Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen______Literaturwissenschaft Herausgegeben von Reinhold Viehoff (Halle/Saale) Gebhard Rusch (Siegen) Rien T. Segers (Groningen) Jg.20 (2001), Heft 1

Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften SPIEL Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

SPIEL: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Lite raturwissenschaft

Jg.20 (2001), Heft 1

Peter Lang Frankfurt am Main • • Bern • Bruxelles • New York • Oxford • Wien Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Siegener Periodicum zur internationalen empirischen Literatur­ wissenschaft (SPIEL) Frankfurt am Main ; Berlin ; Bern ; New York ; Paris ; Wien : Lang ISSN 2199-80780722-7833 Erscheint jährl. zweimal

JG. 1, H. 1 (1982)- [Erscheint: Oktober 1982]

NE: SPIEL

ISSNISSN 2199-80780722-7833 © Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2001 Alle Rechte Vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

SONDERHEFT / SPECIAL ISSUE SPIEL 20 (2001), H. 1

Unterhaltende Genres in "sozialistischen" Medien - und anderswo Genres of Entertainment, Socialism, TV Channels, and Contexts.

hrsg. von / ed. by Reinhold Viehoff (Halle) Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft

Contents / Inhalt SPIEL 20 (2001), H. 1

Rüdiger Steinmetz () und Reinhold Viehoff (Halle) Unterhaltende Genres im Programm des Fernsehens der DDR 1 Perspektiven einer Programmgeschichte Wolfgang Mühl-Benninghaus (Berlin) Zum Verständnis von Unterhaltung in der Arbeiterbewegung der Weimarer Republik 44 Thomas Kramer und Rüdiger Steinlein (Berlin) Action, Nazis, rote Fahnen - antifaschistischer Widerstand und II. Weltkrieg in der DDR-Kinderzeitschrift “Atze" als Teil “sozialistischer Unterhaltung”. 63 Dieter Wiedemann (Potsdam) Medienkindheiten zwischen “Sandmännchen” und “Sesamstraße” - Aufwachsen in der DDR 88 Uwe Breitenbom (Berlin) In naher Feme - Lieblinge und Stars im DDR-Fernsehen 101 Michael Meyen (Leipzig) Haben die Westmedien die DDR stabilisiert? 117 Kathrin Fahlenbrach (Halle) Ereignisästhetik. Die Wechselwirkung von Medien- und Protestästhetik in der Studentenrevolte von '68 134 RUBRIC

Laszlo Halasz, KarolyHantos und Balazs Faa (Budapest) A Study of the Effect of Reception of Works of Art through an Interactive CD-ROM 151 10.3726/80990_101

SPIEL (2001), H.1, 101-116

Uwe Breitenborn (Berlin) In naher Feme Lieblinge und Stars im DDR-Fernsehen

Stars, as a personification of success, image and continuity, are a significant structural component of entertainment. Functionally and aesthetically similar processes, such as representation, extraor- dinarity or integration can also be found for the protagonists of TV programming in the GDR. In comparison with western star-phenomena the projection-opportunities of East German entertain­ ment differed, contingent upon the specific medial, social, cultural and political conditioning by European and German history. For this reason, the classic definition of the "star” is only partially applicable to these media-processes. The term "Femsehliebling" ("TV Darling"), as used by the East German media, describes this specific East German variant of star-phenomena more accurately. We can identify a regional, East- German-conditioned, and partially altered ’’star culture”, which was and continues mainly of im­ portance for and in its region of origin. The most important empirical sources for verification of this finding are the annual magazine-polls on the "Femsehlieblinge" from the sixties, seventies and eighties.

Lieblinge und Stars im DDR-Femsehen

Im Jahre 1996 startete die ostdeutsche Wochenzeitschrift "Super Illu" eine Umfrage mit dem Ziel, bei den Lesern telefonisch zu ermitteln, ob die ehemaligen Sprecher der Aktu­ ellen Kamera wieder "sendefähig" seien. Die Leserumfrage fand unter der nölenden Ü- berschrift "Angelika Unterlauf & Klaus Feldmann - Wollen wir sie schon wieder auf dem Bildschirm sehen?" (Super Illu 24/96) statt und erkundete den medienpolitischen Ge- fuhlshaushalt und das Erinnerungsvermögen der ostdeutschen Femsehgemeinde. Das zwei Wochen später veröffentlichte Umfrage-Ergebnis hatte folgendes Resultat: "Die Schatten der Vergangenheit haben sie abgestreift: Die einstigen Stars der Ak­ tuellen Kamera', Klaus Feldmann (60) und Angelika Unterlauf (48), haben im TV- Geschäft wieder Fuß gefaßt....Gut 2/3 aller Anrufer haben nichts gegen die beiden Ex-AK'-Sprecher auf dem Bildschirm. Im Detail: Fast 34% Zustimmung zu Ange­ lika Unterlauf, über 36% für Klaus Feldmann. Nur 30,2% sagten: 'Nie wieder.' " (Super Illu 26/96) Das Ergebnis ist aus heutiger Sicht kaum überraschend. In den letzten Jahren konnten wir die Rückkehr der ostdeutschen Femsehprominenz auf die Bildschirme beobachten. In retrospektiv angelegten Sendekonzepten, die vor allem nostalgisch, unkritisch und kaum ironisierend daherkommen, finden wir die recycelten Versatzstücke der ostdeutschen 102 Uwe Breitenbom

Femsehkultur. Ihre Bruchstücke werden in "Gemsehabenden", Wunschsendungen und neuerdings auch in Komplettausstrahlungen alter Femsehshows dem Publikum angebo- ten. Ein neuer und transformierter Popularitätsschub ermöglichte darüber hinaus auch eine starke Bildschirmpräsenz der alten "Ost-Stars" in den Produktionen der öffentlich- rechtlichen Anstalten der ARD und des ZDF sowie in Serien und Shows privater Fern­ sehsender. Der Prozess der Wiederauferstehung nach Jahren erlittener Bildschirmabsti­ nenz ist auch ein medialer Rehabilitationsprozess, der bisweilen bizarre Formen annehmen konnte, wie das Beispiel Achim Mentzel zeigte. Im westdeutschen Fokus gern als fleischgewordene Verkörperung der ostdeutschen Seele gesehen, wurde dieser, wie in einer Freakshow (z.B. bei Oliver Kalkofe) als Medienattraktion hemmgereicht. Mentzel gehörte letztlich zu den Ostprominenten, die die Wende vollkommen unbeschadet und ohne künstlerischen oder beruflichen Kurswechsel überstanden. Neben seinen eigenen volkstümlichen Shows (Achims Hitparade usw.) hat Mentzel - welch Ironie - mittlerweile gar selbstreferentielle Auftritte in diversen anderen Shows und Medien (siehe die Filme "Helden wie wir" oder "Die Stille nach dem Schuß"1). Das Spektrum ostdeutscher Er­ folgs- und Misserfolgsgeschichten ist breit, was beispielsweise auch die Medienkarriere Wolfgang Lipperts zeigte.

Starbegriffe

Bevor die Betrachtung zu den DDR-Femsehlieblingen konkretisiert wird, sei ein kleiner Exkurs zu der Fragestellung, was denn ein Star ist, vorangestellt. Das Spektrum der Beg­ riffe, die Starphänomene beschreiben, ist groß. Von simplen Parametern wie Popularität und medialer Präsenz bis hin zu diffuseren Zuschreibungen wie glamourös, divenhaft und kultisch reichen die Begriffsassoziationen. Nicht nur Werner Faulstich beklagt in seiner Abhandlung über die deutschen Femsehstars, dass es nach wie vor keine übergreifende Theorie der Stars gebe. Er selbst fasst die verschiedenen Fokussierungen in drei theoreti­ schen Gruppen zusammen: psychologische Ansätze, soziologische Ansätze und medien­ wissenschaftliche Ansätze (vgl. Faulstich/Strobel 1998, Bd.l, S. 12). Letztlich bilden diese Betrachtungsweisen ein Konglomerat aus den Instrumentarien der jeweiligen Wis­ senschaftsdisziplinen, die damit auch ihre spezifischen Sichtweisen auf das Untersu­ chungsobjekt durchsetzen. Insofern ist die Abwesenheit einer kompakten Theorie, die sich ertragreich ausschließlich diesem Phänomen widmet, zu bestätigen. Aber so schlecht steht es um die wissenschaftliche Erkundung letztlich nicht. Zwei Gedankenstränge er­ scheinen hier plausibel: 1. Es existiert immer eine medienhistorische Beschreibung solcher Phänomene durch faktische Aussagen. Für jeden Star lassen sich konkrete Koordinaten seines Erfolges bestimmen. Hierzu zählen populäre und außergewöhnliche Sendungen (z.B. Einschalt- quoten), Gastauftritte in anderen Shows, Kontinuität des Erfolges, boulevardeskes Inte­ resse seitens des Publikums und andere. Darüber hinaus gibt es für jeden Star

1 In Schlöndorffs Film wird ein Filmeinspiel aus einer alten Fernsehsendung mit Achim Mentzel eingesetzt, in "Helden wie wir" hat er einen Miniaturauftritt als tätowierter Goldkettchen-Proll im Unterhemd. In naher Feme 103

Schlüsselereignisse, die die öffentliche Aufmerksamkeit und die darauffolgende Wahr­ nehmung seiner Person oder Figur (Rolle) exponentiell ansteigen lassen. Diese ’’Durch­ brüche” können künstlerischer oder inszenatorischer Natur (Skandale etc.) sein. Die kurze Sentenz ”a star was bom” erlangte durch das amerikanische Showbusiness welt­ weit metaphorische Kraft. 2. Sieht man den Star auch als ein medial konditioniertes Kunstwerk, als eine öffent­ liche Figur oder Figuration an, dann lässt sich schnell eine Brücke zu Walter Benjamins HAura"-Gedanken herstellen. In seinem 1936 erstmals veröffentlichten Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" sezierte Benjamin be­ kanntlich auch aufkeimende mediale Prozesse des 20. Jahrhunderts. In den Passagen, in denen Benjamin über kultische Aspekte in der Kunstrezeption schreibt finden sich Über­ legungen, die durchaus bedeutungsvoll für eine Erklärung von Starphänomenen sind. In der Anmerkung 7 des Kunstwerkaufsatzes verweist Benjamin auf die Bedeutung des Auratischen: "Die Definition der Aura als ‘einmalige Erscheinung einer Feme, so nah sie sein mag’, stellt nichts anderes dar als die Formulierung des Kultwertes des Kunstwerks in Kategorien der raum-zeitlichen Wahrnehmung. Feme ist das Gegenteil von Nä­ he. Das wesentlich Feme ist das Unnahbare. In der Tat ist Unnahbarkeit eine Hauptqualität des Kultbildes. [...] Die Nähe, die man seiner Materie abzugewinnen vermag, tut der Feme nicht Abbruch, die es nach seiner Erscheinung bewahrt." (Benjamin 1984, 464 ff.) So sind die richtigen Stars in ihrer medialen Verfremdung unnahbare Geschöpfe, ohne dass die Rezipienten oder die Fans diese Unerreichbarkeit so recht konkretisieren kön­ nen. Sterne sind im wahrsten Sinne des Wortes - und das illustrieren die Benjaminschen Überlegungen sehr deutlich - zunächst nur zum Gucken da. Jeder kann sie sehen, aber niemand kann sie anfassen. Sie leuchten, aber nur die wenigsten strahlen. In der Regel sind sie letztlich bloße Reflektoren, und doch ziehen sie Sehnsüchte auf sich. Stars sind vor allem ein Phänomen der visuellen Massenmedien. Wer nie im Fernsehen oder im Film zu sehen war, kann beliebt und bekannt sein, aber kaum ein ’’Star”. Wer aber ein Star ist, dessen Star-Sein kann auch der direkte Kontakt nichts anhaben. Wenn man einen Star mal aus der Nähe sehen oder sogar anfassen kann, ändert das erst einmal nichts an seiner Unnahbarkeit. Eine zum Star gewordene Person oder mediale Figur mit all ihren semantischen Ap­ paraten zielt in den meisten Fällen auch darauf ab, in der Öffentlichkeit eine charismati­ sche Fassade aufzubauen oder zu bewahren. Volksnähe vermischt sich mit Unnahbarkeit, Gesten des Populären werden szenisch überhöht und lassen doch den Geschmack des Künstlichen durchscheinen. So bleibt der Star ein ambivalentes Medienprodukt, für den sich viele Definitionen und Analysemodelle finden lassen. So befremdend die Anwen­ dung des Benjaminschen Aura-Kriteriums zunächst erscheinen mag, es trifft in seiner Beschreibung einen Punkt, der in den medialen abendländischen Kulturen konstant zu sein scheint. Das sicher schnell zu entgegnende Argument, dass dieses Kriterium aber auch sehr subjektiv verformbar ist, täuscht nicht darüber hinweg, dass wir es hier mit einer Beschreibung zu tun haben, die in ihrer Umkehrung eine interessante, fast ironisie­ rende Sichtweise auf DDR-Stars freigibt. Im Umkehrschluss lässt sich formulieren, dass DDR-Femsehprominente in ihrer medialen Präsenz häufig so nah erschienen, so fern sie 104 Uwe Breitenbom auch sein mochten. Die inszenierten Überhöhungen besaßen letztlich auch die Elemente des Populären, des Ungenierten und des Einfachen. Die Stars wurden zu Stars ohne Gla­ mour. Für diese These finden sich zahlreiche Belege.

Arbeiter- und Bauernstars

Natürlich, die Geschichte der Femsehunterhaltung ist immer auch eine Geschichte von Prominenten, die genuin durch das Medium Fernsehen zu Stars wurden. Selbstverständ­ lich hatte auch das Fernsehen in der DDR eine "hauseigene" Prominenz, die über Jahr­ zehnte die TV-Gesichter der Republik verkörperten, die ebenfalls wie ihre bundes­ deutschen Kollegen ein Netzwerk der "Stars" in diversen Shows besaßen, und die maß­ geblich das Format und den Stil verschiedener populärer Sendungen prägten. Trotz dieser Gemeinsamkeiten mit vielen anderen Femsehkulturen gibt es auch gravierende Unter­ schiede. Nach wie vor lassen die meisten ostdeutschen Femsehprominenten die "Star"- Bezeichnung für sich nicht gelten. In neueren wie älteren Statements finden sich häufig Ressentiments gegen den Starbegriff. Auf die Frage, ob sie sich als Star sehe, antwortete beispielsweise die überaus beliebte Entertainerin Helga Hahnemann, dass sie sich eher als "Frau Striese" fühle: "Oder halten Sie eine in einer Hand den Schminkkoffer, in der anderen Kostüme und Requisiten tragende, sich selbst die Tür aufmachende, ihren Garderoben- und Bühnenplatz sich erkämpfende, bei Betriebsveranstaltungen die Kollegen aus der Gastronomie um dezente Ausführung ihres auch so schweren Berufes bittende, sich nicht auf Lorbeeren ausruhen könnende, weil schon wieder in Vorbereitung für an­ dere Sachen steckende, in der Kaufhalle selbst einkaufende - halten Sie die für ei­ nen Star? - Na, guten Tag!"2 In der Tat ist dieses erfrischende Zitat ein Indiz nicht nur ihres persönlichen Selbstver­ ständnisses und ihres gelebten Alltags, sondern es entspricht auch einem quasi gesell­ schaftlich postulierten Verhaltensfonds, der es bei den Künstlern eher ungern sah, wenn sie ein elitäres oder glamouröses Selbstbild inszenierten. Es ging dabei nicht um politi­ sche Repression. Folgt man Günter Gaus’ Aussage, dass die DDR "ein Staatsvolk der kleinen Leute" (Gaus, S.36) gewesen sei, so heißt das auch, dass die Künstler die "Künst­ ler der kleinen Leute" sein sollten. In diesem Sinne ist das Hahnemann-Zitat eine unfrei­ willige, aber wirklich treffliche ironische Pointierung des soziokulturellen Backgrounds ostdeutscher Künstler. Noch deutlicher wird dies in einem Zitat der prominenten Spre­ cherin und Moderatorin Petra Kusch-Lück. Als sie 1981/82 erneut zum Fernsehliebling gewählt wurde, war sie gebeten worden, den Lesern der Programmzeitschrift ein kurzes Statement zu ihrem Erfolg zu geben, dass sich letztlich auch wie ein "Frau Striese"- Statement liest: "Aber dann die Bitte der Redaktion FF DABEI, für ihre Leser ein paar Zeilen zu Papier zu bringen. Leicht gesagt. Ein anstrengender Dienst liegt hinter mir. Zu Hause ging die Arbeit weiter. Meine Tochter Constanze, 14jährig, wollte ihre ‘Sor­

2 Hahnemann, Helga in: Rödelstab, Sylvia: "‘Komik ist schon ein schweres Stück’", Interview in: FF Dabei v. 29.12.1986. In naher Feme 105

gen’ loswerden, ihr Trainingsanzug mußte noch gewaschen werden, den sie, wie ihr gerade einfiel, morgen unbedingt braucht. Schließlich Vokabeln abfragen, Abend­ brot, den kommenden Tag mit der Familie besprechen. Auch die gesellschaftliche Arbeit war noch zu planen, denn im Wohngebiet gibt’s auch noch einiges zu tun

Weniger Glamour war kaum. Man sollte sich keineswegs darüber lustig machen, sondern dies als einen kulturellen Reflex begreifen. Petra Kusch-Lück dekorierte sich hier nicht mit einer Attitüde profaner Alltäglichkeit, sondern sie schilderte tatsächlich Szenen ihres Alltags, der sich nicht durch Glamour oder Reichtum abhob, sondern sich einreihte in Alltagsordnungen Millionen anderer Bürger. Obwohl sie und andere die "Femsehstars" waren, verkörperten sie diesen Status nicht mit Glamour oder Luxus. Sie waren, was ihren soziokulturellen Background betraf, im Reich der kleinen Leute. Auch die Karriere eines "Femsehstars" hatte ihre Verankerung im deklarierten Arbeiter- und Bauemstaat mit dementsprechenden Einschreibungen. Dennoch finden wir die Bezeichnung Star auch für DDR-Künstler. In der Mehrzahl sind dies Äußemngen und Texte aus der bundesdeutschen Presse über die DDR-Medien bzw. Presseartikel, die nach 1990 erschienen. So nannte Ursula Schaaf, die Medienkriti­ kerin des "Tagesspiegel", Frank Schöbel einen "Dauerstar der Unterhaltungskunst"4, der "Stern" schrieb über Heinz Florian Oertel, dass dieser ein Star sei "auch wenn er das nicht gern hört"5 und eine Journalistin der "Berliner Zeitung" konstatierte 1991 zum Tode Helga Hahnemanns, dass die DDR nur wenige wirkliche Stars im unterhaltenden Gewerbe hervorgebracht hat, aber "Helga Hahnemann war ein Star."6 Wer waren nun wirklich die "Stars" des DDR-Femsehens, die Lieblinge des Publi­ kums? Eine wichtige empirische Quelle, um die Erfolgskontinuität von DDR-Femseh- akteuren bzw. auch Diskontinuitäten herauszuarbeiten, sind die über einen Zeitraum von 27 Jahren durchgeführten Umfragen nach den Fernsehlieblingen. Der hier kurz vorge­ stellte Überblick zu einzelnen Abschnitten dieser populären Umfrage veranschaulicht die medienhistorische Bedeutung und den Umfang dieser Quelle. Dabei geht es an dieser Stelle vor allem darum, einen Einblick in die Struktur, kontextuelle Informationen und einige Fakten zu vermitteln. Die vollständigen Ergebnisse der vorliegenden Analyse werden zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.

3 Kusch-Lück, Petra: Freude, Ansporn und Verpflichtung, in: FF Dabei 11/1982. 4 Schaaf, Ursula: Lieblinge, in: Tagesspiegel vom 11.3.1981. 5 Pragal, Peter: "Die Sportstimme der DDR". In: Stern vom 16.6.1986. 6 Walter, Birgit: "...dabei schien ihre Energie unerschöpflich", in: Berliner Zeitung vom 22.11.1991. 106 Uwe Breitenbom

Die jährlichen Umfragen nach den Fernsehlieblingen der DDR

Die sechziger Jahre

Am 10. November 1962 startete die ’’Berliner Zeitung” anlässlich des zehnjährigen Be­ stehens des Deutschen Fernsehfunks erstmals eine große Leserumfrage nach den "10 Femsehstars"7 der DDR unter dem Motto "Wen sehen sie am liebsten auf dem Bild­ schirm?". "Der Deutsche Fernsehfunk wird im Dezember 10 Jahre alt. In diesen Jahren hat das Fernsehen unsere Gedankenwelt, unsere Interessen, unser ganzes Leben beeinflußt. Wer sind die Darsteller, die Reporter, die Regisseure, die Kommentato­ ren, die Mitarbeiter des Fernsehfunks, die Ihnen am besten gefallen? [...] Schreiben Sie der ‘BZ’ die zehn Namen Ihrer Fernsehlieblinge. Ihrer Wahl ist keine Be­ schränkung auferlegt. Aus allen Lebensgebieten - Politik und Unterhaltung, Sport und Wissenschaft, Wirtschaft und Technik - können Sie uns Namen nennen. "8 Fast täglich erschienen damals Kommentare, Leserbriefe und Wortmeldungen Prominen­ ter in der "Berliner Zeitung", die sich zum Thema äußerten. Das Ziel der Umfrage war einerseits die Popularität der Femsehkünstler zu ermitteln, aber auch eine kulturpolitische Bestätigung zu erhalten. Ein Journalist formulierte das Anliegen so: " [...] auf die Dauer kann nur einer unser Liebling sein, der das, was uns nützt und bereichert, in der Regel so einfallsreich und gekonnt macht, dass wir ihn in unser Herz schließen."9 Teilweise inter­ pretierten die Leser diese Vorlage sehr eigenwillig. Gereimt und begeistert teilte bei­ spielsweise eine Familie aus Köpenick ihren Tipp mit: "Zehnmal setz’ ich Margot ein, Sie soll unser Liebling sein! Unsere Stimmen also gehören ."^ Bei dieser ersten Leserumfrage gingen laut "Berliner Zeitung" 23 254 Leserzuschriften mit jeweils zehn Tipps ein, was einen immensen Erfolg darstellte. Insgesamt wurden 518 Namen von Femsehakteuren genannt. Die meisten Stimmen vereinte der Schauspieler, Komiker und Entertainer auf sich, gefolgt von dem Moderator und Schau­ spieler Willi Schwabe, und von der Moderatorin Margot Ebert.

Fernsehlieblinge 1962 Einzelstimmen der BZ-Leser Rolf Herricht 17410 Willi Schwabe 16835 Margot Ebert 14571 Heinz Florian Oertel 14553 Heinz Quermann 12790

7 In dem Aufruf der Berliner Zeitung (10.11.1962) wird der Begriff "Femsehstar" verwandt. 8 BZ sucht die 10 beliebtesten Femsehstars, in: Berliner Zeitung vom 10.11.1962. 9 Schwemin, Werner: Meine Fernsehlieblinge, in: Berliner Zeitung vom 25.11.1962. 10 Studio Star Staffage, Leserbriefe in der Berliner Zeitung vom 25.11.1962. In naher Feme 107

Sandmännchen 11907 Inge Keller 11604 Eberhard Cohrs 10962 Prof. Wolfgang Ullrich 10258 Bärbel Wachholz 9896 Quelle: Das sind die 10, in: Berliner Zeitung vom 16.12.1962.

Die ersten Fernsehlieblinge wurden am 15.12.1962 anlässlich der DFF-Geburtstagsgala "Grüße, Gäste, Gratulanten", ausgestrahlt über Intervision, im Beisein Walter Ulbrichts ausgezeichnet. Kaum einer konnte damals abschätzen, welche Bedeutung diese Umfrage in der Femsehgeschichte der DDR bekommen sollte. Im Jahr darauf (1963) fand eine vergleichbare Umfrage jedoch nicht statt. Weder in der Presse noch im Programm des DFF finden sich dafür Belege. Ein Verweis auf "Fernsehlieblinge" findet sich nur in den Presseartikeln über eine Veranstaltung des DFF (Rechenschaftslegung) im EAW Berlin Treptow, an der zahlreiche Akteure des DFF, vom Intendanten bis zu Schlagersängern und Moderatoren teilnahmen. In dem Pressebericht über die Veranstaltung gibt es eine interessante Anspielung auf Starphänomene. Der Bericht beginnt mit folgender Analogie: "Götter und Sterne, die wir sonst nur femsehen, stiegen auf Einladung des Wohn­ bezirksausschusses Plänterwald aus ihren hochfrequenten Wellenbereichen herab und ließen sich einmal nahsehen." Das Beispiel zeigt, dass die Akzeptanz einer spezifischen Starkultur durchaus gegeben war, eingebettet jedoch in einen soziokulturellen Background, der die ostdeutsche Bo­ denhaftung nicht verlieren durfte. Für die Ermittlung der Fernsehlieblinge der Jahre 1964-1968 wurden vor allem die Leser der "Berliner Zeitung" gefragt. Eine Ursache für die Beschränkung der ersten Jahre auf Berlin lag darin, dass hier natürlich die beste Medieninfrastruktur vorzufinden war. In Berlin war das Femsehen bereits alltäglicher und weiter verbreitet. Der Modus der Um­ fragen änderte sich mehrmals. War es 1962 noch jedem Zuschauer oder Leser freigestellt, Namen jenseits aller Kategorisierungen in die Wertung einzubringen, so finden wir 1964 erstmals eine klare Kategorisierung vor. Diese Kategorien wurden erweitert. 1966 fragte man beispielsweise die Leser danach, wer ihnen am besten in bestimmten Programmele­ menten (Sendungen) gefallen hatte: " 1. In aktuell-politischen Sendungen? 2. In Fernsehfilmen? 3. In Femsehspielen? 4. In Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Wissenschaftssendungen? 5. In Kinder- und Jugendsendungen? 6. In Sportsendungen? 7. In Unterhaltungssendungen? 8. Von den Ansagerinnen? 9. Von den Sprechern? 10. Und wen sehen Sie darüber hinaus besonders gern?"12

11 Schirrmeister, Hermann: Die farbige Palette des DFF, in: Tribüne vom 19.10.1963. 108 Uwe Breitenbom

Mitte der sechziger Jahre ist eine stärkere Politisierung der Umfrage zu verzeichnen, wie das Beispiel des Jahrganges 1968 gut veranschaulicht. Die Umfrage an sich brachte per­ sonell kaum Überraschendes. 7 der 12 gewählten Fernsehlieblinge waren auch in den vergangenen Umfragen bereits gewählt worden. Zu den 5 neuen Fernsehlieblingen zählte u.a. Manfred Krug, der als Sänger und Schauspieler große Erfolge feierte. Seine Haupt­ rolle in "Wege übers Land" wurde der Aufhänger dieses Erfolges. Für die gleiche Pro­ duktion wurden auch der Autor Helmut Sakowski und die Schauspieler Ursula Karusseit und Otto Mellies gewählt. Die stärkere Politisierung der Ergebnisse ist u.a. an dem Fakt zu sehen, dass 3 Kategorien einen direkten politischen Bezug hatten und die Femsehverfilmung "Wege übers Land" allein in 4 Kategorien auftauchte:

Politische Kategorien Sprecher (Aktuelle Kamera) Kommentator Aktuell-politische Sendungen (Der Schwarze Kanal) Kategorien "Wege übers Land" Darsteller (m) Darsteller (w) Autor "Wen sahen Sie außerdem... "

Die BZ-Kommentierung unterstreicht diesen Eindruck: "Es stecken also erkennbare Urteile in den von der großen BZ-Leser-Jury genann­ ten Namen. Es sind Urteile, die von politischer Reife des Publikums in unserer Republik zeugen."13 Dennoch stellen diese Umfragen ein relativ genaues Abbild von Popularitätsphänomenen dar. Man kann davon ausgehen, dass einige Fernsehlieblinge bei einer permanent offenen Befragung wahrscheinlich weniger bzw. gar nicht aufgetaucht wären. Das gilt für die immer wieder erfragten Sprecher der Aktuellen Kamera ebenso wie für Karl Eduard von Schnitzler als Fernsehkommentator. Andererseits muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Politisierung der Gesellschaft auch zur Folge hatte, dass Femsehakteure aus dem politischen Bereich durchaus eine legitime Popularität besaßen. 1969 wurde die Umfrage erstmals gemeinsam mit der Programmillustrierten "FF Da­ bei" gestartet, was dazu führte, dass der Teilnehmerkreis sich sprunghaft vergrößerte. Die regional dominierte Umfrage (vorrangig Berlin) wurde zu einer landesweiten. Das ist auch quantitativ deutlich zu bemerken.

Die siebziger Jahre

1970 beteiligen sich erstmals über 100 000 Leser an der Umfrage, da diese gemeinsam von der "Berliner Zeitung" und der "FF Dabei" durchgeführt wurde. Zwar beteiligte sich

12 BZ sucht die Fernsehlieblinge 1966, in: Berliner Zeitung vom 25.12.1966. 13 Sobe, Gunter: Das Urteil der Zuschauer. Eine Betrachtung zum Sonntag, in: Berliner Zeitung vom 26.1.1969. In naher Feme 109

die "FF" bereits im Vorjahr an der Befragung, aber 1970 wurde sie erstmals von der Programmzeitschrift massiv unterstützt. Die Teilnehmerzahl verdoppelte sich. Für die Umfrage 1970 wurde erneut der Modus (Kategorien) geändert. Es wurde eine Untertei­ lung in 4 Blöcke vorgenommen, in denen jeweils nach der beliebtesten Sendung sowie nach den entsprechenden Protagonisten gefragt wurde. Als Gedankenstütze wurden wäh­ rend der Umfrage Listen veröffentlicht, die, den Blöcken zugeordnet, die Produktionen des Jahres 1970 in Erinnerung riefen, was es den Teilnehmern etwas einfacher machte. Dass die polnische Produktion "Sekunden entscheiden" in der Rubrik "Dramatisches Werk" gewann, war ein Novum und blieb auch ein Einzelfall, da in der Regel nur natio­ nale Produktionen Berücksichtigung fanden. Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse wurden auch die Zweit- und Drittplazierten - quasi gleichberechtigt - genannt:

Fernsehlieblinge 1970_____ Quelle: Fernsehlieblinge 1970, in: FF/Dabei 10/1971. Block A Block B Block C Block D 1. Welche publizisti­ 3. Welches dramati­ 6. Welche Unterhal­ 8. Welche Figur des sche Sendung? sche Werk? tungssendung? Kinderfernsehens? 1. Prisma 1. Sekunden entschei­ 1. Klock Acht - ach­ 1. Fuchs und Elster 2. Der schwarze Kanal den tem Strom 2. Pittiplatsch 3. aktuelle Kamera 2. Ich, Axel Cäsar 2. Da liegt Musike drin 3. Sandmännchen Springer 3. Schlager-Studio 3. Dolles Familienal­ bum 2. Welcher Publizist? 4./5. Welcher Darstel­ 7. Welcher Unterhal­ 9. Welcher Sportre­ 1. Dr. Karl-Heinz ler? tungskünstler porter? Gerstner weiblich 1. Hans-Georg Pone- 1. Heinz Florian Oertel 2. Karl-Eduard v. 1. Lissy Tempelhof sky 2. Marian Homrighau- Schnitzler 2. Gisela May 2. Rolf Herricht sen 3. Hans Jacobus 3. Agnes Kraus 3. Reiner Süß 3. Gerhard Kohse männlich 1. Stanislaw Mikulski 2. Horst Drinda 3. Thomas Lück 10711. Weicher Spre­ cher? weiblich 1. Erika Radtke 2. Annemarie Brodha- gen 3. Christel Kern männlich 1. Klaus Feldmann 2. Hans-Dieter Lange 3. Peter Kessel 110 Uwe Breitenbom

Für das Jahr 1972 ist keine Umfrage nachzuweisen. Ohne Angabe von Gründen wurde die Befragung ausgesetzt. Die wiederaufgenommene Umfrage startete 1973 mit einem gänzlich neuen Modus. Jetzt ermittelte man monatlich die beliebtesten Femsehkünstler (männlich/weiblich), die am Jahresende in eine Gesamtwertung einflossen, bei der dann eine Liste mit den insgesamt 20 beliebtesten "Femsehkünstlern" des Jahres entstand. Die Schlagersänger Chris Doerk und Frank Schöbel waren nach den monatlichen Leserum­ fragen der Programmzeitschrift "FF Dabei" die beliebtesten Femsehkünstler des Jahres, gefolgt von jeweils 9 weiteren Platzierten. Sie erhielten alle den sogenannten Zuschauer­ lorbeer. Interessant an dem Jahrgang ist die Tatsache, dass erstmals keine politischen Kommentatoren und Sendungen auftauchten, dafür aber zahlreiche Unterhaltungskünst­ ler, Entertainer und Schauspieler. Dabei lassen sich einige der genannten Künstler nicht eindeutig zuordnen. Peter Borgelt beispielsweise war Schauspieler, gehörte aber auch zur Stammbesetzung der Unterhaltungssendung "Klock 8...". Manfred Krug war bekannter­ maßen Sänger und Schauspieler. In der Tat sticht die Umfrage 1973 aus den übrigen Umfragejahren heraus. Es ist einerseits der eigenartige Modus (die monatlichen Ermitt­ lungen), aber es ist auch die offensichtlich geringe politische Aufladung der Umfrage. Die Abwesenheit politischer Sendungen in einer Popularitätsumfrage war ein Novum. Es war gleichzeitig ein Indiz für ein einsetzendes politisches "Tauwetter", für eine gewisse Entspannung, die sich auch auf das Medium Fernsehen übertrug. Die siebziger wurden nicht nur technisch gesehen buntere Femsehjahre, auch inhaltlich-ästhetisch lässt sich eine Öffnung zum Westen konstatieren, die in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts einen Rückschlag erlebte, wie auch an den Umfragen zu den Fernsehlieblingen zu sehen war. 1974 kehrte man zu dem alten Umfragemodell wieder zurück und befragte die Leser der "FF Dabei" und der Tageszeitungen am Jahresende nach den 20 Lieblingen. Die Anzahl der Einsendungen gegenüber den vergleichbaren Umfragen (z.B. 1970 und 1971) stieg beträchtlich an. Die "Berliner Zeitung" berichtete von 127 803 Einsendungen und veröffentlichte die Namen der 20 "Bildschirmsieger" am 17.4.1975. Mit der Wahl der Fernsehlieblinge für das Jahr 1975 hatte die Umfrage vorerst ein Ende. In den Jahren 1976-1979 gab es keine Befragung des Publikums zu den Fernsehlieb­ lingen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Gründe in der Biermann- Ausweisung und deren Folgen für die DDR-Künstler zu finden sind. Zahlreiche promi­ nente Femsehlieblinge der vorangegangenen Jahre wie Manfred Krug, Armin Mueller- Stahl, Nina Hagen und Angelica Domröse verließen die DDR. Damit wurde ein Nerv des politischen Selbstverständnisses empfindlich getroffen - die Loyalität gegenüber dem Staat und dem System DDR. Da eine offene Auseinandersetzung mit diesem Problem gescheut wurde, vermied man alles, was darauf hindeutete. Dazu zählte auch die Umfra­ ge nach Fernsehlieblingen, die mittlerweile ausreisten. Das politische Klima erkaltete erneut. Die Arbeit für Femsehkünstler wurde wieder schwieriger. Für eine Umfrage war zunächst kein Platz.

Die achtziger Jahre

1980 wurde die Umfrage nahezu unvermittelt wieder aufgenommen. Es sind dabei aber keine Verweise auf die Jahre 1976-1979 zu finden. In einem Kommentar des Chefredak­ teurs der "FF Dabei" heißt es dazu lakonisch: In naher Feme 111

"Nach wie vor erhalten wir Briefe und Karten, in denen Leser fragen, wann wir die­ se beliebte Aktion wieder starten. Eigentlich wollten wir damit noch eine Weile pausieren. Wir meinten, dass eine gute Sache vielleicht an Wert und Reiz verlieren könnte, wenn sie zur Gewohnheit geworden ist. Gern wollen wir uns eines Besse­ ren belehren lassen. Also sei hiermit gewissermaßen symbolisch der Startschuß ge­ geben."14 Man fing nicht da an, wo man aufgehört hatte, sondern vor 1975. Mit der Aufnahme quasi politisierter Bereiche (Nachrichtensprecher etc.) wurde an Umfragemodelle aus den sechziger Jahren angeknüpft. Die Struktur der Umfrage wurde vereinfacht und in den kommenden Jahren im Kern beibehalten. Die Erläutemng der "FF Dabei” dazu sieht wie folgt aus: "So gibt es drei Kategorien, in denen jeweils ein erster, ein zweiter und ein dritter Platz zu ermitteln ist. Bei den Schauspielern werden darstellerische Leistungen in Filmen, Serien und Stücken bewertet, die vom Fernsehen der DDR gesendet wur­ den. Unter der Kategorie ‘Unterhaltungskünstler’ verstehen wir Interpreten aller Genres der Unterhaltungskunst sowie Moderatoren von Unterhaltungssendungen. Wem also die Darbietung z.B. von ‘Schätzen Sie mal!’ oder ‘Alles singt’ besonders wert, hier ist der Platz für seinen Fernsehliebling. Unter ‘Sprecher’ können Sie Ihre beliebten Programm- und Nachrichtensprecher sowie Moderatoren in Magazinsen­ dungen und anderen publizistischen Reihen nennen."15 1981 fugte man zu den 3 Hauptkategorien noch die Kategorie ”Wer mir sonst noch ge­ fiel” hinzu. In dem Aufruf zur Umfrage 1982 wurde das Regelwerk wieder vereinfacht. Die Leser wurden aufgefordert, einfach 10 Namen zu nennen, wer ihre Fernsehlieblinge sind. Kate­ gorien waren nicht vorgegeben. Im Ergebnis gab es also kaum Überraschungen. 7 der Fernsehlieblinge waren auch im Vorjahr gewählt worden und Horst Drinda sowie Heinz Rennhack in der Umfrage von 1980.

Fernsehlieblinge 1982 Horst Drinda Helga Göring Klaus Feldmann Helga Hahnemann Herbert Köfer Agnes Kraus Heinz Florian Oertel Petra Kusch-Lück Heinz Rennhack Frank Schöbel Quelle: Die Fernsehlieblinge des Jahres 1982, in: FF Dabei 9/1983.

In den darauffolgenden Jahren gab es kaum Überraschungen, die Umfrage stagnierte, was auch immer häufiger in der DDR-Presse angesprochen wurde. Die Tageszeitung ”Der Neue Weg” beklagte 1985 offen die Abwechslungsarmut der Umfrage: "Man sollte meinen, zwei Millionen Zuschriften garantierten Abwechslung. Doch dem ist nicht so. [...] Aber wie kommt es, dass in jedem Jahr die gleichen Namen

14 Schwab, Osmund: Wer sind Ihre Fernsehlieblinge?, in: FF Dabei 44/1980. 15 Schwab, Osmund: Wer sind Ihre Fernsehlieblinge?, in: FF Dabei 44/1980. 112 Uwe Breitenbom

fallen? Das hat mit Popularität und Publikumstreue zu tun, aber auch mit der Form, in der die Fernsehlieblinge ermittelt werden. [...] es wird sich bei diesem Modus kaum verhindern lassen, dass es für Anfänger wie Jürgen Kamey ganz schwer wird, in dieses Feld vorzustoßen."16 1986 gab es eine umfangreiche Kooperation zwischen der "FF Dabei” und anderen DDR- Tageszeitungen. So veröffentlichte die "FF Dabei" (3/87) mit Unterstützung von 22 Ta­ geszeitungen eine Liste mit 123 Namen von Femsehküns tlem, die als "Anregung" für die Lieblings-Suche diente. Das Ergebnis unterschied sich jedoch nur an 4 Positionen von dem des Vorjahres, und insgesamt wurden als wirkliche Neulinge nur die beiden Schau­ spielerinnen Marijam Agischewa und Helga Piur genannt. Die Preisverleihung des "Gol­ denen Bildschirms" erfolgte bei einem Ballabend für "3000 Werktätige und 1000 Prominente aus Kunst und Kultur" (FF 16/87) Ende März im Palast der Republik. Dieser Ballabend ist insofern von Bedeutung, weil die Presse-Berichterstattung durchaus luxuri­ öse und glamouröse Züge freilegte. Die Inszenierungen für die Fernsehlieblinge wurden aufwendiger und spektakulärer. War der Rahmen für die "Preisverleihung" 1984 noch eine normale Fernsehsendung, in der die Journalistin Maxi Haupt die Lieblinge ohne Livepublikum porträtierte, so wurden die diesbezüglichen Fernsehsendungen und Shows größer. Die Reportagen darüber trugen teilweise boulevardeske Züge. So wurden in dem Bericht über den "Berliner Künstlerball" Tischfotos und Partyszenen veröffentlicht. Bei der Schauspielerin Marijam Agischewa verwies die "FF Dabei" darauf, dass sie schwan­ ger ist und gerade aus Wien gekommen war. "Die blonde Helga Piur aber sah man zu vorgerückter Stunde ausgelassen mit einem Verehrer nach der schmissigen Musik des Berliner Orchesters Alfons Wonneberg und den Liedern von Helga Hahnemann tanzen, die auf der Bühne ihrer Beliebtheit Tribut zollte."17 Die partielle Boulevardisierung der Femsehstars setzte spät ein. Erst in den achtziger Jahren war diese Komponente stärker ins Spiel gekommen, wodurch die Femsehakteure neue Facetten bekamen, die ihre Attraktivität für das Publikum auf jeden Fall erhöhte. Privates vermischte sich mit Professionellem. Aber das nahende Ende der DDR setzte diesem Integrationspotential auch deutliche Grenzen. Die konstante alltagsweltliche Aufladung der Umfrage in den Medien tat ihr übriges. Auch im Publikum - bei den Wäh­ lenden - sollte sich der gesamte Mikrokosmos DDR spiegeln. Dementsprechend glichen die medialen Aufbereitungen der Umfrage manchmal einem Sozialstrukturatlas der DDR. Als Beispiel sei hier auf die Preisverleihungsgala für die Lieblinge des Jahres 1987 hin­ gewiesen, die am 26.3.1987 in Gera stattfand. Die regionale Tageszeitung mit dem etwas unappetitlichen Namen "Volkswacht" verloste 450 Eintrittskarten (FF 17/88) für diese Gala. In der “FF Dabei" (13/88) wurden sechs "Glückspilze" vorgestellt18: - ein Pädagogischer Mitarbeiter im Berufsberatungskabinett - ein Invalidenrentner und Mitglied der Veteranenkommission der Gewerkschaft Kunst - eine LPG-Melkermeisterin

16 Jähnig, Moritz: FF Femsehspalte, in: Der Neue Weg vom 5.3.1985. 17 Rödelstab, Sylvia: Mit den Lieblingen auf du und du, in: FF Dabei 16/1987. 18 Rödelstab, Sylvia: Wir besuchten Glückspilze, in: FF Dabei 13/1988. In naher Feme 113

- ein Maurer und stellvertretender Brigadier aus dem Jugendbergbaubetrieb - eine Schülerin und Tochter einer Malerin/Grafikerin - eine Friseuse. 1988 wurde zum letzten Mal nach 8 Kategorien gefragt, und das Fernsehen übertrug die große Preisverleihungsgala, wieder aus Gera, am 25.2.1989 live. Die Presse widmete dem Spektakel viel Raum, ausführlicher als in den Jahren zuvor. Reportagen aus den Privatsphären der Stars, von den Showvorbereitungen und von der "begeisterten” Wahl durch die Zuschauer waren häufig zu finden. Es wurde die letzte Umfrage dieser Art. Die Ermittlung der Fernsehlieblinge für das Jahr 1989 fand nicht mehr statt. Die Femsehzeit- schrift "FF Dabei" befragte ihre Leser zwar noch, ob sie eine erneute Wahl der Fernseh­ lieblinge wollen, doch 623 Leser waren der Meinung, dass die "FF Dabei" auf die alljährliche Umfrage verzichten sollte, 112 sprachen sich dafür aus. Die Kommentierung der Umfrageabsetzung in der "FF" war simpel, aber sehr realistisch: "In dieser Zeit gibt’s wahrlich andere, wichtigere Fragen als ausgerechnet die, wer oder was wohl auf dem Bildschirm am meisten imponierte."19 Das spiegelte recht deutlich den plötzlich degra­ dierten Status der DDR-Femsehkünstler wieder. In der Wendezeit versanken viele zu­ nächst in eine mediale Bedeutungslosigkeit. Die insgesamt 21 Umfragen wurden zu einer Institution, mit der ernsthaft Popularität von Femsehakteuren ermittelt werden konnte. Ihre Kontinuität und ihr Umfang bildeten einen brauchbaren Index zur Betrachtung der Femsehentwicklung des jeweils vergange­ nen Jahres. Die Gesamtauflistung der Femsehstars, die mindestens 3mal gewonnen ha­ ben, ist eine wichtige empirische Quelle, um Aussagen über ostdeutsche Femseh- prominenz und deren historische Koordinaten treffen zu können.

Die wichtigsten Fernsehlieblinge (mit mindestens drei Nennungen) Name Anzahl der Nennungen ... in den Jahren Oertel, Heinz Florian 17 62 64-71 80-85 87 88 Feldmann, Klaus20 13 66-71 80-84 87 88 Schöbel, Frank 9 71 73-75 80-82 84 86 Kusch-Lück, Petra 8 80-87 Göring, Helga 7 75 81-86 Hahnemann, Helga 7 80-84 86 87 Köfer, Herbert 6 75 81-83 85 86 Ponesky, Hans-Georg 6 65-70 Radtke, Erika 6 67 68 70 71 73 74 Rennhack, Heinz 6 80 82-86

19 Eitner, Freddy in: FF Dabei 3/1990. 20 Einige Quellen (z.B.: FF Dabei 3/1989) geben an, dass Klaus Feldmann insgesamt 14mal die Umfrage gewonnen hätte. Anhand der ausgewerteten Quellen ist dies jedoch nicht verifizierbar. 114 Uwe Breitenbom

Herricht, Rolf 5 62 73-75 80 Kraus, Agnes 5 73-75 82 84 Schnitzler, Karl Eduard v. 5 65-69 Krug, Manfred 4 68 69 71 73 Mellies, Otto 4 65-68 Plathe, Walter 4 83-86 Sandmännchen 4 62 66 67 69 Brodhagen, Annemarie 3 65 66 69 Domröse, Angelica 3 71 73 75 Fuchs und Elster 3 70 71 75 Gerstner, Karl-Heinz 3 69 70 71 Hauff und Henkler 3 73-75 Jacobus, Hans 3 66-68 May, Gisela 3 73-75 Muck 3 83 85 86 Ullrich, Wolfgang 3 62 65 67 Wolfram, Hans-Joachim 3 73 75 87

Schlussbemerkung

Die anfangs geschilderte Prominentenpersonalie der beiden Sprecher Unterlauf und Feldmann ist ein Beispiel unter vielen, die Erfolg und Dilemma der ostdeutschen Varian­ te der "Femsehstars" aufzeigen. Jenseits von Glamour und Reichtum waren sie eher Lieblinge als Stars, und so wurden sie auch genannt - die Fernsehlieblinge. ’’Lieblinge”, das sind liebgewonnene Menschen, die man mag, die man kennt, die nah sind. Sie kön­ nen niedlich, sympathisch, amüsant und ungefährlich sein, aber kaum überwältigend, allürenhaft, mystisch oder charismatisch. Das sind die Attribute, die eher den Star cha­ rakterisieren. Die "Fernsehlieblinge" waren kaum Stars in diesem Sinne. Fast immer wurden sie in die Nähe zum Volk gerückt, und sie vermieden auch selbst ein "Abheben" in eine unnahbare Feme. Stars als unnahbare "Sehnsuchtsanzieher" und "Sonnenreflekto­ ren" waren gewiss nicht das Ideal realsozialistischer Gesellschaften. Wen aber alle aus dem Fernsehen kennen und bewundern, der kommt eigentlich kaum umhin, ein Star zu sein. Dem aber ist mit Nachdruck entgegengearbeitet worden. Dass die Fernsehlieblinge eine Zeit lang nicht nur zu den "Lieblingen" des Mediums wurden, sondern auch proleta­ risch wie politisch in Beschlag genommen wurden, zeigt folgende Anekdote. Im Februar 1970 trafen sich die gewählten Fernsehlieblinge des vorangegangenen Jahres mit der Montagebrigade "Bromberg" am neuentstehenden Berliner Leninplatz. Im Beisein von In naher Feme 115

Heinz Adameck, dem Intendanten des DFF, und der Presse "demonstrierten” Arbeiter, Künstler, Journalisten und politische Funktionäre eine fast idyllische Fassade der Ge­ meinsamkeit. "Während die Nachmittagsschicht der Brombergs pünktlich die Arbeit aufnahm, vereinten sich die schichtfreien Mitglieder der Brigade mit den Femsehlieblingen im Leninzimmer in einem Altbau an der Baustelle zu einer gemeinsamen Feier. Vom ersten Augenblick der Begegnung an bestand zwischen den Bauarbeitern und den Abgesandten des Fernsehfunks eine sehr herzliche, freundschaftliche Atmo­ sphäre. Schnell gruppierten sich Interessegemeinschaften. Die erklärten Fußball- und Sportfans [...] fachsimpelten mit Heinz Florian Oertel, der musische Harald Thieme fand in Lissy Tempelhof und Horst Schulze lebhafte Gesprächspartner, der Schweißer Fritz Bergner tauschte mit Karl-Eduard von Schnitzler Gedanken über den Vertragsentwurf der DDR an Westdeutschland aus. [...] In Toasts ließen Bau­ arbeiter und Kunstschaffende den Geist der Gemeinsamkeit hochleben."21 Diese politische Inszenierung war durchschaubar und zielte auf einen ideologischen Mehrwert ab, der durch die anwesenden Femsehakteure beigesteuert wurde. Die Fem- sehkünstler waren hier nicht fern, sie mussten Nähe zeigen, Distanzlosigkeit zulassen. Die Differenz zwischen ’’Fernsehlieblingen” und "Femsehstars” wird hier augenschein­ lich. Die Ursache dafür findet sich in der Femsehkultur der DDR mit ihren soziokulturel- len und politischen Konditionierungen durch die europäische und deutsche Geschichte. Das Fernsehen in der DDR brachte - wie überall - Sternchen und Lieblinge hervor, von denen ein paar wenige unter anderen Umständen, nämlich jenseits der Mauer, zu deut­ schen Femsehstars werden konnten, so z.B. Manfred Krug. Für die Herausbildung eines nachhaltigen femsehspezifischen Starruhmes, der über die Grenzen der DDR hinausging, waren jedoch die kulturellen wie politischen Kontexte kaum geeignet, und künstlerische Brillanz allein ist auch heute noch kein hinreichendes Kriterium für den Aufstieg zum Star. In diesem Sinne finden wir eine regional (ostdeutsch) konditionierte, verfremdete ’’Starkultur” vor, die vor allem in ihrem Herkunftsbereich von Bedeutung war und ist.

Literatur und Quellen

Benjamin, Walter, 1984. Allegorien kultureller Erfahrung. Ausgewählte Schriften 1920- 1940, Leipzig. Breitenbom, Uwe, 2000. Da lachte der Bär. Die ostdeutsche Femsehunterhaltung und der Einfluß westlicher Entertainmentmodelle, in: Dietrich; Ute/Winkler, Martina: Ok­ zidentbilder. Konstruktionen und Wahmehmungen, Leipzig, 83-90. Engler, Wolfgang, 1992. Die zivilisatorische Lücke, Frankfurt am Main. Faulstich, Wemer/Strobel, Ricarda (unter Mitarb. von Uwe Breitenbom), 1998. Die deut­ schen Femsehstars, 4 Bände, Göttingen. Gaus, Günter (1983), 1987. Wo Deutschland liegt, München.

21 Koch, Günter: Rendezvous am Leninplatz mit Fernsehlieblingen 1969, in: Berliner Zeitung vom 28.2.1970. 116 Uwe Breitenbom

Haible, Wolfgang, 1993. Schwierigkeiten mit der Massenkultur. Zur kulturtheoretischen Diskussion der massenmedialen Unterhaltung in der DDR seit den siebziger Jah­ ren, Mainz. Hickethier, Knut (unter Mitarb. von Peter Hoff), 1998. Geschichte des deutschen Fernse­ hens, Stuttgart, Weimar. Programmzeitschrift FF Dabei Tageszeitungen (diverse)

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