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SWR2 Musikstunde across the border

Mit Günther Huesmann

Sendung: 02. Dezember 2017 Redaktion: Martin Roth Produktion: SWR 2017

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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SWR2 Musikstunde: Jazz across the border SWR2, 02. Dezember 2017 9.05-10.00 Uhr Manuskript: Günther Huesmann Redaktion: Martin Roth

Mit Günther Huesmann am Mikrofon, guten Morgen! Willkommen zu „Jazz across the border“. Globale Sounds im Zeichen der improvisierten Musik.

Signet SWR2 Musikstunde

Der Pianist André Mehmari hat so viele Stücke für Orchester und Streichquartett geschrieben, ebenso aber auf dem Klavier so viele spontane Soli improvisiert, dass man nicht genau sagen kann wo der Brasilianer aus Sao Paulo nun musikalisch mehr zuhause ist: in der Welt der Klassik oder der des Jazz. Auf seiner CD aber bringt er beide Felder in wunderbarer Choro-Energie zusammen. Gemeinsam mit dem Vibrafonisten Antonio Loureiro. Ach ja, das Akkordeon, das Sie hören, das spielt Andre Mehmari übrigens auch selbst – simultan zum Klavier, so etwas geht natürlich nur mit Studiotechnik.

Andre Mehmari: „Baiao de Miguillim“ Andre Mehmari/Antonio Loureiro Duo Label: Estudio Monteverdi 1001 CD: Mehmari/Loureiro Duo 7:00

Der brasilianische Pianist und Akkordeonist Andre Mehmari im Duo mit dem Vibrafonisten Antonio Loureiro und „Baiao de Miguilim“.

Nach zehn Jahren kehrt Großbritaniens Saxofon-Star Courtney Pine zum Tenorsaxofon zurück. Endlich, muss man sagen, denn so gut Pine auf dem Sopran auch klingen mag: die runden, vollen, goldenen Tenorfarben sind seine wahre Meisterschaft. Pine, dessen Eltern von Jamaika nach Großbritanien kamen, war in den 1980-er Jahren der erste schwarze britische Jazzmusiker, der einen Riesenerfolg hatte. Sein Debutalbum mit den „Jazz Warrios“ landete in den Top 40, Mode-Magazine engagierten ihn als Model. Auch wenn es inzwischen ein wenig ruhiger um den 53jährigen geworden ist, sein Album „Black Notes From The Deep“ ist eine faszinierende Mischung aus Soul, Funk und post-Bop-Jazz. Auf vier Tracks lässt er sich von dem Neo-Soul-Sänger Omar begleiten. Die anderen sechs Stücke zeigen ihn im swingenden Format. Und da feiert er sein Markenzeichen: Einen runden, goldenen, warmen Sound, der zugleich strotzt

2 vor Kraft und Energie. Als Jazz-Europäer baut Pine eine faszinierende Brücke zur schwarzen Tenortradition – von bis Stanley Turrentine.

Courtney Pine: „How Many More“ Courtney Pine Label: Freestyle Records 4753343 CD: Black Notes From the Deep 6:27

Der britische Tenorsaxofonist Courtney Pine mit dem Track „How Many More“. Und Robbert Mitchell spielte das Klaviersolo.

Wenn man den kubanischen Pianisten David Virelles in der Band des Trompeters Tomasz Stanko hört, dann klingt er wie ein neuzeitlicher Oscar Peterson. Von Letzteren höchstpersönlich hatte er ja im Jahr 2003 die Siegerurkunde im Oscar- Peterson-Klavierwettbewerb erhalten. Hört man David Virelles aber in seinen eigenen Projekten, dann experimentiert er ambitioniert mit utopischen, afro- futurischen Klängen. In denen er immer wieder Bezug nimmt auf die rituelle afro- kubanische Musik aus Santeria und Carabila. Ist es möglich, dass man aus den uralten, von westafrikanischen Yoruba-Kulten stammenden afro-kubanischen Melodien und Rhythmen eine Kraft beziehen kann, mit der man den Klavier-Jazz des 21. Jahrhunderts bereichern kann? David Virelles Antwort auf seinem aktuellen Album „Gnosis“ lautet eindeutig: Ja.

David Virelles: „Fititi Nongo“ David Virelles Label: ECM2526 CD: Gnosis Track 2, 2:24

Der kubanische Pianist David Virelles mit dem Track „Fititi Nongo“ aus dem Album „Gnosis“.

Art Blakey war in den 1950-er und -60er Jahren der vitalste Drummer des Hard-Bop. Der Haus-Schlagzeuger des Labels Blue Note war auch ein Musiker, der sich in seinen Rhythmen immer wieder auf das afrikanische Erbe des Jazz bezog. Er sagte: „Afrika ist uns rhythmisch so weit voraus und wir sind ihnen so weit in Sachen Harmonik voraus. Wenn wir nur rascher eine Verbindung zwischen afrikanischen Rhythmen und unseren Harmonien erreichen könnten, dann wären wir in der Lage, die Welt aus ihren Trott zu reißen.“

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Lee Morgan: „Kozo’s Waltz“ Art Blakey and his Jazz Messengers Label: Jazz Dynamics 009 CD: Complete Studio Recordings CD 2, Track 5, 6:47

Art Blakey und seine Jazz Messengers mit „Kozo’s Waltz“ von 1960. Lee Morgan, Trompete; Wayne Shorter, Tenorsaxofon; Bobby Timmons, Klavier, Jymie Merritt, Kontrabass und Art Blakey, Schlagzeug.

Es gab eine Zeit, da hat man aus Fela Kutis Afro Beat die Einflüsse von Soul und James Brown schneller herausgehört als die Elemente von Jazz und Hard Bop. Die aber waren für die Musiker aus Nigeria, als sie zu Beginn der 1970-er Jahre den Afro-Beat erfanden, genauso wichtig wie Funk und . Tony Allen beispielsweise, der Drummer in Kutis Bands und der eigentliche Erfinder des Afro-Beat, kaufte sich in den 1960er Jahren jedes Art-Blakey-Album, das er in Lagos bekommen konnte. Auch heute noch, mit 77 Jahren, heißt Tony Allens Idol immer noch Art Blakey. Der wohl vitalste Hard Bop Drummer, der einen unwiderstehlichen press roll auf seiner Snare spielen konnte und der die Tom Toms durch das Aufdrücken der Ellbogen beim Schlagen in ihrer Tonhöhe variierte und damit zu einer Art moderne Talking Drum machte. Wen also wundert‘s, wenn sich jetzt der nigerianische Drummer Tony Allen in umgekehrte Richtung bedankt. Für sein erstes komplettes Jazzalbum hat er sich mit Pariser Jazzern umgeben und eine Blakey-Hommage eingespielt. Doch Allen imitiert Blakey nicht. Er muss das gar nicht, denn er selbst hat ja einen eigenen unwiderstehlichen Beat erfunden, der heute von Lagos über New York, bis nach London und Tokio gespielt wird. Dennoch mischt Tony Allen in die CD „The Source“ viele Jazzaromen in sein Afro-Beats hinein: hier kommt der Track „Woro’s Dance“.

Tony Allen & Yann Jankielewicz: „Woro Dance“ Tony Allen Label: Blue Note 5781091 CD: The Source Track 56:38

Aus Nigeria, der Schlagzeuger Tony Allen mit „Woro Dance“.

Was macht Brasiliens berühmtester Jazzmusiker, der Multiinstrumentalist mit den schlohweißen langen Haaren, Hermeto Pascoal, nachdem er gerade 81 Jahre alt geworden ist? Er wagt den großen Wurf. Man kann das wörtlich nehmen. Er kreiert ein Album für Big-Band. Die meines Wissens erste großorchestrale Arbeit in seiner langen, faszinierenden Karriere.

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Geleitet wird die Big-Band von Andre Marques. Dem Keyboarder, der seit über 20 Jahren eng mit Pascoal verbunden ist. Arrangiert aber hat Pascoal die Stücke selbst. Es sind teils alte, teils neue Kompositionen. Und sie funkeln mit all den kleinen und großen Verrücktheiten, die seine Musik so liebenswert und unvorhersehbar machen. Der Schluss des nächsten Stückes hört sich an, als würde Hermeto Pascoal seinen Big-Band-Musikern eine Gardinen-Predigt halten. Im übertragenen Sinne ist es auch fast so. Ihn Wahrheit geht es aber um eine Esel-Metapher. Es geht um die störrischen, es geht um die sensiblen, es geht um die lieben Esel und Eselinnen dieser Welt. Hermeto Pascoal ruft sie alle herbei. Und die Esel – mal störrisch, mal sensibel – antworten ihm musikalisch. Nach einigem Tumult sagt Hermeto Pascoal am Ende: „So, jetzt könnt ihr Euch alle ausruhen!“

Hermeto Pascoal: „Jeuge e Meu Jumento Mimosa“ Hermeto Pascoal Label: Scubidu Music NGCD001779 CD: Natureza Universal 7:00

Die Hermeto Pascoal Big Band mit ihrem Tribut an die störrische, sensible Welt der Esel. Das Stück „Jegue e Meu Jumento Mimosa“ aus dem Album „Natureza Universal“.

Randy Weston war der erste afroamerikanische Jazzpianist, der sich in den 1950-er Jahren bewusst auf die Musik Afrikas bezogen hat. Genauer: auf die Musik Nordafrikas, er hat viele Jahre in gelebt, die Musik der Gnawas studiert und immer wieder Gemeinsamkeiten gefunden hat zwischen den Trance-Musiken Nordafrikas und dem Klavierspiel des Modern Jazz. Jetzt hat ein kleines Label Solo-Aufnahmen von Randy Weston veröffentlicht, die er 1985 in einem Club und 1993 in einem Konzertsaal in Kanada gegeben hat. „Solo Piano“ heißt es schlicht. Die Klangqualität ist dürftig, die Album-Aufmachung lieblos, das Klavier verstimmt. Warum wir die Musik trotzdem in der SWR2 Musikstunde und „Jazz across the border“ spielen? Weil Randy Weston hier in bestechender Form improvisiert. Ellington, Monk und die Musik Marokkos, das findet bei ihm zu einer zauberhaften Einheit. Hier kommt sein Tribut an die spirituellen Melodien und Rhythmen der nordafrikanischen Gnawa-Musik: „The Healers“.

Randy Weston: „The Healers“ Randy Weston Label: HiHat Records HH 3065/CD CD: Solo Piano…Live

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Randy Weston mit „The Healers“.

Den „Orden der Aufgehenden Sonne“ erhält in Japan, wer einen wesentlichen Beitrag zur japanischen Kultur und Gesellschaft geleistet hat. Der Altsaxofonist Sadao Watanabe hat ihn bekommen. 1962 ging er nach Boston, wo er mit Chico Hamilton und Gabor Szabo arbeitete. Dort auch entdeckte er seine Begeisterung für den Bebop und die Bossa Nova. Zurück in Japan, löste er in seinem Heimatland eine kleine Bossa-Nova-Welle aus. Wichtig aber ist Watanabe für die japanische Szene geworden, weil er mit seinen mehr als 40 Alben wie kein anderer eine erfoglreiche musikalische Pendel-Diplomatie betrieben hat zwischen dem Jazz in Japan und den USA. Auf seinem aktuellen Album „Re-Bop“ zieht der 84jährige kreative Bilanz. Doch nur oberflächlich gesehen handelt es sich hier um ein Retro-Album. Denn Watanabe zeigt, dass man Bebop nicht, wie das neuerdings so oft geschieht, aus dem Setzbaukasten der Akademien kreieren muss, sondern aus der Fantasie eines sehr persönlich swingenden Musikers.

Mit dem Titelstück des Albums„Re-Bop“ endet die SWR2 Musikstunde und „Jazz across the border“. Mein Name ist Günther Huesmann. Ich wünsche Ihnenn ein schönes Wochenende!

Sadao Watanabe: „Re-Bop“ Sadao Watanabe Label: Victor Entertainment VICJ-61765 CD: Re-Bop 4:15

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