TAKASHI TAKASHI MURAKAMI © Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 2020 / 39 Nr. WINTER 2019 EIN KUNSTMAGAZIN

TAKASHI MURAKAMI JULIA SCHER Mary-Audrey Ramirez GIUSEPPE CASTIGLIONE Nr.39 / Winter 2019– 2020 © Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 Irgendwann, das Interview war been­ für eine lange Zeit, bis heute eigent­ AUFTAKT det, und wir waren längst durch jede lich, seinen Markt geschwächt. Eigent­ seiner fußballfeldgroßen Studiohallen lich eine Katastrophe. Aber es ist gelaufen, wollte ich dann doch noch noch komplexer: Am Ende wird Hirst einmal nachhaken. War es nicht reine für genau diese Auktion als sein größ­ Koketterie, wenn Takashi Murakami, tes Kunstwerk erinnert werden, eine ein Künstler mit weit mehr als 200 fest gigantische Performance gewisser­ angestellten Mitarbeitern (und Autor maßen, ausgerechnet an dem Tag, an von The Art Entrepreneurship Theory), dem Lehman Brothers pleitegeht. WENN AUS WEITSICHT ohne den leisesten Anflug von Ironie Wenn Damien stirbt, wird jeder darüber verkündete, er sei vieles, aber bestimmt schreiben. Ein Erfolg, der zur Nieder­ WELTSICHT WIRD. kein guter Geschäftsmann? Hatte er lage wird, und ihn am Ende, in den nicht gerade sein jüngstes Opus mag­ Nachrufen auf ihn, zu einem epoche­ Willkommen an Bord einer Kreuzfahrtflotte, num Die 500 Arhats, ein 100 Meter machenden Künstler werden lässt – die jedem Vergleich vorausfährt – mit kleinen individuellen „War es nicht reine langes Gemälde, an die Königsfamilie ist das nicht fantastisch?“ Schiffen und größter persönlicher Freiheit. Koketterie, wenn von Katar verkauft? Wie Murakami selbst erinnert „Genau dieses Bild beweist ein­ werden will, lesen sie ab Seite 36. Takashi Murakami, mal mehr, dass ich ein schlechter Ge­ Spoiler­Alert: Als „japanischer Warhol“ ein Künstler mit schäftsmann bin.“ Murakami sah mich schon mal nicht. weit mehr als 200 an, als sollte ich ihn trösten. Und er­ zählte dann, wie ihn das Bild fast an CORNELIUS TITTEL fest angestellten den Rand des Bankrotts gebracht hätte. Mitarbeitern, ohne Erst hätte er eine weitere Lagerhalle anmieten, dann dort ein Studio einrich­ den leisesten Anflug ten und schließlich eine hundert Me­ von Ironie verkün dete, ter lange Wand bauen müssen. Das habe er sei vieles, aber ihn bereits zwei Millionen Dollar ge­ kostet. Dann habe er vierzig zusätzliche bestimmt kein guter Assistenten eingestellt, die zusammen Geschäftsmann?“ ein ganzes Jahr an dem Gemälde gear­ beitet hätten. „Und jetzt stellen Sie sich vor, ich hätte das Bild nicht verkauft. Ich wäre erledigt gewesen. Handelt so ein verant­ wortlicher Unternehmer? Ich fürchte nicht. Das Ganze war wie eine Wette, die ich gut hätte verlieren können.“ Kein Wunder, sagt er, dass er in Fällen wie diesen selbst einen Käufer sucht, auf seine Galerien könne er sich da nur bedingt verlassen. „Überhaupt ist es oft so, dass ich in dem einen Monat nicht weiß, wie ich im nächsten die laufenden Kosten bedienen soll. Und dann geht es doch irgendwie, wenn man sich selber ans Telefon klemmt.“ Erfolg sei für Künstlerunternehmer immer relativ. „Schau dir Damien Hirst an, den ich sehr respektiere. 2008 hat er als erster Künstler eine große Auktion mit sei­ nen eigenen Werken gemacht und über 200 Millionen verdient, ein riesiger Er­ folg. Aber gleichzeitig hat diese Auktion Mehr über unsere Luxus- und Expeditionsreisen erfahren Sie unter: www.vor-uns-die-welt.de 5

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57 cm. 10 CONTRIBUTORS / × TO BREAK THE RULES, IMPRESSUM 13 ESSAY YOU MUST FIRST MASTER Hans-Joachim Müller EIN KUNSTMAGAZIN TAKASHI CECIL BEATON Nr. 39 / Winter 2019 – 2020 17 NEUES, ALTES, BLAUES THEM. MURAKAMI Baba Beaton als Cover Art for 6HP: Heloise in 20 DICHTER DRAN , 2005, FKV, Stahl, Acryl und The Character The Great Lovers, Teresa Präauer References and 1927

J., Tinte und Farbe auf Papier, 27 Drawings, Vol. 2, 22 BEWEGTBILD Cherries

, o. Illustration: mebae Andy Hope 1930

22 DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT „Sie verstehen meine Volvo Amazon 28 BLITZSCHLAG

TAKASHI MURAKAMI Position in Japan nicht. Kasper König

Japanische Kritiker 34 UM DIE ECKE Reitender Ayusi mit einer Lanze haben verkündet, Sarajevo, Miljacka-Ufer dass ich die westliche Kunstwelt betrüge. Von oben im Uhrzeigersinn: Sie sagen, ich stehle cm.

100 von ihrer Kultur, × ich sei nur ein Broker, TAKASHI MURAKAMI DER SUPERSTAR ÜBER SEINE LIEBE ZU DEUTSCHER KUNST, der ihre Kultur nach SEINE BEGEGNUNG MIT BEUYS UND WAS MCKINSEY-BERATER Europa, Amerika VON SEINEM GESCHÄFTSIMPERIUM HALTEN WÜRDEN: und China verkauft“ EIN GESPRÄCH s.36 — TAKASHI MURAKAMI

MARY-AUDREY RAMIREZ

2001, Acryl auf Leinwand (montiert auf Holz), 100 TENTAKELMONSTER, KILLERAMEISEN UND MEMORY CRAFT: WARUM BEI DIESER FRAU STOFFTIERE UND STICKBILDER ALLES ANDERE ALS BRAVE HANDWERKSKUNST SIND Melting DOB E., s.30 INFRAROTFOTOGRAFIE | cm. MARY-AUDREY RAMIREZ fotografiert von FRÉDÉRIC SCHWILDEN für BLAU. GIUSEPPE CASTIGLIONE 71 × TAKASHI MURAKAMI 100 × IM AUSSENDIENST KNAPP 400 JAHRE IST ES HER, DASS DER BAROCK- MALER GIUSEPPE CASTIGLIONE NACH CHINA Kioskcover-Flappe:

AUDEMARS PIGUET VERKAUFSSTELLEN AUSWANDERTE. WO ER FORTAN, WEN WUNDERT +49 89 262 049 399 | AUDEMARSPIGUET.COM +49 89 262 049 399 | AUDEMARSPIGUET.COM MÜNCHEN: MAXIMILIANSTRASSE | FRANKFURT AM MAIN: GOETHESTRASSE Urethan-Lack, 200 ES, NICHT EINE KREUZABNAHME MEHR MALTE s.24

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Fotomodell, der 74 WERTSACHEN Uhrzeigersinn: im oben Von Was uns gefällt MIT GOLDAMULETT, 2.Jh. GOLDAMULETT, MIT sich mit hübschen, 78 BLAU KALENDER schwulen Männern Unsere Termine EIN KUNSTMAGAZIN im Winter umgab. Später Nr. 39 / Winter 2019 – 2020 verkaufte er Werbe- 81 BILDNACHWEISE 82 DER AUGENBLICK SCHER JULIA schilder aus seinem Chris Killip

Kofferraum heraus. Chr nach

Meine Mutter war Landscapes Security XLV: Julia By Security ., ., Hausfrau und BEATON CECIL Holz. auf Tempera oder Wachsfarbe extrem übergewich- tig. Und sie war Voyeurin. Ihre Augen blickten in zwei verschiedene Rich-

tungen, sodass man 2002 York), New Galerie, Rosen Andrea der in (Installationsansicht nie wusste, wohin JULIA SCHER sie sah“ VON KALIFORNIEN NACH KÖLN: EIN BESUCH BEI

DER FRAU, DEREN KAMERAS ALLES VORAUSSEHEN – UND James) (später Jungman Zita und Cuthbertson) (später Jungman „Baby“ Teresa —JULIA SCHER DER WIR DOCH NICHTS GLAUBEN DÜRFEN s.56

DER HELLSTE WIE DER FOTOGRAF CECIL BEATON ERST SICH SELBST ERFAND – UND DANN DIE GEGENWART. EINE KLEINE KULTURGESCHICHTE VON JAN KÜVELER , , s.48 Media Mixed . . MUMIENPORTRÄT EINES JUNGEN JUNGEN EINES MUMIENPORTRÄT , späte 1920er-Jahre späte ,

Gesichter für die Ewigkeit DIRK SCHÜMER ÜBER DIE FAYUMPORTRÄTS, DIE IM ALTEN ÄGYPTEN MIT DEN MUMIEN BEGRABEN WURDEN s.64

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Keizo KITAJIMA IMPRESSUM Redaktion Keizo Kitajima ist selbst eine Le- CHEFREDAKTEUR gende. In den Siebzigern und Acht- Cornelius Tittel (V. i. S. d. P.) MANAGING EDITOR/CVD zigern fotografierte er das wilde Helen Speitler STELLV. CHEFREDAKTEURIN Leben auf den Straßen Tokios und Swantje Karich New Yorks in körnigem Schwarz- ART DIRECTION Mike Meiré Weiß. 1976 gründete er CAMP, ei- Meiré und Meiré: 2020 ner der ersten experimentellen Philipp Blombach, Sarah Abdelbaky TEXTCHEF Ausstellungsorte Tokios. Später schoss er ikonische Bilder für Hans-Joachim Müller Blinky Palermo Comme des Garçons, und Helmut Lang nahm ihn 2017 in seine BILDREDAKTION Die eDitionen David Dörrast, Isolde Berger Schenkung ulrich Artist Series auf. Als Kitajima nun auf Takashi Murakami traf, REDAKTION reininghauS Gesine Borcherdt (Ltg.) 18.1.–3.5.2020 fotografierte er ihn in dem Pappkarton, der Japans größtem Dr. Christiane Hoffmans (NRW), Boris Pofalla, Künstler als Schlafplatz dient. Für einen, der seinen Blick stets Marcus Woeller Fotoraum SCHLUSSREDAKTION Stille ruinen auf den urbanen Raum gerichtet hat, ist so etwas kaum der Rede Karola Handwerker, Claudia Kühne F. a. oPPenheim wert. Wir lieben das Bild dafür umso mehr. (Seite 36) REDAKTIONSASSISTENZ FotograFiert Svenja Paulsen Die antike Autoren dieser Ausgabe 15.2.—14.6.2020 Jan Küveler, Svenja Paulsen, Ulf Poschardt, Teresa Präauer, Frédéric Schwilden, Teresa PRÄAUER Dirk Schümer, Stefanie Unternährer, Betye Saar Ulf Erdmann Ziegler WolFgang-hahn- Sie ist eine der bedeutendsten Fotografen dieser Ausgabe PreiS 2020 Yves Borgwardt, Vedad Divović, 22.4.–26.7.2020 Schriftstellerinnen nicht nur Öster- Keizo Kitajima, Mathias Schmitt, reichs, im Land von Elfriede Jelinek Frédéric Schwilden, Saskia Uppenkamp maPPing Sitz der Redaktion BLAU the collection und Peter Handke, für dessen Werk Kurfürstendamm 213, 10719 Berlin 24.4.—23.8.2020 +49 30 3088188–400 sie zuletzt so gekämpft hat, als der redaktion@blau–magazin.de hier unD JetZt im Nobelpreis-Streit entbrannte. Im BLAU erscheint in der muSeum luDWig Axel Springer Mediahouse Berlin GmbH, deutschsprachigen Raum kennen Mehringdamm 33, 10961 Berlin DynamiSche räume +49 30 3088188–222 6.6.—30.8.2020 ihre Romane keinen Vergleich: Für den Herrscher aus Übersee Nr. 39/ Winter 2019–2020 schenkt sie den Dingen Schwingen, in Johnny und Jean ist alles Verkaufspreis: 6,00 Euro inkl. 7 % MwSt. Fotoraum Vorstellung, nichts Handlung, und in Oh Schimmi erleben wir Abonnement und Heftbestellung Joachim Brohm Jahresabonnement: 30,00 Euro ruhrlanDSchaFten einen Menschen neben dem Strom. Für unsere Rubrik Dichter Probeabonnement: 12,00 Euro 27.6.—27.9.2020 Studentenabonnement: 15,00 Euro Dran begegnet sie dem Outsider Artist Henry Darger: Gemein- Abonnenten-Service BLAU ruSSiSche sam verwandeln sie Mädchen in Schmetterlinge. (Seite 20) Postfach 10 03 31 avantgarDe im 20002 Hamburg muSeum luDWig +49 40 46860-5237 [email protected] original unD FälSchung Verlag GESCHÄFTSFÜHRER 26.9.2020—3.1.2021 Jan KÜVELER Petra Kalb, Christian Nienhaus Unter den brillanten WELT-Auto- Sales anDy Warhol. noW PUBLISHER SALES 10.10.2020—21.2.2021 ren einer der brillantesten. Mit un- Michael Sandvoss (V. i. S. d. P.) stillbarem Interesse an den wunder- [email protected] Fotoraum Media Impact GmbH & Co. KG, SiSi Privat. sam schrägen, gerne auch ein wenig Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin TOURBILLON G-SENSOR RM 36-01 Die FotoalBen skurrilen Nebenfiguren derComédie DIRECTOR LUXURY SEBASTIEN LOEB Der kaiSerin Kathleen Schwiezke 24.10.2020—24.1.2021 humaine. Schon seine Doktorarbeit ANZEIGENLEITUNG KUNSTMARKT Julie Willard war jugendlichen Romanhelden ge- julie.willard@blau–magazin.de HERSTELLUNG widmet, „die sich der Reife verweigern“. Und seine große Lie- Thomas Künne beserklärung ans Theater heißt Theater hassen. Völlig logisch, DIGITALE VORSTUFE Image- und AdMediapool dass er seit Jahren an einer Biografie über Christian Kracht ar- DRUCK beitet, den angestammten Weltrandbewohner der zeitgenössi- NP Druck GmbH, St. Pölten Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom RICHARD MILLE BOUTIQUE MÜNCHEN schen Literatur. Für BLAU erzählt Jan Küveler die Geschichte 01.01.2019. Copyright 2019, Axel Springer Mediahouse Berlin GmbH MAXIMILIANSTRASSE 34 des britischen Fotografen Cecil Beaton und seiner schillernden +49 89 45 22 13 00 Unsere Datenschutzerklärung Ein Museum der Chronik eines schillernden Jahrhunderts. (Seite 48) finden Sie unter www.blau-magazin.de/datenschutz www.richardmille.com

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FIGURA DELTA auch ein Instrument der Distinktion, er bar, dass sie einmal gütlich zusammenfinden, hält auseinander, er vermischt nicht. Man darf die entschlossene Mehrheit und das Min- IMI KNOEBEL, APÉRO 13

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Später hat auch Düsseldorf sche, in die sie eine wie Faith Ringgold lan- es immer welche gab und immer welche versucht, seine berühmte Nachkriegssamm- ge eingesperrt haben. gibt, die irgendetwas in die Schlagzeilen hie- lung in einen vorurteilsfreien Kontext zu Wobei der Anspruch des MoMA, mit ven oder im Museumsschaufenster nach stellen, und ist dabei in blinder Correct- dem neuen Display, das ganz ausdrücklich vorn stellen und die Blicke lenken, was nichts ness gestrandet. auf Wandel und Wechsel angelegt ist, die multi- anderes bedeutet, als Blicke zu versperren. Jetzt hat das MoMA in New York seine ethnische Gesellschaft abzubilden, völlig Neueinrichtung zur Totalrevision genutzt fiktiv erscheint. Denn es gab und gibt diese ange waren auf der Bestenliste so gut wie und folgt der Tate Modern in , die den multiethnische Gesellschaft nicht. Es gibt keine Frauen vertreten. Ganze Konti- Schritt schon vor knapp zwanzig Jahren ge- sie allenfalls als Vision. Geschichte und Ge- L nente hat der Kanon übersehen, gab sich gangen ist. Vom alten Kanon bleibt wirklich genwart, in die doch wohl jede Museumser- stur eurozentriert. Lateinamerika, Afrika zählung als historische Disziplin verwoben kamen nicht vor. Es kamen nur alte weiße ist, waren und sind bis heute alles andere Männer vor – ohne Interesse an Kulturen, als multiethnisch. die dem Phantasma einer Globalkunst op- Wen kümmern noch die Unterschiede? ponieren. Insofern geht es wohl nicht ohne Wenn es entschieden mehr Spaß macht, Druck, nicht ohne massive Opposition, wenn Aufs Ganze gesehen das, was Herkunft, Anspruch und Macht ge- man Gewohnheiten ändern will. Denn der trennt überliefert haben, so weich zu ver- Kanon ist ein Ordnungssystem, das wie je- besteht die Kunst- schränken, dass zumindest die Illusion von des Ordnungssystem zugleich ein Herr- „Weltkultur“ entsteht. Und bildet nicht die schaftssystem ist, das unter demokratischen geschichte aus nichts Regie der Beliebigkeit eine Erfahrung ab, die Bedingungen ständiger Prüfung und Weiter- erst im Netz zur Kulturtechnik erwachsen entwicklungbedarf. anderem als aus ist? Ähnlich wie im kanonfreien Museum Dass der Ausstellungsbetrieb seine mas- ewigen Um- und streift man ziel- und richtungslos umher und kuline Dominanz erkannt und in großen verliert sich in der Gleichrangigkeit der Din- Ausstellungen vergessener oder nie ernst ge- Weiterschreibungen ge, die dort verdatet sind. Alles hat miteinan- nommener Künstlerinnen nachholt, was der der zu tun, steht in irgendeiner Korrelation lange geltende Numerus clausus verhindert zueinander. Der Philosoph Byang-Chul Han hat, ist eine Kanonänderung, die allein der hat recht, wenn er in seinem Essay Psycho- kritischen Auseinandersetzung geschuldet ist. politik schreibt: „Die Korrelation stellt Und wenn zumal in US-Museen mehr und kein Stein mehr auf dem anderen. Es geht die primitivste Stufe des Wissens dar. (…) mehr afroamerikanische Künstler ihren gebüh- kreuz und quer durch das Jahrhundert, von Korrelationen ersetzen Kausalität. (…) ADRIAN GHENIE renden Platz bekommen, dann ist auch das ihm zu ihr, von dort nach da. Und alle, die Die datengetriebene Quantifizierung der “I HAVE TURNED MY ONLY FACE...” eine erzwungene Sanierungsmaßnahme in der in der 53. Straße waren, kommen gutgelaunt Wirklichkeit vertreibt den Geist ganz aus 20 NOVEMBER 2019 – 2 FEBRUARY 2020 Hall of Fame. heim und berichten, wie erfrischend es sei, dem Wissen.“ Aufs Ganze betrachtet besteht die wenn die imperiale Doktrin durch fantasievol- Doch anders als im Netz garantiert die THE STATE Kunstgeschichte aus nichts anderem als aus le Partnerschaften ersetzt und der Kanon als Kunst auch im korrelativen Museum, dass ewigen Um- und Weiterschreibungen. Kaum Sekundant der amerikanischen Fortschritts- der Geist nicht völlig aus dem Wissen schwin- HERMITAGE MUSEUM ST PETERSBURG, RUSSIA einmal hat das Narrativ dauerhaften Bestand ideologie denunziert werde. det. Und wer weiß, vielleicht gewinnt der gehabt. Ein Kanon deutschsprachiger Lite- Ja, das war wohl überfällig. Und dass Kanon gerade im fluiden Zustand seine ver- ratur des späten 19. Jahrhunderts enthält Na- Picassos Demoiselles d’Avignon von 1907 jetzt lorene Würde noch einmal zurück. Jeden- men, die kein Mensch mehr kennt. Und ein Blickkontakt zur Straßenschlacht zwischen falls wird er immer noch gebraucht. Und sei Museum der Gegenwartskunst stellt sich heu- Schwarzen und Weißen haben, die die Afro- es nur, um Bedeutungen und Begründun- te völlig anders dar als seine Vorgängerinsti- amerikanerin Faith Ringgold 1967 gemalt gen, Werte und Qualitäten gegen die pure tution in den Achtziger- und Neunzigerjahren. hat, macht vielleicht schon irgendwie Sinn, Quantität aufzubieten. Der Kanon ist eine Erzählung. Er ist nicht auch wenn man ihn so ganz genau nicht Im Grunde haben das die Kunstge- die Wahrheit. benennen könnte. Für Holland Cotter, den schichte mit ihrem sich ständig wandelnden Hello World, Udo Kittelmanns große Aus- Kritiker der New York Times, wird an der Narrativ und mit ihr die sich wandelnde stellung im Hamburger Bahnhof, hat mo- Gegenüberstellung zumindest deutlich, dass Museumsanordnung auch immer wieder ge- dellhaft gezeigt, wie man die Kunstchronik es sich bei Picassos Kubismus wohl doch tan. Es ist aber etwas völlig anderes, die 2019 (DETAIL), 175 CM, © ADRIAN GHENIE 175 CM, © ADRIAN GHENIE

des 20. Jahrhunderts neu erzählen kann, mit um „kolonialistische Appropriation“ handeln heterogenen Dinge der Beliebigkeit zu über- x

welchem Gewinn man die Zentren mit den müsse. Ein Vorwurf, vor dem man den lassen. Die taugt womöglich zur guten Un- THE HUNTER SUPPORTED BY angeblichen Peripherien verknüpft und aus wehrlosen Alteuropäer gern in Schutz terhaltung, aber vielleicht doch nicht zu mehr. ADRIAN GHENIE, 200 OIL ON CANVAS, APÉRO 14

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AUKTIONEN IN KÖLN UND BRÜSSEL lempertz:projects, Zeitgenössische Kunst (Brüssel): 4. Dez. 2019 Asiatische Kunst (Köln): 6./7. Dez. 2019 Afrikanische und Ozeanische Kunst (Brüssel): 29. Jan. 2020

Einlieferungen für unsere Auktionen sind stets willkommen

Entwurf für Blade Runner: Cityscape – Lightening, 1981. RECHTS: Future Urban Architecture, o. J. ZURÜCK IN DIE r ist so etwas wie der Schöpfer unse- Doch ohne Drumherum ging es für Mead erzählt Mead selbst, wie er vorgeht, was ihn rer Zukunft oder zumindest unserer nicht. Er bettete die Skizzen für seine (durch- inspiriert – und wieso er seine Gebilde immer E Vorstellungen von ihr: Syd Mead. Der aus funktionstüchtig wirkenden) Fahrzeuge unter der Prämisse entwirft, dass sie tech- 86-jährige Designer hat sie alle entworfen: in eine Umgebung ein – und Scott war sofort nisch zumindest vorstellbar sind. Das ist auch die dystospische, wild durcheinandergestapel- wie gebannt. Er beauftragte ihn damit, gleich die Philosophie von O & O Baukunst. Einst te Stadtlandschaft aus Blade Runner, die das gesamte Blade Runner-Universum zu ent- angetreten als Künstlergruppe Haus-Rucker-Co, glatten Sci-Fi-Apparaturen von Star Trek – werfen. Am Ende entstand ein Set, das Film- war sie schnell für ihre utopischen Architek- Der Film, das digitale Labyrinth aus Tron, geschichte schrieb – und das Maßstäbe setzte turentwürfe und Stadtplanungen bekannt. Vor die apokalyptische Raumschiffarchitektur von für jede spätere Sci-Fi-Kulisse. Seitdem nennt allem für die Oase Nr. 7, die 1972 auf der Aliens – Die Rückkehr oder die rote Welt- sich Mead „Visual Futurist“. Als solcher wird er Documenta 5 zu sehen war: eine transparen- raumszenerie von Mission to Mars. Viele seiner nun in einer Einzelausstellung in Berlin prä- te PVC-Sphäre von acht Metern Durchmes- Visionen wie etwa selbstfahrende Autos sind sentiert, in der Galerie O&O Depot des Archi- ser, die, befestigt an einem Stahlring, vor der inzwischen Wirklichkeit geworden. Tatsächlich tekturbüros O&O Baukunst. Zu sehen sind Fassade des Fridericianums schwebte. Besu- kommt Mead ursprünglich gar nicht vom Zeichnungen und Gouachen einer urbanen Fan- cher konnten auf einer Metallplattform eintre- Jarai, Grabfgur. Vietnam. H 79 cm Film. Er war ein Designer, den der Regisseur tasiewelt, die so unwahrscheinlich gar nicht ten und vorbei an zwei Palmen in eine neue Prov.: Philippe Guimiot, Brüssel, 1975 Ridley Scott Mitte der Siebzigerjahre eigent- scheint. Sie geben Einblick in das Schaffen und Welt hinausblicken. Futuristische Träume und Auktion 29. Jan. 2020, Brüssel lich nur darum bat, sich ein paar Gedanken Denken eines Mannes, der offenbar besser urbane Zwänge trafen aufeinander. Hätten über die Autos zu machen, die durch das als alle anderen die Zukunft in Bildern vor- sie und Syd Mead Berlin nach dem Mauerfall Jahr 2019 von Blade Runner cruisen sollten. ausdenken kann. In einem Dokumentarfilm betreut, wir hätten längst eine Bahn ins All. GB

Neumarkt 3 50667 Köln T 0221 92 57 290 Berlin T 030 27 87 60 80 Bruxelles T +32 2 514 05 86 [email protected] ZUKUNFT © Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 Wer bin ich und ja, ich bin ganz viele Wir alle haben mehr als nur ein Gesicht. Das wird beispielsweise klar, wenn man morgens aufwacht und eine gute halbe Stunde braucht, um zu der Person zu werden, die man tagsüber ist, nur um dann abends im Kerzen- schein wieder ein anderer Mensch zu sein, bevor man zerknittert ins Bett fällt. Schön ist auch, lauthals wutschnaubende Autofahrer im Stau zu beob- achten: Ganz normale Menschen werden dort zu Wahnsinnigen mit wutver- zerrten Gesichtern. Ich ist eben immer auch ein anderer. Bei der Bildhauerin Paloma Varga Weisz sind die Dopplungen unserer Eigenschaften ein Werk- prinzip: aneinandergewachsene Köpfe, Frauen mit sechs Brüsten, Zwerge mit sechs Augen oder kindliche Wesen voller Beulen haben ihr den Ruf einer Künstlerin beschert, die Monstern und Mythenwesen auch in der Gegen- wart eine – teils lustige, teils tiefenpsychologisch fundierte, doch stets von meditativer Ruhe geprägte – Relevanz verleiht. Normalerweise arbeitet sie mit Holz und Keramik, fertigt Aquarelle und Zeichnungen an. Nun hat sie für eine Kollaboration mit dem Goldschmiedeatelier Georg Hornemann eine Halskette entworfen, die in Silber (mit weißgoldener Kette) sowie in Gelbgold ausgeführt wurde. In einer Auflage von 10 ist dieses Multiface für 4.800 Euro zu erwerben. GB

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0 1 IN 9 DEN STERNEN CROSS, 1981/1982 In Leben und sterben lassen von 1973 legt ein Bond-Girl namens Solitaire dem Agenten die Tarotkarten. Kein Zweifel, 007 ist der „Narr“ und dem Tod geweiht. Doch James wäre nicht Bond, hätte er nicht ein As im Ärmel, genauer einen SANKT ganzen Stoß Asse. Er lässt Solitaire ziehen, und siehe da, sie zieht die „Lieben- den“. Und so kommt, was kommen muss. Wäre auch nicht anders gekommen, wenn Salvador Dalí das Blatt jener im Film sehr prominenten Tarotrequisite designt hätte. Narr bleibt eben Narr. Dalí pokerte einfach zu hoch und wurde ANDY wegen seines zu üppig bemessenen Honorars aus dem Spiel genommen. Der viel Bei diesem Lebenswandel kann man schon mal verges- weniger exzentrische, aber auch unbekannte Künstler Fergus Hall bekam statt- sen, dass er praktizierender Katholik war. Aber als dessen den Requisiteursauftrag. Ein paar Jahre später brachte Dalí sein Tarot Amerikaner mit polnischer Abstammung hat Andrew doch noch auf den Markt, mit Bildern seiner Muse Gala als „Herrscherin“ und Warhola den Glauben mit der Muttermilch aufgesogen. von sich selbst – natürlich – als „Magier“. Der Taschen Verlag prophezeit dem Erst gegen Ende seines Lebens machte er den Glauben Blatt eine Zukunft als luxuriös ausgestattete Schmuckbox plakativ zum Thema seiner Kunst. Das Andy Warhol für 50 Euro. WOE Museum in Pittsburgh sucht nun nach dem Christlichen im gesamten Schaffen des Künstlers, der 1987 seine Himmelfahrt angetreten hat. Revelation heißt die Schau, und sie ist mit mehr als hundert Kunstwerken, Filmen und seltenen Archivalien auch als Offenbarung der Warhol- Religion zu verstehen. Erzählt sie doch vom genialen Werbegestalter, der in einer New Yorker Factory predig- te, Anhänger wie Apostel um sich scharte und mehr als den Zweck stets die Mittel heiligte – und Gott des zeit- genössischen Kunstbetriebs wurde. Andacht über den Tod hinaus ist Warhol und seiner Kunst seitdem gewiss, in den sakralen Museen wie auf dem säkularen Kunst- markt. WOE

DALÍ-TAROT

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 NICHT „H. R. Giger und Mark Prent sind Meister, turen in diesem biomechanischen Stil ge- die es verstehen, Schönheit, Horror, Science- macht. Sie zeugen von seiner Bewunderung Fiction und Fantasy zu navigieren“, schreibt für äyptische Statuen, Salvador Dalí, Francis VON der Filmemacher Harmony Korine über die Bacon – und eben auch für Mark Prent. Des- zwei, tja, wie soll man sie nennen? Wohl doch sen Horrorskulpturen verwandeln menschli- Künstler, wenn auch nicht im klassischen che Körper in qualvolle Mutationen. Was die DIESER Sinne: „Ihre Werke sind dicht und kraftvoll, Künstler verbindet, ist der Hang zur Defor- voller schockierender Charaktere und seltsa- mation und Verzerrung – doch wo Giger mer Magie.“ Korine, der selbst eine Art mystische Wesen baut, ist es bei Prent der WELT Künstler ist, bringt den Schweizer und den Mensch, der zum hyperrealistischen Ge- Kanadier nun in der schöpf aus Harz und Fiberglas wird. Seine Gagosian Gallery un- Skulpturen evozieren anatomische Wunder- ter dem Titel Birth kammern, B-Movie-Kitsch und Splatter- Machine Baby als Ku- Trash. Dennoch geht eine Faszination von rator in Dialog. Eine ihnen aus, die einen den Blick nicht abwen- für die Gigagalerie den lässt. Alles was bei Prent Schmerz, Alb- ungewöhnliche Idee, traum und Ekel ist, wird bei Giger zu beinahe die Freaks und Fans symbolistischen Bildern, in denen die dunk- aller Sparten anziehen len Märchenwelten von Alien und William dürfte. Gigers außer- Blake verschmelzen. Dass Harmony Korine irdische Kreaturen ein Faible für so etwas hat, verwundert kaum: und Interieurs ken- In seinen Kultfilmen Kids und Gummo mi- nen wir aus Alien, schen sich Fiktion und Wirklichkeit zum doch er hat noch viele reinsten Horrortrip. (Gagosian Gallery, New andere Psychoskulp- York, bis 21. Dezember) GB

ZWEI VON H.R. GIGERS BIRTH MACHINE BABIES, 1998 (DETAIL)

Wer sich als AusstellungsbesucherTraummuseum schon immer gewünscht hat, hinter die Bewertungen ihres Ausstellungsbesuchs. Präsentiert wird zunächst die eige- Kulissen des Museumsbetriebs zu blicken und als Kurator selbst Hand an- ne Sammlung. Mit internationalen Leihgaben können die Ausstellungen er- zulegen, für den gibt es jetzt das Computerspiel „Mondo Museum“: Es simu- weitert werden. Heutzutage alles gängige Prinzipien des Museumsmachens, liert die vollständige Gestaltung eines eigenen Ausstellungshauses. Ein das kunsthistorische Arbeit weitgehend gegen „Likes“ eingetauscht hat. Wer bisschen wie bei „Sims“, dem meistverkauften Computerspiel überhaupt, als Kurator diesem Credo regeltreu folgen will, darf gern ab Frühjahr 2020 das echtes Leben mit Freundschaften, Hausbau und Job simuliert, ist man im „Mondo Museum“ bleiben. SU auch im „Mondo Museum“ für alle Phasen der Samm- lung, Ausstellungskon- zeption und Umsetzung zuständig. Als Erstes wird die Architektur bestimmt. Wie viele Ausstellungsräu- me, Kinosäle, Shops und Cafés braucht das Muse- um? Auch die Innenaus- stattung will bedacht sein; dabei dürfen Sitzmöglich- keiten nicht fehlen, sonst gibt es Punkteabzug. Ein- trittsgelder und Shopver- käufe bestimmen den monetären Erfolg. Und be- sonders zählt das Presti- ge, gemessen an der Zahl der Besucher und deren

Ansicht der Benutzeroberfläche des virtuellen Mondo Museum

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 DICHTER DRAN GEWITTER IN AMERIKA Storm Brewing SEIT 1707

, zwischen 1930 und 1972 Teresa PRÄAUER HENRY DARGER Was für Energien werden frei, wenn die Sprachkunst auf die Bildkunst trifft? Für BLAU hören wir auf den Klang der Kunst. Schriftstellerin Teresa Präauer, Jahrgang 1979, nimmt Pillen und Pulver unter die Lupe.

This Is Not Strawberry The Little Girl Is Carrying) Inspiriert von ( Henry Darger

Otto Piene, Ohne Titel, 1964, Auktion Juni 2019, erzielter Preis € 243.800

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Vereinbaren Sie einen Beratungstermin Düsseldorf +49-211-210 77-47, München +49-89-244 434 73-0 www.dorotheum.com Rettet die Erdbeeren,Rettet rettet die Erdbeeren, es sind die letzten in Schon diesem fliegen Jahr. die ersten fort,Hüte Ein Eimergehen verloren, setzen sich auf die Comic-Wolken. fällt um, den eines der Mädchen, im Laufen Wasserbegriffen, knalltumgestoßen hat.auf Das noch die bevor es Wiese, gedonnert hat. donnertJetzt es. Schon die platztdie Hüte, Schirme, ausder denRegen Wolken, die ein gelben paar Röcke, undStöcke Matrosenkleider stürzen auf die Erde zurück, wo sie von den Mädchen, im Laufen begriffen,werden aufgefangen und schützend über die Erdbeerernte gebreitet. Die Erdbeerernte ist gerettet, rufen sie mit letzter dassKraft. Und doch noch einmal alles gut gegangen sei (altklug). Als wüssten die Gschrappen den Ausgang! des Lebens!Mirakel Hier Hier sind sie: Mädchen, im Laufen begriffen.Sieretten die ErdbeerenRegen,vor dem spannen die Schirme auf zu Ballonen und Flügeln. Eins wird zum Schmetterling (wieso nicht?), steigt auf, wird vom Wind verblasen. Seine Beine baumeln über einem Haus, das in der Ferne ganz klein geworden ist, kleiner als die Mohnblumen, die Erdbeeren, der Hund und das Vogelhaus. Hörner wachsen einem zweiten, sie drehen sich nach oben hin zum schwarzen Himmel, wo das Gewitter grau wieder dräut mitsamt wie den aus Wolken, einem alten Comic. Eilenden Schrittes, mehr springend als laufend, queren siedie dieAugen gegen Wiese, die Gefahr gerichtet, die Münder geöffnet.Sie rufen, siewarnen einander, sie schreien wie am Spieß (wie Quälgeister, um ehrlich zu sein).

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 BEWEGTBILD DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT

ANDY HOPE 1930 über die Serie BREITENSPORT THE TWILIGHT ZONE Familienkutsche mit einem sexy Unterton. Der Volvo Amazon: ein wunderbares, wildes, wüstes, krasses, abenteuerliches, elegantes, sportliches Auto

Twilight Zone ist eine Kult-TV-Serie, ge- dreht 1959 bis 1964. Ich habe sie erstmals Mitte der Achtziger gesehen. Der Dreh- er Volvo Amazon kommt aus heute entdeckt, findet buchautor Rod Serling moderiert jede der großen Zeit des Auto- sie in der Regel in ihrer Folge an und ab. Meine Lieblingsepiso- D mobilbaus, in der die Fortschritts- Rallyeverkleidung optimiert. Mit de Five Characters in Search of an Exit idee ungebrochen, die Zuversicht beflügelnd etwas breiteren Reifen und hardrockigen geht zurück auf Pirandellos Six Persons und der Glaube an ein besseres Morgen selbst- Stahlfelgen. Leicht tiefergelegt und mit Zusatz- in Search of an Author und Sartres No verständlich war. Der Schwede sah italienisch scheinwerfern auf der Stoßstange stellt die- Exit. Doch hier haben die Personen keine aus, und das war kein Zufall, weil der Desi- ser Volvo auch selbstbewusste Giulias und Geschichte wie bei einer Amnesie. Major, gner offenkundig ein Fan des Alfa 1900 war. 2002 tii in den Schatten. Auf dem Oldtimer- Clown, Balletttänzerin, Dudelsackspieler Skandinavisch knackiger und kerniger als markt ist ein liebevoll getunter Amazon-Ral- und Tramp sind Gefangene eines abs- das Mailänder Original, war der 1956 präsen- lye-Klassiker immer noch für überschaubares trakten Raums: ein Zylinder, der sich ins tierte Viertürer ein Familienauto mit einem Geld zu haben und bietet dafür unverschämt Unbekannte öffnet. Das war wichtig für sexy Unterton, der Funktionalität mit Emoti- viel Fahrspaß, der auch Besitzer alter Por- meine Halfa Man-Serie, deren Figuren onen verband, die eben auch mit Leistungs- sche 911 begeistern würde. Diese Autos wirken innen schwarz sind: ein Bild für die endlo- fähigkeit zu tun hatten. Von diesem Image lebte besonders verführerisch angesichts der tris- se Tiefe in uns selbst. Die Idee, festzuste- Volvo lange: auch weil Skandinavien das Bio- ten Gegenwart Volvos, die nun eben chinesisch cken und fliehen zu wollen, ist eine Para- top legendärer Rallye- und Formel-1-Fah- sind und der Freiheitsfeindlichkeit ihres Be- bel auf das Leben. Der Kern der Episode rer war und ist und weil der Motorsport in sitzerlandes folgen und künftig alle Volvo ist die Frage nach der Identität: Die Cha- Schweden auch Breitensport war und ist. In mit einer maximalen Entmündigunghöchst- raktere haben keine Bedürfnisse wie Deutschland hat Volvo ein gesellschaftlich geschwindigkeit von 180 km/h versehen. Hunger, Durst, Gefühle. Vielleicht sind sie dissidentes Image, das daher kommt, dass die Dieser Bruch mit der Fortschritts- und Freiheits- Metaphern für Einsamkeit. Fragezeichen, link(sliberal)e Bourgeoisie mit dem Volvo ein tradition des schwedischen Automobilbaus wie auf meinen Riddler-Bildern. Platzhal- Auto hatte, das ihre klassenspezifischen Dis- wird von den antiliberalen Mainstreammedi- ter für ein offenes Ende. tinktionsbedürfnisse befriedigte, ohne aber en so euphorisch gefeiert, dass die chinesi- mit dem Spießerfaktor deutscher Limousinen schen Autobauer dies auf ihrer deutschen hantieren zu müssen. Der Volvo wurde rot- Homepage stolz abbilden. Wer wissen will, grüne Volksroutine und ließ auch autoverliebte worum es Volvo einst ging, fährt eine Rallye- linke Multimillionäre gern eine Rennkombi Amazone. Ein wunderbares, wildes, wüstes, aus Schweden steuern. Mit dem Amazon Coupé krasses, abenteuerliches, elegantes, sportli- 1964 und dem Volvo 123 GT mit 103 PS ches Auto. und schließlich dem 122 SR mit damals spek- ULF POSCHARDT takulären 128 PS war dieser populäre Aller- weltswagen in Sportwagenter-ritorien eingebro- chen. Wer gut restaurierte Amazon-Coupés The Twighlight Zone, 1959–1964, Serie von Rod Serling APÉRO 22

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 s hat schon seinen Grund, dass man Beistands versichert. War ja schon beim PORTRÄT Als ginge es um die von Giuseppes Kindheit nichts weiß, Preisgabe einer lästigen berühmten Entdecker Christoph Kolumbus E nichts von der Jugend des Mailänder so, der aus der Hafenstadt stammen soll. Jesuitenzöglings erzählen kann. Moral, reinigt der Maler Aber da sind sich die Kolumbisten heute nicht MISSION IMPOSSIBLE Bleierne Zeit. Der große Krieg ist gerade seine Technik von allen mehr so sicher. vorüber. Das ehemalige „Heilige Römische Man schreibt also das Jahr 1713, als Reich“ liegt in Trümmern. Dreißig Jahre lang mitgebrachten Inhalten der Marschbefehl nach China ergeht. Ob sich haben die Machthaber ihre marodierenden Bruder Giuseppe freiwillig zum Außen- Truppen durch die Lande gehetzt, bis kein dienst meldet oder als christlicher Illustra- Dorf mehr niederzubrennen und keine tor aufgeboten wird, ist nicht überliefert. Gans noch aus irgendeinem Stall zu stehlen Erste Station ist Portugal, Coimbra, damals war. Opferstatistiken gibt es nicht. Es gibt Hauptstadt des Landes. Man hat Zeit, nur die bittere Lyrik eines Andreas Gryphius: niemand drängt zur Eile. Der Maler malt in „Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr der Jesuitenkirche, porträtiert die Königs- denn ganz verheeret! Der frechen Völker familie. Und dann … dann lässt er alles hin- Schar hat aller Schweiß und Fleiß und Vor- ter sich. Goa, Macao, Kanton, blühende rat aufgezehret.“ Handelsplätze unter portugiesischer Unter- Nur die Kirche triumphiert. Längst ist nehmensführung. Im September 1714 er- sie wieder una sancta catholica, hat den An- reichen die geschäftstüchtigen Christen sehensverlust, den ihr die Reformation be- Peking, wo die Jesuiten längst ein gedulde- scherte, prächtig verwunden und ein gan- tes „Colleg“ unterhalten. zes Heer von Barockmalern als tatkräftige Propagandisten angeheuert. Auf die Leib- ohl beginnt erst jetzt unsere Ge- Turbane statt garde der Jesuiten ist ohnehin Verlass. Die schichte fantastisch zu werden. tilgt alle Geistesschädlinge, bevor sie sich W Eine Geschichte der kulturellen Mariengewand, vermehren können, und hält die Gläubigen Adaption, wie sie sich vielleicht nur einmal im miserablen Leben beisammen. Vielleicht zugetragen hat. Castiglione lernt Chinesisch – der Kaiser haben die Glocken geläutet, als Giuseppe im Sprachlabor seines Landsmanns Matteo Castiglione am 19. Juli 1688 in der Mailänder erscheint ihm Christus und versichert ihn sei- Ripa, der – ebenfalls Maler – schon einen von China statt Kirche San Marcellino getauft wird. Viel- ner göttlichen Zufriedenheit. gewissen sinologischen Vorsprung hat. An- leicht ist es nun doch mal ein glücklicher Tag. Nichts ist auffällig an der Malerei des ders aber als der aus Süditalien stammende Christus am Und alle preisen das Schicksal, dass der jungen Mannes. Sie fügt sich derart dem Zeit- Ripa vergisst der Neuankömmling sofort Himmel ein wenig aufklart und das finstere geschmack, dass sie überhaupt erst 1961 Herkunft und Auftrag. Heißt von Stund’ an Kreuz: Der italie- Säkulum auf sein Ende hin wieder Kind- dem Castiglione-Opus zugeschlagen wird. So- „Lang Shining“ – ein Name, mit dem er heit, Jugend, Zukunft verheißt. lide Pflichterfüllung eben. Und wenn es so auch in Hollywood Karriere gemacht hätte. nische Jesuit Die Castiglione: eine famiglia nobile. Be- weitergegangen wäre, hätte das Handwerk Und klappt entschlossen sein Pflichtenheft hütet, pädagogisch umsorgt wächst Giuseppe durchaus seinen Meister genährt, aber in zu. Malt nie mehr eine Kreuzabnahme, ei- Giuseppe Castiglione ins neue Jahrhundert hinein. Als es schon den Annalen wäre er doch bald verschwun- ne Auferstehung oder eine Himmelfahrt. ein wenig Fahrt aufgenommen hat, imma- den. Es sollte anders kommen. Nicht einmal eine liebliche Marienmutter, war Barockmaler trikuliert er sich bei den Jesuiten. Er ist Die Jesuiten haben ja nicht nur im christ- mit der er ja vielleicht doch auch in Über- jetzt neunzehn und wird die Entscheidung lichen Europa einen Ruf als tapfere Gottes- see Punkte gesammelt hätte. im chinesischen nie bereuen. Man darf sich das Leben in krieger. Auch an den Rändern der Welt, die Solche kompromisslose Säkularisierung der Societas Jesu nicht so entsagungsvoll vor- man sich nun eher kugelig rund und nicht macht den Fall wirklich interessant. Als ginge Außendienst. stellen. Wer damals ehrgeizige Bildungs- mehr so scheibenflach ausmalt, gibt es ek- es um die Preisgabe einer lästigen Moral, rei- ziele verfolgt, ist im weltzugewandten Orden klesiastische Aufgaben zu erfüllen. Vorbei nigt Giuseppe Castiglione seine zeichneri- Hans-Joachim bestens aufgehoben. Giuseppes künstleri- die Zeiten, als noch Mönche durch germa- sche und malerische Technik von den mitge- sche Begabung wird sogleich erkannt. Man nische Wälder schlichen und den Barbaren brachten Inhalten und empfiehlt sich so Müller erzählt die Stillleben mit Lotus schickt das Malertalent nach Genua, wo das Kreuz vor die Wohnhöhlen stellten. Jetzt dem Kaiser Kangxi, der ihn sogleich als Ko- und Vase, 1723, Tinte ihm der ehrenvolle Auftrag zufällt, zwei from- bricht man auf zur überseeischen Mission pisten chinesischer Seidenmalerei in Hof- und Farbe auf Seide, me Altarbilder des jesuitischen Stammva- und verbindet die fromme Pflicht mit nütz- dienst nimmt. Der wiederum stellt sich so Geschichte 173 × 86cm. RECHTE SEITE: Kaiser ters zu malen. Das eine zeigt den heiligen lichen Dingen. Welthandel, Weltreligion, geschickt an, dass man heute nur mit ausge- Qianlong in zeremonieller Ignatius von Loyola in der Grotte im spani- multiple Logik, jedenfalls kein Widerspruch. reiftester Kennerschaft sagen könnte, welches einer kulturellen Rüstung zu Pferde, 1739, Farbe auf Seide, schen Manresa, wo er eine Eremiten-Auszeit Zumal in Genua, wo man sich bei geschäft- Blumenornament original chinesische Erfin- Adaption 333 × 232cm genommen haben soll, auf dem anderen lichen Fernreisen nicht ungern christlichen dung ist und welches italienischer Import.

APÉRO 25

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 Ein Abenteuer des Geistes, nichts weniger, Papier gedruckt. Aus den frühen Neunziger- Pfeilen im Köcher oder bei der Jagd darstellt. wie Castiglione, er ist jetzt Mitte dreißig, das jahren stammt ein biografischer Versuch Und ansonsten zarte Sinnbilder der Synthe- Regelwerk perspektivischer Darstellung von Bruno Zoratto, der aber seltsam abbil- se jenes kulturellen Miteinanders schafft, das aufgibt, sich die in der Fläche spielenden All- dungsscheu tut. Vielleicht auch weil das er mit angestoßen hat. over-Strukturen der chinesischen Tradition Œuvre so weit verstreut ist, in den Dimen- aneignet und sie mit vorsichtiger Raumtiefe sionen unklar und deshalb auch noch nie atürlich haben die Jesuiten ihre Spione verfeinert, dass die Kollegen vor Ort nur geschlossen gezeigt wurde. Chinesische Mu- gehabt. Und natürlich ist die Kunde staunen können. Wenn man den Riesenschritt seen verwahren da und dort Castiglione- Nvon der Verwandlung des malenden bedenkt, der den Maler in kürzester Frist Arbeiten, allen voran das Nationale Palast- Gottesreichgesandten in einen malenden vom Genre des gegenreformatorischen Hei- Man muss die Spuren museum in Taipeh auf Taiwan, das ver- Freigeist von Missionsstation zu Missions- ligenbilds in wunderbarste Naturparadiese mutlich das größte Konvolut besitzt. Auch station zurückgemeldet worden. Castiglione führt, wo sich die Kraniche im Frühling um mühsam zusammensuchen. das Metropolitan Museum in New York ist nicht der Einzige, der sich neue Kleider eine knorrige Pinie versammeln – dann Nach Europa führen sie ist stolz auf die dreizehnteilige, fast acht Meter schneidern lässt. Bevor es Mode wird, schrei- kann man im Grunde nur von einer intellektu- lange Zeichnungsrolle, auf der Castiglione tet die römische Kurie ein. Seit einer päpst- ellen und emotionalen Revolution sprechen. nicht mehr zurück. wohl bis 1728 Hundert Pferde gruppiert. Eine lichen Verordnung des Jahres 1744 gilt „Ac- Giuseppe Castiglione denkt überaus feine zeichnerische Vorarbeit für comodation“, was so viel wie Überanpassung s stimmt schon, beide Seiten profitie- die monumentalen gleichnamigen Gemälde, an heidnische Sitten und Gebräuche meint, ren voneinander. Castiglione gibt der zu keinem Zeitpunkt an die hinwiederum zum Stolz der Sammlung in als kirchlicher Straftatbestand. Unter keinen Echinesischen Malerei einen realistischen Umkehr. Was hätte er auch Taipeh gehören. Umständen nämlich dürfe es so weit kom- Schub und gewinnt zugleich Darstellungs- Man muss die Spuren mühsam zusam- men, dass die Verkünder des Evangeliums in mittel, die erst viel später die europäische Kul- in Europa machen sollen? mensuchen. Nach Europa führen sie nicht ihrer Glaubensfestigkeit von fremden Riten tur begeistern werden. Nicht dass nun alles Noch einmal den heiligen mehr zurück. Anders als Matteo Ripa denkt erschüttert würden. Freistil gewesen wäre, was er nach dem Ein- Giuseppe Castiglione zu keinem Zeitpunkt Man weiß nicht, wie es Giuseppe mit motten seiner Jesuitenkutte gemalt und ge- Ignatius malen und ihm an Umkehr. Was hätte er auch in Europa ma- seinem Herrgott hält. Mit Gewissheit kann zeichnet hat. Ohne sich an die Etikette zu einen chinesischen Turban chen sollen? Noch einmal den heiligen man nur sagen, dass sich der Kaiser als ab- halten, hätte er nicht Karriere gemacht. Ignatius malen und ihm einen chinesischen solut missionsresistent erweist und keinen Also porträtiert er den Kaiser Qianlong so aufsetzen? Turban aufsetzen? Zuschauen, wie sie schon kostbaren Herrschaftsaugenblick an den frontal, wie es die Landessitte will. Zu Hau- wieder Kriege inszenieren, erbittert um die Gedanken verschwendet, sich zum Christen- se hätten sie nur die Köpfe geschüttelt. Aber Vorherrschaft auf dem alten Kontinent tum zu bekehren. Was der Maler, möchten wie er dann das starre Antlitz mit den realis- morden? Sich noch einmal einmischen in die wir sehr zu seinen Gunsten annehmen, auch tischen Mitteln des Barockmalers aufweicht, unversöhnlichen konfessionellen Gegensät- nie versucht hat. Als sie ihn in seiner lebens- das ist ein mirakulöses Gastgeschenk. Und ze, die sich auch mit den Machtmitteln der al- langen Wahlheimat noch zum Mandarin der wenn in Abhandlungen zur chinesischen Ma- ten Kirche nicht beruhigen lassen? Keine dritten Klasse ernennen, ein Adelsprädikat, lerei von einem eigenen Stil der Qing-Dy- gute Aussicht, das ist wahr. das vielleicht mit der relativen Nutzlosigkeit nastie die Rede ist, dann müsste als Mitautor Nicht dass unter den drei Kaisern der eines Parlamentarischen Staatssekretärs stets auch Giuseppe Castiglione erwähnt Qing-Dynastie, denen Castiglione dient – zu vergleichen ist, ist auf Erden nicht mehr

werden, der dieser unverwechselbaren Art Porträt des Kaisers Qianlong, um 1737, Tinte auf Papier, 56 × 42 cm. Kangxi, Yongzheng, Qianlong –, ein irdi- zu erreichen. Im Juli 1766 stirbt Giuseppe des Bildverständnisses ihre eigentliche Prä- UNTEN: Hundert Pferde, 1723–1728, Tinte und Farbe auf Seide, 95 × 776 cm sches Friedensreich ausgebrochen wäre. Aber Castiglione in Peking. Das Grab auf dem gung gibt. in seiner neuen Heimat braucht Giuseppe Zhalan-Friedhof hat Plünderer und Revolu- Indes existiert bis heute kein aktuali- Castiglione keine Märtyrer und keine Marty- tionsgarden über sich hinwegziehen lassen. siertes Werkverzeichnis. Die meiste Literatur rien zu malen. Hier genügt es schon, wenn Der heilige Ignatius wird seinem untreuen ist hochbetagt und noch auf raschelndes er die Mächtigen hoch zu Ross mit spitzen Diener längst verziehen haben.

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m Moment hängt ein Foto der Es geht nicht um Dualität, son- nenbildhaften Inszenierung. hatte ich da mal in einem Inter- Capri-Batterie, das ich aus einem dern um Geben und Nehmen. Aber seine Multiples, die es in ho- view mit Robert Filliou, der IAuktionskatalog ausgeschnit- Sie ergänzen sich, tauschen sich hen Auflagen gab, sind eine Art sagte, die Kunst sei zu wichtig, ten habe, an meinem Fahrrad – aus. Für mich hat das sogar auch Lehrmittelsammlung, mit de- um sie zu wichtig zu nehmen. ich kann gerade nicht damit fah- eine erotische Komponente, eine nen er auf spielerische Weise die Und genau das verkörpert für ren, weil ich kürzlich eine neue Art „Doppelstecker“. Nähe zu Warhol suchte. Sie ha- mich die Capri-Batterie, sie hat Hüfte bekommen habe. Es steht Mich hat das Werk intuitiv ben so ein basisdemokratisches so etwas Lebensbejahendes. Zit- in meinem Büro und wird stell- beeindruckt. Erst später wun- Anliegen, was mich sehr beein- rone und Licht. Und Capri, die- vertretend von der Capri-Batterie derte ich mich, dass es aus Beuys’ druckt hat. ser unglaubliche Topos! O sole Kiki Smith. Woman with serpent. 2003/5. Porzellan, mit Graft handbemalt. 7,5 x 23 x 10,5 cm. angetrieben. Spätwerk stammt, da es etwas Mein Verhältnis zur Kunst mio, die Capri-Fischer… Das Dieses Multiple von Beuys so Zeitloses hat. Wenn ich Beuys ist stark von Neugier und Skep- ist der Stoff, aus dem die Schlager begleitet mich schon lange. Ich heute im Museum sehe, bin ich sis gegenüber dem Betrieb ge- waren. Ein Sehnsuchtsort, ita- erinnere mich noch, wie ich das immer enttäuscht von der büh- prägt. Ein Schlüsselerlebnis lienische Gigolos, aber auch ein Ding zum ersten Mal gesehen Ort der Kunstgeschichte, wenn habe: Das war, glaube ich, im ich etwa an die blaue Grotte im Lenbachhaus in München. Erst 19. Jahrhundert denke. habe ich es nur beiläufig wahr- Das Ding ist wie eine geni- Auktionen in Zürich: 6. – 7. Dezember 2019 genommen, aber beim genaueren ale Werbekampagne, die ihre Hinsehen dachte ich: Das ist ja Unschuld behält. Beuys hatte ei- IMPRESSIONISMUS & KLASSISCHE MODERNE fantastisch, unglaublich! Auf der nen Sinn für Werbekampag- Verpackung, die ebenso zum nen, das mochte ich sehr. Später POSTWAR & CONTEMPORARY · GRAFIK & MULTIPLES Werk gehörte, stand: „Nach 1.000 dann wurde ja die große Pa- Stunden auswechseln“, was gut thosformel Beuys geschaffen, Filz Vorbesichtigung: 27. November – 1. Dezember 2019 40 Tagen entspricht. Es steckt so und so. Die Capri-Batterie je- viel darin: Die Zitrone ist ja Le- doch ist auch für eine junge Ge- bensquell für die Glühbirne, aber neration verständlich. Das mag man kann das auch umdrehen. ich heute so an ihr.

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Man wurde trifftriot girl im Nähmaschinen- Spyro, den lilafarbenen Drachen Einwohnern kaum größer als wie Neo im Film Matrix. Man kurs. Das ist natürlich für den aus dem gleichnamigen Playsta- Nürnberg. Videospiele waren konnte seine Umwelt neu begrei- NÄHMASCHINENKURS grauhaarigen Kurator, der Beuys’ tion-Spiel. so eine Art Ausbruch aus dem fen und – weil die Naturgesetze Krefelder Festnetznummer noch Sie wächst in Luxemburg Stillstand dieses Landes. „Was nicht mehr griffen – verändern. auswendig weiß, kaum auszuhal- auf. Die Mutter ist Belgierin, der macht man denn so in Luxem- „Ich fand es immer am cools- ten, aber für den Rest ist das ein Vater Spanier. Ihre Großeltern burg als Teenager?“, frage ich. ten, wenn ich verstanden habe, unendlicher Spaß. lebten, als sie ein Kind war, im „Zocken“, sagt sie. wie das Spiel programmiert ist. Viele ihrer Skulpturen ar- Kongo. Sie spricht sogar noch Wie die verschiedenen Gegner- beiten mit Stoffen. Weil sich Luxemburgisch, was sich für Deut- ür jemanden, der keine Dro- typen reagieren. Und dann kann Ramirez während des Studiums sche wie Holländisch und für gen nimmt, sind Video- man anfangen, mit ihnen zu viel mit Mode und Textil ausei- Holländer wie Deutsch anhört. F spiele der direkte Weg ins spielen.“ Mary-Audrey Ramirez nandergesetzt hat. Den Cat-Peo- Ich sage: „Wenn Deutsche Pünkt- Wunderland. Wer früher Alice faszinierte vor allen Dingen die ple-Anzug, den sie trägt, hat sie lichkeitsnazis sind“, und been- durch den Kaninchenbau folgte Grenze der Spielewelten und die zum Beispiel selbst gemacht. Und de den Satz nicht. Und sie sagt: oder auf den Spuren Aleister dahinterliegende Glitchwelt. ich dachte erst, das wäre Jeremy „Dann sind die Luxemburger Crowleys dem Okkulten verfiel, Level Designer bauen häu- Scott. Wie sie überhaupt alles noch krasser. Die sind immer auf der Suche nach einem Sinn fig künstliche Barrieren in ihre selbst macht. Die geschweißten Gerüste, den darübergelegten Stoff. „Ich muss das schon selbst machen. Ich muss drauflosma- chen. Ich habe oft keine Ahnung, Mit ihren Psycho- MARY-AUDREY RAMIREZ fotografiert von FRÉDÉRIC SCHWILDEN für BLAU was da passiert“, sagt sie. eine Ahnung, ob das wirk- Tiergebilden sucht lich stimmt. Es wirkt al- MARY-AUDREY K les so perfekt, so aus einem Guss. So wie bei jemandem, ein Berlin-Charlotten- der letzte vernünftige Mensch auf beigebracht. Wieder zurück im der einen Masterplan hat. Sie leug- RAMIREZ etwas, burg, der alte Westen dieser Welt. großen Zimmer, neben dem net den natürlich. Aber es läuft das größer ist Mder Hauptstadt Deutsch- Wir reden also über das naked man und den Tentakelmons- einfach nur bei ihr. Dieses Jahr die lands. Im Hinterzimmer eines Schweißen. Sie sagt: „Habe ich tern, deren crazy shiny Stoffhül- erste große Einzelausstellung, Hutladens liegen Waffen auf dem mir selbst beigebracht.“ Vom le von selbst geschweißten Stäben xoxo – winter is coming in Lübeck als unsere Welt. Boden. Der naked man trägt großen Hinterzimmer des Hutla- gehalten wird, steht dann die in der Overbeck-Gesellschaft, schon den Harnisch um die Brust, dens gehen noch einige andere Nähmaschine. nächstes Jahr dann eine Gruppen- Sie schöpft sie aus auf dem Kopf trägt er eine mo- Räume ab, und da steht wirklich Schon allein der Modellna- ausstellung in der Kunsthalle difizierte Softballmaske. Sexpar- ein verdammtes Schweißgerät. me „Memory Craft 14000“ ist ei- Baden-Baden, wo sie in einer dem Abgrund ty oder Endzeitschlacht ist hier Dann ist da noch die Toilette, da ne Punchline. Dazu kommt, dass Kneippanlage Ratten gegen Ali- die Frage. Und dazwischen: die ist aber die Glasscheibe in der auf dem großen Touchscreen, ens kämpfen lassen wird, im Ja- ihres Verstands. Künstlerin Mary-Audrey Ramirez, Tür kaputt, seitdem ein Berliner mit dem man die Nähmaschine nuar noch eine Performance in die mich zuerst in einem blau- Polizist mal pinkeln war. Der steuert, nach einiger Zeit ein der Trauma Bar und Kino in Auf den ersten lila-weißen Anzug mit der mehr- hatte vorn im Hutladen gefragt, Bildschirmschoner mit wechseln- Berlin und dann im Mai eine So- fachen Aufschrift „Cat People“ ob er mal auf die Toilette dürfe. den Sinnsprüchen läuft. „Hap- loshow im Dortmunder Kunst- Blick sind sie un- begrüßt und später noch diesen Dann ist die Scheibe kaputtge- piness be with you“ steht unter verein. Dann noch eine residency fantastischen, komplett reflek- gangen. Und er hat noch ge- bunten Vogelkäfigen und „Gi- in New York. heimlich, auf den tierenden Overall anziehen wird. sagt, dass er zum Reparieren ving you all my love“ unter einem Ihre Werke sind dabei im- Eine kleine Frau, also vom Kör- wiederkomme, hat sich aber na- Yin-und-Yang-abstrahierten mer unheimlich und sinnlich zweiten unheim- per her gedacht, aber ansonsten türlich nie wieder gemeldet. Wir Kitschherz im Wandtattoolook. zugleich, schwarz-weiß und bigger than anything. Wacher, wit- reden über das Sticken. Hat sich Und genau dazwischen, zwi- quietschbunt – „Día de los Mu- lich schön ziger, crazier – am Ende natürlich Ramirez natürlich auch selbst schen den installativen Werken ertos“ trifft auf Gamedesign. DANCING AND MY HOUSE, 2014, GARN AUF LEINEN, 60×55 CM APÉRO 30

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 Spielewelten ein. Ein großer Was- Religion das Jenseits. Ihre Skulp- rorwelt leben, aber am Ende eben serfall, ein unendlich steiler Berg, turen und Installationen sind doch schmusige Wesen sind. ein Lavafeld. Und manchmal ge- Verstofflichungen aus diesem -ih „Es ist gar nicht unheimlich“, sagt lingt es doch, durch einen Glitch, ren Jenseits, aus dem Abgrund sie, „es schaut nur scary aus.“ eine Fehlfunktion im Videospiel, ihres Verstands. Ramirez nennt ihre Welten „Mys- Galerie Max Hetzler Berlin | Paris | London so eine Barriere zu überwinden. Mary-Audrey Ramirez hat teryland mit Fehlern“, und es Dann ist man in der Glitchwelt. an der Berliner UdK bei Tho- wirkt so, als wären ihre Bewohner Sozusagen dem Jenseits der Vi- mas Zipp studiert, dem Meister so was wie ihre kleinen Babys. deospielwelten. „Gibt es da etwas, des Abgrunds. Bei Zipp geht was über das Programm hinaus- es um Wahn, um die Anstalt, um inige Tage nachdem ich geht?“, hat sie sich damals gefragt. den Zwang, um das Irre als Zu- Mary-Audrey Ramirez in Meistens ist da natürlich nichts. stand. Bei ihm hat es etwas Be- E ihrem Atelier besucht ha- Carroll Dunham | Michael Williams Aber das halt: ein Mensch, der im drohliches. Und das bleibt auch, be, schickt sie mir dann ein Foto. Nichts das Alles finden will. egal wie lange man in Zipps Wel- Darauf hält sie eine schäfer- DRAWINGS ten hineinschaut. Bei Ramirez hundgroße Killerameise in Latex- it der Ästhetik von ist das anders. uniform. Mary hält das Monster Games und Pop- und Mit der Zeit erkennt man wie eine Mutter ihr Kind auf dem M Trashkultur stellt sie in den Monstern und dem Blut, Arm und lächelt. Ich schreibe die Frage nach einer übergeord- in den Tentakeln, im vermeint- ihr: „How cute.“ Und: „Hat es neten Welt. „Ich will diese ande- lichen Splatter etwas Verspieltes, schon einen Namen?“ Und sie re Welt in diese Welt hier holen.“ Niedliches, ja Zutrauliches wie schreibt nur: „Noch nicht.“ Die andere Welt, in Serien wie im Tim-Burton-Film Nightmare Stranger Things heißt sie „das Up- Before Christmas, wo zwar He- TEXT: FRÉDÉRIC SCHWILDEN side Down“, in der griechischen xen, böse Clowns und Zombies LISAS SCHWAN, 2017 (EINLADUNGSMOTIV Mythologie die Unterwelt, woan- mit Rauchen und Paffen in ei- ZU SCROLLING AND CRYING, ders Paralleluniversum, in der ner aus menschlicher Sicht Hor- GALERIE MARTINETZ, KÖLN)

HAUS DER KUNST Foto: Jörg von Bruchhausen, Berlin Pinault Collection, Helm I , 1970 (Farbliche Verfremdung des Motivs) © Markus VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Left: Carroll Dunham, Untitled (5/21/17, 5/27/17, 6/2/17), 2017, watercolor crayon and pencil on paper, 38.1 x 27.9 cm / 15 x 11 inches. Copyright Carroll Dunham, courtesy the artist and Gladstone Gallery, New York and Brussels, photo: David Regen. Right: Michael Williams, Egg, 2018, pen on paper, 20.3 x 13.7 cm / 8 x 5 3/8 inches. Copyright Michael Williams, courtesy the artist L ü p e r t z and Gladstone Gallery, New York and Brussels, photo: David Regen

Über die Kunst zum Bild curated by Cornelius Tittel — 26.01.20 November 23, 2019 – January 11, 2020 Bleibtreustraße 45, 10623 Berlin maxhetzler.com

S T R E T C H YOUR V I E W

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Allerdings nur, wenn man weiß, Werkstätten ähneln einander so sehr, dass dass die Akademie in einer ehemaligen man sich nicht wundern würde, wenn die evangelischen Kirche untergebracht ist. großen Halle tropft es von der ls Erstes muss man ins Gefängnis. ging’s. Seitdem hat er rund sechzig Ausstel- Teekannen und Schmuckstücke „Made in Sie stammt, wie so vieles hier, aus der Zeit der wirkt das Areal vernachlässigt. Der Beton Decke. Niemand weiß, wie lange die Dach- Am östlichen Ende der Altstadt in der lungen organisiert und seine Galerie zu einem China“ wären. Also lieber Burek essen. Im Habsburger, ist also im historisierenden Stil bröckelt, viele Geschäfte stehen leer. Tapfer konstruktion noch halten wird. Dabei ist diese AStraße Brodac Nummer 4 hat Gavrilo angesagten Treffpunkt der Kunstszene Eckrestaurant Buregdžinica Oklagija, wo die gehalten – genau wie die Hauptpost und das hält sich das Café Giannini, ein Treffpunkt Sammlung eine der besten, die Bosnien und Princip eingesessen, unmittelbar nachdem er gemacht. Und das nicht nur, weil er den bes- Spezialität klassisch mit Fleisch, Kartoffeln, Nationaltheater am gegenüberliegenden Mil- für Kette rauchende Männer. Wie fast über- Herzegowina zu bieten haben. In den vergan- den österreich-ungarischen Erzherzog Franz ten Kaffee in der Stadt mache, wie er sagt. Schafskäse oder Spinat als Füllung serviert jacka-Ufer. Ich betrete die Galerie der Kunst- all in Sarajevo gehört der blaue Dunst immer genen zwanzig Jahren gab es hier immer wie- Ferdinand und seine Frau am 28. Juni 1914 Sondern weil die bildende Kunst in Bosnien wird. Und alle Gäste trinken Joghurt dazu. akademie, die Werke von Professoren und noch zum guten Ton. Und der Kaffee ist der gute, international gedachte Ausstellun- erschossen hatte. Dem Attentat folgte der und Herzegowina keinen leichten Stand habe. Gefühlte tausend Kalorien stärker mache Kunststudenten zeigt. Diesmal sind Arbeiten hervorragend, das Giannini kann durchaus gen, zusammengetragen von Kuratoren aus Erste Weltkrieg, der bekanntlich den Lauf Es sind meist internationale Institutionen wie ich mich auf den Weg ins Studio Lisica. Wer von Salim Obralić zu sehen, dem 2018 gestor- mit Hubjers Braukunst mithalten. Was die ganz Europa. Nun stehen hier Werke von der Geschichte veränderte – und so auch den das Goethe-Institut und das Institut français, originelle Handwerkskunst sehen will, muss benen Künstler, dessen abstrakte Skulpturen Qualität des Kaffees und des Tees angeht, Michelangelo Pistoletto, Panamarenko, Jannis der Stadt Sarajevo. die das Kulturleben in Sarajevo unterstützen. diese Richtung einschlagen. Das Geschäft der vom Geist der späten Moderne geprägt sind sind sich in Bosnien und Herzegowina alle Kounellis, Rosemarie Trockel, Joseph Beuys Jetzt hängen hier in zwei kleinen Räu- Denn: „In den Köpfen der Politiker existiert Geschwister Naida und Ismet Lisica stellt und der jenseits der Grenzen Bosniens noch Ethnien und Religionen einig. provisorisch auf Holzpaletten. Das sieht zwar men Gemälde junger Künstler. Viele von die Kultur gar nicht.“ moderne Kupferobjekte her. Beide entwerfen entdeckt werden will. Mit der Tasse in der Hand treffe ich irgendwie lässig aus, aber eine Lösung ist es ihnen sind Absolventen von Kunstakade- Dabei ist die Politik nur wenige Schritte ihre Objekte selbst, die Herstellung überlassen Das sozialistische Gesicht Sarajevos Džeko Hodžić. Er bereitet auf dem Gelände nicht. Das weiß auch Kuratorin Asja Mandić, mien in der Region, aber es gibt auch Werke von Hubjers Galerie entfernt. Im Vijećnica, sie traditionellen Handwerkern. Es sind pure, zeigt sich nicht weit von hier: Die Skende- gerade eine Ausstellung im Collegium artisti- die mich durch die Sammlung führt. Es gibt internationaler Künstler wie die des französi- dem Alten Rathaus, wurden lange Zeit die unverzierte Gefäße und Schalen aus Kuben, rija, ein ziemlich wahnsinniger Entwurf, ist cum vor. Der Raum ist in keinem guten aber einen Hoffnungsschimmer. Schon vor schen Fotografen Louis Jammes. Doch trotz Weichen für die Entwicklung Sarajevos Kreisen und Kegeln. Ein wenig erinnern sie ein riesiges Areal, das einzig und allein aus Zustand, man sieht Spuren der Kriegsverwüs- 19 Jahren entwickelte Renzo Piano den Plan der bunten Vielfalt: Die Bedeutung dieses gestellt. Heute ist das historistische Gebäude an die Kuppelformen der 500 Jahre alten Beton besteht. 70.000 Quadratmeter mit tung. Doch Džeko und seine Künstlerfreunde für ein neues Museum. Seitdem hoffen alle, historischen Ortes hat sich tief in den Raum selbst museal und steht auf der Liste der Tou- Gazi-Husrev-Beg-Moschee, die direkt an das mehreren Hallen auf mehreren Ebenen. sind froh, ihre Werke zeigen zu können. Unter dass er doch einmal realisiert wird. Für Sara- eingeschrieben. Das spürt auch Mak Hubjer ristenattraktionen ganz oben. Studio grenzt. Ende der Sechzigerjahre ließ Josip Broz Tito Tito, erzählt er, hätten viele Künstler ein kos- jevo könnte das vielleicht den notwendigen immer noch, obwohl es mittlerweile 13 Jahre Unmittelbar an das alte Rathaus grenzt Von der Altstadt steuere ich die Akade- das Ganze als eine Art Sport-, Kultur- und tenloses Atelier gehabt. Jetzt müsse man sich „Bilbao-Effekt“ erzeugen, der diese Stadt in her ist, dass der Künstler seine Galerie Bro- die Altstadt, Baščaršija, der muslimische mie der bildenden Künste auf der anderen Shoppingcenter in feinstem Brutalismus um alles selbst kümmern. eine heitere Zukunft katapultiert. dac gegründet hat. Hubjer hat die rohen Teil Sarajevos. Das alte Handwerk in der Seite des Flusses an. Am besten flaniert man bauen. Hier wurden bei den Olympischen Die wichtigste Kunstsammlung der TEXT: CHRISTIANE HOFFMANS Backsteinwände weiß gestrichen, eine italie- Kazandžiluk-Gasse ist heute nur noch The- über die Lateinerbrücke, zu Jugoslawienzei- Winterspielen 1984 die Eishockey- und Eis- Stadt ist Ars Aevi, die ebenfalls in Skenderija FOTOS: VEDAD DIVOVIĆ nische Kaffeemaschine aufgestellt, und los ater. Die Angebote in den Schmieden und ten – und auf heutigen Karten immer noch – kunstlaufwettbewerbe ausgetragen. Heute untergebracht ist. In der 10.000 Quadratmeter ILLUSTRATION: SEBASTIAN SCHNEIDER

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© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 ie Gerüchte sind also wahr: Takashi nach Deutschland verkauft wurde. Und ich vor ihm. Bis ich das erste Mal nach Europa Murakami schläft in einer Pappbox habe in Deutschland so gut wie keine Insta - „Ihr habt so starke reiste und in Museen seine Installationen D mitten in seinem Studio. Eine Woh- gram-Follower. Ich habe da genaue Statistiken. sah. Das waren unglaubliche Erfahrungen. nung hat er nicht mehr, seitdem er Frau und characters. Beuys Mir wurde klar, dass ich damals sehr kin- Kind nach Kyoto ausquartiert hat, schließlich Sie sind der Künstler mit den meisten Insta- disch gewesen war. Alles war so stark, absolut sei seit Fukushima die radioaktive Strahlen- gram-Followern auf der Welt und schauen ist der Magier, Kiefer magisch. Und einer der stärksten Beuys- belastung in Tokio absurd hoch. Da könnten sich Statistiken an, die zeigen, in welchen Räume war im MMK in Frankfurt. Jetzt die Behörden noch so beschwichtigen – Ländern Sie schlecht performen? der Nationalist, wissen Sie, warum ich mich so auf die Aus- eigentlich, sagt er, müsse man die 35 Millionen —Natürlich schaue ich mir diese Statistiken stellung dort gefreut hatte. Dabei fällt mir Bewohner Tokios umquartieren. „Jeder, an. Aber Sie liegen falsch: KAWS hat mehr Kippenberger der bad ein, was mein Freund Paul Schimmel mir der einen Geigerzähler zu Hause hat, weiß, Follower als ich. erzählt hat, der Kurator aus Los Angeles, was ich meine.“ taste guy“ der am MOCA die große Retrospektive mit Auch wahr ist das Gerücht, dass in Wieso glauben Sie, die Deutschen mögen mir gemacht hat. Takashi Murakamis Studio im Schichtbetrieb Sie nicht? von seinem lädierten Gesicht, machte daraus gearbeitet wird, und dass der Meister alle —Weil sie mentalitätstechnisch den Japanern ein Poster. Das war für mich Rock’n’Roll. Was hat er Ihnen erzählt? zwei Stunden seinen Nachtschlaf unterbricht, so ähnlich sind, die mich auch hassen? Kippenberger selbst war wie eine laute Ankün- — Er erzählte mir, dass er als Student in um den Fortgang seiner Kunstgeschäfte zu Ich weiß es nicht. Alles was ich weiß, ist: Ich digung eines eh schon lauten Werkes, das New York zufällig als eine Art Assistent bei überwachen. habe in Deutschland meine beste Muse- mochte ich sehr. Und da er so viel trank, der berühmten Beuys-Performance I like Hier, vom Stadtrand Tokios aus, steuert umsausstellung überhaupt gemacht. Eine konnte er sich so schlecht konzentrieren, also America and America Likes Me dabei gewesen 727 DRAGON, 2018, ACRYL AUF LEINWAND Murakami sein Imperium, von einem Stu- fantastische Ausstellung, 2008 war das, mussten alle Bilder sehr schnell gemalt sei. Sie wissen schon, die Performance, in (AUF ALUMINIUMRAHMEN MONTIERT), 300 × 1.450 CM diokomplex aus, der eher einem kompletten im MMK in Frankfurt. Und die Reaktionen werden. Fast wie Kalligrafie, was mich als der Beuys am JFK-Flughafen landet, sich dort Gewerbegebiet ähnelt. Zwei riesige Hallen waren durchweg negativ. Asiaten natürlich begeistert. in Filz einwickelt, in einem Krankenwagen sind allein seiner Kunstsammlung gewidmet, zur Galerie gefahren wird und dann dort ein eine seiner Kakteensammlung, einer seiner Vielleicht weil Sie im zentralen Raum eine Bou- Stimmt es, dass Sie als Student Joseph Beuys paar Tage mit diesem Kojoten verbringt, Merchandisingabteilung, die die Welt mit tique installiert hatten, in der man Ihre begegnet sind? bevor er wieder im Krankenwagen zurück du Künstler und Unternehmer bist. Dabei ist Filmstudio, in dem sie eine Anime-Serie namens plüschigen Blumenrucksäcken und T-Shirts Handtaschen-Kollaborationen mit Louis Vuitton —Begegnet ist übertrieben. Beuys kam nach zum Flughafen fährt. dein Unternehmen ein Haufen Scheiße.“ 6 Hearts Princess, 6HP, produzieren. versorgt. Und ja, gemalt wird hier auch, kaufen konnte? Japan auf Einladung eines Kaufhauses, um — Als Künstler Geschäftsmann zu sein, von einer Heerschar von Assistenten in wei- — Eine Sache hat noch verrücktere Reakti- dort eine Ausstellung zu machen. Man muss Und? Hatte er recht? ist komplett unnatürlich in Japan, eine ßen Kitteln. onen provoziert. Dem Museum fehlten wissen, dass es damals noch keine Museen —Paul erzählte, dass Beuys eben nicht direkt — Natürlich. Als Unternehmer bin ich ein totale Anomalie. Die normale Schnittstelle Am 10. Dezember wird Murakami nach am Ende 500.000 Dollar für die Ausstellung. in Japan für zeitgenössische Kunst gab. vom Flughafen in den Raum mit dem Kojo- Versager. von Kunst und Kommerz in Japan ist Ani- Berlin reisen um die zehnte Künstleraus- Viel Geld für das Museum. Und ohne das Als sich unter uns Studenten rumsprach, dass ten gefahren und dort geblieben sei bis zu mation. Das Animationsstudio ist der gabe der Tageszeitung Die Welt zu gestalten. Geld wäre die Schau gescheitert. Also fragte Beuys einen Vortrag an unserer Kunstaka- seinem Rückflug, sondern dass er in der Wir dachten, auf dem Feld seien Sie ein Genie. größte Teil meines Unternehmens. Ich habe Auch deshalb sind wir hier. „Sagen Sie mir man meine Galerie, Gagosian, ob sie die demie halten würde, gab es große Aufregung. Galerie erst mal Kaffee und Donuts genossen Schließlich haben Sie sogar ein Buch darü- dort die meisten Angestellten und gebe genau, was ich tun soll“, sagt Murakami. 500.000 Dollar zuschießen könnten. Gagosian An dem Tag kam ich um halb fünf mor- habe, dann ein Zigarette. Und dass er immer ber geschrieben: Geijutsu Kigyo Ron (The Art das meiste Geld aus. Ich mache das vor allem, „Gerade weil es eine deutsche Zeitung ist, bin war so großzügig, zu helfen. Und nur weil gens zu dem Hörsaal, wo schon eine Schlange nur kurz für Fotos zu dem Kojoten in den Entrepreneurship Theory). Leider konnten um ein japanisches Publikum zu erreichen. ich sehr unsicher.“ sich das Museum dafür öffentlich bedankte, von 250 Leuten anstand, um einen Platz Raum gegangen sei. Es war Fake und hatte wir es nicht lesen, weil es nur auf Japanisch Um endlich mit meinen Landsleuten zu schrieben deutsche Zeitungen, die Ausstel- zu bekommen. Sein Vortrag begann um 11, wenig mit dem Mythos der Performance erschienen ist. kommunizieren. —Ich habe jetzt, wo ich mit einem Deutschen lung sei sowieso gekauft. Es war eine sehr und es waren bestimmt tausend Zuhörer zu tun, den wir kennen. Paul sagte, deshalb —Und auf Chinesisch. In China ist es ein spreche, augenblicklich kein Selbstvertrauen deprimierende Erfahrung für mich. Gerade dort. Als er kam, tobte Applaus, es war wie respektiere er Beuys umso mehr. Für ihn Bestseller. Aber ich bin ehrlich: Mein Unter- Sie meinen, dass Sie mit Ihrer Malerei und mehr. Null. weil ich deutsche Kunst so liebe und sehr ein Rock’n’Roll-Konzert. machte es auch totalen Sinn, dass Warhol und nehmen ist eigentlich eine Katastrophe. Ihren Skulpturen Ihre Landsleute gar nicht froh war, dort auszustellen. Beuys zu diesem Zeitpunkt befreundet Ich habe knapp 240 Angestellte. Von denen erreichen? Sie sind einer der berühmtesten Künstler der Und hat er geliefert? waren. Für Warhol waren Wahrheit und Lüge verdienen eigentlich nur 40, nämlich meine — All die Arbeiten, die ich für den Kunst- Welt, einer der wenigen wirklichen House- Was ist es, was Sie an deutscher Kunst lieben? — Sein Gesicht war unglaublich enttäuscht, auf dem gleichen Level. Ist es nicht irre, Malereiassistenten, Geld. markt produziert habe, haben keinerlei hold-Names. Wie kann ausgerechnet ich Ihr — Ihr habt so starke characters. Beuys ist schon als er den Saal betrat. Zu Beginn bat dass Warhol und Beuys ganz ähnliche Kon- Relevanz für ein japanisches Publikum. Wenn Selbstvertrauen zerstören? der Magier. Kippenberger der bad taste guy. er um gute, intelligente Fragen. Ein Student zepte hatten? Geld, das Sie dann für die anderen Sie sich von außen meine Karriere anschauen, — Weil Sie Deutscher sind. Und ich in Kiefer der Nationalist. Und so weiter. nach dem anderen hob den Arm und fragte 200 Angestellten wieder ausgeben? denken Sie vielleicht: Er hat das Ego, er Deutschland wirklich gar keinen Erfolg habe. Wenn es ein Film wäre, wären die einzelnen irgendwas, aber Beuys antwortete nie, sondern Sie haben vielleicht mitgekriegt, dass auch —Genau. hat die Ambition, er hat den Erfolg. Aber Minuserfolg. Die Deutschen hassen mich Rollen einfach sehr gut gecastet. Als ich sagte immer: Next question. Bis er irgend- sein Lebensmythos, als abgeschossener Welt- alles, was ich will, ist mit Menschen kommu- fast so sehr wie die Japaner. ein junger Künstler war, war Kippenberger wann sagte, das alles sei Bullshit, das alles habe kriegspilot auf der Krim mit Fell und Fett Das heißt, für McKinsey-Berater wäre Ihr nizieren. Und ja, ich will auch mit meinen neben Mike Kelley einer meiner größten kein Niveau. Ich war komplett geschockt. gesundgepflegt worden zu sein, Fake war? Unternehmen tatsächlich ein Witz. Landsleuten kommunizieren. Also musste ich Woran messen Sie Ihren Erfolg in Deutschland? Helden. Er hatte kein bisschen Respekt vor seinen Zu - —Darum geht es in der Kunst. Um erfundene —So ist es. mit Animation beginnen, der für Japaner — Nun, ich habe in Deutschland nicht hörern. Also ging ich nach sechs Stunden Geschichten. Paul Schimmel sagte damals, gewissermaßen höchsten Kunstform. Die einen einzigen Sammler. Ich glaube nicht, Was bewunderten Sie an ihm? Warten wieder, so empört war ich. Seitdem genau deshalb habe er mich gewählt. „Du Sie betreiben Galerien, ein Kaffee, Merchan- ganzen romantischen, sentimentalen Ideen, dass auch nur ein einziges meiner Bilder — Er trank viel, stürzte, machte eine Foto hatte ich dann jahrelang keinen Respekt glaubst an dich und deine Geschichte, dass dise-Abteilungen und nicht zuletzt ein die man von Künstlern und ihrer Kreativität

REVUE REVUE 40 41

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DRAWINGS, VOL. 4, ILLUSTRATION: MEBAE) 6HP

6HP KONDO/STUDIO PONCOTAN, LINE ART: JNTHED) LINE ART: PONCOTAN, KONDO/STUDIO (KEY VISUAL, CHARACTER ART: MEBAE, COLORING: AKI MEBAE, COLORING: ART: CHARACTER (KEY VISUAL,

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Und wenn eine Episode fertig ist, verkaufen Also zwischen Ihnen und Ihrem Heimatland Sie sie ans Fernsehen? ist kein Happy End in Sicht? — Es ist kein Geschäft, es funktioniert —Ich habe immer noch die Hoffnung, dass überhaupt nicht als Geschäft. Ich habe für mir die Animation helfen wird. Ich hoffe, den TV-Sender Tokyo MX, für den ich als dass in naher Zukunft so viele Episoden Designer arbeite, eine Station-ID entwickelt, produziert sind, dass man sie am Stück und als Lohn bekomme ich einen Sende- gucken kann. So, dass man nicht die letzte platz, wenn eine Episode fertig ist. Ich kaufe Episode schon wieder vergessen hat. Ich also gewissermaßen meinen Sendeplatz. hoffe, dass ich dann die jungen Leute errei- Bis jetzt sind sieben von fünfzehn Episoden chen kann, die keinen Kontext haben und ausgestrahlt. nichts über mich wissen. Und dass sich dann meine Position in Japan langsam zu Sie sagen, Sie machen das, um mit dem japa- verändern beginnt. nischen Publikum zu kommunizieren. Fühlen Sie sich nun wirklich umarmt oder Lassen Sie uns noch einmal auf die deutsche verstandener? Kunst zurückkommen oder in diesem Falle — Die Serie hat bis jetzt keine negativen eher auf die Luxemburger. Sie haben kürzlich Reaktionen bekommen, was schon mal gut „Kollaborationen“ mit Michel Majerus gemacht, ist. Als ich mit Animation anfing, wollte obwohl dieser schon bald 18 Jahre tot ist. Vordergrund: UNTITLED, 2019, ACRYL UND PLATINBLATT AUF LEINWAND REVUE (AUF HOLZ MONTIERT), 120 × 113 CM 44 Hintergrund: MURAKAMIS STUDIO IN TOKIO

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an ganz verschiedenen Orten, kleinen wie großen, in einem Kontext, den die Leute verstanden haben. Es gab Publikum, die Kommunikation funktionierte. Majerus hatte genau das, wovon ich geträumt habe, als ich

aus der Akademie kam und ein professio­ FOTOGRAFIERT VON KEIZO KITAJIMA FÜR BLAU neller Künstler wurde. Nur dass das eben in Japan nicht möglich war. Ich musste mir überlegen, wie ich als japanischer Künstler

im Ausland akzeptiert werde, und deshalb TAKASHI MURAKAMI musste ich strategisch in Richtung Manga und japanische Subkultur arbeiten.

Und wenn Sie ganz frei gewesen wären … —… dann hätte ich, glaube ich, etwas sehr Ähnliches wie Majerus gemacht. Dass er bei aller Freiheit doch auch einen Komplex gegenüber der amerikanischen Kunst hatte, gegenüber dieser sehr dominierenden Szene, macht ihn mir nur sympathischer. Bei ihm mischten sich eine Reinheit mit diesem Komplex, und dieser Konflikt ist spannend. 6HP SUPERFLAT BUBBLEWRAP MICHEL MAJERUS, 2019, Was Majerus gemacht hat, berührt mich ACRYL AUF LEINWAND (AUF ALUMINIUMRAHMEN MONTIERT), 138 × 106 CM auf eine fast rohe Art. Es macht einfach Sinn für mich.

Wie möchten Sie selbst einmal erinnert werden? Welche Bedeutung hat das Werk von Majerus hörte die sehr traurige Geschichte seines —Als „japanischer Warhol“ wäre der Worst für Sie? Flugzeugabsturzes. Und vor ungefähr einem Case. Ich hoffe, dass ich keinen Rahmen — Ich habe Majerus gleich entdeckt, als ich Jahr fing ich an, ernsthaft darüber nachzuden­ brauche. Joseph Beuys wird als Joseph Beuys mit Instagram angefangen habe. Ein Algo­ ken, seine Bilder mit meinen Motiven zu erinnert, richtig? Und nicht als der „deut­ rithmus hat mich ihm vorgestellt. Algorithmen versehen. sche Irgendwas“. Also möchte ich selber als sind fantastisch, denn sie kennen genau Takashi Murakami erinnert werden. meinen Geschmack. Und dann habe ich an­ Was an Majerus Werk sprach zu Ihnen? gefangen, eine Mappe anzulegen, mit aus­ —Als ich mich tiefer mit seiner Entwicklung gedruckten Majerus­Bildern, die ich im Inter­ beschäftigt habe, wurde ich etwas neidisch. TAKASHI MURAKMI GESTALTET DIE ZEHNTE net finden konnte. Und dann fragte ich In der kurzen Zeit, die er gelebt hat, hatte er KÜNSTLERAUSGABE DER WELT, meine europäischen Freunde nach ihm und bereits so viele Möglichkeiten auszustellen, DIE AM 11. DEZEMBER 2019 ERSCHEINT.

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BRIGHTCecil Beaton in All the Vogue (Drama), Cambridge, 1925

THINGS George Rylands, 1924 Rylands, George YOUNG über die laxe Sexualmoral der offenbar wahn­ Fond und die Kleider der Modelle in den­ den Auslöser drücken wird für das berühmte sinnig gewordenen Jugend auszusprechen: selben Farben. Bild eines großäugigen Bürgers auf Abwegen – „Ich frage mich immer, Kitty, was sie auf die­ Weil seine ersten Kameras so schlecht spärlich fallen lange weiße Haare auf den sen Partys von ihnen eigentlich tun? Ich sind, wird der kleine Cecil zum Meister Kragen überm Dreiteiler. Die Bartspitzen meine, machen sie…?“ Kitty alias Lady Black­ der Lichtsetzung. Perlen schimmern, Seide sehen aus wie Teufelshörner. water antwortet: „Meine Liebe, nach allem, glänzt, zur Not dient Alufolie als suggesti­ was ich höre, tun sie das.“ ver Zauberspiegel, als Trägermedium einer ber zurück in die jungen Jahre. Der Ein Hauptquartier der neuen Szene – Atmosphäre, die von der Dekadenz bis in junge Cecil will raus aus dem Holz­ der die begeisterte Boulevardpresse den den Surrealismus reicht. Salvador Dalí steht Ahändlermief des Elternhauses. Spitznamen „Bright Young People“ gibt, Beaton immer wieder Modell. 1937 lugt Der Vater scheint für den Beruf geboren, strahlende junge Leute – ist David Tennants er durch ein Guckloch eines eigenen Werks. vierschrötig, pragmatisch, gesellschaftlich Gargoyle Club in der Dean Street 69. Der Eine Haarsträhne fällt keck herab. Der desinteressiert. Immerhin die Mutter liebt Maler Matisse, aufgegabelt in leichtfertigen Schnurrbart ist noch nicht so melodramatisch Klatsch und Mode, liest Tatler und Vogue. Sommern an der französischen Riviera, gezwirbelt wie 1973, wenn Beaton wieder Cecil schleicht um ihren Schminktisch, drängt hat das reflektierende Mosaik, das die Wand schmückt, aus Bruchstücken alter französi­ scher Spiegel entworfen. Es lässt den Raum größer wirken und verstärkt das Schillern der Dandys und Bohemiens, die sich darin tummeln. Die Gäste verfügen über sagen­ Anna May Wong, 1929 hafte Vermögen oder sind arm, aber begabt. Dieser Cocktail aus Ober­, Mittel­ und Unterschicht ist neu. Als hätten die Ex­ plosionen des Weltkriegs auch die Säulen der Gesellschaft zum Einsturz gebracht. Waugh, auf seine Weise Chronist der Zeit wie Beaton, schreibt vom schlechten Gewissen, das auf den Überlebenden laste, Überle­ Von links: Rex Whistler, Cecil Beaton, Georgia Sitwell, William Walton, Stephen Tennant, Zita und Teresa Jungman, 1927 bende dank ihrer nackten Jugend. Während ihre Brüder auf der Strecke bleiben, pudern sie sich in Oxford und Cambridge die Gesich­ ter und spielen Theater. Mitten im Krieg er kann schon von sich behaupten, Ambition, ein Virtuose des Schnöseltums, ein wird Beaton unter Pfeifen und Johlen vom Snob, Adabei, Tänzer er habe mit einem einzigen Bild Master-Emporkömmling. Sein übriges Werk – Schulhof gejagt, weil entdeckt worden ist, W den Lauf der Geschichte geändert? zahllose Porträts von praktisch sämtlichen wie er im Gartenhaus einen Kommilitonen auf dem Vulkan. Oder die moderne Gesellschaft, in der Stars des Jahrhunderts von Marlene Dietrich in der Pose eines halbnackten griechischen Mit glamourösen Foto- Klassenschranken keine Rolle mehr spielen, bis Mick Jagger, daneben 38 Bücher – ist Gottes ablichtet. aus der Taufe gehoben, mit nichts als tau- tatsächlich nur eine Ableitung davon, bloßes porträts ist CECIL send Kameraklicks? Nur Cecil Beaton, Por- Mittel zum Zweck. ie Familiennanny hatte eine Kodak 3A trätfotograf, Modeillustrator, Kriegsbericht- Cecil Beaton sieht viel und fotografiert besessen, eine kleine Faltkamera, und BEATON zum Chronis- erstatter, Schriftsteller, hätte lässig wie immer kaum weniger. Er ist das Auge einer Ära, Dden zehnjährigen Cecil mit ihrer Begeis­ die Hand heben können. Und irgendwie in der unsere Gegenwart geboren wird, pro- terung angesteckt. Er zog seinen Schwes­ ten seiner schillernden ist das alles nebenbei passiert, als Nebeneffekt saisch gesagt: die nivellierte Mittelschicht. tern funkelnde Roben an und ließ sie unter seines eigentlichen Talents – eines grenzen- Ihre Geburt allerdings ist alles andere als pro - Torbögen schmachten. Die Haare wangen­ Epoche geworden. losen gesellschaftlichen Ehrgeizes. saisch, vielmehr rauschhaft, glamourös, lang, halb Jugendstil, halb Prinzessin Leia, Schon als Teenager nervte er seinen surreal. Nach dem Schock des Ersten Welt- inszenierte ihr Bruder sie als traurige Zwillinge Eine vergnügte Umschau Vater, einen Holzhändler, er solle doch bitte kriegs beginnen Debütantinnen der höhe- vor extravaganten Hintergründen. Das wird im Spiegelkabinett die Londoner Telefongesellschaft dazu ren Stände, sich den Kopf zu rasieren und sein Markenzeichen werden. Auf Beaton­ bringen, der Familie eine Nummer aus dem Zigaretten zu rauchen. Die Männer legen Bildern neigen die Porträtierten und das eines widersprüchlichen eleganteren Nachbarstadtteil zuzuteilen. Mascara auf, und wenn sie in den Nachtklubs Setting zum Verschmelzen. 1929 etwa hält die Von Truman Capote stammt das liebevoll von Soho tanzen, wirbeln ihre Seidenklei- Schauspielerin Anna May Wong einen Strauß Jahrhunderts. vergiftete Lob, Beaton sei eine „seltene der. Im Schlüsselroman Vile Bodies des weißer Wildblumen in der Hand. Durch Kreatur“: „die totale Schöpfung aus sich selbst Schriftstellers wagt die ältliche eine Flucht in der Decke dringt helles Licht Von Jan Küveler heraus“. Ein Künstler der gesellschaftlichen Lady Throbbing nicht, ihre Befürchtungen und ranken sich Blätter. Oft erstrahlen der

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Die maßlose Ambition des Kunst und Musik interessiert. Er soll sehr Parvenüs bleibt nur den wenigsten verborgen. schön gesungen haben. Mit Waugh verbindet Aber noch weniger stören sich daran, wie ihn ewiger Hass; in Beatons mit eiserner der Maler Ed Burra. „Hast du die Dezember- Disziplin geführten Tagebüchern heißt der Vogue gesehen?“, fragt er die Fotografin Schriftsteller abwechselnd „mein alter Erz- Barbara Ker-Seymer nach einer besonders feind“ oder „das Schwein“. Als Feind ist verschwenderischen Strecke aus Beaton- Beaton begabter denn als Buchhalter. Hass Fotos und Beaton-Illustrationen. „Es ist Cecil und Verachtung liegen ihm im Blut. Über Beaton Baba Beaton Annie Beaton Mrs Katharine Hepburn wird er einst sagen, ihre Beaton Vater Beaton Lizzie Beaton Beaton Erscheinung sei abstoßend: „Ein sommer- Beaton und sogar eine von diesen amüsanten sprossiges, verbranntes, gebleichtes, ver- Zeichnungen von Cecil Beaton, die Cecil schrumpeltes, verwesendes Etwas. Sie ist kein Beaton zeigen, wie er eine duftende olle Staf - bisschen großzügig, herzlich oder elegant. fordshire-Figur imitiert, die Apollo darstellt.“ Sie ist ein vertrockneter Stiefel.“ Was ihn nicht Ein berühmtes Bild aus dem Oktober vom Fotografieren abhält, weil er eben 1927 zeigt den Inner Circle der Bright alles knipst, was im Strom der Zeit einen Young People in historischen Kostümen auf Wirbel hinterlässt, Katharine Hepburn und einem Steg: Rex Whistler, Cecil Beaton, selbst Evelyn Waugh. Georgia Sitwell, William Walton, Stephen Tennant, Teresa und Zita Jungman. Hoch eaton cruist durch die mittleren Zwan- aufgeschossen, mit weiß geschminktem zigerjahre der Bright Young People, Gesicht, sieht Beaton aus wie ein wehmüti- Bdie Kamera dient als Eintrittskarte. ger Harlekin. Während die anderen einzig Er kommt selten allein, meist in Begleitung im Bild sind, steht er zugleich außen. Er ist seines Minderwertigkeitsgefühls. Der Vater sowohl Gegenstand der Aufnahme wie ihr ist nicht nur Holzhändler, sondern inzwi- Auslöser. Die Bright Young People ver- schen auch pleite. Die Familie muss sich schwenden ihre Lebenskunst wie ihr Geld verkleinern. Die Telefonnummern werden an den flüchtigen Augenblick. Dass wir sie nicht besser. Umso größere Mühe gibt sich heute noch kennen, verdanken wir den Zeug - Beaton, in der feinen Gesellschaft Eleganz, nissen ihrer bestenfalls mittelsolventen geistige Noblesse, blasierte Nonchalance Zaungäste, eben Leuten wie dem Fotografen auszustrahlen. Mit den Schwestern teilt er eine Beaton und dem Schriftsteller Waugh. gewisse äußerliche Farblosigkeit. Bei ihnen Die Schattenseite von Beatons gepfleg- hat er das mit ausgefallenen Kleidern und ter Indifferenz: ein Mangel an Liebe. Das Stephen Tennant, 1927 Schmuck kompensiert. Bei sich selbst auch. heißt, er liebt sehr wohl, den Kunstsammler Jahrelang hat er mit dem Fernauslöser expe- Peter Watson vor allem. Später, so hetero rimentiert, seinem wichtigsten Werkzeug. ist er dann doch, Greta Garbo. Noch später Immerhin ist er groß, schlank, langbeinig. Kin Hoitsma, Kunstgeschichtler und Fech- Überall finden Maskenbälle statt, Schnitzel- ter. Aber er wird nicht so richtig zurückge- jagden, Abendessen. Beaton bekommt immer liebt. Peter Watson liebt Oliver, Garbo die sie, reiche Gäste einzuladen. Als im Hause bestand aus Perlen und Diamanten. Der Lords, Sirs und Majors. „Das werden jetzt In Wahrheit handelt es sich um einen Schnapp- öfter Einladungen. Kein Wunder, trägt er doch Schriftstellerin Mercedes de Acosta und an - Beaton ein Ball stattfindet, zahlt er derTimes Ballsaal war mit rosa Rosen, Madonnenlilien alle sehen und fürchterlich neidisch werden“, schuss seines Freundes George Rylands, von Geburt an eine Maske – sein Gesicht. sonsten sich selbst. einen Guinea, damit sie in ihrer Klatschko­ und Ramblerrosen dekoriert.“ Unter den freut sich Cecil, „und wir werden heißbegehrt der „leicht unscharf im Unterwasserlicht „Sie hat keine Ahnung, dass ich ein intriganter Zwischen New Yorker Jobs und vene- lumne eine Meldung bringt: „Die Gastge­ Gästen befanden sich laut Times „der bolivi­ sein.“ Am College schwänzt er die Vorlesun­ vor dem Männerklo im ADC-Theater von Snob bin“, bemerkt er über eine Gastgebe- zianischen Partys sitzt Beaton allein im berin“, heißt es da, „trug eine Robe aus Eau anische Minister“ und die Schriftstellerin gen und schickt lieber der Vogue Bilder, die Cambridge steht“, verkleidet als Herzogin rin, bei deren wohltätigem Werk er assistiert. Regen auf seinem geliebten Landsitz Ash- de Nil, getrimmt mit Strass, und ihr Schmuck Daphne du Maurier nebst allerlei Colonels, angeblich die Herzogin von Malfi zeigen. von Malfi aus der gleichnamigen Tragödie „Sie denkt, ich sei einfach charmant.“ Sein combe, den er Anfang der Dreißigerjahre

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als Szenen- und Kostümbildner der Holly- woodfilme Gigi und My Fair Lady. Für 40 Pfund kauft er ein Bild eines jungen Kunst - hochschülers namens David Hockney, der später sagen wird, dank Beaton habe er er - kannt, „dass es gute Porträtfotografen gibt“. Beaton revanchiert sich mit einem Tagebucheintrag, in dem er sich wundert, „wie so ein hässlicher, exzentrischer Freak“ derart selbstzufrieden daherkommen kann.

eatons Eitelkeit und Arroganz sind au - thentisch und deshalb auch zart, rein Bund aufrichtig. Diese komplexen Quali- täten geben seinen Bildern ihre Kraft. Eine große Ausstellung namens 600 Faces fand 1969 im Museum of the City of New York statt. Die Kritikerin der New York Times erzürnte sich über Beatons kritiklose Feier der „Launenhaftigkeit von Mode und Promi- nenz“. Ein Argument wie aus der vorletzten Oliver Messel, 1932 Saison. Im Vorwort der französischen Aus- Rechte Seite: Lady Diana Cooper, 1930 gabe von Beatons ästhetischem Manifest The Glass of Fashion schreibt Christian Dior, dass der Autor sich Chanel und Vionnet mit demselben Ernst widme, wie Kunsthis- gefunden hat. Geld hat er inzwischen reich- er als Kriegsfotograf in Uniform die Gräuel toriker über Watteau, Ingres oder Renoir lich. Auf dem Marsch durch die Institutionen des Zweiten Weltkriegs in Szene wie vor- geschrieben hätten. „Er besitzt einen exqui- des Hedonismus hat er es weit gebracht, ist mals die Mode. Auch in Zeiten der Zerstörung siten Sinn für Chic und Fashion, also für Fotograf der amerikanischen Vogue gewor- sucht sein Blick unersättlich die Schönheit. die Schönheit, die vergeht.“ Beaton selbst den, bis er wegen eines unerklärlichen Anti- Als sein Flugzeug abstürzt, klettert er aus erinnert wenige Seiten später daran, wie semitismus-Skandals fliegt. In einer doppel- dem Wrack und besteigt Stunden später ein Marcel Proust bei der Arbeit an Auf der Suche seitigen Illustration kann man das Wort kike neues. Auf den harten Kern unter der weichen nach der verlorenen Zeit Auskunft einholte, mit der Lupe suchen, ein Schimpfwort, Schale ist Verlass. Sein Bild der dreijährigen welche Farben die Federn am Hut einer be - das auf Juden zielt. Später wird er sagen, sein Eileen Dunne im Londoner Krankenhaus- stimmten Dame zehn Jahre zuvor gehabt Gehirn habe ausgesetzt, das habe er nie bett, mit Kopfverband und Puppe, landet hätten. Nur wer so gar nichts von einem Snob gewollt. Der Schaden ist da, Beaton reist auf dem Cover des Life-Magazins. Es gibt hat, kann die Kraft verkennen, die in solch zurück nach Ashcombe und streichelt seine Leute, die sagen, es habe den Ausschlag flüchtigen Details liegt. Es sind die Schlüssel, treueste Liebe, den weißen Kater Timothy, für den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten die Epochen öffnen. der im Garten unter Rosen döst. gegeben. Es ist die politischste Tat des ewi- CECIL BEATON’S IST Als offizieller Fotograf der Krone wird gen Ästheten. In den Fünfziger- und Sech- VOM 12. MÄRZ BIS 7. JUNI 2020 IN DER NATIONAL Beaton sein Comeback erleben, später setzt zigerjahren darf er weiter Welten designen, PORTRAIT GALLERY IN LONDON ZU SEHEN

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OCCUPATIONAL PLACEMENT. PLACEMENT. OCCUPATIONAL

1989–1990, MIXED MEDIA 1989–1990, VIDEOSTILLS AUS VIDEOSTILLS

SECURITY BY JULIA IV (AUSSTELLUNGSANSICHT AUF DER WHITNEY-BIENNALE, NEW YORK, 1989)

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ich auf dem Weg zu Julia Schers Atelier nicht zu verirren, ist praktisch unmöglich. Dabei drückt mir die freundliche Pförtnerin San der Schranke zu den Sozial-Betrieben-Köln extra einen Lage- plan in die Hand, auf dem die Gebäude bunt markiert sind: rot die Pflegestationen, blau die Seniorenwohnungen, grün die Behinder- „Bitte entschuldigen Sie, wenn ich mich beim Erzählen wieder­ teneinrichtungen und gelb die Verwaltungseinheiten. Das Atelierhaus hole“, sagt sie mit ihrem weichen kalifornischen Akzent. „Wir hat keine Farbe. Es liegt am äußersten Zipfel des Plans. Als die sind hier auf dem Gelände der Alzheimerpatienten. Die Krankheit Taxifahrerin nach einer Irrfahrt durch Sackgassen und vorbei an liegt in meiner Familie.“ Sie lächelt verwegen und ich weiß nicht winkenden Senioren endlich dort hält, direkt vor einem hohen Stahl - recht, ob sie scherzt. Später, als ich ihren fast vierstündigen Film zaun, fühlt es sich an, als wäre das hier so etwas wie die verbotene Discipline Masters von 1988 anschaue, in dem sie ihre Familienge­ Hütte, von der man besser keinem erzählt. Doch unter dem Klingel- schichte detailliert wie bei einer Therapiesitzung in die Kamera schild zu Schers Studio steht der Name Marcel Odenbach, womit spricht, wird klar, dass es stimmt und ihre Mutter an Alzheimer hier schon zwei bekannte Videokünstler arbeiten. Weggesperrt wird litt – oder nicht? Wieso flirtet die Künstlerin dauernd mit der Ka­ hier also offenbar niemand. mera? Stimmt die Story, nur weil sie gefilmt wird? Julia Scher lächelt durch zwei sehr helle Augen, als sie die Tür So ist es immer bei Julia Scher: Der Bildschirm wird zum Un­ öffnet. Sie ist ganz in Schwarz, samt Mütze, Brille und Steppjacke, sicherheitsfaktor. Seit den Achtzigerjahren macht sie Kunst mit was mich etwas irritiert, denn auf Fotos und YouTube-Videos sieht Überwachungskameras und Videoaufzeichnungen, die sie in ihrer man sie blond verwuschelt und oft in knallpinkfarbenen Unifor- vermeintlichen Wahrheits­ und Sicherheitsfunktion spielerisch ad men. Vorbei an einer Armada absurdum führt. Immer wieder taucht sie selbst in ihren Installationen an Riesenkakteen führt sie mich auf, als fröhliche Wärterin in ebendieser in ihr Atelier im ersten Stock. rosa Uniform oder nur als verführerische Es ist sonnig, aber feuchtkalt Stimme im Raum, die autoritäre Instruk­ hier, doch die Heizung will tionen vom Band, wie man sie von Flug­ sie nicht anmachen, „es könnte häfen oder Bahnhöfen kennt, aufs Korn stinken“, was immer das heißt. Es gibt Kaffee und Kartoffelchips. nimmt. Schriftzüge wie „Don’t worry“ laufen über Monitore, wie Ihr Atelier ist rümpelig, dominiert von einem großen Tisch voller ein Befehl zum Glücklichsein. Kartons und Krimskrams. An der Wand steht ein Bett mit lila Über- In einer Zeit, in der Kameras überall und fast unsichtbar sind, wurf, darüber hängt ein alter rosa Minimonitor und schaut uns blind in der wir unsere Daten freiwillig preisgeben, damit andere damit an, hinter sein Kabel ist ein fluffiges lila Kissen an die Wand ge- Geld scheffeln, kommen einem Schers sperrige Kombinationen aus quetscht. Wir sind also mittendrin in der Welt der Julia Scher. Kabeln, kantigen Monitoren und klobigen Webcams beinahe

THE SCHÜRMANN HOUSE, 1991, MIXED MEDIA (INSTALLATIONSANSICHT KESTNERGESELLSCHAFT HANNOVER, 2017)

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archaisch vor. Und doch: Sie verkörpern die DNA einer Gesell- JULIA SCHERS STUDIO IN KÖLN schaft, in der Spionage und Sicherheitswahn eins geworden sind. 1984 von George Orwell, Peeping Tom, Big Brother, The Truman Show, Edward Snowden, Facebook, Amazon, Donald Trump – all das klingt an, wenn man sich mit Julia Scher beschäftigt. Wenn eine also ihrer Zeit so weit voraus ist: Wieso um alles in der Welt zieht sie dann von Los Angeles nach Köln? „Ach, das ist eine lange Geschichte, sind Sie sicher, dass Sie die hören wollen?“, fragt Scher – es ist ein Satz, den sie in unserem Gespräch öfter sagen wird. Im Gegensatz zu anderen Künstlern, deren Biografie eine gewisse Logik innewohnt und die von einer bestimmten Szene geprägt wurden, gibt es keine lineare Erzählung in Schers Leben. Geboren wurde sie 1954 im San Fernando Valley, „wohin die Leute der Wand die Betrachter des Bildes sehen können. „Inspiration Dass sie gern Schamgrenzen überschreitet, hat im Übrigen auch ziehen, die es beim Film nicht geschafft haben“, wie sie sagt. „So dafür war ein Bild der Fotografin Susan Meiselas, die eine Landschaft damit zu tun, dass sie eine Weile in einem Fitnessstudio namens wie mein Vater. Er war erst Fotomodell, der sich mit hübschen, im Bürgerkriegsland Nicaragua aufgenommen hatte“, sagt Scher. The Sweatshop arbeitete, wo sie den Boden schrubbte und Elektro­ schwulen Männern umgab. Später verkaufte er Werbeschilder aus „Niemand war darauf zu sehen, doch man wusste, die Szene wurde geräte reparierte. Irgendwann griff sie zur Kamera und begann seinem Kofferraum heraus. Meine Mutter war Hausfrau und extrem überwacht.“ Auch der Fotograf Weegee war wichtig, der den Poli­ die Mitglieder beim Workout zu filmen. „Ich wurde als so geschlechts­ übergewichtig. Und sie war Voyeurin. Ihre Augen blickten in zwei zeifunk abhörte, um noch vor dem Eintreffen der Beamten Bilder los angesehen, dass den Leuten das völlig egal war“, erzählt Scher. verschiedene Richtungen, sodass man nie wusste, wohin sie sah.“ vom Tatort zu schießen. „Das waren meine ersten Aufnahmen überhaupt.“ Dann baten sie Als Scher mit ihrer Kunst anfing, waren Gewalt, Kriminalität ein paar Frauen, ihnen zu Hause beim Einbau von Sicherheits­ s müssen der Spannerblick ihrer Mutter gewesen sein und L.A. und mediale Überwachung große Themen. Seit dem Vietnamkrieg technik zu helfen. So kam Scher zu ihrem Business Save and Secure. als Stadt, in der jeder irgendwie mit Kameras zu tun hat, was saß der Tod mit auf der Fernsehcouch. Antonionis Blow Up hatte Ihre Kunst trieb sie parallel dazu voran. Dabei entstand ihre erste E Scher beflügelte, Kunst zu machen. Eine Weile wohnte sie in Filmgeschichte geschrieben, Foucaults Überwachen und Strafen wurde Werkserie Security by Julia: eine Mischung aus Installation und Venice Beach und hing mit Chris Burden und Lynda Benglis ab. debattiert, Bruce Naumans Videos, die den Körper zum zwanghaften Performance, die sie über Jahre hinweg immer wieder abwandelte. Später zog sie mit einem Fotografen nach Laurel Canyon, wurde Observationsobjekt machten, hatten neue Maßstäbe gesetzt. Jenny Auf der Whitney­Biennale 1989 stellte sie sich mit einer Wärterin in Nachbarin von Frank Zappa und hatte viel mit Musikern zu tun. Holzer, Barbara Kruger und Lynn Hershman Leeson begannen, fe­ rosa Uniform direkt neben den Ticketstand: Die Kontrollmecha­ Nebenbei studierte sie an der UCLA und malte Landschaften. Ka- ministisch inspirierte Medienkunst zu machen. Doch Scher hatte nismen der Institution, die eigentlich Diskretion und Neutralität meras wurden erst ein Thema, als sie nach Minneapolis umsiedelte. keine Berührung mit ihnen. Sie war eine Außenseiterin, die immer ausstrahlen sollen, wurden in Form von weiblicher Heiterkeit als „Niemand ging dorthin! Aber ich tat es wegen eines, na ja, Boy- wieder Städte und Szenen wechselte. Und die Dinge tat, die eigent­ Farce entlarvt. friends.“ Scher lächelt wieder und verdreht die Augen. Als ob sie ihre lich nicht gingen. Als sie 1986 ihre erste Installation aus Monitoren Scher steht auf und öffnet die Tür zu einer Abstellkammer, Karriere nicht völlig unabhängig beschritten hätte. und Kameras in der Künstlergalerie Medium West in Minneapolis wo rosa Uniformen auf einem Ständer hängen. Sie hat sie selbst In Minneapolis besucht sie die Kunsthochschule, und 1985 zeigte – Softly Tapping The Wires – setzte sie Audiosignale ein, die die genäht. Bis heute sind sie das Leitmotiv ihres Werks – gepaart mit entsteht ihr Schlüsselwerk mit dem schönen Titel Hardly Feel It Schließmuskeln der Besucher stimulierten. Menschen verließen den Kameras und Monitoren sind sie so etwas wie Signalstörungen Going In: ein zweiteiliges Landschaftsgemälde, in dessen Spalt ein fluchtartig die Ausstellung, weil es dort keine Toilette gab. Schers an öffentlichen Orten, von denen es heißt, man hätte dort alles Monitor angebracht ist, sodass die Leute auf der anderen Seite Karriere nahm an Fahrt auf. unter Kontrolle.

REVUE SECURITY BY JULIA X, 1991 61 MIXED MEDIA, 240 × 180 × 210 CM

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Matratzen sein müssen. Julia Scher lacht: „Gute Frage!“ In dem Mo - WONDERLAND, ment ruft das Taxi an, der Fahrer hat sich verirrt. Eine Antwort auf meine Matratzenfrage bekomme ich nicht. Aber eigentlich ist mir das ganz recht. Wer die Welt als technisches Theater zeigt, kann nicht genug Bettgeschichten anbringen. Egal ob sie Fake sind oder nicht.

Oben: STILL AUS SECURITY SHE VISITS (SSV), 1990. Unten: DON’T WORRY, 1994 (INSTALLATIONSANSICHT KÖLNISCHER KUNSTVEREIN, 1994)

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© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 roße, dunkle Augen schauen uns an. Sie blicken ausdrucks- Für die reine Jenseitsexistenz, für die sie eigentlich vorgesehen wa- voll, fordernd fast, als wollten sie uns von einer Welt ren, sind die toten Augen der Mumienbilder heute jedenfalls sehr G erzählen, die sie gut kennen – wir aber nicht. Es sind an gegenwärtig. Kaum eine große Sammlung rund um den Planeten die tausend Menschen, sorgsam gemalt auf dünne Holzbretter, ohne Fayumporträt. Das British Museum in London, das Ägypti- deren Persönlichkeit uns aus der Tiefe der Geschichte entgegenkommt. sche Museum in Berlin, das Metropolitan in New York, das Pusch- All diese namenlosen Frauen, Männer, Kinder, Geschwister, Ge- kinmuseum in Moskau, der Louvre, das Ägyptische Museum in liebten, Gattinen, Eltern sind Tote. Natürlich gilt dieses Faktum für Kairo naturgemäß – wer hier sucht, findet Dutzende von wunder- fast alle Porträts der Kunstgeschichte. Leonardos Mona Lisa, Len- voll erhaltenen Mumienporträts. Wer einmal dem Kult dieser Bil- bachs Bismarck oder Tizians Karl V. Wer sich mit Kunst befasst, steigt der verfallen ist, kann ganze Reisen um sie herum planen: Bayonne, nun mal in den dunklen Brunnen der Vergangenheit. Kunstge- Kopenhagen, Stuttgart, Cleveland, Genf … schichte ist immer ein Gang auf den Friedhof. Als Europäern zuerst solche Gemälde in Ägypten angeboten Doch die sogenannten Mumienporträts aus dem antiken Ägyp- wurden, als sie sie später dann in eigenen Expeditionen ausgru- ten, um die es hier gehen soll, sind anders. Ihre Abgebildeten sind ben, waren die Angesichter eher ein Beifang; den geheimnisvollen anders tot als die Hekatomben von Abwesenden auf den anderen Mumien galt das Interesse. So kamen die frühesten Museumsmu- Gemälden, Fotos, Porträtbüsten in unserem imaginären Großmu- mienbilder schon 1615 über den italienischen Abenteurer Pietro della seum. Die großen, dunklen Augen der Brettergemälde, die man größ- Valle nach Europa; sie befinden sich heute mit den Mumien in tenteils in der Oase Fayum westlich des Nils fand, wurden einst Dresden. Wie die gesamte Ägyptologie erlebten auch die Mumien- sorgsam gemalt, um danach auf den Leichenschädel gebettet zu wer- bilder einen Boom nach Napoleons Ägyptenfeldzug. Spätestens den. In einen meist rechteckigen Ausschnitt der Mumienbinden um 1820 wurden die geheimnisvollen Angesichter regelrecht Mode fügten die Bestatter das Porträt ein als lebensechte Totenmaske. Wir und von Mittelsmännern wie dem britischen Konsul Henry Salt wissen so gut wie nichts über die Beerdigungsrituale, über mögli- systematisch angekauft. che Wehklagen und Tränen, über fromm rezitierte Litaneien. Fest Im 19. Jahrhundert waren es dann die frühen Archäologen, steht: Am Ende landeten diese wundervollen Erinnerungsbilder die bemalte Tafeln aus Gräbern in ganz Ägypten aus dem Fundzu- allesamt unter der Erde, in Sarkophagen oder in Wüstengräbern. sammenhang herauslösten und einzeln in die jeweiligen Länder Dann kam das Dunkel von annähernd zweitausend Jahren. brachten. Der Franzose Daniel Marie Fouquet bekam einen Tipp für einen Fund durch Einheimische, doch als er in der Felsgrotte DIE SAUBEREN FRISUREN, DIE DIADEME, ankam, hatten die Grabräuber bereits vier Dutzend kostbare Stücke DIE ROTEN LIPPEN WURDEN NICHT in den kalten Wüstennächten verfeuert. Der Wiener Kunsthänd- ler Theodor Graf ließ um 1900 Kunsthistoriker erste Bestandsauf- FÜR UNSERE AUGEN GEMALT, SONDERN nahmen machen und zog sich so Käufer heran. Doch nicht die FÜR DAS SCHWARZE NICHTS makabre Totenwache dieser Gesichter zog Sammler und Entdecker an, sondern die Aussicht, prominenten Herrschern der ägypti- Das ist der Unterschied dieser Totenbilder zu den Diesseitsporträts schen Spätzeit – womöglich Kleopatra persönlich – ins Angesicht der sonstigen Kunstgeschichte: Diese Blicke, diese säuberlich kon- zu schauen. Keine der Spekulationen, hier seien Potentaten der terfeiten Frisuren und Bärte, die Ohrgehänge und Diademe, die rot Ptolemäischen Dynastie oder römische Feldherren auf Ägyptenzug geschminkten Lippen – all das wurde nicht für unsere Augen ge- dargestellt, ließ sich jedoch untermauern. malt, sondern für das schwarze Nichts. Nach abendländischem Begriff, der seit Jahrhunderten allen Ma- arum diese aufwendigen und gewiss nicht preiswerten lern, Modellen, Betrachtern inhärent und einleuchtend ist, vermag Porträts überhaupt entstanden, bevor sie in die Gru- die Kunst der Zeit und sogar dem Tod zu trotzen. Ihre Figuren über- W be wanderten – darüber gaben die fiebrigen Grabungen leben sich im Gewand der Stilisierung und im Kunstgriff des Malers der Schatzsucher und die Treibjagden der Händler keinen Auf- selbst. Bei den sogenannten Fayumporträts ist es genau umgekehrt: schluss. Dabei hatten die alten Ägypter es den Archäologen sonst Ihre Maler wussten, dass diese Konterfeis mit den Modellen begra- so einfach gemacht und jedes Detail ihres Totenkults an Grabwände ben werden. Das Bild sollte wie der Abgebildete für diese Welt und gemalt und gemeißelt oder in Papyri das Drehbuch der Jenseitsrei- für die Nachwelt komplett verschwinden: Auch das Bild sollte es se penibel ausgeformt. Doch das geschah ein- bis zweieinhalb- nicht mehr geben. Das macht diese dem Tageslicht zufällig restituier- tausend Jahre vorher. ten Bilder so rührend und unheimlich zugleich. Wir haben vor unse- Die Totenrelikte des Alten und Mittleren Reiches waren spä- ren Augen nicht nur die ältesten Porträts der abendländischen Kunst, testens seit der Entzifferung der Hieroglyphen recht bequem zu ja der Kunst überhaupt. All diese Leute sind nicht einfach vor 1800 lesen und zuzuordnen und sind heute Schulwissen: Die systematische oder 1900 Jahren gestorben, die Menschen, die uns von diesen Tafeln Ausdörrung der Toten, der Entzug von Hirn, Organen und Saft, so fordernd und still und geduldig anschauen, sind Tote in Potenz. diente in der klassisch ägyptischen Religion der Rückkehr ins eigent- Die Frage, ob sie dadurch besonders gruselig oder besonders tröstlich liche Dasein im Totenreich. Dafür der rührende Versuch, die Bio- wirken, besonders abwesend oder präsent, besonders offen oder masse einigermaßen intakt zu konservieren. Dafür die Totengaben hermetisch, müssen die Betrachter ganz für sich entscheiden. mit Speis und Trank, Dienerfiguren und Waffen. Dafür üppige MUMIENPORTRÄT EINER FRAU MIT DICHTEM, GELOCKTEM HAAR, MUMIENPORTRÄT EINER ÄLTEREN FRAU, 90–110 n. Chr., Tempera auf Holz, 31×14 cm 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr., Wachstempera auf Holz, 38×12 cm REVUE 66

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Wandmalereien, die Jagdfreuden und Tänze, aber auch den kriti- mit einem Synkretismus zu tun, wie er für das ptolemäische und ie entscheidende Frage Stirn, einen Serapispriester. Andere halten Anch-Kreuze (in Henkel- schen Moment der Seelenwägung zeigten. Kein Zweifel herrschte römische Ägypten, wo etliche Ethnien und Religionen zusammen- bleibt, wie diese Bilder form) in der Hand, was sie als frühe ägyptische Christen zeigen könn- an der Reise vom sonnenhellen Osten in die Totenwüste des dunk- lebten, typisch ist: Die uralte Kulturtechnik der Mumifizierung ver- D entstanden und was mit te – aber ebenso gut auf die Hieroglyphe der Unsterblichkeit hindeutet. len Westens, wo den Pharaonen ganze Totenstädte errichtet wurden. schmolz kurzzeitig mit den individualisierten Familienbildern des ihnen angestellt wurde. Flinders Petrie Sie waren offenbar, wie wir Zeitgenossen, Kinder einer meta- Die Toten, die in diesem Glauben konserviert wurden, waren aber römischen Ahnenkults. Salopp gesagt dachten die Menschen, die und mit ihm manche gegenwärtigen physischen Mischkultur. Wie viele von uns heute eigentlich an nur durch ihre Überreste individuell. Ihre Totenmasken, ihre Ab- ihre Familien solcherart aufs Jenseits vorbereiteten: Sicher ist sicher. Kunsthistoriker meinen, dass die Ab- nichts glauben, aber Weihnachten zur Kirche gehen und die Kin- bilder waren bis hinauf zum Pharao mit den Kronen Ober- und Die ägyptische Methode in der großen Dörrkammer der Wüste gebildeten sich zu Lebzeiten von Pro- der taufen lassen, irgendwie aber den Buddhismus prima finden, Unterägyptens stark formalisiert, als Persönlichkeiten unerkennbar. konserviert den Leib; die griechisch-römische Tradition des Abbilds fis porträtieren ließen und diese Bilder so dürften auch die Mumienmenschen aus mehreren metaphysi- Das Totenreich dieser, der eigentlichen Ägypter, war ein Reich bewahrt Charakter und Seele. Es ist gerade diese Mischung aus ar- wie später barocke Adelsporträts oder schen Töpfen genascht haben: griechische Seelenlehre gemeinsam der Zeichen. chaischem Körperkult und Psychologie, die unsere Mumienbilder Ahnenfotografien im Haus aufgehängt mit römischem Bilder- und Ahnenkult, für den schon etliche ver- so sonderbar faszinierend erscheinen lässt. Sie präsentieren uns wurden; erst danach wanderten sie ins goldete Lorbeerkränze sprechen. Am Ende wurde die Hülle der DIE TOTEN WAREN NUR DURCH IHRE ganz verwandte, regelrecht moderne Menschen im Mullbindenge- Grab. Aber warum dann Kleinkinder ab- Seele aber gut verpackt und eingewickelt in Mumienleinwand, wäh- ÜBERRESTE INDIVIDUELL – ALS wand der unheimlichen Mumifizierung. bilden? Und wieso das Gedenken an die rend man für die Toten dann den zuständigen Göttern Ägyptens PERSÖNLICHKEITEN WAREN SIE AUF DEN Zwar ist bis heute kein Maler eines dieser Bilder greifbar ge- Mutter für immer im Grab versenken? opferte. Es waren ja im Fayum oder im Nildelta damals alle Religi- worden, noch wissen wir mehr über die Abgebildeten außer eini- Der französische Historiker Jean-Christo- onen anwesend, und nichts spricht dagegen, auf den Tafeln mit ABBILDERN UNERKENNBAR gen Namensaufschriften: Artemidoros, Irene, Isarous, Aline. Ihre phe Bailly hat in einer schönen Studie über Ölzweig oder Kreuz auch frisch bekehrten Christen oder toleran- Zur Zeit der Mumienporträts – etwa um Christi Geburt bis 250 – Lebensumstände jedoch kennen wir ganz gut aus Papyri mit grie- Fayumbilder die Menschen darauf einen teren Juden ins Angesicht zu sehen, die sich für alle Fälle und gab es ohnehin keine Pharaonen mehr. Ägypten war damals seit chischen Kontrakten, Akten, Briefen. Es war eine friedliche und ge- „Chor der Toten“ genannt. Sie schauen uns zusätzlich lieber mit der bewährten Mumientechnik ins Jenseits hin- über 300 Jahren von Griechen, später dann von den Römern be- mächliche Welt im Rhythmus der Hochwässer, der Ernten und an, als hätten sie etwas Wichtiges mitzuteilen. überretten wollten. Auf den Bildern sind sie alle gleich, ob Mann herrscht. Ganze Großstädte wie Alexandria wurden dominiert der Steuern. Ein Grundbesitzer schickte einer Freigelassenen Tau- Aber sie schweigen ewig: „Sie erwarten nichts, oder Frau, Kleinkind oder bärtiger Soldat, juwelenbehängte Matro- von griechischer Religion, Philosophie und Architektur; römische sende Blumen zur Hochzeit; Verwandte heuerten bei der römi- sie sind da – ohne Gewicht, ohne Leichtigkeit, ne oder blühende Nymphe. Sie sind, was wir alle sind: sehr, sehr Garnisonen standen im Land, römische Verwalter organisierten schen Flotte in der Ferne an; Nilpferde verwüsteten ein paar Getreide- ohne zu vergehen oder zu verschwinden. Sie halten aus und blei- sterbliche Menschen. den Anbau von Getreide, mit dem die Plebs in Italien gefüttert wur- felder, ein mausgrauer Esel wurde verkauft, eine Grammatikschule ben bis zur Unendlichkeit.“ Darum ist es mehr als eine Ironie der Geschichte, dass von de. Das alte Ägypten war erledigt. Ganz Ägypten? War der Fayum bekam ein paar Tauben geliefert. Bei gravierender Kindersterblich- Es ist diese Unendlichkeit, die sie für sich erhofften und von ihnen, nachdem sie für immer mit dieser Welt abgeschlossen hat- womöglich das Gegenstück des kleinen gallischen Dorfes, wo man keit und einer Lebenserwartung um die vierzig stumpften die Men- der sie uns, den Alltagsmenschen par excellence, wortlos und diskret ten, nun das Kurzlebigste und Lebendigste bleibt: der Blick. Es sich gegen die Romanisierung und den Tod von Isis, Osiris, Re schen dennoch (oder gerade deshalb?) nie ab. Davon zeugen die das Ihre erzählen. Wir wissen noch nicht einmal, welche Religion sind ihre unfassbar tiefgründigen und weisen und lebendigen Au- und Hathor, Anubis und Ptah stemmte und ihre Toten heimlich wei- detaillierten, fast zärtlich gemalten Babybilder. Ohnehin wirken sie praktizierten. Gewiss glaubten sie an die ägyptische Überliefe- gen, die niemand mehr vergisst, der sich tief und lange von ihnen ter nach alter Sitte mumifizierte? die Menschen, meist um die dreißig, auffallend frisch und gesund, rung des genau geordneten und überfüllten Totenreichs. Aber sie betrachten ließ. Alles an diesen frühesten Porträts der Kunst Die Gemälde selber sprechen klar dagegen. Die sonderbaren was beweist, dass wir es bei aller Lebendigkeit mit Idealbildern zu sprachen Griechisch und kannten daher den Hades, der von grau- ist Blick. Es ist einzig der ungreifbar kurze Moment, der bleibt. Maskenmumien mit den traurigen Augen entstammen eindeutig tun haben. So wäre man gern gewesen, wenn der Tod nicht dazwi- en, unglücklichen Schattengestalten bevölkert war, die von Sonne Das ist die Wahrheit, die uns unsere nahen, fernen Verwandten der römischen Kunst. Die ganz wenigen erhaltenen Menschenab- schengekommen wäre. In manchen Mumien steckten, man konnte und Meer und Wein höchstens träumen durften. Römer lebten in aus Ägypten mitteilen wollen. Sie haben den Tod mit ihren eige- bilder an den Wänden von Pompeji wirken wie Zwillingsgesichter das wissenschaftlich ermitteln, Greise um die siebzig, während das ihren Ahnen weiter und verbrannten sogar die Körper ihrer vergött- nen Augen gesehen und mit ihrem Blick bezeugt. Er ist auch un- der Mumienbilder aus dem weit entfernten Niltal. Wir haben es hier gemalte Bild einen stattlichen Mittdreißiger zeigt. lichten Cäsaren. Ein Mumienbild zeigt, sichtbar am Stern auf der sere Wahrheit.

REVUE oben: MUMIE MIT PORTRÄT EINES ZWANZIGJÄHRIGEN, 68 80–100 n. Chr.

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WERTSACHEN — AUKTIONEN — BLAU KALENDER — DER AUGENBLICK AUFLÖSUNGS- ERSCHEINUNG Im 20. Jahrhundert sammelten Handeln fAngt deutsche Firmen auf Masse – dekorierten ihre Büros und kurbelten den Markt an. Dieses Goldene Zeitalter ist nun mit Denken an. vorbei. Wie geht es weiter mit der Kunst aus den Sammlungen?

er dürre Mann schien für die Ewig­ keit geschaffen an einem in perma­ D nenter Wandlung begriffenen Ort: Alberto Giacomettis L’Homme qui marche

(Schreitender Mann) aus dem Jahr 1960. Er schritt Im Jahr 2000 stand Jeff Koons’ Balloon Flower noch am Potsdamer Platz in Berlin, und schritt und schritt vor sich hin. Gedan­ 2010 wurde die Blume in New York versteigert kenverloren. Unbeirrbar ging er seines Wegs im Foyer der Dresdner Bank in Frankfurt am Main. Und er ließ nie einen Zweifel auf­ verstaatlicht war. Der neue Eigentümer ent­ Protagonisten in einem Kunstkrimi wurde. kommen: Warum es stark und wichtig ist, schied sich für einen „sozialen Schritt“ und Aber das ist eine andere Geschichte. Und als Unternehmen Kunst zu sammeln. Weil sie den Verkauf des Schreitenden. Die Commerz­ Jeff Koons’ Balloon Flower vom Potsdamer den richtigen Weg zeigt. Auch wenn sich bank brauchte schlicht Staatsgeld, und der Platz? Der Autokonzern Daimler ließ sie selten jemand dran hält. Giacometti erschien da nicht mehr zeitge­ 2010 in New York versteigern – bekam fast Auf seine ganze eigene Weise erzählte mäß – zu nachdenklich, in sich gekehrt, zu 17 Millionen Dollar: die Blumen als bilan­ davon auch Jeff Koons’ blaue Balloon Flower wenig 3.0 und Innovation. ziertes Asset. Zwei Jahre später, gebeutelt von in Berlin. Sie gehörte zum Potsdamer Platz Die Versteigerung von L’Hommequimarche der Finanzkrise, gab die Nord/LB eine wie auch die trashig­vielversprechende Spiel­ brachte bei Sotheby’s in London 58 Millio­ Tulips-Skulptur von Koons zur Auktion – bank, vor der sie blühte – in der Sonne das nen Pfund, mit Provision für das Auktions­ bekam 30 Millionen Dollar, das Zehnfache Treiben spiegelnd, die kletternden Kinder haus gar rund 65 Millionen. Damals war des Anschaffungspreises. tragend, im Winter durchsichtig im Schnee, der Mann mit den langen Beinen mit umge­ Es sind Renditen des Kunstmarkts, wie ein vom Himmel gefallenes funktions­ rechnet rund 103 Millionen Dollar das teu­ die man nur auf einer Schneide der Schere loses Gut. erste Kunstwerk, das jemals versteigert worden findet, die schon seit Jahren immer weiter Doch dann waren sie weg, die Blumen war. Für kurze Zeit natürlich nur. Mittler­ aufgeht und nicht nur unsere Gemeinschaft in Berlin und der schreitende Mann in weile reden wir beim teuersten Kunstwerk fordert und traktiert, sondern auch das Das Magazin für alle, die ihr Frankfurt am Main. Das war 2010, als die der Welt von einem Wert über 450 Millio­ Sammeln von Kunst verändert. Großen Ein­ Dresdner Bank im Zuge der Wirtschafts­ nen Dollar – für den Salvator Mundi, angeblich fluss haben diese Veränderungen auch auf Leben selbst gestalten. krise aufgab und von der Commerzbank ge­ von Leonardo da Vinci, der vom immer ein nur auf den ersten Blick spezielles Gebiet: schluckt wurde, die selbst schon längst halb wieder abgelehnten Werkstattgemälde zum die Unternehmenssammlungen. 2010, das

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Der Schätzwert der ge- ein bedeutendes Gemälde zusammengefal- reagiert streng auf Verkäufe aus Unterneh- einst war sie bekannt für gute Ausstellungen erst jetzt, dass Kunst ständig auflöste: das niederländische „Gol- samten Sammlung wurde am Ende ver- tet in der Ecke im Regal lag. „Wenn die Alte menssammlungen. Schnell wird der Ver- in Form der Deutschen Guggenheim in Arbeit bedeutet und dene Zeitalter“ – 225 holländische und flä- doppelt. Man kann die Liste lange weiter- Kunst niemand mehr sehen will, sie keinen kauf aus Privatsammlungen als Abkehr von Berlin. Seitdem die Kunst aber strukturell mit mische Gemälde, die teils vier Generatio- führen. Die Übernahme von Mannesmann Zweck erfüllt, dann ist der Unternehmer ge - der zuvor reklamierten gesellschaftlichen Sport und Musik fusioniert wurde, verschie- Geld kostet“ nen lang im Besitz der Familie waren – und durch Vodafone brachte die Auflösung der radezu verpflichtet, sie zu verkaufen“, sagt Verantwortung oder als Geschäftemacherei ben sich die Werte. Das neue Berliner Mu- 4.000 weitere Werke zeitgenössischer Künst- Kunstsammlung in der Chefetage: Alte Eisenbeis. Sonst gehe ja auch ein Wert für interpretiert. seum, das PalaisPopulaire, wird mit großem — Christina Leber, DZ Bank ler. Im Durchschnitt soll der Unternehmer Kunst und Kunstgewerbe, die nicht mehr die Firma verloren. Denken wir an den Eklat um den Ver- Aufwand betrieben: Dort dürfen jetzt Sport- Thomas Rusche 15 Jahre lang fast fünf Käu- in die neue Unternehmenskultur passen. Wie Kunst heute als Marketingwerkzeug kauf der landeseigenen WestLB-Sammlung, ler mit VR-Brillen „Kunst“ machen. Was fe wöchentlich getätigt haben. Viele Künst- Die Deutsche Telekom schloss einen Stand- eingesetzt wird, wird beim Rundgang durch an die Elvis-Brando-Wahrhols, die eine geht da verloren? Das ist Geschichte. Die Mittelstandsbetriebe, ler wie der Leipziger Paule Hammer muss- ort südlich von Hamburg – auch dort die Foyers der Frankfurter Bankentürme klar: Feuilleton-Debatte auslösten, als stünde die einst das Rückgrat der deutschen Wirt- ten zusehen, wie Dutzende Werke von ihnen Kunst, die heute niemals mehr angekauft Statt auf Giacometti blickt man auf Julian Nofretete vor der Abschiebung nach Ägyp- n Deutschland hat sich in den Unter- schaft, lösen sich zunehmend auf. Die großen versteigert wurden. würde. Schnabels 14 mal 13 Meter großes Gemälde ten. Man hatte sie in den Siebzigerjahren für nehmenssammlungen ein großer Bilder- Player fusionieren. Der so lange angekün- 185.000 Dollar bei Christie’s gekauft, ver- I berg angehäuft – von enormem Ver- digte Wandel in der Arbeitswelt zum Groß- steigert wurden sie 2014 für rund 150 Milli- mögen. Anfang der 1980er-Jahre begann, was raum ohne feste Arbeitsplätze, aber auch onen Dollar. wir heute unter Corporate Collecting ver- ohne Wände für Kunst, ist vollzogen, Home - Wir spüren 2019 noch den stehen. Eingeführt aus den USA waren es office immer beliebter. Alles muss flexibel, Gegenwind der letzten Jahre. Kunstberater wie Helge Achenbach, neu und innovativ sein. Wie kann da kultu- Es vergingen kaum Monate, in die anfingen, die neuen Niederlassungen relles Engagement von Firmen noch wir- denen keine Werke aus Fir- der Wirtschaftsunternehmen mit ken? Was passiert mit den Sammlungen? mensammlungen zur Auktion Kunstwerken auszustatten. Das Trei- Und was bedeutet das für den Kunstmarkt? kamen – und diskutiert wur- ben wurde lange von Galeristen Die Fotosammlung der DZ Bank gilt den. Dieser Wind weht seit argwöhnisch beäugt, es galt als heute als Leuchtturmprojekt und wird es der Wirtschaftskrise 2008 und unseriös. Aus heutiger Perspek- weiter bleiben – mehr als 200 Arbeiten wur- nimmt wieder zu – jetzt, da tive aber muss man feststellen, den als Leihgabe ans Städel Museum in die Rezession erwartet wird, dass sich der deutsche Frankfurt am Main gegeben. Die gesamte die einstigen Zugpferde wie Kunstmarkt niemals so Sammlung umfasst rund 16.000 Werke. Sabaus die Deutsche Bank oder entwickelt hätte, hätte Nachfolgerin Christina Leber sieht die Volkswagen orientie- es nicht diese rege „Corporate Collections“ in einer Konsolo- Früher Ankauf der DZ Bank: Untitled von Cindy Sherman und Richard Prince aus der Serie Double Portrait von rungslos sind, ihre so Sammeltätigkeit ge - dierungsphase, wie auch den gesamten 1980 hängt heute als Leihgabe im Frankfurter Städel Museum gute deutsche Corpo- geben. Jetzt erst spürt Kunstmarkt: Viele Firmen würden erst jetzt rate Identity ange- der Markt, was es be- merken, dass Kunst Arbeit bedeute und kratzt ist. deutet, wenn die Firmen Geld koste. Sie selbst hätten gerade eine neue Doch die Gegenwartskunst ist nur eine Seite Diese Versteigerungen werden mehr: Seit Ahab von 2009, das im Opernturm des Was hat das wegbrechen. Einige Depotanlage für 350.000 Euro angeschafft, des Geschäfts. Vor allem gefährdet sind die Jahren fallen die Preise für Alte Meister – au- amerikanischen Immobilieninvestors Tishman mit der Kunst zu behaupten gar, sie hätten man müsse die Arbeiten regelmäßig neu Sammlungen von Alter Kunst, Gemälden, ßer man hat wirkliche Spitzenwerke vorzu- Speyer hängt – Jerry Speyer ist „Elected tun, wenn deut- jahrelang fünfzig Prozent rahmen und Restauratoren bezahlen, sagt Möbeln, Teppichen. Wer arbeitet heute noch weisen wie den Giambologna von Bayer. Die Chairman“ des MoMA in New York. Die sche Firmen nicht des Umsatzes ausgemacht. Leber. In den Büros der DZ Bank hängen mit einem Max Liebermann im Rücken? Wer Firma gab ihren Dresdner Mars zu Sotheby’s, Formate ähneln sich überall: In der 13 Meter mehr ihre eigene Luminita Sabau war von 1993 längst Kalenderdrucke, nur in den Fluren gibt glaubt, der Künstler repräsentiere die eige- dabei kam die Kleinplastik 1587 als persön- hohen Lobby des Taunusturms hängt die Identität definieren bis 2011 bei der DZ Bank es noch Ausstellungen, die rund alle zwei ne Firma? Die Auktionshäuser scharren mit liches Geschenk des Künstlers nach Dres- wandfüllende Arbeit Mama Red von Theaster können? Die Deut- für die Kunstsammlung zu- Jahre wechseln. Man muss sich das einmal den Hufen. Lempertz hat kürzlich Werke den. Die Kunstsammlungen dort konnten Gates. Sie besteht aus Streifen alter Feuer- sche Bank hat jedem ständig, kaufte früh Werke klarmachen: Über Jahrzehnte haben Unter- aus der Sammlung Kaufhof verkauft, der Fu- das Werk mit staatlicher Hilfe fürs Muse- wehrschläuche, die brav zu einem ordentlichen Stockwerk in ihren von Andreas Gursky, Candida nehmen die Berührungsangst zwischen Mit- sion mit Karstadt sei Dank. Teuerste Arbeit um retten. Bild zusammengebunden sind. Jedes Jahr Frankfurter Türmen Höfer und Thomas Struth. arbeitern und Kunst abgebaut – jetzt stellt war Liebermanns Judengasse in Amsterdam für Andere Sammlungen sind längst unbe- eröffnet zurzeit mindestens ein neues Hoch - einen Künstlerna- „Wir mussten damals zwei der Wert der Kunst ihn wieder her. Luminita rund 900.000 Euro. Das Bild hing seit den merkt verschwunden. Ein Beispiel ist die haus in Frankfurt und braucht eine Kunst- men verpasst, Türme mit Kunst Sabau erinnert sich daran, wie sie das Doppel - 1950er-Jahren im Weltsaal des Kaufhof-Kon- von Herta, die aufgelöst wurde, als Nestlé die ausstattung – im Eingang ein repräsentativ besitzt eine un- füllen, je mit fünf - porträt von Cindy Sherman und Richard zerns. Der damalige Vorstandschef soll das Firma übernahm. eingepasstes Megagemälde. Der Schreitende überschaubar zig Etagen, da Prince in einer Auktion sah. Sie erwarb es für Bild in New York erstanden haben. Im Ka- Viele Unternehmen können tatsächlich Mann von Giacometti verschwand 2010 ir- gigantische habe ich eben einen fünfstelligen Betrag. Nur eine Woche talog wird die Herkunft nur an einer einzi- weder einschätzen, was sie besitzen, noch gendwo bei einem Sammler zwischen Russ- Sammlung und von jedem später wurde das Werk, das in einer Auflage gen Stelle erwähnt: in der Provenienzkette. die Kunstwerke adäquat betreuen. Markus land und China. muss als jahr- Künstler zehn von sechs existiert, in einer anderen Aukti- Der Katalogbeitrag erzählt nur vom Künst- Eisenbeis von Van Ham will sich jetzt gar Mit Bundesmitteln für Sachsen gerettet: zehntelanger, ent- Giambolognas Dresdner Mars hatte oder zwanzig on für 135.000 Dollar verkauft. Seit 2015 ler, kein Wort über die Bedeutung des Bildes auf das Thema spezialisieren. Was ein biss- scheidender Motor die Leverkusener Bayer AG zur Auktion Arbeiten gekauft.“ hängt die Ikone im Städel Museum. in einer traditionsreichen Firmensammlung. chen wie die Luxusform der Hausauflösung TEXT: SWANTJE KARICH gegeben

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© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 — WERT — AUFLÖSUNGSERSCHEINUNG SITTEN- — WERTSACHEN — AUKTIONEN — DERDoppelkopf AUGENBLICK SACHEN BLAU KALENDER BILDER DUO Wilhelm von Gloeden ist als Pionier Was uns gefällt: Highlights künstlerischer Aktfotografie be- Mit Gudrun Baudischs Doppelkopf aus dem Jahr 1929 kannt geworden. Doch das Fotogra- und Abseitiges aus dem Angebot hat das Wiener Dorotheum erst im vergangenen Juni einen fieren hat ihm sein Cousin Wilhelm 10.11.2019 – 02.02.2020 Preis gesetzt. Für rund 36.000 Euro wurde die glasierte Plüschow beigebracht, der in Rom des Kunsthandels Keramik versteigert. Nun kommt eine besser erhaltene Ver- unter dem Namen Guglielmo ein sion der Zweierbüste der österreichischen Bildhauerin Fotoatelier betrieb. Beide Wilhelms und Töpferin unter den arbeiteten auf dem schmalen Grat ILLUSION Hammer (geschätzt auf zwischen homoerotischer Wunsch- 20.000 bis 40.000 Eu- vorstellung und moralischer Grenz- ro). Baudisch war überschreitung in einer prüden von 1926 bis 1930 als Gesellschaft. Als Dokumente sind NATUR Designerin an der ihre bis heute umstrittenen Fotos auch als Sittenbilder jener Zeit um Wiener Werkstätte tä- 1900 zu verstehen. Während Gloeden in den Sechzigerjahren im Zuge tig und prägte die der sexuellen Revolution und Schwulenbewegung wiederentdeckt und DIGITALE WELTEN Zeit mit ihren expres- sogar auf der Documenta ausgestellt wurde, ist Plüschow weit weniger siv-theatralischen Fotografie bekannt. Eine kleine Auswahl seiner Akte kommt nun bei Bassenge 11. Dezember im Dorotheum in Wien 4. Dezember bei

Köpfen. Für die Keramik- Bassenge in Berlin in die Auktion (Schätzpreise zwischen 900 und 1.200 Euro). WOE

abteilung hat sie mehr als Kunst des 20. Jahrhunderts und angewandte Jugendstil 160 Objekte entworfen und ausgeführt. WOE Comic, Werbung, Pop-Art. NOCH Winzige Formate und riesi- ge Gemälde. Raumins- tallationen. In seinem kur- IMMER EIN zen Leben prägte der GEDECKELT luxemburgische Künstler HELD Michel Majerus die zeit- genössische Malerei ent- scheidend mit. Im Jahr „Ich bin ein großer Künstler, und ich weiß es“, hat Paul 2002 starb er im Alter von F Gauguin seiner Frau Mette einmal geschrieben. Und nur 35 Jahren bei einem so etwas schreibt man halt, wenn man es gerade nicht Flugzeugabsturz. Sein Werk weiß und mit seinen Zweifeln umherirrt und nie irgend- bleibt: Ein Mensch, das e wo ankommt. Der französische Maler war immer auf der Gesicht mit schnellem Pin- Flucht, zuletzt hat es ihn in die Südsee verschlagen. selstrich unkenntlich ge- Das Paradies hat er dort auch nicht gefunden. Aber macht, begegnet uns in r gemalt hat er es mit unvergleichlicher Intensität. Es Diesen Helm Untitled 97 – ein Antiheld in sind allesamt Statisten, mit denen er seinen imaginier- wird niemand Sa- Angsthasenpose? Ur- n ten Garten Eden bevölkert, Darsteller ohne Text, die latschüssel nennen, obwohl er sprünglich als Teil der Ins- doch alle auf grandios stille Weise vom schwer lebba- entfernt an den Brodie-Helm der Weltkriegsalliierten erinnert. Der tallation fertiggestellt zur ren Leben erzählen. Und manchmal hat er die Bühnen üppig verzierte Jingasa wurde von japanischen Fußsoldaten zufriedenheit aller, die be- w leergeräumt, und er hat sich mehr für den undurch- der Edo-Zeit getragen. Material und Dekor hatten damals kriegs- denken haben in der Ga- dringlichen Raum und seine Kulissen interessiert. Wie bei wichtige Eigenschaften: Der ins Eisen getriebene Drache lebt lerie Monika Sprüth in Köln Te Bourao, 1897 auf Tahiti gemalt. Ein schönes Beispiel in den Wolken, und wenn er sich rührt, bringt er Regen – also gezeigt und seitdem in für die Verwandlung der Szene in Vision. Das Gemäl- Glück. In der asiatischen Fünf-Elemente-Lehre sind Wasser Privatbesitz, wird die Lein- e MUSEUM SINCLAIR-HAUS de, das zehn Jahre lang im Metropolitan Museum in und Metall Gegner des Elements Feuer und somit der ultimative wand nun bei Karl & Faber Bad Homburg v.d. Höhe New York hing, wird nun bei Artcurial auf 5 bis 7 Mil- Schutz gegen Schusswaffen. Lempertz schätzt das Stück aus versteigert (Taxe 20.000 Löwengasse 15 lionen Euro geschätzt. MÜ österreichischem Privatbesitz auf 3.000 bis 5.000 Euro. WOE bis 25.000 Euro). SP www.museum-sinclair-haus.de h Eine Institution der Stiftung Nantesbuch gGmbH Impressionismus und Moderne Ostasiatische Kunst Gegenwartskunst

3. Dezember bei Artcurial in Paris 6./7. Dezember bei Lempertz in Köln 5. Dezember bei Karl & Faber in München 2019 Bonn Bild-Kunst, VG und Chevalier 2019 © Miguel (Still), Trans-Nature Chevalier, Miguel

© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 Wenn man weiß, dass E EINE AUSWAHL der BLAU REDAKTION Jean Dubuffet eigentlich Weinhändler war, be- kommt der von ihm ge- X prägte Begriff Art brut AUKTIONEN eine ganz neue Dimensi- T 2. DEZ. KOLLER IN ZÜRICH Design on. Der Künstler ließ sich von ungelernter, al- R 3. DEZ. QUITTENBAUM IN MÜNCHEN Schools of Design so „roher“ Kunst ins- 50 pirieren – Werken von 3./4. DEZ. ARTCURIAL IN PARIS Impressionismus und Moderne Kindern, Behinderten A Participating Galleries 3./4. DEZ. ARTCURIAL IN PARIS Nachkriegs- und Gegenwartskunst und indigenen Stämmen YEARS Afrikas, auch wenn es 3./4. DEZ. CHRISTIE’S IN LONDON Alte Meister (Gemälde und # de Sarthe Tina Keng Nagel Draxler Star Pifo Skulpturen) aus heutiger Sicht mehr 10 Chancery Lane Dirimart Kerlin Richard Nagy Starkwhite Misa Shin als problematisch ist, B 1335Mabini du Monde Peter Kilchmann Nanzuka STPI The Third Gallery Aya 3./4. DEZ. CHRISTIE’S IN PARIS Nachkriegs- und Gegenwartskunst 303 Gallery David Kordansky Taro Nasu Sullivan+Strumpf Axel Vervoordt das in einem Atemzug zu 47 Canal E Tomio Koyama neugerriemschneider Watanuki / Toki-no- nennen. Was er selbst 3./4. DEZ. IM KINSKY IN WIEN Eigen + Art Kraupa-Tuskany nichido T Wasuremono R A Eslite Zeidler Anna Ning Take Ninagawa Wooson fabrizierte, gehört heute ins Champagnerregal der Kunst des Klassische Moderne, Gegenwartskunst, Jugendstil & Design Miguel Abreu Espace Krinzinger Franco Noero Tang 20. Jahrhunderts. Die Papierarbeit, die krude Elemente des Acquavella Gallery Exit Kukje Templon Discoveries Frühwerks mit den typischen rot-weiß-blauen Zellen der spä- U 4. DEZ. BASSENGE IN BERLIN Fotografie Aike Experimenter kurimanzutto O The Third Line A+ Contemporary Alisan Nathalie Obadia TKG+ Bangkok CityCity teren Hourloupe-Bilder kombiniert, schätzt Koller auf 30.000 Sabrina Amrani F L OMR Tokyo Gallery + BTAP Capsule 4. DEZ. BONHAMS IN LONDON Alte Meister (Gemälde) bis 50.000 Schweizer Franken. GB T Anomaly Selma Feriani Pearl Lam One and J. Tornabuoni Château Shatto Antenna Space Konrad Fischer Simon Lee Lorcan O‘Neill Two Palms Commonwealth and Nachkriegs- und Gegenwartskunst 4. DEZ. CHRISTIE’S IN LONDON Applicat-Prazan Fortes D‘Aloia & Gabriel Leeahn Ora-Ora Council Antike Skulpturen aus der Sammlung Dr. Anton Pestalozzi Arario Fox/Jensen Lehmann Maupin Ota V Crèvecoeur 7. Dezember bei Koller in Zürich Alfonso Artiaco Stephen Friedman Lelong Vadehra Don Artinformal Lévy Gorvy P Van de Weghe Fine Arts, Sydney 4. DEZ. NEUMEISTER IN MÜNCHEN Alte Kunst Aye G Liang P.P.O.W Vitamin Green Art Gagosian Lin & Lin Pace High Art 4. DEZ. VAN HAM IN KÖLN Discoveries B Gajah Lisson Pace Prints W Jhaveri Balice Hertling gb agency Luhring Augustine Paragon Waddington Custot JTT Beijing Art Now Ghebaly Luxembourg & Dayan Peres Projects Wentrup Maho Kubota 4./5. DEZ. SOTHEBY’S IN PARIS Gegenwartskunst Beijing Commune Gladstone Perrotin Michael Werner Emanuel Layr Bergamin & Gomide Marian Goodman M Petzel White Cube David Lewis LOS 4./5. DEZ. SOTHEBY’S IN LONDON Alte Meister Bernier/Eliades Gow Langsford Maggiore Pi Artworks White Space Beijing mor charpentier Die Yi zählen mit neun Millionen Menschen als ethnische Min- Blindspot Richard Gray Magician Space PKM Barbara Wien P21 ZEIT 5. DEZ. KARL & FABER IN MÜNCHEN Gegenwartskunst Blum & Poe Greene Naftali Mai 36 Plan B Jocelyn Wolff Project Native Informant derheit in China. Während sich die Volksrepublik mit atembe- Boers-Li Grotto Edouard Malingue Eva Presenhuber Jessica Silverman Tanya Bonakdar Matthew Marks Y Park View / Paul Soto raubender Geschwindigkeit vom Kommunismus zum Turboka- 5. DEZ. VAN HAM IN KÖLN Asiatische Kunst Ben Brown H Marlborough R Yavuz Southard Reid pitalismus gewandelt hat, sind sie noch eine traditionelle Gavin Brown Hakgojae Mayoral Almine Rech Gregor Staiger Gesellschaft, die ihre von der animistischen Religion namens 5./6. DEZ. NAGEL IN SALZBURG Asiatische Kunst Hanart TZ Mazzoleni Regen Projects Z Tabula Rasa C Hauser & Wirth Fergus McCaffrey Nara Roesler Zeno X Yuka Tsuruno Bimoismus ge- Gisela Capitain Herald St Greta Meert ROH Projects Zilberman Vanguard 6. DEZ. KETTERER IN MÜNCHEN Limitierte Editionen prägte Kultur be- Cardi Max Hetzler Urs Meile Tyler Rollins David Zwirner Carlos/Ishikawa Hive Mendes Wood DM Thaddaeus Ropac wahren will. 7. DEZ. KOLLER IN ZÜRICH Nachkriegs- und Gegenwartskunst Chambers Xavier Hufkens kamel mennour Rossi & Rossi Insights Der akademisch Chemould Prescott Road Metro Pictures Lia Rumma A Thousand Plateaus Yumiko Chiba I Meyer Riegger Asia Art Center ausgebildete 6./7. DEZ. LEMPERTZ IN KÖLN Ostasiatische Kunst Chi-Wen Ingleby Mind Set S Bank 2019 (Below) at Art Basel Hong Kong Zwirner David (Above); Wyss Kurt 01, 1970 by Seated Woman at ART Henry sculpture with his Moore Maler Conglin Clearing Ink Studio Francesca Minini SCAI The Bathhouse Baton 9. DEZ. ARTCURIAL IN PARIS Asiatische Kunst Sadie Coles HQ Taka Ishii Victoria Miro Esther Schipper Beyond Cheng hat Contemporary Fine Arts Mitchell-Innes & Nash Rüdiger Schöttle Empty Gallery die Lebenswelten 10. DEZ. DOROTHEUM IN WIEN Continua J Mizuma ShanghART Hunsand Space des Yi-Volks Paula Cooper Annely Juda The Modern Institute ShugoArts Yoshiaki Inoue 19. Jahrhundert (Ölgemälde und Aquarelle) Pilar Corrias mother‘s tankstation Side 2 Johyun in impressionisti- Cristea Roberts K Sies + Höke Kogure schen Gemäl- 11. DEZ. DOROTHEUM IN WIEN Chantal Crousel Kaikai Kiki N Silverlens Richard Koh Jugendstil und angewandte Kunst des 20. Jahrhunderts Kalfayan nächst St. Stephan Skarstedt Leo den festgehalten. D Karma International Rosemarie Société MadeIn Die Ziegenhirtin Thomas Dane Kasmin Schwarzwälder Soka Jan Murphy 12. DEZ. PHILLIPS IN LONDON New Now (1991) ist auf Massimo De Carlo Sean Kelly Nadi Sprüth Magers Nova Contemporary 8.000 bis 10.000 17. DEZ. PHILLIPS IN NEW YORK Design Euro geschätzt. WOE 18. DEZ. DOROTHEUM IN WIEN Alte Meister

Asiatische Kunst 19. DEZ. DOROTHEUM IN WIEN Glas und Porzellan 5. Dezember bei March 19 – 21, 2020 Van Ham in Köln

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rospektive in Frankreich geehrt: sche Künstlerin lebt und arbeitet in Panajachel in Guatemala, frühes 19. chen Bürgeralltag zum Wahnsinn im Irrenhaus, Felsen des Atlantiks vor der Tür und Mär- Zone Gris. The Land in Between. am See Atitlán. Nach Stationen in Afrika, Indien, Rom und den vom Flug der Hexen zur Anbetung der heiligen chen der Bretagne im Kopf, der kommt WOE USA hat die Künstlerin sich vor über dreißig Jahren in einer Dreifaltigkeit. Wie die schonungslose Beobach- auch später in seiner Kunst davon nicht

ehemaligen Kaffeeplantage niedergelassen, in tropischer Tragbarer Doppeltempel tungsschärfe zugleich als Vision erscheint, das los. Jean-Marie Appriou lebt heute in (bure kalou), Landschaft am Fuß eines Vulkans. Suter, die in erster Ehe mit ist nichts weniger als ein einzigartiger Beitrag Paris und ist einer der stärksten jungen dem Schweizer Schriftsteller Martin Suter verheiratet war, zur Grunderfahrung der modernen Bewusst- Künstler in Frankreich. Seine Fabelwe- lässt sich gern von der Natur beim Malen helfen, deshalb sind seinsgeschichte, in der aufklärerische Vernunft sen und Fantasielandschaften, handge- oft Pfotenabdrücke, Pflanzenteile oder Erde auf ihren Arbei- immer auch das Problem ist, von dem sie er- fertigt aus Glas und Metall, versetzen ten zu finden, die wie Vorhänge an die Decke oder ungerahmt lösen möchte. Modern ist Goya in der Radikali- einen in eine völlig andere, obsessive, ro- an die Wand gehängt werden. Vor zwei Jahren nahm Suter tät, mit der er den Trost des schönen Scheins mantische Welt, deren Geschichten so an der Documenta 14 teil und wird seitdem internatio- mit Schmerz durchwirkt. Modern ist, wie er in unergründlich sind wie ein Gedicht von nal beachtet. Die Tate Liverpool richtet der 70-Jährigen Fantasieräumen forscht, wie er ihre dunklen William Blake oder der Zauberwald von nun ihre bisher größte Einzelausstellung aus. Gegenstand Ecken ausleuchtet und mit jedem bisschen Helle Brocéliande. Das Consortium in Dijon wid- der über fünfzig großformatigen Arbeiten sind unter anderem wieder Dunkel erzeugt. Die Ausstellung des met Appriou – von dem übrigens auch Lianen, Tomaten und der Wind, oft gestisch und in kräftigen Prado mit über hundert Blättern nimmt das gerade eine wunderbare Installation aus Farben ausgeführt. Am 23. Januar veranstaltet das Museum Erscheinen eines neuen Werkkatalogs zum felsigen Grotten in den Tuilerien vor dem Ploshchad Vosstaniya – Uprising Square, einen Talk, bei dem zwei Restauratorinnen erklären, wie Anlass, noch einmal chronologisch durch das un- Louvre steht – seine erste große Einzelaus- 2000 man die ungewöhnlichen Materialien in Suters Werk erhält. BP vergleichliche Werk zu führen. MÜ stellung. GB

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© Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 — — AUFLÖSUNGSERSCHEINUNG WERTSACHEN — AUKTIONEN — DER AUGENBLICK LILY VAN DER — BLAU KALENDER STOKKER Testen Sie BLAU TYPOLOGIE MIGROS VITRA DESIGN MUSEUM, WEIL AM RHEIN MUSEUM, ZÜRICH 3 7.12.19–31.5.20 FÜR 30.11.19 – 23.2.20 2

Resurrection, 1999 KIRKEBY Louisiana Museum, Kopenhagen Bestellen Sie BLAU noch heute im Test-Abo und Sie erhalten drei Ausgaben zum Sonderpreis von JETZT BESTELLEN UNTER 20.2. – 21.6.20 WWW.BLAU-MAGAZIN.DE/ABO 12 Euro frei Haus geliefert. ODER TELEFONISCH: 040/468 605 237 Man kennt seine Bilder, die opake Stimmung, die sie verbreiten. Es Delicious Plus, 2016 scheint vor Per Kirkebys meist gro- ßen Tafeln keinen Referenzpunkt Ihre Räume fühlen sich an, als wäre einem ein außerhalb zu geben, kein Weltstück, Marshmallow im Hals stecken geblieben. mit dem sie in Beziehung zu brin- Lily van der Stokkers Kleinmädchenwelten BILDNACHWEISE gen wären. Nordisch kolorierter ab- sind süß und knuffig und gelb, blau und Nr. 39 / Winter 2019 – 2020 strakter Expressionismus. Auch rosa. Und sie sind giftig und gefährlich. Die TITEL FLAPPE: © Takashi Murakami/Kaikai Kiki Co., Ltd. All Rights Reserved. ABO- Sotheby’s. S.49–55: © The Cecil Beaton Studio Archive at Sotheby’s JULIA SCHER: den architektonischen Skulpturen Fotografie einer Weinflasche, Collections Typologie Schutzräume der Kindheit haben hier ihre TITEL: © Takashi Murakami/Kaikai Kiki Co., Ltd. All Rights Reserved. KIOSKTITEL: S.56/63: courtesy the Artist und Esther Schipper, Berlin. S. 59 o./S. 60 o.: Mathias des dänischen Künstlers ist man Unschuld verloren. Malerei und Möbeldesign, National Portrait Gallery, London. EDITORIAL: S.5: Foto: Yves Borgwardt für BLAU. Schmitt. MUMIEN: S. 64/65 oben v. l.: Courtesy J. Paul Getty Museum. Bridgeman INHALT: immer mal wieder begegnet, seinen Eine Weinflasche erkennt man sofort. Obwohl es doch so Fantasie, Funktion und Frivolität fließen S.6o. © Takashi Murakami/Kaikai Kiki Co., Ltd. All Rights Reserved. S.6 lu.: Images. © Musée des Beaux-Arts de Dijon/François Jay. Bridgeman Images. Getty Gemeinfreit. S.6r.u.: Frédéric Schwilden für BLAU. S.8o.: courtesy the Artist und Images/Universal Images Group/Werner Forman. Bridgeman Images. S. 64/65 unten v. unbewohnbaren Türmen, Zellen, verschiedene gibt, je nachdem, ob Moselriesling, fränki- ineinander, wenn die niederländische Künst- Esther Schipper, Berlin. S.8lu.: © The Cecil Beaton Studio Archive at Sotheby’s. l.: British Museum. AKG Images. British Museum. British Museum. National Gallery. Toren aus akkurat gemauerten Back- scher Silvaner oder Chianti, der in der Toskana abgefüllt lerin, Jahrgang 1954, ihre All-over-Installa- S.8ru.: Foto: Werner Forman/Universal Images Group/Getty Images. ESSAY: S.13: Bridgeman Images. © Musée des Beaux-Arts de Dijon/François Jay. © Musée des steinen. Kirkebys Bronzeskulpturen wird. Und es gibt davon noch Hunderttausende mehr: tionen voller hellbunter Wolken, Blumen und The Museum of Modern Art, Acquired through the generosity of The Modern Beaux-Arts de Dijon/François Jay. Badisches Landesmuseum. Foto: Goldschmidt. Women’s Fund, Ronnie F. Heyman, Eva and Glenn Dubin, Lonti Ebers, Michael S. Bridgeman Images. S. 67 l.: Getty Images/Universal Images Group/Werner Forman. hingegen sind noch wenig ent- ein schlichter Archetyp von Glasgefäß mit engem Hals, in Schriftzüge entwirft. Gemälde werden zu Ovitz, Daniel and Brett Sundheim, and Gary and Karen Winnick. APÉRO: S.17.: © Syd S. 67 r.: bpk. S. 68/69 v.l.: Courtesy J. Paul Getty Museum. National Gallery Prague. deckt. Ihre erste Präsentation, die dem ein Korken gut stecken bleibt. Vier französische Teppichen und Tapeten, Tische und Stühle Mead. 1981/1971. S.18l.o.: © The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, © The Andy Warhol Bridgeman Images. Bpk. British Museum. The Metropolitan Museum of Art. British das Louisiana Museum of Modern Produktdesigner, sie nennen sich „Collections Typologie“, zu Skulpturen, Textfragmente zu Malerei. Foundation for the Visual Arts, Inc. S.18 r.o.: courtesy Georg Hornemann. S.18 u.: Museum. The Metropolitan Museum of Art. ENCORE: S.71.: Foto: Ian Berry/Magnum © Cartamundi, Turnhout Belgium © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí. S.19o.: Photos/Agentur Focus. S.72.: Foto: Arrigo Coppitz, courtesy of Leverkusen, Bayer AG. Art vorbereitet, wird deutlich ma- erforschen die Typologie von Alltagsobjekten – darunter Doch hinter der poppigen Verspieltheit ist © H.R. Giger Museum, Gruyères, Switzerland. Photo: Matthias Belz. Courtesy Gagosian. S. 73: © Städel Museum/ARTOTHEK. KALENDER: S. 78 l.: © Ursula Schulz-Domburg. chen, wie tief das Werk nicht nur auch die Weinflasche, die in ihrer Zeitschrift Typologie immer auch eine Prise Feminismus zu spü- S.19 u.: Kitfox Games. DICHTER DRAN: S.20: Foto : Claude Bornand Collection de S. 78 M.: © Courtesy the artist and Karma International, Zurich and Los Angeles; Glad- in der Naturbeobachtung wurzelt – historisch, formal, funktional eingeordnet wird. Das aller- ren. Gepaart mit satirischer Weltsicht, atta- l’Art Brut, Lausanne. BEWEGTBILD: S.22 o.: Foto: Judith Buss. S.22u.: Foto: CBS via stone Gallery, New York and Brussels; House of Gaga, Mexico City; and Projectos SCHNELLSTE SKULPTUREN: der Künstler begann als promo- neueste Untersuchungsobjekt der Designarchäologen ist ckiert die Künstlerin nicht nur ein typisch Getty Images. S.22: courtesy Scuderia Sportiva Co- Ultravioleta, Guatemala City. S. 78 r.: Peabody Essex Museum Salem, Massachusetts, lonia. GIUSEPPE CASTIGLIONE: S.24–27: Gemeinfrei S.26 o.: bpk/RMN/Grand gift of Joseph Winn Jr., 1835, Photo © Peabody Essex Museum, Salem, Massachusetts. vierter Geologe –, sondern immer die Obstkiste. Und wieder die Erkenntnis: Weniger die bourgeoises Kunstverständnis, sondern auch Palais/Thierry Ollivier. BLITZSCHLAG:S.28 o.: Saskia Uppenkamp. S.28 u.: National Photo by Jeffery Dykes. S. 79 l.: Madrid, Museo Nacional del Prado. S. 79 r.: © Jean-Marie wieder auch an die kunstgeschicht- konzeptionelle Gestaltung hat zu den mannigfaltigen Ver- das Bild von häuslicher Alltagsbanalität, Galleries of Scotland Purchased with assistance from the National Heritage Memorial Appriou. Courtesy the artist and Galerie Eva Presenhuber, Zurich/New York. Photo: liche Tradition anknüpft und sich änderungen des Gebrauchsguts geführt als vielmehr so das bis heute mit Weiblichkeit in Verbindung Fund and the Art Fund, 2002. MARY-AUDREY RAMIREZ: S. 30: Frédéric Schwil- Stefan Altenburger Photography Zurich. S. 80 l.: Acquired with funding from The A.P. den für BLAU. S. 31: Courtesy: the artist and MARTINETZ, Köln. S. 32: Foto: Julie Moller and Chastine Mc_Kinney Moller Foundation. © Per Kirkeby Estate. S. 80 M.: mit Ahnen wie Rodin, Maillol oder etwas wie spontane Mutation. Wie in der Natur bringt das gebracht wird. Bunt und knuffig muss eben Wieland, Courtesy: the artist and MARTINETZ, Köln. UM DIE ECKE/SARAJEVO: © Collections Typologie. S. 80 r.: Foto: Harm van den Berg. DER AUGENBLICK: S.82: Henry Moore auseinandersetzt. manchmal die beste Gestalt hervor: Design ohne Desig- noch lange nicht harmlos sein. Auch an einem S.34: Illustration: Sebastian Schneider. S.34/35: Vedad Divović für BLAU. TAKASHI © Eikoh Hosoe, courtesy Aperture. Klassische Arbeit an Figur und Raum, ner. Das Vitra Design Museum springt über den eigenen Marshmallow kann man ersticken. Es ist MURAKAMI: S.36–47: Fotos: Keizo Kitajima für BLAU, sämtliche Werke: © Takashi Murakami/Kaikai Kiki Co., Ltd. All Rights Reserved. BRIGHT YOUNG THINGS: S.48: VG Bild-Kunst Bonn 2019 den uralten Herausforderungen Schatten und stellt Typologie. Eine Studie zu Alltags- Vorsicht angesagt im Hause van der Stokker. Foto: Victoria and Albert Museum, London. © The Cecil Beaton Studio Archive at Faith Ringgold, Salvador Dalí, Henry Darger, Joseph Beuys, Jean Dubuffet. der Bildhauerei. MÜ dingen in Weil am Rhein aus. WOE GB

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HAUSBESUCH SEIT 1707 Ein Bild und seine Urheber

EIKOH HOSOE Ohne Titel (aus der Serie Kamaitachi), 1969

inder aus brennenden Städten, die sich halbPriester, halbUngeheuer. Eingedeutscht der Tänzer selbst. Zugleich war er der Ein­ plötzlich auf dem Lande wiederfanden, wäre ein kama-itachi ein Sichelwiesel, von zige, der wirklich erfassen konnte, was in dem K zurückversetzt in eine archaische Zeit: dem die Bauern behaupten, bei der Feld­ Augenblick geschah. Und es geschah über­ Das war eine prägende Erfahrung vieler der arbeit blutig geschnitten zu werden – ein haupt nur, um fotografiert zu werden. heute über Achtzigjährigen. Nicht nur in Wesen, das zoologisch nicht nachgewiesen Hosoe, der als Kind nicht Eikoh mit Vor­ Deutschland, sondern auch in Japan. Davon ist. Die Performance des Tänzers wäre namen hieß, sondern Toshihiro, hatte sich handelt eine merkwürdige fotografische Se­ also (das meint der Serientitel) animalisch, in den Sechzigerjahren vorgenommen, das rie, die sich Kamaitachi nennt. gefährlich, mythisch und fiktional. Beim alte Japan in Bildern festzuhalten, bevor Eikoh Hosoe machte die Reise an den Sprung herab verrutscht der Kimono zu es verschwindet. Seine Erinnerung zielt auf Erinnerungsort nicht allein. Im Gegenteil, einem Insektenflügel, der linke Arm stellt jenen Ort (oder Topos), in dem die All­ die Idee war ihm erst durch die Begegnung die Sichel dar, und der halbnackte Körper tagsangst nicht weiter reichte als bis zum Wie­ mit einem radikalen Tänzer in Tokio ge­ ist – kriegerisch – vor den dunklen Fond sel, während in der Ferne zwei große kommen, der es verstand, sein Publikum zu eines Holzhauses gezeichnet. Die Kinder Städte in einer atomaren Wolke untergingen. betören und zugleich in Schrecken zu ver­ werden sogleich Teil der Performance, Gerade die avancierten Künstler beschäf­ Jetzt Übernahme für setzen. So reisten der Fotograf Hosoe und ihre Gesichter wie Charaktermasken, zwi­ tigte dann das Verschwinden der Tradition, der Tänzer Tatsumi Hijikata in den äußers­ schen Empathie und Schrecken. nach 1945 und bis heute. Dass der Kaiser – unsere großen Auktionen ten Nordosten der Insel Honshu. Dort be­ Am schwersten zu verstehen bleibt im Radio – hatte zugeben müssen, kein Gott glückte Hijikata eine völlig überraschte die Rolle des Fotografen. Gewiss relativier­ zu sein, war mehr, als man mit zwölf Jah­ Vereinbaren Sie einen Beratungstermin Dorfbevölkerung durch Hausbesuche, Um­ te seine Anwesenheit die Aggressivität des ren wirklich ertragen kann. Düsseldorf +49-211-210 77-47 armungen und Luftsprünge. Die Kinder Spiels. Er erschien den Betroffenen mögli­ München +49-89-244 434 73-0 und die Alten, alle wurden verstrickt in eine cherweise als Mittler, war aber tatsächlich ULF ERDMANN ZIEGLER www.dorotheum.com Bildergeschichte; der Besucher aus TokiO: nicht weniger Urheber der Choreografie als

Raffaello Sanzio, gen. Raffael (1483–1520) Umkreis, ENCORE BLAU Madonna mit Kind (Ausschnitt), Auktion Oktober 2019, erzielter Preis € 1.657.190 DIE NÄCHSTE AUSGABE VON 2020 82 ERSCHEINT AM 29. FEBRUAR IM ZEITSCHRIFTENHANDEL © Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603 © Alle Rechte vorbehalten - Die Rechte liegen beim jeweiligen Verlag. Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung BLAU--s3-beilagen-92 fdd88591bec38360f1d079b8cbf3b603