Schaffhauser Reformation und Täufer. Vortrag im Schaffhauser Münster vom 29. Juli 2017 von Erich Bryner

Politisch exponierte Lage Schaffhausens

Um die Schwierigkeiten der kirchlichen Erneuerung in zu verstehen muss man sich vor Augen halten, dass sich Schaffhausen in einer politisch exponierten Lage befand. Stadt und Landschaft Schaffhausen wurden 1501, also wenig mehr als zwei Jahrzehnte vor der Reformation, als zwölfter Ort in die Eidgenossenschaft aufgenommen. Es war mit Zürich mit einer schmalen Rheingrenze verbunden. Auf mehr als drei Seiten war es von habsburgischen Landen umgeben, in denen die Reformation nicht Fuss fasste, mit deren Bevölkerung jedoch ein reger Handelsverkehr und viele persönliche Beziehungen (z.B. durch Ehen) bestanden. Mehrere Landschaftgebiete wurden durch Kauf erworben und hatten oft keine natürlichen Grenzen. Die bischöfliche Herrschaft Neunkirch-Hallau kam erst 1525 zu Schaffhausen. Darin lagen Gründe, warum die Schaffhauser Regierung in den Angelegenheiten der Reformation eine konservativ ausgerichtete Politik führte.

Bekanntschaft mit Schriften Luthers

Anfangs der 1520er Jahre wurden Schriften Martin Luthers auch in Schaffhausen bekannt, unter anderem im Benediktinerkloster Allerheiligen. Sein Abt Michael Eggenstorfer war ein gebildeter Theologe. Im seinem Exemplar von Predigten von Johannes Tauler, das in der Stadtbibliothek Schaffhausen aufbewahrt wird, finden sich Randnotizen und Lesezeichen, die ihn als einen typischen spätmittelalterlichen Mystiker ausweisen. So hat er beispielsweise notiert: "Ein Christenmensch allein uff Gott sich trösten soll" oder "Der Mensch soll Gott in ihm lassen würken", oder "Lass Gott in dir sein." Es verwundert nicht, dass Lutherschriften ihn ansprachen. Er korrespondierte mit Luther und Melanchthon und schickte Mönche zum Studium nach Wittenberg; ein Vorreformator war er allerdings nicht. – Dann gab es einen Lesekreis um den Schaffhauser Stadtarzt Johannes Adelphi. Adelphi war humanistisch gebildet und hatte das Werk "Handbuch des christlichen Streiters" von Erasmus von Rotterdam ins Deutsche übersetzt. In seinem Kreis las man Schriften Luthers. Von seiner Lutherbegeisterung zeugt eine Stelle in einem Brief an den St. Galler Humanisten und Reformator Vadian, in dem er schrieb, dass seiner Meinung nach alle Gelehrten Lutheraner und somit gute Christen seien. Die Stimmung in seinem Kreis ist in einem Zweizeiler überliefert: "Lutherus ist uff rechter ban / dem soltu frölich hangen an." Die erste Verbindung mit Zwingli wurde von Erasmus Schmid, erst Mönch und dann Leutpriester in Stein am Rhein, hergestellt. Doch bis Mitte 1522 war reformatorisches Gedankengut eine Angelegenheit von einigen wenigen Benediktinern und Gelehrten.

Der Reformator Sebastian Hofmeister und seine Evangeliumsverkündigung

Mit dem Auftreten des Franziskaners Sebastian Hofmeister und seiner an eine breite Hörerschaft gerichteten reformatorischen Predigt wurde daraus eine Volksbewegung. Hofmeister war Schaffhauser. Sein Geburtshaus ist das "Haus zu den drei Bergen " in der

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Unterstadt; neuerdings erinnert eine Gedenktafel an ihn. Er war Franziskanermönch in Schaffhausen, wurde zum Studium nach Frankfurt am Main und geschickt, wo er zu den Schülern des bekannten Bibelhumanisten Lefèvre d'Etaples (Faber Stapulensis) gehörte und zum Doktor der Theologie promoviert wurde. Als 1520 in Paris die Verfolgungen gegen die "Luthériens" begannen, musste er Paris verlassen, wurde dann Lesemeister in den Franziskanerklöstern Zürich, Konstanz und Luzern und trat mit Zwingli in engere Verbindung. In Luzern predigte er das Evangelium nach seinem "höchsten vermögen und flyss", "nit anders denn das Wort Gottes der göttlichen geschrifft", kritisierte die Marien- und Heilgenverehrung und die veräusserlichten religiösen Riten. Damit machte er sich viele Feinde, die ihn der Ketzerei angeklagten. Er floh nach Zürich und zog bald darauf in seine Vaterstadt Schaffhausen, wo er sich im Franziskaner- oder Barfüsserkloster niederliess.

Zu den Kernaufgaben der Franziskaner gehört die aufrüttelnde Volkspredigt. Der gelehrte und sprachlich wie rhetorisch hochbegabte Hofmeister kam dieser Aufgabe energisch nach und predigte in der Kirche seines Klosters. Diese Kirche, die sich an der Stelle befand, wo heute das Stadthaus steht, soll nach einer damaligen Chronik "eine schöne, grosse und wohl gebaute Kirche" gewesen sein, etwa 62 Meter lang und 20 Meter breit, und damit grösser als der St. Johann. Ausserdem predigte er in der Stadtpfarrkirche St. Johann und im Nonnenkloster St. Agnes. Inhaltlich ging es ihm um das klare und einfache Wort Gottes ohne menschliche Zusätze. Die Bibel war für ihn die alleinige Autorität in Angelegenheiten des Glaubens, Christus der einzige Weg zur Seligkeit. Mit scharfen Worten griff Hofmeister das Papsttum an, kritisierte die Marien- und Heilgenverehrung und das Messopfer in der Eucharistie, nahm Stellung gegen eine Frömmigkeit, welche die Gnade Gottes durch das Leisten von guten Werken erkaufen wollte, und kämpfte gegen zahlreiche Missstände der kirchlichen Praxis. Demgegenüber stand die reformatorische Überzeugung von der Rechtfertigung des Gottlosen allein aus dem Glauben und eine Abendmahlslehre, die an diejenige von Zwingli erinnert: Es gebe keine leibliche Gegenwart des Herrn Christus auf Erden; Leib und Blut Jesu Christi werden "geistlicher weis durch den glauben genossen und empfangen", wie es auf einem handgeschriebenen Zettel Hofmeisters stand, der in einer Bibliothek im 17. Jh. noch vorhanden war, heute aber verschollen ist. Hofmeister setzte Gottesdienstreformen im Sinne der Reformation durch. Es verschwanden "allerlei Zeremonien und Zünselwerk" wie es hiess. Unterstützt wurde Hofmeister von seinem Ordensbruder Sebastian Meyer, der 1524 wegen seiner reformatorischen Lehre aus ausgewiesen und nach Schaffhausen gekommen war.

Hofmeister fand eine breite Anhängerschaft. Kurz nach Ostern 1523 schrieb er an Zwingli: "Bei uns wird Christus mit höchstem Begehren angenommen, Gott sei Dank", viele Schaffhauser, "die einst die schärfsten Feinde waren, kommen wieder zur Vernunft." Es kam aber auch zu wirren Situationen in Schaffhausen. Der Chronist Hans Stockar berichtete aus seiner distanzierten Sicht: "Die Mönche und Pfaffen waren gegeneinander mit dem Predigen und mit dem Wort Gottes. Sie schimpften einander Ketzer und jeder wollte mehr wissen als der andere." Bald schienen die Anhänger der Reformation in der Mehrheit zu sein. Ein österreichischer Beamter aus dem Hegau vermerkte Ende 1524, der Grossteil der

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Schaffhauser sei "lutherisch". Zahlen hat man natürlich keine. Auch in der Landschaft breitete sich der reformatorische Glaube aus, so in Hallau, Schleitheim, im Reiat, in Thayngen und an anderen Orten.

Von Ostern 1524 an wurde in Schaffhausen eine neue Almosenordnung geschaffen, Bilder und Altäre wurden aus mehreren Kirchen entfernt und die Gottesdiensttexte überarbeitet, die Gottesdienste wurden in deutscher Sprache gefeiert. Doch ein Reformationsbeschluss wurde nicht gefällt. Die politischen Behörden folgten den Reformatoren nicht. Der Kleine und der Grosse Rat waren – nicht zuletzt wegen der politisch exponierten Lage Schaffhausens – unentschlossen. Der Kleine Rat, der vor allem aus Vertretern der Oberschicht und der Kaufmannschaft bestand und die eigentliche Regierung bildete, führte eine konservative Politik. Er war durchaus bereit, den Neugläubigen ein Stück weit entgegenzukommen, wollte jedoch die Altgläubigen nicht verärgern und vor den Kopf stossen. Der Grosse Rat, in dem auch die Handwerker, Rebleute und Fischer vertreten waren, war eher proreformatorisch eingestellt, doch er hatte vorwiegend beratende Funktion und weniger Macht und Einfluss als der Kleine.

Mit seiner Gelehrsamkeit und seinem Scharfsinn war Hofmeister auch ausserhalb Schaffhausen ein gefragter Theologe. So nahm er an der ersten und zweiten Disputation von Zürich im Januar und Oktober 1523 teil, an denen die Reformation in Zürich zum Durchbruch kam; an der zweiten Disputation war er am ersten Verhandlungstag Tagungsvorsitzender (für eine solche Aufgabe nahm man nicht irgendjemanden). Ein Bild von der dritten Disputation gegen die Täufer im Grossmünster zu Zürich im November 1525 zeigt Hofmeister am Tisch der Vorsitzenden (vgl. den Artikel von Martin Harzenmoser in der SN vom Mittwoch letzter Woche). Auch an den Religionsgesprächen von Ilanz 1526 und Bern 1528, die für die Einführung der Reformation in Graubünden und Bern entscheidend waren, nahm Hofmeister teil; die Berner beriefen ihn anschliessend auf eine Professur an ihrer neugegründeten theologischen Hochschule. Das theologische Profil Hofmeisters ist im Einzelnen nicht einfach zu bestimmen, da er nur wenig Schriftliches hinterliess. Bekannt ist eine kleine Schrift "Eine treue Ermahnung an die Eidgenossen, dass sie nicht durch ihre falschen Propheten verführt werden, die sich gegen die Lehre Jesu Christi stellten" (, Adam Petri, 1523, 23 Druckseiten). Hofmeister plädierte für ein Ende der innereidgenössischen Zwietracht in Religionsangelegenheiten. Man solle sich in der Klarheit des Wortes Gottes einigen. Er verteidigte die Lehre Luthers und Zwinglis und griff den Papst scharf an. "Thound auff die oren euwer vernunfft / und bruchend die augen euwer weissheit", rief er ihnen zu. Die tapferen Eidgenossen von Zürich hätten sich dem Wort Gottes geöffnet, Luzern hingegen nicht: "O Lucerna, Lucerna, wie ist dein liecht so gar verloschen ... O Lucerna wie bist du gar verstockt." Jetzt gelte es Gottes Wort anzunehmen und Christi Lehre zu folgen; man müsse Gott gehorsamer sein als den Menschen (Apg. 5,19). Eine weitere Schrift Hofmeisters von 1524 richtete sich gegen den berühmten und berüchtigten altgläubigen Theologen und Polemiker Johannes Eck, der zum Religionsgespräch nach Baden eingeladen worden war. Wenn sich Eck jedoch unter das Wort Gottes stelle und nicht unter Menschentand, dann möge er fröhlich kommen, wann immer er wolle, Zwingli fürchte sich nicht vor ihm.

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Grössere Spannungen entstanden in Schaffhausen im Jahr 1525. Vertreter der theologisch radikalen Bewegung der Täufer, welche die Kindertaufe ablehnten und die Erwachsenentaufe lehrten und auch weitere extreme Ansichten vertraten, waren aus Zürich vertrieben worden, kamen ins Klettgau und gewannen Anhänger. Sie versuchten auch, Hofmeister für sich zu gewinnen und setzten das Gerücht in Umlauf, Hofmeister sei mit ihnen einer Meinung in der Angelegenheit der Taufe. Hofmeister scheint in der Tat anfänglich unschlüssig gewesen zu sein, doch er distanzierte sich offiziell rasch von ihnen; etwas blieb aber an ihm haften. Dazu kamen soziale Unruhen. Wegen sehr schlechten Wetters und einer Missernte im Herbst 1524 konnten die Rebleute ihre Abgaben nicht entrichten und rebellierten gegen Zehntenpflicht und gegen die Obrigkeit. An Pfingsten 1525 verweigerten Rebleute, unterstützt von Fischern, den traditionellen Treueeid und riefen zu Gewalt auf. Im Vergleich zu den Bauernkriegen in der deutschen Nachbarschaft waren es relativ bescheidene Unruhen, die entstanden, doch die Obrigkeit war alarmiert, zumal es auch in der zürcherischen Nachbarschaft zu gewaltsamen Protesten gegen den Zehnten gekommen war. Am 9. August konnte die Rebellion der Rebleute und Fischer dank Vermittlungen von Leuten aus Basel und Rottweil beendet werden. Doch Hofmeister und sein Mitstreiter Sebastian Meyer wurden der Sympathien für die Täufer und die aufmüpfigen Rebleute verdächtigt. Deswegen wurden sie beide aus Schaffhausen verbannt. Hofmeister sei "schuldig gewesen am Aufruhr und Lärm unter den Rebleuten." Den Aufstand der Rebleute und Fischer "hätten die zwei Doktoren zustande gebracht mit ihren Predigten, so dass sie aus der Stadt ausgewiesen werden mussten", hielt der Chronist Hans Stockar fest.

Reformationsbeschluss ohne Reformator.

Damit verlor die Schaffhauser Reformation ihre beiden führenden Köpfe und geriet in ein theologisch-geistliches Vakuum. Nach aussen erschien die Haltung Schaffhausens unklar. Im Januar 1529 wollte Zürich endlich einmal wissen, woran es mit Schaffhausen sei, und sandte eine Gesandtschaft in die Stadt am Rhein. Der äussere Anlass war ein alter Grenzstreit zwischen Zürich und Schaffhausen. Wichtiger aber waren das Problem der Religion und die zwiespältige Haltung Schaffhausens gegenüber der Reformation. Die Antwort, welche die Gesandtschaft erhielt, war sehr zurückhaltend und vage: den Schaffhausern sei verdächtig, was irgendwie nach Zürich rieche, man wolle sich mehr an Bern und Basel orientieren. Im Juni 1529, nach dem Ersten Kappeler Krieg, war die Haltung Schaffhausens noch immer unbestimmt. In Schaffhausen seien "dry kilchen gerumt" (ausgeräumt), es gebe noch zwei, "in welchen noch all tag ein mess" gehalten werde. Am 27. September erschien nochmals eine Gesandtschaft in Schaffhausen, diesmal geschickt von den reformierten Orten Zürich, Bern, Basel, St. Gallen und Mülhausen. Sie konnte den verantwortlichen politischen Kräften überzeugend darlegen, dass die Position der Reformierten in der Eidgenossenschaft seit dem Ersten Kappelerkrieg deutlich gestärkt worden sei. Der Kleine Rat, der noch im Jahr zuvor die Abschaffung der Messe in zwei Abstimmungen abgelehnt hatte, änderte seine Meinung zugunsten Zürichs und der andern reformierten Orte der Eidgenossenschaft. Am Michaelistag, dem 29. September 1529 nahmen der Kleine und der Grosse Rat die Reformation offiziell an, wenn auch nicht einstimmig. Die Boten aus Zürich und den anderen

4 reformierten Orten hätten klar gemacht, dass die Messe und die Heiligenbilder Ketzerwerk seien und "ain grosen grüwel vor gott", schrieb Stockar in seiner Chronik. Am Donnerstag und Freitag nach dem Michaelistag habe man Messe und Bilder beseitigt, und der "grosse Gott im Münster", ein monumentales Kruzifix aus dem Jahr 1447, wurde entfernt.

Der Reformationsbeschluss war eine rein politische Entscheidung. Die Kirche hatte kaum etwas dazu beigetragen. Es fehlte ihr an fähigen Führungskräften. Die beiden Reformatoren Sebastian Hofmeister und Sebastian Meyer, welche die nötigen theologischen und kirchenpolitischen Fähigkeiten gehabt hätten, waren, wie bereits erwähnt, verbannt worden. Mit Benedikt Burgauer und Erasmus Ritter waren die beiden wichtigsten Pfarrstellen der Stadt mit zweitrangigen Persönlichkeiten besetzt. Beide waren kleinlich, eigensinnig, ehrsüchtig, und sie stritten immer wieder über alle möglichen theologischen Fragen, vor allem über das Abendmahl, aber auch über viel Nebensächliches. Sie legten sich gegenseitig lahm. Sie benahmen sich so unmöglich, dass sie der Kleine und der Grosse Rat nach ein paar Jahren in Pension schickten und die Stellen neu besetzten. Es hätte sich nahegelegt, nach dem Reformationsbeschluss die beiden verbannten Sebastian Hofmeister und Sebastian Meyer, die in Zofingen und in Bern tätig waren, zurückzuberufen. Bern und Zürich machten auch entsprechende Vorschläge. Doch die Schaffhauser Räte liessen sich nicht gewinnen. Wahrscheinlich war ihnen Hofmeister zu mächtig und zu einflussreich. Sie nahmen die Aufgaben der Neugestaltung lieber in die eigenen Hände. Wenige Tage nach dem offiziellen Reformationsbeschluss setzte der Kleine Rat eine Kommission ein, bestehend aus dem Bürgermeister und vier weiteren Politikern, aber keinem Theologen, um die Kirche und das Wort Gottes "zu ordnen", wie es hiess. Schaffhausen trat dem Christlichen Burgrecht mit Zürich, Bern, Basel sowie Biel und Mülhausen bei.

An der Jahreswende von 1529 auf 1530 wurde die "Schaffhauser Reformationsordnung" geschaffen und verabschiedet. Das Dokument enthält Bestimmungen über die Kirchenorganisation, aber auch über zivilrechtliche Angelegenheiten. Als Vorbild diente die Basler Reformationsordnung vom 1. April 1529. Der Hauptunterschied zum Basler Dokument besteht darin, dass die Schaffhauser die mitunter umständlichen biblisch-exegetischen und theologisch-dogmatischen Ausführungen der Basler Reformationsordnung beiseiteliessen und sich auf die Fragen des praktischen kirchlichen und sittlichen Lebens konzentrierten.

Die Reformationsordnung beginnt mit der Feststellung: Das Wort Gottes soll rein, lauter und klar, gemäss der Heiligen Schrift Neuen und Alten Testamentes ohne ein Vermischung mit menschlichen Erfindungen in unserer Stadt und Landschaft gepredigt werden. Zeit und Ort der Gottesdienste wurden festgesetzt: Jeweils montags, dienstags und mittwochs in der Stadtpfarrkirche St. Johann, donnerstags, freitags und samstags im Münster und an den Sonntagen in beiden Hauptkirchen, auf dem Land dreimal werktags, bei schlechtem Wetter täglich, und jeden Sonntag. Die Pfarrer hätten sich neben den Gottesdiensten auch der Erziehung der Jugend zu widmen. Alle Kleinkinder sollten "wie bisher geschehen", getauft werden, und zwar "mit ordentlichen deutschen Gebeten und Danksagungen". Deutliche Spitzen gegen die Täufer waren die Sätze: "Alle, die getauft wurden, sollen sich nicht mehr

5 ein weiteres Mal taufen lassen, sondern bei der ersten Taufe bleiben. Wer die Kindertaufe schmäht und wer Täufer beherbergt und versteckt, ... den wollen wir gefangen nehmen, mit Feuer, Schwert oder Wasser oder am Leib strafen lassen."

Im Artikel über das Abendmahl hiess es, dass "Messe, Bilder und andere Zeremonien" geprüft und eingestellt werden, allerdings nur vorläufig, bis ein Konzil dies definitiv entscheiden werde. Die Kommunion solle sich nicht zu sehr von der herkömmlichen Eucharistiefeier unterscheiden. Unter den Feiertagen des Kirchen Jahres wurden noch Fronleichnam und eine Reihe von Marien- und Heilgenfesten genannt. Das Dokument weist also einen deutlich konservativen Grundzug auf. Da mit dem Reformationsbeschluss die Autorität des Bischofs von Konstanz und des römischen Kirchenrechtes hinfällig geworden waren, mussten auch zivile Angelegenheiten, wie die Eheordnung und -gerichtsbarkeit geregelt werden. Rund ein Drittel des Textes ist demzufolge Ehefragen gewidmet. Im Abschnitt "Von den Lastern" wird festgehalten, dass Irrlehrer, welche die Lehre von der Gottessohnschaft Jesu Christi oder die Lehre von seinen beiden Naturen leugnen und auch die "reine Jungfrau Maria und die lieben Heiligen, die bei Gott ruhen" verachten, zu bestrafen seien. Weitere Artikel galten Fragen des praktischen Lebens, bis hin zu Bestimmungen über das Schwören, das Zutrinken, das Spielen über auswärtige Kriegsdienste und anständige Bekleidung.

Die Erneuerung des kirchlichen Lebens brauchte seine Zeit. Aus den 1530er Jahren sind Klagen bekannt, wonach die Kirchen auf dem Land aussähen wie Viehställe, da die Überreste von Bilderstürmen nicht aufgeräumt worden seien, und wonach die Sittlichkeit der Bevölkerung sehr zu wünschen übriglasse. In einzelnen Gemeinden sei "nütt verendert und ernüwert", in anderen stehe noch der Altar, in einer dritten sei das "sakramentshüsslin" noch vorhanden, in einer vierten wolle "der pfaff" weiterhin die Messe lesen. In der Stadt Schaffhausen gebe es noch so viele Mängel, "dass wir sie, um Ärger bei unseren Brüdern auf dem Land zu vermeiden, nicht haben nennen wollen." Trotz alledem: Die Kirche gewann zunehmend an Profil und Stärke. Aussenpolitisch arbeitete sie mit den Kirchen der Reformierten Orte, mit Zürich, Bern und Basel, eng zusammen und wurde ein wichtiger Eckpfeiler der reformierten Kirchen in der Eidgenossenschaft. Im Inneren (Gottesdienst, Kirchengesang, Katechese) erarbeitete die Schaffhauser Kirche ihren eigenen Kurs. Das kompetente und umsichtige Wirken des «zweiten» Reformators Johann Konrad Ulmer von 1566 bis zu seinem Tod 1600 brachte der Schaffhauser Kirche endgültig eine klare Ausrichtung und Stabilität.

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Die Täufer in der Schaffhauser Gegend

Neben den Reformationsbewegungen, die mit den jeweiligen Obrigkeiten zusammenarbeiteten und dann in etablierte Staatskirchen mündeten, gab es in der Reformationszeit radikalere Strömungen, die als "radical reformation" oder als der "linke Flügel der Reformation" bezeichnet werden. Dazu gehören auch die Täufer. Sie sind eine sehr disparate, vielfältige Bewegung mit verschiedenen Wurzeln in verschiedenen Gegenden Europas und verschiedenen sozialen und theologischen Voraussetzungen. Ihnen gemeinsam sind die Unzufriedenheit und die Enttäuschung über die Reformation. Diese ging ihnen zu wenig weit, war zu wenig radikal, blieb zu sehr mit der staatlichen Obrigkeit verbunden und machte mit ihr zu viele Kompromisse. Die Täufer protestierten gegen das Arrangement zwischen Kirche und Staat bei den Reformatoren.

Wir beschäftigen uns hier nur mit der Täuferbewegung in der Region Zürich und Schaffhausen. Nach der ersten Disputation in Zürich im Januar 1523 beschloss der Rat, Zwingli solle mit seiner bisherigen Verkündigung fortfahren; Zürich nahm damit die Reformation an. Bereits im Herbst desselben Jahres kam es zwischen Zwingli und seinem Mitstreiter Konrad Grebel zu einem Konflikt. Es ging um die Frage, ob die Reformation radikal oder gemässigt durchgeführt werden solle. Zwingli war für ein gemässigtes Vorgehen, Grebel für ein radikales. Bald wurde die Frage nach der Kindertaufe ein Streitpunkt. Der Zürcher Rat verlangte die Taufe aller Kinder in den ersten acht Tagen nach der Geburt, wie es bisher üblich war, und Zwingli, der mit dem Rat eng zusammenarbeitete, stimmte ihm zu. An der Kindertaufe waren die Behörden sehr interessiert, denn sie gab ihnen eine Übersicht über die Bevölkerungsentwicklung. Die Kirche führte damit das Zivilstandsregister, wie wir heute sagen, und dazu gehörte das Geburtsregister, das auf den Daten der Säuglingstaufen beruhte. Demgegenüber forderten die Radikalen, man müsse die Säuglingstaufe abschaffen und an ihrer Stelle eine Glaubenstaufe einführen. Erst die Erwachsenen können sich für ein christliches Leben entscheiden, und das Zeichen dafür ist dann die Taufe. Die Täufer haben sich dabei auf eine konsequente Auslegung des Neuen Testamentes berufen und haben dabei theologisch nichts Falsches gesagt, denn in der Zeit des Neuen Testamentes wurden jeweils Erwachsene getauft, allenfalls ganze Familien ("liess sich taufen samt seinem Hause"). Ende Januar 1525 erfolgten die ersten Erwachsenentaufen in Zollikon bei Zürich (Das Haus steht heute noch, Gedenktafel), bald darauf 35 weitere Erwachsenentaufen in Zollikon und dann noch mehr.

Es folgten heftige Auseinandersetzungen mit scharfen polemischen Schriften, Inhaftierungen, Todesurteilen und -vollstreckungen und Vertreibungen. Eine Gruppe von Täufern floh aus Zürich und wandte sich in die Gegend von Schaffhausen, vor allem nach Hallau, wo sie eine Gemeinde gründeten. Bald gerieten sie mit der Obrigkeit in Konflikt und sahen sich gezwungen, ihre Gottesdienste an entlegenen, schwer zugänglichen Orten in den Wäldern zu feiern, Flurnamen (wie Täuferstieg) erinnern heute noch daran. Die Theologie des Täufertums wurde 1527 in den Schleitheimer Artikeln festgehalten. Das Dorf Schleitheim liegt im politischen Grenzgebiet, die Täufer konnten bei Eintreffen obrigkeitlicher Polizei

7 rasch in ein anderes Land fliehen, wo andere Polizeiorganisationen zuständig waren. In den Schleitheimer Artikeln heisst es: 1.Die Taufe gilt für die, welche über die Busse und Änderung des Lebens belehrt worden sind und wahrhaft glauben." Die Kindertaufe ist ausgeschlossen. 4. Die Gemeinde muss rein sein. Sie pflegt keine Gemeinschaft mit dem Bösen dieser Welt, sondern sondert sich von der Welt ab. 6. Die Täufer üben keine obrigkeitlichen Ämter aus. "Man stellt fest, dass es den Christen nicht geziemt, eine Obrigkeit zu sein. Das Regiment der Obrigkeit ist nach dem Fleisch, das der Christen ist nach dem Geist ... Die Bürgerschaft der Christen ist im Himmel." Folge davon sind auch die Verweigerung des Militärdienstes und des Eides (Kap. 7). Die Täufer verlangten und praktizierten also eine absolute Trennung von Staat und Kirche. Das war in der damaligen Zeit etwas völlig Neues, und eigentlich ein neuzeitliches Konzept. Keine christliche Obrigkeit des 16. Jh.s konnte an einer solchen Theologie Freude haben. Die Täufer verlangten und praktizierten eine Freikirche der Bekehrten und Getauften anstelle einer Volkskirche oder Jedermannskirche.

Die Verfolgungen und Todesurteile, die gefällt wurden, waren für die damalige Zeit nichts Aussergewöhnliches. In späterer Zeit jedoch hat man die Bewegung der Täufer neu bewertet. Vgl. dazu die Studie des Zürcher Kirchenhistorikers Fritz Blanke "Brüder in Christo", Zürich 1955. Man hat begonnen, die Täufer positiv zu würdigen und die Hinrichtungen zu bedauern. 2004 wurde in Zürich an der Stelle, wo Täufer in der Limmat ertränkt wurden, eine Gedenktafel aufgestellt, auf der es heisst:

• "Hier wurden mitten in der Limmat von einer Fischerplattform aus Felix Manz und fünf weitere Täufer in der Reformationszeit zwischen 1527 und 1532 ertränkt. Als letzter Täufer wurde in Zürich Hans Landis 1614 hingerichtet."

• Auf dem Randen wurde vor wenigen Jahren eine Gedenkstätte für die Täufer errichtet, im Frühjahr 2017 ein Täuferweg im Randen eingeweiht.

Die Täufer der Reformationszeit flohen oder wurden vertrieben und kamen etwa in das religiös tolerante Mähren und in viele andere Gegenden Europas, später auch nach Amerika. Das Täufertum stellt insgesamt eine markante Strömung im Geschehen der Reformation dar mit beachtlichen Nachwirkungen bis auf den heutigen Tag. Reformierte Kirche und Täufer gehören eng zusammen.

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