattwickel, Trichter oder Tönnchen an, in de- beurteilen zu können. nen sich die Larven entwickeln und bohren dazu Knospen, Ästchen, Blattadern oder Früchte an, Die Nomenklatur wurde aus KÖHLER & KLAUSNIT- um den Zustrom gerbstoffreicher Pflanzensäfte zu ZER (1998) übernommen. Im Vergleich mit dieser unterbinden. Liste wurden hier noch folgende nomenklatori- sche Änderungen, die vorwiegend Gattungszu- Im Allgemeinen sind Rüsselkäfer sehr gut ge- ordnungen betreffen, berücksichtigt: CALDARA & tarnt, da sie im Gegensatz zu der anderen großen O’BRIEN (1998), MAGNANO (1998), PIEROTTI & BELLO (1998), STÜBEN (1998, 1999) sowie WANAT (1995). 1 Cimberidae, Nemonychidae, Rhynchitidae, Attelabidae, Apionidae, Curculionidae BayLfU/166/2003 162 Rote Liste gefährdeter Rüsselkäfer (Coleoptera: Curculionoidea) Bayerns Lebensräume standstrends aus mehreren anderen Bundeslän- dern bekannt sind, ist dies ein Hinweis auf eine Von Rüsselkäfern besiedelte Lebensräume sind wahrscheinliche Gefährdung in Bayern (vgl. BEHNE alle natürlich in Mitteleuropa vorkommenden Le- 1996, MAUS 1990, SCHNEIDER et al. 1995). Diese bensräume, sofern diese von Höheren Pflanzen Liste stellt einen ersten Versuch dar, die Gefähr- bewachsen sind, auch wenn der Pflanzenbe- dungssituation der Rüsselkäfer Bayerns zusam- wuchs nur sehr spärlich ist. Hervorgehoben wer- menfassend darzustellen. Sie hat vorläufigen den sollen Magerrasen (insbesondere Sand- und Charakter, weil Untersuchungen, in denen Ge- Kalkmagerrasen), Sümpfe und Stillgewässer, Wäl- fährdungsanalysen exemplarisch durchgeführt der, Moore, aber auch Klee- bzw. Extensiväcker, worden wären, nicht verfügbar sind, und weil die Brachen und Ruderalfluren; besonders besonnte publizierten Daten über das Vorkommen der Rüs- Saum- und Übergangsbiotope von Wäldern und selkäfer in Bayern doch erhebliche Lücken aufwei- Mooren sind artenreiche Lebensräume (SPRICK & sen. So gibt es größere Teilgebiete (z. B. Allgäu), WINKELMANN 1993). Die spezialisierten Arten sind aus denen keine systematisch erhobenen aktuel- nicht gleichmäßig über die heimische Pflanzen- len Daten vorliegen. Bei den Einstufungen wird welt verteilt, sondern es gibt ausgesprochene Be- dies besonders daran deutlich, dass die Kategorie siedlungsschwerpunkte (z. B. bei Brassicaceen, 0 relativ häufig benutzt werden musste. Aufgrund Fabaceen, Salicaceen, Quercus u. a.). Aber nur der Datenlage wurden diejenigen Arten, deren sehr wenige und zumeist artenarme Familien letzter Nachweis länger als 50 Jahre zurückliegt werden nicht von spezialisierten Rüsselkäfern be- (vor 1953), in die Kategorie 0 eingestuft. Ein Teil siedelt. Auffällig ist das (vollständige?) Fehlen dieser Arten ist nicht als ausgestorben, sondern spezialisierter Arten bei Dipsacaceae und Orchi- als verschollen anzusehen. Bei systematischer daceae. Bemerkenswert ist ebenso eine oft ge- Nachsuche müssten einige noch nachzuweisen ringe Besiedlungsdichte bei inhaltsstoffreichen sein. In die Kategorie D (Datenlage unklar) wur- Pflanzenfamilien (z. B. Asteraceae, Lamiaceae den Arten eingestuft, deren Vorkommen nur un- oder Boraginaceae). Größere Teile eines Pflanzen- zureichend dokumentiert ist oder deren Artstatus bestands bleiben von einer Besiedlung oft voll- fraglich ist und im Rahmen einer Revision über- ständig verschont, und es ist dann sehr mühsam, prüft werden sollte (z. B. Barynotus alternans, auch nur einige wenige Tiere nachzuweisen; nicht Miarus dulcinasutus). selten gelingt nur der Nachweis von Einzelexem- plaren (vgl. SPRICK & SCHMIDT 2001). Gefährdungsfaktoren Naturräumliche Unterschiede Gefährdungsfaktoren für Rüsselkäfer sind alle die- jenigen Einflüsse, die die Gefährdung ihrer Wirts- Eine Rote Liste für ganz Bayern herauszubringen, pflanzen verursachen. Da ein großer Teil der Arten ist aufgrund der großen naturräumlichen Unter- aber polyphag ist oder an ungefährdeten Pflan- schiede nicht ganz einfach. So umfasst Bayern zenarten lebt, muss es noch andere Ursachen große Löß- und Sandebenen, ausgedehnte Teich- geben. Bei den polyphagen Arten sind vor allem und Seengebiete, mehrere Mittelgebirge sowie Biotopzerstörung und -veränderung, Nutzungsin- Hochgebirge. Alle diese Gebiete sind mit sehr tensivierung, Gewässerverschmutzung und -ver- unterschiedlichen Artengarnituren ausgestattet; füllung Hauptgefährdungsfaktoren. Dies gilt auch Bayern gehört deshalb zu den artenreichsten Bun- für spezialisierte oligo- oder monophage Arten, desländern Deutschlands. Die Rote Liste kann die aber hier kommt noch etwas Anderes hinzu: Ein sich hieraus ergebenden Unterschiede der Ge- wichtiger Faktor für diese Arten ist die Konstanz fährdung in den Teilgebieten nicht vollständig wi- des Vorkommens der Wirtspflanzen in ausrei- derspiegeln, da das häufige und verbreitete Vor- chend großen Beständen an mehr oder weniger kommen in einem Teilraum zum Ausschluss führt, den selben Örtlichkeiten über lange Zeiträume auch wenn die Art in anderen Teilgebieten selten hinweg, da es offenbar in zahlreichen Fällen mit und gefährdet ist. Eine gewisse Regionalisierung der Anpassung an einen Standort mit konstanten wäre zwar wünschenswert, ist aber aufgrund der Wirtspflanzenvorkommen mittel- und langfristig dafür zu geringen Kenntnisse zum gegenwärtigen zu erheblichen Einschränkungen und schließlich Zeitpunkt nicht möglich. zu einem Verlust der Flugfähigkeit gekommen ist. Arten mit geringem oder ohne Flugvermögen le- gen beim