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ZOOLOGIE 2009 ZOOLOGIE 2009 Herausgegeben von Mitteilungen Rudolf Alexander Steinbrecht der Deutschen Zoologischen Gesellschaft . Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

101. Jahresversammlung – Jena 19. – 22. September 2008

Biohistoricum im Zoologischen Museum Alexander Koenig · Bonn Basilisken-Presse · Rangsdorf Titelei_2009.qxd 18.08.2009 11:46 Seite 1

ZOOLOGIE 2009 Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

Herausgegeben von Rudolf Alexander Steinbrecht

101. Jahresversammlung Jena 19.-22. September 2008

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Umschlagbild Dsungarischer Zwerghamster (Phodopus sungorus) im Torpor. Man beachte die typi- schen „Schlitzaugen“ (s. den Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Heldmaier, S. 23). Foto Dr. Frank Scherbarth, Hannover.

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Die Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft erscheinen einmal jährlich. Einzelhefte sind bei der Geschäftsstelle (Corneliusstr. 12, 80469 München), zum Preis von 7,00 € erhältlich.

Gesamtherstellung Danuvia Druckhaus Neuburg GmbH, Nördliche Grünauer Str. 53 86633 Neuburg an der Donau

Copyright 2009 by Basilisken-Presse im Verlag Natur & Text in Brandenburg GmbH · Rangsdorf Printed in Bundesrepublik Deutschland ISSN 0070-4342 ISBN 978-3-941365-04-9 Titelei_2009.qxd 18.08.2009 11:46 Seite 3

Inhalt

Wolf-Michael Weber 5 Grußwort des Präsidenten der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

Franz Huber 7 Laudatio:Verleihung der Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

Heinz Penzlin 13 Danksagung anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der DZG

Walter Arnold 17 Laudatio: Karl Ritter von Frisch-Preis an Gerhard Heldmaier

Gerhard Heldmaier 23 Torpor bei Säugetieren – Leben auf Sparflamme.

35 Werner-Rathmayer-Preis der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

Barbara Hellriegel 37 Erfülllt die Junior-Professur die in sie gesetzten Erwartungen?

Nguyen Quang Truong00 Amphibien- und Reptilienentdeckungen und Wolfgang Böhme 45 in tropischen Bergwäldern Vietnams

Jürgen Heinze 50 Fünf gute Gründe, Ihr nächstes Manuskript bei Frontiers in Zoology zu veröffentlichen

Kuno Kirschfeld und Peter Kunze 51 Nachruf auf Klaus Vogt 31.7.1945 – 9.5.2008

Elisabeth Geiser 57 Nachruf auf Else Jahn 28.8.1913 – 9.8.2008

Gerta und Günther Fleissner 59 Nachruf auf Peter A. Schlegel 2.6.1941 – 16.10.2008 Titelei_2009.qxd 18.08.2009 11:46 Seite 4

Bert Hölldobler 63 Nachruf auf 19.12.1918 – 13.11.2008

Geoffrey A. Manley 69 Nachruf auf Franz Peter Fischer 12.8.1950 – 27.11.2008

Bernhard Ronacher, Harald Wolf00 Nachruf auf Otto von Helversen und York Winter 73 9.8.1943 – 2.2.2009

Klaus Peter Sauer 77 Nachruf auf Günther Osche 7.8.1926 – 2.2.2009 01_Weber.qxd 18.08.2009 12:01 Seite 5

Grußwort des Präsidenten der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

Wolf-Michael Weber

Liebe Mitglieder der Deutschen Zoo- sundheit und Lebensmittelsicherheit logischen Gesellschaft, (ENVI) bzw. Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und diskutierten sehr im Namen des neu gewählten Vorstandes intensiv den im November 2008 vorge- darf ich Sie alle zur 102. Jahrestagung ein- legten Entwurf der Richtlinie „zum Schutz laden, die dieses Jahr im schönen Regens- der zu wissenschaftlichen Zwecken ver- burg stattfindet. Im Jahr des 200. Geburts- wendeten Tiere“. Dieser erste Entwurf tages von Charles Darwin und dem 150. sah europaweite Maßnahmen vor, die Jahrestag der Veröffentlichung von „On the tierexperimentelle Forschungen massiv Origin of Species“ steht die Tagung natür- erschwert, wenn nicht sogar in einigen lich ganz im Zeichen des Begründers der Bereichen unmöglich gemacht hätten. Um modernen Evolutionstheorie. Die Veran- dies zu verhindern, haben von deutscher stalter des Zoologischen Instituts der Uni- Seite DFG, VBIO und die DZG deutsch- versität Regensburg um Jürgen Heinze sprachige EU-Parlamentarier im AGRI haben hochkarätige Redner gewinnen kontaktiert und ihnen Verbesserungs- können, die viele Aspekte der Biologie im vorschläge unterbreitet. Trotz persönli- Licht der Evolution erörtern werden. Alle cher Skepsis war es ungemein be- Mitglieder der DZG (und natürlich auch eindruckend zu sehen, wie viele der alle anderen, die sich für Zoologie interes- Verbesserungsvorschläge von den Parla- sieren) sind vom 25. bis 28.09.2009 in die mentariern tatsächlich übernommen und Hauptstadt der Oberpfalz mit ihrer mehr in die Richtlinie eingearbeitet wurden. als 2000-jährigen Geschichte ganz herz- Auch für zukünftige Änderungen an die- lich eingeladen. Auf der Tagungs-Home- sen Richtlinien durch die entsprechenden page (http://www.dzg 2009.de) sind alle EU-Ausschüsse werden wir die Sicht- wichtigen Informationen und das Pro- weise der DZG dokumentieren und die gramm zu finden. Ein Höhepunkt der dies- Parlamentarier mit den nötigen Argumen- jährigen Jahrestagung wird sicherlich auch ten versorgen, so dass auch in Zukunft in die Verleihung des Horst-Wiehe- und des der EU sinnvolles tierexperimentelles Walter-Arndt-Preises an zwei junge Zoolo- Arbeiten möglich sein wird. Wir werden ginnen sein. die Mitglieder der DZG stets auf dem Am 31.03.09 tagten in Brüssel der fe- Laufenden halten. derführende Ausschuss für Landwirtschaft Von hier aus auch ein ganz großes und ländliche Entwicklung (AGRI) und die Dankeschön an Dr. Sabine Gießler in der Ausschüsse für Umweltfragen, Volksge- Münchner Geschäftsstelle der DZG, ohne

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deren enorme Hilfe die Arbeit des Präsi- lich bei der Jahrestagung in Regensburg denten und des Vorstandes der DZG un- zu treffen. gleich schwerer und ineffektiver wäre. Herzliche Grüße, Herzlichen Dank, Sabine! Ihr Der Vorstand wünscht allen Mitglie- dern der DZG eine gute Zeit und freut sich darauf, so viele Mitglieder wie mög-

Prof. Dr. Wolf-Michael Weber, Institut für Tierphysiologie Westfälische Wilhelms Universität Hindenburgplatz 55 D-48143 Münster

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Laudatio zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Zoologischen Gesellschaft an Dr.Dr.h.c. Heinz Penzlin, Professor emeritus und vormals Direktor am Zoologischen Institut der Universität Jena

Franz Huber

Herr Präsident Wägele, Hochgeschätzter Herr Kollege Heinz Penzlin, Verehrte Frau Hanne Penzlin, Zoologinnen und Zoologen, meine Damen und Herren:

Es ist eine besondere Freude und hohe Ehre den mir seit Jahren wissenschaftlich und freundschaftlich verbundenen Kolle- gen, den emeritierten Professor für Zoo- logie und Tierphysiologie und langjähri- gen Leiter des Zoologischen Institutes der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Dr.Dr.h.c. Heinz Penzlin anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft durch Der Präsident Johann Wolfgang Wägele (r.) die Deutsche Zoologische Gesellschaft zu gratuliert dem neuen Ehrenmitglied (Foto Dr. würdigen. Seit vielen Jahren verbindet uns Gunnar Brehm) das gemeinsame Interesse für das Ner- vensystem der Insekten, das wir mit ver- Forschung ist und wie Geben und Neh- schiedenen Methoden und auf verschiede- men zwischen Lehrer und Schüler sich nen Integrationsebenen studierten. auszahlen, denn wir alle sind in unserem Schilderungen zu Werdegang und Le- Tun in den Fluss der Geschichte und in die benswerk eines Wissenschaftlers geben Evolution des Faches eingebunden. auch einen Einblick in die Rolle, die Vor- Heinz Penzlin repräsentiert einen Ge- fahren im Fach für die eigene Entwicklung lehrten mit ungewöhnlich breiten Interes- spielen. Sie zeigen, wie wertvoll und sti- sen, einen wissenschaftlichen Universa- mulierend ein kreatives und kritisches wis- listen, einen, der über den eigenen Zaun in senschaftliches Umfeld für die eigene die blühenden Gärten benachbarter Diszi-

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plinen schaut. Penzlin ist ein Biologe mit fangs der zwanziger Jahre des vergange- solidem theoretischem Fundament, mit nen Jahrhunderts bei seine umfassend fachhistorischer und philoso- Doktorarbeit über das Duftorgan der phischer Bildung, er ist ein Vollblutzoologe Honigbiene anfertigte. Ebenso wurde mir und vergleichender Physiologe, einer der der wissenschaftlich so fruchtbare Nähr- sein Fach in der ganzen Breite zu durch- boden der Universität Rostock, dem Stu- forsten bestrebt ist. Heinz Penzlin sehe ich dien- und langjährigen Wirkensort von auch wesensverwandt und kongenial zu Heinz Penzlin, durch Karl von Frisch, der in dem vor elf Jahren verstorbenen gemein- Rostock die Hörphysiologie bei Fischen samen Freund Ernst Florey, denn er teilt begründete, in seinen „Erinnerungen eines mit Ernst Florey das breite Interesse für Biologen“ bekannt gemacht. Seine Arbeit unser Fach bis hinein in die historischen mit „Xaverl“ ging in die Annalen ein unter Zusammenhänge und die philosophischen dem Titel „Ein Zwergwels, der kommt, Aspekte. Beide sind Ausnahmen unter den wenn man ihm pfeift.“ Ich selbst hatte heute verbreiteten Spezialisten, die immer Gelegenheit das Mecklenburger Land im mehr über immer Spezielleres zu wissen Juni 1989 – kurz vor der Wende – kennen versuchen. zu lernen, als ich zusammen mit meiner Heinz Penzlin ist auch darin eine Aus- vor Jahren verstorbenen Frau zur Teil- nahme unter den heutigen Biologen, als er nahme am Kongress der Tierphysiologen angeregt durch ein akademisch geprägtes der damaligen DDR nach Güstrow eingela- Elternhaus sich für Mathematik und die den war. Dieser Kongress brachte mich in breite Palette der Naturwissenschaften Kontakt mit Zoologen und Tierphysiologen schon frühzeitig zu interessieren begann aus dem damals noch getrennten Teil unse- und – für einen Oberschüler ungewöhnlich res Vaterlandes und er zeigte mir ihre ver- – Max Hartmanns „Allgemeine Biologie“ schiedenen methodischen und konzeptio- und die sehr anspruchsvolle „Theore- nellen Forschungsansätze. tische Biologie“ Bertalanffys las. Durch Heinz Penzlin begann 1950 mit 18 Jah- Streifzüge in die Natur, durch Mikrosko- ren an der Universität in Rostock sein pieren von Kleinlebewesen des Süßwas- Studium, wurde aber wegen „politischer sers und insbesondere angestoßen durch Unzuverlässigkeit“ zunächst abgelehnt, das Buch von Karl von Frisch „Du und das dann schließlich wegen besonderer Leben“ entschied er sich für die Biologie. Vorkenntnisse für das Fach Mathematik Gemeinsam ist, dass Karl von Frisch uns zugelassen. Nach mehreren Semestern beide, Heinz Penzlin und auch mich durch konnte Penzlin, seinem Wunsch entspre- sein Vorbild geprägt hat. chend, zur Biologie wechseln und schloss Mecklenburg, das Geburtsland und die im Alter von 22 Jahren das Studium mit geliebte Heimat von Heinz Penzlin, wo er in dem Diplom im Fach Biologie mit Aus- Waren 1932 geboren wurde, ist mir durch zeichnung ab. Er promovierte bereits mit die Schilderungen meines Doktorvaters 24 Jahren summa cum laude mit einer Werner Jacobs früh nahe gebracht worden, Arbeit über Regenerationsleistungen bei eines Mecklenburgers, der in Rostock an- Cordylophora, einer Hydrozoe.

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Dieser Organismus ist auch mir ver- traut, denn während meines Aufenthaltes als postdoc am Zoology Department der Universität von Kalifornien in Los Angeles im Jahre 1961 konnte ich im Labor von Professor Bullock vom Stolon von Cordylo- phora Nervenimpulse ableiten und einen ersten Einblick gewinnen in die Erre- gungsleitung im Nervensystem eines Coelenteraten. 1962 habilitierte sich Heinz Penzlin mit Arbeiten zur Regeneration von Insekten. An Schaben konnte er u.a. zeigen, dass Heinz Penzlin (r.) im Gespräch mit Franz Huber die Extremitätenregeneration unabhängig auf dem anschließenden Bankett, in der Mitte von der Innervation abläuft und der Re- Frau Hanne Penzlin generationsprozeß hormonabhängig ist. (Foto Dr. Sabine Gießler) Auslöser für die Regeneration ist nicht der „Wundreiz“; es fällt eine Hemmung weg, den Wechsel von der durch Gersch ge- die bei normaler Entwicklung wirksam prägten Insekten-Endokrinologie hin zur wird. Auch hier gibt es zu meiner For- Insekten-Neurobiologie, die er bereits in schung an Grillen Beziehungen: Wir fan- Rostock angebahnt hatte. Schwerpunkte den viel später in Seewiesen durch Rege- seiner und seiner Mitarbeiter auch inter- nerations- und Transplantationsexperi- national sehr beachteten Forschung in Jena mente an Grillenlarven Hinweise für eine waren das stomatogastrische Nervensys- segment- und beinspezifische Ausprä- tem, insbesondere aber Vorkommen, Ver- gung von Sinnesorganen. breitung, Identifikation und Funktion von Heinz Penzlin blieb auch nach dem Neuropeptiden, aber auch das octopamin- Weggang von Rostock im Jahre 1974 sei- erge System. Es ging dabei um zentrale ner Heimatuniversität sehr verbunden, die Fragen der Neuromodulation und der Ko- ihm 2005 die hochverdiente Würde eines existenz von Neuropeptiden mit klassi- Ehrendoktors verlieh. schen Transmittern sowie deren Interaktion Ich traf Heinz Penzlin erstmals 1975 in an den Zielstrukturen. Kurzum: Jena wurde Jena, wo er 1974 auf den von Ernst Haeckel unter Penzlin's Leitung zentraler Ort der begründeten Zoologischen Lehrstuhl als Forschung an Neuropeptiden von Everte- Nachfolger von Manfred Gersch berufen braten in Deutschland. Den zwischenzeit- worden war. Mit der Übernahme dieses im lich rasanten Fortschritt in der Neuro- deutschen Sprachraum bedeutenden peptid- und Neurohormonforschung hat Lehrstuhls trat Penzlin in die Fußstapfen auch diese Tagung wieder deutlich ge- berühmter Vorreiter und Wegbereiter der macht. Zoologie und vergleichenden Physiologie, Schnell wurde bei meinen Besuchen in setzte aber in Jena eigene Akzente durch den Folgejahren in Gesprächen mit ihm

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und seinen Mitarbeitern klar, wie sehr in Dieses Lehrbuch, inhaltlich und didak- Jena unter damals recht schwierigen Be- tisch vorbildlich gestaltet, gründlich dingungen international anerkannte Pio- recherchiert und stets auf den neuesten nierarbeit zum Nachweis aminerger und Stand des Wissens gebracht, war für viele peptiderger Neurone geleistet worden ist. Jahre das einzige im deutschsprachigen Dies veranlasste mich kurz nach der Wen- Raum auf dem Gebiet der Tierphysiologie de einige seiner Mitarbeiter in meine Ab- und es deckt nahezu alle Aspekte auf den teilung an das Max-Planck-Institut für Ver- verschiedenen Integrationsebenen ab. In haltensphysiologie nach Seewiesen einzu- der Gestaltung des Lehrbuchs dokumen- laden, damit diese uns die in Jena entwi- tiert Penzlin auch seine mathematisch-phy- ckelten Techniken nahe bringen konnten. sikalische Vorbildung, eine stringente Der Vorsprung der Jenenser gab auch Formulierung und die Fähigkeit Theorien Anlass bei der 19. Göttinger Neurobiolo- an den gegebenen Befunden zu messen. gen-Tagung im Jahre 1991 zum Thema Man kann dem Autor nur höchstes Lob für „Synapse, Transmission und Modulation“ diese seine Leistung zollen und dieses national und international Flagge zu zeigen. Lob kam vor Jahren von keinem Geringe- Auch die 87. Jahrestagung der Deutschen ren als dem Nestor der vergleichenden Zoologischen Gesellschaft in Jena im Jahre Sinnesphysiologie, Hansjochem Autrum. 1994, die ich als damaliger Präsident erst- Es gibt noch eine weitere Facette bei mals nach der Wende in die neuen Bun- Heinz Penzlin, die gerade in den letzten desländer holen durfte, zeigte den Zoo- Jahren durch seine Schriften deutlicher logen die Fortschritte der Jenenser Neuro- geworden ist: Es ist dies ein wohl von peptid-Forschung. Bei dieser Tagung gab Beginn an vorhandenes und nun im Alter Heinz Penzlin einen umfassenden Einblick steigendes Interesse für allgemeine in die äußerst facetten- und erfolgreiche Fragen der Biologie, kurzum sein Nach- Geschichte der Zoologie in Jena. denken zu dem Rätsel „Leben“. Dieses Eine Würdigung von Heinz Penzlin blie- Interesse kulminiert in seinen Beiträgen be unvollständig ohne seine Leistung als und Begründungen zu einer eigenständi- Lehrbuchautor: Man muss die Courage gen Stellung der Biologie als autonomer des jungen Penzlin bewundern, der als Wissenschaft, abgrenzbar gegen Physik Assistent – und wie er selbst sagt als und Chemie u.a. durch die Präsenz des Autodidakt – bereits 1956 ein tierphysiolo- Genoms als notwendiger Bedingung für gisches Lehr- und Forschungsprogramm Leben, herausgehoben durch Selbst- an der Universität Rostock anbot und auf organisation, Komplexität, organisierte diesem aufbauend Ende der 60-er Jahre Dynamik und Funktion und gekennzeich- sein Lehrbuch der Tierphysiologie konzi- net durch den historisch-evolutiven Aspekt. pierte, das von Auflage zu Auflage lange Penzlin berührt auch die Grenzen reduk- Jahre von ihm allein neu bearbeitet nun tionistischen Vorgehens insbesondere bei bei Gustav Fischer in der 7. Auflage vor- kognitiven Prozessen und die Thematik liegt und, wie mir der Verlag mitteilte, noch des Zweckmäßigen im Reich der Biologie. verfügbar ist.

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Bei dieser beeindruckenden Lebens- kommt die Auszeichnung durch die leistung mit mehr als 250 Publikationen Deutsche Zoologische Gesellschaft mit der blieben Anerkennungen und Ehrungen Verleihung der Ehrenmitgliedschaft hinzu. nicht aus. Heinz Penzlin wurde 1981 Mit- glied der Sächsischen Akademie der Wis- In meine Würdigung für Heinz Penzlin senschaften, er erhielt 1996 die Wilhelm- möchte ich am heutigen Abend auch den Ostwald-Medaille dieser Akademie und Dank an Frau Hanne Penzlin einschließen, wurde im gleichen Jahr deren Vizepräsi- die – selbst Biologin – das wissenschaftli- dent. 1996 folgte die Wahl zum Mitglied in che Leben und Werk ihres Mannes über die Deutsche Akademie der Naturforscher nun 51 Jahre begleitet und zum Gelingen Leopoldina eine Ehrung, die mich ganz beigetragen hat. besonders gefreut hat. 2005 wurde ihm – wie schon gesagt – die Ehrendoktorwürde Herzlichen Glückwunsch! der Universität Rostock verliehen und nun

Prof. Dr. Franz Huber Watzmannstraße 16 82319 Starnberg

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Danksagung anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der DZG

Heinz Penzlin

Sehr verehrter Herr Präsident, meine herzlichen Worten und so überaus Damen und Herren, liebe Kolleginnen menschlich einfühlsam umrissen hat. Wir und Kollegen, haben uns kurz vor der Wende in meiner mecklenburgischen Heimat, in Güstrow, mein Dank am heutigen Tag gilt zuerst anlässlich einer Tagung der ostdeutschen den verantwortlichen Mitgliedern unserer Tierphysiologen kennen gelernt. Es war Gesellschaft, die meine bescheidenen ein freundliches Begegnen, das in unser Leistungen auf dem Gebiet der Zoologie beider Gedächtnis sehr lebendig geblie- für so gewichtig gehalten haben, mich ben ist, und dem viele bis auf den heuti- heute zum Ehrenmitglied der Deutschen gen Tag an verschiedenen Orten folgen Zoologischen Gesellschaft, der ich seit sollten, worüber ich sehr glücklich bin. dem 12. Mai 1956 angehöre, zu berufen. Uns verbindet das heute leider immer Meine Freude darüber ist natürlich seltener anzutreffende breite Interesse an groß, wer wollte das verhehlen! Ich kann der Vielfalt der Lebensleistungen und -for- meine Gefühle in diesem Moment nicht men der Tiere vom Protozoon über die In- besser zum Ausdruck bringen, als mit sekten bis zur Fledermaus, von den mole- den Worten des Genius aus Weimar, kularen Grundprozessen über die neuro- Johann Wolfgang Goethe, die er einst in nalen Verschaltungen bis hin zum Verhal- einem Brief an seinen „Urfreund“ Zelter ten und zur interindividuellen Kommuni- anlässlich seines 70. Geburtstags fand. Es kation. hieß dort: Damit bin ich auch schon bei der „Denn ein herzlich Anerkennen ist des Zoologischen Gesellschaft und welche Alters zweite Jugend“. Rolle sie in meinem Leben gespielt hat Es tut schon wohl, etwas davon zu spü- und – aus meiner Sicht – in unserer Zeit ren, wenn das langjährige Bemühen im auch weiter spielen sollte. Als ich 1956 Lehren und Forschen ein Echo erhält und auf der legendären 50. Jahrestagung nicht völlig lautlos verhallt. So erfahre ich unserer Gesellschaft in Hamburg als jun- hier und heute in der Tat ein Stückchen ger Doktorand den Antrag auf Aufnahme „zweiter Jugend“. stellte, tat ich es mit dem festen Gefühl, Deshalb gilt auch mein ganz besonde- einer großen Familie beizutreten, die sich rer Dank meinem Freunde Franz Huber, durch ihr gemeinsames Interesse an den der die mit einer Laudatio immer verbun- Fragen der wissenschaftlichen Zoologie dene Mühe auf sich genommen und mein in all ihren Teildisziplinen und Aspekten Wirken und Streben mit so warmen und auszeichnet. Ich bin auch später – bis mir

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eine weitere Teilnahme an den Jahresver- seine Fauna Deutschlands auch heute sammlungen staatlicherseits versagt wur- noch bestens bekannt sein dürfte, kennen de – niemals in diesem Gefühl enttäuscht lernte. worden. Die vielfältigen anregenden Im- Alle wissenschaftlichen Beiträge der pulse, die mein Begegnen mit der dama- Jahrestagungen wurden in voller Länge ligen zoologischen Elite im Nachkriegs- zusammen mit den gehaltenen Begrü- deutschland von Otto zur Strassen, Max ßungsreden, allgemeinen Mitteilungen, Hartmann und Otto Köhler bis hin zu Nachrufen etc. jeweils in den Verhand- Alfred Kaestner, Bernhard Rensch, Fried- lungsberichten abgedruckt. Ich nehme rich Seidel, Adolf Remane, Manfred diese Berichtsbände heute noch oft und Gersch, Curt Cosswig, Wulf Emmo Ankel, gerne zur Hand. Sie sind lebendiger Wolf Herre u. a. auf mich gehabt haben, Ausdruck des damaligen Lebens inner- gehören zu den Erinnerungen, die ich halb der Gesellschaft und stellen einzigar- nicht missen möchte. Ich habe die Ver- tige Dokumente für die nach uns Kom- bindung zur Deutschen Zoologischen Ge- menden dar. sellschaft auch in den Zeiten der verord- neten Selbstisolierung durch die DDR- All das ist heute ziemlich anders! Ich Machthaber niemals abgebrochen und weiß wohl, dass sich dafür objektive mich erfolgreich dem von mir verlangten Gründe anführen lassen, wie die stark Austritt widersetzt. gestiegenen Mitgliederzahlen, die weiter fortgeschrittene Spezialisierung der Die Tagungen zeichneten sich damals Disziplinen usw.Wir sollten meines durch folgende vorteilhafte Merkmale aus: Erachtens aber trotzdem nicht vergessen, Sie waren wahre Vollversammlungen, dass eine Jahresversammlung einer natio- an denen nicht nur die jungen Wissen- nalen Fachgesellschaft, wie wir sie hier schaftler, sondern auch die Mehrzahl der und heute gerade erleben dürfen, ihren amtierenden Professoren regelmäßig teil- besonderen Charakter hat und deshalb nahmen. nicht mit einer wissenschaftlichen Vor- Auf ihnen wurden nur Plenarvorträge tragstagung irgendwo in der Welt gleich- (Haupt- u. Kurzvorträge) quer durch die gesetzt werden darf. Sie hat spezifische gesamte Zoologie gehalten. Parallel- Funktionen zu erfüllen. Dazu gehört nicht sitzungen gab es nicht. zuletzt die Pflege des Zusammengehörig- Die meisten Teilnehmer nahmen auch keitsgefühls aller ihrer Mitglieder unter an den anschließenden Exkursionen teil, dem gemeinsamen Dach ihrer Disziplin, wobei sich viele Gelegenheiten direkter in unserem Falle der Zoologie, d. h. die Kontakte im freundlichen Gespräch erga- Pflege des interdisziplinären Austausches ben. Ich erinnere mich noch gerne an die und gegenseitigen Verstehens zwischen Exkursion durch die Lüneburger Heide den Vertretern der verschiedenen Fach- anlässlich der schon erwähnten Ham- richtungen und Stärkung des gemeinsa- burger Jubiläumstagung, auf der ich z. B. men Anliegens aller Zoologen gegenüber Paul Brohmer, der allen Zoologen durch Politik und Gesellschaft. Eine Aufgabe,

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die heute in der Zeit des rasant fortschrei- unsere schöne deutsche Sprache zuse- tenden Spezialistentums und der wach- hends verarmt, um nicht zu sagen, ver- senden Bedeutung biologischer kommt, weil viele wissenschaftliche Be- Erkenntnisse für die Gesellschaft drin- griffe und damit auch wissenschaftliche gender denn je ist. Eine Aufgabe, die Zusammenhänge gar nicht mehr im immer wieder neu steht und erfüllt wer- Deutschen ausgedrückt werden können den muß, wenn die Zoologie – für man- und Anglizismen auch dort der Vorzug che heute schon ein nicht mehr in unsere gegeben wird, wo überhaupt keine Not- Zeit passender Begriff – nicht untergehen wendigkeit dafür besteht. und unsere Jahrestagung nicht zu einem Damit will ich meine kurzen Bemer- Forum verkommen soll, auf dem jeder kungen beenden. Ich höre schon Goethes seinen wissenschaftlichen Beitrag ablie- Mahnung im Hintergrund – und Goethe fert, um dann so schnell wie möglich wie- ist hier in Jena nun einmal immer und der zu verschwinden. überall präsent: Man sollte auch nochmals darüber nachdenken, ob auf einer Jahrestagung „Das Alter hört sich gern, und wenn es einer nationalen Gesellschaft nicht auch nicht viel zu sagen hat“. deutsch vorgetragen werden sollte. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Ich beob- Lassen Sie mich deshalb schließen achte seit längerer Zeit mit Sorge, dass und – dankbar schweigen.

Prof. Dr. Heinz Penzlin Friedrich-Schiller-Universität Institut für Allgemeine Zoologie u. Tierphysiologie Erbertstr. 1 D-07743 Jena

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Laudatio für Gerhard Heldmaier zur Verleihung des Karl Ritter von Frisch-Preises

Walter Arnold

Die Karl Ritter von Frisch Medaille ist der bedeutendste Wissenschaftspreis für Zoo- logie im deutschsprachigen Raum. Er wird für herausragende wissenschaftliche Leis- tungen verliehen, die mehrere biologische Disziplinen integrieren und von breiter Be- deutung sind. In diesem Jahr zeichnet die Deutsche Zoologische Gesellschaft mit der Karl Ritter von Frisch-Medaille das wissen- schaftliche Lebenswerk von Gerhard Heldmaier aus. Der großen Ehre, diese Lebensleistung in einer Laudatio zu würdi- gen, komme ich auch deshalb mit beson- Gerhard Heldmaier (l.) empfängt die Urkunde derer Freude nach, weil mein eigener wis- aus der Hand des Präsidenten senschaftlicher Werdegang maßgeblich (Foto Dr. Gunnar Brehm) von Gerhard Heldmaier beeinflusst wurde. Meine Laudatio ist daher auch eine ganz reiches ohne Zweifel respekteinflößend persönliche Danksagung und ich will sie war? Ich war aber schnell beruhigt. Er war mit der Anekdote unserer ersten Begeg- Physiologe und mir als Verhaltensökologen nung beginnen. erschien damals die Physiologie eher als Hilfswissenschaft. Nie hätte ich mir träumen Der Universitätslehrer lassen, wie stark mich die mit unserer ers- Es war im Jahr 1987, ich war gerade frisch ten Begegnung eingeleitete wissenschaft- gebackener post doc am Max-Planck- liche Zusammenarbeit mit Gerhard Held- Institut für Verhaltensphysiologie in See- maier prägen würde. Was mit der „Liefe- wiesen, als mich ein Professor aus Mar- rung“ von Murmeltieren anfing, setzte sich burg anrief. Er hatte in Erfahrung gebracht, in gemeinsamen Untersuchungen zum dass ich mit Murmeltieren arbeitete und Winterschlaf von Murmeltieren im natürli- wollte wissen, ob ich ihm welche besorgen chen Lebensraum fort und endete – für könne. Ich war geschmeichelt, aber auch mich sehr glücklich – in meiner Berufung ein bisschen misstrauisch. Wollte mir hier zum C3-Professor für Verhaltensphysiolo- jemand Konkurrenz machen, dessen Pub- gie an die Philipps-Universität Marburg. Es likationsliste, Stellung als Lehrstuhlinhaber war Gerhard Heldmaier, der mir den Weg und Sprecher eines Sonderforschungsbe- für eine wissenschaftliche Karriere wies.

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So wie bei meiner, war Gerhard Borkh.) beim Erwachen aus dem Heldmaier Promotor vieler wissenschaftli- Winterschlaf“ ließ den weiteren wissen- cher Karrieren. Die Förderung des wis- schaftlichen Weg bereits erkennen. Es senschaftlichen Nachwuchses ist eine folgten Jahre intensiver Forschung als post essentielle Aufgabe jedes Universitäts- doc am ARC Institute for Animal Physio- lehrers und Gerhard Heldmaier war in logy, Babraham, Cambridge, am Institut der Erfüllung dieser Aufgabe stets vor- für Physiologie an der Universität Gießen bildlich. Publikationslisten, Anzahl von und in der Abteilung von Prof. Aschoff am Zitierungen, Impact-Faktoren, h-Index Max-Planck-Institut für Verhaltensphysio- sind die Instrumente, mit denen heute logie in Erling-Andechs, damals einem wissenschaftliche Leistung gemessen Mekka der Chronobiologie. Die wichtigs- wird und Gerhard Heldmaier schneidet te Arbeit aus dieser Zeit war die 1971 in hierbei in jeder Beziehung hervorragend der Zeitschrift für vergleichende Physiolo- ab. Trotzdem gibt es nach wie vor kein gie publizierte „Zitterfreie Wärmebildung besseres Maß für die Bedeutung eines und Körpergröße bei Säugetieren“. 1973 Wissenschaftlers, als die Zahl der erfolg- wurde Gerhard Heldmaier wissenschaftli- reichen Schüler, die das eigene Wissen- cher Assistent bei Prof. Aschoff. Er arbei- schaftsgebiet weiterentwickeln und pro- tete in den folgenden Jahren vorwiegend pagieren. Gerhard Heldmaiers Bilanz ist an der Thermogenese im braunen Fett- in dieser Hinsicht bemerkenswert. Von gewebe. Ein Meilenstein aus dieser Zeit seinen Schülern forschen und lehren war die Entdeckung der Stimulation des heute als Professoren an Universitäten: Wachstums von braunem Fettgewebe Stephan Steinlechner in Hannover, durch das Hormon Melatonin, das bei Thomas Ruf in Wien, Susanne Klaus in kurzer Tageslänge vermehrt ausgeschüt- Potsdam und Martin Klingenspor in tet wird (Nature 247:224, zusammen mit München. Dazu kommt eine ganze Reihe Klaus Hoffmann). In Erling-Andechs lie- von Personen, die erfolgreiche Wissen- gen aber auch die Anfänge des späteren schaftler in verschiedenen universitären Forschungschwerpunktes zur jahreszeitli- und außeruniversitären Forschungsein- chen Akklimatisation. 1975 habilitierte richtungen wurden, in der Pharmain- Gerhard Heldmaier in Zoologie an der dustrie, sogar ein Zoodirektor ist dabei. Ludwig-Maximilians-Universität München. Noch als Assistent am Max-Planck-Institut Der Werdegang wurde er Mitglied im Schwerpunktpro- Gerhard Heldmaier promovierte bei Prof. gramm „Physiologische Mechanismen Möhres in Tübingen in prominenter Ge- ökologischer Anpassung von Tieren“ der sellschaft. Labor und Doktorandenzimmer Deutschen Forschungsgemeinschaft teilte er mit Hans-Ulrich Schnitzler und (DFG), die seine Arbeiten seither unun- dem leider viel zu früh verstorbenen terbrochen unterstützte. 1976 wurde Ger- Gerhard Neuweiler. Das Thema seiner hard Heldmaier als Professor (C3) für Doktorarbeit „Die Thermogenese der Stoffwechselphysiologie an den Fachbe- Mausohrfledermaus (Myotis myotis reich Biologie der Goethe-Universität

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Frankfurt berufen. Seine erste eigene natürlichen Lebensraum mit einer Re- Arbeitsgruppe konzentrierte sich auf die duktion der Körpertemperatur und dem Physiologie und Biochemie des braunen damit verbundenen, deutlich herabge- Fettgewebes – sehr erfolgreich, wie die setzten Energieverbrauch (Nature daraus 1981 entstandene Veröffentlichung 429:825), d.h. mit den gleichen Reaktio- in „Science“ beweist (Science 212:917). nen, die bisher nur von „klassischen“ Im Jahr 1982 erfolgte der Ruf auf die Winterschläfern bekannt waren. Mit den C4 Professur für Tierphysiologie am jetzt verfügbaren Techniken der Moleku- Fachbereich Biologie der Philipps-Univer- larbiologie und genetisch modifizierten sität Marburg. Es entstand eine große Ar- Modellorganismen gelang die Aufklärung beitsgruppe und Ausweitung des unter- physiologischer Mechanismen der Ther- suchten Artenspektrums. Der Dsunga- mogenese, der Stoffwechselaktivität, des rische Zwerghamster blieb zwar das Fettstoffwechsels und des Wachstums von „Haustier“ des Heldmaier'schen Labors, Säugetieren bis hinab auf die Ebene der doch es kamen eine ganze Reihe weite- beteiligten Gene und ihrer Expressions- rer Kleinsäuger wie Zwergmaus, Gelb- muster. Mit seiner Expertise in den klas- halsmaus, Waldmaus, Etruskerspitzmaus sischen Methoden der Stoffwechselphy- hinzu, ebenso wie die klassischen Winter- siologie hat Gerhard Heldmaier erst vor schläfer Alpenmurmeltier und Sieben- kurzem zur Aufklärung grundlegender schläfer, aber auch ektotherme Tiere wie Mechanismen der Biochemie des Lipid- Smaragd- und Perleidechse oder Bienen. stoffwechsels beigetragen (Science Bis dato waren die Untersuchungen zu 312:734). den physiologischen Anpassungsleistun- Molekularbiologische Methoden, gen von Tieren auf Kältereaktionen fokus- Immunhistologie, RIA, HPLC, direkte und siert. Nun kamen Wüsten- und Trocken- indirekte Kalorimetrie, Telemetrie zur bedingungen hinzu. Stachelmäuse wur- Langzeitregistrierung der Körpertempe- den in der Negev-Wüste Israels in Zu- ratur und Massenspektrometrie ermög- sammenarbeit mit Abraham Haim von lichten völlig neue Ansätze in der experi- der Universität Haifa untersucht. Die Aus- mentellen Forschung im Labor und bei bruchsversuche der Kap-Mullratten, die Freilanduntersuchungen. Gerhard Held- Barry Lovegrove für seine Untersuchun- maiers Arbeitsgruppe erlangte Weltruf gen aus Südafrika mitbrachte, sind Le- und zog führende Wissenschaftler zu gende. Noch heute zeugen tiefe Löcher in Forschungsaufenthalten an. Es wirkten den massiven Betonwänden des Instituts dort u. a. Bruce Wunder, Seppo Saarela, von den kräftigen Zähnen dieser faszinie- January Weiner, Wladyslaw Grodzinski, renden Tiere. Selbst Primaten kamen ins Robert Lynch, Gregory Florant, Noga Spiel, mit der sensationellen Entdeckung, Kronfeld, Fritz Geiser, Barry Lovegrove, dass auch diese Gruppe grundsätzlich Jim Blank und Nomakwezi Mzilikazi. Die zum Winterschlaf befähigt ist. Madagassi- meisten dieser Gastwissenschaftler sche Maus-Makis überdauern Trocken- kamen als Humboldt-Stipendiaten ins zeiten und Nahrungsknappheit in ihrem Labor von Gerhard Heldmaier und mit

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Russel Reiter und Bernd Heinrich sogar halb, weil dieser heiß ist, sondern der zwei Humboldt-Preisträger. Ofen wird heiß, weil Holz darin brennt“. Vor Gerhard Heldmaier wagte derart ket- Das Werk zerische Gedanken zur Regulation der Gerhard Heldmaiers umfangreiches wis- Stoffwechselaktivität jedoch niemand und senschaftliches Werk umfasst Untersuchun- die Publikation dieser bahnbrechenden gen zur Thermoregulation, zur jahreszeitli- Erkenntnis (zusammen mit Thomas Ruf, J chen Akklimatisation, zum Energiehaus- Comp Physiol B 162:696) sorgte für ziem- halt, zu hypometabolischen Reaktionen lichen Wirbel in der Fachwelt. Nach wie täglicher Torpor und Winterschlaf und anfangs heftigen Debatten ist heute gene- zur Regulation des Körpergewichts. Diese rell anerkannt, dass die metabolische Arbeiten spannen einen weiten Bogen von Aktivität eines Organismus eine regulierte einem tiefgreifenden Verständnis physiolo- Größe darstellt, die keineswegs nur von gischer Mechanismen aus deren Unter- Arrhenius-Effekten diktiert wird. suchung im Labor bis hin zum Studium „Nothing in biology makes sense, physiologischer Anpassungsprozesse und except in the light of evolution“, diese deren Regulation unter den Bedingungen berühmte Bemerkung Theodosius des natürlichen Lebensraumes. Die tradi- Dobzhanskys kennzeichnet Gerhard tionelle Sicht, dass eine Reduktion der Kör- Heldmaiers Forschungsansatz treffend. pertemperatur und des Energieverbrau- Aber wer könnte diesen besser beschrei- ches als Reaktion auf Nahrungsknappheit ben als er selbst, nachzulesen im Vorwort oder widrige Umweltbedingungen eine des zweiten Bandes seines zusammen mit Spezialanpassung darstellt, die sich nur in Gerhard Neuweiler verfassten Lehrbuches wenigen Artengruppen findet, oder gar der vergleichenden Tierphysiologie: „Ob- nur als ein Entgleiten physiologischer wohl die physikalischen Grundlagen von Kontrolle zu deuten ist, wurde durch Lebensvorgängen faszinieren können, Gerhard Heldmaiers Wirken gründlich reicht eine mechanistische Beschreibung widerlegt. Wir nehmen heute an, dass alleine nicht aus. Physiologische Mecha- grundsätzlich alle endothermen Organis- nismen fielen ja nicht vom Himmel, son- men diese Fähigkeit besitzen und sie in dern entstanden allmählich im Lauf der sehr kontrollierter Art und Weise einset- Evolution, gleichsam durch einen fortwäh- zen. Gerhard Heldmaier trug zu diesem renden Dialog zwischen Organismen und Paradigmenwechsel, der auch für die ihrer . Physiologische Mechanis- Medizin von großer Bedeutung ist, ganz men werden nur im Zusammenhang mit entscheidend bei. Weiter brachte er das der Lebensweise und Evolution von Tieren Dogma zu Fall, dass alleine die Reduktion verständlich als Optimierungsvorgang der Körpertemperatur für eine Verlang- oder Anpassung an die physikalischen samung der Stoffwechselaktivität verant- Eigenschaften ihres Lebensraums. Ein wortlich sei. „Logisch“, kommentierte dies Vergleich der Lebensfunktionen verschie- einmal Serge Daan mir gegenüber, „na- dener Tierarten mit unterschiedlichen türlich brennt das Holz im Ofen nicht des- Bauplänen und unterschiedlicher phyloge-

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netischer Herkunft macht diese Anpas- mitglied und Präsident. Er ist Heraus- sungen besonders anschaulich.“ geber des „Journal of Comparative Phy- Diese Forschungsstrategie kennzeich- siology B“, dessen Bedeutung unter sei- net Gerhard Heldmaiers gesamtes Werk. ner Leitung einen bemerkenswerten Auf- Seine Arbeiten verbinden in beispielhafter schwung genommen hat. Er war Mitglied Weise die Analyse molekularbiologischer des Fachbeirates des Max-Planck-Instituts und genetischer Grundlagen mit organis- für Verhaltensphysiologie in Seewiesen mischer Biologie. Mit einer Vielzahl an und Erling-Andechs und stellt auch dem einflussreichen, zum Teil bahnbrechen- Max-Planck-Institut für Ornithologie in den wissenschaftlichen Veröffentlichun- Seewiesen seine Expertise als Fachbeirat gen zu Anpassungen von Säugetieren, zur Verfügung. Reptilien und Vögeln verhalf er der schon Für seine außerordentlichen Verdienste 1957 publizierten Forderung von Otto um die Zoologie gebührt Gerhard Held- Kinne nach einer „Physiologischen Öko- maier mit Recht die höchste Auszeich- logie“ zum Durchbruch. Mit Recht kann nung, die die Deutsche Zoologische Ge- Gerhard Heldmaier deshalb als ein maß- sellschaft zu vergeben hat. Der Sitz, den geblicher Wegbereiter einer neuen Dis- man Dir in der Runde der Preisträger ziplin, der Ökophysiologie, bezeichnet gewährt, lieber Gerhard, ist kein Lehrstuhl, werden. soll aber auch noch kein Lehnstuhl sein. Ich bin sicher, dass wir von Dir noch eini- Der Wissenschaftsgestalter ges an spannender und anregender Lek- Vorbildliche Wissenschaftler publizieren türe zu lesen bekommen werden, jetzt, wo und lehren nicht nur, sondern gestalten Du daran bist, Dich von der aktiven Lauf- auch die akademische Welt. Gerhard bahn in den Ruhestand zu verabschieden. Heldmaiers Verdienste in der akademi- So wie ich Dich kenne, wird dies wohl schen Selbstverwaltung sind umfassend. eher ein „Unruhestand“ werden. Ich bin Er war Direktor des Zoologischen Instituts sicher, dass Du auch in dieser Beziehung in Frankfurt, Dekan des Fachbereiches Deinem alten Lehrer Jürgen Aschoff nach- Biologie in Marburg und seit 2004 ist er eifern wirst, dessen wissenschaftliche Vizepräsident der Philipps-Universität Schaffenskraft bis ins hohe Alter anhielt. Marburg. Er wirkte maßgeblich und über Ich wünsche Dir das jedenfalls von gan- viele Jahre für die DFG als Mitglied im zem Herzen. Mögen noch viele Jahre zoo- Senat, Hauptausschuss, Bewilligungsaus- logischen Vergnügens und Inspiration vor schuss, als Vorsitzender der Senatskom- Dir liegen – und vor allem wünsche ich mission für tierexperimentelle Forschung das auch uns, die wir von Deinen Ideen und seit 2004 als Vorsitzender des Fach- und wissenschaftlichen Errungenschaften kollegiums Zoologie, für die Deutsche noch lange profitieren wollen. Zoologische Gesellschaft als Vorstands-

Prof. Dr. Walter Arnold Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, Savoyenstraße 1, A - 1160 Wien

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Torpor bei Säugetieren – Leben auf Sparflamme

Gerhard Heldmaier

Säugetiere sind endotherm mit einer geringere lokomotorische Aktivität, eine Körpertemperatur von etwa 37 °C. Dank Reduktion der Körpermasse, um den ihrer hohen Stoffwechselrate können sie Erhaltungsaufwand zu verringern, und die genügend Wärme produzieren um ihren Anlage von besser wärmeisolierten Körper auch bei Kälte warm zu halten. Der Nestern. In der Summe können sie damit physiologische Vorteil dieser konstant ho- ihren Energiebedarf auf die Hälfte verrin- hen Körpertemperatur wird jedoch durch gern (Steinlechner & Puchalski 2003, den Nachteil eines dauerhaft hohen Ener- Heldmaier & Klingenspor 2003). giebedarfs erkauft. Das wird vor allem dann zum Problem, wenn im Winter das Energieeinsparung durch Torpor vegetative Pflanzenwachstum zum Still- stand kommt, die Böden gefroren und von Torpor ist die wirkungsvollste Einzelmaß- Schnee bedeckt sind, sodass die geringe nahme zur Energieeinsparung bei Endo- noch vorhandene Nahrung nicht erreich- thermen. Dabei drosseln sie ihren Stoff- bar ist. Nahrungsknappheit herrscht auch wechsel auf Sparflamme und senken die in saisonalen Trockenzeiten oder ariden Körpertemperatur weit unter das normale Gebieten und stellt die dort lebenden Niveau. Im Torpor verharren die Tiere Säugetiere wegen ihres hohen Energiebe- weitgehend bewegungslos und reagieren darfs ebenfalls vor Versorgungsprobleme. kaum mehr auf Außenreize. Sie sind nicht So ist es nicht verwunderlich, dass sie völlig bewegungslos und können sich so- einen reichhaltigen Katalog an Verhaltens- gar spontan bewegen, solange ihre Kör- weisen entwickelten, um die verfügbaren pertemperatur über 20°C liegt, aber agie- Ressourcen möglichst effizient zu nutzen ren dabei sehr langsam. Bei vielen Klein- und um Energie zu sparen. säugern ist Torpor äußerlich an der Stel- Die Notwendigkeit zur Energieeinspa- lung der Augenlider erkennbar. Ein Teil rung ist bei kleinen Arten besonders der Muskulatur des Augenlids besteht aus groß. Wegen ihrer relativ großen Körper- glatten Muskelfasern, die von sympathi- oberfläche verlieren sie Wärme beson- schen postganglionären Fasern des Gan- ders rasch, haben einen hohen gewicht- glion cervicale superius innerviert wer- spezifischen Energiebedarf und können den. Durch die nachlassende Aktivität des deshalb Nahrungsmangel nur kurze Zeit Sympathikus im Torpor erschlafft die Mus- tolerieren. Zu den saisonalen Energiespar- kulatur des Augenlids, was zu dem typi- maßnahmen der Kleinsäuger gehören u.a. schen Eindruck der Schlitzaugen führt der Verzicht auf Reproduktion im Winter, (siehe Titelbild).

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Torpor kann in ganz unterschiedlichen für einige Stunden auf oder aber in Form Intensitätsstufen auftreten, von kurzen von mehrtägigen Torporepisoden die im Reduktionen des Energieumsatzes und Winterschlaf in regelmäßiger Folge über der Körpertemperatur für einige Stunden, lange Zeit aufrechterhalten werden. die als täglicher Torpor (daily torpor) Im Schlaf und in der circadianen Ruhe- bezeichnet werden, bis zu einem mehrere phase senken Tiere auch ohne Torpor Monate dauerndem Winterschlaf oder ihren Energieumsatz. Bei Säugetieren Sommerschlaf. In der Regel werden im beträgt diese Reduktion des Ruheum- Winterschlaf niedrigere Stoffwechselraten satzes etwa 10 bis 20% und die Körper- und Körpertemperaturen erreicht als bei temperatur sinkt um 0,5 bis 2,0 °C. Bei täglichem Torpor. Allerdings gibt es Fälle Vögeln ist diese circadiane Variation noch von täglichem Torpor, in denen Körper- deutlicher, mit einer Umsatzreduktion um temperatur und Stoffwechsel dieselben 30% und 3–4°C niedrigerer Körpertempe- niedrigen Werte erreichen wie im Winter- ratur. Bei Nahrungsmangel und Kältebe- schlaf (Elfantenspitzmaus, Siebenschläfer), lastung können Vögel diese Reaktion aus- und andererseits hält der Fettschwanz- weiten, wobei kleine Singvögel ihre Kör- Maki seinen Winterschlaf bei etwas höhe- pertemperatur um 10°C, von 43°C auf ren Temperaturen und Stoffwechselraten, 33°C, senken, sodass die Grenze zwischen die dem täglichen Torpor ähneln. Soweit der circadianen Variation des Ruheum- wir heute wissen, gibt es keine qualitativen satzes und dem täglichen Torpor ver- Unterschiede zwischen den verschiedenen schwimmt (Prinzinger et al. 1991, Mc Torporformen, nur graduelle Unterschiede, Kechnie & Lovegrove 2002). Ob dies auch sodass täglicher Torpor und monatelanger für Säugetiere gilt, ist fraglich. Es wurde Winterschlaf die beiden Endpunkte eines zwar postuliert, dass Winterschlaf eine Kontinuums in der Intensität hypometaboli- Ausweitung und Vertiefung von Schlaf sein scher Zustände darstellen. könne, aber nachfolgende Messungen des Für die Lebensweise der Tiere kann EEG ergaben, dass die schlaftypischen dieser graduelle Unterscheid erhebliche Veränderungen des EEG (slow-wave qualitative Bedeutung bekommen. Beim sleep) und die Erholungswirkung im täglichen Torpor ist eine normale Tages- Winterschlaf und beim täglichen Torpor periodik von Aktivitäts- und Ruhephasen nicht auftreten. Im Gegenteil, es entsteht weiterhin möglich, während Winterschläfer ein Schlafdefizit, das nach dem Erwachen ihr circadianes Aktivitäts- und Schlafver- aus dem Torpor durch auffallend lange halten aufgeben müssen. Deshalb wird Tiefschlafperioden ausgeglichen wird eine begriffliche Unterscheidung beibe- (Heller & Ruby 2004). halten und der Winterschlaf und Sommer- Da torpide Tiere inaktiv sind, kaum auf schlaf mit mehrere Tage dauernden Tor- äußere Reize regieren, ihren Stoffwechsel porepisoden (multi-day torpor bouts) vom auf Sparflamme halten und hypotherm täglichen Torpor mit Torporepisoden <24 h werden, liegt die Vermutung nahe, dass unterschieden. In der Tat tritt Torpor bei sie ihre Regulationsleistungen weitgehend Säugetieren entweder als kurze Episode aufgegeben haben. Diese Vermutung ist

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jedoch falsch und es ist geradezu erstaun- die abgeschlossen sein muss, bevor über- lich, zu welchen endothermen Regula- haupt ein akuter Nahrungsmangel auftritt. tionsleistungen torpide Tiere noch in der Ein solches Zeitprogramm kann nur um- Lage sind. Bis heute ist es nicht möglich gesetzt werden, indem die Vorbereitung Torpor im Experiment gezielt auszulösen. und der Winterschlaf in ein Jahrespro- Wer diese Prozesse untersucht, muss war- gramm des Verhaltens eingebettet sind. ten bis sich ein Tier spontan dazu ent- Winterschläfer besitzen deshalb eine aus- scheidet. Spontaner Torpor beginnt mit geprägte Jahresperiodik, und nicht ohne einer raschen Depression des Stoffwech- Grund ist bei winterschlafenden Zieseln sels unter das Niveau des Basalstoffwech- die circannuale Rhythmik entdeckt worden. sels. Es wird weniger Wärme gebildet Im tiefen Winterschlaf können Winter- und infolgedessen sinkt die Körpertem- schläfer ihren Energieumsatz im Extremfall peratur. Die Entwicklung der Hypother- auf 2 % des Basalstoffwechsels verringern mie beim Eintritt in den Torpor wird (Geiser & Ruf 1995, Heldmaier et al. 2004). genau kontrolliert und gelegentlich durch Allerdings verharren sie nicht dauernd in Heizschübe unterbrochen. Im tiefen Tor- diesem torpiden Zustand, sondern unter- por bleibt die Kontrolle der Körpertem- brechen ihn immer wieder durch Wach- peratur und der Wärmebildung erhalten phasen. Die Abfolge von Eintritt in den und letztere wird bei Bedarf gesteigert, Torpor, tiefem Torpor, Erwachen und um die Körpertemperatur konstant zu hal- Wachphase wird als Torporepisode ten. Aus dem tiefen Torpor können die („hibernation bout“, „torpor bout“) bezeich- Tiere jederzeit spontan erwachen, heizen net. Der gesamte Winterschlaf besteht aus sich durch körpereigene Wärmebildung einer Folge solcher Torporepisoden, wo- auf, wobei noch im hypothermen Zustand bei die Dauer dieser Episoden zu Beginn Spitzenwerte des Sauerstoffverbrauchs der Winterschlaf-Saison im Oktober relativ erreicht werden (Heldmaier & Ruf 1992, kurz ist, zum Mitwinter hin zunimmt (längs- Ortmann & Heldmaier 2000, Heldmaier et te Torporepisode 16 Tage) und vor dem al. 2004). Ende der Winterschlaf-Saison im März- April wieder kurz wird, wie das bei dem Winterschlaf Murmeltier in Abb. 1 zu sehen ist. Im Frei- Winterschlaf ist die extremste Form des land werden häufig länger dauernde Tor- Torpor, eine Radikalmaßnahme, bei der porepisoden beobachtet als unter Labor- Winterschläfer sich in ein geschütztes bedingungen. Hibernaculum zurückziehen und ihre nor- Die Gründe für das wiederholte Er- malen Aktivitäten vollständig aufgeben. Die wachen aus dem Winterschlaf sind bis meisten Winterschläfer speichern vor heute unbekannt. Alle nur denkbaren Beginn des Winterschlafs einen größeren Metaboliten, Ionen oder Hormone wurden Fettvorrat im Körper (30–40% des Kör- bereits daraufhin untersucht, ob es im tor- pergewichts) und decken daraus ihren piden Zustand zu Konzentrationsänderun- Energiebedarf während des Winterschlafs. gen kommt, die Ursache für das Erwachen Dies erfordert eine längere Vorbereitung, sein könnten – bisher ohne Erfolg. Eine

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peratur durch körper- eigene Wärmebildung innerhalb kurzer Zeit von 5°C auf 36 °C auf- geheizt. Zitterfreie Wärmebildung und das Kältezittern wer- den maximal aktiviert und sie tragen jeweils zur Hälfte zur Erwär- Abbildung 1: Körpertemperatur eines Murmeltiers im Winterschlaf. mung bei. Dabei wer- Das Murmeltier wurde den Sommer über in einer Voliere gehalten den Spitzenwerte im und Anfang Oktober in eine Klimakammer bei 5°C Ta gesetzt (Dauerdunkel). Sauerstoffverbrauch erreicht, die sonst nur heiße Spur lieferte der Nachweis degene- bei schwerer körperlicher Arbeit auftre- rativer Prozesse im Zentralnervensystem ten. Murmeltiere investieren 72% ihres torpider Ziesel und Hamster. Im tiefen Tor- Energieverbrauchs im Winterschlaf in die por werden synaptische Kontakte redu- Aufwachvorgänge und die anschließen- ziert, u.a. durch Akkumulation von hyper- den Wachphasen, und lediglich 28% wer- phosphoryliertem tau-Protein, und dieser den für die Aufrechterhaltung der Le- Prozess wird während der Wachphasen bensfunktionen in den Phasen des tiefen wieder korrigiert (Arendt et al. 2003). Im Torpors verbraucht. Wegen der Wach- torpiden Zustand bei tiefen Gewebetempe- phasen erreicht die Energieeinsparung raturen und dem gebremsten Stoffwechsel etwa 90–95%, anstatt der maximal 98%, kommt es anscheinend zu Störungen der die im Dauertorpor möglich wären Funktionalität des ZNS, die dann in den (Ortmann & Heldmaier 2000). Wachphasen bei hoher Körpertemperatur Igel, Ziesel oder Murmeltiere halten wieder ausgeglichen werden. Einen Hin- einen Winterschlaf von etwa 6–7 Monaten weis auf die Richtigkeit dieser Vermutung Dauer, in denen sie ihren Energiebedarf liefert der erst kürzliche entdeckte Win- alleine aus dem Fettvorrat des Körpers terschlaf von Fettschwanz-Makis auf Mada- decken. Bei gut gefüllten Fettspeichern, gaskar. Sie halten auch bei hohen Umge- besonders langen Winterschlaf-Episoden bungstemperaturen Winterschlaf, und wenn und günstigen thermischen Bedingungen, ihre Körpertemperatur wiederholt passiv die keine Gegenregulation im Torpor auf 30 °C erwärmt wird, so blieben die erfordern (Temperaturen über 0°C im Unterbrechungen des torpiden Zustand Hibernaculum), können hypometabole aus (Dausmann et al. 2004). Zustände auch über einen wesentlich län- Die wiederholten Unterbrechungen des geren Zeitraum aufrecht erhalten werden. Winterschlafs verschlechtern natürlich die Ein Beispiel dafür sind die einheimischen Energiebilanz des Winterschlafs. Beim Siebenschläfer, die ihren Winterschlaf auf Aufwachvorgang wird die Körpertem- 10 Monate ausdehnen und ihn damit jah-

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Begriff "Winterschlaf" für dieses Verhalten fragwürdig erscheinen lassen. In diesem Fall dauerten einzelne Torporepisoden rund 25 Tage. Lange Zeit wurde Winterschlaf mit Käl- te assoziiert und als ein besonders cha- rakteristisches Merkmal für die Überwin- terung von Kleinsäugern in temperaten und nördlichen Breiten betrachtet. Zu die- ser Einschätzung führte auch die Tat- sache, dass im Winterschlaf die Körper- temperatur auf Werte nahe der Umge- bungstemperatur gesenkt wird, häufig auf Werte zwischen 1 und 6 °C. Temperaturen unter 0° C werden vermieden, vermutlich um ein Einfrieren der Körperflüssigkeiten zu vermeiden. Eine Ausnahme davon ist das arktische Ziesel, Spermophilus parryi, Abbildung 2: Körpertemperatur und Stoff- das in Erdbauten überwintert und dessen wechselrate eines Siebenschläfers zu drei ver- Körpertemperatur im Torpor auf -3,5 °C schiedenen Jahreszeiten. Der Siebenschläfer wurde in einer kleinen Voliere in einer Klima- sinkt (Barnes 1989). Sie haben kein Frost- kammer gehalten, die den jahreszeitlichen schutzmittel, um Eisbildung zu vermeiden, Veränderungen der Photoperiode und Außen- sondern lassen ihre Körperflüssigkeiten temperatur angeglichen wurde. Die Voliere unterkühlen. Eine riskante Strategie ange- war mit einer Schlafbox verbunden, aus der Luft abgesaugt wurde, um den Sauerstoffver- sichts der Tatsache, dass das Herz weiter brauch und die Kohlendioxidproduktion zu schlägt, und auch andere Bewegungen bestimmen (nach Wilz & Heldmaier 2000) die Eiskristallisation auslösen könnten. Dass Winterschlaf nicht nur im kalten reszeitlich in den Sommerschlaf übergehen Klima der nördlichen Breiten sondern lassen (Bieber und Ruf 2009). Sie sind wah- auch unter tropischen Bedingungen auf- re Torpor-Experten, da sie sowohl Winter- treten kann, haben Freilandbeobachtun- schlaf als auch Sommerschlaf halten und gen am Fettschwanz-Maki auf Madagas- während der Übergangszeit im September kar gezeigt (Dausmann et al. 2004). Von auch in täglichen Torpor fallen können April bis September, also den Winter- (Abb. 2). Ein extremes Beispiel für Dauer- monaten der Südhalbkugel, herrscht Torpor ist das Eastern Pygmy-Possum Trockenzeit und die Nahrung, vor allem (Körpergewicht 53 g), Cercartetus nanus, Früchte, wird knapp. In den Monaten da- einem der wenigen fakultativen Winter- vor fressen sich die Makis ein Fettvorrat schläfer, die bis zu 367 Tage Winterschlaf an, der zum großen Teil im Schwanz ge- halten können (Geiser 2007), also länger speichert wird. Zum Winterschlaf ziehen als ein ganzes Jahr, und somit auch den sie sich in Baumhöhlen zurück, reduzieren

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ihren Stoffwechsel auf Sparflamme und nahe sichere Verfahren, um das Torpor- die Körpertemperatur sinkt auf das Ni- verhalten zu unterdrücken. Durch teleme- veau der Umgebungstemperatur, wie bei trische Verfahren wurde z.B. entdeckt, einem Winterschläfer aus nördlichen dass Mausmakis im Freiland auf Mada- Breiten. Allerdings mit einem gravieren- gaskar regelmäßig torpid werden, ein den Unterschied: Die Umgebungstempe- Verhalten das im Labor bisher übersehen ratur fluktuiert tageszeitlich sehr stark, wurde. Diese Befunde waren besonders sinkt nachts auf 10 °C, steigt tagsüber auf überraschend, weil damit zum ersten Mal Werte bis zu 33 °C. Die Körpertemperatur auch bei Primaten die Fähigkeit zum der hypometabolen Fettschwanz-Makis Torpor nachgewiesen wurde (Ortmann et folgt diesen Schwankungen, ohne dass sie al. 1997, Schmid et al. 2000, Dausmann et aus dem Winterschlaf erwachen, selbst al. 2004). wenn ihre Körpertemperatur dabei täglich Täglicher Torpor tritt vorwiegend oder 34 °C erreicht. Die durch Winterschlaf ausschließlich während der circadianen erzielte Energieeinsparung beträgt dabei Ruhephase von Kleinsäugern auf, wie es etwa 70%, also deutlich weniger als bei am Beispiel des Zwerghamsters in Abb. 3 Winterschlaf in kälteren Klimazonen, aber und 4 zu sehen ist. Sie nutzen ihre tägliche es reicht aus, um die mehrere Monate Ruhezeit, um gleichzeitig Energie zu spa- dauernde nahrungsarme Zeit zu überste- ren. Vor Beginn der nächtlichen Aktivitäts- hen. Dieses Beispiel macht besonders zeit beenden sie den Torpor und folgen deutlich, dass es sich beim Torpor nicht dann ihrem normalen ultradianen Aktivi- um eine Reaktion auf Kälte handelt, son- tätsrhythmus während der Nacht, bevor dern primär um einen hypometabolen sie wieder torpid werden. Winterakklima- Zustand zur Verringerung des Energiebe- tisierte Dsungarische Zwerghamster zei- darfs (Dausmann et al. 2009). gen täglichen Torpor, auch wenn sie bei thermoneutraler Temperatur gehalten und Täglicher Torpor ad libitum gefüttert werden. Es ist also kei- ne proximate Reaktion auf externe Be- Beim täglichen Torpor wird der Energie- lastung wie Futtermangel, Wassermangel umsatz täglich nur für einige Stunden auf oder Kälte, sondern ein endogen gesteu- Sparflamme umgeschaltet und die Kör- ertes Verhalten zur Energieeinsparung. pertemperatur gesenkt. Dieses Verhalten Dieser saisonal obligate spontane Torpor ist in den vergangenen Jahren an immer ist tagesperiodisch synchronisiert und mehr Säugetierarten entdeckt worden, vor bleibt im Dauerdunkel als freilaufender allem durch den Einsatz von Tempera- circadianer Rhythmus erhalten (Abb. 4). tursendern oder Datenloggern, mit denen Da die Tiere nur für einige Stunden tor- die Körpertemperatur ohne Störung der pid werden, ist zu erwarten, dass damit Tiere über Wochen beobachtet werden weniger Energie eingespart wird als im kann. Tägliche Messung der Körper- Winterschlaf. Ein Rechenbeispiel soll dies temperatur mit einem Thermometer und veranschaulichen. Wenn im täglichen Tor- die regelmäßige Käfigreinigung sind bei- por der Energieumsatz für 8 h auf ¼ des

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des Winterschlafs heranreichen. Die besondere bio- logische Bedeutung des täglichen Torpor besteht jedoch darin, dass die Tiere trotz Torpor weiterhin täg- lich aktiv sein können. Territoriale und sozia- le Aktivitäten können praktisch ohne Einbu- ßen weiter verfolgt werden, denn es wird nur die circadiane Ru- Abbildung 3: Körpertemperatur und Sauerstoffverbrauch eines hephase zum Energie Zwerghamsters, Phodopus sungorus, der an zwei aufeinander folgen- sparen genutzt, wäh- den Tagen torpid wurde und in der Nacht ultradiane rend beim Winterschlaf Aktivitätsschübe zeigte. das aktive Leben für Basalstoffwechsels gesenkt wird, dann Monate vollständig aufgegeben werden verringert dies bei Thermoneutralität den muss. Hinzu kommt, dass täglicher Torpor täglichen Energiebedarf um 25%. Der tat- die Möglichkeit bietet, die Häufigkeit und sächliche Energiebedarf von Kleinsäugern Dauer der torpiden Phase zu variieren. liegt jedoch 2- bis 3-mal höher als der Dies schafft einen physiologischen Vorteil, Basalstoffwechsel und die Energieeinspa- da die Energieeinsparung individuell und rung durch 8 h Torpor beträgt dann 30 bis von Tag zu Tag an die aktuellen energeti- 40%. Diese Größenordnung wurde bei schen Erfordernisse angepasst werden verschiedenen Kleinsäugern bestätigt, z.B. kann. auch bei Mausmakis (Ortmann et al. 1997, Ein saisonal und spontan auftretender Schmid et al. 2000). Dabei handelt es sich Torpor ist nur bei wenigen Arten nachge- allerdings nur um einen Sockelbetrag und wiesen worden. Die Mehrzahl der Maus- durch längere Dauer der Torporepisoden arten, von denen täglicher Torpor bisher kann deutlich mehr Energie eingespart bekannt ist, reagieren damit unmittelbar werden. So sind Zwerghamster in der La- auf Nahrungsmangel, d.h. sie setzen Tor- ge durch regelmäßigen Torpor bis zu por fakultativ zur Energieeinsparung ein. 65% Energie einzusparen (Ruf et al 1991), Auch bei Ihnen ist das Verhalten tagespe- und kürzlich wurde bei einem kleinen riodisch synchronisiert, aber diese zeitli- Beuteltier, Sminthopsis macroura, eine che Ordnung kann unter extremem Nah- Einsparleistung bis zu 90% beschrieben rungsmangel verloren gehen und es kön- (Körtner & Geiser 2009). Das sind nen mehrere Torporepisoden pro Tag auf- Spitzenwerte, die nahe an das Potential treten.

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werden, während der „Hungertransmitter“ Ghrelin die Torpordauer verlängert. An der Regulation des Energiehaushalts sind Neu- ropeptid-Y produzierende Neurone des Hypothalamus beteiligt und durch Hem- mung oder Ausschaltung des NPY-Signal- wegs konnte Torpor unterdrückt werden (Übersicht Swoap 2008). Diese Ergebnisse bestätigen, dass Torpor keine Ausfalls- erscheinung ist, sondern ein neuronal kon- trolliertes Verhalten zur Energieregulation. Im Gegensatz zum Nahrungsangebot hat Kälte nur eine modulierende Wirkung auf das Torporverhalten. Kälte allein reicht in der Regel nicht aus um Torpor auszulö- sen, sondern wirkt nur in Kombination mit Nahrungsmangel, dem richtigen Zeitpunkt Abbildung 4: Tagesperiodik des täglichen der saisonalen Anpassung und der circa- Torpor beim Zwerghamster. Torpor tritt nicht dianen Phase, die den Eintritt in Torpor täglich auf, sondern unregelmäßig etwa jeden gestattet. Eine moderate Kälteexposition zweiten oder dritten Tag, aber dann zur einer (10 – 20 °C) kann die Torporneigung er- ähnlichen Tageszeit. Im Dauerdunkel läuft die circadiane Rhythmik des Torpor frei mit einer höhen, d.h. die Dauer der Torporphase Periodenlänge von 25 h (Ruf 1992). wird verlängert und im Torpor werden tie- fere Körpertemperaturen erreicht, wie das Ein besonders starker Anreiz für Torpor am Beispiel der Mausmakis im Freiland zu ist Nahrungsmangel. Eine Reduktion des sehen ist (Abb. 5) (Ortmann et al 1997). Nahrungsangebots um z.B. 30% verstärkt Mausmakis sind nachtaktiv und bevorzu- entweder eine bereits vorhandene Nei- gen die frühen Morgenstunden für Torpor gung zu täglichem Torpor, oder löst ihn (04:00 – 12:00). Das Ende des Torpor ist innerhalb von wenigen Tagen aus (Ruf et al. zeitlich fixiert, da Mausmakis die hohen 1991, Ehrhardt et al. 2005). Bei Hausmäu- Temperaturen zur Mittagszeit nutzen und sen ist diese Reaktion besonders rasch, sich passiv auf 30 °C erwärmen lassen. denn wenn man ihnen das Futter entfernt, Lediglich die Schlussphase des Erwa- so werden sie innerhalb weniger Stunden chens unterstützen sie durch eigene torpid (Overton & Williams 2004). Dieser Wärmeproduktion. Eine Verlängerung der starke Einfluss des Nahrungsangebots auf Torporphase ist nur nach vorne möglich, das Torporverhalten legt den Verdacht durch früheren Beginn während der nahe, dass die neuroendokrine Regulation Nacht. In Einzelfällen begann die Torpor- von Torpor und Ernährung eng verbunden phase bereits vor Mitternacht, wodurch sind. So konnte in einigen Fällen durch die nächtliche Aktivitätszeit erheblich ver- Leptin das Auftreten von Torpor verringert ringert wurde.

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gern (bei Endothermen 20–30% des ge- samten ATP-Verbrauchs). Zusätzlich wird im Torpor und im Winterschlaf auch die ATP-Produktion verringert, durch Hem- mung der Glykolyse (Storey 1997, Held- maier et al.1999) und Verminderung der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien. Letzteres ist besonders deutlich an den Mitochondrien von win- terschlafenden Zieseln ausgeprägt und gilt in geringem Umfang auch für die Mitochondrien von torpiden Zwerghams- tern (Staples & Brown 2008). In den letzten Jahren wurde mehrfach Abbildungen 5: Tagesperiodik der Körper- der Versuch unternommen Torpor durch temperatur eines Mausmakis, Microcebus metabolische Inhibitoren künstlich auszu- murinus, der in mehr als der Hälfte der Mess- tage torpid wurde. Zum Erwachen nutzen die lösen. Desoxyglucose hemmt die Glyko- Makis die hohen Tagestemperaturen und las- lyse, da sie nach der ersten Phosphory- sen sich passiv auf 25 – 30 °C erwärmen, lierung zu Glucose-6-Phosphat nicht wei- bevor sie durch körpereigene Wärmebildung ter abgebaut werden kann. Injektion von die endgültige Körpertemperatur von 36 °C erreichen. Da sie immer zur selben Tageszeit Desoxyglucose senkt bei Zwerghamstern aus dem Torpor erwachen sind längere Tor- die Körpertemperatur für kurze Zeit, aber porepisoden nur durch früheren Beginn in der die Reaktion ist wesentlich schwächer als Nacht möglich (Ortmann et al 1997). im Torpor und es bleibt unklar, ob diese Reaktion auf Desoxyglucose tatsächlich Metabolische Inhibition im Torpor dem spontanen Torpor vergleichbar ist. Gesichert ist bisher, dass im torpiden Ähnliche Reaktionen wurden auch durch Zustand die Proliferation von Zellen, Trans- Injektion von AMP ausgelöst, oder die

kription, Translation und damit auch die Beatmung von Mäusen mit 80 ppm H2S in Proteinbiosynthese und der Proteinabbau der Luft (Blackstone et al. 2005, Swoap praktisch eingestellt werden (Carey et al. 2008). Vor kurzem wurden aminierte 2003). Dies gilt sowohl für den Winter- Schilddrüsen-Hormone entdeckt, deren schlaf als auch für den täglichen Torpor, biologische Bedeutung unbekannt ist, die wobei in letzterem Fall entdeckt wurde, aber Kandidaten für metabolische Inhibi- dass Transkription und Translation beim tion sein könnten, insbesondere das 3- Eintritt in den Torpor bereits bei relativ Iodothyronamin. Die Injektion von 3- hoher Körpertemperatur gehemmt und Iodothyronamin löst bei Mäusen und beim Erwachen aus dem Torpor sofort Zwerghamstern eine metabolische Inhi- wieder in Betrieb genommen werden bition aus, die zwar schwächer ist als nor- (Berriel Diaz et al. 2004). Dies würde den maler Torpor, aber sie hemmt innerhalb ATP-Verbrauch im Torpor deutlich verrin- von wenigen Minuten die Glykolyse und

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der Stoffwechsel schaltet auf Fettabbau Monotremata und Marsupialia noch häufi- um, wie das auch beim natürlichen Torpor ger vorzukommen als bei den Eutheria geschieht (Braulke et al. 2008). In der (Nicol & Andersen 2007, Geiser 2007, Summe zeigen diese Ergebnisse, dass Körtner & Geiser 2009). Auch bei größe- Torpor nicht auf dem Abschalten eines ren Säugtieren, wie dem Rothirsch und einzelnen Stoffwechselwegs beruht, son- dem Przewalski-Pferd, ergaben sich dern dass es sich dabei um eine komple- Hinweise auf hypometabolische Regula- xe Regulationsleistung handelt, deren Aus- tion in Zeiten energetischer Belastung löser und Steuerung noch nicht bekannt (Arnold et al. 2004, 2007) sind. Täglicher Torpor, Winterschlaf und Sommerschlaf werden häufig als eine Vorkommen von Torpor und Winterschlaf Anpassung von Endothermen an Belastun- Hypometabolische Regulation ist bei En- gen des Energiehaushalts betrachtet, z.B. dothermen weit verbreitet. In der Mehr- an Nahrungsmangel, Wassermangel oder zahl aller Säugetierordnungen gibt es ein- Kälte. Die weite Verbreitung von Torpor zelne Arten oder ganze Familien, die Tor- lässt es jedoch unwahrscheinlich erschei- por, Winterschlaf oder Sommerschlaf zei- nen, dass es sich dabei um eine neue gen. Dank verbesserter Messtechnik sind Erfindung der Endothermen handelt, ein in den letzten Jahren zahlreiche neue Bei- apomorphes Merkmal, denn dann müsste spiele für hypometabolische Regulation es mehrfach und unabhängig voneinan- entdeckt worden, auch bei Tieren die un- der in weit entfernten Säugetiergruppen ter Freilandbedingungen leben. Dazu entstanden sein. Die weit gestreute Ver- zählt die Entdeckung von Torpor und breitung von Torpor unter den Säugetie- Winterschlaf bei Primaten auf Madagaskar ren und die physiologische Ähnlichkeit (Ortmann et al. 1997, Dausmann et al. der verschiedenen Torporformen spricht 2004), bei Zaedyus pichi, einem Vertreter eher dafür, dass es sich um ein plesio- der Gürteltiere (Dasypodidae, Xenarthra) morphes Merkmal handelt, das bereits (Superina & Boily 2007) und bei Elefan- bei der Evolution der frühesten Säuge- tenspitzmäusen (Macroscelidae) (Love- tiere vorhanden war. grove et al. 2001). Letztere gehören zur Möglicherweise ist Torpor phylogene- Großgruppe der Afrotheria, die sich im tisch noch viel älter, denn auch bei Vögeln Lauf der Evolution schon relativ früh von ist er in unterschiedlichen Intensitätsstufen den anderen Gruppen der Eutheria ge- weit verbreitet (Prinzinger et al. 1991, Mc trennt hatten. Von den Monotremata und Kechnie & Lovegrove 2002). Einige Merk- den Marsupialia, die sich noch früher von male des Torpor, wie z.B. eine Reduktion den Eutheria trennten, ist die Fähigkeit des Stoffwechsels und der Herzfrequenz zum Torpor schon seit längerem bekannt. unter die normalen Ruhewerte lassen sich Aber auch hier wurde Torpor verschiede- in saisonalen Ruhephasen auch bei ekto- ner Intensitäten bei zahlreichen neuen thermen Reptilien, Amphibien und Arten entdeckt. Bezogen auf die Gesamt- Fischen nachweisen, wie das erst kürzlich zahl der Arten scheint Torpor bei den bei antarktischen Fischen entdeckt wurde

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(Campbell et al. 2008). Dies legt die in the Djungarian hamster (Phodopus sun- Schlussfolgerung nahe, dass die Fähigkeit gorus). J Comp Physiol [B] 174: 495–502 Bieber C, Ruf T. (2009) Summer dormancy in zu hypometabolischer Regulation ein phy- edible dormice (Glis glis) without energetic logenetisch altes Merkmal der Wirbeltiere constraints. Naturwissenschaften 96: ist. Die genetischen Grundlagen der 165–171 hypometabolischen Regulation, die bio- Blackstone E, Morrison M, Roth MB (2005) H2S induces a suspended animation-like state chemischen Mechanismen und die neuro- in mice. Science 308: 518. endokrine Steuerung der verschiednen Braulke LJ, Klingenspor M, DeBarber A, Tobias Torporformen sind noch nicht bekannt. SC, Grandy DK, Scanlan TS, Heldmaier G Aber auf Grund der Ähnlichkeit der (2008) 3-Iodothyronamine: a novel hormo- beobachteten Phänomene ist denkbar, ne controlling the balance between gluco- se and lipid utilisation. J Comp Physiol B dass Torpor ektotherme Wurzeln hat und 178: 167–177 bei den endothermen Säugetieren und Campbell HA, Fraser KP,Bishop CM, Peck LS, Vögeln um körpereigene Wärmebildung Egginton S. (2008) Hibernation in an antarc- erweitert wurde, die ihnen, unabhängig tic fish: on ice for winter. PLoS ONE 3: 1743. Carey HV,Andrews MT, Martin SL (2003) von der Umgebungstemperatur, eine bes- Mammalian hibernation: cellular and mole- sere Kontrolle über den Eintritt in den cular responses to depressed metabolism Torpor und das Erwachen aus dem and low temperature. Physiol Rev 83: Torpor gibt. 1153–1181 Dausmann KH, Glos J, Ganzhorn JU, Heldmaier Literatur: G (2004) Physiology: hibernation in a tropi- cal primate. Nature 429: 825–826. Arendt T, Stieler J, Strijkstra AM, Hut RA, Dausmann KH, Glos J, Heldmaier G (2009) Rüdiger J, Van der Zee EA, Harkany T, Energetics of tropical hibernation. J Comp Holzer M, Hartig W (2003) Reversible pai- Physiol B 179: 345–357 red helical filament-like phosphorylation of Ehrhardt N, Heldmaier G, Exner C (2005) tau is an adaptive process associated with Adaptive mechanisms during food restricti- neuronal plasticity in hibernating animals. J on in Acomys russatus: the use of torpor for Neurosci 23:6972–6981 desert survival. J Comp Physiol B 175: Arnold W, Ruf T, Reimoser S, Tataruch F, 193–200. Onderscheka K, Schober F (2004) Geiser F,Ruf T (1995) Hibernation versus daily Nocturnal hypometabolism as an overwin- torpor in mammals and birds: physiological tering strategy of red deer (Cervus variables and classification of torpor pat- elaphus). Am J Physiol 286: R174–811 terns. Physiol Zool 68: 935–966 Arnold W, Ruf T, Kuntz R (2006) Seasonal Geiser F (2007) Yearlong hibernation in a mar- adjustment of energy budget in a large supial mammal. Naturwissenschaften 94: wild mammal, the Przewalski horse (Equus 941–944 ferus przewalskii) II. Energy expenditure. J Heldmaier G, Ruf T (1992) Body temperature Exp Biol 209: 4566–4573. and metabolic rate during natural hypo- Barnes BM (1989) Freeze avoidance in a mam- thermia in endotherms. J Comp Physiol B mal: body temperatures below 0 degree C 162: 696–706. in an Arctic hibernator. Science 244: Heldmaier G, Klingenspor M, Werneyer M, 1593–1595 Lampi BJ, Brooks SP,Storey KB (1999) Berriel Diaz M, Lange M, Heldmaier G, Metabolic adjustments during daily torpor Klingenspor M (2004) Depression of tran- in the Djungarian hamster. Am J Physiol scription and translation during daily torpor 276: E896–906.

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Prof. Dr. Gerhard Heldmaier Fachbereich Biologie Tierphysiologie Universität Marburg D-35032 Marburg

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Werner-Rathmayer-Preis der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

Modellorganismus der Entwicklungsbiologie – die Hydra. Der Süß- wasserpolyp ist nahe- zu unsterblich. Denn er besitzt die faszinie- rende Eigenschaft, sich immer wieder zu regenerieren, egal an welcher Stelle man seinen Körper durch- trennt. Doch woher weiß er, ob ihm ein Kopf oder Schwanz fehlt? Jessica Ober- Jessica Oberheim mit Prof. H. J. Pflüger bei der Preisverleihung in heim ging dieser Fra- Osnabrück. ge nach. Sie pflanzte die Köpfe zweier Der diesjährige Werner-Rathmayer-Preis Hydren aufeinander, mit unerwartetem Er- der Deutschen Zoologischen Gesellschaft gebnis: An der Schnittstelle entstand ein wurde Frau Jessica Oberheim aus Bens- dritter Kopf (Abb. 2). Die Schülerin entwi- heim zugesprochen. Die Preisträgerin ckelte eine schlüssige Theorie für ihre wurde am 23. Mai 2009 beim 44. Bundes- ungewöhnliche Beobachtung, die zum wettbewerb der Stiftung Jugend forscht in besseren Verständnis der Funktion von Osnabrück ermittelt; sie ist 19 Jahre alt Stammzellen beitragen könnte. und kommt vom Goethe Gymnasium in Sie schreibt: Um eine Erklärung zu fin- Bensheim. den wurde das 1972 entwickelte Reaktions- Diffusions-Modell zur Musterbildung bei Der Titel der eingereichten Arbeit war: Hydra von Meinhardt und Gierer herange- zogen. Dieses Modell besagt, dass es einen „Noch ein Kopf: Morphogenese der Hy- Kopfaktivatorprotein-Gradienten gibt, des- dra – eine dreiköpfige Chimäre entsteht“ sen höchste Konzentration im Kopf ist. Kopfaktivatorproteine haben eine autokata- Für die einen ist es eine neunköpfige lytische und eine kopfinhibitor-stimulieren- Wasserschlange aus der griechischen de Eigenschaft. Kopfinhibitorproteine Mythologie, für die anderen ein wertvoller haben eine längere Diffusionsreichweite,

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an, dass sich die akti- vatorproduzierenden Zellen an der ur- sprünglichen Schnitt- stelle vermischen und sich zu einem lokalen Maximum addieren. Hierdurch wird der vom Kopfinhibitor defi- nierte Mindestabstand herabgesetzt und kurz- zeitig mehr Aktivator- protein hergestellt. Vermutlich regen die Kopfaktivatorproteine eine Signalkaskade zur Ausschüttung des Neu- ropeptids HEADY an, das in Vesikeln der Abbildung 2: Eine dreiköpfige Hydra in der Petrischale. A und B sind Endodermzellen die beiden zusammengepfropften Hydren, C ist der neue dritte gleichmäßig verteilt Kopf. Die Chimäre hat bereits mehrere Knospen (*). Foto J. Oberheim ist. HEADY Proteine sammeln sich am api- deshalb bleiben die Kopfaktivatorproteine kalsten Ende der neuen Körperachse an auf ein lokales apikales Maximum am Kopf und es bildet sich die typische der Hydra beschränkt. Das Konzentrations- Kopfmorphologie aus. Durch die veränder- gefälle von aktivatorproduzierenden Zellen, te Konzentration des Quelldichtegradienten der Quelldichtegradient, verläuft entlang sind zudem die Signale für eine weitere der Körperachse. Entnimmt man an einer Kopfbildung und die Fußbildung gehemmt. Stelle der Hydra Gewebe und überprüft Diese Hypothese kann durch weiterführen- die Quelldichte, kann man im Nachhinein de genetische und molekularbiologische die ursprüngliche Position des Gewebes Untersuchungen, zum Beispiel mit Hilfe von bestimmen. gekoppelten Fluoreszenzfarbstoffen, verifi- Die hieraus abgeleitete Hypothese zur ziert oder falsifiziert werden. Erklärung der Versuchsergebnisse nimmt

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Erfüllt die Junior-Professur die in sie gesetzten Erwartungen?

Barbara Hellriegel

Mit dieser Hintergrundfrage hat die Deut- rende sehr hoch bewerten und v.a. mit der sche Zoologische Gesellschaft (DZG) sechs fehlenden Zukunftsperspektive, z.B. durch Jahre nach der Einführung der Junior-PPro- eine Tenure Track Option, unzufrieden fessur eine Befragung unter Kolleginnen sind. und Kollegen durchgeführt, die in Fachge- Die wichtigsten Ziele der im Jahr 2002 bieten der Biowissenschaften eine solche als Reformmaßnahme eingeführten Junior- Stelle angetreten haben. Die Ergebnisse Professur waren eine Verkürzung der Quali- dieser Delphi-UUmfrage zeigen, dass die fikationswege des wissenschaftlichen Nach- Junior-PProfs die frühe wissenschaftliche und wuchses, eine Verbesserung im Hinblick finanzielle Unabhängigkeit sowie die Ver- auf die Gleichstellung der Geschlechter antwortung für Studierende und Doktorie- sowie eine Erhöhung der Attraktivität, Kal- kulierbarkeit (z.B. durch Tenure Track Optionen) und interna- tionalen Konkurrenz- fähigkeit von Wissen- schaftskarrieren in Deutschland. Da weni- ger diese Ziele als das gewählte Instrument für kontroverse Diskus- sionen sorgte, bietet sich eine Zwischen- evaluation im Hinblick auf die angestrebten Abbildung 1. Maßnahmen, welche die Junior-Professur zur Traum- Verbesserungen an. stelle machen. Erste allgemeine Ant- Cii: eigenes Budget in ernst zu nehmender Höhe; Ci: wenigstens worten lieferte hier kleines eigenes Forschungsbudget; Ei: Laufzeit von 8 Jahren; Gi: technische Assistenzstelle; Gii: PhD-Stelle; F: Reduzierung der eine Mitte bis Ende Belastung durch unbeliebte Aufgaben; B: unmissverständlich defi- 2006 durchgeführte nierte Evaluationskriterien; A: Aussicht auf Festanstellung am Stand- Studie des Centrums ort (tenure track); D: garantierte wissenschaftliche Unabhängigkeit. - für Hochschulentwick- In dieser und allen folgenden Abbildungen bedeutet Schwarz: stim- me zu + stimme völlig zu, grau: neutral, schraffiert: stimme nicht zu + lung (CHE) (Federkeil stimme überhaupt nicht zu, weiß: keine Angabe. & Buch, 2007). Sie hat

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hat deshalb auch selbst eine Befragung durchgeführt. Obwohl die Zahl der Befragten mit insgesamt neun nicht sehr hoch war und die Ergebnisse damit nicht repräsen- tativ sind, geben sie unter Wahrung der Anonymität einen umfassenderen Ein- druck als es ein Be- Abbildung 2: Positive Erfahrungen als Junior-Professor/in. richt über Einzelfälle I: Akzeptanz als vollwertiges Mitglied der Hochschullehrer-Status- könnte. Um die Erfah- gruppe; F: die Assoziierung am Lehrstuhl eines/er erfahrenen Kol- rungen der Teilneh- legen/in erleichtert einiges; E: Akzeptanz im Kreis unmittelbarer menden möglichst Kollegen/innen; K: die anfänglich gute Finanzausstattung durch die Bundes- u. Landes-Anschubfinanzierung hat den Start sehr erleich- umfassend zu berück- tert; C: eigene Lehrveranstaltungen aufbauen; G: den abwechs- sichtigen, wurde für lungsreichen u. interessanten Beruf als Professor/in ausüben; A: volle die Umfrage die Verantwortung für Studierende u. Doktorierende, deren Gutachter/ Delphi-Methode ge- innen u. Noten; D: selbst eingeworbene Drittmittel stehen unter dem eigenen Namen in der eigenen Kostenstelle; B: wissenschaftliche wählt, die unten kurz Unabhängigkeit vorgestellt wird.

mit einem zweigeteilten Fragebogen für Wichtige Ergebnisse der CHE-Studie Hochschulleitungen und -verwaltungen quantitative Daten bei allen Hochschulen Nachdem die CHE-Studie (Federkeil & erhoben (Beteiligung: 59 Hochschulen) Buch, 2007) einen bedeutenden Bezugs- und 786 Junior-Profs nach ihren Erfahrun- rahmen für die hier vorgestellten Ergeb- gen befragt (Rücklauf 47%, Durchschnitts- nisse darstellt, sind ihre wichtigsten Re- alter 37 Jahre, 54% mit Kindern). Nachdem sultate im Folgenden kurz zusammenge- 40% der Teilnehmenden aus dem Bereich fasst. Sie belegen, dass die Neuerung Mathematik & Naturwissenschaften und Junior-Professur mit etwa 800 besetzten 10% aus der Humanmedizin stammten, Stellen (ca. 4 % aller Professuren an Uni- sind damit prinzipiell auch Junior-Profes- versitäten) klar hinter den Erwartungen suren in den Fachgebieten der Biowissen- zurückgeblieben ist. Allerdings waren schaften erfasst. Allerdings bleibt die Auf- deutliche Unterschiede im Engagement schlüsselung der CHE-Ergebnisse bei die- zwischen den Bundesländern und mehr sen Kategorien stehen und lässt deshalb noch zwischen den Hochschulen zu erken- keine Schlüsse hinsichtlich der für die DZG nen. Nach dem Auslaufen der Bundesför- relevanten Fachrichtungen zu. Die DZG derung für die Einrichtung von Junior-Pro-

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Humanmed ca. 55%). Die eingegangenen Bewerbungen wurden von den Hochschulen zu 87% als gut bis sehr gut eingestuft. Die bis 2006 erfolgten Zwischenevaluationen nach Ablauf der ersten drei Anstellungsjahre (227 Fälle) wurden im Allgemeinen unter Einbeziehung exter- Abbildung 3: Im Verlauf der Junior-Professur aufgetretene Schwierig- ner Gutachter/innen keiten. durchgeführt und ver- Dii: unbefriedigende Raumverhältnisse während eines Großteils o. liefen zu 98% positiv. der ganzen 6 Jahre; Bii: kein eigener Finanzhaushalt; A: bisher keine Nur in den Naturwis- Schwierigkeiten; Di: unbefriedigende Raumverhältnisse in der Anfangszeit; F: Zusatzarbeit wird dem/der Junior-Professor/in übertra- senschaften war der gen o. stillschweigend erwartet; Bi: keine Berufungsmittel / Anteil der Negativ- Anschubfinanzierung; C: unklare Definition der Junior-Professur im Evaluationen mit 4% Hinblick auf Rechte u. Pflichten; E: Behandlung als Professor/in 2. ganz leicht höher. Die Klasse; Gi: Lehrbelastung von mehr als 8 SWS; H: fehlende Perspektive an der eigenen o. einer anderen deutschen Hochschule. Möglichkeit zur Über- nahme einer Professur fessuren im Jahr 2004 geriet der Stellen- ohne erneute Ausschreibung, also ein Te- ausbau ins Stocken und auch die Zahlen nure Track im engeren Sinne, bestand nur für 2006 sahen eher nach einer Wahrung für 8% der Befragten, während sich 12% des status quo (ca. 120 Neuausschrei- zumindest auf eine Ausschreibung an der bungen pro Jahr) als nach einem weiteren eigenen Hochschule bewerben können. Ausbau aus. Da die Zahl der jährlich bun- Damit ermöglicht die Junior-Professur in desweit vergebenen Habilitationen bei mindestens 80% der Fälle keine größere etwa 2000 liegt (2005), bleibt die Habilita- Kalkulierbarkeit der Wissenschaftskarriere tion damit zunächst das wichtigste Qualifi- als die klassischen Qualifizierungswege. Im zierungselement für deutsche (bzw. Hinblick auf die Geschlechtergleichstellung deutschsprachige) Nachwuchskräfte auf zeigt die Entwicklung bei der Junior-Profes- dem Weg zur unbefristeten Professur. Die sur insgesamt in eine positive Richtung. Mit Auswahlverfahren für Junior-Professuren 27,5% (Math & Natwiss 19%, Humanmed entsprachen, wie vom Wissenschaftsrat 37%) liegt der Frauenanteil deutlich über (2005) empfohlen, überwiegend einem demjenigen für andere Professuren regulären Berufungsverfahren (gemäß (C3/W2: 12,7%; C4/W3: 8,7%; C3/W2 & Hochschulen zu 93%; gemäß Junior-Profs C4/W3: Math & Natwiss 8%, Humanmed zu ca. 80%: Math & Natwiss ca. 77%, 17%) und übertrifft sogar die Quote weibli-

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cher Habilitierter von 23%. Insgesamt posi- werden. In den Abbildungen sind die tiv fällt auch die Einschätzung der Junior- Ergebnisse für ,stimme zu‘ und ‚stimme Profs hinsichtlich ihrer Situation aus: zufrie- völlig zu‘ zusammengefasst (schwarz) den waren 69,3% (Math & Natwiss 66,9%, sowie ebenso für ,stimme nicht zu‘ und Humanmed 79,3%), neutral äußerten sich ‚stimme überhaupt nicht zu‘ (schraffiert). 19,2% (Math & Natwiss 23,3%, Humanmed 10,3%) und unzufrieden waren nur 11,4% Offene Fragen der ersten Delphi-Runde: (Math & Natwiss 9,8%, Humanmed 10,3%). 1) Welche Maßnahmen würden Ihre aktu- elle Stelle am effektivsten zu einem Die Delphi-Methode „Traumjob“ machen? 2) Welche positiven Erfahrungen haben Delphi ist eine strukturierte Befragungsme- Sie als Junior-Professor/in gemacht? thode, die in einem iterativen Prozess (zwei 3) Mit welchen Schwierigkeiten sind und oder drei Runden) Expertenmeinungen waren Sie konfrontiert? einerseits sammelt und andererseits zu 4) Wenn Sie in einem Gremium säßen, das die Junior-Professur verbessern einem Gesamtbild oder zu einem Konsens und neu definieren soll, was würden zusammenführt. Sie bietet den Vorteil der Sie ändern? Anonymität, gibt allen Beiträgen das glei- 5) Welche signifikanten Unterschiede che Gewicht, ist unbeeinflusst von interper- nehmen Sie im Vergleich zu Kollegen/ sonellen Interaktionen (Gruppendynamik) innen wahr, die vergleichbare traditio- und ermöglicht durch die offenen Fragen nelle akademische Stellen innehaben der Runde 1 ein frühes Einbeziehen der (ehemals C2, PDs etc.)? Ideen, Erfahrungen, Einschätzungen etc. der Experten/innen. Im Fall von drei Run- den bietet sie den Experten/innen die Ergebnisse der DZG-Befragung Möglichkeit, ihre Meinung ohne Gesichts- Die in den Biowissenschaften tätigen Junior- verlust aufgrund des Gruppenfeedbacks Profs zu erreichen, hat sich als nicht ganz zu ändern. einfach erwiesen. Herr Federkeil von der Hier wurde eine Delphi-Umfrage mit CHE-Studie verwies an das BMBF,das wie- zwei Runden durchgeführt. In der ersten derum die ‚Deutsche Gesellschaft Junior- Runde waren fünf offene Fragen zu beant- professur e.V.' nannte (www. juniorprofes- worten (siehe Box). Für die zweite Runde sur.org). Die insgesamt neun Teilnehmen- wurden alle Antworten gesammelt und zu den (4 Frauen, 5 Männer) meldeten sich kurzen Aussagen zusammengefasst (vgl. aufgrund eines Versands der Unterlagen Legenden Abb. 1-6). Diese Aussagen über die Verteiler der Deutschen Gesell- waren dann in der zweiten Runde im Hin- schaft Juniorprofessur und der DZG- blick auf die persönlichen Erfahrungen zu Geschäftsstelle. Die offenen Fragen der ers- bewerten (1= ‚stimme völlig zu‘ bis 5= ten Delphi-Runde wurden von sieben ‚stimme überhaupt nicht zu‘). Unter der Junior-Professor/innen beantwortet und Überschrift ‚Zusätzliche Erkenntnisse‘ deren Antworten möglichst originalnah in konnten weitere Einschätzungen genannt sechs Tabellen zusammengefasst (vgl.

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wurde die garantierte wissenschaftliche Unabhängigkeit genannt. (ii) Der wich- tigste Änderungsvor- schlag betraf die Kalkulierbarkeit der wissenschaftlichen Karriere. Gewünscht wurde ein klares Tenure Track Konzept mit überprüfbaren Evaluationskriterien, Abbildung 4: Änderungsvorschläge für eine Neu-Definition der Ju- die schon bei der nior-Professur. Einstellung feststehen N: Erhalt des Titels (evtl. als apl. Prof.) o. Ersetzen durch PD; L: natio- und die für jeden nale Fördergelder für Junior-Profs; P: Reduzierung der Anzahl an Junior-Profs zugunsten einer besseren Ausstattung; M: Verlänge- nachlesbar sind (n=7, rungsmöglichkeit der befristeten Anstellung; O: klare Entscheidung Abb. 4 - vgl. Federkeil zw. Junior-Professur u. Habilitation; K: obligatorische Überprüfung & Buch, 2007, Abb. der Einhaltung genereller Regeln (z.B. max. SWS) u. vereinbarter 18). Sechs der sieben Fördermaßnahmen im Zweijahresturnus; G: maximale Lehrbelastung von 4 SWS; D: Zwischenevaluation nach 4 Jahren; I: getrennte for- regten zudem eine melle Vereinbarungen mit Abteilungsleiter/in (Chef/in) und Präsidium generelle Koppelung über Fördermaßnahmen; H: klare Unabhängigkeit hinsichtlich der von Junior-Professur Autorenschaft; F: Mindest-Personalausstattung von 1 PhD-Stelle und und Tenure Track ½ techn. Assistenz; A: generelle Koppelung von Junior-Professur u. Tenure Track Option; E: Minimalausstattung zur alleinigen Nutzung Option an (Abb. 4). bestehend aus (i) Labor-Grundausstattung u. (ii) jährlichen Ver- Die fehlende brauchsmitteln; C: Kontrolle von Zwischen- u. Abschlussevaluation Perspektive an der durch übergeordnete Kommission; B: klares Tenure Track Konzept eigenen oder einer mit feststehenden, überprüf- und nachlesbaren Evaluationskriterien. anderen deutschen Hochschule war folg- Abb. 1-6). Die Rangierung dieser Antwor- lich auch die meist genannte Schwierigkeit ten in der zweiten Runde wurde von sieben (n=4, Abb.3). (iii) Im Vergleich sahen sich Junior-Professor/innen vorgenommen (5 die Junior-Profs (zusammen mit den PDs) aus Runde 1 plus 2 Neue). schlechter gestellt als ihre Kollegen/ innen Die DZG-Umfrage hat drei sehr eindeu- an Max Planck Instituten (n=7), auch im tige Ergebnisse hervorgebracht, bei denen Hinblick auf Bewerbungen für Professuren sich alle sieben Junior-Profs der Runde 2 (n=6, Abb. 5). Aufgrund ihrer höheren einig waren: (i) Als wichtigste positive Belastung durch Verwaltung und akademi- Erfahrung (n=7, Abb. 2) und damit auch sche Selbstverwaltung fehlte ihnen Zeit die Maßnahme, welche die jetzige Stelle zum Forschen (n=6, Abb. 5). Sehr hohe zur Traumstelle macht (n=7, Abb.1), Einigkeit bestand andererseits auch, dass

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sche Assistenz) zur Verfügung zu stellen sowie eine klare Unab- hängigkeit hinsichtlich der Autorenschaft zu sichern (Abb. 4). Ein fehlender eigener Finanzhaushalt wurde nur in einem Fall ge- nannt (Abb. 3).

die volle Verantwortung für Studierende Schlussfolgerungen und Doktorierende und die freie Verfügbar- Abbildung 5: Signifikante Unterschiede zu vergleichbaren traditionellen Die befragten sieben Stellen (C2, PD etc.). Junior-Profs zeigten B: PDs können den Titel behalten, so lange sie lehren, Junior-Profs wer- große Übereinstim- den wieder zum Dr.; A: außer der frühen „tatsächlichen“ wissenschaftl. mung hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit keine; Kiii: Junior-Profs sind bei Bewerbungen im Vor- teil; Kii: „klass. Assistenten/innen“ sind bei Bewerbungen im Vorteil; I: positiven Erfahrungen. für die weitere Laufbahn sind bisher keine Unterschiede zw. PDs u. Ju- Sie freuten sich v.a. nior-Profs zu sehen; E: die Werbung des/der Lehrstuhlinhabers/in für über ihre wissenschaft- eine Berufung der Junior-Profs fällt weg; Fi: „klass. Assistenten/innen“ ha- liche und finanzielle ben mehr Zeit zu forschen aufgrund geringerer Lehr-Belastung; G: Ju- nior-Profs werden noch stärker ausgenutzt; D: eine Hilfestellung des/ Unabhängigkeit (n=7 der Lehrstuhlinhabers/in bei der Anschubfinanzierung fehlt den Junior- bzw. 6) und ihren ab- Profs; C: das Recht von Junior-Profs zur Betreuung eigener Doktorieren- wechslungsreichen der; Ki: MPI-Mitarbeitende sind bei Bewerbungen im Vorteil; Fii: „klass. und interessanten Be- Assistenten/innen“ haben mehr Zeit zu forschen aufgrund geringerer Belastung durch Verwaltung u. akadem. Selbstverwaltung; H: Junior- ruf als Professor/in Profs u. PDs sind deutlich schlechter gestellt als MPI-Mitarbeitende. (n=6, Abb. 2). Im Ver- gleich mit traditio- keit über selbst eingeworbene Drittmittel nellen akademischen Stellen und v.a. mit sehr positive und motivierende Erfahrun- MPI-Kollegen/innen sahen sie sich hinsicht- gen sind (n=6, Abb. 2). Bemerkenswert war lich ihrer Karrierechancen nicht im Vorteil, die große Übereinstimmung hinsichtlich so dass nur vier von sieben im Grossen weiterer Änderungsvorschläge, da die auf- und Ganzen trotz allem froh sind, eine getretenen Schwierigkeiten unterschiedlich Junior-Professur angenommen zu haben zu sein schienen (Abb. 3). Sechs Junior- (Abb. 6). Entsprechend betraf der Profs schlugen vor, die Zwischen- und Ab- Hauptänderungsvorschlag die berufliche schlussevaluation durch eine übergeordne- Perspektive. Gewünscht wurde ein klares te Kommission zu kontrollieren, eine Min- Tenure Track Konzept mit feststehenden, destausstattung für das Labor, für jährliche überprüf- und nachlesbaren Evaluations- Verbrauchsmittel und v.a. auch im Hinblick kriterien. Nachdem den Junior-Profs gene- auf Personalstellen (1 PhD plus ½ techni- rell sehr gute Zeugnisse ausgestellt wurden

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Universitäten gefordert, dafür zu sorgen, dass diese Erfolge gesichert werden.

Literatur

Federkeil G. & Buch F., 2007. Fünf Jahre Junior- professur - Zweite CHE-Befragung zum Stand der Einführung. Arbeitspapier Nr. 90. ISBN 978-3-939589-52-5 Wissenschaftsrat, 2001. Personalstruktur und Qualifizierung: Empfehlungen zur Förde- rung des wissenschaftlichen Abbildung 6: Zusätzliche Erkenntnisse. Nachwuchses. In: Wissenschaftsrat: A: man kann die Junior-Professur nicht als etab- Empfehlungen und Stellungnahmen 2001. liert o. erfolgreich werten; D: ich unterstütze die Köln, 2002. Siehe: Junior-Professur voll; B: mit einem Titel, einem www.wissenschaftsrat.de/texte/4756-01.pdf leeren Büro u. einer Evaluation nach drei Jahren Wissenschaftsrat, 2005. Empfehlungen zur kann man hochwertige Forschung nicht effizient Ausgestaltung von Berufungsverfahren. In: fördern; C: im Grossen u. Ganzen bin ich trotz Empfehlungen und Stellungnahmen 2005. allem froh eine Junior-Professur angenommen Köln, 2006. Siehe: zu haben. www.wissenschaftsrat.de/texte/6709-05.pdf (98% positive Zwischenevaluationen, Fe- derkeil & Buch, 2007), sind jetzt Politik und

Prof. Dr. Barbara Hellriegel Anthropologisches Institut & Museum Universität Zürich Winterthurerstrasse 190 CH-8057 Zürich

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Kein Ende in Sicht: Amphibien- und Reptilienentdeckungen in tropischen Bergwäldern Vietnams Nguyen Quang Truong und Wolfgang Böhme

Vietnam gehört nicht zu den Tropenlän- wo sich zeigte, dass solch sensationelle dern, die erst jetzt in den Fokus der Neuentdeckungen wie im frühen 20. Jahr- Zoologie geraten. Bereits in der französi- hundert (z.B. Okapi, Riesenwaldschwein, schen Kolonialzeit, in den dreißiger Jahren Zwergflusspferd, Komodowaran u.a.) auch des vorigen Jahrhunderts, leistete der ein Jahrhundert später in unseren Tagen französische Zoologe und Herpetologe noch möglich sind. René Bourret Pionierarbeit und verfasste Doch das Tagesgeschäft der heutigen mehrere dicke, monographische Bände Erfassung und Erforschung des Arten- über die Amphibien und Reptilien Viet- reichtums der Wirbeltiere verläuft weni- nams. Auf dieser hervorragenden Grund- ger spektakulär. Die Objekte sind meist lage konnten spätere Forscher – sofern kleiner, aber für den Fachmann nicht des Französischen mächtig – aufbauen; weniger faszinierend, und unter Einsatz eine Basis, die dann aber wegen der lan- moderner Untersuchungsmethoden, z.B. gen kriegerischen Wirren um dieses süd- der Bioakustik, vor allem aber der Mole- ostasiatische Land lange nur sehr partiell kulargenetik, ergibt sich, dass längst nicht genutzt wurde. Nach Ende des letzten alle neuen Arten in dem Sinne neu sind, Vietamkrieges, der die Wiedervereini- dass sie zuvor noch nie einem Zoologen gung des in Nord und Süd geteilten Lan- zu Gesicht oder gar in die Hände gekom- des zur Folge hatte, waren es zunächst men wären. Vielmehr befanden sie sich russische Forscher, die – begünstigt vom oft schon in den Sammlungen der Mu- Einfluss der damaligen Sowjetunion auf seen, wurden aber zunächst verkannt und den jungen wiedervereinigten Staat – falsch identifiziert, so dass ihre spätere, auch die herpetologische Forschung wei- auf den genannten methodischen Inno- terführten. Doch konnten schließlich auch vationen basierende Entdeckung als eige- wieder Forscher aus westlichen Ländern ne Arten eigentlich eher als Enttarnung zu wie den USA, Kanada u.a. in Vietnam for- bezeichnen wäre. Doch auch die echten schen und die Erfassung der beeindru- neuen Arten, also die, die noch nie von ckenden Biodiversität vorantreiben. Inter- einem Fachmann zuvor gesehen wurden, national große Schlagzeilen machte die können auch heute immer noch gefunden Entdeckung spektakulärer Säugetiere, die werden, nicht nur in Vietnam. kein Wissenschaftler zuvor zu Gesicht Die Affinität des Bonner Zoologischen bekommen hatte: Das Saola-Rind (Pseu- Forschungsmuseums Alexander Koenig doryx nghetinhensis) oder der Riesen- (ZFMK) zu Vietnam hat sich stufenweise muntjak (Megamuntiacus vuquangensis), entwickelt. Zunächst erhielt einer unserer

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Eine weitere quali- tative Stufe erreichte unser forscherisches Engagement aber durch einen Koopera- tionsvertrag (MoU) mit dem Institut für Ökolo- gie und Biologische Ressourcen (IEBR) in Hanoi, das nun auch vietnamesischen Zoo- logen ermöglicht, das ZFMK zu besuchen und dort zu arbeiten. Seit einem Jahr ist der Abbildung 1: Nguyen Quang Truong mit der vietnamesischen Kolle- Erstautor dieses Be- gin Ho Thu Cuc in der herpetologischen Belegsammlung des IEBR, richtes (Abb. 1) als Hanoi. Stipendiat des Deut- Doktoranden, Thomas Ziegler, die Gele- schen Akademischen Austauschdienstes genheit, mit Mitteln der Volkswagen-Stif- (DAAD) am ZFMK tätig, um hier auch seine tung ein Tieflandregenwaldgebiet in Zen- Promotion abzuschließen. Sein Promo- tralvietnam herpetologisch zu bearbeiten. tionsprojekt will weitere Beiträge zur Er- Das in diesem Gebiet in der Provinz Ha fassung der herpetologischen Megadi- Tinh erfasste Artenspektrum, ökologisch versität Vietnams leisten, deren Akkumula- interessant genug, gehörte jedoch größ- tionskurve noch immer steil nach oben tenteils zu bereits bekannten Arten. Nach- zeigt: Waren es 1996 noch 340 Arten von dem Thomas Ziegler sich aber – inzwi- Amphibien und Reptilien, die aus Vietnam schen promoviert, habilitiert und Leiter des bekannt waren, stieg diese Zahl bis 2005 Aquariums am Kölner Zoo – direkt in die auf 458, um gegenwärtig bei 548 zu stehen Naturschutz-Aktivitäten dieses Zoos in – ein Wert, der aber schon sehr bald wie- Vietnam einbringen konnte, die sich vor der deutlich nach oben zu korrigieren sein allem auf den Phong Nha – Ke Bang Na- wird. Allein 22 neue Arten wurden 2008 tionalpark, Provinz Quang Binh, konzentrie- und im ersten Quartal 2009 entdeckt: 4 ren, hatte er die Möglichkeit, auch die Amphibien-, 19 Echsen- und 8 Schlangen- Karstgebiete des annamitischen Berglan- arten. des, im Grenzbereich zu Laos gelegen, Das Fokusgebiet des Dissertations- einzubeziehen, und schon zeigte sich, wie projektes sind zwei bewaldete Berggebiete stark die orographische Struktur eines im Nordosten Vietnams, die Mau Son- Landes seinen Artenreichtum beeinflusst: Berge (Provinz Lang Son) und die Yen Tu- neue Amphibien- und Reptilienarten fast Berge (Provinzen Bac Giang, Quang Ninh am laufenden Band! und Hai Duong), deren jeweilige Amphi-

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bien- und Reptilienfaunen nicht nur nach ihren Artenspektren, sondern auch hin- sichtlich ihrer Zönosenzusammensetzung, Nischensegregation und zoogeographi- schen Affinitäten vergleichend analysiert werden sollen. Ein erster, vom DAAD geför- derter Feldaufenthalt im Mau Son-Gebiet förderte 22 Arten zutage: 15 Amphibien-, 3 Echsen- und 4 Schlangenarten. Diese Zahlen waren in den gleichfalls bereisten Yen Tu-Bergen erheblich höher, 17 Amphi- bien-, 12 Echsen und 13 Schlangenarten, Abbildung 2: Der Nepal-Flugfrosch, Rhaco- phorus maximus, neu für Vietnam nachgewie- also 42 Spezies insgesamt. Die taxonomi- sen. sche Zuordnung vieler Arten ist mühsam und noch im Gange. Vergleiche mit dem geographie aufwerfen. Markantes Beispiel Typenmaterial, auf das die jeweiligen ist der Nepal-Flugfrosch (Rhacophorus Erstbeschreibungen der bereits bekannten maximus) (Abb. 2), der mittels aufge- Arten seinerzeit gegründet wurden, ist spannter Flughäute zwischen Fingern und nach wie vor unerlässlich. Hierzu müssen Zehen eine Art Fallschirmgleiten be- die einschlägigen naturhistorischen Mu- herrscht. Er war bislang aus Nepal, NO- seen weltweit kontaktiert werden, die die- Indien, W-Thailand und S-China bekannt, ses unersetzliche Dokumentationsmaterial kommt aber sehr viel weiter nach Süd- der Taxonomie verwahren und erhalten, osten vor als zuvor vermutet. Andere und es zeigt sich hier die hohe Halbwerts- Arten, wie der kurzbeinige Skink, Ateu- zeit taxonomischer Publikationen und ihres chosaurus chinensis, wurden zwar bereits Belegmaterials über viele Jahrzehnte hin- 1939 aus Vietnam gemeldet, genau aus weg – auch heute immer noch unverzicht- den Mau Son-Bergen, doch erst jetzt, nach bare Arbeitsgrundlage. Objekte dieser fast 7 Jahrzehnten, gelang der Wiederfund Recherchen wurden zunächst die Schlan- – übrigens in zwei anderen, benachbarten gen der Gattungen Amphiesmoides, Provinzen. Der vietnamesische Krokodil- Opisthotropis, Lycodon und Sibynophis, und molch (Tylototriton vietnamensis) (Abb. 3) dann die Frösche der Artenkomplexe aus den Yen Tu-Bergen hingegen, erst Limnonectes kuhlii, Rhacophorus bipuncta- 2005 unter Mitwirkung beider Verfasser tus und Kurixalus verrucosus. dieser Notiz entdeckt und beschrieben, Doch nicht nur die Fahndung nach konnte nun auch für die Mau Son-Berge neuen Arten steht auf dem Programm: belegt werden. Exemplare von dort waren Auch bereits bekannte Arten bergen Über- bislang unter dem Namen Tylototriton raschungen, indem sie weit von ihren bis- asperrimus fehlbestimmt worden. Die her bekannten Arealen gefunden und Beispiele derartiger faunistischer Kennt- nachgewiesen werden können und damit niszuwächse ließen sich weiter vermeh- interessante Probleme historischer Bio- ren. Besonders markant ist hier die Ent-

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besonders gut illustrie- ren. Die urtümliche Echse wurde in ihrem chinesischen Bestand nicht nur durch Habi- tatzerstörung stark dezimiert, sondern auch durch Wegfan- gen für den Tierhan- del. Vietnamesische Individuen sind inzwi- schen prominente Be- wohner einer Nach- zuchtstation für Amphi- Abbildung 3: Der erst 2005 neu entdeckte vietnamesische Kroko- dilmolch, Tylototriton vietnamensis. bien und Reptilien, die aufgrund eines Ko- deckung der chinesischen Krokodil- operationsabkommens zwischen dem schwanz-Höckerechse (Shinisaurus croco- IEBR und dem Kölner Zoo in Hanoi errich- dilurus) (Abb. 4) in Vietnam. Dieses höck- tet werden konnte. Erste Erfolge zeigen erschuppige, ursprünglich aussehende sich in der gelungenen Gefangenschafts- Reptil aus der weiteren Verwandtschaft nachzucht von Shinisaurus, aber auch die der Schleichen und Warane wurde in den Ruderfrösche Rhacophorus maximus und 1930-er Jahren von dem Berliner Herpeto- Rhacophorus feae sowie der warzige logen Ernst Ahl entdeckt und bereits kor- Baumfrosch Theloderma corticale konnten rekt nicht nur in eine eigene Gattung, son- bereits in der Anfangsphase der Station dern sogar in eine eigene Familie Shini- erfolgreich vermehrt werden. Der Lid- sauridae eingeordnet. Bis heute ist keine gecko Goniurosaurus lichtenfelderi zählt zweite Art dieses Alt-Endemiten der Re- ebenfalls bereits zu den nachgezüchteten gion bekannt geworden. S. crocodilurus Stationsinsassen. Das Projekt Nachzucht- galt seitdem als Endemit einer Region, wo station macht deutlich, dass alle herpeto- sich die chinesischen Provinzen Guangxi, faunistische, taxonomische und ökologi- Guangdong, Guizhou und Hunan treffen. sche Grundlagenforschung letztlich dem Das durch eine gut 500 km lange (reale Ziel dient, die gefährdete Diversität der oder ungenügend erforschte?) Verbrei- Amphibien und Reptilien Vietnams zu tungslücke vom chinesischen Teilareal schützen. Gefahren drohen ihr 1. durch getrennte vietnamesische Vorkommen Regenwaldrodung und Holzeinschlag, konnte jüngst durch einen neuen Nach- Landschaftseingriffe und Kraftwerke; 2. weis erweitert werden. durch klimabedingte Katastrophen wie Das Beispiel Shinisaurus crocodilurus Überschwemmungen, Eis und Schnee in kann zugleich die Naturschutzproblematik den Hochlagen, und exzessive Hitze und Trockenheit in den Niederungen; 3. das

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schaftsschutz zu ver- bessern, Wilderei und Tierhandel zu kontrol- lieren und zu unter- binden, und Popu- lationsstützungsmaß- nahmen für seltene und bedrohte Arten zu entwickeln. Der beschriebenen Nach- zuchtstation für Am- phibien und Reptilien kommt dabei aller- Abbildung 4: Der erste Vertreter der bislang nur aus China bekann- dings nicht die primä- ten Krokodilschwanz-Höckerechse, Shinisaurus crocodilurus, aus re Rolle einer Arche Nordvietnam. zu, also Reservepopu- Sammeln von Fröschen, Schildkröten und lationen für spätere Auswilderungen vor- Schlangen für chinesische Märkte, aber zuhalten (dies mag künftig in Einzelfällen auch für den Internationalen Tierhandel, nötig werden); primäres Ziel ist vielmehr, wo attraktiv aussehende Frösche (z.B. in einer Art Versuchsmodell die Fortpflan- Theloderma spp.), Schildkröten (z.B. Cuo- zungsbiologie der betreffenden Arten zu ra spp.) oder Echsen (z.B. Goniurosaurus studieren und dann das Zuchtmanagement spp.) insgesamt durchaus nennenswerte für seltene Arten zu lernen und zu beherr- Handelsvolumina ausmachen können. schen, um damit schließlich Forschung Für die Zielgebiete des Forschungs- und Naturschutz einerseits und nachhalti- projektes Mau Son- und Yen Tu-Berge geht ge Nutzung von Amphibien und Reptilien es also außer der Erfassung, Beschrei- in Vietnam andererseits zu verknüpfen. bung und Analyse der Herpetodiversität auch darum, prioritäre Regionen für den Alle Aufnahmen von PD Dr. Thomas Naturschutz zu ermitteln, dort den Land- Ziegler

Nguyen Quang Truong, Prof. Dr. Wolfgang Böhme, Herpetologische Sektion, Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Adenauerallee 169, 53113 Bonn

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Fünf gute Gründe, Ihr nächstes Manuskript bei Frontiers in Zoology zu veröffentlichen

Jürgen Heinze

Erstens: Eine Veröffentlichung in Frontiers auf Platz 2 aller zoologischen Zeitschriften in Zoology macht ihre Arbeit weltweit für (2006: Platz 3). alle Interessenten zugänglich. Frontiers in Drittens: Sie können bequem und ohne Zoology ist ein „open access, online only“ zusätzliche Kosten Farbfotos, Videos oder Journal, d.h., dass Veröffentlichungen nur anderes Material in ihren Artikel einbin- im Internet publiziert werden, aber jeder- den. Und Sie können online nachverfol- mann mit Internet-Zugang sie kostenfrei gen, wie häufig ihre Publikation angese- lesen, speichern und ausdrucken kann. hen wird. Der momentane Spitzenreiter, Sie erreichen somit eine sehr viel größere ein Artikel von G.F.Hewitt über Phylogeo- Leserschaft, insbesondere auch aus Staa- graphie von 2004, wurde bereits über elf- ten, die sich Abonnements der herkömm- tausend Mal aufgerufen! lichen Wissenschaftszeitschriften nicht Viertens: Sie behalten die Rechte für leisten können. Ihren Artikel und können ihn nach Belie- Zweitens: Frontiers in Zoology publi- ben vervielfältigen, auf ihre webpage stel- ziert schnell: üblicherweise dauert es vom len oder sonstwie verbreiten – etwas, das Einreichen eines Manuskripts bis zur die meisten anderen Zeitschriften nicht Veröffentlichung im Internet nur etwas erlauben. mehr als 100 Tage. Dabei steht die Güte Fünftens: Sie helfen der Deutschen des Begutachtungsprozesses der von Zoologischen Gesellschaft, denn Frontiers anderen, international ausgewiesenen in Zoology ist zwar international, dabei Zeitschriften in nichts nach. Die hohe aber doch die Zeitschrift der DZG. Ein Teil Qualität der bisher publizierten Arbeiten der Publikationsgebühren fließt direkt an zeigt sich darin, dass sie häufig zitiert die DZG zurück. werden: der vorläufige Impact Factor liegt derzeit bei 3.24, im Scopus Ranking lag Mehr zu Frontiers in Zoology finden Sie Frontiers in Zoology im Jahr 2007 mit unter: www.frontiersinzoology.com einem SCImago Journal Rank von 0.315

Prof. Dr. Jürgen Heinze Universität Regensburg Biologie I 93040 Regensburg

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Nachruf auf Klaus Vogt 31. 7. 1945 – 9. 5. 2008

Kuno Kirschfeld und Peter Kunze

einem Architekten-Haushalt auf, da Mutter und Stiefvater ein Architekturbüro betrie- ben. Immer wieder trafen ihn schwere Schicksalsschläge. So der frühe Verlust des leiblichen Vaters, im September 1998 dann, nach Jahren schwerer Krankheit, der Tod seiner ersten Frau Katharina, geb. von Klüchtzner. Der Freude über die erneute Heirat mit Maria, geb. Heil, im Frühjahr 2005 war nur eine kurze Dauer beschie- den. Das Studium der Biologie begann Vogt 1965 in Tübingen und schloss es 1972 mit dem Diplom ab. Die Arbeit hatte er bei Peter Kunze am Max Planck Institut für bio- Foto Privates Bildarchiv logische Kybernetik durchgeführt. Mit Kunzes Berufung nach Stuttgart folgte er Unfassbar für uns alle verstarb am 9. Mai ihm dorthin, um die Doktorarbeit zu be- 2008 Klaus Vogt, der seit dem Jahre 1986 ginnen. Er erhielt die Aufgabe, die Optik ordentlicher Professor für Zoologie in Frei- des Flusskrebsauges zu untersuchen. burg war. Die deutsche Zoologie verliert Dritten gegenüber hatte er sich missmutig mit ihm einen hervorragenden Vertreter darüber geäußert („noch ein Komplex- der vergleichenden Neurobiologie und auge …“). Kurz zuvor waren nämlich die Tierphysiologie. optischen Eigenschaften des Komplex- Klaus Vogt wurde am 31. Juli 1945 in auges der Fliege und das der Mehlmotte Schweinfurt geboren. Dort besuchte er genauestens analysiert worden und Neues die Grundschule und das humanistische schien nicht zu erwarten. Er hat sich dann Gymnasium. Sein Vater fiel als Offizier im nolens volens einen Flußkrebs angeschaut, Jahr seiner Geburt, Klaus bekam später wobei ihm etwas auffiel, was schon tausen- jüngere Halbgeschwister. de Betrachter gesehen hatten: dass das Er war schöpferisch und gestalterisch Raster der Ommatidien in diesen Augen mehrfach vorbelastet: ein Großvater und quadratisch angeordnet ist und nicht wie ein Onkel waren Architekten, er wuchs in bei Fliege und Mehlmotte hexagonal. Ihm

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wurde klar, „da stimmt doch etwas großen Teils des Himmels entwerfen kön- nicht…“, und das herauszufinden, emp- nen. fand er schließlich als angemessene Eine weitere, ebenso unerwartete An- Herausforderung. wendung betrifft die Produktion von Com- Wie es weiterging, war für diejenigen puter-Chips. Ein Computer ist umso von uns, die seine Arbeit aus der Nähe schneller, je kleiner der Abstand zwischen verfolgen konnten, der reinste Krimi. Aus Bauelementen der Chips ist. Diese werden winzigen Indizien, wie z. B. bestimmten mittels Photolithographie hergestellt, was Farberscheinungen oder dem Verhalten bedeutet, dass die Größe der Elemente des Auges im polarisierten Licht, schloss durch die Beugung des Lichtes limitiert ist. er, dass die Abbildung nicht wie sonst Deshalb wurde wegen seiner kürzeren üblich über Linsen, sondern über Spiegel Wellenlänge bereits ultraviolettes Licht ein- erfolgen muss. Dabei, so ergab sich, sind gesetzt. Mit der Anwendung der noch zwei verschiedene, miteinander gekoppel- kürzeren Röntgenstrahlung könnten die te Spiegelsysteme verwirklicht, und das Abstände auf 1/100 verkürzt werden, mit Ganze kann nur funktionieren, wenn im entsprechender Erhöhung der Rechenge- Kristallkegel der Ommatidien auch varia- schwindigkeit. Und dies ist im Prinzip mit- ble Brechungsindizes realisiert sind. Die tels der Krebsaugenspiegeloptik möglich Promotion absolvierte er mit Auszeich- und wurde zumindest in Betracht gezogen. nung. Diese Arbeit sollte ihn international Inwieweit das Verfahren tatsächlich zum bekannt machen. Einsatz kam, entzieht sich unserer Kennt- Seine Entdeckung hat in Bereiche nis. ausgestrahlt, die niemand zuvor erahnen In einem Fernsehfilm über das Krebs- konnte. Zunächst hat ein Astrophysiker in auge wurde gezeigt, dass vier Spiegel in einem Scientific American Artikel von die- jedem Ommatidium unter präzisen 90 sem Spiegelauge gelesen, und es wurde Grad angeordnet sein müssen, damit das ihm sofort klar, dieses Prinzip ist auch die Verfahren funktionieren kann. Dieser Be- Lösung für ein Röntgenteleskop. Röntgen- fund provozierte eine Diskussion mit strahlen bieten zwar ein hochinteressan- Anthroposophen über die Frage, ob nach tes Spektralfenster für die Astronomie, der Lehre von Rudolf Steiner, dem Begrün- lassen sich aber, da sie sich nicht beugen der der Anthroposophie, im Organischen lassen, nicht zur Abbildung heranziehen. rechte Winkel vorkommen können. Wohl aber können Röntgenstrahlen an Vogts Gespür für wichtiges Neues in Metalloberflächen streifend reflektiert seiner Doktorarbeit zeitigte also Konse- werden. Davon machten damalige Rönt- quenzen hinsichtlich sowohl größter als genteleskope auch Gebrauch, konnten auch kleinster Strukturen. Und schließlich aber nur einen winzigen Teil des Him- provozierte es Diskussionen im philoso- mels von etwa 1/1000 Grad abbilden. phischen Bereich. Diese Arbeit war einma- Hier konnte das „Prinzip Krebsauge“ lig. Abhilfe schaffen: mit ihm sind Teleskope Nach der Doktorarbeit kehrte Vogt grundsätzlich machbar, die Bilder eines 1979 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter zu

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Kuno Kirschfeld ans Max-Planck-Institut für Sehpigmentes der Fliegen. Damit war biologische Kybernetik zurück. Dort etwa 50 Jahre nach der Beschreibung der gelang ihm eine zweite Entdeckung, und Chromophore von Rhodopsin (Retinal) und zwar im Bereich der Biochemie. Vor kur- von Porphyropsin (Dehydroretinal) ein zem war gezeigt worden, dass die Emp- neuer Chromphor entdeckt. Vogt gab dem findlichkeit für ultraviolettes Licht bei zugehörigen Sehfarbstoff den Namen Fliegen über einen Mechanismus erfolgt, Xanthopsin. Nature hielt diese Entdeckung der nur von Pflanzen bei der Photosyn- keiner Mitteilung wert, und Vogt hat die these bekannt war, nämlich durch ein Arbeit verärgert in der Zeitschrift für sogenanntes sensibilisierendes Pigment. In Naturforschung veröffentlicht. Als sensibili- den Sehzellen kann ein solches Pigment sierendes Pigment identifizierte er dann 3- Lichtquanten absorbieren, ist aber nicht in Hydroxy-Retinol. der Lage, selbst die Phototransduktion in Der Carotinoid-Forschung ist Vogt – Gang zu setzten. Statt dessen überträgt es jetzt natürlich mit Mitarbeitern – auch in die Energie strahlungsfrei auf den Chro- Freiburg treu geblieben. Es gelang der mophor des Sehfarbstoffs, der sich dann Gruppe das Enzym zu finden, das Caro- so verhält, als hätte er selbst ein Lichtquant tine spaltet, und damit dem Sehfarbstoff absorbiert, und daraufhin die Phototrans- den Chromophor Retinal zur Verfügung duktion initiiert. Von diesem Pigment war stellt. sein Absorptionsspektrum bekannt und Ein ganz anderes Gebiet seiner Tätig- die Spektralempfindlichkeit, die es vermit- keit befasste sich mit Hirnaktivität und telt, nicht aber, um welche Substanz es Bewegungskontrolle, wobei die Möglich- sich dabei handelt. Vogts Aufgabe war, keit im Hintergrund steht, Neuro-Prothesen dieses Pigment zu identifizieren. zu entwickeln. Dazu musste er sich zunächst in die Vogt interessierte sich auch für die Methode einarbeiten, mit der es möglich Erzeugung von Sprache und Spracherken- ist, Carotinoide und deren Abkömmlinge nung. Zur Veranschaulichung hat er ein zu identifizieren, die Dünnschicht-Chroma- vielfach vergrössertes Modell des mensch- tographie. Dies war ein schwieriges lichen Kehlkopfes angefertigt, an dem sich Unterfangen, weil hiervon niemand im Physik und Physiologie der Stimmbildung Institut etwas verstand. Um die Methode zu demonstrieren lassen. Auch die Rolle der erproben, extrahierte er Augen von Flie- Zunge bei der Bildung von Vokalen macht gen in der Erwartung, den Chromophor ein entsprechendes Modell verständlich. des Rhodopsins, also Retinal, zu finden. Als Wir, die wir nicht im Freiburger Institut dies misslang, hat er zunächst an methodi- gearbeitet haben, können natürlich nichts sche Fehler geglaubt, und immer wieder Eigenes über ihn als Lehrer sagen. Des- versucht, die Methode zu verbessern. Es halb ein Zitat aus dem Nachruf seines blieb aber dabei, dass es im Fliegenauge Kollegen und Freundes Rainer Hertel: kein Retinal gibt, stattdessen aber ein pola- „Klaus Vogt war ein sehr, sehr guter Leh- reres Molekül, das sich dann als 3-Hydro- rer, mit großer Hingabe und großer Sorg- xyretinal entpuppte, dem Chromophor des falt. Stunden, ja Tage verbrachte er für die

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sondern auch in anderen Berufen erfolg- reich gewesen wäre. Als erstes recherchierte er, dass Frei- burg im Vergleich zu den anderen Baden- Württembergischen Universitätsstädten seit dem Krieg sehr viel weniger Baumittel erhalten hatte. Er rechnete die Summen sogar in Arbeitsplätze um, die der Stadt dadurch verloren gegangen waren. Mit dieser Information machte er eine Be- suchsreise zu sämtlichen Landtagsabge- ordneten von Freiburg mit dem Ergebnis, dass ihm bzw. der Freiburger Universität die benötigten Baugelder tatsächlich rela- tiv schnell zur Verfügung gestellt wurden. Besichtigt man das Freiburger Zoolo- gische Institut, so wird sofort klar: das übli- Abbildung 2: Entwurfsskizze von Klaus Vogt che Universitätsbauamt hätte ein solches zum Institutsneubau. Bauakte Institut für Gebäude wohl kaum konzipieren können. Biologie 1 Freiburg. Hier war ein genialer und sachverständi- Vorbereitung jeder seiner Vorlesungs- ger Gestalter am Werk (Abb. 2). Die Ein- stunden. Vor jeder hatte er Respekt. Über gangshalle im Erdgeschoss ist als zoologi- keine Frage huschte er hin, ohne um Ver- sches Museum gestaltet. Als ein verende- stehen und Verstandenwerden zu ringen. ter Elefant zur Präparation angeliefert wor- Allein was an Kunst und Arbeit in die den war, hat Vogt nicht etwa nur das Bilder ging!.....“ Skelett präparieren lassen, das jetzt die Als Klaus Vogt den Ruf nach Freiburg Besucher empfängt, er hat auch die fixier- erhalten hatte, hat er sich das Instituts- te Haut in einem Plexiglas-Behälter in der gebäude (einen mit einfachsten Mitteln Halle aufgestellt, um dem Besucher „haut- erstellten Wiederaufbau des kriegszerstör- nah“ zu vermitteln, wie gewaltig ein sol- ten Instituts) angesehen, und es wurde ihm cher Organismus ist. Im übrigen ist das klar, dass für Lehre und Forschung, wie er Gebäude klar nach Funktionen gegliedert: sie sich vorstellte, ein Neubau notwendig Ein Rundbau für Bibliothek mit Cafeteria werden würde. Die Fakultät hiervon zu und Klavier ist einem quaderförmigen überzeugen war nicht schwer. Die Geld- Gebäude für Labors, Arbeitszimmer, geber aus Stuttgart aber zur Bereitstellung Seminar-,Vortrags- und Tierräume ange- der notwendigen Mittel zu bewegen, erfor- gliedert. derte den Einsatz von Methoden, über die Versucht man die Persönlichkeit Klaus die wenigsten von uns verfügen, die Vogt Vogts zu charakterisieren, so fällt uns als aber einzusetzen verstand und die bele- seinen ehemaligen Lehrern als erstes ein: gen, dass er nicht nur als Hochschullehrer, Vogt war nie Schüler – schon als junger

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bayrischer Jugend- meister im 400 Meter- Lauf. Beim „Arm- drücken“ hatte er an- geblich noch nie ver- loren. Umso schlim- mer war, dass er in einem Bierzelt in der Nähe Tübingens ge- gen einen Metzgerge- sellen verlor, der als Sportruderer beson- ders entwickelte Arm- Abbildung 3: Acrylgemälde Parinna (Toscana) von Klaus Vogt. Besitz muskeln hatte. Nicht Stefan Heyl. unerwähnt bleiben Doktorand war er ein gleichwertiges sollen auch seine gestalterischen Fähig- Gegenüber. Sein Anspruch an sich selbst keiten, sowohl im Umgang mit dem Wort war hoch und manchmal mag er von als auch mit Stift und Pinsel (Abb. 3). anderen zu viel verlangt haben. Seiner Mit Klaus Vogt haben wir einen Wissen- intellektuellen Dominanz war er sich auch schaftler verloren, dessen Fähigkeit zur durchaus bewusst, wirkte aber nicht über- Einsicht in verborgene Zusammenhänge heblich. Duldsamkeit gehörte sicher nicht bewundernswert war. Viel zu früh ist ein zu seinen Stärken, und seinen Führungsstil ideenreicher, schöpferischer Mann von kann man als eher autoritär bezeichnen. uns gegangen, ein Mann voller Lebens- Wie wir von Freiburger Kollegen hören, freude, der vieles unvollendet lassen war er ein tatkräftiger Dekan, der das als musste, der aber mit vielen Talenten, die richtig Erkannte entschlossen auch gegen er erfolgreich genutzt hat, auch bleibende Widerstände durchzusetzen verstand. Dass Werke hinterlässt. Er ist uns unvergessen. man dabei nicht mit jedem gut Freund bleiben konnte, ist eine notwendige Wir danken für Gedankenaustausch und Konsequenz. Hilfe bei der Beschaffung der Abbildungen: Stolz war Vogt auch auf seine sportli- Klaus Hausen, Rainer Hertel, Ulrike Hertel, chen Fähigkeiten. Er war nämlich früher Stefan Heyl und Johanna Vogt.

Prof. Dr. Kuno Kirschfeld Prof. Dr. Peter Kunze Max- Planck- Institut für biologische Kybernetik Pfarrgartenstr. 53 Spemannstr. 41 72076 Tübingen 73240 Wendlingen

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Nachruf auf Else Jahn 28.8.1913 - 9.8.2008

Elisabeth Geiser

Am 9. August 2008 verstarb Frau Prof. Dr. Else Jahn im 95. Lebensjahr. Sie war eine Frau mit einer für ihre Generation sehr un- typischen Biographie. Sie besuchte unsere – und andere – Fachtagungen noch lange nach ihrem 80. Geburtstag und nahm bis kurz vor ihrem Tod noch brieflich Anteil am aktuellen Geschehen in der Fachwelt. Else Jahn wurde am 28. August 1913 in Klagenfurt geboren. Ihre Gymnasialzeit hat sie in Salzburg verbracht, wo sie im Juni 1933 am Mädchen-Realgymnasium matu- rierte. Im selben Jahr begann sie an der Universität Wien das Studium der Zoolo- gie. Im Juni 1938 absolvierte sie das Lehr- amtsstudium für Gymnasien. Nach dem Abschluss ihrer Dissertation mit dem The- ma „Anatomische und tiergeographische Prof. Dr. Else Jahn wenige Jahre vor ihrem Tod. Untersuchungen an der Coleopterengat- Foto Prof. Dr. W. Schedl tung Otiorrhynchus Germar“ promovierte Im März 1954 begann sie ihre Tätigkeit sie im Mai 1939 zum Dr. phil.. Von Ende an der forstlichen Bundesversuchsanstalt in 1939 bis 1940 war sie wissenschaftliche Mariabrunn in Wien. 1957 wechselte sie Hilfskraft am Institut für Zoologie der Uni- mit der damaligen Abteilung für Forst- versität Wien, danach bis 1945 wissen- schutz in das neue Gebäude in Schön- schaftliche Assistentin an der Lehrkanzel brunn. 1963 wurde sie zum außerordentli- für Forstschutz und Forstentomologie der chen Universitätsprofessor ernannt. Von Hochschule für Bodenkultur, wo sie sich 1971 bis zur ihrer Pensionierung Ende 1944 mit einem forstentomologischen 1978 leitete sie die Abteilung Entomologie Thema habilitierte. des Instituts für Forstschutz an der Forst- Nach Kriegsende widmete sie sich lichen Bundesversuchsanstalt (jetzt: BFW entomologischen Aufgaben an der Lan- Bundesamt und Forschungszentrum für desforstinspektion Tirol in Innsbruck. 1950 Wald). habilitierte sie sich ein zweites Mal an der Else Jahns wissenschaftliche Leistungen Universität Innsbruck zur Dozentin für umfassen ein breites Spektrum des Wald- angewandte Entomologie. schutzes, das weit über ihr Kerngebiet, die

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Forstentomologie, hinausreichte und kom- gen, dass sich niemand für sie interessiert, plexe Wirkungsweisen abiotischer sowie gehörte Else Jahn zu jenen wunderbaren biotischer Schadfaktoren mit einbezog. Ihr Menschen, die von sich aus auf andere Aufgabengebiet am Institut für Forstschutz zugehen und in ihrer liebenswürdigen Art umspannte einen weiten Bogen von ihr Interesse an der Arbeit jüngerer Kolle- Untersuchungen zur Biologie und gen zum Ausdruck bringen. Ich erinnere Epidemiologie forstschädlicher Insekten, mich noch heute gerne daran, wie sie über Wirkungen von Klima-Extremen, nach einem Vortrag, den ich über tiergeo- Naturkatastrophen und anthropogenen graphische Fragestellungen bei ostalpinen Einflüssen auf die Bodenfauna, bis hin zur Käfern gehalten hatte, mir von ihrer Dis- Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. sertation über die Rüsselkäfer erzählte In einer Zeit, in der Pestizideinsatz gegen und sich über die weiteren Forschungen forstschädliche Insekten als unumstrittenes an diesem Thema freute. Noch 2006, als Mittel der Wahl galt, hat Else Jahn bereits sie nicht mehr zu Fachtagungen reisen Untersuchungen über biologische konnte, bedankte sie sich brieflich für eine Bekämpfungsmethoden durchgeführt, zugesandte Fachzeitschrift und nahm auf wobei sie sich auch schon mit insektenpa- die Artikel Bezug, die sie mit Interesse thogenen Viren befasste. Den großen gelesen hatte. Nonnengradationen Anfang der 60er Jahre, Ein ausführlicher Nachruf mit einem den Massenentwicklungen des grauen vollständigen Literaturverzeichnis wird von Lärchenwicklers sowie den damals häufi- Schedl (im Druck) publiziert. gen Tannentrieblaus-Kalamitäten widmete Ich möchte mich bei Herrn Univ.-Prof. sie intensive Studien. Dr. Wolfgang Schedl und Herrn Oberforst- Nach ihrer Pensionierung blieb sie wei- direktor Horst Jahn für Auskünfte und die terhin intensiv am wissenschaftlichen Ge- Zusendung von Unterlagen bedanken. schehen im Forstschutz und in der Ento- Literatur mologie interessiert. Bis 2005 besuchte sie regelmäßig ihre frühere Wirkungsstätte Cech, T. (2003): Zum 90. Geburtstag von Frau am BFW,wobei deren Mitarbeiter von Prof. Else Jahn. – Forstschutz Aktuell 28: 40. ihrem umfangreichen Fachwissen und her- Cech, T. (2008): Frau Prof. Else Jahn verstorben. vorragenden Gedächtnis profitierten. Sie – Forstschutz Aktuell 43: 41. Schedl, W.(im Druck): In memoriam Univ.-Prof. publizierte auch weiterhin Fachartikel und Dr. phil. Else M. Jahn (1913–2008). – nahm an Fachtagungen teil. Berichte des naturwissenschaftlich-medizi- Während andere Menschen im Alter nischen Vereins Innsbruck. verbittert zu Hause sitzen und sich bekla-

Dr. Elisabeth Geiser St.-Julien-Straße 2 / 314 A-5020 Salzburg

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Nachruf auf Peter A. Schlegel 02.06.1941 – 16.10.2008

Gerta und Günther Fleissner

Nach langer Krankheit ist Prof. Dr. Peter A. Schlegel am 16. Oktober 2008 verstorben. Bis zum Schluss hat er dagegen ange- kämpft und gehofft, seine Forschungen über die Orientierung von Tieren, die im Dauerdunkel von Höhlen leben, fortsetzen zu können. Die erstaunlichen Resultate die- ser langjährigen Versuche in einem ver- zweigten Höhlensystem der Pyrenäen zeigten sehr klar Prinzipien der Magnet- feldwahrnehmung von Molchen, die im Laufe der Evolution ihr Sehsystem einge- büßt haben. Peter Schlegel hat mehrfach mit Studentengruppen diese andere Art der Freilandarbeiten durchführen können und gezeigt, wie man auch unter schwieri- gen Bedingungen und mit nur wenig Hoch- technologie anspruchsvolle Experimente Foto Privates Bildarchiv organisieren kann. Auch nach seiner Pen- sionierung und dem damit verbundenen war. Seine Pilotaufbauten elektronischer Rückzug aus dem Universitätsbetrieb hat Schaltungen werden seine Kollegen we- Peter Schlegel sein Engagement für das gen ihres z. T. abenteuerlichen Aussehens spannende Thema beibehalten und noch – aber sicheren Funktionierens – nicht ver- mehrere Publikationen fertigstellen können. gessen können. Peter Schlegel hat in seiner wissen- Im Rahmen seiner Karriere hat Peter schaftlichen Laufbahn stets demonstriert, Schlegel im In- und Ausland im Wesent- dass man mit Engagement und großem lichen an drei großen Themenbereichen Durchhaltevermögen sehr schwierige gearbeitet, die sich stets mit bis dahin Fragestellungen erfolgreich bearbeiten ungelösten Fragen der Rezeptorphysio- kann. Sein großes manuelles Geschick logie beschäftigt haben: und sein Einfallsreichtum waren hierfür Für seine Promotionsarbeit beschäftigte eine unerlässliche Voraussetzung, wenn er sich Peter Schlegel mit Einzelzellablei- wieder einmal an die Grenzen der bis tungen von einem Stellungsrezeptor in der dahin verfügbaren Techniken gestoßen Antenne von Schmeißfliegen und konnte

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dabei das Funktionsprinzip dieses kom- sert und Variationen von Mikrophonen und plexen Sinnessystems weitgehend aufklä- Lautsprechern erarbeitet, zum Beispiel zur ren. 1968 konnte er dieses Promotions- Messung der Ohrcharakteristika der ver- projekt bei Prof. Dr. Burkhardt in Frankfurt schiedenen Fledermausarten. a. M. erfolgreich abschließen. Ab 1995 verlagerte Peter Schlegel ein In der Post-Doc-Phase (1969–1973) weiteres Mal den Schwerpunkt seiner arbeitete Peter Schlegel als Forschungs- Forschungsarbeiten, er beschäftigte sich stipendiat der Deutschen Forschungs- nun mit der nicht-visuellen Orientierung gemeinschaft bei Prof. Szabo am CNRS in von Höhlentieren. Dabei kamen ihm seine Paris und Gif-sur-Yvette über die Mecha- bisherigen Untersuchungen über die viel- nismen der Objektlokalisierung von fältigen nicht-optischen Sinnesmodalitäten „schwach“ elektrischer Fische. zu Gute: Er analysierte zunächst die Elek- Diese Arbeiten wurden 1972 unterbro- troperzeption des Grottenolms (Proteus chen für einen Forschungsaufenthalt bei anguinus) und des Pyrenäengebirgs- Prof. Suga (Washington Univ. Missouri, molchs (Euproctus asper), entdeckte dann USA). In dieser Zeit startete Peter Schlegel aber die erstaunliche Sensibilität dieser Untersuchungen zur Analyse der neurona- Urodelen für das Erdmagnetfeld. len Mechanismen, welche die Grundlage Offensichtlich gibt es markante Unterschie- für die Codierung von Echoortungslauten de im genetischen Programm für diese der Fledermäuse darstellen. Orientierungsleistung zwischen den Spe- Nach dem Ende des DFG-Projekts zies, die als „typische“ Höhlentiere einge- über die elektrischen Fische schwenkte stuft werden, und solchen, die erst nach Peter Schlegel endgültig um auf die Fle- der letzten Eiszeit eingewandert sind. dermausforschung, die dann für fast 20 Diese Untersuchungen in Pyrenäenhöhlen, Jahre (1974 bis 1995) sein Hauptarbeits- die in Kooperation mit dem Laboratoire gebiet blieb. Peter Schlegel arbeitete in Souterrain CNRS de Moulis (Frankreich) dieser Zeit in der Arbeitsgruppe von Prof. durchgeführt wurden, hat Peter Schlegel Neuweiler, zunächst von 1974 bis 1982 an ergänzt durch Analysen der Unterwasser- der Goethe Universität in Frankfurt, dann hörfähigkeit von Grottenolmen aus Slowe- nach dem Umzug der Arbeitsgruppe von nischen Höhlen – in Kombination mit Un- 1982 bis 1995 an der LMU in München. tersuchungen der Elektro- und Magneto- Peter Schlegel untersuchte zum Beispiel sensitivität dieser Spezies. In den letzten die neuronale Repräsentation von biolo- Jahren seiner universitären Forschung hat gisch relevanten Hörreizen und Echo- Peter Schlegel in Zusammenarbeit mit der ortungslauten bei verschiedenen Fleder- Arbeitsgruppe Fleissner an der Universität mausarten. Er analysierte aber auch im Frankfurt versucht die Magnetrezeptoren Rahmen von psychoakustischen Versuchen der Urodelen histologisch zu lokalisieren. den „Hörraum“ von Versuchspersonen. Die erfolgreichen Pilotversuche konnten Für diese Forschungsprojekte wurden alt- aber leider wegen seiner schweren Krank- bekannte Methoden (Bekesy-Tracking- heit und seines zu frühen Todes nicht ab- Methode) von ihm entscheidend verbes- geschlossen werden.

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1980 habilitierte sich Peter Schlegel für Freund, der – ohne großes Aufheben zu das Fach Zoologie an der Goethe machen – auch in kritischen Situationen Universität Frankfurt, und hatte an der LMU bereit war, zu helfen. Peter Schlegel hatte, München dann 1982 die Stelle eines was heutzutage selten zu werden scheint, Akademischen Rats, später Oberrats inne. eine sehr breite Allgemeinbildung und ein 1991 wurde er zum apl. Professor ernannt. großes kulturelles Interesse, das sich nicht Peter Schlegel hatte viele „Schüler“, die, zuletzt auch in seiner Liebe zur Musik und obwohl sie inzwischen ihre eigene interna- seiner Kochkunst widerspiegelte. tionale akademische Laufbahn eingeschla- Peter Schlegel hinterlässt eine Frau und gen hatten, immer noch mit ihm in engem eine Tochter. wissenschaftlichen Austausch standen. Er war uns nicht nur ein guter Kollege, sondern vielen von uns ein sehr guter

Prof. Dr. Gerta Fleissner, Prof. Dr. Günther Fleissner Zool. Institut d. Universität Siesmayerstr. 70 D-60054 Frankfurt

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Nachruf auf Martin Lindauer 19.12.1918 – 13.11.2008

Bert Hölldobler

Am 13. November 2008, etwa einen Monat vor seinem 90. Geburtstag, ist Pro- fessor Dr. Dr. h.c. mult. Martin Lindauer, einer der großen Pioniere der Verhaltens- physiologie und experimentellen Sozio- biologie, gestorben. Er war wohl der er- folgreichste Schüler des Nobelpreisträgers Karl von Frisch und er hat die von ihm begründete Schule mit seinen eigenen, überaus originellen Forschungen und mit einer erstaunlich erfolgreichen Gruppe von Schülern brillant fortgesetzt. Zu Recht spricht man heute von der von Frisch-Lin- dauer-Schule. Martin Lindauer ist am 19. Dezember 1918 auf einem kleinen Bauernhof am Fuße der Alpen in der Nähe von Oberam- mergau geboren. Als Zweitjüngster von 15 Geschwistern wuchs er in einer wirt- schaftlich armen Bergbauernfamilie auf, Martin Lindauer im Jahre 1976 aber die harte Arbeit auf dem Hof der Foto: Privatarchiv Eltern, die unmittelbare Nähe zur Natur Plätzen sogar Frauenschuh unseren Weg. und zu den Bienenstöcken seines Vaters Im Sommer machten uns Gewitterstürme haben ihn geprägt. Er besuchte die Volks- zu schaffen und im Winter mussten wir uns schule in Bad Kohlgrub und schilderte ein- mühsam durch den tiefen Schnee eine mal diese frühe Jugendzeit mit den Wor- Spur bahnen. Ich bin sicher, dass damals ten: „Es war ein einfaches, ja hartes Leben, meine erste Liebe zur Biologie und damit das wir Kinder damals in den Zwanziger zu meinem späteren Beruf geweckt wur- Jahren führten. Es gab noch keinen Schul- de.“ Durch die Hilfe des Lehrers und Pfar- bus, aber ich möchte in meiner Erinne- rers erhielt der begabte Schüler ein Sti- rung nicht den mühsamen Schulweg durch pendium im Internat des Franziskaner- die Waldschlucht missen, wo wir die vier gymnasiums in Landshut, in das er 1930 Jahreszeiten naturnah erlebten. Im Frühling eintrat und wo er bis zum Abitur 1939 blei- säumten Schneeglöckchen, Enziane, ben konnte. Er erzählte oft, wie sehr ihn Schlüsselblumen und an versteckten die hervorragenden und aufrechten Lehrer

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Erinnerung an diese Zeit schrieb er einmal: „Verwundet aus Russ- land zurück gab es mit- ten im Trümmerhaufen materieller und ideeller Werte einen unerwarte- ten Hoffnungsschim- mer, als ich von einem Münchner Lazarett aus in die Vorlesung „All- gemeine Zoologie“ von Karl von Frisch hinein- stolperte. Die objektive und ehrliche Arbeit an „Gruppenbild mit VW“. Karl von Frisch (Mitte) mit Martin Lindauer der Wissenschaft und (ganz links) und zahlreichen Mitarbeitern nach einem Stufenversuch an den Bienen hat mich zur Entfernungsweisung der Biene im Forstenrieder Park bei seitdem nicht mehr los- München 1953. Foto: Privatarchiv gelassen.“ am Gymnasium prägten. Offensichtlich hat Karl von Frisch wurde auf den hoch ihr Vorbild Martin Lindauer und einige sei- motivierten und begabten Studenten auf- ner Schulkameraden bestärkt, den Eintritt merksam und bald darauf hat er ihm im in die Hitlerjugend der Nationalsozialisti- Frühjahr 1945 eine Doktorarbeit angebo- schen Diktatur zu verweigern. Als Straf- ten. Ein Jahr zuvor hatte Karl von Frisch aktion wurden diese jungen Männer acht eine revolutionäre Entdeckung gemacht. Tage nach dem Abitur in ein „Musterla- Nach der Zerstörung des Münchner ger“ des Arbeitsdienstes beordert, zu Zoologischen Instituts auf seinen Familien- Bauarbeiten im Konzentrationslager sitz Brunnwinkel am Wolfgangsee zurück- Dachau, und nach Ausbruch des zweiten gezogen, untersuchte er den Einfluss von Weltkrieges wurden sie in eine Sonder- Düften für den gezielten Einsatz der Bie- kompanie der Wehrmacht eingezogen. nen zur Bestäubung in der Landwirtschaft. Während heftiger Gefechte im Kampf um Dabei gelang es ihm, den Kommunika- Stalingrad wurde Martin Lindauer am lin- tionscode des Schwänzeltanzes der ken Oberarm schwer verletzt. Das mag Honigbienen zu entschlüsseln. Das war ihm das Leben gerettet haben, denn er eine sensationelle Entdeckung: Die rekru- konnte in die Heimat zurückkehren und tierende Futtersammlerin kann ihren Nest- war fortan kriegsuntauglich, sodass ihm genossinnen mit Hilfe des Schwänzeltan- die letzten Vernichtungskämpfe um Stalin- zes Richtung und Entfernung einer neu grad erspart blieben. Martin Lindauer war entdeckten, ergiebigen Futterquelle anzei- einer der nur drei Soldaten der Sonder- gen. Martin Lindauer sollte nun herausfin- kompanie, die Stalingrad überlebten. In den, wie die Schwänzeltänze durch den

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Duft und Geschmack des Futters beein- Tanz Richtung und Entfernung des mögli- flusst werden. Bereits bei diesem ersten chen Quartiers an, und die Lebhaftigkeit großen Forschungsprojekt zeigte Martin ihrer Tänze scheint mit der Qualität des Lindauer seine Originalität und hervorra- Quartiers korreliert zu sein. Zunächst zeigt gende Beobachtungsgabe. Er hat zwar jede „Quartiermeisterin“ die von ihr ent- alle Nuancen der Duft- und Geschmacks- deckte mögliche Behausung an, aber variationen durchgetestet, aber ihm fiel schließlich kommt es wie in einem parla- auf, dass es eigentlich auf etwas ganz an- mentarischen Abstimmungssystem zur deres ankommt, wenn man die Modulation Mehrheitsentscheidung und der gesamte des Tanzverhaltens verstehen will. Ent- Schwarm samt Königin zieht in die von der scheidend sind die Wetterverhältnisse Mehrheit bevorzugte neue Wohnung. Die- sowie Futterfluss und Futterbedarf im se 1955 veröffentlichte Arbeit „Schwarm- Bienenvolk. An kühlen Tagen, wenn relativ bienen auf Wohnungssuche“ ist heute wenig Nektar von den Sammlerinnen ein- noch ein Klassiker; weiterführende Unter- gebracht wird, tanzen die Sammlerinnen suchungen jüngerer Bienenforscher bauen bereits bei sehr niedriger Zuckerkonzen- alle auf diesen Entdeckungen von Martin tration der Futterquelle, während an sonni- Lindauer auf. gen, heißen Tagen, wenn reichlich Nektar Diese Arbeiten hat Martin Lindauer vor eingebracht wird, rekrutierende Sammle- allem während seiner Assistentenzeit bei rinnen nur dann tanzen, wenn die Zucker- Karl von Frisch in Graz (1948–1950) und konzentration der neuen Futterquelle München (1951–1955) gemacht. Im Jahre besonders hoch ist. Aber wie werden die 1955 wurde er an der Ludwig-Maximilian Futtersammlerinnen über den Bedarf im Universität in München habilitiert. Es folg- Stock informiert? Das Maß dafür ist die ten äußerst produktive Forschungsreisen Zeitspanne, die eine neu ankommende nach Sri Lanka (Ceylon), wo er die Tanz- Sammlerin warten muss, bis ihr die einge- kommunikation bei den Zwerg- und Rie- brachte Nektarladung von Stockbienen senhonigbienen untersuchte, und nach abgenommen wird. Diese zunächst ein- Brasilien, wo er gemeinsam mit Warwick fach anmutenden Beobachtungen haben Kerr erstmals die Kommunikationsmecha- später zu vielfältigen Untersuchungen nismen der stachellosen Bienen erforschte. über soziale Regelkreise geführt. In ähnli- Außerdem hat er mit raffiniert ausgearbei- cher Weise hat Lindauer später experi- teten Versetzungsversuchen, bei denen mentell zeigen können, wie die Tempera- ganze Bienenvölker über Nacht mit dem turregulierung im Bienenstaat funktioniert, Flugzeug von Sri Lanka nach Indien ver- oder wie beim Schwärmen die Bienen setzt wurden, nachweisen können, dass eine neue Behausung finden. Er hat erst- Honigbienen, die den Außendienst antre- mals nachgewiesen, dass auch hierbei der ten, zunächst die jeweilige Richtung der Schwänzeltanz das entscheidende Kom- Tageswanderung der Sonne lernen und munikationsmittel ist. Die erfolgreichen mit ihrer inneren Uhr synchronisieren müs- quartiersuchenden Bienen kehren zur sen. Offensichtlich handelt es sich hier um Schwarmtraube zurück und zeigen beim einen prägungsähnlichen Lernvorgang,

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nisse zu veröffentlichen. Er soll gesagt haben: „Jeder wird uns für verrückt halten, wenn wir solche Leistungen von den Bie- nen erwarten.“ Aber Martin Lindauers Ver- suche haben jeden Zweifel beseitigt: Bie- nen wurden trainiert in einer bestimmten Himmelsrichtung am Nachmittag Futter zu finden. Über Nacht wurde der Bienenstock an einen völlig anderen Ort gebracht, und am Morgen sind die Bienen exakt in die Richtung geflogen, in der sie am Vortag nachmittags Futter fanden. Außerdem ent- deckte Martin Lindauer die so genannten Dauertänzer, die, ohne den dunklen Stock zu verlassen, non-stop tanzen, und regel- mäßig ihre Richtungsanzeige der Sonnen- wanderung anpassen. Leider erfährt man heute zu oft, dass wissenschaftliche Fähigkeit am methodi- Am Bienenfuttertisch im Jahr 1996 schen Rüstzeug gemessen wird. Die Origi- (Foto: Helga Heilmann) nalität der wissenschaftlichen Fragestel- denn der Lernprozess scheint immer am lung erscheint zweitrangig. Der viel zu früh Beginn der Außendienstphase abzulaufen, verstorbene Physiologe Ernst Florey hatte und eine einmal gelernte Richtung des in seiner Laudatio anlässlich der Verlei- Sonnenlaufs kann von derselben Biene hung der Karl Ritter von Frisch Medaille an nicht „umgelernt“ werden. Martin Lindauer im Jahre 1986 folgendes Neben all diesen großartigen Arbeiten dazu zu sagen: zur Soziobiologie und Verhaltensphysio- „Es lohnt sich, einmal einen Blick auf logie der Honigbienen hat Martin Lindauer Lindauers Arbeitsmethode zu werfen. Er gemeinsam mit Karl von Frisch weitere arbeitet weder mit monoclonalen Antikör- bahnbrechende Arbeiten zur Sonnenkom- pern, noch mit Mikroelektroden oder mit passorientierung der Bienen veröffentlicht. der patch-clamp-Technik. Er befasst sich Es war der erste experimentelle Nach- nicht mit Kalzium-bindenden Proteinen, weis, dass Bienen ihre innere Uhr mit dem noch mit Ionenkanälen, er verwendet Tagesgang der Sonne verknüpfen und keine Gelelektrophorese oder Hochdruck- somit mit dem Sonnenstand (bzw. dem Flüssigkeitschromatographie, – was er Muster des polarisierten Himmelslichtes) untersucht, sind merkwürdig intakte Lebe- zu jeder Tageszeit die genaue Kompass- wesen. Natürlich nimmt er auch einmal richtung bestimmen können. Es wird er- das eine oder andere Tier auseinander zählt, dass Karl von Frisch zunächst gezö- und untersucht seinen Organe unter dem gert habe, diese bahnbrechenden Ergeb- Mikroskop, ja manchmal ist er gar nicht

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abgeneigt, die erwähnten Techniken ein- ein Ruf an die Universität Frankfurt/Main. zusetzen, um mehr über die Funktionswei- Martin Lindauer entschloss sich, im Lande se seiner Organismen zu erfahren. Und zu bleiben und nahm 1963 den Ruf als o. doch bleibt er der ursprünglich gestellten Professor und Direktor des Zoologischen zoologischen Fragestellung treu: Wahr- Instituts an der Universität Frankfurt an. nehmen, Lernen, Gedächtnis, Orientierung Bald wurde Frankfurt zum Mekka der und Sozialverhalten kann man eben nicht experimentellen Verhaltensforschung und auf der molekularen Ebene untersuchen, Sinnesphysiologie. Martin Lindauer zog ehe man überhaupt weiß, was denn die junge Wissenschaftler an, die er für verhal- Wahrnehmungsleistungen, die Lernleistun- tensphysiologische Forschung begeisterte, gen, die Gedächtnisleistungen, die Orien- er gab ihnen viel Unabhängigkeit zur ei- tierungsleistungen eigentlich sind, deren genen wissenschaftlichen Entwicklung, Mechanismen da untersucht werden sollen. sparte aber auch nicht an hilfreicher Kritik Die so rasante Entwicklung der Technik und förderte den akademischen Nach- droht heute die biologische Forschung mit wuchs mit einem erstaunlichen Gespür für Macht zu überrennen. Konnte man früher Talent und Integrität. Es gibt in der Tat nur noch fragen << Was ist die Antwort? >>, so wenige akademische Lehrer, die so viele müsste man heute eigentlich hören << Was erfolgreiche Schüler hervorgebracht ist die Frage? >>!" haben, wie es ihm gelungen ist. Dem kann ich nur voll zustimmen: Martin Lindauer war ein warmer, be- Methoden kann nahezu jeder halbwegs scheidener, naturverbundener Mensch, intelligente Mensch lernen. Zur originel- der für seinen Beruf als Universitätslehrer len wissenschaftlichen Fragestellung ge- und Forscher lebte und das private Leben hört eine besondere Begabung, die Martin oft hintan stellte. Wegen seiner bescheide- Lindauer auszeichnete. nen Art wurde er bisweilen von einigen Im Jahre 1961 wurde Martin Lindauer seiner deutschen Kollegen unterschätzt, zum a.o. Professor an der Universität Mün- denn die schnelle, manchmal schnoddrige chen ernannt. Um diese Zeit war er längst und Effekt haschende Art der Diskussion ein international bekannter Wissenschaft- lag ihm nicht. In Seminaren und Kolloquien ler, denn er wurde bereits 1959 eingela- hat er uns immer wieder verblüfft mit sei- den, an der Harvard Universität die hoch nen pointierten und originellen Fragen und angesehenen Prather-Lectures zu halten. Vorschlägen. Manuskripte, die wir, seine Aus diesen Vorlesungen, in denen er seine Mitarbeiter, ihm vorlegten, hat er Wort für vielfältigen Entdeckungen zur Verständi- Wort durchgearbeitet und nach einigen gung der Bienen vorstellte, entstand das Tagen mit vielen wertvollen Verbesse- Buch "Communication Among Social rungsvorschlägen uns wieder in die Hand Bees", das ein wahrer Bestseller wurde. Es gedrückt. Wenn er mit dem Inhalt zufrie- folgten Rufe an die University of Ottawa den war, ermutigte er uns mit den Worten: (1960), University of Syracuse, USA (1961) "Dazu kann ich Ihnen nur gratulieren". Wie und auch Harvard streckte seine Fühler viel er seinen Schülern und Mitarbeiterin aus. Etwa in dieser Zeit erreichte ihn auch gegeben hat, stellten viele von uns erst

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später fest, als wir selbst Universitätspro- me integrierende Persönlichkeit hat viel fessoren waren. Hubert Markl hat seinen dazu beigetragen, dass es in Würzburg Doktorvater Martin Lindauer einmal mit nie zu den akademischen Anfeindungen einem sehr hohen Berg verglichen, dessen und Neidereien zwischen Vertretern ver- Gipfel man erst aus der Ferne erkennt. schiedener biologischer Disziplinen kam. In die Frankfurter Zeit fielen die aufre- Für seine Verdienste hat ihm die Univer- genden Arbeiten, die Martin Lindauer z.T. sität im Jahre 1995 die höchste Auszeich- zusammen mit Schülern durchgeführt hat, nung, die „Bene Merenti in Gold“ verlie- zum Mustererkennen der Bienen, zur hen. Orientierung der Insekten im Duftfeld, zum In Anerkennung seiner Leistungen sind Lernen und Gedächtnis der Bienen, zur Martin Lindauer zahlreiche Auszeichnun- Fähigkeit der Bienen, das magnetische gen und Ehrungen nationaler und interna- Feld wahrzunehmen, um nur einige der tionaler Gremien zuteil geworden. Er wur- wichtigsten Forschungen zu nennen. Es de zum Mitglied in sieben Akademien waren überaus produktive zehn Jahre, gewählt, darunter die Deutsche Akademie wovon allerdings die letzten 3-4 Jahre von der Naturforscher Leopoldina und die den politischen Umwälzungen an der Uni- National Academy of Sciences (USA). Er versität überschattet waren. Vielleicht hat war außerdem Ehrenmitglied der Deut- er damals einige Male bedauert, nicht den schen Zoologischen Gesellschaft, die ihm Ruf an die neu gegründete Universität 1986 die Karl-von-Frisch-Medaille und Konstanz, der ihm 1967 erteilt wurde, den Wissenschaftspreis verlieh. Die Uni- angenommen zu haben. versitäten Zürich, Umeå und Saarbrücken Anfang der 70er Jahre wurde es einsam haben ihn mit der Ehrendoktorwürde ge- in Frankfurt. Wegen der heftigen politi- ehrt. Im Jahre 1983 wurde Herrn Lindauer schen Unruhen und ewig dauernden, das Bundesverdienstkreuz am Bande ver- meist sinnlosen Sitzungen und Streitereien liehen, 1986 erhielt er das Bundesver- war eine vernünftige Lehre und hochkarä- dienstkreuz 1. Klasse und 1998 ehrte ihn tige Forschung kaum mehr möglich. Eine der Freistaat Bayern mit dem Maximilians- Reihe der Mitarbeiter haben Rufe an in- Orden. Unter den vielen weiteren Aus- und ausländische Universitäten erhalten. zeichnungen soll noch eine genannt wer- Es gab eigentlich nichts mehr, was Martin den, die ihn besonders gefreut hat: 1984 Lindauer in Frankfurt hielt. Als ihn 1973 der machte ihn der Deutsche Imkerbund zum Ruf an die Universität Würzburg erreichte, Ehrenimkermeister. Diese Auszeichnung zögerte er nicht, in die bayerische Heimat unterstreicht, dass Martin Lindauer bei all zurückzukehren. Bald übernahm er hier seinen großen wissenschaftlichen Erfolgen Ämter und Aufgaben der akademischen und internationalen Ehrungen stets boden- Selbstverwaltung. So war er viele Jahre ständig mit der Praxis verbunden geblie- Vizepräsident der Universität. Seine war- ben ist.

Prof. Dr. Bert Hölldobler Biozentrum, Zoologie II, Universität Würzburg, D-97074 Würzburg

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Nachruf auf Franz Peter Fischer 12. 8. 1950 – 27. 11. 2008

Geoffrey A. Manley

Ende November letzten Jahres verstarb überraschend Prof. Dr. Franz Peter Fischer. Mit ihm verloren seine Frau und seine Kin- der ihren liebenden Ehemann und Vater. Darüber hinaus vermissen Kollegen vieler Organisationen, in denen er mitgewirkt hat, den außergewöhnlich talentierten, herz- lichen und engagierten Mitarbeiter und Freund. Als Sohn eines Lehrers lernte Franz Peter Fischer früh die Begeisterung seines Vaters an der Natur zu teilen und weiterzu- geben. Das Kennenlernen vieler Tiere und ihrer Lebensweise hat seinen Werdegang initiiert. Nach dem Studium der Biologie mit anschließender Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München, als Schüler Max Renners, begann er seinen Foto Privatarchiv Beruf als erster wissenschaftlicher Mitar- beiter der Zoologie an der Technischen mischen Rat beschäftigen zu können und Universität München, bald danach als eine Dauerstelle zu besetzen, denn er war Akademischer Rat. zweifelsohne sehr kompetent und ich Franz Peter war Gründungsmitglied der konnte auf seine Erfahrung in der Lehre Zoologie an der Technischen Universität und mit dem deutschen „System“ bauen. München, de facto war er der Gründer. Er Zu Beginn entwarf er einen Lehrplan, ohne unterrichtete nämlich – noch an der zu dem Zeitpunkt zu ahnen, dass diese Ludwig Maximilians Universität – im Auftrag Tätigkeit ihn später im Amt des Studiende- des damaligen Ordinarius für Botanik und kans weiter begleiten würde – ein Amt, das Vertreter der Zoologie an der TUM, Prof. damals nicht einmal existierte. In all den Ziegler, die Studenten der TUM an der darauf folgenden Jahren ist Franz Peter eine LMU bis zur Besetzung des Lehrstuhls für unersetzliche Stütze gewesen. Zoologie. Als ich dann den Ruf bekam und Fischers Fähigkeiten in der Lehre waren als relativ junger Engländer versuchte in nicht nur sehr gefragt, er war sich darüber Deutschland den Lehrstuhl aufzubauen, hinaus auch für keine Arbeit zu schade. Im war ich sehr froh, Franz Peter als Akade- Zusammenhang mit dem Aufbau des

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Lehrstuhls gab es viel zu tun und Franz gewesen wäre - mehr als jeder Andere. Zu- Peter war maßgeblich beteiligt die vielen dem hatte er bei den Studierenden eine leeren Räume mit Leben, in Form von außergewöhnliche Vertrauensstellung. Forschung und Lehre, zu füllen. Nicht nur in Noch bevor Franz Peter Fischer Studien- jener Zeit hat er sich als unschätzbar dekan wurde, fanden die Studenten bei zuverlässig, geschickt, belastbar und ihm stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen äußerst kooperativ erwiesen. Ich wurde und Nöte, sie suchten seinen Rat und stets von Neuem beeindruckt, mit welcher schätzten seine pragmatisch-praktische Selbstverständlichkeit und Kompetenz er Hilfestellung. Es gelang ihm mit wenigen Arbeiten übernahm, die uns gemeinsam Sätzen zeitweilig verwirrte und orientie- fremd waren, wie z.B. die Abstimmung von rungslose, verzweifelte und verzagte junge Bauplänen mit dem Bauamt in vielen Menschen aufzufangen und wieder auf die Details. Wir durften früh erkennen, was „rechte Spur“ zu setzen. Bei aller Nachsicht Franz Peter Fischer ein Leben lang aus- und allem Verständnis ließ er es jedoch zeichnete: die bereitwillige Übernahme andererseits auch nicht an der erforderli- von z. T. unbeliebten Arbeiten, die er chen Strenge mangeln. Kurz: er verschenk- unverzüglich, gekonnt und mit Humor aus- te nichts, außer fairen Chancen für alle! führte. In den Anfangsjahren der Zoologie an Franz Peter Fischers, nicht nur von der TUM blieb Franz Peter Fischer noch Studenten geschätztes Wissen in der Bio- etwas Zeit zum Forschen. Seine während logie der Tiere ist legendär – was für ein der Doktorarbeit gewonnenen Erfahrungen Zoologe! Seine Kenntnisse erlaubten ihm mit dem TEM nutzend (seine Doktorarbeit spannende und stets aktuelle Vorlesungen war eine ultrastrukturelle Untersuchung der zu halten, und die von ihm durchgeführten Aestheten der Käferschnecken) schloss er Exkursionen waren ebenso lehrreich wie sich meinem Team an und wurde für die begehrt, vor allem jene an die Adria-Küste Aufklärung der Feinstruktur der Haar-Sin- nach Filip Jakov und Rovinj. Die Studieren- neszellen des Hörorgans der Vögel und den, die seine Vorlesungen besuchten, an deren Innervierung zuständig. Obwohl seinen Exkursionen teilnahmen oder auch dies kein in Gänze unerforschtes Gebiet seinen Rat als Studiendekan suchten, war, machte Franz Peter dennoch bahnbre- schätzten besonders seine Begeisterungs- chende Entdeckungen, z.B. indem er zei- fähigkeit an allem Lebendigen. Er wusste gen konnte, dass es im äußeren Bereich nicht nur auf Anhieb zahllose Spezies zu des Hörorgans einen erheblichen Prozent- benennen, sondern konnte auch Auskunft satz Sinneszellen gibt, die überhaupt keine über deren Geschlecht, Lebensweise und afferente Verbindungen zum Gehirn ha- Entwicklungsstadium geben. Seine Arten- ben. Bis heute sind das die einzigen be- kenntnis war schlicht phänomenal. Er war kannten Sinneszellen, die keine direkte ein inspirierender Lehrer mit bewunderns- Interaktionsmöglichkeit zum zentralen Ner- wert breitem Wissen. Jedes Jahr hat Franz vensystem haben, eine Tatsache, die unse- Peter freiwillig eine beträchtlich höhere re Vorstellung zur Funktion des Hörorgans Lehrbelastung getragen als seine Pflicht buchstäblich umwarf.

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Landwirtschaft dazu führte, die Heide suk- zessive ihrer ursprünglichen Biotopstruktur wieder anzugleichen. Für diese Datenerhebung hat Franz Peter Fischer - auch in den lokalen Gemeinden – großes Lob erhalten. In seinen Ämtern als Schriftführer der Kommission für die Biologie-Ausbildung, aber vor allem später als langjähriger Studiendekan der Biologie, hat Franz Peter jahrelang immens viel dazu beigetragen, dass die Biologie an der TUM (obwohl sie die kleinste in ganz Deutschland war und ist) stets in den obersten Rängen der Ver- gleichslisten rangierte. Im Amt des Stu- diendekans zeigte Franz Peter Fischer seine Kompetenz und Managerqualitäten. Für Sitzungen in diversen Hochschulgre- mien und in Verhandlungen aller Art war er Der Zoologe F.P.Fischer auf einer Exkursion stets fundiert und bestens vorbereitet und Foto Privatarchiv zeigte großes strategisch-taktisches Ge- Passend zu seinen vielseitigen Interes- schick. Arroganz und Selbstüberschätzung sen, begann Franz Peter parallel zur Hör- waren in keinem Falle Eigenschaften, mit forschung eine langjährige ökologische denen Franz Peter Fischer zu charakterisie- Studie an einem ursprünglichen Heidege- ren wäre. Er hat sich für die Studenten ein- biet, der „Garchinger Heide“. Dieses Vor- gesetzt wie kein anderer und trat ein für haben entsprach seiner Vorstellung, For- das, was sinnvoll ist, was gut ist, was nach- schung und Engagement für die Umwelt zu haltig ist. Er verstand es, die Interessen von verbinden und die Landschaftsentwicklung Studierenden und Dozenten zu vereinbaren voranzutreiben. Außerdem war dies ein und sie mit Nachdruck nach außen zu ver- Projekt, das viele Möglichkeiten zur Betei- treten. Es gelang ihm – und ich bin über- ligung von Studierenden erlaubte. Franz zeugt, ausschließlich ihm – den vollkom- Peter entwickelte eine neue und effiziente menen Überblick über die vielen Fach- Methode, Populationen von Heuschrecken prüfungsordnungen und Änderungssatzun- mit Hilfe der Gesänge von Indikatorarten gen zu behalten, um jeden einzelnen Stu- zu kartieren. Dies ermöglichte die Quanti- denten dementsprechend sachkundig fizierung von Heuschreckenpopulationen beraten zu können. Zudem vollbrachte er über den Zeitraum vieler Sommer durch es stets, innerhalb kürzester Zeit, notwendi- relativ wenige Mitarbeiter. Im Vergleich der ge neue Ordnungen zu gestalten. Er war Jahre konnte gezeigt werden, dass die der Erste in der gesamten Technischen Extensivierung der direkt angrenzenden Universität München, der einen Bachelor-

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Studiengang durch die Akkreditierung Bestreben galt stets dem größtmöglichen brachte. In Zeiten, in denen die Universi- Ausgleich unter allen Beteiligten. täten von den Regierungen sträflich ver- Nach langjähriger Mitgliedschaft in der nachlässigt wurden (und werden) hat Franz Deutschen Zoologischen Gesellschaft wurde Peter im Hintergrund hart gearbeitet und er vor vier Jahren als 1. Schriftführer und so geschickt verhandelt, dass unsere Schatzmeister in den Vorstand berufen. Er Studenten kaum bemerkt haben, schwierig führte die Geschicke der DZG und kümmer- die Situation in der Lehre im Grunde war. te sich vor allem um den Nachwuchs und Generationen von Studierenden fanden in die finanzielle Gesundheit der Gesellschaft, ihm, bei kleinen sowie größeren Pro- beides mit großem Erfolg. Wie bei seinen blemen, stets einen aufmerksamen Zuhö- Exkursionen, fand er auch bei Tagungen rer, haben seinen Rat eingeholt und gera- immer die Zeit und die Energie, sich über dezu Fürsorge genossen. Dies zeigte sich die Städte und ihre kulturellen Angebote zu darin, dass die Studentenschaft ihn immer informieren und gelegentlich auch beispiels- wieder als Studiendekan wollte und auch weise eine Oper zu genießen. zuletzt darin, dass zu seinem Begräbnis Man fragte sich oft, woher er die Kraft nicht weniger als zwei ganze Busladungen nahm, der Fülle an Aufgaben und Anforde- mit Studenten gekommen waren. Mit Franz rungen gerecht zu werden, die an ihn Peter Fischer haben wir einen der enga- herangetragen wurden, all die Rückschläge giertesten und studentenfreundlichsten und Sysiphosarbeiten hinzunehmen, die im Professoren unserer Universität verloren. Hochschulbetrieb zwangsläufig dazu Franz Peter war auch Mitglied und meh- gehören. Die Lösung ist erstaunlich einfach: rere Jahre lang Vorsitzender der Kreis- Da war stets die Familie in seinem Rücken, gruppe Pfaffenhofen des Bundes Natur- die ihm Halt gab. schutz. Er führte die Gruppe mit Pflichtbe- Wir können alle von Franz Peter lernen, wusstsein und Überzeugungskraft, Be- von seiner Bescheidenheit, Zuverlässigkeit, scheidenheit und Unbestechlichkeit im seinem Einfühlungsvermögen, seinem Denken, Reden und Handeln. Typisch für Humor selbst in schwierigsten Situationen, sein Engagement war die Organisation vor allem aber von seiner absoluten Fair- eines „Runden Tisches“ unter Beteiligung ness und seiner menschlichen Wärme. von Landwirten, Jägern, Fischern, Ge- Wir trauen mit seiner Frau Lissy und meinden, Landratsamt, Unterer Natur- seinen drei Kindern Richard, Veronika und schutzbehörde, Landesbund für Vogel- Barbara um einen wahren Freund, der ein schutz und Wasserwirtschaftsamt, um erfülltes Leben hatte, und der unser aller gemeinsam nach Konsens-Lösungen für Leben vielfältig und in sehr positiver Weise unsere Umwelt und Natur zu suchen. Sein beeinflusst hat.

Prof. Dr. Geoffrey A. Manley, Institut für Zoologie Technische Universität München Hochfeldweg 2, 85003 Freising

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Nachruf auf Otto von Helversen 9.8.1943 – 2.2.2009

Bernhard Ronacher, Harald Wolf und York Winter

Am 2. März 2009, nur fünf Monate nach seiner Pensionierung, verstarb Prof. Dr. Otto von Helversen an den Folgen einer misslungenen Operation. Otto von Helversen wurde 1943 in Sofia als Sohn eines Diplomaten geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Otto- brunn und Wiesbaden, wo er 1962 das Abitur am humanistischen Gymnasium ablegte. Von 1962 bis 1968 studierte er Biologie und Mathematik (letztere bis zum Vordiplom) an den Universitäten Mainz, Tübingen und Freiburg. Bereits in der Diplomarbeit beschäftigte er sich mit theoretischen Überlegungen zum Farben- sehen der Honigbiene. Daraus entwickel- te sich dann das vorwiegend experimen- tell orientierte Promotionsthema, welches er bei Bernhard Hassenstein bearbeitete Otto von Helversen auf einer seiner Griechenland-Exkursionen der letzten Jahre und 1970 mit der Dissertation „Zur spek- Foto Privatarchiv tralen Unterschiedsempfindlichkeit der Honigbiene“ abschloss. Diese Arbeit war die Schwächen eines Argumentes sofort bereits exemplarisch für sein späteres aufdeckte, die unermüdliche Begeiste- wissenschaftliches Wirken. Sowohl von rung für wissenschaftliche Probleme, wel- der theoretischen Konzeption wie von der che stundenlange Diskussionen nach sich experimentellen Durchführung ist sie von ziehen konnte, aber auch die Fähigkeit höchstem Niveau. Sie ist aber auch ein zur eleganten und prägnanten Darstel- Genuss zu lesen, dank ihrer eleganten lung und eine besondere zeichnerische Darstellung und der klaren Abbildungen, Begabung. Die Zeichnungen von Heu- die in viele Lehrbücher Eingang fanden. schrecken, Spring- und Wolfsspinnen, Aus diesen Charakteristika seiner Fledermäusen und Fledermausblumen Doktorarbeit lässt sich schon die Vielzahl sind ästhetisch ansprechend und treffen der Begabungen erahnen, die so charak- stets das Wesentliche. Zu all diesen Be- teristisch für Otto von Helversen waren: gabungen kam noch eine weitere beson- ein scharfer analytischer Verstand, der dere Fähigkeit: die einzigartige Verbin-

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dung von theoretischen Konzepten und für den Fledermausschutz engagiert, für mathematischer Strenge mit einem um- die Erhaltung ihrer Quartiere gekämpft fassenden biologischen Wissen und einer und tausende Tiere beringt. Ich (B.R.) breiten Artenkenntnis. erinnere mich noch gut, wie wir im tiefen Otto von Helversen war nach seiner Winter, bei Eiseskälte auf den kleinen Promotion bis 1979 Assistent in der Ar- Türmen des Freiburger Münsters herum- beitsgruppe von Bernhard Hassenstein. turnten und Zwergfledermäuse aus Zwei wissenschaftliche Lehrer, die ihn schmalen Spalten fischten, um sie zu ver- neben seinem Doktorvater in dieser Zeit messen und zu beringen. Die Begeiste- stark beeinflusst haben, waren Günther rung für die heimischen und griechi- Osche und Stefan Vogel. In vielen Diskus- schen Fledermäuse hat um diese Zeit sionen mit diesen beiden legte Otto von auch eine fruchtbare Verbindung mit Otto Helversen die Grundlagen für eines sei- von Helversens Faszination für die Tropen ner späteren Hauptinteressengebiete, die gefunden: auf der Hochzeitsreise mit sei- Koevolution von Blumenfledermäusen und ner ersten Frau Dagmar hat er die Blu- Fledermausblüten. Man kann diese Frei- menfledermäuse für sich entdeckt, die für burger Zeit ohne Übertreibung zusam- ihn und viele seiner Schüler dauerhaft menfassen, indem man Otto von Helver- wichtig wurden. sen als den wohl brilliantesten Assistenten Exkursionen waren ein Bestandteil, der in der Freiburger Zoologie bezeichnet. aus dem Leben Otto von Helversens nicht Das blieb nicht unbemerkt und 1978 wegzudenken war, und um den sich viele erhielt er fast gleichzeitig mehrere Rufe; wahre Geschichten und auch viele Le- er entschied sich für Erlangen, wo er seit genden ranken. Wo andere Wissenschaft- 1979 zusammen mit seiner Frau Dagmar ler zu Kongressen eilten, um sich mit neu- eine vielseitig orientierte Arbeitsgruppe en Erkenntnissen zu präsentieren, hat aufbaute. Otto es im Zweifelsfall immer vorgezogen Nur sehr wenige Wissenschaftler auf Exkursion zu gehen. Davon zeugen decken in ihren Arbeiten eine derartige die alljährlichen Exkursionen nach Grie- Breite von Themen ab wie Otto von Hel- chenland, während vierzig Jahren, auf versen. Bereits als 20jähriger veröffent- denen viele Diplom- und Doktorarbeiten lichte er zwei Arbeiten über so verschie- initiiert wurden. Eine erste große Tropen- dene Themen wie Verhalten und Brut- exkursion mit Erlanger Studenten führte biologie des Spornkiebitzes und Be- 1981 nach Malaysia – eine Exkursion, die schreibung von Pseudoskorpionen. In mit ihren vielfältigen Eindrücken aus dem den folgenden Jahren erweiterte sich das Regenwald allen Teilnehmern unvergess- Spektrum um Grillen, Laubheuschrecken lich geblieben ist. Schon im nächsten und Wolfsspinnen – und natürlich um Frühjahr ging es wieder in die Tropen, Fledermäuse: schon in der Freiburger trotz gerade überstandener schwerer Zeit und davor waren Fledermäuse eine Krankheit. Auf dieser Reise nach Vene- seiner großen Leidenschaften. Bereits als zuela wurde eine Pionierarbeit zur Ener- Schüler und Student hatte er sich intensiv getik von Blumenfledermäusen durchge-

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führt, erstmals mit der eleganten Methode ganz neue Forschungsfelder eröffnet ha- der Blutentnahme aus den winzigen Blut- ben, auf denen zahlreiche Folgearbeiten gefässen der Fledermäuse mittels Raub- aufbauen konnten. wanzen. Eine der hervorstechenden Eigen- Von der Vielzahl der insgesamt 150 schaften Otto von Helversens war seine Publikationen sollen hier nur wenige her- Intuition für komplexe biologische Zusam- vorgehoben werden, um einen Eindruck menhänge. Das von ihm bearbeitete Ge- von der Vielfalt der Interessen zu vermit- biet der Blumenfledermäuse und der teln: Gedanken zur Evolution der Paa- Fledermausblumen und ihrer wechselsei- rungsstellung bei Spinnen; Verhaltens- tigen Anpassungen zeigt: erst eine breite genetik der Kommunikationslaute von Formenkenntnis, das Wissen um viele Ge- Heuschrecken, Beschreibung neuer Arten biete der Physiologie und ein Gespür für bei Pseudoskorpionen und Heuschrecken biologische Zusammenhänge – die Otto (z.B. Chorthippus oschei); Entdeckung von Helversen eben alle besaß – ermögli- kryptischer Arten bei Fledermäusen chen das Erkennen neuartiger Probleme (Myotis alcathoe) und Spinnen; Beschrei- und das Stellen grundlegender Fragen. bung der vielfältigen Adaptationen von Die Wirkung von Otto von Helversen Fledermausblüten an ihre Bestäuber; auf andere Menschen läßt sich mit drei Kinematik und Energetik des Schwirrflu- Worten charakterisieren: Begeisterung, ges von Fledermäusen; Energiebilanzen Bewunderung, Berührung. Besonders auf von Fledermäusen, gemessen mit der Exkursionen hat er seine Begeisterung für Doppelt-Schweres-Wasser-Methode. die Natur auf viele Studenten übertragen. Schon auf den ersten Exkursionen machte Viele angehende Wissenschaftler wurden Otto von Helversen auf den charakteristi- auf diesen Reisen für ihr weiteres Leben schen Geruch von verschiedenen Felder- geprägt. Er weckte in den Studenten Be- mausblumen aufmerksam, diese „Par- geisterung wie kaum ein anderer, und er fums“ wurden später auch chemisch ana- wurde bewundert – allerdings hatte die lysiert; die Entdeckung von akustischen Bewunderung für dieses Vorbild immer „Katzenaugen“– Reflektoren bei Fleder- auch den Beiklang der Unerreichbarkeit. mausblumen; die Beschreibung von UV- Die Bewunderung galt einerseits seinem empfindlichen Photorezeptoren in der vielseitigen Wissen und scharfem Ver- Retina von Fledermäusen; die Harem- stand, aber besonders auch seiner Leiden- strukturen der Sackflügel-Fledermäuse. schaft für die Natur. Bei und mit Otto von Diese und viele weitere Arbeiten von Otto Helversen zu arbeiten und zu forschen war von Helversen, auch viele über Feld- und zwar nicht immer ganz einfach, aber es Laubheuschrecken, die er gemeinsam mit war in jedem Fall eine Schule zu Selb- seiner Frau Dagmar publiziert hat, zeich- ständigkeit und gründlicher Analyse. Die nen sich nicht nur durch eine besondere Schärfe seines Intellekts und seiner Argu- Klarheit und Tiefe der Argumentation aus, mentation, gepaart mit einer gewissen Lust sondern sie zeigen noch ein weiteres an Provokation, bargen zwar die Gefahr Merkmal bedeutender Arbeiten: dass sie von Konfrontation. Aber die Konfrontation

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fand immer auf intellektueller Ebene statt sind seine Landkäufe für Naturschutzge- und wurde kompensiert durch Otto von biete in Costa Rica und in Deutschland, für Helversens Charme und seine grundsätz- die er sein Privatvermögen in Form einer lich freundliche Art des Umgangs. Stiftung einsetzte. Otto von Helversen In seinen Vorlesungen hat Otto von beließ es nicht nur bei Worten ,da müsste Helversen den Studierenden den Blick auf man doch was tun’, sondern er handelte das Wesentliche vermittelt, er hat große tatsächlich. Zusammenhänge sichtbar gemacht. Er Otto von Helversen hatte einen ganz konnte tief schürfende Vorträge halten, die eigenen Charme und ein besonderes dennoch alle Zuhörer begeisterten, und Charisma. Er ist auf eine Art immer jung er wirkte so berührend durch seine eige- geblieben und das hat ihn zu einem ganz ne Begeisterung für die Sache. Aber er besonders liebenswerten Freund ge- ging nicht gern auf Kongresse und er war macht. Niemand der mit ihm zusammen- kein Wissenschaftspolitiker. Er war einfach gearbeitet hat, ist von seiner Begeisterung zu klug, um sich auf das Imponiergehabe und seiner mitreißenden Freude an der einzulassen, das auf vielen Kongressen Natur unberührt geblieben. Er hatte noch und in vielen Gremien zu Tage tritt. Dabei so viele große Pläne, die er jetzt nach sei- hat Otto von Helversen wohl mehr bewegt ner Pensionierung mit Elan angehen woll- als manche, die sich als Motoren der Wis- te: Naturschutzgebiete, Bücher über Heu- senschaft verstehen. Sein Engagement für schrecken, über Fledermäuse und viele Naturschutz ist zukunftsweisend. Die Be- weitere Projekte. Der Tod dieses so faszi- geisterung und die vielseitige und solide nierenden und klugen Menschen ist ein Ausbildung, die er vielen jungen Leuten schmerzlicher Verlust – für seine Freunde, vermittelt hat, welche inzwischen wichtige denen er sehr fehlen wird, aber auch für Stellen im Natur- und Umweltschutz ein- die Wissenschaft, denn seinesgleichen nehmen: das ist ein fortdauerndes Ver- gibt es heute nur noch wenige. Unser be- mächtnis unseres Freundes, das man gar sonderes Mitgefühl gilt seiner Frau Corin- nicht hoch genug schätzen kann. Ein na, seinen drei Kindern Thomas, Bettina äußeres Zeichen für sein Engagement und Martin und seiner Mutter.

Prof. Dr. Bernd Ronacher Prof. Dr. Harald Wolf Prof. Dr.York Winter Humbold-Universität Universität Ulm Universität Bielefeld Institut für Biologie Institut für Neurobiologie Fakultät für Biologie Invalidenstraße 43 Albert-Einstein-Allee 11 Universitätstraße 25 D-10115 D-89081 Ulm D-33615 Bielefeld

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Nachruf auf Günther Osche 7. 8. 1926 – 2. 2. 2009

Klaus Peter Sauer

Am 02. Februar 2009 verstarb unser Eh- renmitglied Dr. Dr. h.c. Günther Osche, Professor Emeritus und vormals Direktor am Zoologischen Institut der Universität Freiburg nach einem erfüllten Wissen- schaftlerleben. Er wurde 83 Jahre alt. Mit ihm verliert die Deutsche Zoologie einen leidenschaftlichen Wissenschaftler und Hochschullehrer, der zahlreiche Genera- tionen von Biologiestudenten begeistert und geprägt hat. Die ihn erleben durften beeindruckte die Beharrlichkeit seines Wollens und die Macht seiner Tatkraft und Rede. Die Kunst der Darstellung der Ge- schichte der Mannigfaltigkeit des Leben- digen beherrschte er wie kein anderer, was er in zahllosen, inzwischen schon legendären Reden und Gegenreden, auch Wortgefechten, etwa im Rahmen der „Phylogenetischen Symposien“ und vor allem aber in seinen Vorlesungen und Günther Osche im Alter von 80 Jahren Vorträgen bewiesen hat. Privates Bildarchiv Günther Osche gehörte jener geschun- Dissertation zur Phylogenie einer Gruppe denen Generation an, die 1943 schon das von Nematoden (Fadenwürmer) 1951 zum 17. Lebensjahr erreicht hatte und ihre Dr. phil. nat. promoviert. Im selben Jahr Hochschulreife zwischen Arbeitsdienst heiratete er Elisabeth Riedel; aus der Ehe und Fronteinsatz erwerben musste. Den sind zwei Töchter und ein Sohn hervorge- entsetzlichen Wirrnissen dieser Zeit konn- gangen. te Günther Osche auch nur gezeichnet Die Synthese zweier wissenschaftlicher entkommen. Traditionen und Denkweisen, der kontinen- Nach einem Studium der Zoologie, Bo- tal-europäischen, vorwiegend der Analyse tanik, Geologie, Chemie und Geographie der Gestaltmannigfaltigkeit verpflichteten, an der Universität Erlangen, wurde er mit mit der anglo-amerikanischen, vor allem einer bei Prof. Dr. H.J. Stammer angefertig- der Analyse der Prozesse und Mechanis- ten und summa cum laude bewerteten men zugewandten, beeinflusste die Arbeit

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und das Denken von Günther Osche von keit und vor allem Klugheit, den universel- Anfang an und prägte sein unverwechsel- len Erklärungswert der Modernen Synthe- bares Profil als Wissenschaftler und Hoch- se lehrten. schullehrer. Der prominente Anwalt in Deutschland Günther Osches hohe Begabung zur war Günther Osche. Im deutschsprachi- Synthese, sein Vermögen, das Wesentliche gen Raum hat Günther Osche die evoluti- schnell zu erkennen, sein an der organis- onsbiologische Gedankenwelt besonders mischen Gestaltvielfalt geschulter Scharf- durch sein 1966 erschienenes Hauptwerk blick, ließen ihn nie die kausale Evolu- „Grundzüge der allgemeinen Phyloge- tionsforschung aus dem Auge verlieren, netik“ bestimmt. Diese Standortbestim- wenn er sich mit systematischen Frage- mung der Evolutionsbiologie, die noch stellungen beschäftigte und die historische heute in allen entscheidenden Teilen Be- Evolutionsforschung nicht, wenn er nach stand hat, spiegelt die Persönlichkeit Ursachen und Mechanismen fragte. Osches in seiner Kunst, die dem mikro- Günther Osche war ein Evolutionsbio- wie makroevolutiven Gestaltwandel der loge von außergewöhnlichem Rang. Er hat Organismen zugrundeliegenden Prozesse den wissenschaftlichen Diskurs in der his- klar zu analysieren. torischen Evolutionsforschung im deutsch- Von 1951 bis 1963 war Günther Osche sprachigen Raum und über die nationalen wissenschaftlicher Assistent bei seinem Grenzen hinaus über Jahrzehnte maßgeb- Lehrer am Zoologischen Institut der Uni- lich bestimmt. Sein Einfluss auf die Ent- versität Erlagen. Hier schuf er mit sehr wicklung des Faches Evolutionsbiologie in umfangreichen Arbeiten zur Evolution des Deutschland kann nicht hoch genug einge- Parasitismus die Grundlage für die Ent- schätzt werden. Die von ihm erbrachte wicklung richtungsweisender Konzepte in Leistung zur Entwicklung der Evolutions- der vergleichenden Biologie. Diese Arbei- biologie in Deutschland wird im Spiegel ten zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie des historischen Kontextes am besten es ihm gelingt mit der vergleichenden erkennbar. Methode die Geschichte des Gestaltwan- Die politische Entwicklung zur Zeit des dels kausal zugänglich zu machen. Nationalsozialismus hat sich auf die Evolu- Im Jahre 1963 hat sich Günther Osche tionsforschung in Deutschland tiefgreifend mit einer umfangreichen embryologischen ausgewirkt. Durch die kriegsbedingte Iso- Studie „Zur systematischen Stellung und lation Deutschlands war die wissenschaftli- Phylogenie der Pentastomiden“ habilitiert che Erkenntnis der Modernen Synthese und die venia legendi im Fach Zoologie der Evolutionsbiologie in der Nachkriegs- erworben. Bis 1967 war er als Privatdozent zeit kein Elementarwissen unter deutschen in Erlangen tätig. In dieser Zeit erschienen Biologen. Dass sich unter ihnen die Mo- mit schöner Regelmäßigkeit seine weg- derne Synthese dennoch durchsetzte war weisenden Arbeiten zu den Prinzipien der nicht einfach eine Frage der Zeit; es vergleichenden Formenkunde. bedurfte schon der wissenschaftlichen Günther Osches Kreativität und Pro- Anwälte, die mit besonderer Hartnäckig- duktivität blieb nicht ohne Außenwirkung.

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Im Jahre 1966 erreichten ihn am selben Forschungsgemeinschaft und auch Präsi- Tag zwei ehrenvolle Rufe - als Nachfolger dent der Deutschen Zoologischen Gesell- von Adolf Remane in Kiel und auf den neu schaft. Günther Osches wissenschaftliche eingerichteten Lehrstuhl für Evolutions- Verdienste sind vielfach gewürdigt wor- biologie und Ökologie in Freiburg. Der den: 1969 wurde er korrespondierendes süddeutsch geprägte Osche entschied Mitglied der Akademie der Wissenschaft sich für Freiburg. Mit dem Wechsel nach und Literatur in Mainz, 1969 Mitglied der Freiburg trat Günther Osche in die Blüte- Leopoldina (seit 2008 Nationale Akademie zeit seiner wissenschaftlichen Entwicklung. der Wissenschaften), 1998 korrespondie- Seine fünfstündige Vorlesung zur histori- rendes Mitglied der Gesellschaft Natur- schen Evolutionsbiologie, die „Spezielle forschender Freunde zu Berlin, 2001 Zoologie“ ist heute eine Legende. Ehrendoktor der Mathematisch-Naturwis- Seine bemerkenswerteste wissen- senschaftlichen Fakultät der Rheinischen- schaftliche Synthese gelingt Günther Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn Osche in der kontemplativen Phase seiner und 2006 wurde er zum Ehrenmitglied der Entwicklung als Naturforscher: die kausale Deutschen Zoologischen Gesellschaft Erklärung der Evolution der „lockenden ernannt. Signale“ der Blütenpflanzen. Blütenmale Geduldig, behutsam, gelassen, beharr- sind Pollenimitationen, Attrappen im lich, bescheiden und abgehärtet gegen- Schaufenster der Blütenpflanzen. Solche über allem Modischen, hat er sein Werk Art der Reklame erzwingt Zwittrigkeit. Das geschaffen. Günther Osche war ein Natur- hatte vor Günther Osche keiner so klar forscher. In Zeiten zunehmender reduktio- gesehen und formuliert. Mit dieser außer- nistischer Spezialisierung ist eine solche gewöhnlichen Entdeckung konnte er die Charakterisierung eine wahre Auszeich- Aussagekraft und Unentbehrlichkeit der nung. morphologischen Methode bekräftigen und bestätigen. Wir behalten unseren Freund, Lehrer Günther Osche hat auch fachpolitische und Kollegen Günther Osche in dankbarer Verpflichtungen übernommen. So war er Erinnerung und bleiben ihm verpflichtet. lange Jahre Fachgutachter der Deutschen

Prof. Dr. Klaus Peter Sauer Institut für Evolutionsbiologie und Ökologie An der Immenburg 1 53121 Bonn

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ZOOLOGIE 2009 ZOOLOGIE 2009 Herausgegeben von Mitteilungen Rudolf Alexander Steinbrecht der Deutschen Zoologischen Gesellschaft . Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft

101. Jahresversammlung – Jena 19. – 22. September 2008

Biohistoricum im Zoologischen Museum Alexander Koenig · Bonn Basilisken-Presse · Rangsdorf