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ANFIMIADI • SONNTAG DER BELEUCHTETEN FENSTER 1 P-Geogische Koch Print 120117 1 12.01.2017, 10:53 2 P-Geogische Koch Print 120117 2 12.01.2017, 10:53 DIANA ANFIMIADI Sonntag der beleuchteten Fenster Eine kulinarische Biographie Geschichten über Menschen und Geschmäcker in Georgien Übersetzt aus dem Georgischen von Iunona Guruli 3 P-Geogische Koch Print 120117 3 12.01.2017, 10:53 Die Herausgabe dieses Buches wurde gefördert vom Georgischen Nationalen Buchzentrum und vom Ministerium für Kultur und Denkmalschutz von Georgien. Titel des Originals: A pesonal cookbook ∂ 2013 Bakur Sulakauri Publisching A-ªº™º Klagenfurt/Celovec, •.-Mai-Straße √™ Tel. + ¢£(º)¢§£ £¶º £§, Fax. + ¢£(º)¢§£ £¶§ £∞ [email protected] www.wieser-verlag.com Copyright ∂ dieser Ausgabe ™º¡§ bei Wieser Verlag GmbH, Klagenfurt/Celovec Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Karin Waldner-Petutschnig ISBN 978-3-99029-232-7 4 P-Geogische Koch Print 120117 4 12.01.2017, 10:53 Das Buch ist meiner Mutter, Nana Anfimiadi, gewidmet, der hübschesten und köstlichsten Retterin meiner Kindheit. 5 P-Geogische Koch Print 120117 5 12.01.2017, 10:53 6 P-Geogische Koch Print 120117 6 12.01.2017, 10:53 Inhalt Vorwort 9 Von Geschmäckern und Menschen 11 Kochkunst. Maria und Martha. Und noch Dschawachetien 17 Die Küche aus der Jurazeit 23 Die Kochkunst und die Liebe 27 Die kulinarische Reise von Odysseus 32 Rezept-Gedicht 38 Barbare 39 P. S. 44 Noch einmal über Barbare 53 Süß, bitter und wertvoll 58 Maiko und die ingilischen Rezepte 63 Literatur als Hauptspeise 69 Das eigene Zimmer und die eigene Küche 76 Von den Saucen 86 Der Geschmack vom Staub des Lächelns 91 Mutter 97 Pfannkuchen und ein wenig von anderem 102 Kulinarischer Egoismus auf einfache Art oder: Drei köstliche, belegte Brote 109 Begegnungen und andere Glücksrezepte 112 Die Jungs, und so weiter 120 Sonntag der beleuchteten Fenster 127 Großmutter 131 Lebens- (Rezept-)buch 135 An Stelle eines Epilogs 138 Glossar Kulinarik 141 Orts- und Personenregister 143 Rezeptregister 145 7 P-Geogische Koch Print 120117 7 12.01.2017, 10:53 8 P-Geogische Koch Print 120117 8 12.01.2017, 10:53 Vorwort Das Tischgebet Du, der mich mit zwei Händen und einer Gabel, mit einem Löffel und einem Mund ∑ mit viel Kleiderfutter, mit zwei Stricknadeln und mit dem bunten Garn aus Makkaroni erschaffen hast, gib mir die Gabe, das Fleisch von Knochen zu trennen, du, der du mich gelehrt hast, in Not, wie eine Mauer, standhaft zu werden, auf dem leeren Magen nur mit Zwiebeltränen zu weinen, dass es besser ist, anstatt es nach Amber, nach Kardamom und Dill duften zu lassen, dass unser tägliches Brot nur ein Bissen ist, und deshalb, bis das Wasser sich mit Essig vermischt, für diejenigen zu beten, die hungrig sind, die Recht haben, die hungrig sind. Ich koche ein üppiges Mittagessen: Aus Schmetterlingspuppen und Termiten, den Happen, den du mir reichst, mal will ich nicht, mal kann ich nicht wollen. Ich koche ein üppiges Mittagessen: die Kätzchen, die Küken… Den Happen, den du mir reichst, will ich nicht, ich teile ihn mit dir: in den Himmel gegossene Milch, wie in das Meer gegossenes Erdöl, alle unbekannten Sonnen und Meteoriten und Leuchtkörper, alle im Himmel vorhandene Himmel und Vögel, alle im Meer hausende Meere und Fische, alle Salzbrocken und Zuckerwürfel. Dein Glas und Teller und Tisch sind voll: 9 P-Geogische Koch Print 120117 9 12.01.2017, 10:53 Du, der mir den Hunger gegeben hast, herrschst über mich, genauso wie über meinen Appetit. Ich stehe da und strecke den Teller, wie die Hand, nach vorne. Der Messerrand scheint sich zu verletzen. Ich erinnere dich an dein Versprechen: Wenn du mich vergisst, komme ich zu dir und helfe. Ich, die du sättigen wirst, und die dich sättigen wird. 10 P-Geogische Koch Print 120117 10 12.01.2017, 10:53 Von Geschmäckern und Menschen Jeder hat ein anderes Gedächtnis. Eine Freundin von mir kann sich an jede Farbkombi- nation der Kleidung eines zufälligen Passanten erinnern. Meine Oma, wenn sie irgendwo bei einer Familie über- nachtete, merkte sich ganz genau, in welchem Zustand der Haushalt und das Bettzeug war, das man ihr zur Ver- fügung gestellt hatte. Meine zweite Oma erinnert sich an alle Lehrer aus ihrer Schule, einschließlich deren Famili- enmitglieder und Verwandte; mein Nachbar kann sich Werbetexte merken, in Lekas Gedächtnis bleiben Parfum- düfte haften, in Zazas Ziffern, in Ketos Stimmungen, bei mir ∑ die Geschmäcker. Genau über diese in Erinnerung gebliebenen Geschmäcker möchte ich erzählen. Bittere, bittere Zwiebeln Sie war ein sehr hübsches Mädchen, hatte helle Haut mit Sommersprossen, glattes Haar und lange Beine. In der Kindheit war sie eine hervorragende Seilspringerin. Mir wurde verboten, mit ihr befreundet zu sein, denn ihr Vater war ein Säufer. Aber ich hielt mich trotzdem ständig bei ihr auf ∑ in einer heruntergekommenen Bude, deren Dach den Regen durchließ, weshalb überall bunte Eimer standen, grüne, rote, silberfarbige, einige mehr und andere weniger laut, wenn die Tropfen hinein fielen. 11 P-Geogische Koch Print 120117 11 12.01.2017, 10:53 Wir spielten alles Mögliche, einmal das Bollywood-Film- Spiel, ein anderes Mal waren wir Prinzessinnen, dann wieder etwas anderes. Sie war ein sehr gütiges Mädchen, mit dem Herzen am richtigen Fleck, wie man zu sagen pflegt. Nie werde ich die in der großen Pfanne auf ihrem Holz- ofen gebratenen Zwiebeln vergessen: Wir tunkten darin das Brot ein und aßen. Damals litten wir alle große Not, waren halb verhungert. Ich war eine gute Schülerin mit lauter Einsern, sie war es nicht, sondern ein Wildfang. Sie mochte mich sehr, ich glaube sogar, dass mich nie eine Freundin so sehr gemocht hat. Dann verkauften sie ihre Wohnung und zogen in ein altes Viertel von Tiflis, in eine winzige Einzimmerwohnung. Ich begann an der Uni zu studieren, schwänzte die Vor- lesungen ∑ einige mit besonderer Freude ∑ und ging wäh- rend der Vorlesungszeit zu ihnen. Sie war so hübsch, dass ihr Anblick ein echter Augen- schmaus war: wunderschön, mit grünen, mandelförmigen Augen und einem tollen Körper. Bei ihr war ich in einer anderen Welt ∑ es wurde nie über Bücher geredet, dafür umso mehr über Jungs. Später heiratete sie, und ich ver- lor sie aus den Augen. Vor zwei Jahren meldete sie sich das letzte Mal, damals war gerade ich frisch verheiratet. Zwei Kinder habe sie und ihre Wohnung wegen Schulden verloren, erzählte sie. Sie wollte ins Ausland, um arbeiten 12 P-Geogische Koch Print 120117 12 12.01.2017, 10:53 zu gehen und fragte mich, ob ich ihr ein Wörterbuch leihen könnte. Ich erinnere mich an den bitteren Geschmack in meinem Mund. Und das hing sicher nicht mit meiner Schwanger- schaft zusammen. Ich glaube, sie ist immer noch fort. Ob sie arbeitet oder nicht? Keine Ahnung. Rachmaninow, Bananen-Cocktail und andere Zufälligkeiten Ich denke, ich war damals im zweiten Studienjahr. In ≈Altgeorgische Sprache« hatte ich eine Seminararbeit zu schreiben. Es war ein kalter November. Und wie üblich hatte ich nur noch drei Tage bis zur Abgabefrist und noch kein einziges Wort geschrieben. In der Nähe der öffentlichen Bibliothek gab es ein klei- nes, vegetarisches Café, wo sehr leckere Dinge verkauft wurden. Da sie auch sehr günstig waren, gingen meine Kommilitonen und ich oft dahin. Es war herrlich: Sobald die Hände froren, es etwas mit den Freunden zu besprechen gab, Schanidze und Tschiqobawa langweilig wurden, gingen wir in dieses Café, aßen Samosas oder Kuchen, spülten mit grünem Tee nach ∑ und sowohl die November- nässe als auch die schwer zu besteigenden Bergspitzen der georgischen Philologie schienen erträglicher zu sein. 13 P-Geogische Koch Print 120117 13 12.01.2017, 10:53 Auch an jenem Tag gingen wir erst ins Café, tranken einen Bananen-Cocktail und ließen uns einen sonderbaren Kuchen schmecken. Danach schauten wir in der musikalischen Abteilung der Bibliothek vorbei, um unsere Köpfe ein wenig auszulüften. Ich bin schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in dieser Abteilung gewesen und weiß nicht, was dort jetzt los ist. Damals standen einige Plattenspieler herum (die einzige Möglichkeit, sich in der öffentlichen Bibliothek Musik anzuhören). Man suchte sich im Kartenregister die ge- wünschte Platte aus, setzte sich hin und konnte sie sich anhören, ohne von jemandem gestört zu werden. Auch an jenem Tag setzte ich mich in die Bibliothek und suchte das zweite Konzert von Rachmaninow aus, das ich auswendig kannte und das mich jedes Mal zu Tränen rührte. Ich hörte mir also die Musik voll Hingabe an, als ein sehr sympathischer Typ hereinkam. Er suchte sich Noten heraus, setzte sich hin und las. Plötzlich wurde die Elektrizität abgestellt. Aus mit Rach- maninow! Ich war so enttäuscht, dass er es bemerkte und mir anbot, mich zur Bibliothek des Konservatoriums mitzunehmen, wo ich das Stück zu Ende hören könnte. Unterwegs erfuhr ich, dass er Gesang studierte und ließ ∑ recht angeberisch ∑ Namen wie Donizetti und Wagner fallen. Nachdem er mit dem dortigen Bibliothekar gespro- chen hatte, brachte er mir dann die CD von Rachmani- now (sie hatten eindeutig die besseren Apparate dort!). Und dann verabschiedete er sich und ging fort. Nicht ein- 14 P-Geogische Koch Print 120117 14 12.01.2017, 10:53 mal nach meinem Namen hat er gefragt, geschweige denn nach meiner Telefonnummer! Rachmaninow und ich blieben enttäuscht zurück. Die griechische Orange Ich habe eine ältere Schwester. Sie ist sehr hübsch und klug, tausendmal klüger, gutmütiger und allgemein ein viel besserer Mensch als ich. Sie hat so leuchtende, grüne Augen ∑ man sehe und staune! Sie studierte an der Uni- versität Biologie und war eine hervorragende Studentin. Eines Tages geriet sie auf dem Weg zur Vorlesung in einen Kugelhagel. Ein anderes Mal blieb die U-Bahn stehen, ein drittes Mal hatte sie kein Geld, um eine Fahrkarte zu kaufen. Dann hatte sie die Nase voll.