Helene Funke

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Helene Funke HELENE FUNKE Ex Expressiv weiblich Expressiv pres siv weib lich HELENE FUNKE Ex pres siv weib lich HELENE FUNKE Herausgegeben von Frédéric Bußmann und Viola Weigel für die Kunstsammlungen Chemnitz KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ SANDSTEIN 7 Grußwort Barbara Ludwig 8 Vorwort und Dank Frédéric Bußmann 12 Einführung Viola Weigel 16 Helene Funke in Paris Karin Sagner 22 Helene Funke in Wien Elisabeth Nowak-Thaller 36 Die Frauengruppenbilder von Helene Funke als Idealorte weiblicher Emanzipation Anna Storm 42 Ekstatische Schwingungen. Funkes Wasserfall-Bilder Viola Weigel 48 Auf dem Weg zum Selfie. Helene Funkes fotografische Selbstbildnisse ab 1906 Viola Weigel 58 Die Malerin Helene Funke. Leben und Werk Peter Funke BILDTEIL 70 Gemälde 138 Grafik 154 Kurzbiografie 156 Verzeichnis der ausgestellten Werke 160 Impressum ANNA STORM Die Gemälde von Helene Funke werden vornehmlich von weiblichen Figuren belebt. Neben Einzelporträts, religiösen Szenen und einer Reihe weiblicher Aktdarstellungen stellen Frauengruppenbilder eine weitere Motivgruppe dar.1 In ihnen entwirft die Malerin Räume expliziter Weiblichkeit, die durch ein harmonisches Miteinander der in Kontem- plation und Vertrautheit begriffenen Figuren bestechen. Sie erweisen sich gleichsam als Verhandlungsort sozialer und gesellschaftlicher Aspekte weiblichen Erlebens, die sich auch auf das Leben der Malerin selbst übertragen lassen.2 Die Funkes Gruppenbilder sind Orte des Miteinanders, die Figuren musizieren gemeinsam, posieren oder ruhen. Mehrfach greift die Künstlerin das Motiv der Loge auf, ein im 19. Jahrhundert beliebtes und häufiges Motiv in Dar- stellungen des Bürgertums.3 Für die Szene In der Loge (1907; Abb. 1) diente der Malerin das Werk La Loge (1874; Abb. 2) von Pierre-Auguste Renoir als Referenz.4 Funke adaptiert Renoirs Vorbild, nicht ohne einschneidende Veränderungen vorzunehmen. Neben einer gestalterischen Modernisierung ist die wohl signifikanteste Differenz auf der Ebene des Personals zu finden: Funke ersetzt die männliche Figur durch eine weibliche und fügt eine weitere hinzu. Während Renoir seine Dargestellten in feine Abendgarderobe kleidet5 – die Frau mit Rosen, Perlen und Hermelinpelz aus stattet, sodass sie selbst wie ein schönes Schmuckstück für den männlichen Begleiter erscheint6 –, verzichtet Funke auf exquisite Beigaben. Ihre drei Figuren sind keine passiven Antagonisten, sondern agierende Protagonis tinnen, die, wie Plakolm-Forsthuber hervorhebt, selbst mit dem Blick durch das Theaterglas visuelle Initiative ergreifen.7 Ihre schlicht geschnittenen Kleider, ohne körperformendes Korsett, lehnen sich an Reformkleider an, die seit circa 1865 von Aktivistinnen der Lebensreform- und Frauenrechtsbewegung gefordert wurden.8 Obwohl einige Künstler wie Henry van de Velde oder Gustav Klimt und auch einige Frauen Reformkleider entwarfen und Frauen es um und nach 1900 eine verstärkte Debatte darüber gab, fand diese Mode in der breiten Gesellschaft keinen großen Anklang.9 Umso signifikanter ist daher Funkes Darstellung. Sie lässt sich als offensives Bekenntnis zur modernen Reformbewegung und als emanzipatorischer Akt der Befreiung des weiblichen Körpers deuten. Die von Funke dargestellten Figuren entledigen sich nicht nur der männlichen Begleitung – ohne die Frauen das Theater noch im 19. Jahrhundert schlichtweg nicht besuchen konnten10 –, sie entziehen sich ferner jenes gesellschaftlichen Diktats, welches die tradierte Vorstellung von Geschlechterrollen maßgeblich prägte, und verkörpern so eine neue Form von weiblicher Freiheit und Unabhängigkeit. gruppen Ein zweites, 1915 entstandenes Werk mit gleichem Titel In der Loge (Abb. 3) zeigt zwei angrenzende Logen. Hier sind neben fünf weiblichen auch zwei männliche Figuren dargestellt, aber wenig ins Geschehen integriert. Es handelt sich um sprichwörtliche Randfiguren, denen kaum Raum zugestanden wird. In klassischer Abendmode stellen sie auch gestalterisch einen Kontrast zu den wieder in Reformkleidern abgebildeten Frauen dar. Die Frauen tragen außer Fingerringen weder Schmuck noch Handschuhe, wie es im Theater üblich wäre, an der Frau im violetten Kleid erkennt man sogar bemalte Fingernägel.11 Die Gabe des Blumenstraußes – leuchtend rot in seiner Farbe und damit ein Komplementärkontrast zum Grün der Logenbrüstung – bleibt ohne Wirkung, der Rosenkavalier ist lediglich ein stiller Bewunderer, der selbst keine Beachtung erfährt. Die Kommunikation der Gruppe funktioniert über Blicke und zarte Gesten, in der die Figur im roséfarbenen Kleid den kompositorischen wie visuellen Mittelpunkt darstellt. Die beiden weiblichen Figuren rechts und links neben ihr betrachten sie anerkennend, dabei liegen alle drei Augen- paare auf einer Linie, die leicht diagonal verläuft. Trotz Einhaltung einer gewissen gesellschaftlichen Etikette geben bilder sich die Frauen emanzipiert und selbstbewusst, sie besetzen den Raum mit Selbstverständnis. Die Männer an den Rand gerückt, wird die Loge – ein Repräsentationsort sozial-hierarchischer Strukturen – zum Schaukasten weib- von Helene Funke licher Unabhängigkeit. Während die Loge ihren Besuchern durch ihre spezifische Architektur eine ausgestellte Sichtbarkeit verleiht, lassen als Idealorte sich die Figuren in Träume (1913; Abb. 5) oder Die Früchte/Freundinnen (1918/19; Abb. 4) nicht in einem spezifischen, funktionalen Raum verorten. Einer öffentlichen Repräsentation entbunden, erlaubt Funke ihren Dargestellten in diesen Szenen, sich ungezwungen und frei von vorgegebenen gesellschaftlichen Regeln zu geben.12 Die Figuren weiblicher Emanzipation bewegen sich hier unbekümmert, als wären sie unbeobachtet, sie erliegen ihren Träumen, wagen sich in einen ungestörten Schlaf oder versenken sich in ihr Inneres. Dabei verlieren sie nie den Kontakt zueinander, sie über- schneiden sich teilweise, es gibt zarte Berührungen sowie feine Übergänge der jeweiligen Konturlinien. In beiden 37 Abb. 3 ® HELENE FUNKE In der Loge | 1915 Öl auf Leinwand | 112,5 × 127 cm Privatbesitz, Courtesy Kunsthandel Hieke, Wien Abb. 1 HELENE FUNKE In der Loge | 1907 Öl auf Leinwand | 99 × 90 cm Bildern organisiert ein Tisch die Gruppe. Der Hintergrund ist unbestimmt, lediglich durch grob pastos gespachtelte LENTOS Kunstmuseum Linz Farbe strukturiert. In Die Früchte/Freundinnen erscheinen die dunkelgrauen und braunen Strukturen fast stofflich, wie Vorhänge, die an In der Loge (1907) erinnern und zugleich mit den textilen Oberflächen der Kleider korres- pondieren. Die Komposition ist geordneter als in Träume, Frauen bilden ein Oval, Gesten oder Körperneigungen führen von Figur zu Figur über, sodass eine geschlossene Form entsteht. Das Überreichen der Frucht unterstreicht die Verbundenheit der Dargestellten und lässt die Komposition als geschlossenes Ganzes erscheinen. Mit ein­­ fachen Mitteln unterscheidet die Malerin ihre Figuren durch die Haarfarben, wobei physiognomische Parallelen wie die mandelförmigen Augen oder ein ähnlich milder Gesichtsausdruck auffallen. Trauben gehören zu den Attributen des Bacchus, des Gottes des Weines und der Fruchtbarkeit. In Die Früchte/ Freundinnen ließe sich der Zustand des Tagtraumes, die innere Versunkenheit, im Anschluss an das Bacchus-Motiv, als tranceartiger oder gar psychedelischer Zustand interpretieren. Die Figuren sind außerdem alle desselben Alters, ihre jugendliche Erscheinung unterstützt den Aspekt der Fruchtbarkeit und suggeriert gar ein erotisches Moment. Der Gedanke an weibliche Liebe wird hier angedeutet.13 Erscheint der Bacchus in seiner Emotionalität jedoch oft Abb. 2 ekstatisch und ausgelassen, erscheinen die Figuren in Funkes Darstellung eher introvertiert, die Mienen verraten PIERRE-AUGUSTE RENOIR wenig über ihre tatsächliche Gestimmtheit. Der Rückzug ins eigene Innere, unsichtbar, unkontrollierbar, dem La Loge | 1874 Öl auf Leinwand | 80 × 63,5 cm Äußeren entzogen, spiegelt ein weibliches Phänomen dieser Zeit: die Diskrepanz zwischen gesellschaftlich ange- The Courtauld Gallery, London messenem Verhalten und eigenen Wünschen, die häufig im Inneren verborgen blieben. 39 VIOLA WEIGEL Von Helene Funke ist neben ihrem malerischen und grafischen Œuvre auch ein Konvolut von Schwarz-Weiß- Fotografien überliefert. Angaben über inhaltliche oder technische Details der Aufnahmen sind nicht bekannt.1 Genauso wie bei ihrer Malerei sind wir, so hebt Julie M. Johnson hervor, allein auf ihre ästhetische Praxis, das heißt auf die Werke selbst und die Dokumentation, die über ihre Ausstellungstätigkeit greifbar ist, als Quelle angewiesen.2 Auf dem Die über 40 erhaltenen Aufnahmen zeigen die Künstlerin an verschiedenen Orten, an denen sie lebte. Sie sitzt inmitten von Freunden in ihrem Münchner Atelier, geht an der Pariser Seine oder im Jardin des Tuileries spazieren oder posiert auf dem Dach ihres Wohnhauses in Wien. Unter diesen Aufnahmen heben sich neben den dokumen- tarischen Werkaufnahmen 22 fotografische Selbstbildnisse heraus, die sie ab circa 1906 bis 1930 von sich anfertigte. Drei der Fotoaufnahmen können wir zeitlich eingrenzen: Funke montierte sie auf dunkle Pappe und datierte sie vorder- oder rückseitig mit ihrer charakteristischen Handschrift, sodass wir jeweils die weiteren Fotos einer Gruppe – und damit einen Großteil der Fotos – anhand der Bilderwände, die hinter ihr zu sehen sind, der Interieurs und Kleidung spezifischen Lebensphasen zuordnen können: München 1906 (Abb. S. 51 re.), Paris 1909 (Abb. S. 55 re.) und Wien 1912 (Abb. S. 56 li.). In München lebte Funke von 1899 bis 1906, darauf zog sie nach Paris und übersiedelte Weg um 1911 nach Wien, wo sie bis 1957 lebte. zum HELENE
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