2011 Fritz-Hintze-Vorlesung

Martin Fitzenreiter Abt. I Bl. 1 und „Historischer Saal“ definiert die Ägyptologie und separiert die Sudanarchäologie

Karl Richard Lepsius gilt als einer der Begründer Aufgrund seiner Forschungen zur Chronologie sah der Sudanarchäologie. Auch wenn diese These kaum er sich in der Lage, sie nach historischen Gesichts- der ausführlichen Erörterung bedarf, so soll sie im punkten zu gruppieren: das Alte Reich, das Neue Folgenden doch – den Jubiläen um den 200. Geburts- Reich, die Ptolemäer und Römer und schließlich, tag verpflichtet – erneut aufgenommen werden. Die Band V, Äthiopien als gesonderte, nur regional Betrachtung wird jedoch zwei eher randständige klassifizierte Gruppe.2 Der Reiseweg dient damit Beispiele von Lepsius’ wissenschaftlichem Werk weniger zur Illustration der Denkmälerpublikation, in den Blickpunkt rücken. Sie soll auch nicht pri- als vielmehr der parallel publizierten „Briefe aus mär dem gewidmet sein, was Lepsius an bleibenden Aegypten, Aethiopien und der Halbinsel des Sinai“, Erkenntnissen zur kuschitischen Kultur hinterlassen in denen die abenteuerliche Reise beschrieben ist.3 hat.1 Vielmehr soll es vor allem darum gehen, wie Schließlich, als dritte Bedeutungsebene, sind durch Lepsius seine Erkenntnisse gewonnen und präsen- Farbfelder einzelne Sprachgruppen bezeichnet bzw. tiert und davon ausgehend warum Lepsius bestimm- Regionen, in denen Sprecher dieser Sprachen leben. te Erkenntnisse in genau dieser Form hinterlassen Arabisch und Abessynisch ein helles und ein dunkle- hat. Denn in diesem wie und warum steckt ein bis- res Gelb, Nubisch in drei verschiedenen Brauntönen her verborgener Lepsius, ein Kulturtheoretiker. Und usw. womöglich ist es aber genau dieser Aspekt seiner Es besteht keine Frage, dass in diesen Farbfel- Forschung, der letzten Endes den prägendsten Ein- dern die wesentliche Information liegt, die die Karte fluss auf unser Fach hinterlassen hat. vermitteln soll. Die Geographie des Niltals und des Sinai wird in folgenden Detailkarten noch genauer beschrieben. Die hier kartierten Farbfelder tauchen Eine Karte nicht wieder auf und auch sonst spielen diesbezügli- che Dokumente in der Publikation keine Rolle mehr. Die Publikation der „Denkmäler aus Aegypten und Dafür ist das kartierte Gebiet auch viel größer als der Aethiopien“ beginnt mit einer Karte (Farbabb. 11): eigentliche Radius der Expedition. Außerdem dehnt „Übersichtskarte der Nilländer“, mit der program- eine rechts oben eingefügte Afrikakarte die Farbfeld- matisch wirkenden Seitenzahl „Abtheilung I, Blatt verteilung auf den gesamten Kontinent aus. Wie im 1“. Die Karte ist äußerst komplex und besitzt wenig- Fall des Reiseweges auch, liefert Lepsius hier eigent- stens drei Bedeutungsebenen, die alle mit der Expe- lich die Abbildung zu einem ganz anderen Buch. dition und ihrer wissenschaftlichen Ausbeute in Das Werk erschien erst 1880 und ist die „Nubische Verbindung stehen. Sie zeigt zuerst die Geographie Grammatik“, das letzte große von Lepsius publizier- Ägyptens, des , des Sinai und angrenzender te Werk. Die Arbeit daran hatte Lepsius bereits auf Regionen und damit genau den Operationsraum, der Expedition begonnen und sozusagen als Zwi- auf den sich das Werk bezieht. In diesen Operati- schenergebnis und wohl auch Ausblick auf die zu onsraum ist sodann der Reiseweg der Expedition mit Rot eingezeichnet. Diesem Weg entspricht die 2 Zur chronologischen Ordnung der Publikation – program- folgende Präsentation in der Publikation allerdings matisch und bewusst auch in Absetzung zu bisherigen nur bedingt. Im Gegensatz zu den bis dato erschie- Publikationen – siehe: Lepsius1849, 27f. nenen Tafelwerken hat Lepsius die Denkmäler nicht 3 Lepsius 1852. Das auch die chronologische Publikation in den Denkmaelern in etwa geographisch von Nord nach nach Regionen zusammengefasst und präsentiert. Süd voranschreitet liegt an den Denkmälern selbst, die, wie Lepsius 1849, 7f. bemerkt, entgegen dem Erwarteten nach 1 Dazu zuletzt: Lohwasser im Druck. Süden zu immer jünger werden.

43 Fritz-Hintze-Vorlesung MittSAG 22 erwartende Sprachbeschreibung steht die dazuge- wie dieser fest im intellektuellen Milieu der Berliner hörige Karte am Anfang der Denkmälerpublikati- Gelehrtenrepublik verankert, auch zu Gast in der on. Was die „Nubische Grammatik“ auszeichnet ist, Casa Lepsia.8 Er hatte bereits Aufsehen mit Karten dass sie nicht nur eine Beschreibung der nubischen von Griechenland, Kleinasien, des Heiligen Landes Sprache gibt. In der Einleitung gibt Lepsius einen und des Sinai erregt, besonders mit solchen, in denen Überblick über alle ihm bekannten Sprachen Afrikas historische Gegenstände behandelt wurden. Es war und ordnet diese in größere Sprachgruppen, die er folgerichtig, dass er auch das Material von Lepsius als „Völker“ bezeichnet.4 aufarbeitete. Doch ist „Abth. I Bl. 1“ keine rein geographische Karte, wie die übrigen von Kiepert gezeichneten Kartographie im 19. Jahrhundert Karten in der Denkmälerpublikation. Sie ist auch keine politische Karte, denn sie zeigt keine Staaten, Steht diese Karte etwas isoliert in der Denkmäler- Königreiche, Fürstentümer an. Sie ist eine ethnogra- publikation, so ist sie nicht isoliert vor Lepsius’ phische Karte, auf der Menschengruppen anhand wissenschaftlichem Horizont zu sehen. Dieser Hori- der bei ihnen geläufigen Muttersprache verzeichnet zont soll im Folgenden abgeschritten werden. Eine sind. Zwei methodische Aspekte sind hier heraus- erste Information dazu gibt die Legende der Karte: zustellen: Erstens, dass Lepsius sich der Sprache „Übersichtskarte der Nilländer, entworfen von H. als Kriterium bedient, um voneinander verschiedene Kiepert, ethnographisch bearbeitet von R. Lepsius“. Menschengruppen zu definieren; er nennt sie in der Interessant ist, dass Lepsius hier als Ethnograph Legende „Stämme“ und „Völker“. Zweitens, dass auftritt, einer sonst mit seiner Person kaum ver- es sich bei der zugrundeliegenden Sprache um die bundenen fachlichen Facette. Ethnographie – oder Muttersprache handelt, also den Dialekt, über den Völkerkunde – war immer eng mit der Geographie die Kommunikation im Haushalt läuft. Die Männer – der Erdkunde – verbunden; beide stellen gewisser- der Nubier bedienten sich bereits zu seiner Zeit maßen die kultur- bzw. naturwissenschaftliche Seite des Arabischen als Verkehrssprache. D.h., Lepsius der Weltbeschreibung dar. Beide Fächer erlebten erst bemüht sich, den Dialekt aufzuspüren, der ihm als im beginnenden 19. Jahrhundert ihre Etablierung als das alte und ursprüngliches Kommunikationsme- wissenschaftliche Fächer, also parallel zu den ver- dium erschien, und macht ihn zur Grundlage einer schiedenen Zweigen der Altertumswissenschaft, wie Gruppendefiniton. etwa die Ägyptologie auch. Lepsius hatte – in diesem Ethnographische Karten dieser Art sind erst im Aspekt noch ganz in der Tradition universeller Ent- beginnenden 19. Jahrhundert erfunden worden. deckungsreisender – auch Angaben geographischer „Abth. I Bl. 1“, eine Karte des nordöstlichen Afrika, Art und zu den Völkern gesammelt, die Bearbeitung die in ihrer Konzeption auf die 1840er Jahre zurück- dieser Informationen dann mit professionellen Kar- gehen dürfte und 1859 definitiv gedruckt vorliegt, tographen bearbeitet und visualisiert.5 ist eine der ältesten, wenn nicht sogar die älteste Heinrich Kiepert (1818-1891),6 der hier genannte ethnographische Karte Afrikas überhaupt.9 Kartograph, war Schüler und Nachfolger von Carl Um diesen revolutionären Aspekt der Karte her- Ritter auf dessen Berliner Lehrstuhl für Erdkunde. auszustellen, noch einige Worte zur Entwicklung der Ritter war der erste Professor für dieses Fach über- Geographie und besonders der Kulturgeographie. haupt, ein Weggefährte der Humboldts.7 Kiepert Der im Zeitalter Napoleons erwachende Nationa- kann als Begründer der Historischen Geographie lismus brachte es mit sich, dass vom Zeitgeist inspi- gelten und war ein Generationsgenosse Lepsius’; rierte Gelehrte über Räume jenseits der bestehenden Staatlichkeit nachzudenken begannen. Es kam zur 4 Lepsius 1880; siehe Höftmann 1988. 5 Siehe z.B. die Bemerkungen in Lepsius 1849, 21, wo es 8 Wo ihn Elisabeth Lepsius, die Gastgeberin, anlässlich einer um die Vereinheitlichung der Umschrift von arabischen Gesellschaft am 27.10. 1858 so beschreibt: „Der Mittelpunkt Ortsbezeichnungen geht. unserer Herrengesellschaft war natürlich Bunsen... Die 6 Engelmann, Gerhard, „Kiepert, Heinrich“, in: Neue beiden Ministerkandidaten Usedom und Bethmann Deutsche Biographie 11 (1977), S. 593-594 [Onlinefassung]; Hollweg waren da. Jener macht den bedeutenderen URL: http://www.deutsche-biographie.de/artikelNDB_ Eindruck; dieser unterhielt sich lange und eifrig mit n11-593-02.html; Hantzsch, Viktor, „Kiepert, Johann Bunsen im Vorzimmer. Pinder, Gerhard, Mommsen, Pertz, Samuel Heinrich“, in: Allgemeine Deutsche Biographie Abeken, Paul York, Schelling, Geffken, Professor Kiepert, 51 (1906), S. 133-145 [Onlinefassung]; URL: http://www. eine neue Erscheinung bei uns, hat ein unruhiges Wesen.... deutsche-biographie.de/artikelADB_051-133-01.html; Herrengesellschaften sind ganz behaglich, man braucht Zögner 1999. sich nicht dabei anstrengen.“ (Lepsius, B., 1933, 212). 7 Zur Beziehung Ritters zu Lepsius: Mehlitz 2011, 73f. 9 Den Hinweis verdanke ich Iris Schröder.

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Begründung einer „natürlichen Geographie“, die interessant bleibt, dass die etwas isoliert wirkende im Gegensatz zur „politischen Geographie“ nach „Abth. I Bl. 1“ unter diesem Gesichtspunkt ihre pro- unwillkürlich gegebenen geographischen Räumen grammatische Stellung am Anfang der Denkmäler und Grenzen suchte.10 Einerseits sah man Berge, durchaus rechtfertigen kann. Unter den Gelehrten Flüsse, Ebenen, Klimafaktoren usw. als Determi- um 1850 war die Bevölkerungsgeographie ein wich- nanten solcher natürlichen Zusammenhänge und tiges Thema und auch für eine so ferne Region wie Abgrenzungen an. Andererseits dienten aber auch Nordostafrika entsprechende Angaben hochinter- die ein Gebiet bevölkernden Menschen als Kriteri- essant. Diese Karte zu entwerfen konnte es keinen um größerer räumlicher Einheit. Es war gerade in besseren geben als Heinrich Kiepert, der sowohl ein Deutschland, dass dieser Zweig der Bevölkerungs- Pionier der historischen Geographie wie der Bevöl- geographie eine besondere Rolle spielte. In dem poli- kerungsgeographie war. tisch zersplitterten Territorium begann sich um 1800 eine nationale Identität herauszubilden, die sich vor allem eines Kriteriums bediente: der Sprache. Die Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert Sprache schien das einigende Band aller Deutschen zu sein und – geographisch gesehen – schienen alle Lepsius war kein Kartograph. Insofern könnte man Regionen, in denen Sprecher dieser Sprache lebten, „Abth I. Bl. 1“ auch als eine Konzession an den Deutschland zu sein. Folgerichtig, dass man Karten Zeitgeist und die Marotte seines Kartenzeichners zu produzieren begann, auf denen dieses „natürliche abtun. Aber Lepsius war Sprachwissenschaftler und Deutschland“ zu sehen war. 1844 erschien die erste die Sprachwissenschaft war im beginnenden 19. Jahr- Sprachenkarte Deutschlands von Karl Bernardi,11 hundert gewissermaßen die Mutter aller Kulturwis- 1848 die zweite. Doch diese ist bereits nicht mehr nur senschaft. Alle großen Gelehrten waren irgendwie als Sprachenkarte bezeichnet, sondern als „Natio- auch Philologen (von den Humboldts über Jacob nalitäts-Karte von Deutschland“ und wurde erstellt Burkhard, Friedrich Nietzsche bis zum jungen Karl von – Heinrich Kiepert.12 Marx, auch Heinrich Kiepert). Und natürlich hatte Welche Rolle dieser Blick des Kartographen auf Lepsius Philologie und Sprachwissenschaft studiert, die Politik haben sollte, kann und muss an dieser und zwar genau deshalb, weil ihn archäologische Stelle nicht weiter ausgeführt werden.13 Wichtig und Fragen interessierten. Die alten Sprachen boten den Königsweg jeder historischen Forschung und es ist 10 Schröder 2007. kein Zufall, dass es die Entzifferung des Altägyp- 11 Labbé 2007, 295, Karte 1. tischen war, die die Ägyptologie als eigenständi- 12 Labbé 2007, 296, Karte 2. ges Fach ermöglichte.14 Und der Königsweg zum 13 Kiepert verstand seine Karten durchaus als Instrumen- Altägyptischen war: der Sprachvergleich mit dem te der Politik, so im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71: „Besondere Beachtung fand seine Specialkarte Koptischen. Das sollte festgehalten werden: Nicht der deutsch-französischen Grenzländer 1:666 666 mit etwa die Rekonstruktion der Lautwerte der putzi- Angabe der Sprachgrenze, auf der man nicht nur das gen Hieroglyphen ist der wesentliche Schritt zum Vorrücken der deutschen Truppen verfolgen, sondern Verständnis des Altägyptischen gewesen, auch wenn auch bei den Verhandlungen über den Friedensschluß die auftauchenden Vorschläge über die neue Grenzfüh- er dieses erst lesbar machte. Entscheidend für das rung verfolgen konnte. K. forderte öffentlich, daß keine Verständnis altägyptischer Texte war die Erkenntnis, deutschsprechende Gemeinde in französischem Besitz dass wir es bei der koptischen Sprache mit der letzten gelassen werden sollte. Als die vorläufigen Grenzbestim- Stufe des Altägyptischen zu tun haben.15 Und es war mungen seinen Wünschen nicht entsprachen, wendete er sich mit einer eingehend begründeten Vorstellung an den Feldmarschall Moltke, und dieser Darlegung ist es in: Allgemeine Deutsche Biographie 51 (1906), S. 133-145 mit zu verdanken, daß der Frankfurter Friedensvertrag [Onlinefassung]; URL:http://www.deutsche-biographie. einen Gebietsaustausch festsetzte, der im wesentlichen de/artikelADB_051-133-01.html). den Vorschlägen Kiepert‘s entsprach. Er selbst berichtete 14 Altertumswissenschaften ohne Sprache wurden im 19. darüber in der Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde VI, 1871, S. Jahrhundert nicht an deutschen Universitäten institu- 273—88 mit Karte 1:120 000. Später fand er noch zwei tionalisiert. Die Erforschung „vaterländischer Alther- Mal Gelegenheit, seine geographischen Kenntnisse in den tühmer“ blieb in den Händen interessierter Laien, erst Dienst der hohen Politik zu stellen: 1872, als der deut- 1902 kam es zur Gründung eines ur- und frühgeschicht- sche Kaiser als Schiedsrichter die englisch-amerikanische lichen Lehrstuhls in (in Kopenhagen bereits 1855) Streitfrage wegen des San Juan-Archipels zu entscheiden (Eggert 2006, 39). hatte, und 1878, als Fürst Bismarck während des Berliner 15 Dazu, dass bereits in der frühen Neuzeit der Sprach- Congresses seinen Rath bei der Feststellung der neuen forschung alle notwendigen Informationen zur Entzif- Grenzen auf der Balkanhalbinsel zu hören wünschte.“ ferung des Altägyptischen zur Verfügung standen und (Viktor Hantzsch, „Kiepert, Johann Samuel Heinrich“, nur das zähe Festhalten an der These einer idealen, rein

45 Fritz-Hintze-Vorlesung MittSAG 22 gerade diese noch lange angefeindete sprachhisto- bis sechs Stunden lang auf der Barke mit Ausfragen rische Methodik, die Champollion den Weg in das gequält.... Er hat aber dabei wenigstens etwas mehr Altägyptische öffnete.16 Achtung vor seiner eigenen Sprache bekommen, die Lepsius, eine Generation jünger und mit der hier überall der arabischen gegenüber als schlecht inzwischen glänzend etablierten Vergleichenden und untergeordnet gilt und der man sich eher schä- Sprachwissenschaft bestens vertraut,17 erkannte die men zu müssen glaubt.“19 Richtigkeit der champollionschen Methodik und Warum betrieb Lepsius nubisch, von der Lange- brachte sie zum Ende. Kein Wunder dann auch, weile abgesehen? Einerseits interessiert ihn Sprache dass sich Lepsius bereits vor der Expedition mit überhaupt. Andererseits war er im Sudan auf eine dem bekannten Material über die Sprachen Afrikas neue Sprache gestoßen: das Meroitische. Lepsius beschäftigte und auf der Expedition weiter Sprach- war der Erste, der einen größeren Korpus an mero- studien betrieb.18 Besonders widmete er sich dem itischen Texten zusammenstellte und auch der erste, Nubischen, und das beschreibt er sehr launig so: der in der Lage war, diesen Korpus einer von Ägyp- „Da wir nun seit Barkal so wenig monumentale ten distinkten Kultur zuzuweisen. Zudem erkannte Ausbeute und so viel Muße in unserer Barke hat- Lepsius bereits etliche Besonderheiten des meroiti- ten, so beschäftigte ich mich in dieser Zeit vorzüg- schen Notationssystems, so den Worttrenner und lich mit einer möglichst vollständigen Vergleichung dass es sich um eine Schrift mit einem nur begrenz- und Untersuchung der hiesigen Landessprache, des ten Zeichenvorrat handelt.20 So war es nur logisch, Nubischen. …. Wir haben jetzt einen Diener aus dass Lepsius die sprachhistorische Methodik auf Derr … welcher ziemlich gut italienisch spricht, das Meroitische ausdehnt: diese alte Sprache ist der aufgeweckt und verständig ist, und mir vortreffliche Vorläufer einer Sprache, die auch heute noch in die- Dienste für die Kenntnis seines, des Mahasi-Dialek- ser Region gesprochen wird. Also muss diese Spra- tes leistet. Ich habe ihn bisweilen an einem Tag fünf che gefunden und beschrieben werden. Allgemein sprachwissenschaftliches Interesse und archäologi- symbolisch notierten und damit universellen Schrift die- sches Interesse fanden zusammen. Nur nebenbei: das sen Schritt verhinderte: Mauelshagen 2007. Champollion Nubische hat Lepsius nicht als die Nachfolgesprache und seine Zeitgenossen (vor ihm bereits Georg Zoëga des Meroitischen angesehen. Vielmehr vermutete er, und gleichzeitig z.B. auch Thomas Young gingen davon dass das Beja es sei und die in der und den aus, dass das Altägyptische mit dem Koptischen weitge- hend identisch ist) mussten geradezu hinter den erreich- Red Sea Hills lebenden Bisharin die Nachfahren der 21 ten Stand der Erforschung der Hieroglyphen als bedeu- alten Meroiten wären. tungscodierende Bildzeichen zurückgehen, sie ganz als Nachzusetzen ist: die Karte wirkt programma- Lautzeichen interpretieren. Zu diversen konkurrierenden tisch; zumindest der Publikationsgeschichte nach Ansätzen, die Inschriften auf dem Stein von Rosette als ist sie es aber nicht. Sie wurde sogar als eines der hebräische Psalmen, Akrologien oder „Prohellenisch“ zu deuten, siehe die Sammlung in Uhlemann 1857, 33-44. letzten Blätter ausgeliefert. Kiepert hat sich wohl 16 Es sei auch daran erinnert, dass das Meroitische seit ca. Zeit gelassen mit dem Entwerfen.22 100 Jahren zwar entziffert ist, man es aber nicht verstehen kann, weil bisher eine dem Koptischen vergleichbar nahe 19 Lepsius 1852, 251. Sprache nicht bekannt ist (zur sprachlichen Stellung des 20 Lepsius 1849, 9; Ders. 1852, 218f. Zu Lepsius’ Rolle bei Meroitischen zuletzt: Rilly 2008). der Erforschung des Meroitischen: Rilly, 2007, 48. 17 Lepsius befasste sich bereits in seiner Zeit auf dem Gym- 21 So schreibt er: „Ich habe der Akademie einen Bericht nasium in Schulpforta mit sprachvergleichenden Studien; über die Resultate unserer äthiopischen Reise übersendet seine Valediktionsarbeit trug den Titel „Über den Einfluß, und gebe darin zugleich eine flüchtige Übersicht der äthio- welche die Behandlung der deutschen Grammatik in den pischen Geschichte seit der ersten Eroberung des Landes neuesten Zeiten und die aus ihr und der größeren Bekannt- durch Sesurtesen III. … bis zur Blüthe des Meroitischen schaft mit dem Sanskrit hervorgegangenen allgemeinen Reiches …. und dann durch das Mittelalter hindurch bis Sprachvergleichung auf die Richtung der Philologie zu den heutigen Bischariba, deren gefesselte Scheichs wir in überhaupt und namentlich der klassischen haben müsse“ den Trümmern ihrer einstigen Hauptstadt und den Pyra- (Mehlitz 2011, 17, Anm. 7). Sprachwissenschaftliche Stu- miden ihrer alten Könige vorüberziehen sahen“. (Lepsius dien bildeten nach dem Abschluss der Denkmälerpubli- 1852, 267). kation das eigentliche Zentrum von Lepsius’ Interesse, 22 Lepsius 1849, 32 deutet bereits an, dass sich besonders insbesondere das Bemühen um eine den Sprachvergleich der Druck der komplizierten Karten aufgrund des hohen überhaupt erst möglich machende standardisierte Notie- Aufwandes verzögern wird. Ein in Lepsius 1849, Anhang, rung über ein Standardalphabet (dazu: Reineke 1988; publiziertes Tafelverzeichnis belegt aber, dass sie bereits Mehlitz 2011, 252-257). damals konzipiert waren. Abth I Taf. 1 ist hier als „Gene- 18 Seine Sprachstudien erwähnt Lepsius 1849, 22f. Konkret ralkarte der Nilländer“ angekündigt. Elisabeth Lepsius hatte er das Kongara aus Darfur, das Nubische und das notiert am 19. August 1859, dass die letzte Lieferung Bega beschrieben. An derselben Stelle beschreibt er erst- mit den Kiepertschen Karten und den Weidenbachschen mals den Plan einer Sprachklassifizierung Afrikas. Veduten erschienen ist (Lepsius, B. 1933, 224).

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Ein Museum von Kulturgütern, von exotischen Tieren, von Dis- kussionen, Verhandlungen und das Einfahren von Die malerische Ausgestaltung des noch im Bau Zügen. Diverse Staffagen, einer Bühnendekoration befindlichen Neuen Museums hatte für Lepsius ähnlich, übernahmen didaktische Funktionen, die allerhöchste Priorität. Noch von Ägypten aus setzte den Besuchern und Nutzern die neuartigen, auf- er große Energie daran, seine Vorstellungen durch- regenden, erklärungsbedürftigen Prozesse erläutern zusetzen.23 Was ihm offenbar auch weitgehend sollten. gelang.24 Die Wanddekoration erschien ihm als ein Bei der Gestaltung der ägyptischen Säle unter- Kernstück seines Museums, so dass er sie in sehr auf- schieden sich die Intentionen von Lepius allerdings wendiger Weise in Lithographie mit Beschreibung deutlich von denen Stülers. Stüler baut den ägypti- publizierte, ganz im Gegensatz zu den ausgestellten schen Hof tatsächlich als eine Bühne (Abb. 1). Der Objekten.25 Vergleich mit Schinkels Entwürfen für die Bühnen- Im Neuen Museum stand der ägyptischen Samm- bilder zur Zauberflöte wird oft gezogen und ist natür- lung seinerzeit der Nordflügel des Untergeschosses lich richtig.28 Es ist auch ein theatralischer Effekt, zur Verfügung. Dieser sollte in einer seiner Bestim- auf den die Inszenierung abzielt: Der Besucher soll mung angemessenen Weise gestaltet werden. Darun- von der Monumentalität der Säulen und der Pracht ter wurde neben der Bereitstellung von Raum und der Bilder überwältigt und auf eine Katharsis der Licht auch verstanden, dass die bauliche Gestaltung Wissensvermittlung vorbereitet werden. Erst, wenn auf den zukünftigen Inhalt abgestimmt wird. Das war er ganz dem Zeitlichen seiner Existenz enthoben ist, schon von Giuseppe Passalacqua in seinem ersten ist er bereit, das Neue der gegebenen Inszenierung Entwurf für einen Museumsbau gefordert worden26 zu erfahren. Katharsis, die Läuterung über einen und auch August Stüler, der Architekt, sah das als Moment der Entrückung, ist ein zentrales Element seine natürliche Aufgabe an. Auf ihn geht auch der der Theatertheorie, wie sie von Aristoteles bis in das Entwurf für das Herzstück des ägyptischen Traktes 20. Jahrhundert wirkt. Dass die Zeitgenossen den zurück, den ägyptischen Hof. Stüler verstand ganz Zusammenhang zwischen der Museumsarchitektur, im Sinne seiner Zeit das Museum als einen Raum der der theatralischen Inszenierung und den resultie- Inszenierung. So, wie im gesamten 19. Jahrhundert renden emotionalen Wallungen nicht nur kannten, jedes öffentliche Gebäude – von Museen über zoolo- sondern auch regelrecht übten, zeigen Besucherre- gische Gärten bis zu Parlamenten, Gerichtsgebäuden aktionen jener Zeit.29 und Bahnhöfen – seine Funktion als Estrade wahr- nahm und entsprechend viele Elemente des Thea- terbaues übernahm.27 Immer sind es großformatige Der Historische Saal Gebäude, die eine skena bieten für dass, was in ihnen an neuartigen Schauspielen abläuft: die Präsentation Stüler inszeniert. Und entlässt den hochgestimmten Besucher in die von Lepsius gestalteten Säle. An 23 Im 36. Brief (11. Juli 1845, Kairo) der Briefe aus Aegypten, einem der Säle sei demonstriert, was den Besucher Aethiopien und der Halbinsel Sinai, Lepsius 1852, 361- dort erwartete. Es ist der Historische Saal, gleich 372. 24 Müller 1988; Mehlitz 2010. links vom Hof (Abb. 2). Er erscheint deshalb so 25 Lepsius 1855. Man muss aber hinzufügen, dass wenigstens wichtig, weil Lepsius die Klärung chronologischer ein beachtlicher Teil der Museumsobjekte in Publikatio- Fragen ganz oben auf seiner Agenda hatte, als er nen vorlagen: Die Sammlungen von Minutoli, Passalacqua nach Ägypten aufbrach.30 Auch ist es der Raum, in und Drovetti waren zumindest in Katalogen gelistet, dem Lepsius seine Ergebnisse der Reise nach Nubien Lepsius hat in der Denkmälerpublikation die meisten 31 von ihm aus Ägypten mitgebrachten Objekte abgebildet. demonstriert. Ein Museumsführer erschien aber erst 1875 und das ohne Abbildungen. Die letzten Auflagen der Beschreibung der Wandgemaelde erschienen wohl aus Kostengründen 28 Freitag 1984, 159. ebenfalls ohne die Abbildungen. 29 Siehe Müller 1988, 280, Anm. 1, und Mehlitz 2011, 211; 26 Passalacqua 1843; siehe Karig/Kischkewitz 1992. die eine entsprechende Äußerung des Malers Carl Gustav 27 Neben dem Theater bot auch der Sakralbau entsprechende Carus zitieren. Vorlagen für große, der Inszenierung dienende Räume. 30 Lepsius 1849, 16f. Zur Bedeutung von Lepsius histori- Die historisierende Gestaltung der Gebäude in verschie- schen Forschungen: Endesfelder 1988. denen Baustilen (Klassizistisch, Gotisch, Renaissance 31 Im Übrigen bezeichnet Lepsius in einem Brief die Reise usw.) nahm ebenfalls theatralische Motive der Bühnende- nach Nubien explizit als die „zweite Hauptaufgabe“ der koration und ihrer Bedeutungsindizes auf (vgl. Beispiele Expedition (neben der Etablierung einer pharaonischen zeitgenössischer öffentlicher Bauten: Dieter Dolgner in: Chronologie) (16. Brief: Lepsius 1852, 120); siehe auch Feist 1987, 71- 105). Lepsius 1849, 8f.

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Abb. 1: Neuen Museum, Schnitt durch den Nordflügel, nach Norden. Im Untergeschoss im Zentrum der ägyptische Hof, links die Nordwand des „Historischen Saales“, rechts der „Mythologische Saal“. Im Obergeschoss im Zentrum assyrische Palastre- liefs im Lichthof; links der „Griechische Saal“ und rechts der „Niobidensaal“. Ganz oben zwei Säle mit Objektschränken der „Vaterländischen Althertümer“. (Stüler 1862, Bl. 6).

Der Saal ist chronologisch konzipiert. Das unter- mäer und Römer. Ein gesonderter Abschnitt ist dem scheidet ihn bereits vom Hof, der rein theatralisch Reich von Meroe gewidmet.33 gedacht ist und imposante Objekte aller Perioden Mit diesem Bildprogramm demonstriert Lepsius inkorporiert, einschließlich eines meroitischen Bar- seine absolut bahnbrechende Leistung in der ägyp- kenuntersatzes aus Wad ban Naga und des Widders tischen Geschichtsforschung. Waren bis dato die vom Gebel Barkal. Der Rundgang beginnt an der antiken Schriftsteller die Quelle gewesen, denen man südlichen Tür, zieht sich entlang der Ostwand nach einige Denkmäler zuordnen konnte, so waren es Norden, von dort zurück nach Süden. Diese Abfolge mit und seit Lepsius die pharaonischen Denkmäler wird im oberen Bildstreifen durch einen Fries von selbst, die das Gerüst bildeten. Die antiken Autoren Königsnamen vorgegeben. Lepsius hatte diese Reihe lieferten nur noch Kommentare, deren Glaubwür- rekonstruieren können und auch in Buchform publi- digkeit anhand der Denkmäler geprüft wurde. Das ziert.32 Hier gibt sie in gut ägyptischer Leserichtung stieß in einer Zeit allgemeiner Klassikerkenntnis von rechts nach links den roten Faden vor. auch in der engeren Umgebung von Lepsius nicht Unterhalb der Königsliste sind an den beiden nur auf Zustimmung. Lepsius bot daher alles auf, um Längswänden Bilder angebracht, die mit den Haupt- den paradigmatischen Sprung in der Wissenschaft perioden der pharaonischen Geschichte korrespon- dieren: zuerst das Alte Reich, das bei Lepsius die 33 Die Bilderfolge und damit auch die Vorlagen, denen heute in Frühzeit, Altes Reich und Mittleres Reich sie entnommen sind, entspricht den Abtheilungen der gegliederte Periode umfasst. Dann das Neue Reich. Publikation: Abth. II (Altes Reich) und Abth. III (Neues An der gegenüberliegenden Wand die Libyerzeit, Reich) im Osten; Abth. IV (griech-röm. Zeit) und Abth. dann die 25. Dynastie mit den Kuschiten, dann die V (Äthiopien) im Westen. Der Hof mit seiner imposanten Gesamtschau entspricht der Abth. I mit ihren Überblicks- letzten nationalen Dynastien, schließlich die Ptole- karten und Veduten. Aus den Bildvorlagen für Abth. I wurden auch etliche der Wandbilder des Hofes entwickelt, 32 Lepsius 1858. siehe Börsch-Supan 2010.

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Nach diesem Muster läuft der gesamte Plan seines Museumskonzeptes und so, wie die Sprachenkarte die früheste dieser Art für Afrika sein könnte, so ist Lepsius Idee eines Museums selbst für das deko- rationswütige 19. Jahrhundert absolut einzigartig. Üblicherweise wird so dekoriert, dass der Besucher gewisse Eindrücke gewinnt: Landschaften, Rekon- struktionen, meist aber sogar nur ein schönes, deko- ratives, die Betrachtung inspirierendes Ambiente. Lepsius verlangt vom Besucher, dass er die Bilder und Texte liest. Sein Konzept ist nicht Belehrung durch Staffage, sondern durch Quellenstudium. Ori- ginale sind dabei durchaus interessant, aber eben auch Gipsabgüsse, und vor allem Texte und Bilder; das, was man sonst nur anhand der Denkmälerpu- blikation studieren konnte. Die aber dem Durch- schnittsbesucher weder erschwinglich noch handlich genug war – und zum Zeitpunkt der Eröffnung des Museums auch noch gar nicht erschienen.35 Lepsius inszenierte das Museum als begehbare Publikation. Das Projekt ist natürlich gescheitert. Die Säle blieben den Besuchern unübersichtlich, die Origi- nale gingen im Farbenrausch der Dekoration unter Abb. 2: Ägyptische Abteilung im Neuen Museum, Grundriss und die Wandbilder konnte keiner verstehen. Des- (Lepsius 1855, Taf. 1). halb hat Lepsius diese auch mit enormen Aufwand in Lithografien publiziert und kommentiert.36 Das vom alten Ägypten zu demonstrieren. Er liefert Buch erlebte vier Auflagen und daher wohl einen gewissermaßen alle Belegstellen an der Wand. Mit gewissen Absatz, trug zur bleibenden Wertschät- den hieroglyphischen Texten dazu. Das war auch zung der Dekoration aber nicht bei. Lepsius hatte zwingend notwendig, denn die ausgestellten Objek- die Besucher (und sogar Kollegen) vielleicht einfach te allein konnten diesen wissenschaftlichen Sprung überschätzt.37 Aber damit steht er als Museums- nicht visualisieren, weder die Originale noch die mann ja nicht allein. Gipsabgüsse. Um seine Idee der quellengestützten Analyse wirklich in diesem Gebäude manifest und 35 Das Museum wurde 1850 als erste Abteilung des Neuen unhintergehbar zu machen, brauchte Lepsius die Museums eher „beiläufig“ eröffnet (Mehlitz 2011, 208). Wandbilder.34 Die Beschreibung der Wandbilder erschien erstmals 1855, im Moment der Übernahme der Direktion durch Lepsius. 34 Welche Unruhe Lepsius chronologische Forschungen Die erste Lieferung der Denkmälerpublikation erschien erregten, kann nur erahnt werden: z.B. notiert Elisabeth 1849; der letzte Tafelband 1859. Die Textbände erschienen Lepsius am 19.11.1846, dass der Sprach- und Religions- erst 1897-1913. wissenschaftler und Freund der Familie Max Müller es 36 Man muss einräumen, dass der Kommentar kaum über sich nicht vorstellen konnte, dass eine Berechnung derart eine kurze Benennung und Herkunftsangabe hinausgeht. langer Zeiträume („3-4000 Jahre vor Chr.“) überhaupt Lepsius tat sich offenbar überhaupt schwer, die bildlichen möglich ist (B. Lepsius 1933, 54f). Besonders sensibel Dokumente zu kommentieren; weshalb der Lepsius 1849, war zudem, dass Lepsius’ chronologische Überlegungen 32f. angekündigte Kommentar zu den Denkmälern wohl weit über die biblischen Angaben hinausgingen, anhand nie erschien und erst nach seinem Tod wenigstens die derer z.B. errechnet wurde, dass die Sintflut erst ca. 2.500 Expeditionsnotizen als so genannte Textbände veröffent- v. Chr. stattgefunden habe. Siehe dazu seine vorsichti- licht wurden. Die sehr einsilbige oder gar nicht vorhan- gen Äußerungen in der Einleitung zur Chronologie der dene Ausschilderung der Objekte im Museum beschreibt Aegypter (Lepsius 1849.b, auf S. 7 der unpaginierten Erman 1929, 197f. Widmung an Bunsen und dann 14-20). Auf die starke 37 Beispiele für Kritik der Zeitgenossen bei Müller 1988, 283; Präsenz insbesondere solcher Themen in der Dekoration Karig/Kischkewitz 1992, 92-94; Mehlitz 2011, 210f. Als des Historischen Saales, die mit der biblischen Geschichte besonders bissige Kritik wird gewöhnlich die von Adolf in Verbindung stehen und ihm offenbar bei der Erläute- Erman 1929, 192ff. angeführt, der sich allerdings auf den rung seiner Ergebnisse vor größerem Publikum wich- heruntergekommenen Zustand der Sammlung ca. 40 Jahre tig waren (Beduinenkarawane des „Abraham“ aus Beni nach der Eröffnung bezieht. Wenigstens er war in seiner Hasan; „ziegelstreichende Hebräer“; Scheschonk schlägt Schulzeit „glücklich“ über die reiche Beschriftung der die Fremdländer), kann hier nur hingewiesen werden. Wände mit Hieroglyphen und Königsnamen, da er daran

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Aethiopien gen der Feinde“, ein vielarmiger, vielköpfiger Gott und ein Schlangengott. Ganz oben stehen Königs- Am Beispiel von Meroe soll Lepsius’ Ansatz noch namen, aber es sind nicht die von Pharaonen, son- etwas genauer dargelegt werden. Bekanntlich gaben dern von meroitischen Herrschern. Lepsius hatte die seinerzeit antike Autoren die Linien der Interpreta- Namen auch dieser Könige gesammelt und sie einer tion vor. Im Falle der Beziehungen von Ägypten und eigenen Herrscherreihe zugeordnet, auch wenn er Kusch war es vor allem Diodor, der im dritten Buch noch keine Abfolge erstellen konnte.40 Aber was kolportiert: „Die Historiker gehen davon aus, dass Lepsius über das antike Kusch weiß und erforscht die Äthiopier die Ersten der Menschen waren und hat, das demonstriert er hier. die Beweise dafür zahlreich sind... (III,2). … Man Dieses Bild, das die meroitische Kultur so ein- sagt, dass die Ägypter von ihnen gesandte Siedler drücklich beschreibt, befindet sich an der Südwand. seien, mit Osiris als Anführer der Siedler. Denn sie An der Wand gegenüber demonstriert Lepsius Ägyp- sagen dass das, was jetzt Ägypten ist, nicht Land, ten und dessen Staatsreligion: An den Wänden Bilder sondern Meer war... Später aber brachte der Nil in vom Pylon des Amuntempels und der Amunbarke der Überschwemmungszeit Schlamm aus Äthiopien, und in der Fensternische dazwischen ein kolossa- woraus allmählich Land wurde.... Aber die mei- ler Osiriskopf (Abb 2). Das Ganze ist natürlich als sten der Gebräuche der Ägypter stammen von den Gegenstück zum Bild der Südwand gedacht und es äthiopischen ab.... So zum Beispiel, dass alle Könige liegt auch ganz richtig: Ägypten im Norden, Meroe Götter genannt werden und dass sie sich sehr um das im Süden.41 Begräbnis sorgen und dass viele ähnliche Dinge von der Praxis bei den Äthiopiern kommen, wie auch die Art ihrer Standbilder und die der Schriftzeichen Kulturtheorie von den Äthiopischen herrühren... (III,3).“ Die Idee einer „äthiopischen“ Herkunft wurde von führen- Karte „Abth. I Bl. 1“ wie auch die Wandbilder im den Ägyptenforschern bereits bezweifelt, aber es Neuen Museum sind typische Produkte des „lan- war Lepsius’ erklärtes Ziel, dem auf den Grund zu gen 19. Jahrhundert“. Sie entspringen einem der gehen. Ihm schwante bereits nichts Gutes, als er am ganzen Epoche eigenen Bedürfnis zur Ordnung Abend des 28. Januar 1844 in Meroe ankam und und Klassifikation. Der Forscher dieser zweiten noch in der Dunkelheit zu den Pyramiden eilte: großen europäische Entdeckerzeit war unterwegs „Das wichtigste Ergebniß dieser Besichtigung bei wie Adam im Paradies und gab jedem Ding seinen Mond- und Kerzenschein war aber nicht gerade das Namen. Das tat er jedoch nicht willkürlich. Wie im erfreulichste; ich gewann die unabweisliche Ueber- Zusammenhang mit der „natürlichen Geographie“ zeugung, daß ich hier an diesem berühmtesten Orte bereits erwähnt, suchte der Forscher des 19. Jahr- des alten Aethiopiens nichts als Reste einer verhält- hunderts nach unwillkürlichen, natürlichen, über nißmäßig sehr späten Kunst vor mir hatte.“38 den Erscheinungen stehenden Kriterien. Und genau Wieder hatten die Denkmäler über eine antike in dieser Mission war auch Lepsius unterwegs, mit Quelle gesiegt. Lepsius demonstriert auch das im der besonderen Aufgabe des Archäologen. Er suchte historischen Saal: Erst ganz am Ende der chronolo- nicht nur das Natürliche, er suchte das Älteste: das gischen Reihe erscheinen die meroitischen Könige, Ursprüngliche. exemplarisch gezeigt an Natakamani, der Kandake und einem Peqer. Auch ikonographisch führt Lepsius hier vor, dass es sich dabei nicht um eine Konstruktion und Inszenierung Frühform pharaonischer Kultur handelt, sondern eine eigentümliche – er sagt: „barbarische“ – Inter- „Abth. I Bl. 1“ zeigt das Niltal und den Expeditions- pretation derselben.39 An der Südwand demonstriert verlauf. Vor allem zeigt die Karte aber die Verteilung ein ganzes Tableau die Eigenarten der kuschitischen Kultur (Abb. 3): König und Kandake beim „Erschla- 40 Lepsius 1858, Tf. LXXI-LXXIII, auf denen erstmals eine größere Zahl der Namen meroitischer Könige zusammen- seine Studien treiben konnte (op. cit. 90). gestellt ist. 38 Lepsius 1852, 147. 41 Lepsius hat hier in verblüffender Weise ein Prinzip der 39 Die Definition der „äthiopischen“ Kultur als eigenständig Dekoration imitiert, das auch in Ägypten üblich ist. wird bereits im Abschlussbericht der Expedition vorge- Schauplätze werden mit Himmelsrichtungen in Verbin- nommen (Lepsius 1849, 29f.), weshalb die entsprechen- dung gebracht und diese werden bei Wanddarstellungen den Dokumente auch als eigener Band („Abtheilung V“) entsprechend zueinander platziert. Siehe hierzu auch: erschienen. Fitzenreiter i. Dr.

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Abb. 3: Südwand im „Historischen Saal“ (Lepsius 1855, Taf. 20). von Sprechern bestimmter Sprachen; im Niltal recht die u.a. die kartierte Sprache sprachen, aber natür- detailliert, in ganz Afrika eher summarisch. Lepsi- lich auch Menschen, die mehr als nur diese Sprache us, zusammen mit dem Kulturgeographen Heinrich sprachen und solche, die diese Sprache gar nicht Kiepert, demonstriert hier ein spezifisches Ord- sprachen. Dieses Faktum war den Bevölkerungsgeo- nungssystem: die Ordnung von Menschengruppen graphen natürlich bewusst. In detaillierten Karten, anhand ihrer Muttersprache. Dieses Ordnungssy- z.B. in Preußen, wurde durch aufwendige statisti- stem hatte sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts sche Methoden erhoben, wie viele Sprecher in einem herausgebildet und es hat auch unbestreitbare Vor- Dorf tatsächlich polnisch oder deutsch sprachen.42 teile: die Sprache erscheint als ein unwillkürliches Anhand eines spezifischen Schlüssels wurden die Merkmal, das dem Menschen gewissermaßen von Regionen dann doch als „polnisch“ oder „deutsch“ der Mutter mitgegeben wird. Damit suggeriert die klassifiziert. So entstanden in der Hand der Exper- Sprachverteilung auch sehr alte Formen der Verge- ten Völker, Grenzen, Staaten. Diese Dialektik der sellschaftung, jenseits jeglicher politischer Grenzen. Erhebung von „natürlichen“ Merkmalen und deren Für Lepsius als Archäologen waren diese alten und interpretative Bündelung im Sinne von kulturellen stabilen Systeme der Vergesellschaftung natürlich Konstrukten ist typisch für die kulturtheoretische von allerhöchstem Interesse. Über Sprachverwandt- Methodik im 19. Jahrhundert. Über die Erhebung schaften konnten nämlich wieder größere und klei- unwillkürlicher Charakteristika – z.B. der Mutter- nere Gruppen, Nähe und Ferne, Kommen, Gehen sprache – und die vom Forscher vorgenommene Ent- und Verlöschen rekonstruiert werden. Kurz: aus der scheidung einer Grenzziehung wird so letztlich eine Kartierung der Sprachen entwickelt sich ein Pan- bestimmte kulturelle Entität überhaupt erst gebildet. orama von in der Geschichte wirkenden kollekti- Die Deutschen z.B., oder, hier näher liegend, „Stäm- ven Subjekten – von „Völkern“ ganz im Sinne der me“ und „Völker“ in Afrika, rein konstruktive Ele- romantischen Kulturtheorie. mente, die es so nie gegeben hat. Das alles hat natürlich einen Schönheitsfehler: die Die Kartographie des 19. Jahrhunderts ist voll von hier in der Karte eingezeichneten Flecken gibt es gar Beispielen dafür, dass rein abstrakte Größen (Reli- nicht. Sie sind Erfindungen von Lepsius und Kiepert. gionszugehörigkeit, Bevölkerungsdichte, Rassen Was hinter den Flecken steht sind Menschen, die in etwa in dem gefleckten Gebiet lebten. Menschen, 42 Labbé 2007.

51 Fritz-Hintze-Vorlesung MittSAG 22 usw.) in verschiedenen Farbtönungen zu scheinbar Karte das Kriterium „Muttersprache“ war, um zum sinnlich erfassbaren Realitäten transformiert wer- Ursprung vorzudringen, ist im Museum der Raum, den. Wenn die ethnographischen wie die historischen der als Richtung die Dimension der Zeit gewinnt. Komponenten dieser und ähnlicher Karten als Kon- Karten als Medien der Vermittlung rein kultu- strukte anzusprechen sind, bedeutet das keineswegs, reller Faktoren (z.B. der Arbeitslosenrate oder von dass sie als „Hirngespinste“ verstanden werden dür- Übergewicht) sind heutzutage allgegenwärtig und fen. Die gezeigten Elemente basieren durchaus auf ein chronologisches Voranschreiten im Museum Ergebnissen, die durch die Zusammenfassung und wird als ganz natürlich empfunden. Aber das ist Interpretation von Beobachtungen gewonnen wur- es ganz und gar nicht. Es waren Lepsius und seine den. Auf diese Weise wurden Begriffe gebildet, über Zeitgenossen, die solche Formen der bildlichen und die eine Kommunikation über die Beobachtungen räumlichen Inszenierung von Erkenntnissen erst überhaupt erst möglich ist. Es gilt also, die große erfunden haben. Bei der Karte hat Lepsius der beste Berechtigung solcher Konstruktionen von Wirklich- Kartograph seiner Zeit zur Seite gestanden, entspre- keit zu erkennen. Wenn man Karten wie diese mit chend gelungen ist das Produkt. Beim Museum stand leichter Hand als Konstrukte dekonstruiert, entgeht, Lepsius leider kein erfahrener Didakt zur Seite und dass nur über diese Form der Konstruktion möglich entsprechend verrissen wurde sein Konzept.44 Es hat ist, Wirklichkeiten zu erfassen. Zum Problem wird aber ganz entschieden die weitere museale Präsenta- es erst, wenn man beginnt, das Konstrukt als eine tion im 19. und 20. Jahrhundert beeinflusst. Wobei, von der Wirklichkeit unabhängige, autonome Größe wie bei der Karte, nicht Lepsius als Dreh- und Angel- zu sehen. punkt misszuverstehen ist, sondern als ein Exponent „Abth. I Bl. 1“ bietet eine sehr abstrakte Vari- unter vielen. Im übrigen mag es paradox klingen, ante der Konstruktion. Wesentlich fasslicher ist die aber gerade Lepsius’ Wandgestaltung ist der erste Wanddekoration im Neuen Museum, doch auch sie Schritt zur kontextualisierten Objektpräsentation folgt dem beschriebenen Prinzip. Lepsius liefert hier heutiger Museen.45 Wo die Rolle der Wandbilder die entscheidenden Auszüge aus seiner Denkmä- durch das Flimmern der Bildschirme und Touch- lerpublikation für den populären Gebrauch. Aber screens übernommen wird, sowohl in ihrer beleh- er gibt nicht nur einen bunten Strauss schöner Bil- renden Funktion, als auch der, von den Exponaten der (so funktioniert Stülers Hof), sondern er gibt abzulenken. eine Gruppierung dieser Bilder. Erst durch diese Die von Lepsius konzipierten Räume stehen Gruppierung werden die Bilder zu Belegen und auch für die Überwindung der romantischen, thea- bilden Flecken wie auf der Karte. Hier sind die tralischen Ästhetik und für eine auf Spezialisierung Flecken nicht farbig und zielen nicht über Sprache und Stilisierung zielende Inszenierung und damit auf Stämme. Hier bilden die Flecken Entitäten wie Ästhetisierung der Wissenschaft. Lepsius setzt sich „Altes Reich“ und „Neues Reich“ und schließlich in der Art der Präsentation seiner Ergebnisse von der „Reich von Meroe“; es geht um chronologische und Auffassung einer theatralischen Aegyptomanie ab, kulturelle Gruppen. Und wieder werden zwischen die in der Raumgestaltung nur ein atmosphärisches den so gebildeten Merkmalsgruppen Bezüge herge- Medium sieht.46 Dies ist zugleich ein Schritt zur stellt. Auf der Karte waren es räumliche Bezüge, Hermetisierung: das Konzept bleibt dem Unein- und solche finden wir auch im Museum: Meroe im Süden, Ägypten im Norden. Die Inszenierung an der 44 Vgl. die ästhetisch durchgefeilte Inszenierung eines Par- Museumswand bietet Lepsius aber noch eine weitere cours durch die griechisch-römische Antike im Ober- Möglichkeit, Bezüge darzustellen, und zwar solche geschoss, zu dem die ägyptische Abteilung nur den chtonisch-zeitlosen Unterbau lieferte. Hier konnte der der Zeit: Der Betrachter der Wandbilder muss sich an Winckelmann geschulte Architekt Stüler auf gut eta- im Raum bewegen und so gewissermaßen peripate- blierte Forschungen zur Chronologie der antiken Kunst tisch die Abfolge der Reiche erleben.43 Was bei der zurückgreifen und entsprechend wirkungsvoll gestalten; ganz im Gegensatz zur Schulbuchästhetik von Lepsius. 43 Lepsius Dekoration bietet dem Besucher noch weitere 45 Mehlitz 2011, 213. visuellen Sensationen, z.B. durch die Gegenüberstellung 46 Vergleiche etwa die erst nach dem Neuen Museum deko- gleichartiger Szenen aus unterschiedlichen Epochen: so rierten Räume der Ägyptischen Sammlung im Kunst- bildet das „Erschlagen der Feinde“ eine Art Leitmo- historischen Museum in Wien. Hier wurden die eben- tiv, das mehrfach im Raum wiederholt wird und so die falls von Ernst Weidenbach geschaffenen Faksimile des „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ evoziert. Auch Chnumhotepgrabes ohne Bezug zu den konkret gezeigten die Gegenüberstellung von ägyptischen Reichskult an Gegenständen als ägyptologische Staffage angebracht; so, der Nordwand und meroitischer Apedemakverehrung an wie Klimt in seinem berühmten Zwickelgemälde die Alle- der Südwand liefert einen solchen reflektiv aufgeladenen gorie Ägyptens mit diversen Objekten pharaonischer Zeit Bezug. ausstaffiert (Czerny 2010).

52 2011 Fritz-Hintze-Vorlesung geweihten unverständlich und eine Erläuterung Textbänden finden sich viele spontane Erstanspra- wird nötig. Ähnlich verhält es sich bei der Karte. chen, die Lepsius so wohl nicht hätte stehen lassen Kartographie wird genau in derselben Periode zu wollen.49 Auch in der Kartographie wurde ab dieser einem Medium der kulturellen Konstruktion par Zeit der Beschreibungsteil aufgegeben, der bis dato excellence: die Suggestivkraft des Kartenbildes ist untrennbar mit jedem Kartenwerk verbunden war. enorm; sie kann sogar politische Handlungen initi- An seine Stelle traten Statistiken, was als eine Ver- ieren. Wie bei der Dekoration des Museums auch wissenschaftlichung und Objektivierung angesehen liegt ihr eine spezifische Ästhetik zugrunde, die den wurde.50 1864 erscheint die erste offizielle Sprach- Betrachter überzeugen will; aber eben auch bei die- karte von Preußen, versehen mit ausführlichen Sta- sem die Kompetenz einfordert, mit solchen Medien tistiken und erstmals von einem Amt beauftragt. Sie umgehen zu können bzw. aufgrund seiner Qualifika- richtete sich nicht mehr an ein privates, interessiertes tion zu dürfen. Wer dies nicht kann, soll schweigen. Publikum, sie war eine Staatsangelegenheit. Mit der The medium is the message. Verwissenschaftlichung einher ging die endgültige Ablösung vom antiquarischen Plauderton. Damit wurde zugleich die Hinterfragbarkeit eingeschränkt: Wissenschaft das Konstrukt wird ein Dokument. An diesem Punkt wird die innere Dramatik des Lepsius und seine Generation wuchs auf in einer sich Vorganges deutlich. Lepsius und seine Generation grundlegend wandelnden Zeit. Wissenschaft war für zogen los, die Welt zu entdecken. Doch indem sie ihre die Vätergeneration noch kein Beruf, sondern ein Beobachtungen in ein System der Klassifikationen Hobby. Lepsius und die ihn umgebenden Gelehrten brachten, schufen sie eine Welt der Wissenschaft(ler), verdankten ihre Karrieren kleinen, um Salons krei- die sich mit Akribie ihre Gegenstände festschrieb. senden Netzwerken, die immer einen bestimmten Als die erste Generation der Berufswissenschaftler Bezugspunkt hatten: das Königshaus.47 Die Nähe konnten sie hochspezialisierte Methoden und Medi- zur königlichen Gunst entschied über die wissen- en der Darstellung entwickeln, die zu analysieren schaftliche Zukunft, d.h.: über die Bewilligung von dasselbe Fachwissen voraussetzte. Laien, auch die Projekten und die Einrichtung einer Universitäts- Gebildeten unter ihnen, wurden von der Diskussion stelle. Die Nachfolgegeneration erbte die nun insti- ausgeschlossen. Lepsius hoffte wohl noch, durch die tutionalisierten Wissenschaften (d.h. die Lehrstühle) Wanddekoration ein „Gesamtkunstwerk“ zu schaf- und mit ihnen die Fehleinschätzung, dass es ihre fen, in dem auf totale Weise Erkenntnis vermittelt Wissenschaften quasi zwangsläufig gäbe, als ein von werden konnte. Aber erstens scheiterte der Versuch Individuen gelöstes Abstraktum. Auf ihre Vorgän- an den vorauszusetzenden Kenntnissen und zwei- gergeneration waren diese jungen Männer oft nicht tens bot das durchklassifizierte Material bereits eine gut zu sprechen.48 derart prägnante Konstruktion an, dass von nun an Lepsius hat seine Zwischenposition wohl wahr- nur noch über die Existenz von Reichen und Zwi- genommen. So fällt auf, dass er etliche Dinge der schenzeiten diskutiert wurde, kaum aber über andere Expedition unerledigt ließ. Der Reisebericht wurde Formen möglicher Periodisierungen. Die Grenzen nicht, wie angekündigt, durch einen weiteren Band des 19. Jahrhunderts stehen bis heute, nicht nur in fortgesetzt. Die Textbände zur Denkmälerpublika- der Wissenschaft. tion erschienen erst posthum. Der Umstand wird meist mit Desinteresse und der Beschäftigung mit anderen Dingen erklärt; Lepsius hätte seine Auf- Abtheilung V. gabe mit der Publikation der Tafelbände gewisser- maßen erfüllt gesehen. Das ist sicher richtig, hat Die Kulturwissenschaft des 19. Jahrhundert ist aber wohl auch damit zu tun, dass der wissenschaft- dadurch geprägt, dass sie Methoden und Medien liche Reisebericht um 1850 auszusterben begann. zur Darstellung von Kulturen als abstrakte Entitä- Wissenschaftliche Prosa entfernte sich vom schrift- stellerischen Ton. In den posthum veröffentlichten 49 Im Textband werden die unmittelbaren Assoziationen wiedergegeben, die ungewöhnliche Bilder wie die en face- 47 Diese Situation ist plastisch beschrieben in Lepsius, M. R. Darstellungen am Löwentempel in Naqa hervorriefen: 1988 und Mehlitz 2011, bes. 71-89. „Christus mit Strahlenkrone, Stab und aufgehobenen drei 48 Erman 1929, 163 erkennt die Bedeutung Lepsius’ durch- Fingern, sitzend dargestellt (Mithras?)“ und „Jupiter (?) aus an, stellt aber fest, dass dieser auf ihn wie aus einer mit vollem, gelockten Barte, en face dargestellt (ob Sera- anderen Zeit stammend wirkte. Ähnlich erging es Curtius, pis?)“ (Wreszinski 1913, 342). siehe Schweizer i. Dr. 50 Labbé 2007, 315.

53 Fritz-Hintze-Vorlesung MittSAG 22 ten überhaupt erst fand. Man ging prinzipiell nach In diesem Prozess werden von ihm die Quellen und einem vergleichbaren Schema vor. Erstens: Merkma- Monumente der altsudanesischen Kulturen einbezo- le bestimmen. Zweitens: anhand gemeinsamer Merk- gen. Die Sprachkarte illustriert die Andersartigkeit male Entitäten bilden und Grenzen ziehen. Drittens: der Sprachsituation südlich von Assuan; die Studien Abhängigkeiten und Bezüge zwischen den Entitäten des Meroitischen belegen das auch für die Antike. feststellen. Viertens: Anhand dieser Bezüge die Enti- Durch die chronologische Aufarbeitung der bekann- täten in ihrer Gesamtheit klassifizieren – in Raum ten Denkmäler werden die aus meroitischer Zeit ein- und in Zeit. Diese Methodik war in den histori- deutig als zwar in ägyptischer Manier gefertigte, aber schen Kulturwissenschaften um 1850 zur Perfektion prinzipiell andersartige Objekte ausgesondert und gereift51 und blieb bis weit in das 20. Jahrhundert schließlich all das in eine eigene Abteilung, „Abt- die Grundlage aller als wissenschaftlich akzeptierten heilung V“, verschoben. Wie Lepsius die Sprecher Beschäftigung mit Kultur.52 Man kann diese Lei- des Nubischen, auch wenn sie als Verkehrssprache stung kaum hoch genug bewerten, man muss aber Arabisch sprechen, einer distinkten Gruppe zuord- auch eines beachten: Die Kulturwissenschaft des 19. net, so kann er diese Werke zwar als ägyptisierend, Jahrhunderts fand nicht nur Methoden und Medien aber eben doch nicht ägyptisch klassifizieren. Das der Darstellung abstrakter Entitäten, sie schuf damit demonstriert er geradezu plakativ im Historischen überhaupt erst eine Vielzahl abstrakter Entitäten. Saal, wenn er den ägyptischen Osiris und den mero- Eine solche abstrakte Entität ist das pharaoni- itischen gegenüberstellt. Um es ebenso sche Ägypten. Von den vielen älteren Ansätzen plakativ zu formulieren: Lepsius definiert den For- hier einmal abgesehen, hatte Champollion über den schungsgegenstand der heutigen Sudanarchäologie, Sprachvergleich dessen linguistische Identität defi- indem er die kuschitischen Monumente aus der niert, sozusagen das „Volk“.53 Lepsius brachte das Ägyptologie aussortiert. Lepsius definiert Grenzen, u.a. über die Klärung der Stellung des Ägyptischen und er definiert damit auch den Gegenstand des zu den Sprachen Afrikas zum Abschluss. Ebenso Anderen. Da aber von ihm die kuschitische Kultur zum Abschluss brachte er die Definition des Raumes als das Andere der pharaonischen Kultur definiert pharaonischer Kultur – indem er mit seiner Expedi- wird, bleibt sie – ein wenig wie die Dialektik der tion den gesamten Radius kultureller Zeugnisse von Aufklärung – auch immer ein Gegenstand der Ägyp- Sennar bis Palästina abschritt –, wie die Definition tologie. Das bedingt den merkwürdigen Umstand, ihrer zeitlichen Ausdehnung – indem er die Chro- dass sich in Deutschland tatsächlich eine sehr eigene, nologie dieser Zeugnisse fixierte. stark ägyptologiezentrierte Form der Beschäftigung mit dem antiken Sudan etabliert hat. 51 Als weitere Beispiele sei das Dreiperiodenschema (Stein/ Wie immer man das Verhältnis von Ägyptolo- Bronze/Eisenzeit) der Urgeschichtsforschung nach Chri- gie und Nubiologie/Sudanarchäologie definieren stian Jürgensen Thomsen oder die Formationstheorie 54 nach Karl Marx und Friedrich Engels erwähnt. will: es bleibt festzuhalten, dass es gewissermaßen 52 Die starre Qualifizierung von Merkmalen als Kriterien der der kulturelle Kartenblick von „Abth. I. Bl. 1“ ist, Grenzziehung wird erstmals im Strukturalismus aufge- die Interpretation der Befunde, die zur postulierten weicht, der Struktur und Erscheinung trennt. Sie löst sich Einheit und ihren postulierten Grenzen führt, nicht in praxistheoretischen Untersuchungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend auf, durch die es aber der Befund. Auch wenn wir mitunter meinen, immer problematischer wird, das Wesen von Entitäten es bei unseren Forschungsgegenständen mit natür- anhand ihnen inhärenter, „essentialistischer“ Merkma- lich gegebenen Einheiten zu tun zu haben: sie sind le zu bestimmen. Immer mehr werden nicht die Merk- es nicht. Es sind Ideen, Konstruktionen, Hilfsmittel male zum Kriterium einer Interpretation, sondern die der Beschreibung. Und sie stammen erstaunlich oft Unterschiede (Jaques Derrida: différance) im praktischen Gebrauch/Wirken der Merkmale. aus dem 19. Jahrhundert. Es gibt das pharaonische 53 Die Suggestivkraft der Sprache als Merkmal einer Identität Ägypten jenseits dieser Konstruktion von Wirklich- ist noch heute enorm, war aber keineswegs so universell, keit genauso wenig wie die Sudanarchäologie. Wir wie jetzt meist angenommen: siehe das Elsass, das pro- müssen die Leistungen dieser Konstrukte erkennen blemlos lange französisch war und jetzt ist, siehe Öster- – aber auch ihre Gefahren. Der kulturwissenschaft- reichs Stemmen gegen die preußische Idee des National- staates (was letztendlich zur Bildung der heutigen Repu- liche Blick des 19. Jahrhunderts ist ein ordnender blik Österreich führte) usw. Man darf nicht übersehen, und klassifizierender Blick. Aber er ist auch ein dass die deutsche Sprache selbst ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts ist, als eine Idealsprache über den Dialekten 54 Siehe hierzu Beiträge in O‘Connor/Reid 2003 und die als Verwaltungs- und Schulsprache kodifiziert wurde. Antwort Török 2009, XVIIf. sowie auch Adams 1997, Bereits zuvor hatte es die Ablösung eines niederdeutschen 2007. Den programmatischen Aufruf, eine von der Dialektes als Sprache der Niederlande gegeben, um eine Ägyptologie unabhängige Afrikaarchäologie im Sudan eigene nationale Identität zu kreieren. zu schaffen, publizierte bereits Crawford 1948.

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Tunnelblick, weil er die Ränder scharf umreißt und ter F. Reineke (Hg.), Karl Richard Lepsius (1810-1884). alles dahinter schwärzt. Akten der Tagung anläßlich seines 100. Todestages, Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 20, Berlin: Akademie-Verlag, 191-201 Literatur Karig, Joachim S. u. Hannelore Kischkewitz (1992), Ein ungebautes Ägyptisches Museum für Berlin, Jahrbuch Adams, William Y. (1997), Anthropology and Egypto- der Berliner Museen 34, Berlin, 83-103 logy: Divorce and Remarriage?, in: J. Lustig (Hg.), Labbé, Morgane (2007), Die Grenzen der deutschen Anthropology and Egyptology. A Developing Dia- Nation: Raum der Karte, Statistik, Erzählung; in: E. logue, Monographs in Mediterranean Archaeology 8, François, J. Seifarth, B. Struck (Hg.), Die Grenze als Sheffild: Sheffield Academic Press, 25-32 Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Adams William Y. (2007), Anthropology and Nubiology, Frankreich und Polen vom 17. bis 20. Jahrhundert, in: Zahi Hawass u. Janet Richards (Hg.), The Archae- Frankfurt/New York: Campus Verlag, 293-319 ology and Art of Ancient . Essays in Honor of Lepsius, Bernhard (1933), Das Haus Lepsius. Vom geisti- David B. O’Connor, ASAE Cahier No. 31, Kairo: gen Aufstieg zur Reichshauptstadt. Nach Tage- SCA, 2007, 25-31 büchern u. Briefen, Berlin: Klinkhardt & Biermann Börsch-Supan, Eva (2010), Der Ägyptische Hof im Neuen Lepsius, M. Rainer (1988), Richard Lepsius und seine Museum, in: Ingelore Hafemann (Hg.), Preußen in Familie – Bildungsbürgertum und Wissenschaft, in: Ägypten. Ägypten in Preußen, Berlin: Kulturverlag Freier, Elke u. Walter F. Reineke (Hg.), Karl Richard Kadmos, 13-37 Lepsius (1810-1884). Akten der Tagung anläßlich sei- Crawford, O.G.S. (1948), Peoples without a history, Anti- nes 100.Todestages, 10.-12.7. 1984 in Halle, Schriften quity 22/85, 8-12 zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 20, Ber- Czerny, Ernst (2010), Von Lepsius bis Klimt – Die Bild- lin: Akademie-Verlag, 29-52 werdung dess Alten Ägypten im Kunsthistorischen Lepsius, Richard (1849), Vorläufige Nachrichten über die Hofmuseum in Wien, in: Ingelore Hafemann (Hg.), Expedition, ihre Ergebnisse und deren Publikation, Preußen in Ägypten. Ägypten in Preußen, Berlin: Kul- Berlin: Nicolai turverlag Kadmos, 61-95 Lepsius, Richard (1849.b): Die Chronologie der Aegypter. Eggert, Manfred K. H. (2006), Archäologie: Grundzüge Berlin einer Historischen Kulturwissenschaft, Tübingen u. Lepsius, Richard (1849-59), Denkmaeler aus Aegypten Basel: A. Francke und Aethiopien; Nach d. Zeichnungen d. von Seiner Endesfelder, Erika (1988), Der Beitrag von Richard Lepsi- Majestät d. Koenige von Preußen Friedrich Wilhelm IV. us zur Erforschung der altägyptischen Geschichte, in: nach diesen Ländern gesendeten u. in d. Jahren 1842- Freier, Elke u. Walter F. Reineke (Hg.), Karl Richard 1845 ausgeführten wiss. Expedition auf Befehl Seiner Lepsius (1810-1884). Akten der Tagung anläßlich sei- Majestät; hrsg. u. erl. von C. R. Lepsius, Berlin: Nicolai nes 100.Todestages, 10.-12.7. 1984 in Halle, Schriften Lepsius, Richard (1852), Briefe aus Aegypten, Aethiopien zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 20, Ber- und der Halbinsel des Sinai: geschrieben in den Jahren lin: Akademie-Verlag, 216-264 1842-1845 während der auf Befehl Sr. Majestät des Erman, Adolf (1929), Mein Werden und mein Wirken. Königs Friedrich Wilhelm IV von Preußen ausgeführ- Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten, Leipzig: ten wissenschaftlichen Expedition, Berlin: Nicolai Quelle & Meyer Lepsius, Richard (1855), Königliche Museen. Abtheilung Feist, Peter H. (1987), Geschichte der deutschen Kunst der aegyptischen Alterthümer. Die Wandgemälde der 1848-1890, Leipzig: Seemann verschiedenen Raeume. Beschreibung der Wandge- Fitzenreiter, Martin (im Druck), „Äthiopische“ Könige. maelde von R. Lepsius, Berlin: Weidmannsche Buch- Das Reich von Kusch im Säulenhof und im Histori- handlung (2. Aufl. 1870; 4. Auflage, 1880) schen Saal; in: Caris-Beatrice Arnst (Hg.), Ägypten in Lepsius, Richard (1858), Königsbuch der Alten Ägypter, voller Farbenpracht. Die ursprüngliche Dekoration der Berlin ägyptischen Säle im Neuen Museum Berlin Lepsius, Richard (1875), Verzeichnis der wichtigsten Ori- Freitag, Michael (1984), Zu den Künstlern der Lepsius- ginaldenkmäler und der Gypse mit dem Grundplan der Expedition und ihrer Zeit, in: Elke Freier u. Stefan Abteilung; Berlin: Berg & v. Holten, 1875. Grunert, Eine Reise durch Ägypten. Nach den Zeich- Lepsius, Richard (1880), Nubische Grammatik mit einer nungen der Lepsius-Expedition in den Jahren 1842- Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas. Ber- 1845, Berlin: Henschelverlag, 153-173 lin: Hertz Höftmann, Hildegard (1988), Lepsius’ Beitrag zur Klassi- Lohwasser, Angelika (im Druck), Ueber Aegypten hin- fikation afrikanischer Sprachen, in: Elke Freier u. Wal- aus! Die Archäologie Nubiens, in: Karl Richard Lep-

55 Fritz-Hintze-Vorlesung MittSAG 22

sius. Begründer der deutschen Ägyptologie, Berlin: Schweizer, Beat (i. Dr.), Ernst Curtius (1814-1896): Berlin Kadmos-Verlag – Athen – Olympia. Archäologie und Öffentlichkeiten Mauelshagen, Franz (2007), Warten auf Champollion? zwischen Vormärz und Kaiserreich, Saeculum 61.2, Oder: Weshalb die ägyptischen Hieroglyphen (nicht) 2011 entziffert wurden, in: Thomas Glück u. Ludwig Morenz Stüler, Friedrich August (1862), Das neue Museum in (Hg.), Exotisch, Weisheitlich und Uralt. Europäische Berlin, Berlin: Ernst & Korn Konstruktionen Altägyptens, Hamburg: Lit, 57-80 Török, László (2009), Between Two Worlds. The Frontier Mehlitz, Hartmut (2010), Richard Lepsius und Ignaz von Region Between Ancient and Egypt 3700 BC – Olfers. Planung und Gestaltung des neuen Ägypti- 500 AD, PdÄ 29, Leiden/Boston: Brill schen Museums, in: Ingelore Hafemann (Hg.), Preußen Uhlemann, Max (1857), Handbuch der gesammten ägyp- in Ägypten. Ägypten in Preußen, Berlin: Kulturverlag tischen Alterthumskunde. Erster Theil. Geschichte der Kadmos, 253-266 Aegyptologie, Leipzig: Wigand Mehlitz, Hartmut (2011), Richard Lepsius. Ägypten und Wreszinski, Walter (1913) = Naville, Eduard (Hg.): Denk- die Ordnung der Wissenschaft, Berlin: Kulturverlag mäler aus Aegypten und Aethiopien. Text, Fünfter Kadmos Band, bearbeitet von Walter Wreszinski. Leipzig: Hin- Müller, Wolfgang (1988), Das historische Museum - die richs Neugestaltung des Berliner Ägyptischen Museums Zögner, Lothar (1999), Antike Welten – Neue Regionen. durch Richard Lepsius, in: Elke Freier u. Walter F. Rei- Heinrich Kiepert 1818-1899. Ausstellung Staatsbiblio- neke (Hg.), Karl Richard Lepsius (1810-1884). Akten thek zu Berlin, 16. April-29. Mai 1999, Berlin der Tagung anläßlich seines 100. Todestages, Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 20, Ber- lin: Akademie-Verlag, 276-283 Summary O‘Connor u. David Reid (Hg.) (2003), Ancient Egypt in . Encounters with Ancient Egypt, London: Karl Richard Lepsius (1810-1884) counts as one of UCL Press the founders of Egyptology. Not without reason he is Passalacqua, Guiseppe (1843), Entwürfe zu einem neuen also reckoned among the founders of Sudan archaeo- Gebäude für das Königlich Preussische Museum logy. The article looks for the cultural-historical Aegyptischer Alterthümer von dessen Director Joseph background of Lepsius’s approach to archaeological Passalacqua, Berlin: Ferdinand Reichardt data that he collected during the Prussian expedition Reineke, Brigitte (1988), Die Bedeutung von Lepsius‘ to Egypt, Nubia and Sinai in1842-46 and its presen- Standardalphabet für die schriftliche Fixierung afrika- tation in the monumental Denkmaeler as well as in nischer Sprachen, in: Freier, Elke u. Walter F. Reineke the murals of the newly erected Neues Museum in (Hg.), Karl Richard Lepsius (1810-1884). Akten der Berlin. Taking the first plate of the Denkmaeler – Tagung anläßlich seines 100.Todestages, 10.-12.7. 1984 Abth I Bl. 1 – as an example, the approach of Lep- in Halle, Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten sius and the geographer Heinrich Kiepert to ethnic Orients 20, Berlin: Akademie-Verlag, 202-207 classification by the means of an ideal mother-tongue Rilly, Claude (2007), La langue du royaume de Méroé. Un is demonstrated. The same interest in classification panorama de la plus ancienne culture écrite d‘Afrique rules Lepsius’s project of decoration of the Histo- subsaharienne, Bibliothèque de l‘École des Hautes- rischer Saal in the Museum. There he illustrates his Études. Sciences Historiques et Philologiques, Bd. 348, ground-breaking approach to pharaonic chronology Paris: Champion by presenting more or less all the important sources Rilly, Claude (2008), Enemy brothers. Kinship and relati- in a kind of wall-publication, arranged in such a onship between Meroites and Nubians (Noba), in: W. way that historical entities like ‘Old Kingdom’ or Godlewski u. A. Łajtar (Hg.), Between the Cataracts. ‘Meroitic Kingdom’ are experienced by the visitor Proceedings of the 11th Conference for Nubian Stu- through a typological pattern. dies, PAM Supp. 2.1, Warschau: Warsaw University Both representations can be interpreted as the Press, 211-225 introduction of new modes of visualization, being Schröder, Iris (2007), Die Grenzen der Experten. Zur part of a media revolution which shaped the histori- Bedeutung der Grenzen in deutsch-französischen cal sciences during the 19th century. In the moment Geographien des frühen 19. Jahrhunderts, in: E. Fran- of defining new geographical and historical entities çois, J. Seifarth, B. Struck (Hg), Die Grenze als Raum, in a visual way, they are constructed on the level of Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frank- abstraction. Thus, a whole set of cultural entities reich und Polen vom 17. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt/ was ‘invented’ during the long 19th century – among New York: Campus Verlag, 267-292 them ‘ancient Nubia’ and its ‘archaeology’.

56 Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin e.V.

Heft 22 2011 Impressum

Herausgeber: Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. c/o Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Archäologie – Lehrbereich Ägyptologie und Archäologie Nordostafrikas Unter den Linden 6 • 10099 Berlin

Verantwortlich für die Herausgabe: Angelika Lohwasser

Erscheinungsort: Berlin

Autoren in dieser Ausgabe: M. S. Bashir, R. David, J. Eger, D. Eigner, M. Fitzenreiter, B. Gabriel, J. Helmbold-Doyé, T. Karberg, A. Lohwasser, S. Musso, S. Petacchi, T. Scheibner, A. K. Vinogradov, K. Zumkley

Satz und Layout: Frank Joachim

Bankverbindung der SAG: Deutsche Bank 24 AG BLZ 100-700-24 BIC DEUTDEDBBER Kto.-Nr. 055-55-08 IBAN DE36 1007 0024 0055 5508 00

WorldWideWeb-Adresse (URL): http://www.sag-online.de

Die Zeitschrift Der Antike Sudan (MittSAG) erscheint einmal im Jahr und wird an die Mitglieder der Sudanarchäologischen Gesellschaft kostenlos abgegeben. Preis pro Heft: 19,50 Euro + Versandkosten. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die „Richtlinien für Autoren“ finden Sie unter www.sag-online.de, wir senden sie auf Anfrage auch gerne zu. © 2011 Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Gesellschaft.

Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. Angesichts der Tatsache, daß die globalen wirtschaftlichen, ökonomischen und politischen Probleme auch zu einer Gefährdung der kulturellen Hinterlassenschaften in aller Welt führen, ist es dringend geboten, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, das der gesamten Menschheit gehörende Kulturerbe für künf- tige Generationen zu bewahren. Eine wesentliche Rolle bei dieser Aufgabe kommt der Archäologie zu. Ihre vornehmste Verpflichtung muß sie in der heutigen Zeit darin sehen, bedrohte Kulturdenkmäler zu pflegen und für ihre Erhaltung zu wirken. Die Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. setzt sich besonders für den Erhalt des Ensembles von Sakralbauten aus meroitischer Zeit in Musawwarat es Sufra/Sudan ein, indem sie konservatorische Arbeiten unterstützt, archäologische Ausgrabungen fördert sowie Dokumentation und Publikation der Altertümer von Musawwarat ermöglicht. Wenn die Arbeit der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin Ihr Interesse geweckt hat und Sie bei uns mitarbeiten möchten, werden Sie Mitglied! Wir sind aber auch für jede andere Unterstützung dankbar. Wir freuen uns über Ihr Interesse! Mitgliedsbeiträge jährlich: Vollmitglied: € 65.- / Ermäßigt: € 35.- / Student: € 15.- / Fördermitglied: mind. € 250.-

ISSN 0945-9502

Der antike Sudan. Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin e.V.

Kurzcode: MittSAG

Heft 22 • 2011 Inhaltsverzeichnis

Karte des Nordsudan ...... 4

Editorial ...... 5

Nachrichten aus Musawwarat

Thomas Scheibner Neue und alte 14C-Daten aus Musawwarat es-Sufra und ihre Aussagemöglichkeiten zur absoluten und relativen Chronologie des Fundplatzes ...... 7

Fritz-Hintze-Vorlesung

Martin Fitzenreiter Abt. I Bl. 1 und „Historischer Saal“ Karl Richard Lepsius definiert die Ägyptologie und separiert die Sudanarchäologie ...... 43

Aus der Archäologie

Angelika Lohwasser Das Projekt Wadi Abu Dom Itinerary (W.A.D.I.) Kampagne 2011 ...... 59

Dieter Eigner & Tim Karberg W.A.D.I. 2011: Die Bauaufnahme in Umm Ruweim ...... 69

Jana Helmbold-Doyé Die Keramik aus Umm Ruweim I ...... 85

Baldur Gabriel & Tim Karberg Archäologischer Survey in der nördlichen Bayuda (Sudan) – Wadi Abu Dom und 4. Nilkatarakt im Vergleich ...... 89

Kira Zumkley Eine Statuette des Thot aus Gala Abu Ahmed ...... 105

Jana Eger Ein mittelalterliches Kloster am Gebel al-Ain? ...... 115

Mahmoud S. Bashir & Romain David Meroitic Pottery from Excavations of the Cemetery at Berber ...... 121

Varia

Alexey K. Vinogradov The Installation of King Irikeamannote: the Warriors’ Wish vs. ’s Divine Will ...... 129

Simone Musso & Simone Petacchi Kushite shabtis with basket on the head: an innovation from the royal burials of Kush. New evidence from some Egyptian collections in Italy ...... 137

Nachruf Jean Leclant (1920-2011) ...... 143