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Jehoschua Ahrens 1 Jüdisch-christlicher Dialog in

Jüdisch-christlicher Dialog, wie auch der inter- dings einen Kreis von Juden und Christen, die religiöse Dialog ganz allgemein, ist in Israel ganz sich trafen und ihre verschiedenen religiösen Vor- anders als in Europa, den USA oder anderswo. In stellungen diskutierten. Sie betonten, dass Juden keinem anderen Land sind Juden in der Mehrheit und Christen Offenbarungen des Einen Gottes und Christen und andere Religionen in der Minder- hätten, der sich auf verschiedene Weise manifes- heit. Der Dialog ist außerdem vom Nahost-Konflikt tiert, und »beide Religionen sind verbunden in der überschattet und damit kaum trennbar mit der gemeinsamen Aufgabe, Glückseligkeit und Frieden Frage des Existenzrechts und Status des Staates für die ganze Menschheit zu fördern«. Explizit Israel verbunden, auch wenn Israel zuerst einmal missbilligten die Unterzeichner »die Unruhe und die ein säkular-politischer Staat ist und nichts direkt Gewalt, die heute im Heiligen Land vorherrscht« mit einer theologischen Landverheißung zu tun und hofften auf eine friedliche Lösung, denn »Is- hat, wenn auch natürlich indirekt. rael’s Rückkehr zu seinem Land ist verwurzelt in den Offenbarungen, die beiden Religionen, Juden- Der jüdisch-christliche Dialog spielte in Israel tum und Christentum, heilig sind…«. 2 lange Zeit kaum eine Rolle. Anfangs gab es im jü- disch-christlichen Bereich nur einzelne Gruppen Der Staat Israel, bzw. das britische Mandats- und Initiativen, beispielsweise um Martin Buber. gebiet Palästina, war an den ersten drei interna- Noch vor Staatsgründung waren aus dieser tionalen christlich-jüdischen Konferenzen ein Gruppe Vertreter an die erste internationale christ- durchaus präsentes Thema. lich-jüdische Konferenz in Oxford im Sommer In Oxford 1946 war es der jüdische Terror 1946 eingeladen worden. Zwar konnte keiner gegen die britische Verwaltung in Palästina, die als der Eingeladenen teilnehmen, aber sie schickten großes Problem für die christlich-jüdischen Bezie- eine Grußbotschaft aus . Gemeinsam hungen in Europa gesehen wurde. 3 grüßten Martin Buber, Signe Ekblad (Direktor der Im Gründungsjahr des Staates Israel 1948 Schwedischen Schule), Kurt Wilhelm (Rabbiner wurde auf der dritten, großen christlich-jüdischen der liberalen Gemeinde Emet V’Emuna in Jerusa- Konferenz in Fribourg über den Status dieses lem) und Carlyle Witton-Davies (Berater des Ang- neuen jüdischen Staates diskutiert. Zwei Erklä- likanischen Bischofs in Jerusalem), »Christen und rungen zu Israel – eine christliche und eine jüdi- Juden von Jerusalem, der heiligen Stadt des Ju- sche – zeigten eine große Harmonie in Bezug auf dentums, des Christentums und des Islam [...] die die Gründung Israels. Beide Seiten waren positiv internationale Konferenz der Christen und Juden zum jüdischen Staat eingestellt, wünschten sich mit ihren aufrichtigsten Wünschen: ›Möge der einen gerechten Frieden für alle Bewohner Paläs- Herr euch aus Zion segnen.‹« Sie bedauerten tinas und hatten die Hoffnung, dass Israel nicht sehr, dass es keinen Rat von Christen und Juden nur jüdische Heimstätte werden würde, sondern »in Palästina, Geburtsstätte und Heimatland der auch eine theologische Dimension in Bezug auf die monotheistischen Religionen« gäbe. Es gäbe aller- jüdische Heilsgeschichte eröffnen könnte. Es gab

ZfBeg1|2019 1 Jehoschua Ahrens ist Rabbiner in Darmstadt und Beauf- 3 Braybrooke, Marcus(1991): Children of One God: A History tragter für den interreligiösen Dialog des Landesverbandes of the Council of Christians and (London: Vallentine der jüdischen Gemeinden in Hessen. Mitchell), S. 24. 2 Social Welfare History Archives, SW282, Everett R. Clinchy 4 Delgado, Mariano: »Konferenz des Internationalen Rates papers 5317, Box 13, Correspondence – 1945 –1933, der Christen und Juden an der Universitaẗ Fribourg,« in: Brief Buber et al. an die Oxford-Konferenz, 22. Juli 1946. Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 93 (2009), S. 113 –118, hier: S. 117. 7

zwar einige christliche Vertreter, die nicht die Diese lange Jahre schwache Stellung des jü- starke Verbindung zwischen dem Land Israel und disch-christlichen Dialogs ist durchaus verwun- dem jüdischen Volk verstanden oder teilten, aber derlich, denn viele – darunter auch sehr promi- insgesamt herrschte an der Konferenz eine posi- nente – Rabbiner, die nach Israel einwanderten, tive Atmosphäre gegenüber dem Zionismus. 4 Die waren im christlich-jüdischen Gespräch in ihren katholischen Teilnehmer um den späteren Kardi- Heimatländern aktiv oder sogar Pioniere des Dia- nal Charles Journet formulierten eine bemerkens- logs. Aus dem deutschsprachigen Raum beispiels- werte Passage für den Entwurf der christlichen Er- weise Rabbiner Zwi Chaim Taubes, Oberrabbiner klärung, die heute noch wegweisend sein könnte von Zürich. Bereits sein Dissertationsthema zeigte (1948 allerdings letztlich nicht beschlossen wur- eine gewisse Affinität zum Christentum 7, und er de): »Ferner, angesichts dieser nationalen Wieder- sollte ein wichtiger Pionier des jüdisch-christli- herstellung Israels, auch wenn es gegen weit ver- chen Dialogs in der Schweiz werden, als einer der breitete, vielleicht allzu menschliche Meinungen Gründer und Vorstandsmitglied der Christlich-Jü- über das Schicksal Israels zu gehen scheint, ist es dischen Arbeitsgemeinschaft. unsere Aufgabe, seine Bedeutung in Gottes Plä- In seine Fußstapfen trat auch schon früh sein nen zu suchen und zu belegen.« 5 1923 geborener Sohn Jacob Taubes, der 1947 an der Universität Zürich über »Abendländische Es- Anfang der 1950er gründeten Martin Buber, chatologie« promovierte, zeitlebens im jüdisch- Hugo Bergmann und andere in Jerusalem das Israel christlichen Dialog aktiv bleiben sollte und über Interfaith Committee. Bezeichnenderweise war diverse jüdisch-christliche Themen forschte und zunächst das Hauptziel dieser Organisation, reli- lehrte. Noch während des Krieges verfasste Rabbi- giöse Gruppen aus dem Ausland zu empfangen ner Taubes einen Essay mit dem Titel »Judentum, und erste Kontakte zu religiösen Gruppen im Lande Christentum und Islam«, in dem er die Notwen- zu vermitteln. Erst seit den 1970ern wurde die digkeit eines Dialogs der Religionen aufzeigte.8 Inlandsarbeit zum Schwerpunkt, und die Organi- Er wanderte 1966 nach Israel ein. 9 sation benannte sich programmatisch in Israel In- Ein weiteres Beispiel ist Rabbiner Isser Yehuda terfaith Association um. Zwar ist es das Hauptziel Unterman, Mitbegründer und aktives Mitglied der Gesellschaft, die Belange aller Religionsge- des britischen Council of Christians and Jews, der meinschaften in Israel zu vertreten, aber Juden 1946 Oberrabbiner in Tel Aviv wurde und von und Christen bilden auch heute noch die mit Ab- 1964 bis 1972 als Oberrabbiner von Israel fun- stand größten Gruppen unter den Mitgliedern. In- gierte.10 teressanterweise handelt es sich bei den Christen Doch keiner dieser Rabbiner war später in Is- hauptsächlich um Ausländer, die in Israel leben. rael noch im jüdisch-christlichen Dialog engagiert. Einheimische Christen, die zum arabischen Teil Eine Ausnahme ist – wenigstens indirekt – Rabbi- der Bevölkerung Israels gehören, sind nur eine ner Isaac Herzog, der Oberrabbiner in Irland war, kleine Minderheit. 6 bevor er der erste Oberrabbiner Israels wurde. In

5 »Le Congres̀ de l’association internationale des chretienś et 8 Religious Zionist Archives Jerusalem, NL Taubes, 2-29-12, Essay ZfBeg 1|2019 de juifs àFribourg (21– 28 Juillet 1948)«, in: »Judentum, Christentum und Islam«, undatiert (dem textlichen L’Amitiéjudeo-chré tienné 2, 1 (1948), S. 13. Inhalt und Kontext nach höchst wahrscheinlich 1943). 6 »Die Israel Interfaith Association«. Online verfügbar: 9 Kaufmann, Robert Uri: »Taubes, Zwi [Hersch]« in Historisches https://www.lee-achim.de/html/i-faith/index2.htm Lexikon der Schweiz. Online verfügbar: http://mobile.hls-dhs- [26.3.2019]. dss.ch/m.php?lg=d&article=D14922.php [26.3.19]. 7 Religious Zionist Archives Jerusalem, NL Taubes, 2-29-6, Curricu- 10 Braybrooke, Marcus(1991): Children of One God: A History lum Vitae und Bewerbungsschreiben an die ICZ vom 12.2.1936. of the Council of Christians and Jews (London: Vallentine Mitchell), S. 13. 8 Jehoschua Ahrens: Jüdisch-christlicher Dialog in Israel

dieser Rolle musste er ein Ministerium für Reli- ßes Vertrauen auf jüdischer Seite. Der Vatikan be- gion neu aufbauen, das auch für die religiösen An- kräftigte seine Position immer wieder, zuletzt gelegenheiten der christlichen, muslimischen und nochmals im Jubiläumsjahr mit dem Dokument drusischen Minderheit zuständig war. Der Staat »Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, Israel garantierte völlige Gleichberechtigung die- die Gott gewährt« (Röm 11,29).14 Besonders ser Minderheiten, und Rabbiner Herzog zog ha- wichtig aus jüdischer Sicht war die klare Absage lachisch nach und etablierte eine tolerante, reli- an die sogenannte Judenmission: »Dies bedeutet gionspluralistische Haltung, auch gegen den Wi- konkret, dass die Katholische Kirche keine spezi- derstand aus dem ultraorthodoxen Spektrum.11 fische institutionelle Missionsarbeit, die auf Juden gerichtet ist, kennt und unterstützt (6,40).« Zwei- Über die Gründe der grundsätzlichen Zurück- tens gibt es aber auch spezifisch israelische Grün- haltung in Bezug auf den Dialog kann man nur spe- de und/oder Motivationen für einen vertieften kulieren. Einerseits war es sicherlich nicht das Dialog zwischen Juden und Christen. Neben den dringendste Thema, bei all den Herausforderungen »klassischen« Gründen, beispielsweise der Förde- und Problemen des jungen Staates. Andererseits rung des gegenseitigen Verständnisses und der Be- förderte die Herausbildung einer israelischen Na- gegnung, dem Abbau von Vorurteilen und reli- tionalidentität das Verständnis, dass der Dialog gionsspezifischer Diskriminierung, sind dies vor mit Christen eher eine Sache der Diaspora sei und allem ein Beitrag zu Frieden und Versöhnung zwi- in einem jüdischen Staat keine Relevanz mehr schen Israelis und Palästinensern, eine Anerken- habe. nung und Wertschätzung der christlichen Minder- Zwar gab es einige Initiativen, Gruppierungen heit in Israel und die Wahrnehmung von Christen und Programme, die über die letzten Jahrzehnte als Partner und Unterstützer Israels. Dabei sind hinweg kontinuierlich interreligiös arbeiteten,12 viele Institutionen heute nicht mehr (nur) auf den doch gerade in den letzten 15 bis 20 Jahren hat jüdisch-christlichen Dialog beschränkt, sondern sich in Israel im jüdisch-christlichen Dialog sehr haben ihren Fokus mittlerweile auch auf den jü- viel getan, fast unbemerkt von uns hier in Europa. disch-muslimischen oder einen breiteren interre- Diese Intensivierung der Dialogbemühungen ligiösen Dialog ausgeweitet. in den letzten Jahren hat zwei Gründe. Erstens gibt Im Folgenden werden unter diesem Aspekt es einen solchen Trend weltweit, seit die Konzils- exemplarisch verschiedene Institutionen und ihre erklärung Nostra Aetate als ein Meilenstein in der Ziele vorgestellt. Entwicklung des Dialogs wirkte und eine Strahl- kraft auch in andere christliche Kirchen hinein • 1997 wurde das Elijah Interfaith Institute – entfaltete.13 Das Zweite Vatikanische Konzil kor- damals The Elijah School for the Study of Wis- rigierte geradezu revolutionär die christliche Leh- dom in World Religions – als ein in Jerusalem re in Bezug auf das Judentum. Das eröffnete ganz ansässiges Konsortium von 13 jüdischen, christ- neue Möglichkeiten und schuf über die Zeit gro- lichen und muslimischen religiösen Institutio-

ZfBeg1|2019 11 Brill, Alan (2010): Judaism and Other Religions: Models of Nostra Aetate – ein zukunftsweisender Konzilstext. Die Understanding (New York: Palgrave Macmillan), S.191–193. Haltung der Kirche zum Judentum 40 Jahre danach, Aachen. 12 Torstrick, Rebecca L. (2000): The Limits of Coexistence: 14 Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen Identity Politics in Israel (Ann Arbor: University of Michigan zum Judentum (2015): »Denn unwiderruflich sind Gnade Press), S. 114f. und Berufung, die Gott gewährt« (Röm 11,29). Reflexionen 13 Vgl. u.a. Boschki, Reinhold; Wohlmuth Josef (Hg.)(2015): zu theologische Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Nostra Aetate 4: Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Beziehungen (10. Dezember 2015), hg. Sekretariat der Judentum – bleibende Herausforderung für die Theologie, Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des aposto- Paderborn; Henrix, Hans Hermann (Hg.)(2006): lischen Stuhls, Nr. 203), Bonn 2016. 9

das Elijah Interfaith Institute, die Arbeit inter- national zu verankern. Zur großen Überra- schung unterstützten von Anfang an nam- hafte religiöse Persönlichkeiten aus aller Welt das 2003 in Sevilla gegründete Elijah Board of World Religious Leaders. Die Schaffung eines solchen Forums förderte die freie, posi- nen in Partnerschaft mit der McGill Univer- tive Auseinandersetzung mit der eigenen Posi- sity gegründet. Der Zweck des Konsortiums tion und den anderen Religionen, eine Erfah- bestand darin, ein umfassendes, akademi- rung, die sowohl befreiend als auch berei- sches Programm zu interreligiösen Themen chernd war. Es festigte die Beziehungen zwi- zu entwickeln. Der Schwerpunkt der Arbeit schen religiösen Führungspersönlichkeiten lag zu Beginn im jüdisch-christlichen Dialog.15 und half damit eine neue Art des internatio- Maßgeblich vorangetrieben wurde die Grün- nalen Dialogs mit zu entwickeln.17 Von der dung vom jetzigen Direktor des Instituts, Rab- Führungsebene wurden und werden Program- biner Dr. Goshen-Gottstein, einem der profi- me entwickelt, um ganz konkret vor Ort und liertesten Vertreter des jüdisch-christlichen an der Basis Strukturen zu etablieren, um Dialogs innerhalb der Orthodoxie.16 Mit dem durch neue Ideen und Erkenntnisse, durch Ausbruch der Intifada im Jahr 2000 konnten Begegnung und Austausch eine Transforma- viele lokale Projekte nicht fortgesetzt werden, tion innerhalb der Religionen zu schaffen. Das und so verlagerte das Elijah Interfaith Institute Elijah Interfaith Institute versucht durch Bil- seine Aktivitäten von der Lehre und den Be- dung und Begegnung, wie beispielsweise mit gegnungen auf die Forschung. Eine interreli- dem Elijah Educational Network, auch aktiv giöse Akademie wurde gegründet. Der Begriff die Basis in den verschiedenen Religionsge- »Akademie« sollte sich auf einen Rahmen oder meinschaften zu erreichen. Gerade die Frie- einen Ort beziehen, an dem Engagierte unter- denserziehung ist dabei ein wichtiges Ziel.18 schiedlicher Glaubensrichtungen zusammen- Das drückt sich auch im Slogan des Instituts arbeiten. Das Ziel war es, den religiösen Tradi- aus: ›Sharing Wisdom, Fostering Peace‹.19 tionen Raum für eine reflektierende Arbeit durch die Zusammenarbeit von Geistlichen, • Als erstes orthodoxes jüdisch-christliches Zen- Gelehrten und Praktikern zu bieten. Das erste trum wurde 2008 das Center for Jewish- Projekt brachte eine Gruppe von etwa acht Christian Understanding and Cooperation Gelehrten aus Judentum, Christentum, Islam, (CJCUC) in , südlich von Jerusalem, ge- Hinduismus und Buddhismus zusammen. gründet, das mittlerweile seinen Sitz in Jeru- Um »neutraler« zu sein und der Arbeit mehr salem hat. Der Hauptfokus des Zentrums liegt Glaubwürdigkeit zu verleihen, entschied sich auf Programmen, Vorträgen und Seminaren

15 The Elijah Interfaith Institute, »Our History at a Glance – 17 Mansouri, Fethi (2017): Interculturality at the crossroads: ZfBeg 1|2019 Highlights«. Online verfügbar: http://elijah-interfaith.org/ comparative perspectives on concepts, policies and practices about-elijah/our-history/history-more [26.3.2019]. (Paris: UNESCO), S. 284 –286. 16 Angel, Marc D. (2013): »The Orthodox Rabbinate and 18 The Elijah Interfaith Institute, »History – The Founding «, in: Religious Leadership, herausgegeben Moment«. Online verfügbar: http://elijah-interfaith.org/ von Sharon Henderson Callahan (Los Angeles: Sage), S. 606. about-elijah/our-history/history-more [26.3.2019]. 19 The Elijah Interfaith Institute, »Our Vision & Our Mission«. Online verfügbar: http://elijah-interfaith.org/about-elijah/ our-history/history-more [26.3.2019]. 10 Jehoschua Ahrens: Jüdisch-christlicher Dialog in Israel

Rabbiner Riskin und andere »dem moderaten Siedlerlager in Israel zuzurechnenden Rabbi- ner, [...] im politischen Kontext des israelisch- palästinensischen Konflikts und der zuneh- mend pro-palästinensischen Stimmung in den Kirchen Allianzen mit christlichen (auch evan- gelikalen) Kreisen« 22 suchen, andererseits sieht Rabbiner Riskin sein Engagement auch als Beitrag zum Frieden und der Versöhnung in Israel.23 Dies entspringt der tiefen theologi- für christliche Gruppen, die Israel besuchen, schen Überzeugung, dass Juden und Christen vor allem aus den USA. Das CJCUC hat starke als Partner in der Erlösung der Welt zusam- Verbindungen zu evangelikalen Kreisen in menarbeiten sollen. 24 Das Zentrum veröffent- Nordamerika.20 Für Rabbiner , lichte bereits 2011 eine orthodoxe Erklärung Oberrabbiner von Efrat, Gründer und langjäh- zum Christentum mit dem Titel »A Jewish Un- riger Direktor des Zentrums, liegt die Motiva- derstanding of Christians and Christianity«, tion zum jüdisch-christlichen Dialog vor allem die leider weitestgehend unbeachtet blieb.25 im Zionismus. Christliche Gruppen, die Israel Diese Erklärung macht deutlich, dass sich besuchen, schauen sich oft nur christliche Se- CJCUC als Katalysator des Dialogs zwischen henswürdigkeiten und Orte an, haben aber der jüdischen Orthodoxie und dem Christen- kaum Kontakt oder Berührungspunkte mit tum versteht und für den Dialog auf jüdischer dem jüdischen Israel bzw. dem Judentum. Seite werben möchte, da viele Christen heute Rabbiner Riskin will mit dem CJCUC ein An- gebot für christliche Gruppen schaffen, um 22 Bollag, Michel (2017): »Auf dem Weg zum Paradigmenwechsel im Verhältnis des Judentums zum Christentum,« in: Hin zu das Judentum und die jüdische Perspektive einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen: Die Erklä- der Bibel und der Landverheißung besser ken- rung orthodoxer Rabbiner zum Christentum, herausgegeben von Jehoschua Ahrens et al (Berlin: Metropol-Verlag), S. 124. nenzulernen und auch, um immer noch exis- 23 Vgl. Nekrutman, David: »Collateral Damage«, in: The Times tierende antijüdische christliche Klischees aus- of Israel, 12 September 2015. Online verfügbar: http://blogs. timesofisrael.com/collateral-damage/ [26.3.2019]. zuräumen. Gruppen aus dem Spektrum des 24 Berkowitz, Adam Eliyahu: »Rabbi Shlomo Riskin: Interfaith Prayer ›Bringing Us Closer‹ to Messianic Age«, Breaking Israel christlichen Zionismus möchte Rabbiner Ris- News, 14. Oktober 2015. Online verfügbar: kin durch Programme wie dem Day to Praise https://www.breakingisraelnews.com/51082/rabbi-shlomo- riskin-interfaith-prayer-bringing-us-closer-to-messianic-age- eine Möglichkeit zur »Teilhabe« am Zionis- biblical-zionism/ [26.3.2019]. mus ermöglichen. Das Zentrum unterstützt 25 Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation, A Jewish Understanding of Christians and Christianity, durch das Hilfsprojekt »Blessing Bethlehem« 24. Mai 2011. Online verfügbar: http://cjcuc.org/2011/ 05/24/cjcuc-statement-on-a-jewish-understanding-of- palästinensische Christen im Umfeld von Ef- christians-and-christianity/ [26.3.2019]. rat/Bethlehem.21 Einerseits ist es richtig, dass 26 Ebd. 27 Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen, Erklärung ortho- doxer Rabbiner zum Christentum. 3. Dezember 2015. ZfBeg1|2019 20 Sandmel, David (2007): »›Who Do You Say I Am?‹: Jewish Übersetzt von Jehoschua Ahrens und Michael Kühntopf. In: Responses to Nostra Aetate and Post-Holocaust Christianity«, Ahrens, Jehoschua, Blickle, Karl-Hermann, Bollag, David und in: The Future of Interreligious Dialogue: A Multi-religious Heil, Johannes (Hg.) (2017): Hin zu einer Partnerschaft zwi- Conversation on Nostra Aetate, herausgegeben von Charles schen Juden und Christen. Die Erklärung orthodoxer Rabbiner Lloyd Cohen, Paul F. Knitter und Ulrich Rosenhagen (New zum Christentum (Berlin: Metropol-Verlag), S. 254 –258. York: Orbis, ), S. 212. 28 Ahrens, Jehoschua (2017): »Den Willen unseres Vaters im 21 CJCUC, »Our Story«. Online verfügbar: Himmel tun: Zu Kontext, Entstehung und Rezeption der http://cjcuc.org/#story [26.3.2019]. Erklärung orthodoxer Rabbiner und ein kurzer Ausblick auf die 11

nicht mehr »versuchen, das Judentum zu erset- zen. Sie erkennen die fortwährende Rolle des jüdischen Volkes in Gottes Plan für die Ge- schichte an [...].« Da- her können Juden heu- te »Christen als Partner bei der Verbreitung von Monotheismus, Frie- den und Moral in der

ganzen Welt betrach- 15. Treffen der bilateralen Kommission ten.« 26 der Delegationen des Oberrabbinats von Israel und der Kommission des Heiligen Stuhls Das CJCUC bereitete für die religiösen Beziehungen zum Judentum, damit den Weg für eine Jerusalem, November 2017. vertiefte Auseinander- setzung der jüdischen Orthodoxie mit dem Christentum und spielte • Einen institutionalisierten Dialog zwischen eine wichtige Rolle in der Entstehung der ers- dem israelischen Oberrabbinat und dem Vati- ten internationalen Erklärung orthodoxer Rab- kan gibt es schon seit dem Jahr 2000. Nachdem biner zum Christentum »Den Willen unseres der Vatikan 1993 Israel voll anerkannt und di- Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partner- plomatische Beziehung aufgenommen hatte, schaft zwischen Juden und Christen«.27 Einer kamen sich auch das Oberrabbinat und der der Initiatoren war der Director Central Euro- Vatikan näher. Nach der Pilgerreise von Papst pe des CJCUC, Jehoschua Ahrens (der Autor Johannes Paul II. wurde schließlich eine bila- die ses Beitrages), und wichtige inhaltliche Im- terale Kommission zwischen dem Oberrabbi- pulse setzte Rabbiner Riskin. Die Erklärung nat und der Kommission für die religiösen Be- wurde auch über die Website des CJCUC ver- ziehungen zum Judentum des Heiligen Stuhls öffentlicht.28 Diese Erklärung war wiederum eingerichtet. Die Einrichtung einer solchen bi- der Anstoß für die institutionelle jüdisch-or- lateralen Kommission hatte tiefgreifende Aus- thodoxe Erklärung zum Christentum des eu- wirkungen auf die beteiligten Rabbiner, die ropäischen Rabbinerverbands, des amerikani- natürlich Multiplikatoren in ihren eigenen Krei- schen Rabbinerverbands und des israelischen sen sind. Daher haben ihre eigenen Neube- Oberrabbinats 2017 »Zwischen Jerusalem und wertungen des heutigen Christentums und Rom«.29 der christlich-jüdischen Beziehung Auswir-

Zukunft des Dialogs«, in: Hin zu einer Partnerschaft zwischen (Sonderdruck Wien 2017). Online verfügbar: ZfBeg 1|2019 Juden und Christen: Die Erklärung orthodoxer Rabbiner zum https://www.ikg-wien.at/wp-content/uploads/2017/10/ Christentum, herausgegeben von Jehoschua Ahrens et al Zwischen-Jerusalem-und-Rom-A5.pdf [26.3.2019]; (Berlin: Metropol-Verlag), S. 60 – 62. vgl. Ahrens, Jehschua: »Revolutionäre Entwicklungen innerhalb 29 Rabbinical Council of America/Conference of European der jüdischen Orthodoxie in Bezug auf den jüdisch-christlichen Rabbis/Chief Rabbinate of Israel: Zwischen Jerusalem und Dialog«, in: Zeitschrift für Christlich-Jüdische Begegnung Rom: Gedanken zu 50 Jahre Nostra Aetate, 31. August 2017 (ZfBeg), 3 | 2017, S. 198 – 208. 12 Jehoschua Ahrens: Jüdisch-christlicher Dialog in Israel

kungen weit über die eigene Person hinaus. Erden« zu unserer gemeinsamen Verpflich- Die Kommission trifft sich jährlich abwech- tung.32 selnd zwischen Rom und Jerusalem und hat inzwischen etwa 17 themenbezogene Bera- • Galiläa im Norden Israels ist eine Region mit tungen zu verschiedenen sozialen und wis- wichtigen christlichen Stätten und dem höchs- senschaftlichen Fragen abgehalten. Der Vorsitz ten christlichen Anteil an der Bevölkerung in wurde ursprünglich auf katholischer Seite von Israel. Seit 2012 gibt es in der Nähe von Afula den Kardinälen Jorge Mejia und Georges Cot- das Galilee Center for Studies in Jewish-Chris- tier und auf jüdischer Seite von Oberrabbiner tian Relations am Max Stern Academic Col- She’ar Yashuv Cohen sel. A. geleitet. Später lege of Emek Yezreel. Es ist das wichtigste In- übernahmen Kardinal Peter Turkson und Ober- stitut für jüdisch-christliche Forschung, Lehre rabbiner Razon Aroussi den Co-Vorsitz. 30 Die und Begegnung in Galiläa. Die Programme Kommission stellte bereits auf ihrem vierten stehen allen offen: Juden und Christen, Stu- Treffen 2004 fest, dass Juden und Christen denten und Akademikern, Geistlichen und »nicht länger Feinde sind, sondern unwider- Laien, Israelis und Besuchern aus dem Aus- rufliche Partner bei der Artikulierung der we- land. Ziel sind die Begegnung und das gegen- sentlichen, moralischen Werte für das Über- seitige Verständnis von Juden und Christen. leben und das Wohl der Menschheit.« 31 Nach Die Kernbereiche des Zentrums umfassen die der Veröffentlichung von »Zwischen Jerusa- akademische Forschung in jüdisch-christli- lem und Rom« erklärte die jüdische Seite auf chen Beziehungen, die Lehre über jüdisch- der Kommissionssitzung 2017, dass es das christliche Beziehungen und die Förderung Ziel der Erklärung ist, »eine Wertschätzung des jüdisch-christlichen Engagements in Is- des Wandels zum Ausdruck zu bringen und die rael. Die einzigartige Beziehung von Juden Partnerschaft zwischen der Katholischen Kir- und Christen soll akademisch erforscht und che und dem jüdischen Volk beim Kampf ge- gelehrt werden. Das Galilee Center for Studies gen gewalttätige Geißeln zu stärken, die unse- in Jewish- Christian Relations beschreitet neue re Welt von heute bedrängen, und auf diese Wege als das erste vollwertige Forschungszen- Weise für eine bessere Welt für die ganze trum für jüdisch-christliche Beziehungen, das Menschheit zusammenzuarbeiten.« Mit die- an einem Institut für höhere Bildung in Israel ser innerhalb der jüdischen Welt wachsenden untergebracht ist. 33 Die langjährige Gründungs- Wertschätzung »der strategischen Bedeutung direktorin Faydra Shapiro, eine orthodoxe der Beziehung zur Katholischen Kirche, und darüber hinaus für die theologischen wie auch moralischen Imperative zur Vertiefung dieser gegenseitigen Beziehung, wird die Gelegenheit zum Aufbau des Königsreichs der Himmel auf

ZfBeg1|2019 30 Rosen, David: »Reflections on the recent Orthodox Jewish chrstuni_doc_20041019_joint-declaration_ge.html Statements on Jewish-Catholic Relations«. in: [26.3.2019]. Bulletin of the Association of the Friends and Sponsors of 32 Treffen der bilateralen Kommission der Delegation des Ober- the Martin Buber House 1 (2019), S. 1– 6. rabbinats von Israel und der Kommission für die religiösen 31 Treffen der bilateralen Kommission der Delegation des Ober- Beziehungen zum Judentum des Heiligen Stuhls: »Gemeinsame rabbinats von Israel und der Kommission für die religiösen Erwägungen zur Erklärung ›Zwischen Jerusalem und Rom‹.« Beziehungen zum Judentum des Heiligen Stuhls: »Gemein- Jerusalem, 12.–14. November 2017. Online verfügbar: same Erklärung«. Grottaferrata, Italien, 17.– 19. Oktober 2004. http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/ Online verfügbar: http://www.vatican.va/roman_curia/ chrstuni/relations-jews-docs/rc_pc_chrstuni_doc_20171114_ pontifical_councils/chrstuni/relations-jews-docs/rc_pc_ comunicato-congiunto_ge.html [26.3.2019]. 13

Jüdin, war Professorin für Judaistik in Kanada und ist eine Spezialistin für jüdisch-christli- chen Beziehungen.34 Es gibt mittlerweile im akademischen Bereich noch das Israel Center for Jewish-Christian Relations und ein inter- disziplinäres Seminar in christlich-jüdischen Beziehungen am berühmten Van Leer Insti- tute in Jerusalem. Zusammenarbeit über Kurse und Symposien, Lehrerfortbildung, Bildungsprogramme für • Ebenfalls in Jerusalem angesiedelt ist das Jeru- Soldatinnen und Soldaten, etc. Jedes Jahr sind salem Center for Jewish-Christian Relations über 4.000 Personen direkt in Programmen (JCJCR) am Rossing Center for Education and und Aktivitäten des JCJCR beteiligt. 36 Dialogue. 35 Es wurde 2004 gegründet, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich Fazit aus der komplexen und besonderen Beziehung zwischen der jüdischen Mehrheitsbevölke- Der jüdisch-christliche Dialog in Israel entwi- rung und der christlich-arabischen Minderheit ckelt sich sehr positiv und ist so stark wie nie zu- in Israel ergeben. Das JCJCR bietet eine breite vor. Zahlreiche Institutionen und Initiativen sind Palette von Kursen, Konferenzen, Seminaren aktiv. Die Motivationen und Ziele sind ganz un- und Vorträgen zu Themen wie christliche Ge- terschiedlich. Manchmal ist es ein Dialog der Insti- meinschaften im Heiligen Land, lokale jüdisch- tutionen, manchmal eine Grassroots-Bewegung. christliche Beziehungen sowie interreligiöse Teilweise ist es ein religiöser Dialog, teilweise eher und interkulturelle Beziehungen an. Es richtet ein akademischer oder politischer. Ziele sind die sich an wichtige Zielgruppen wie Lehrer und Förderung des gegenseitigen Verständnisses und Reiseleiter sowie an die israelische Regierung der Begegnung, der Abbau von Vorurteilen und und Militärs. Ziel ist es, den jüdischen und ara- religionsspezifischer Diskriminierung, aber auch bischen Gesellschaften in Israel aktuelle Infor- die innerisraelische Anerkennung der Christen als mationen zu Fragen im Zusammenhang mit Bürger des Landes, ihre Einbeziehung in die isra- christlichen Gemeinschaften und jüdisch-christ- elische Gesellschaft und die gegenseitige Wert- lichen Beziehungen anzubieten. Das Zentrum schätzung von Juden und Christen. Oder der Dia- bietet Studierenden und Forschern, ausländi- log wird als Schlüssel für eine Lösung des Nah- schen und israelischen Journalisten, diploma- ost-Konflikts, bzw. Christen werden als Partner tischen Vertretungen, öffentlichen, staatlichen, und Unterstützer Israels gesehen. religiösen und akademischen Institutionen so- Letztlich aber geht es immer um ein friedli- wie interessierten Kreisen historische und ak- ches und respektvolles Miteinander von Juden tuelle Informationen zur jüdisch-christlichen und Christen.

33 Lizorkin-Eyzenberg, Eli: »Galilee Center for Studies in Jewish- 35 Zusammen mit weiteren Institutionen und Initiativen ZfBeg 1|2019 Christian Relations«, Jewish Culture and History 17,3 (2016). wie Adasha, Educating for Change, Dialogue and Identity, Online verfügbar: https://israelstudycenter.com/galilee- Healing Hatred – Spiritual Counselling in Situations of Conflict center-studies-jewish-christian-relations/ [26.3.2019]. und Fair Tourism catalog. 34 Galilee Center for Studies in Jewish-Christian Relations, 36 Jerusalem Center for Jewish-Christian Relations, »about the »Our Director«. Online verfügbar: https://galileecsjcr.word Center«. Online verfügbar: https://rossingcenter.org/en/ press.com/our-director/ [26.3.2019]. programs/jcjcr/ [26.3.2019].