Deutsch Bettina Von Arnim
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Deutsch Bettina von Arnim Sendemanuskript SPRECHER 1 Das Gedicht »O schaudre nicht« von Goethe, vertont von Bettina von Arnim, zehn Jahre nach dem Tod ihres Idols. Es ist eine späte Liebeserklärung an Goethe, die Heraufbeschwörung einer sinnlichen Vermählung, wie Bettina sie im Jahre 1810 mit dem Dichter gehabt haben will. ZITATORIN (Bettina von Arnim) »›So lass doch die Kühlung Dich anwehen‹, sagte er und öffnete meine Kleidung. Ich ward rot. Er sagt: ›Das Abendrot hat sich auf Deine Wangen eingebrannt‹, und küsst mich auf die Brust und senkt die Stirne darauf.« SPRECHER 2 Was damals im Schutze der Nacht wirklich »passiert« ist, wissen wir nicht. Nicht alles, was Bettina von Arnim im Laufe ihres langen Lebens zu Papier gebracht hat, entspricht der »Realität«. Man hat ihr später, in nüchtern-abgeklärter Zeit, gerne das Etikett des »hysterischen Frauenzimmers« angehängt. Und selbst Zeitgenossen zeigten sich bisweilen konsterniert. SPRECHER 1 Der Dichter Ludwig Tieck, dem romantischer Überschwang nicht fremd war, verwarf im Jahre 1818 Bettina und den ganzen Brentano-Clan in Bausch und Bogen: ZITATOR (Ludwig Tieck) »Sie setzte sich jedem auf den Schoß, küsste ihn, streichelte ihn, am liebsten öffentlich − und wenn man sich schämte. Sollten nicht aus uraltem Affen-Inzest Generationen wie die Brentanos und manche ähnliche in die Welt gesprungen sein?« SPRECHER 2 Bettina von Arnim bediente die Klischees und belustigte sich gleichermaßen über die Moralvorstellungen hinter solchen Abziehbildern. Dabei war ihr Aufbegehren Teil einer frühen Emanzipationsbewegung, der Emanzipation der romantischen Frau. Noch nicht im Sinne eines Feminismus der 68er Generation, sondern innerhalb der Grenzen und Möglichkeiten bildungsbürgerlicher Entfaltung. Dazu der Philosoph und Romantik-Experte Rüdiger Safranski: 1. O-TON R. Safranski, Blaue Blume, dunkler Traum »Es war schon so etwas wie eine Frauen-Emanzipation, fand da coram publicum statt, ja, wenngleich man sagen muss, dass, wie wir aus den Berichten der Zeitgenossen hören, diese Frauen, gerade die Caroline Schlegel zum Beispiel, das war schlichtweg eine geniale Frau, auch intellektuell, nur, soweit war’s eigentlich dann doch noch nicht, dass sie dann so richtig jetzt auch mit ihrer intellektuellen Potenz nicht nur im Hintergrund gewirkt hätten, sondern auf die Bühne auch gekommen sind. Die Caroline Schlegel-Schelling dann, ja, die hat auch bei einer Reihe von Texten mitgewirkt, aber ihr Name taucht dann eigentlich nicht auf. Bei der Bettina von Arnim ist es anders. Die ist auch als Autorin aufgetreten, und die Günderrode auch, und die Sophie Mereau auch, ja, aber auch schon wieder Rahel Varnhagen, auch eine wirklich geniale Frau, dann, in der Berliner Szene, selber nicht mit eigenen Werken, mit Briefwerken, an den Briefen merkt man, was das wohl für eine Frau gewesen ist und welche Anregungspotenz und selber auch geistige Durchdringungspotenz sie eigentlich hatten. Im Übrigen sagte man, diese Frauen in Berlin, die Henriette Herz und Rahel Varnhagen, die waren es nun, die den Ruhm von Goethe überhaupt erst so richtig verbreitet haben.« SPRECHER 1 Freilich, »Bildung« im klassischen Sinne war Bettina Brentanos Sache nicht. In einem Brief an den Bruder Clemens schrieb sie: ZITATORIN (Bettina Brentano-von Arnim) »Ja, ich müsste Dir von meiner Verwundrung sprechen über alles, was ich sehe und höre in der Welt! Über die Lehren, die jene Leute mir geben, die mich zu einem angenehmen und liebenswürdigen Mädchen erziehen wollen. Das kommt mir aber gar nicht angenehm, sondern sehr horribel vor, was andre Leute wohlerzogen oder gebildet nennen. Ach, und Du meinst, ich könnte diesen Anstandsforderungen genug tun? - Ach, Clemens, weißt Du, dass mich dies alles ganz dumm macht?« SPRECHER 2 Der Zugang zum Weltverständnis hatte sich grundlegend verändert. Bettina hing - im geistigen Windschatten des Bruders Clemens - der jungen Bewegung der Romantik an. Junge Leute, meist Studenten, fanden sich in Jena, Frankfurt, Heidelberg und München zusammen und begriffen das Leben als eine Folie der Ich-Findung, des Gefühlsüberschwangs, der Sehnsucht nach geistiger Entgrenzung, der Abgrenzung gegen das kalte Vernunftdenken der Aufklärung und die Spießbürgerlichkeit der Eltern. Romantische Poesie wurde als »progressive Universalpoesie« definiert, als eine Poesie, die nicht nur die Literatur durchzieht, sondern alle Künste, ja, darüber hinaus alle Ausdrucksformen menschlichen Lebens. Philosophische Vordenker wie die in Jena lehrenden Brüder Schlegel und der in Weißenfels lebende Dichter Novalis gaben der Frühromantik ein theoretisches Fundament und ein metaphorisches Inventar. Novalis versinnbildlichte die ewige romantische Sehnsucht in der »Blauen Blume«. Die Nacht wurde zur romantischen Stunde, zur verschwiegenen Zeit der Liebenden und dem Land der Entgrenzung, wenn die scharfen Konturen des Tages verschwinden. Bettina von Arnim hat später ein Nacht-Gedicht ihres Mannes Achim von Arnim vertont: SPRECHER 1 Bettina von Arnim besaß keine akademische Bildung. Ein Universitätsstudium war Frauen damals ohnehin noch verwehrt. Sie hat nie regelmäßigen und zielgerichteten Schulunterricht erhalten. Aber sie hatte einen wachen Geist, eine rasche Auffassungsgabe, und das, was man heutzutage »emotionale Intelligenz« nennt. Und sie lernte intuitiv im Freundeskreis ihre Bruders Clemens. Dessen »Herzensbruder« Achim von Arnim heiratete sie 1811, mit der fünf Jahre älteren genialischen Dichterin Karoline von Günderrode − die von Clemens schwärmerisch verehrt wurde − schloss sie eine innige Freundschaft, die zeitweilig einem poetischen Lehrerin-Schülerin-Verhältnis glich. Bettina lernte aus dem Gespräch mit den dichtenden, musizierenden und philosophierenden Freunden. Nicht die Schulstube war ihre Lehranstalt, sondern die allumfassende Natur, nicht ein philosophisches Gedankengebäude ihr Lehrplan, sondern das gesteigerte romantische Leben in der Freundschaft. SPRECHER 2 Das romantische Bündnis umschloss alle Bereiche des Lebens: In Jena wohnten und arbeiteten Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Caroline Schlegel und Dorothea Veit unter einem Dach, und in Heidelberg lebte Clemens Brentano gemeinsam mit Achim von Arnim und sammelte alte deutsche Volkslieder. Freundschaft und Gemeinschaft wurden geistige Erfahrungen, die sich im romantischen Lebensgefühl festsetzten. Dazu Rüdiger Safranski: 2. O-TON R. Safranski, CD »Blaue Blume, dunkler Traum” »Und auch da stand also der politische Hintergrund, war wiederum maßgeblich für eine neue Phase in der Romantik, die wir dann heute die Heidelberger Romantik nennen, da um 1806/07, ja, wo dann mit der Gefühlsintensität, wie man vormals das Ich und seine Phantasien gefeiert hat, wird jetzt das Wir gefeiert. Und das Wir gefühlt und starke Worte dafür gefunden. Und in die Geschichte gegangen. Die Brüder Grimm tauchen dann auf, und sammeln Märchen. Und die Mythen werden gesammelt und Berichte. Da entsteht das historische Bewusstsein des Deutschtums. Auch das ist romantisch gewesen.« »Und auch für die weniger Gebildeten war klar: Literatur ist ein Leitmedium, würden wir heute sagen. Was in der Literatur auftaucht, oder wer dort agiert, hat auch eine ganze Menge Prestige, ja. Geistiges Prestige. Nicht unbedingt große Finanzen, ja. Viel verdienen konnte man da noch nicht, ja, aber es war doch ein Leitmedium. Man kann sogar sagen, dass gerade in dieser Zeit die Literatur beginnt so etwas zu werden, wie ein säkulares Priestertum. Ein verweltlichtes Priestertum. Also die Rolle des geistlichen Standes wird um diese Zeit von dem geistigen Stand übernommen.« SPRECHER 1 Die Literatur war nicht das einzige Leitmedium der Romantik. Mindestens ebenso wichtig waren Geschichtswissenschaft, Philosophie, Musik, die bildenden Künste. Im Sinne der romantischen Synästhesie suchte man nach geistiger Entgrenzung und sinnlicher Vielseitigkeit. Doppelbegabungen sind für den romantischen Künstler eher typisch als die Ausnahme. Der Komponist Robert Schumann wollte zunächst Dichter werden. Der Schriftsteller E. T. A. Hoffmann komponierte Opern und Symphonien. Clemens Brentano war nicht nur Dichter, sondern besaß auch eine außergewöhnliche zeichnerische Begabung. Und Bettina von Arnim malte hübsche Aquarelle, verfertigte feine Scherenschnitte und komponierte etliche Lieder auf Gedichte Goethes und Achim von Arnims. Sie nahm zeitweilig Gesangs- und Kompositionsunterricht bei dem Münchner Kapellmeister Peter von Winter. Ihre Lieder haben zwar nicht die psychologische Tiefe Schumanns oder Schuberts. Doch sind sie die Werke einer Dilettantin im besten Sinne: einer ernstzunehmenden Liebhaberin der Künste. Und sie sind unmittelbarer Ausdruck ihrer romantischen Zeit. Der Musiker Alois Bihler erinnert sich an die junge Bettina: 3. O-TON; CD Bettina von Arnim: Lieder und Texte, (Alois Bihler) »Selten wählte sie geschriebene Lieder. Singend dichtete sie, und dichtend sang sie mit prachtvoller Stimme eine Art Improvisation. Gewöhnlich saß Bettine während des Musizierens auf einem Schreibtisch und sang von oben herab wie ein Cherub aus den Wolken. Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Besonderes. Von kleiner, zarter und höchst symmetrischer Gestalt, mit blassem, klarem Teint, weniger blendend schönen als interessanten Zügen, mit unergründlich dunklen Augen und einem Reichtum langer, schwarzer Locken, schien sie wirklich die ins Leben getretene Mignon oder das Original dazu gewesen zu sein.« SPRECHER 1 Das Ende der Romantik kam rasch. Die Gründe hierfür waren politischer wie privater Natur. Bereits um 1810 war der weltumfassende Geist der Romantik