ANFIMIADI • SONNTAG DER BELEUCHTETEN FENSTER

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P-Geogische Koch Print 120117 2 12.01.2017, 10:53 DIANA ANFIMIADI Sonntag der beleuchteten Fenster Eine kulinarische Biographie Geschichten über Menschen und Geschmäcker in Georgien

Übersetzt aus dem Georgischen von Iunona Guruli

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P-Geogische Koch Print 120117 3 12.01.2017, 10:53 Die Herausgabe dieses Buches wurde gefördert vom Georgischen Nationalen Buchzentrum und vom Ministerium für Kultur und Denkmalschutz von Georgien.

Titel des Originals: A pesonal cookbook ∂ 2013 Bakur Sulakauri Publisching

A-ªº™º Klagenfurt/Celovec, •.-Mai-Straße √™ Tel. + ¢£(º)¢§£ £¶º £§, Fax. + ¢£(º)¢§£ £¶§ £∞ [email protected] www.wieser-verlag.com

Copyright ∂ dieser Ausgabe ™º¡§ bei Wieser Verlag GmbH, Klagenfurt/Celovec Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Karin Waldner-Petutschnig ISBN 978-3-99029-232-7

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P-Geogische Koch Print 120117 4 12.01.2017, 10:53 Das Buch ist meiner Mutter, Nana Anfimiadi, gewidmet, der hübschesten und köstlichsten Retterin meiner Kindheit.

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P-Geogische Koch Print 120117 6 12.01.2017, 10:53 Inhalt

Vorwort 9 Von Geschmäckern und Menschen 11 Kochkunst. Maria und Martha. Und noch Dschawachetien 17 Die Küche aus der Jurazeit 23 Die Kochkunst und die Liebe 27 Die kulinarische Reise von Odysseus 32 Rezept-Gedicht 38 Barbare 39 P. S. 44 Noch einmal über Barbare 53 Süß, bitter und wertvoll 58 Maiko und die ingilischen Rezepte 63 Literatur als Hauptspeise 69 Das eigene Zimmer und die eigene Küche 76 Von den Saucen 86 Der Geschmack vom Staub des Lächelns 91 Mutter 97 Pfannkuchen und ein wenig von anderem 102 Kulinarischer Egoismus auf einfache Art oder: Drei köstliche, belegte Brote 109 Begegnungen und andere Glücksrezepte 112 Die Jungs, und so weiter 120 Sonntag der beleuchteten Fenster 127 Großmutter 131 Lebens- (Rezept-)buch 135 An Stelle eines Epilogs 138 Glossar Kulinarik 141 Orts- und Personenregister 143 Rezeptregister 145

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P-Geogische Koch Print 120117 8 12.01.2017, 10:53 Vorwort Das Tischgebet

Du, der mich mit zwei Händen und einer Gabel, mit einem Löffel und einem Mund ∑ mit viel Kleiderfutter, mit zwei Stricknadeln und mit dem bunten Garn aus Makkaroni erschaffen hast, gib mir die Gabe, das Fleisch von Knochen zu trennen, du, der du mich gelehrt hast, in Not, wie eine Mauer, standhaft zu werden, auf dem leeren Magen nur mit Zwiebeltränen zu weinen, dass es besser ist, anstatt es nach Amber, nach Kardamom und duften zu lassen, dass unser tägliches Brot nur ein Bissen ist, und deshalb, bis das Wasser sich mit Essig vermischt, für diejenigen zu beten, die hungrig sind, die Recht haben, die hungrig sind. Ich koche ein üppiges Mittagessen: Aus Schmetterlingspuppen und Termiten, den Happen, den du mir reichst, mal will ich nicht, mal kann ich nicht wollen. Ich koche ein üppiges Mittagessen: die Kätzchen, die Küken… Den Happen, den du mir reichst, will ich nicht, ich teile ihn mit dir: in den Himmel gegossene Milch, wie in das Meer gegossenes Erdöl, alle unbekannten Sonnen und Meteoriten und Leuchtkörper, alle im Himmel vorhandene Himmel und Vögel, alle im Meer hausende Meere und Fische, alle Salzbrocken und Zuckerwürfel. Dein Glas und Teller und Tisch sind voll:

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P-Geogische Koch Print 120117 9 12.01.2017, 10:53 Du, der mir den Hunger gegeben hast, herrschst über mich, genauso wie über meinen Appetit. Ich stehe da und strecke den Teller, wie die Hand, nach vorne. Der Messerrand scheint sich zu verletzen. Ich erinnere dich an dein Versprechen: Wenn du mich vergisst, komme ich zu dir und helfe. Ich, die du sättigen wirst, und die dich sättigen wird.

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P-Geogische Koch Print 120117 10 12.01.2017, 10:53 Von Geschmäckern und Menschen

Jeder hat ein anderes Gedächtnis. Eine Freundin von mir kann sich an jede Farbkombi- nation der Kleidung eines zufälligen Passanten erinnern. Meine Oma, wenn sie irgendwo bei einer Familie über- nachtete, merkte sich ganz genau, in welchem Zustand der Haushalt und das Bettzeug war, das man ihr zur Ver- fügung gestellt hatte. Meine zweite Oma erinnert sich an alle Lehrer aus ihrer Schule, einschließlich deren Famili- enmitglieder und Verwandte; mein Nachbar kann sich Werbetexte merken, in Lekas Gedächtnis bleiben Parfum- düfte haften, in Zazas Ziffern, in Ketos Stimmungen, bei mir ∑ die Geschmäcker.

Genau über diese in Erinnerung gebliebenen Geschmäcker möchte ich erzählen.

Bittere, bittere Zwiebeln

Sie war ein sehr hübsches Mädchen, hatte helle Haut mit Sommersprossen, glattes Haar und lange Beine. In der Kindheit war sie eine hervorragende Seilspringerin. Mir wurde verboten, mit ihr befreundet zu sein, denn ihr Vater war ein Säufer. Aber ich hielt mich trotzdem ständig bei ihr auf ∑ in einer heruntergekommenen Bude, deren Dach den Regen durchließ, weshalb überall bunte Eimer standen, grüne, rote, silberfarbige, einige mehr und andere weniger laut, wenn die Tropfen hinein fielen.

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P-Geogische Koch Print 120117 11 12.01.2017, 10:53 Wir spielten alles Mögliche, einmal das Bollywood-Film- Spiel, ein anderes Mal waren wir Prinzessinnen, dann wieder etwas anderes. Sie war ein sehr gütiges Mädchen, mit dem Herzen am richtigen Fleck, wie man zu sagen pflegt.

Nie werde ich die in der großen Pfanne auf ihrem Holz- ofen gebratenen Zwiebeln vergessen: Wir tunkten darin das Brot ein und aßen. Damals litten wir alle große Not, waren halb verhungert.

Ich war eine gute Schülerin mit lauter Einsern, sie war es nicht, sondern ein Wildfang. Sie mochte mich sehr, ich glaube sogar, dass mich nie eine Freundin so sehr gemocht hat.

Dann verkauften sie ihre Wohnung und zogen in ein altes Viertel von Tiflis, in eine winzige Einzimmerwohnung. Ich begann an der Uni zu studieren, schwänzte die Vor- lesungen ∑ einige mit besonderer Freude ∑ und ging wäh- rend der Vorlesungszeit zu ihnen.

Sie war so hübsch, dass ihr Anblick ein echter Augen- schmaus war: wunderschön, mit grünen, mandelförmigen Augen und einem tollen Körper. Bei ihr war ich in einer anderen Welt ∑ es wurde nie über Bücher geredet, dafür umso mehr über Jungs. Später heiratete sie, und ich ver- lor sie aus den Augen. Vor zwei Jahren meldete sie sich das letzte Mal, damals war gerade ich frisch verheiratet. Zwei Kinder habe sie und ihre Wohnung wegen Schulden verloren, erzählte sie. Sie wollte ins Ausland, um arbeiten

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P-Geogische Koch Print 120117 12 12.01.2017, 10:53 zu gehen und fragte mich, ob ich ihr ein Wörterbuch leihen könnte.

Ich erinnere mich an den bitteren Geschmack in meinem Mund. Und das hing sicher nicht mit meiner Schwanger- schaft zusammen.

Ich glaube, sie ist immer noch fort. Ob sie arbeitet oder nicht? Keine Ahnung.

Rachmaninow, Bananen-Cocktail und andere Zufälligkeiten

Ich denke, ich war damals im zweiten Studienjahr. In ≈Altgeorgische Sprache« hatte ich eine Seminararbeit zu schreiben. Es war ein kalter November. Und wie üblich hatte ich nur noch drei Tage bis zur Abgabefrist und noch kein einziges Wort geschrieben.

In der Nähe der öffentlichen Bibliothek gab es ein klei- nes, vegetarisches Café, wo sehr leckere Dinge verkauft wurden. Da sie auch sehr günstig waren, gingen meine Kommilitonen und ich oft dahin. Es war herrlich: Sobald die Hände froren, es etwas mit den Freunden zu besprechen gab, Schanidze und Tschiqobawa langweilig wurden, gingen wir in dieses Café, aßen Samosas oder Kuchen, spülten mit grünem Tee nach ∑ und sowohl die November- nässe als auch die schwer zu besteigenden Bergspitzen der georgischen Philologie schienen erträglicher zu sein.

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P-Geogische Koch Print 120117 13 12.01.2017, 10:53 Auch an jenem Tag gingen wir erst ins Café, tranken einen Bananen-Cocktail und ließen uns einen sonderbaren Kuchen schmecken. Danach schauten wir in der musikalischen Abteilung der Bibliothek vorbei, um unsere Köpfe ein wenig auszulüften.

Ich bin schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in dieser Abteilung gewesen und weiß nicht, was dort jetzt los ist. Damals standen einige Plattenspieler herum (die einzige Möglichkeit, sich in der öffentlichen Bibliothek Musik anzuhören). Man suchte sich im Kartenregister die ge- wünschte Platte aus, setzte sich hin und konnte sie sich anhören, ohne von jemandem gestört zu werden.

Auch an jenem Tag setzte ich mich in die Bibliothek und suchte das zweite Konzert von Rachmaninow aus, das ich auswendig kannte und das mich jedes Mal zu Tränen rührte. Ich hörte mir also die Musik voll Hingabe an, als ein sehr sympathischer Typ hereinkam. Er suchte sich Noten heraus, setzte sich hin und las.

Plötzlich wurde die Elektrizität abgestellt. Aus mit Rach- maninow! Ich war so enttäuscht, dass er es bemerkte und mir anbot, mich zur Bibliothek des Konservatoriums mitzunehmen, wo ich das Stück zu Ende hören könnte.

Unterwegs erfuhr ich, dass er Gesang studierte und ließ ∑ recht angeberisch ∑ Namen wie Donizetti und Wagner fallen. Nachdem er mit dem dortigen Bibliothekar gespro- chen hatte, brachte er mir dann die CD von Rachmani- now (sie hatten eindeutig die besseren Apparate dort!). Und dann verabschiedete er sich und ging fort. Nicht ein-

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P-Geogische Koch Print 120117 14 12.01.2017, 10:53 mal nach meinem Namen hat er gefragt, geschweige denn nach meiner Telefonnummer! Rachmaninow und ich blieben enttäuscht zurück.

Die griechische Orange

Ich habe eine ältere Schwester. Sie ist sehr hübsch und klug, tausendmal klüger, gutmütiger und allgemein ein viel besserer Mensch als ich. Sie hat so leuchtende, grüne Augen ∑ man sehe und staune! Sie studierte an der Uni- versität Biologie und war eine hervorragende Studentin.

Eines Tages geriet sie auf dem Weg zur Vorlesung in einen Kugelhagel. Ein anderes Mal blieb die U-Bahn stehen, ein drittes Mal hatte sie kein Geld, um eine Fahrkarte zu kaufen. Dann hatte sie die Nase voll.

Da sie einen griechischen Nachnamen hatte, beschaffte eine Verwandte die notwendigen Papiere und nahm sie zur Arbeit mit nach Griechenland. Also arbeitete sie dort, kam uns besuchen, legte die Prüfungen ab und ging wie- der zurück. Damals bekam ich zum ersten Mal eigene Klamotten in meiner Größe und nicht die gebrauchten Sachen von meinen älteren Kusinen. Ich kann mich genau an die hellblaue Jeans erinnern, mit Sternen auf dem Gürtel und einem Etikett aus Pappe.

Mit der Zeit wurden die Besuche meiner Schwester sel- tener, und irgendwann hörten sie endgültig auf. Heute lebt sie in Griechenland und hat drei wunderbare Kinder.

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P-Geogische Koch Print 120117 15 12.01.2017, 10:53 An einem sehr kalten Tag im Februar, mit Matsch, Frost, abgestelltem Strom, Hunger und allem möglichen ande- ren Unglück brachte uns der Postbote ein Paket aus Griechenland. Wir öffneten den großen Pappkarton, und das Zimmer strahlte plötzlich in der knallgelben Farbe von Orangen. Meine Schwester, die damals in einer Oran- genplantage arbeitete, hatte uns einen Karton voll mit griechischen Orangen geschickt. Ich erinnere mich noch, wie ich beinahe die Hände am goldenen Schimmern der Orangen wärmen wollte ∑ so leuchtend und warm war es.

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P-Geogische Koch Print 120117 16 12.01.2017, 10:53 Kochkunst. Maria und Martha. Und noch Dschawachetien

Ich denke sehr oft an die Geschichte von Maria und Martha. Ihr erinnert euch doch bestimmt an diese Episode aus dem Neuen Testament. Martha tat mir immer leid. Ich weiß zu gut, wie schwer es ist, die Wohnung blitzblank aufzuräu- men, mit dem Herz voller Liebe in der Küche zu zaubern, das beste Geschirr auf den Tisch zu stellen ∑ ausschließ- lich Kristall und Porzellan ∑, sich am Ende kraftlos auf den Stuhl zu werfen und zu begreifen, dass du das Wich- tigste doch versäumt hast. Eine andere ist dir zuvorge- kommen, während du mit der Fleischsauce beschäftigt warst.

Das Beste wäre natürlich, beides zu schaffen, beides zu können. Vielleicht erwartet das ja nicht nur der Ehemann sondern auch Gott von dir. Was, wenn du eine Gottes- braut bist? Noch dazu in Dschawachetien mit seinem schwierigen Klima und nationalistischen Implikationen? Ich will euch über die Küche eines Frauenklosters im Dorf Poka erzählen.

Poka gehört zu meinen besten Lebensabschnitten. Ich war im ersten Studienjahr, als ich gemeinsam mit anderen Stu- denten, die an dieser Expedition teilnahmen, Dscha- wachetien für mich entdeckte. Dort war alles völlig anders: mit bunten Blumen bedeckte Steppen, wunderschöne Seen und wogende Felder um sie herum, alte Kirchen, von Menschen vergessene Dörfer, mehrsprachige und multi- nationale Siedlungen, mit getrocknetem Mist geheizte

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P-Geogische Koch Print 120117 17 12.01.2017, 10:53 Kamine, Häuser mit flachen Dächern, unterirdische Wohn- stätten, Farben über Farben und der Himmel, …

Wisst ihr, was Dschawachetien ist? Wenn ich über jene Expedition erzähle und das frage, bekomme ich zu hören: Ja, wir wissen schon: Wardsia, Sapara, Achaltsiche … Aber Dschawachetien ist eigentlich etwas völlig anderes ∑ mit seinen unzähligen Seen, mit Steppen-Plateaus, mit Gebirgen ∑ Ninotsminda, Achalkalaki, Spasowka, Poka, Baraleti, Tschuntschcha, Toki, …

≈Was hätte ich in Dschawachetien missen sollen?«, heißt es in einem mündlich überlieferten Gedicht. Am nächsten zu Gott fühlte ich mich dort. Es waren Zeiten, als ich noch nicht singen konnte und dennoch sang, als ich noch nicht beten konnte und dennoch betete, als ich die Kirchen- lieder nicht anstimmen konnte und es trotzdem tat. Ist das durch Unwissen provozierte Frechheit? Später ist mir diese Faszination abhanden gekommen. Aber darüber reden wir ein anderes Mal.

Poka ist ein Dorf an der äußersten Grenzlinie und über- wiegend von armenischer Bevölkerung bewohnt. Anfäng- lich hatte man uns vor den Ortsbewohnern gewarnt: Sie hätten das Temperament von Swanen (Einwohner der Region Swanetien) oder den Bewohnern von Kreta. Aber es ist nichts vorgefallen, außer ein paar geschmacklosen Komplimenten. Es passiert mir ständig: Ich fange an, eine Geschichte zu erzählen, und bis ich zum Punkt komme, verliere ich den Faden ∑ und die Leser verlieren die Ge- duld. Bitte, erinnert mich zwischendurch daran, dass ich

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P-Geogische Koch Print 120117 18 12.01.2017, 10:53 eigentlich über die Küche des Frauenklosters in Poka er- zählen wollte!

Seitdem ich mich in die Kochkunst verliebte, erweiterten sich meine sprachwissenschaftlichen und ethnographi- schen Interessen um ein weiteres: In jeder von mir besuch- ten Region, in jedem Dorf begann ich die interessanten und authentischen Kochrezepte zu sammeln.

Damals erschien in meinem Kochbuch das Kapitel: Die Kochkunst aus Dschawachetien. Dschwachetien ist eine Fischgegend, hier kann man Fisch in unterschiedlichsten Variationen finden. Auch die Tierzucht ist hier sehr gut entwickelt ∑ unverzichtbar in der Küche sind der unver- wechselbare dschawachische Käse und die Milchprodukte, natürlich Kartoffeln, verschiedene Mchali, Mchlowana, Qada, Dörrfleisch, … Die Gerichte sind hier genauso fett und sättigend wie bei uns in Mtianeti (eine Region in Georgien), wo Butter und Kochbutter als Schutzmittel vor besonderer Kälte dienen.

Man sagt, früher sei Dschawachetien die Kornkammer Georgiens gewesen. Hier wogten die unterschiedlichen, georgischen Weizensorten. Auch jetzt kann man Weizen- felder sehen, aber auch andere Getreidearten. Doch der Käse steht im absoluten Mittelpunkt. Ich erinnerte mich damals an mein griechisches Dorf in Dmanisi ∑ beide Orte ähneln einander im Klima aber auch mit ihrem besonderen Duft der staubigen Wege und der Vielzahl an Großvieh.

Im Frauenkloster von Poka vereinten sich die dscha- wachische und die allgemein georgische Küche. Dort

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P-Geogische Koch Print 120117 19 12.01.2017, 10:53 habe ich viele kulinarische Entdeckungen gemacht. Am rührendsten war die große Liebe, mit der die Schwestern Sara, Rebekka, Nino und die anderen für uns Studenten im Speisezimmer wahre Meisterwerke erschaffen haben. Wisst ihr, wie man Käsesuppe zubereitet? Wie nützlich und köstlich sie ist?

Dschawachische Käsesuppe Man braucht dschawachischen, trockenen Käse, der spe- ziell für die Brühen aufbewahrt wird. Der Reis wird ge- kocht, abgetropft und zur Seite gelegt. In einem Topf werden gleich viel Milch und Wasser aufgekocht, darin rührt man drei Esslöffel Schwarzbrotmehl ein. Danach fügt man den gekochten Reis und zerkleinerte Käsestücke bei und lässt alles zehn Minuten lang köcheln. Abschlie- ßend mit in Butter gebratenen Zwiebeln, Salz und frischer Minze abrunden. Zu diesem Gericht wurde frischgebacke- nes Klosterbrot mit wunderbarem Duft und unvergess- lichem Geschmack serviert.

Es gibt noch eine andere Suppe aus Milch, hier mit Topfen- Chinkali als Einlage: Wir nehmen Zwiebeln und Mehl und übergießen beides mit zwei Gläsern Milch und zwei Gläsern Wasser. Während die Masse aufgekocht wird, mengen wir Salz und ein wenig Sauerrahm unter. Der Topfen wird mit Salz und einem Ei vermischt, um daraus ∑ etwas kleiner als üblich ∑ die Topfen-Chinkali zu ferti- gen. Diese Teigtaschen werden in der vorbereiteten gekocht, am Ende bestreut man das Ganze mit klein ge- hackter Minze.

Pilze! Wie konnte ich die Pilze vergessen? Die besten Pilze wachsen in Dschawachetien, zum Beispiel der Birken-

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P-Geogische Koch Print 120117 20 12.01.2017, 10:53 Milchling: Wenn du ihn brätst, sammelt sich in seinem Hut sein eigener Saft. Du brauchst nur ein Stück Butter und eine Prise Salz hinzufügen.

Spinat-Laibchen Wir kochen Spinat, pressen ihn aus, drehen ihn durch den Fleischwolf. Dann 200 Gramm Schwarzbrot, eine pürierte Zwiebel, zwei zerdrückte Knoblauchzehen, pürierten Koriander und Petersilie, Pfeffer, scharfes Paprikapulver, Schabzigerklee und Salz hinzufügen. Alles gut vermischen, aus der Masse Laibchen formen, auf beiden Seiten mit Semmelbröseln panieren und in der Pfanne braten.

Was gab es noch? Ich erinnere mich an den Geruch der Holztische und Holzstühle im Esszimmer, an den Sonnen- strahl, der sich in der Mittagszeit durch die dicken Vor- hänge des Klosters stahl, an die ruhigen und schönen Gesichter der Ordensschwestern, an den köstlichen Duft des Essens. Wollt ihr etwa behaupten, das sei das Ge- dächtnis des Magens? Nein, da kann ich nicht zustimmen. An das alles erinnert sich das Herz.

Da war noch so vieles, an das ich mit Vergnügen zurück- denke: Die an den Geburtstagen gebackenen flaumigen Pastetchen und eine einzige Honigkerze zum Ausblasen und Wünschen, außerdem Qada, Chatschapuri und Lobiani in tausend Variationen, Brot (über das dortige Brot könnte man extra erzählen ∑ mit ein bisschen Salz, ein bisschen Zucker und noch etwas Undefinierbarem, was dem Brot den einzigartigen Geschmack verlieh), Tee aus Alpen- kräutern mit Honig aus Alpenblumen und noch viele, viele andere Dinge.

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P-Geogische Koch Print 120117 21 12.01.2017, 10:53 An die Gebete, Beichten und weitere frommen Dinge so wie an die Bedeutung der alten Klöster und Denkmäler sollen die anderen Expeditionsteilnehmer erinnern. Ich war schon immer eher die Martha und habe das dement- sprechende Gedächtnis.

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P-Geogische Koch Print 120117 22 12.01.2017, 10:53 Die Küche aus der Jurazeit

Sagt mir heute jemand, dass mit nur fünf Broten und zwei Fischen Tausende von Menschen zu sättigen ein unvor- stellbares Wunder ist, antworte ich: Ich habe schon Er- staunlicheres gesehen. Bei uns verwandelte sich das trocke- ne Brot in Chatschapuri und die billige Kochbutter in Schokoladenbutter! Ihr wisst doch, was das für Jahre waren?

Wir hatten keinen Vater mehr, waren zu dritt. Unsere Mutter, selbst noch ein junges Mädchen, versuchte uns irgendwie durchzubringen. Wir besaßen ein Haus, das wir nicht heizen konnten und noch einen kleinen Garten in Awtschala, einem Außenbezirk, nahe dem Friedhof, wo unser Vater beerdigt war. Am Wochenende gingen wir, drei Kinder und unsere Mutter, zu Fuß dorthin. Es gab damals keinen Bahnverkehr mehr. Eine einzige Straßen- bahn fuhr dahin und das nur äußerst selten. Die Elektri- zität war in der ganzen Stadt abgestellt. Dann bearbeiteten wir die Erde, pflanzten und ernteten: Bohnen, Tomaten, Auberginen, verschiedene Kräuter, Zwiebeln, Knoblauch, … Mutter hatte sogar eine kleine Weinreben-Allee.

Eines Tages, als wir am Grab von Vater vorbei schauten, stahl uns jemand einen großen Korb voll roter Tomaten ∑ das ist mir bis heute in Erinnerung! Mutter sammelte und sortierte die Ernte und begann schon im Sommer Konserven herzustellen. Die Produkte für den Winter vorzubereiten verdient ein eigenes Kapitel in dem großen Kochbuch. Meine Mutter war ein As auf diesem Gebiet:

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P-Geogische Koch Print 120117 23 12.01.2017, 10:53 grüne, gelbe und rote Tomaten; tausend verschiedene Arten von Auberginen; grüne Bohnen, einmal auf diese Art, dann auf jene; unterschiedlich eingelegtes Obst, von unreifen Äpfeln bis hin zu weißen Kirschen; Knoblauch, Porree, Petersilie und so weiter und so fort. (Übrigens hat Mutter zuletzt sogar die Kalmare konserviert, womit sie großes Erstaunen bei den benachbarten Griechen ernte- te.) ∑ Später, als meine Geschwister auf die Uni gingen, waren wir gezwungen, diesen Garten zu verkaufen.

Damals war unsere Speisekarte zwar eintönig, aber den- noch interessant. Wenn wir Kartoffeln hatten, konnten wir sogar ein königliches Abendessen zubereiten. Außer- dem gab’s schwarzes Brot, Bohnen, Soja, Chatschapuri ohne Käse und ähnliches. Wenn ihr es noch nicht probiert habt, müsst ihr es unbedingt tun:

Kartoffelpizza Zutaten: Zwei mittlere oder eine große Kartoffel, eine Zwiebel, eine Tasse Mehl, eine Prise Salz, und Wasser, soviel diese Menge von Mehl dazu braucht, um sich in einen Teig zu verwandeln; ein halber Teelöffel Kochbutter. Die Kochbutter müsst ihr in der Pfanne erhitzen. Zu- sammen mit rund geschnittenen Kartoffeln werden die Zwiebelringe gebraten. Wenn sie goldbraun sind, gießt ihr darauf den vorher zubereiteten dünnen Teig. In einigen Minuten ist die Pizza fertig und ihr könnt sie anrichten.

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P-Geogische Koch Print 120117 24 12.01.2017, 10:53 Brot-Laibchen Zutaten: Schwarzbrot, zerhackte Zwiebel, Kräuter je mehr, desto besser, zwei Esslöffel Öl. Alles zusammen durch den Fleischwolf drehen, mit- einander vermischen und braten.

Chips aus Zwiebeln Zutaten: Aus Wasser, Bier und Mehl gemachter dünner, dem Sauer- rahm ähnlicher Teig, Zwiebelringe, Öl und Salz. Die Zwiebeln werden in diesen Teig getunkt, gebraten und mit Salz bestreut.

Zwiebelsuppe (Die Franzosen werden mir widersprechen, aber das ist eben mein Rezept). Das Wasser wird aufgekocht, hinein kommen zwei Kartoffeln, im Öl angebratene Zwiebel, ein wenig Kräuter und Salz.

Chartscho aus Brot Drei Scheiben Brot werden in kleine Würfel geschnitten. Die Zwiebel braten wir in einem Löffel Öl, geben sie an- schließend zusammen mit Brotstückchen ins kochende Wasser und schalten die Kochplatte aus. Das Gericht ist fertig.

Atschma Das Thone-Brot in Salzwasser einweichen und in Öl an- braten.

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P-Geogische Koch Print 120117 25 12.01.2017, 10:53 Penowani Den ganz normalen Blätterteig zubereiten, allerdings ohne Topfen und ähnlichen, unnötigen Sachen. Mit Salz bestreuen und backen. (Für besondere Gäste kann man als Füllung die gesal- zenen Nudeln verwenden.)

Chatschapuri aus Imeretien Es wird genauso gebacken, aber anstatt Käse nimmt man einfach Salz.

Kuchen Sigua Fünf Äpfel reiben. Ein halbes Glas Zucker, ein Glas Mehl und Backpulver mit Essig miteinander vermengen, in eine Pfanne gießen und im Ofen backen.

Außerdem gab es: Kuchen ≈Gamsachurdia«, Kartoffeln ≈à la Dschaba«, Salzsuppe aus Nanulis Rezepten, Adschika ohne scharfe Paprika und Walnüsse ∑ ≈Ardsinba«, Hotdog ≈Mchedrioni« nur aus Brot, in der Pfanne geröstete Zwie- beln von der Speisekarte der Parlamentsküche, und so weiter und so fort.

Eines Tages weckte uns die Mutter auf und sagte, sie hätte die ganze Nacht ≈Eduardinen« gebacken. Ja, wir haben gebacken und auch gegessen.

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P-Geogische Koch Print 120117 26 12.01.2017, 10:53 Die Kochkunst und die Liebe (Ratschläge für frischgebackene Ehefrauen)

Eigentlich nichts Besonderes, heute ist Sonntag und beide, er und ich, sind zu Hause. Ich bin seit drei Monaten seine Frau. Er ist ein Feinschmecker, ich bin eine gute Köchin (Um nicht die Stereotype zu schaffen, die man später wie- der selbst bekämpfen muss, will ich an dieser Stelle an- merken, dass ich zugleich ein kluges Mädchen bin, dazu noch hübsch, dass ich Gedichte schreibe und bald meine Doktorarbeit in Semiotik abgebe).

Also, nichts Besonderes ∑ ich will ein Sonntagsmittagessen zubereiten und ihm noch einmal meine Liebe erklären. Gestern war ich sowohl auf dem Markt als auch bei ei- nigen Lebensmittelgeschäften. Ich plane ein Fleischgericht zu kochen (weil er ein unverbesserlicher Fleischliebhaber ist), außerdem ein Fischgericht (wegen meiner großen Liebe zum Meer und meiner griechisch-kolchischen Ab- stammung) und natürlich irgendeinen Salat. Anschlie- ßend backe ich noch etwas und mache ein leichtes Dessert.

Ich habe nichts dagegen, wenn noch jemand dazu kommt, denn bei der Liebeserklärung mittels Kochkunst ist ein Dritter nie zuviel ∑ wenn das Geben und das Teilen von eigenem Glück selbstverständlich ist und das Dazukom- men einer dritten Person kein Fremdgehen bedeutet, diese Dreieckbeziehung nicht zu tränenreichen Szenen führt, sondern ein angenehmes Gespräch und ein lustiges Zu- sammensein verspricht.

Das Menü lege ich im Vornherein fest: Ich habe zartes Kalbfleisch gekauft und plane, die neue Mikrowelle, das

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P-Geogische Koch Print 120117 27 12.01.2017, 10:53 Hochzeitsgeschenk meiner Freunde, auszuprobieren und darin eine Fleischroulade zu braten ∑ mit Gewürzen und irgendeiner Füllung, die ich mir nach und nach einfallen lasse. Außerdem habe ich Barsch; dieser Fisch ist natür- lich nicht so schmackhaft wie Lachs und Stör, aber er sieht wunderschön aus. Seine rote Färbung wird mir helfen, das Hauptziel dieses Sonntagsmittagessens zu erreichen. Den Barsch werde ich in einer speziellen Sauce braten, in einer Folie, geschmückt mit Blumenkohl und bunten Paprikas. Salat: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wenn das Herz (der Magen) mit dem schweren Fleischgericht überladen wird, sollte man mit etwas Leichtem ausgleichen. Im Leben ist es genauso: Wesentlich ist, die schweren und leichten Aufgaben rechtzeitig miteinander abzuwech- seln ∑ so wird das Familienzusammenleben dem festlichen Essen ähnlich sein. Die Entscheidung, was gebacken werden soll, fällt auch nicht leicht. Bei einem festlichen Kuchen wird er sich wie auf einer fremden Geburtstagsparty vorkommen, deshalb ist es besser, einen traditionellen Kuchen zu backen, eventuell mit einer Füllung aus frischem Obst. Dann wer- den wir ihn mit heißem Tee genießen und dabei unser Fotoalbum anschauen. Ich habe Obst gekauft ∑ rote Orangen, Kiwis, Klemen- tinen. Ich werde sie hübsch schneiden und mit Vanilleeis servieren. Unabhängig davon, dass es Winter ist.

Also schreiten wir zur Tat: Regel Nummer eins: Lasst einen Mann nie zu lange in der Küche! Und Nummer zwei: Es ist ratsam, das schmut- zige Geschirr während des Kochens abzuwaschen. Somit wird nichts im Wege stehen und man hat später mehr Zeit, um sich herauszuputzen.

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P-Geogische Koch Print 120117 28 12.01.2017, 10:53 Kalbsroulade Wir nehmen das ausgelöste Kalbfleisch und klopfen es ein wenig weich. Im Rotwein vermischen wir einen Teelöffel Mustarda (süßer Senf) und Zitronensaft. Damit befeuch- ten wir das Fleisch. Darauf kommt Salz, Pfeffer, Korian- der, Basilikum, Bockshornklee, Minze und Bohnenkraut ∑ getrocknet und zermahlen. Einige Zeit stehen lassen! Für die Füllung pürieren wir geräucherten Käse, Zwie- bel, Petersilie, Knoblauch und rühren ein gequirltes Ei ein. Mit der Füllung bestreichen wir dünn das Fleisch, das wir zusammenrollen. Dabei beträufeln wir es leicht mit dem Wein, binden die Roulade mit Fäden zusammen, legen sie auf die Folie, gießen ein wenig Wasser dazu und braten sie im Ofen. Wenn das Gericht abkühlt, schneiden wir es in dünne Scheiben und bringen es so an den Tisch.

Barsch Den Barsch müssen wir säubern, salzen und mit trocke- nem Basilikum und Rosmarin bestreuen. In den Fisch platzieren wir ein Stück Zitrone und Tomate. Die Folie wird an den Seiten hochgesteckt und mit zwei Esslöffel Olivenöl und einem Esslöffel Zitronensaft begossen. In den Barsch machen wir vertikale Schnitte und legen der Reihe nach erst grüne, dann rote und anschließend gelbe Paprikastreifen hinein. Den Fisch in Folie wickeln und im Ofen braten. Als Beilage: Blanchierten Karfiol mit Zwiebeln, Paprika und Karotten dünsten. Mit frischer Petersilie bestreuen.

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P-Geogische Koch Print 120117 29 12.01.2017, 10:53 Zaziki Ich bereite Zaziki, den griechischen Salat, zu. Er ist gut verträglich, köstlich, leicht zu machen und passt sehr gut zum Fleisch. Außerdem erinnere ich damit meinen Mann daran, dass lediglich die Tatsache, dass er ≈Sirtaki« als Handyklingelton eingestellt hat, nicht bedeutet, dass er stolz auf seine griechische Frau ist. Schälen wir ein halbes Kilo Gurken. Wenn sie zu viele Samen enthalten, entfernen wir sie und reiben den Rest. Fügen wir eine halbe Tasse abgetropften Topfen, den Saft einer halben Zitrone, einen Esslöffel Olivenöl, drei zer- drückte Knoblauchzehen und Salz hinzu. Das Ganze ver- rühren wir gut miteinander und das war’s.

Hausgemachter Kuchen mit getrocknetem Obst Zuerst weiche ich die Trockenfrüchte wie Pflaumen, ent- kernte Sauerkirschen und Marillen in Milch mit Honig ein. Dann verrühre ich 250 Gramm Margarine mit zwei Tassen Zucker, fünf Eiern und einer halben Tasse Topfen. Dazu gebe ich einen Teelöffel Soda, Vanille, Zimt und ver- menge alles langsam mit drei Teetassen Mehl. In eine Backform lege ich das gefettete Backpapier, gieße eine Schicht Teig hinein, belege sie mit getrockne- ten Früchten, dann noch eine Teigschicht, wieder die Früchte. Das Ganze übergieße ich mit Karamell und stelle es zum Backen in den Ofen. Wenn der Kuchen fertig ge- backen ist, glasiere ich ihn mit heißer Schokolade.

Obst Das Obst wird hübsch geschnitten, mit Eis geschmückt und mit der geriebenen, weißen Schokolade bestreut.

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P-Geogische Koch Print 120117 30 12.01.2017, 10:53 Also, alles ist fertig. Jetzt werde ich mich hübsch machen, die von ihm geschenkten, langen Ohrringe tragen, den Tisch will ich mit der weißen Tischdecke und dem schö- nen Geschirr herrichten. Die Gerichte werde ich dekorie- ren, schöne Servietten auflegen und am Tisch eine Vase platzieren, in die ich die von ihm gebrachten Blumen stelle. Seine Aufgabe ist es nämlich, die Wohnung heimlich zu verlassen, um Wein und Blumen zu kaufen, ohne dass ich es merke. Eigentlich nichts Besonderes, ein ganz gewöhnlicher Sonntag.

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P-Geogische Koch Print 120117 31 12.01.2017, 10:53 Die kulinarische Reise von Odysseus

Sehr früh, in der Kindheit, als ich das Lesen noch nicht gelernt und mich in die griechische Mythologie noch nicht verliebt hatte, lag mein Griechenland, wunderschönstes Land mit tausend märchenhaften Inseln und pastell- farbigem Meer, nicht auf der Balkan-Halbinsel. Mein Griechenland war viel näher, viel kleiner und hatte eine ganz andere Farbe: Es lag hier um die Ecke, in Georgien und war das Dorf Gora in der bergigen Dmanisi-Region. (Die Ortsbewohner gaben ihm einen anderen Namen, der genauso schwer auszusprechen ist, wie für einige mein griechischer Nachname.) In diesem ≈Griechenland« wuchsen merkwürdige Pilze, denn wenn man sie berührte, verwandelten sie sich in Staub. Dort gab es eine Menge Kartoffeln, jeder Mensch roch nach Milch und Käse, und sie alle sprachen eine merkwürdige Sprache ∑ Griechisch, wie ich damals dachte. Als Erwachsene stellte ich fest, dass es ein Dialekt der Griechen aus Ponto war, ein Mischmasch aus Altgrie- chisch und Türkisch, und es wies genauso die Spuren vieler Migrationen auf, wie die Küche der Griechen aus Ponto.

Das Erste, woran sich Odysseus erinnerte, war Büffel- topfen in großen Mengen, der mit Messer geschnitten werden musste. Jeden Morgen brachte man ihn in großen Tonkrügen herein und trug ihn wieder hinaus, denn Odysseus war, was das Essen betraf, sehr wählerisch: Er konnte Milch, Butter und solche Produkte nicht ausste- hen, aber man zwang ihn, Löffel für Löffel zu essen: Ein Löffel für Mutter, einer für Vater, einer für Schwester Elsa oder für den Kumpel David aus dem Kindergarten. Das

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P-Geogische Koch Print 120117 32 12.01.2017, 10:53 Zweite, woran er sich erinnerte, war der riesige Rührlöffel aus Eisen für Butter, der im großen Zimmer hing. Darauf legte man kleine Kissen für Odysseus, und dieses Karus- sell war sein Ein und Alles. Das Gleiche galt allerdings nicht für das mit der hausgemachten Butter bestrichene Brot. Das Dritte war der Topfen mit Knoblauch. Er wurde auf die im Salzwasser gekochten Teigstücke in Form von Schmetterlingen gegossen. Dieses Gericht hieß Atria, und Odysseus glaubte, kein einziger griechischer Held würde je so etwas essen. Knoblauch ∑ was für eine unwürdige Speise für Helden wie Herkules! Das war es auch schon: Das Dorf Gora war für Odysseus Griechenland, und diese Gerichte waren ∑ die griechische Küche. Er verbrachte seine Sommer in Griechenland und wuchs allmählich auf.

Wegen meinen georgischen, schwarzen Augen und der griechischen Nase habe ich schon sehr früh in meiner Kindheit über die Ähnlichkeit von Griechen und Georgiern nachgedacht. Als ich erwachsen wurde und zum ersten Mal nach Griechenland, zur Hochzeit meiner älteren Schwester, kam, wurde meine Annahme noch mehr ge- stärkt. Der Kult rund um’s Essen, die Vielzahl an Speisen ∑ das war das Geheimnis der Entstehung von georgischen und griechischen Bierbäuchen. Das Erste, was in jedem griechischen Dorf oder jeder Stadt ins Auge fällt, ist die Mehrzahl von Restaurants, genauer gesagt, von Familiengaststätten und Tavernen. Wir, die Georgier, sind in der Gastfreundschaft wahrhaft schwer zu übertreffen, vor allem, wenn es um einen aus- ländischen Gast geht. Die georgische Gastgeberin kann, während sie für den Gast verschiedene Gerichte zuberei-

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P-Geogische Koch Print 120117 33 12.01.2017, 10:53 tet, sogar ihre Familienmitglieder hungrig sitzen lassen. Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, wie wir, die Kinder, vor großen Feiertagen, Geburtstagen oder vor gastrono- mischen Feiern nur mit Brot und Käse unseren Hunger stillen mussten, während auf dem Herd verschiedene Gerichte köchelten, das mit unterschiedlichen Gewürzen und Nüssen abgeschmeckte Wunder zubereitet wurde, die Hähnchen im Ofen appetitlich brutzelten. Aber mit dieser Vielfalt wirst du nur verwöhnt, wenn dich die Gastgebe- rin bei sich zu Hause empfängt, d.h., wenn du ein Gast bist. In Georgien, wo das Kellnern immer noch als etwas Beschämendes empfunden wird und wo man eine Kellnerin nicht heiraten darf, ist es für jede normale, georgische Hausfrau eine große Schande, Gäste ins Restaurant oder in die Taverne einzuladen. Aber ich persönlich betrachte solche Familiengaststätten und Tavernen als einen wichti- gen Wirtschaftszweig, gut für die Entwicklung des georgi- schen Restaurantgeschäfts, genau wie in Griechenland. Denn, was ist besser, als ein mit einer Pergola über- deckter Hof, welchen Sie betreten und sehen, wie auf den Tischen die weißen Tischdecken mit dunkelblauen Strei- fen kokettieren? Die Gastgeberin kommt zu Ihnen und bietet die Speisekarte an. Sie blättern das Menü durch, und nach der Bestellung fragen Sie die Gastgeberin über ihr Rezept von Stifado aus, einem Eintopf mit geschmor- tem Kaninchen. Sie ihrerseits bietet Ihnen einen Salat an, zubereitet mit dem selbst gepressten Öl, dazu noch haus- gemachten Feta und Topfen. Danach braten ihre älteren Söhne auf dem Feuer leckere Brizolis (griechische Fleisch- spieße), das Familienoberhaupt wird für Sie den Wein auswählen. Wenn Sie die gebratenen Kalmare und im Wein eingelegten Oktopus probiert haben, wird zum

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P-Geogische Koch Print 120117 34 12.01.2017, 10:53 Dessert eine gekühlte Wassermelone serviert. Die Gastge- berin lächelt Sie an und Sie werden sich bestimmt nicht um die Euros kümmern, die Sie für das Abendessen be- zahlen müssen. Ich würde so gerne eine solche Gaststätte von irgendeiner pummeligen mengrelischen Hausfrau be- suchen, wo die Gastgeberin das selbstgemachte Ghomi und Gebjalia selbst lobt, mich das gerade gewürzte Phkali probieren lässt und mich vielleicht fragen wird, ob noch ein bisschen Knoblauch fehlt. Dort, wo mir die frisch zubereitete Tkemali zum Kosten gereicht wird, die älteste Tochter der Gastgeberin die gebratenen Kürbisse trip- pelnd bringt, würde ich mich genauso fühlen, wie bei meiner Großmutter in Martwili, und ich würde mich wahnsinnig gern mit dem Familienoberhaupt über die diesjährige Ernte von Odschaleschi unterhalten. Aber das Ganze so ablaufen zu lassen, dass die Gastgeberin sich nicht erniedrig fühlt, gehört für unsere georgische Mentalität noch ins Reich der Phantasie.

Ich habe wieder den Faden verloren, also kehre ich zu der griechischen Küche zurück. Wenn Sie mich fragen, auf welcher wichtigsten Komponente die griechische Küche basiert, würde ich ohne Zögern das Olivenöl nennen. Das Öl ist nicht nur ein Produkt, sondern eine Philoso- phie. Ein Gericht kann sich vom einem anderen nur durch die Technik unterscheiden, mit der das Öl gepresst wurde, das im Gericht verwendet wird. In der griechischen Küche finden Sie keine Speise, in der weder Oliven noch Oliven- öl verwendet werden. Es gibt tausend Technologien, wie die Oliven verarbeitet werden können. Die wichtigsten Qualitäts-Merkmale von Olivenöl sind die Farbe und der Geschmack. Wenn es frisch gepresst ist, ist es fast durch-

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P-Geogische Koch Print 120117 35 12.01.2017, 10:53 sichtig. Aus einer und derselben Frucht kann man bis zu vier Mal das Öl pressen, und jede folgende Pressung hat niedrigere Qualität und ist günstiger, als die vorherige. Vorzugsweise soll die Ölfarbpalette zwischen grün und goldgelb variieren, obwohl allein die Farbe für die Quali- tätsfeststellung nicht ausreicht, denn nach der Bearbei- tung kann die Farbe dunkler ausfallen. Die Farbe, genauso wie die Viskosität kann ein Indiz für das Alter von Öl darstellen. Vorzugsweise soll das Öl keinen allzu bitteren Geschmack haben und nicht allzu streng riechen. Das junge, frisch gepresste Öl ist das beste und gesündeste, obwohl das Öl seine Hauptmerkmale mit der Zeit nicht verliert. Die Griechen vermischen das Öl mit verschiede- nen Früchten oder Gewürzen, dem Dost, dem Knoblauch, den Säften aus Zitrusgewächsen, der Lorbeere und be- wahren es so auf, bis es in den Gerichten verwendet wird. Eine genauso wichtige Stellung nimmt in der griechi- schen Geschmackskultur der Käse ein. Die Griechen haben viele interessante Käsesorten: Feta ∑ der griechische Haupt- käse- ist weich und hat die Konsistenz von Topfen. Er wird aus Kuh- oder Ziegenmilch gemacht und sollte frisch sein, denn je länger er reift, desto salziger schmeckt er. Mizithra und Manouri unterscheiden sich von Region zu Region. Es sind harte, manchmal trockene Kuh- oder Ziegenkäse, die lange reifen. Kasseri ∑ der Ziegenkäse, Kefalotyri ∑ mein Lieblingskäse, hart, salzig, mit ausge- prägtem Geschmack. Graviera ∑ weißer Käse aus Kuh- milch, mittel-salzig, Anthotyros ∑ Ziegenkäse, mit einem kleinem Anteil von Rahm, davon gibt es den frischen und den trockenen. Der frische hat einen zarten Geschmack und kann als Tischkäse verwendet werden, während der trockene sehr salzig ist und einen sehr charakteristischen

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P-Geogische Koch Print 120117 36 12.01.2017, 10:53 Duft hat. Viele griechische Inseln und Regionen sind durch eigene Käsesorten bekannt.

Wenn Sie ein griechisches Restaurant oder eine Taverne besuchen, probieren Sie als Vorspeise unbedingt Saganaki (ein Gericht aus Käse und Tomaten); gegrillte süße Paprika mit Käsefüllung, natürlich Zaziki, Tirosalat oder Melitzano- salat (das Erste ist die Sauce aus verschiedenen griechi- schen Käsesorten, das Zweite ist eine aus Auberginen zubereitete kalte Speise). Danach schlürfen Sie die Hähn- chen-, Fisch- oder Meeresfrüchtesuppe mit Kürbisblüten. Erst danach dürfen Sie den Eintopf mit geschmortem Kaninchen ≈Stifado« genießen, außerdem das wunderbare Moussaka, gegrillte Kalmare, Flusskrebs in Wein, scharfe Krake. Oder kosten Sie die ausgezeichneten griechischen Fischprodukte. Wenn Sie ein Fleischliebhaber sind, bestellen Sie einen Fleischmix, der aus Ziegen- und Wildschweinbrizollis, aus gegrilltem Souvlaki, (ähnlich unserem Kebab), aus Schaschlik mit Hähnchen- und Kalbfleisch, besteht. Dazu können Sie den verdünnten griechischen Wein oder den griechischen Anisschnaps Ouzo trinken. Wenn Sie das Ganze überleben, vergessen Sie nicht, die griechischen Süßigkeiten zu probieren: Das leckere Lucuma oder Kedaifi mit Eis, dazu noch Elliniko ∑ den griechischen Kaffee. Wenn Sie nach all dem, zum Rhythmus von Mikis Theodorakis ≈Zorba« nicht wie Anthony Quinn anfan- gen zu tanzen, dann heißt es, dass Ihnen die Brise des Ägäischen Meeres und die sonnige Erde Griechenlands nicht gut getan haben. Kurz gesagt: So sieht das echte Ithaka von Odysseus aus, und auch wenn wir auf Penelopes Hochzeit tanzen, egal!

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P-Geogische Koch Print 120117 37 12.01.2017, 10:53 Rezept-Gedicht (Ganymed)

Wenn auf diesem Brot Außer Butter noch die Konfitüre wäre, die süßlich herunter tropfte, wenn ich meine Zunge und Finger bereithielte, Wenn am Tisch auch der Vater säße, und mir ernst und ruhig auf die mit Konfitüre befleckten Ärmel zeigen würde. Wenn diese Schokolade außer Rosinen noch die Nüsse hätte, herausgeholt aus allen Bauten von Eichhörnchen, wenn mein Großvater seinen neuen Wein kosten und ihn loben würde: Der Duft, Geschmack und die Tannine sind gut. Wenn außer der Teekanne auch die Schokolade auf dem Herd köchelte, wenn ich eine Prise Vanille hineinstreute, die Mutter ∑ den Zimt. Wenn es Mittag wäre, die Luft ∑ sauber und warm, Wenn meine Schwester die ∑ Chopin-Nocturne, und mein Bruder die geknackten Walnüsse aushülsen würde.

Solange du Zeit damit vertreibst, die Erde vom Wasser zu trennen, werde ich unter den Kindheitsgöttern die Ambrosia verteilen.

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P-Geogische Koch Print 120117 38 12.01.2017, 10:53 Barbare

Ich will über Barbare erzählen, über meine liebe Barbare, Fürstin Barbare Jorjadze, die wichtigste Romanschrift- stellerin der georgischen Küche, die Gründerin der geor- gischen kulinarischen Literatur, eine wunderbare Frau und wunderbare Person. Kürzlich habe ich angefangen ≈Die große kulinarische Enzyklopädie« von Dumas zu übersetzen. Diese Enzyklo- pädie ist ein Thema für sich. Und als ich versuchte, eine Parallele zu ziehen und festzustellen, wer solch eine fun- damentale und vor allem literarisch interessante Arbeit über die georgische Küche geleistet hat, kam mir natür- lich Barbare in den Sinn. Ich fühlte Bedauern, dass wir diese großartige Frau nur durch ihre Rolle im Kampf zwischen Vätern und Söhnen in Erinnerung behielten, als sie auf der Seite der Väter auftrat, und durch nichts weiter (ein literarisch-ideologischer Kampf zweier Generationen im 19. Jh.). Und doch war sie eine sehr aktive Person: Dichterin, Prosaistin, Publizistin, Dramaturgin, sie beschäftigte sich mit Bildungsfragen, war Frauenrechtlerin und zugleich Familienstütze, wie man so schön sagt. ≈Die Verstorbene war nicht nur selbst eine Hausfrau, sondern animierte und ermutigte auch die anderen, ihre Familien zu versorgen, sich selbst auf die Beine zu stellen und wirtschaftlich zu stärken«, das schreibt ihre Tochter über sie. Ihre Mutter beließ es nicht nur bei Worten, son- dern versuchte auch durch das Schreiben dieses Bewusst- sein unter den Hausfrauen zu schaffen. Übrigens hat sie sich vorgenommen, ein Kochbuch für die georgische

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P-Geogische Koch Print 120117 39 12.01.2017, 10:53 Küche zu verfassen und herauszugeben, denn sie spürte, dass für die Existenz und den Erfolg eines Volkes die Gesundheit an erster Stelle steht. Die Gesundheit wiederum hängt von qualitativen und gesunden Speisen ab. Jedes Rezept, das in das Buch eingetragen wurde, hat sie nach ihrer eigenen Erfahrung geschrieben. Das alles ist gut und schön, doch hauptsächlich ist diese Frau für mich eine Dichterin. Allerdings ist sie es für mich nicht wegen der Gedichte, die sie bereits mit 12 Jahren verfasst hat. Ich liebe ihre andere Lyrik, etwa diese:

Tschrianteli aus Kirschpflaumen ≈Wenn der Kern bereits hart ist, nehmt ihr die Kirsch- pflaumen und trennt sie von Blättern und Stielen. Dann gebt ihr sie in einen Topf und gießt noch ein oder zwei Schüsseln Wasser dazu, bis sie bedeckt sind. Den Topf stellt ihr aufs Feuer. Wenn die Kirschpflaumen so weich- gekocht sind, dass man sie zerdrücken kann, nehmt ihr den Topf vom Feuer und gießt den Inhalt in eine große Holzschüssel. Wenn es abkühlt, zerdrückt und vermischt ihr das Ganze mit der Hand, dann filtriert es durch ein Sieb, die Kerne und Häute werft ihr weg und den aufge- fangenen Saft würzt ihr auf folgende Weise: Das rote Mchali, das Tschrianteli genannt wird, wird gekocht. Wenn ihr nicht das rote zur Hand habt, dann kocht ihr Titmawala Mchali, schleudert es und hackt es sehr fein. Dann legt ihr eine etwa handballgroße Menge in die Kirschpflaumensauce und vermischt es darin. Außer- dem schneidet ihr zwei Zwiebeln und folgende Kräuter: Koriander, Bohnenkraut, Dill, Basilikum, Frauenminze.«

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P-Geogische Koch Print 120117 40 12.01.2017, 10:53 Ich habe eigentlich keine Ahnung, was Tschrianteli ist, aber ich denke mir, dass es etwas sehr Köstliches, Säuer- liches und Erfrischendes sein muss.

Oder noch so ein freier Vers:

Kichererbsen-Laibchen in Sauce ≈Eine Schüssel Kichererbsen säubern, waschen, im warmen Wasser einweichen. Am nächsten Tag die Erbsen in den Topf geben, Wasser dazugießen, aufkochen, danach die Kichererbsen abgießen und den Saft auffangen. In einem gewaschenen Mörser zerstampfen. Vier Zwiebeln dazu schneiden und mit einem Esslöffel zerstampften Reis, einer Prise Salz und Pfeffer vermischen und das Ganze noch ein- mal zerstampfen. Die gehackten Kräuter dazugeben und die Masse auf einen Teller legen. Aus der Masse walnuss- große Stücke nehmen und in blanchierte Kohlblätter ein- wickeln, in einen Topf schichten. Ein halbes Glas Öl, ein Glas Tomatensaft, zwei Esslöffel Mehl, wenig Zucker ver- rühren und dazugießen. Das Ganze zugedeckt kochen lassen.«

Und was sagen Sie zu solchem Minimalismus:

Korianderkebab ≈Machen Sie einen dünnen Teig nur aus Mehl und salzen ihn. In diesen dünnen Teig tunken Sie die einzelnen Stängel von jungem Koriander. Gießen Sie das Öl in die Pfanne, und wenn es gut erhitzt ist, legen Sie diese eingetunkten Koriander in die Pfanne und braten sie.«

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P-Geogische Koch Print 120117 41 12.01.2017, 10:53 Jetzt ein wenig Prosa, genauer gesagt, der tragische Rea- lismus:

Gebratene Wachtelkönige mit Sauce ≈Die Wachtelkönige rupfen, ausweiden und auf einem Bratspieß oder im Topf mit zwei bis drei Esslöffel Koch- butter braten. Die Innereien fein zerhacken. In der rest- lichen Kochbutter eine halbe klein zerhackte Zwiebel mit einem halben Löffel Mehl rösten, acht Nelkenpfeffer- samen dazugeben, noch vier zerstampfte Pfeffersamen, Salz und den Saft einer halben Zitrone. Man kann noch zwei Löffel Sauerrahm darunter mischen. Das Ganze mit einem Glas Bouillon verrühren, aufkochen und auf die Wachtelkönige gießen.«

Die georgische Sprache ist so wunderbar ∑ mit dem Verb ≈rupfen« wird das ganze Unglück der armen Wachteln ausgedrückt.

Und noch ein Rezept mit schwerem und verworrenem Inhalt:

Laspingi ≈Entweder sechs Kalbbeine oder einen größeren, gut ge- säuberten Kalbskopf nehmen, gründlich waschen und kochen. Das Fleisch abtrennen, in Ei und Bröseln panieren und braten. Die übrig gebliebenen Knochen zerhacken, mit dem Fleisch wieder in den Saft geben, die Knochen von Hähnchen oder Truthahn, oder woraus Satsiwi (Ma- yonnaise) gemacht wird, dessen Fleisch und Knochen. Je länger gekocht wird, desto besser schmeckt es. Zwei

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P-Geogische Koch Print 120117 42 12.01.2017, 10:53 Zwiebeln, zwei Karotten, ein Stängel Petersilie, eine Stange Sellerie, zwei Lorbeerblätter, zwanzig Nelkenpfeffer- samen und Salz dazugeben und weichkochen. Den Topf vom Herd nehmen und wenn das Gericht abkühlt, das Fett, das sich am oberen Rand angesammelt hat, entfer- nen. Stattdessen ein halbes Glas weißen Essig oder Zitro- nensaft dazugießen. Es braucht so viel Säure, dass der Ge- schmack stimmt. Oder drei Eier zerschlagen und zusam- men mit den Schalen dazugeben, den Topf wieder auf den Herd stellen und auf kleiner Flamme köcheln lassen, da- bei öfters und vorsichtig umrühren. Den Topf bedeckt halten. Wenn das Laspingi geklärt ist, in einem Küchen- tuch filtrieren und aufkochen. Das geklärte Laspingi muss etwa vier Teetassen ausmachen. Wenn es weniger wird, aufgekochtes Wasser beimischen. Falls jemand möchte, dass es eine rote Farbe hat, das Ganze mit roter Gelatine färben oder zwei Stück Zucker verbrennen und einrüh- ren. Wenn es keine klare Farbe hat, gießt es wieder in den Topf und fügt ein Eiklar hinzu, dann wieder in einem Küchentuch filtrieren, auf die Teller gießen und auf Eis oder an einem kalten Platz stellen, damit es gefriert.«

Wollt ihr ein Dessert? Was man hier nicht alles findet: Honigmelonengelee oder Mandeleis, Pelamuschi aus ge- zuckerten Äpfeln, Apfelpudding oder Kürbisbrei. Die Saucen? Weiß und rot, aus Zwiebeln und Äpfeln, Spinatsauce und Sultaninen-Sauce. Und die Hauptregel von Barbare: ≈Aufpassen, damit das Essen nicht zu salzig wird. Man muss ein Gericht stets wenig salzen. Das Salz kann man immer hinzufügen, aber es wieder zu entfernen, ist unmöglich.« So ist es.

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P-Geogische Koch Print 120117 43 12.01.2017, 10:53 P. S. (Eine ausgedachte Geschichte)

Im Volk erzählte man, dass der wahre Grund für die Aus- einandersetzung zwischen Vätern und Söhnen etwas ganz anderes gewesen sei. Nicht nur das: Einige nannten diesen Grund sogar namentlich, hinter der vor den zahnlosen Mund gehaltenen Hand und mit listigem Augenzwinkern. Aber in Wahrheit wussten nur zwei Personen, Fürst Ilia Tschawtschawadze und Fürstin Jorjadze, was vorgefallen war. Natürlich gab keiner von ihnen etwas davon preis.

Alles begann während eines Mittagessens bei Mans- wetaschwilis. Sowohl Ilia als auch die ältere und würde- volle Fürstin Barbare, mit ihrer unvermeidlichen Tschichti- Kopi (einer traditionellen Kopfbedeckung), waren zum Essen eingeladen. Barbare war eine bemerkenswerte Frau: das Herz und die Seele jeder Gesellschaft. Sie sprach über die Frauenemanzipation und das Zubereiten einer Rinderrippe mit gleicher Begeisterung und Überzeugung, war eine gute Rednerin. Sie saß zusammen mit der älte- ren Fürstin Barataschwili im Empfangszimmer. Barbare erzählte von den Lyrikern der neuen Generation sehr liebe- voll und ein wenig verdrossen, während ihre Begleitung sich eher für den neuesten Klatsch und Tratsch interessierte. Allmählich veränderte sich das Gesprächsthema, ohne dass die beiden es merkten. Sie fingen an, sich über den Süßgebäckteig zu unterhalten, und als sie gerade bei der Füllung ankamen, schloss sich ihnen Fürst Ilia an. Die Fürstin mochte die gebildeten Repräsentanten der jungen Generation, und Ilia mochte es, sich mit würdevollen Frauen zu unterhalten, ihrem Georgisch zu lauschen.

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P-Geogische Koch Print 120117 44 12.01.2017, 10:53 Anfänglich verlief das Gespräch friedlich, später aber, als sie über irgendeinen Bestanteil von irgendeinem Ge- richt diskutierten, schloss die stark gereizte Barbare ihren, für die georgische Tracht völlig unpassenden, Fächer laut zu, sprang plötzlich auf die Beine und rief beim Zimmer- verlassen Ilia zu: ≈Wie kann man von der neuen Genera- tion Sprachkenntnisse verlangen, wenn ihr nicht mal Höflichkeit kennt!« Alles nahm dann seinen Lauf: Wie es der Zufall so wollte, hat ein Fürst einen schwachen russischen Dichter schwach übersetzt. Ilia ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Auf Ilias Kritik folgte die Antwort von Grigol Orbeliani, dann mischte sich auch Akaki mit seiner gehäs- sigen Feder ein. In der Folge erschienen zahlreiche Ge- dichte, Briefe, Rückrufe und Witze. In Kürze, es geriet alles aus den Fugen. Aber eigentlich gab es für das Ganze einen einfachen Grund: Ilia hatte das Manuskript von Barbares Kochbuch zufällig in die Finger bekommen und rügte sie, sie hätte anstatt ≈Pampf« ∑ ≈Brei« schreiben sollen. Die Fürstin fühlte sich beleidigt und entgegnete ihm. Auch Ilia ließ nicht locker. Und, wie gesagt… Was hätte sie denn machen sollen? Für sie war Pampf etwas anderes als Brei, sogar Milchpilaw und Milch- korkoti waren ganz unterschiedliche Dinge. Sie blieb ih- rem Wort immer treu. Sie blieb ihren Worten und Geschmäckern treu.

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P-Geogische Koch Print 120117 45 12.01.2017, 10:53 Süß und süßer

Warum wird der Herbst gemocht? Der eine mag ihn wegen der wundervollen Farbpalette, für den anderen ist es die Zeit, in sich zu kehren und gemütliche Abende zu veran- stalten, für den nächsten ist es die Zeit, in der der junge Wein geboren wird, Zeit der Weinernte, Melasse und Tschurtschchelas, aber von all den Geschenken des Herbstes mag ich am meisten den Granatapfel. Ich bin mir sicher, dass er nicht nur das beste Obst ist, sondern er ist etwas mehr als nur eine Frucht. Diese Einleitung ähnelt den Aufsätzen, die wir in der Schule schreiben mussten, vielleicht nicht ohne Grund. Die kulinarische Geschichte, die ich jetzt erzählen möchte, hat mich an meine Kindheit erinnert, an den italienischen Hof, wo meine Oma wohnte, an den dortigen Nachbarn, vor allem an die Tante Gulo aus Aserbaidschan, in derer Wohnung ich zum ersten Mal Tee mit Zimt getrunken habe, und an ihre Tochter Seda, fast gleichaltrig, mit der ich die indischen Filme angesehen habe. Sie war ein sehr hübsches Mädchen und sah den Schauspielerinnen aus jenen indischen Filmen sehr ähnlich. Ich glaube, damals war auch mein Vater noch am Leben. Ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber er würde sehr gut zu dieser Erinnerung passen. Also nehmen wir an, dass es stimmt ∑ es ist sowieso alles Literatur. In genau so einer ruhigen, unbekümmerten und glücklichen Kindheits- stimmung war ich während des ganzen Abendessens. Habe ich vergessen zu erwähnen, welches Abendessen ich meine? Also: Irakli und Naili haben mich und Zaza zum Abendessen eingeladen.

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P-Geogische Koch Print 120117 46 12.01.2017, 10:53 Der Anlass für das Essen war der Granatapfel ∑ der König des Herbstes, und als Hauptspeise wurde der ira- nisch-aserbaidschanische Pilaw mit Fleisch, Granatap- fel und Kastanien angeboten. Die Einladung war so ver- lockend, dass ich, im neunten Monat schwanger, ohne nachzudenken, mit Ehemann und Schokolade ausgerüstet, den langen Aufstieg von der Schatberaschwili Straße an- getreten bin. Irakli ist ein Lyriker aus Tiflis, Naili eine Fotografin aus Aserbaidschan. Sie haben eine wunderbare georgisch- aserbaidschanische Familie und ziehen den kleinen Alex- ander groß. So gesehen, ist uns ein Fest der gemischten Familien gelungen. Die Speisekarte ist auch entsprechend: aserbaid- schanische und iranische Speisen und Süßigkeiten, geor- gischer Rotwein, georgische Früchte. Wir haben nichts Griechisches, und der Herbst gehört allen. Zuerst gehe ich natürlich in die Küche. Ein köstlicher, sättigender, süßlicher Geruch hat sich dort verbreitet. Auf dem Feuer köchelt ein Topf, außer dem Pilaw finde ich dort noch ein anderes orientalisches Gericht vor ∑ ein mit Walnüssen und Kirschpflaumen gefülltes Hähnchen. Der Vogel ist auf einem Silbertablett platziert, das Fleisch- messer liegt in Iraklis Hand. Um ehrlich zu sein, das Hähnchen ist so wunderschön gebraten, dass es schade ist, seine harmonische Einheit zu zerstören. Im Esszimmer ist der Tisch gedeckt, an den Wänden hängen Iraklis Gemälde und Nailis Fotos, aber ich gebe der Tischmalerei den Vorzug gegenüber den an den Wänden ausgestellten Kunstwerken ∑ die Herbstgaben sind bunt und das Ganze ist kein Stillleben. Ganz im Gegenteil, alles ist quicklebendig.

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P-Geogische Koch Print 120117 47 12.01.2017, 10:53 Wir beginnen mit Pilaw. Unsere Gastgeberin mit den hübschen Augen erzählt mir von diesem Gericht. Erst werde ich kosten, das Rezept schreibe ich später auf. Diese Speise hat iranische Wurzeln und ist auch in Aserbaidschan sehr populär. (Das erinnert mich an die Uni-Vorlesungen über die aserbaidschanische Literatur, wo über Autoren gesprochen wurde, die wir bereits von anderem Fach ≈Die persische Literatur« kannten. Damals dachte ich mir, dass die Lyrik keine konkreten Zuordnungen braucht, ich denke heute auch im Bezug auf die Kochkunst so.) Das Gericht ist sehr üppig und köstlich: Die Schwere des Fleisches wird durch den Granatapfel neutralisiert, die Kastanie gibt einen exotischen Touch, während als Beilage angebotener geräucherter Reis die ganze Palette wundervoll abrundet. Wirklich empfehlenswert!

Iranischer Pilaw mit Granatapfel und Kastanie Zutaten: 1 kg Rind- oder Schafsfleisch, 1/2 kg Kastanien, 3 große Granatäpfel, 5 Zwiebeln, 1/2 kg geräucherter oder wilder Reis, 100 g Butter, ein Stück Lavash (ungesäuertes Fladen- brot), Salz, getrockneter Safran

Das Fleisch schneiden wir in kleine Würfel und dünsten es zusammen mit den Zwiebelringen. Dabei sollte man aufpassen, dass die Zwiebelringe nicht auseinander fallen. Wenn das Fleisch fertig ist, mischen wir die gesäuberten Granatäpfel und die gekochten und geschälten Kastanien darunter. Wir dünsten alles kurz an, so, dass der Granat- apfel seine Farbe nicht verliert. Für den Reis kochen wir Wasser auf (zwei Teetassen Wasser auf eine Teetasse Reis). Damit der Reis trocken

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P-Geogische Koch Print 120117 48 12.01.2017, 10:53 und luftig wird, geben wir ihn in kleinen Mengen in das salzige und kochende Wasser und prüfen öfters nach, um das Zusammenkleben zu vermeiden. Anschließend gießen wir ihn ab. Den Topf stellen wir auf sehr kleine Flamme und fügen ein wenig Butter hinzu, legen darauf ein Lavash, dann noch mal Butter und erst dann wird das Ganze mit Reis bedeckt. Man kann auch Safran hinzufügen. Den Topf wickeln wir in ein Geschirrtuch ein und lassen ihn kurze Zeit auf der niedrigen Flamme stehen. Das Gericht wird heiß serviert.

Es schmeckt wirklich sehr gut und passt sowohl zum Herbst, als auch zu meinem niedrigen Hämoglobin. Wäh- renddessen erzählt Naili über ihre Mutter. Anscheinend bringt sie unter einen Hut, neben der Schaffung kulina- rischer Kunstwerke, in ihrem Haus eine kleine Schule für die Kinder einzurichten, die früh am Morgen zu arbeiten beginnen und somit ohne schulische Ausbildung bleiben (in Aserbaidschan gibt es eine große Menge solcher Kinder), und bringt ihnen das Lesen und Schreiben bei. Noch eine Tatsache: Bösen Menschen gelingen die köstlichen Speisen nicht. Wir unterhalten uns über alles Mögliche: Angefangen mit den Fragen der Kaukasus-Geschichte und endend mit der modernen Lyrik einschließlich der Schwierigkeiten, die mit der Essgewohnheit der Kinder verbunden sind. Und nun ist die Zeit gekommen, den Vogel mit der Fül- lung zu kosten. Es ist ein Gericht von Talischen, dem in der Nähe von aserbaidschanisch-iranischer Grenze sess- haften Volkstamm. Sie haben unterschiedliche Dialekte und Traditionen, und was das Wichtigste ist, die beste

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P-Geogische Koch Print 120117 49 12.01.2017, 10:53 Küche der Welt. Meine erste Bekanntschaft mit ihnen fin- det mit diesem Gericht statt:

Mit Kirschpflaumen und Walnüssen gefülltes Hähnchen auf talische Art Zutaten: 1 mittelgroßes Hähnchen, 1/2 kg Walnüsse, 10 Stück Alutscha oder Kirschpflaumen (man darf auch welche aus der Dose verwenden), scharfe, rote Paprika, Salz, 3 Zwie- beln, 100 g Sauerrahm

Gekochte oder konservierte, entkernte Alutscha oder Kirschpflaumen pürieren, dazu Walnüsse, scharfe, rote Paprika, Salz, klein gehackte und gegarte Zwiebeln bei- mischen. Das Ganze lassen wir mit ein wenig Fett in der Pfanne rösten, anschließend füllen wir damit das Hähn- chen, nähen es zu, damit die Füllung nicht herausfällt, bestreichen von außen mit dem Sauerrahm und braten das Hähnchen entweder im Ofen oder auf einem Brat- spieß.

Es erinnert mich ein wenig an die georgischen Speisen, was Irakli damit erklärt, dass die Talischen, genauso wie die Georgier, in großen Mengen die Walnuss in ihren Gerichten verwenden und dass in jener Gegend viele Walnussbäume wachsen. Den nächsten Toast bringen wir auf die gemischten Familien aus. Wie es sich herausstellt, ist Nailis Mutter in Dmanisi aufgewachsen, in einem Dorf neben meinem, und ihr Vater ist gebürtiger Iraner. Zur gleichen Zeit er- zähle ich die Geschichte über meine Urgroßmutter, die aus Jordanien stammte, und allmählich, von Wein oder an-

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P-Geogische Koch Print 120117 50 12.01.2017, 10:53 deren Faktoren beeinflusst, verschwimmen die Grenzen mehr und mehr. Mir fällt ein Gedicht von Irakli ein:

Auf dem Tablett vor mir Liegt ein Haufen von Grenzen Raus gepickt aus Weltkarten und Atlas. Ich will sie denen schenken, die eine Grenze verlangen, (wer hat alles so eingegrenzt) Gott behüte uns davor, dass ein Bissen in unserem Hals stecken bleibt. (Irakli Kakabadze ≈Die Stacheldrähte«)

Als Dessert haben wir einen aserbaidschanischen Kuchen ∑ Shekerbura. Er ist äußerst köstlich, auf den ersten Blick leicht, aber in Wirklichkeit sehr schwer zuzubereiten ∑ so wie der Aufbau jeder Art von Beziehung oder eines herz- lichen Gesprächs.

Shekerbura Zutaten: Für den Teig: 1 kg Mehl, 5 Eier, 250 g Sauerrahm, Vanille nach Geschmack, 1∑2 Teelöffel trockene Hefe, ein EL Puderzucker, zwei Tassen rohe Milch Für die Füllung: 750 g Hasel- oder Walnüsse, 700 g Puderzucker, Vanille, Gewürznelke

Butter und Mehl werden miteinander vermischt. In der anderen Schüssel verrühren wir Eigelb, Sauerrahm, Salz und Vanille. In das dritte Gefäß geben wir einen Esslöffel Hefe, einen Esslöffel Zucker und Milch, lassen es zwei Minuten stehen, und dann vermengen wir alles gut mit- einander. Die Hände müssen zum Kneten mit Milch be-

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P-Geogische Koch Print 120117 51 12.01.2017, 10:53 feuchtet werden. Der Teig darf nicht zu trocken sein. Den Teig wickeln wir ein und lassen ihn 40 Minuten ruhen. Die gerösteten Haselnüsse müssen geschält und durch den Fleischwolf gedreht werden. Dazu geben wir Zucker, Vanille und ein wenig Gewürznelke. Den Teig teilen wir in 36 Teile, dann wickeln wir ihn wieder ein, damit er nicht austrocknet. Jeder Teil wird in zehn Zentimeter lange Streifen geteilt und ausgerollt. In den ausgerollten Teig legen wir die Füllung, geben ihm die Form des Halbmondes oder eine andere beliebige Form, schließen die Ränder fest zusammen, legen ihn auf das Backpapier, das auch oben draufkommt und backen es auf großer Flamme 20 Minuten lang. Der Kuchen wird zusammen mit Haselnüssen und Sultaninen serviert.

Diesen Kuchen backen die Aserbaidschaner zu besonde- ren Anlässen, aber das Treffen mit guten Freunden ist doch auch ein besonderer Anlass. An diesem beißend kalten Novemberabend sitzen wir gemütlich und behaglich und trinken mit Koriander, Ge- würznelke und Zimt vermischten, wunderbaren aserbaid- schanischen Tee. Außerdem genießen wir den Kuchen und die freundlichen Gespräche. Irakli liest uns seine Gedichte vor, wir planen gemeinsam nach Baku zu fahren, um Pakhlava und Piti zu probieren. Auf dem Weg von Tiflis nach Baku werde ich aber unbedingt einen Halt machen: In Saingilo, im Dorf Alibeglo, wo meine Freunde herkommen, besuche ich die Ortsbewohner, probiere ingilischen Pilaw und Chinkali ∑ ≈Suruli« und ≈Machara«. Ich wollte euch über das alles erzählen, aber damit das Essen nicht zu üppig wird, ver- schieben wir es auf ein anderes Mal.

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P-Geogische Koch Print 120117 52 12.01.2017, 10:53 Noch einmal über Barbare (Über eine kulinarische Novelle)

Mit dem Text ist das eine ganz sonderbare Sache. Trotz bester Voraussetzungen kann es einem misslingen, ihn zum Leben zu erwecken, ihm Geschmack und Geruch zu verleihen. Manchmal ist es umgekehrt. Deshalb ist ein Text das Kind der wundersamen Magie von Sprache und Schrift, ein lebendiger Organismus, ein Individuum mit außergewöhnlichem Charakter. Deshalb brennen die Handschriften nicht.

Über Barbare Jorjadzes ≈Die gesamte Küche« wird viel geredet und geschrieben, noch öfter wird das Buch gelesen, vor allem von unseren Müttern und Großmüttern, von den Hausfrauen, die es lesen und dann wieder zum Leben erwecken ∑ indem sie die Speisen nachkochen. Ihr werdet mir wahrscheinlich zustimmen, dass die beste Illustration eines Textes die im Gericht angeführten Wörter sind, dass in der Küche der Text wahr wird. Warum ich mich an Barbare Jorjadze erinnert habe? Heute Morgen dachte ich, dass ich in der ganzen Zeit als Leserin sehr viel Kulinarisches in der Belletristik, aber sehr wenig Belletristisches in der kulinarischen Literatur entdeckt habe. Doch es gibt natürlich auch Ausnahmen. So eine Ausnahme ist ≈Die gesamte Küche« von Barba- re Jorjadze. Genauso wie sich im Allgemeinen die Fürstin Barbare von anderen Frauen ihrer Zeit (und nicht nur von Frauen) unterschied ∑ mit ihrer außergewöhnlichen Liebe zum Leben, ihrer unbeschreiblichen weiblichen Kraft, mit den für die damalige Zeit sehr mutigen Ideen und Aktivi-

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P-Geogische Koch Print 120117 53 12.01.2017, 10:53 täten. Für eine Frau, die mit 14 verheiratet wurde, dürfte das alles sehr schwer gewesen sein, nicht wahr? Dieses Buch umfasst wahrhaft die gesamte Küche, mit all ihren Eigenschaften, mit salzigen oder süßen Worten und fein gewürzten Sätzen. Wenn wir dazu das georgische kulinarische Gedächtnis hinzufügen und das Ganze mit der georgischen Sprache des 19. Jahrhunderts abschmecken (über die Barbarismen, die Barbare benutzt, drücken wir ein Auge zu), erhalten wir meine Lieblingsprosa, die die Einbildungskraft der Leser wunderbar sättigt. Es ist merkwürdig, dass Barbares Gedichte, Erzählungen und das Theaterstück, oder besser gesagt ihr literarisches Schaffen, auf die Leser einen eher schwachen Eindruck hinterlässt, was man aber von ihren kulinarischen Texte nicht behaupten kann.

Als Beispiel präsentiere ich euch, den lesenden Gourmets, eine Novelle:

Backen von Paska und Kulitschi

≈Das gute Gelingen von einem Kulitschi ist gänzlich von gutem Mehl, der Hefe und dem Ofen abhängig. Die Hefe muss eine sehr hohe Qualität haben, dick und weiß, dicht verpackt und in Kälte gelagert sein. Auch die trockene Hefe muss neu und gut sein. Das Mehl muss gut, von der höchsten Qualität und ausgetrocknet sein. Deshalb sollte es eine Woche vorher gekauft und irgendwo am Ofen gelagert werden. Den Ofen müsst ihr sehr stark heizen und dann abkühlen lassen. Wenn man den Teig in den zu heißen Ofen stellt, verbrennt die obere Schicht, während

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P-Geogische Koch Print 120117 54 12.01.2017, 10:53 das Innere gebacken wird. Wenn der Ofen zu kalt ist, wird der Teig in sich zusammenfallen und nicht aufgehen. Deswegen ist es notwendig, dem Ofen ganze Aufmerksam- keit zu widmen. Ihr müsst prüfen, dass er mäßig geheizt ist. Das könnt ihr folgendermaßen tun: Nehmt mit einer Faust das Mehl und werft es in den Ofen. Wenn es gleich in der Luft verbrennt, ist der Ofen zu heiß, und wenn das Mehl langsam anfängt rot zu werden, ist die Temperatur genau gut. Ihr merkt euch die Stellen vor, wo und wie alles hingestellt wird. Wenn ihr die Formen hineinstellt, dürft ihr sie nicht mehr hin und her schieben, sonst fällt der Teig in sich zusammen und es wird ungenießbar. Die Kulitschi sollen auch nicht zu dicht neben einander stehen, sonst werden die Seiten nicht gut austrocknen. Die Formen müssen im Vornherein vorbereitet, mit Kochbutter bestri- chen und mit zermahlenem Zwieback bestreut werden. In jede Form kommt der Teig bis zum Viertel und wenn er bis zum Dreiviertel aufgegangen ist, dann stellt ihr die Form in den Ofen. Wenn der Teig bis zur Hälfte aufgegan- gen ist, müsst ihr den Ofen anmachen, und wenn der gut geheizt ist, müsst ihr das Feuer im ganzen Ofen verteilen, dann gut ausmisten, mit dem feuchten Tuch reinigen. Wenn der Ofendeckel zu heiß ist ∑ einfach ein nasses Tuch von unten drauflegen. Um zu erfahren, ob es schon ge- backen ist, steckt ihr ein dünnes Stäbchen hinein. Nach anderthalb Stunden nehmt ihr das Stäbchen heraus. Wenn der Teig nicht mehr daran klebt, ist die Kulitschi fertig gebacken, und wenn dort Teigreste sind, dann müsst ihr alles noch ein wenig im Ofen stehen lassen. Wenn der Teig in der Form aufgegangen ist oder in den Ofen gestellt wird, darf ihn keine Brise berühren und auch das Zuknallen der Türen muss vermieden werden.

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P-Geogische Koch Print 120117 55 12.01.2017, 10:53 Es ist besser, in dieser Zeit niemanden herein zu lassen. Wenn ihr die Formen aus dem Ofen herausnehmt, solltet ihr sie auf einen weichen Boden legen und ruhig hin und her rollen. Sie sollen aus der Form erst dann herausge- nommen werden, wenn sie abgekühlt sind.«

Wie hat es euch gefallen, dass der Teig durch keinen Lärm oder eine zufällige Brise gestört werden darf, und dass man Kulitschi vorsichtig hinlegen und ruhig hin und her rollen soll? Was ist denn die Methode der Personalisie- rung, wenn nicht diese? Habt ihr oft in einer Novelle einen solch feinen und mit Vorsicht zu behandelnden Charakter getroffen? Schauen wir, was die gesegnete Wikipedia über den Sinn einer Novelle schreibt: ≈Die Novelle ist ein episches Genre in kleinem Format, das auf der Erzählkunst basiert und in Form von Prosa (selten auch in Form eines Gedich- tes) einen Ausschnitt, einen Moment, einen Aspekt aus dem Leben eines Menschen darstellt. Für sie ist eine ein- fache Geschichte und die sehr begrenzte Anzahl der Cha- raktere signifikant. Im Unterschied zu der Erzählung kommen in der Novelle die detaillierten Lebensumstän- de, die Umgebung, die Charaktere zu kurz. Für sie sind die beschreibende Momente fremd. Das Augenmerk wird auf einen Abschnitt des Geschehnisses, auf die Darstel- lung einer der Eigenschaften eines Charakters gelegt, was den lakonischen Erzählstil und den Ausdruck der Hand- lung zur Folge hat. Kompositorisch gesehen, verfügt die Novelle über eine geschlossene Form. Der Höhe- und Wendepunkt wird schnell erreicht. Das Finale, das oft ein sehr unerwartetes Ergebnis beinhaltet, verursacht die gewaltigen Emotionen beim Leser.«

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P-Geogische Koch Print 120117 56 12.01.2017, 10:53 Und obwohl ihr mir widersprechen könnt, möchte ich euch trotzdem die Gründerin der georgischen kulinari- schen Novelle, die Schriftstellerin und Lyrikerin Barbare Jorjadze vorstellen.

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P-Geogische Koch Print 120117 57 12.01.2017, 10:53 Süß, bitter und wertvoll

≈Wie kann ich über Schokolade nicht schreiben?«, sagte ich heute Morgen zu mir und schlich auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer, damit mein viermonatiger Sohn nicht aufwacht. Vor dem Hinausgehen schaute ich auf sein kleines Bettchen. Es ist noch ruhig, er schläft und spielt mit den Traumengeln. Mal erhellt sich sein Gesicht, mal runzelt er die Stirn ∑ diesen Prozess kann ich stunden- lang beobachten. Welcher Zusammenhang zwischen der Schokolade und meinem kleinen Sohnemann besteht? Wahrscheinlich fragt sich das jeder Leser. Sehr, sehr große Gemeinsam- keit: Beide haben ähnliche Süße und Bitterkeit, sie verur- sachen die gleiche Schlaflosigkeit, und keiner der beiden ist jemals zu viel. Mein erstes Buch heißt ≈Schokolade« und mein erstes Kind hat runde und glänzende Augen wie Haselnussschokolade. Mein Sohn wurde am ersten Januar geboren und der erste Januar ist in meinem persönlichen Festkalender als Schokoladentag eingetragen. Nie gibt es rund herum so viel Schokolade, wie am Neujahrstag. Also möchte ich euch heute über Schokodesserts und über meinen Kleinen mit runden Bäckchen erzählen.

Süß

Am süßesten ist er frisch aufgewacht: Mit geröteten Wangen und dem äußerst feinen Duft in seinem Nacken. In dieser Zeit ist er am besten gelaunt und benutzt viel von dem kargen und harmonischen Wortschatz seiner Babysprache.

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P-Geogische Koch Print 120117 58 12.01.2017, 10:53 Heiße Schokolade mit Erdbeeren Zutaten: 1/3 Tasse Kakaopulver, 6 EL Zucker, eine Prise Salz, 1/3 Glas aufgekochtes Wasser, 1/2 Tasse Milch, eine Messerspitze Vanille, 200 g Erdbeeren, 2 EL Rum, eine Prise geriebene Orangenschale, Erdbeeren nach Belieben

In einem kleinen Topf vermischen wir Kakao, Zucker und Salz. Allmählich fügen wir das kochende Wasser bei und rühren um. Lassen wir die Masse zwei Minuten lang kochen, dann gießen wir Milch hinein und erhitzen alles, bringen es aber nicht zum Kochen. Mengen wir Vanille und aufgeschlagene Sahne bei, rühren wieder um und las- sen es dann abkühlen. Die Erdbeeren putzen, mit wenig Zucker bestreuen, mit Rum befeuchten und einige Zeit so stehen lassen, dann in den Tassen verteilen und mit der warmen Schokolade begießen. Mit geriebener Orangen- schale bestreuen.

Leicht

Leicht war er am Anfang ∑ bei der Geburt wog er ledig- lich drei Kilogramm und 200 Gramm. Ein Winzling, der auf die Handfläche passte. Jetzt ist er sichtbar schwerer ge- worden und es fällt nicht leicht, ihn lange auf den Händen zu tragen. Er zappelt und spielt ∑ mein leckerstes Biskuit.

Heißer Schokoladenschaum Zutaten: 1 EL Kakao, 3 Eier, 2 Gläser Milch, 3 EL Zucker, 1 EL Mehl, weiße Schokolade (gemahlen)

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P-Geogische Koch Print 120117 59 12.01.2017, 10:53 Das Eigelb und den Zucker gut miteinander verquirlen, Kakao, Mehl und Milch dazugeben und auf den Herd stellen. Unter ständigem Umrühren zum Kochen bringen. Wenn es aufkocht, fügen wir das aufgeschlagene Eiklar bei und bestreuen alles mit weißer Schokolade.

Einfach

Am einfachsten ist es, wenn er schläft. In dieser Zeit kann man sich auch an die anderen Dinge erinnern: Wie man gelesen und geschrieben hat, wie man gekocht und Filme geschaut hat, wie man Freunde getroffen hat.

Orange mit Topfen und Schokolade Zutaten: 4 Orangen, 700 g Topfen, 400 g Schlagobers, 2 Tafeln schwarze Schokolade, 4 EL Kondensmilch, 4 EL Puder- zucker, 2 TL Cognac oder Likör

Reiben wir eine halbe Orangenschale, befeuchten den Abrieb mit Cognac und bestäuben ihn mit Puderzucker. Die restlichen Orangen schneiden wir zusammen mit der Schale in dünne Scheiben. Den Topfen vermischen wir mit der Kondensmilch und Schlagobers und verquirlen das Ganze, bis es zu einer gleichmäßigen, luftigen Creme wird. Die Schokolade lassen wir schmelzen, fügen ein wenig Gewürznelke und Zimt hinzu. Auf jede Orangen- scheibe legen wir die Topfencreme, begießen sie mit Scho- kolade und bestreuen mit Kokosstreuseln.

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P-Geogische Koch Print 120117 60 12.01.2017, 10:53 Bitter

Oje, es ist manchmal so bitter, wenn er verschiedene Sachen gleichzeitig will und du nicht verstehst, was zu tun ist, warum er weint, warum er quengelt. Warum schaffst du es nicht, ihn zu beruhigen, warum reagiert er nicht auf deine Liebkosungen? Und du gehst von Zimmer zu Zimmer, wiegst ihn, singst, tanzt, redest Unsinn. Kurz gesagt, es ist bitter, sehr, sehr bitter, aber trotzdem herrlich.

Creme aus schwarzer Schokolade mit Zimt, Mandeln, scharfem Paprika Zutaten: 2 Tafeln schwarze Schokolade, Zimt, 200 g geriebene Mandeln, scharfes Paprikapulver, 4EL Mehl, 2 Teetassen Milch

Wir lassen die Schokolade schmelzen, fügen die Milch hinzu und bringen alles zum Kochen. Während es auf der niedrigen Flamme köchelt, rühren wir langsam Mehl ein, würzen das Ganze mit scharfem Paprika und Zimt. Ein Teil der Mandeln wird zusammen mit der Schokolade gekocht, mit dem anderen Teil bestreut man später die in den Gläsern verteilte Schokolade.

Einfach ein Schokoladnkuchen

Es ist einfach so: Wenn man einen Schokoladekuchen und heißen Kaffee genießt, scheint alles leichter erträglich zu sein ∑ die nicht fertig geschriebene Doktorarbeit, die geschwänzten Vorlesungen, der auf halbem Weg hinge-

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P-Geogische Koch Print 120117 61 12.01.2017, 10:53 schmissene Job, die zur Hälfte gelernte portugiesische Sprache und viel zu viele Kilogramm.

Schokoladekuchen mit Birne Zutaten: 150 g Rahmbutter, 2 Eier, 300 g Mehl von der besten Qualität, 100 g Schokolade, 120 g Kefir, 3 säuerliche Birnen, Gewürznelke, Zimt, Vanille

Butter, Zucker und Eier verquirlen, Mehl, Vanille, klein gehackte Schokolade und Kefir hinzufügen und gut mit- einander vermischen. In die auf 180 Grad vorgeheizte Backform legen wir mit Butter bestrichenes Backpapier, gießen darauf einen Teil des Teiges und verteilen die Birnenscheiben. Auf die Birnen kommt ein wenig zer- lassene Butter, Zimt und Gewürznelke. Die Form wird für 45 Minuten in den Backoffen gestellt; wenn er fertig ge- backen ist, begießen wir den Kuchen mit der geschmol- zenen Schokolade.

Genießt es. Ich muss los, meine köstlichste Schokolade weint wieder.

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P-Geogische Koch Print 120117 62 12.01.2017, 10:53 Maiko und die ingilischen Rezepte

Bei den Aufnahmeprüfungen an der philologischen Fa- kultät habe ich die höchste Punktzahl erworben und dachte, ich sei die klügste und begabteste Erstsemestrige in der ganzen Geschichte der Universität. Ich lief mit hoch erhobener Nase herum, und jedes Mal, wenn wir z.B. in der ≈Ausländischen Literatur« mit dem Lesen eines Buches beauftragt wurden, bemerkte ich ironisch, dass ich es be- reits gelesen hätte. Aber schon in den ersten zwei Wochen verflog meine Selbstsicherheit, wie die anderer, mir ähnlicher Erstsemester. Aber beim Vorbeigehen an den Arbeitszimmern von Korneli Kekelidze oder Schalwa Nutsubidze stellte sich jeder von uns heimlich bestimmt ein Schild mit dem eigenen Namen vor. Jedem ohne Ausnahme erging es so. Jedem außer Maiko. Sie war unter uns die am meisten Aufgeschlossene, sie stellte immer die meisten Fragen, schämte sich am wenigsten, dies zu tun, benutzte die wenigsten literari- schen Fachbegriffe und redete am lautesten. Die Zeit verging, und sie wurde zu einer sehr guten Sprachwissenschaftlerin und Kaukasiologin. Sie war die Expertin der aussterbenden udischen Sprache. Später schrieb ich bessere Gedichte, als ich es damals getan hatte, aber das Wichtigste ist: Wir sind immer noch befreundet. Maiko kommt aus Saingilo, dem Dorf Alibegalo aus der Kachi-Region. Saingilo, das für mich damals genau- so anziehende Exotik verkörperte, wie zum Beispiel die Färöer-Inseln. Diese Region nahm in meiner sprachlichen und gedanklichen Welt allmählich so einen Platz ein, als ob die Tatsache, dass sie einem anderen Land gehört,

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P-Geogische Koch Print 120117 63 12.01.2017, 10:53 vollständig unerheblich wäre. Ich habe mich sehr in diese Region verliebt, und wegen dieser Liebe werde ich Maiko bis zu meinem Lebensende dankbar sein. Zum ersten Mal bin ich nach Saingilo zum Giorgoba- Fest gefahren. Ich bin, sozusagen, mitten in einem kuli- narischen Festival gelandet ∑ während solcher Festlichkei- ten teilt doch jeder die Leckereien mit anderen, und wenn man mich fragt, so ist das Teilen von Essen wahrhaftig ein Teil des religiösen Rituals. Außerdem zieht der Heilige Giorgi von Qurchumi nicht nur die christlichen Pilger an, was die kulturelle Breite dieses Festessens erweitert. Ich verliebte mich gleich bei der ersten Reise: Die wunderschönsten Gebirge, die Walnussalleen, der musi- kalische, ingilisches Dialekt und die offenen Ingiloys fanden einen so festen Platz in meinem Herzen, dass ich bis heute keine Gelegenheit versäume, um noch eine Reise zu machen und Maiko in ihrem Heimatort zu besuchen. Wollt ihr wissen, wie das Hauptrezept der zwischen- menschlichen Beziehungen in Saingilo aussieht? Es ist sehr simpel, genauso wie das Zusammenlegen von Brot und Käse. Dieses Rezept hört sich so an: ≈Komm herein, die Tür ist immer offen. Hier trifft dich immer ein Gast- geber.« Was die kulinarischen Rezepte betrifft ∑ dieses Gebiet ist genauso vielfältig wie die dortige Natur, es ist farbenfroh, den dortigen Gebirgen ähnlich. Die georgi- sche Küche mit ein bisschen mehr orientalischem Touch, so kann man sie in einem Satz charakterisieren.

Ich versuche zumindest über einige von ihnen zu berichten.

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P-Geogische Koch Print 120117 64 12.01.2017, 10:53 Ingilische Blatt-Chinkali Zutaten: 1 Landhähnchen, 1 kg Mehl, 4 Tomaten, 2 Zwiebeln, ein paar Knoblauchzehen, Petersilie, Koriander, Lorbeerblätter, scharfe rote Paprika

Mit salzigem Wasser kneten wir normalen Teig für Chinkali, wir rollen ihn dünn aus, schneiden ihn in kleine Stückchen und lassen sie ein wenig trocknen, aber nicht all zu sehr. Danach kochen wir sie im Salzwasser. Das gesäuberte und geschnittene Hähnchen wird zu- sammen mit Zwiebeln gegart, dazu geben wir geschnit- tene Tomaten, würzen alles mit verschiedenen Kräutern und Gewürzen. Dann vermischen wir das Hähnchen und die vorher vorbereiteten Teigstreifen (Atria) und übergie- ßen je nach Geschmack noch mit Topfen oder Sauerrahm.

Dzidznaki (Die beste Sauce) Reife, saure Kirschen, saure Pflaumen und Kornelkirschen werden entkernt, entweder zusammen oder getrennt in einem Mörser zerstampft, dann filtriert. Dazu fügen wir Salz, Koriander, Knoblauch und Pfeffer.

Kchakcho Zutaten: Trockene Bohnen, Reis, Walnüsse, Kräuter (Koriander, Dill, Gewürze)

Nachdem wir die trockenen Bohnen weich gekocht haben, mischen wir Reis bei. Das Wasser muss reichlich sein,

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P-Geogische Koch Print 120117 65 12.01.2017, 10:53 damit die Bohnen gut bedeckt sind. Wir kochen so lange, bis das Wasser verdampft, dann streuen wir geschnitte- ne Walnüsse und Kräuter ein. Abschließend werden noch getrennt geröstete Zwiebeln beigefügt.

Suruli Es gibt verschiedene Wege, dieses Gericht zuzubereiten: Entweder mit Hähnchen- oder Rinderbrühe oder mit Bouillon und mit dem Saft von gekochten trockenen Bohnen. Aus dem, mit kaltem Wasser gekneteten, Teig machen wir Atrias und kochen sie in Bouillon, dann nehmen wir sie heraus, gießen sie ab und legen sie auf extra Teller. Darauf gießen wir Topfen oder Sauerrahm mit Knob- lauch.

Genauso ein Gericht haben die Griechen aus Ponto.

Girtsi Diese Speise kann sowohl mit Rindermett, mit Topfen oder mit Brennnesseln zubereitet werden. Erst kneten wir den Teig, dann rollen wir ihn dünn aus, schneiden ihn in kleine Stückchen, platzieren darin mit Gewürzen und Kornelkirsche vermischtes Mettfleisch (Das gewürzte Mett kann vor dem Zubereiten des Ge- richts ein paar Tage im Kühlschrank aufbewahrt werden). Die Fleischteigtaschen werden als Halbmonde geformt und in das kochende Wasser gelegt. Sie müssen so lange kochen, bis die Girtsis nach oben steigen. Neben dem Fleisch kann man für die Füllung Topfen, der mit den in Kochbutter gedünsteten Zwiebeln vermischt wurde, oder gedünstete und mit Gewürzen abgeschmeckte und zer- hackte Brennnesseln verwenden.

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P-Geogische Koch Print 120117 66 12.01.2017, 10:53 Auf die fertigen Girtsis legt man ein Rührei. Das Ge- richt wird heiß gegessen.

Pilaw auf ingilische Art Zutaten: 1 Hähnchen, 300 g Reis, 200 g trockene Bohnen (man darf auch mehr Bohnen verwenden), einige Eier, Topfen, Koriander, Petersilie, Dill

Das Hähnchen wird in einem großen Topf gekocht. Das fertig gekochte Hähnchen nehmen wir heraus, dafür geben wir den Reis in die Bouillon. Die Bohnen müssen getrennt gekocht werden. Wenn der Reis gar ist, wird er mit Bohnen vermengt. Danach nehmen wir das Ganze aus dem Topf und gießen es ab. Danach machen wir Papchatschela, was folgenderma- ßen zubereitet wird: Einige Eier werden verquirlt und zusammen mit ein wenig Topfen, geschnittenem Korian- der, Petersilie und Dill verrührt. Die Masse muss so viel sein, dass sie den Topfboden bedeckt. Wir gießen sie in den Topf und schütten darauf den filtrierten Reis und die Bohnen. Abschließend legt man das gekochte Hähnchen darauf. Der Topf wird in einem Leinentuch eingewickelt und für einige Minuten auf die niedrige Flamme gestellt.

Halva Es wird aus Reis und Mehl zubereitet. Der Reis wird im ≈Dinji« zerstampft (In Saingilo gibt es ein Holzhandgerät, mit dessen Hilfe man Getreide und Reis zerstampft. Damit wird auch Weizen für Korkoti bearbeitet bzw. zerstampft). Der zerstampfte Reis, der mehlartig werden muss, wird mit süßem Honig- oder Zuckerwasser geknetet.

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P-Geogische Koch Print 120117 67 12.01.2017, 10:53 Süß und scharf, fetthaltig oder leicht∑ es gibt so viele Rezepte, dass es nicht mal ein ganzes Leben ausreichen wird, um über alles zu erzählen, geschweige denn eine Geschichte. Jedes Mal, wenn ich mich an die mir wert- vollen Menschen zurückdenke, erinnere ich mich gleich- zeitig an die schmackhafte Kunst, die durch ihre Hände erschaffen wurde. Und jedes Mal denke ich, das Rezept für das Glück gefunden zu haben. Zum Herzen führen Wege aus allen Richtungen. Die Hauptsache ist es, einen zu finden.

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P-Geogische Koch Print 120117 68 12.01.2017, 10:53 Literatur als Hauptspeise (Eine literarisch-gastronomische Phantasie)

Was als erstes meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist ein riesiger Tisch mit weißer Tischdecke, geschmückt mit besonderem Porzellan- und Kristallgeschirr, mit poliertem Silberbesteck. Man erkennt gleich, dass besondere Gast- geber besondere Gäste erwarten. Ja, über diese Feier wird noch lange Zeit geredet, diskutiert und geurteilt. Bespro- chen werden das Menü und die Qualität der Produkte, das Handwerk des Koches, Geschmack und Duft der Speisen. Am Ende wird natürlich auch über das Privatleben der Gastgeber getuschelt. Was habt ihr denn gedacht?

Die Vorbereitung hat viel früher begonnen: Den Köchen wurden im Vorhinein die auf kleinen Zetteln notierten Texte ausgeteilt, z.B. solche: ≈Eine Olla (ein Topf), mehr von Rind- als Hammelfleisch, des Abends gewöhnlich kalte Küche, des Sonnabends arme Ritter und freitags Linsen, sonntags aber einige gebratene Tauben zur Zuga- be…« (Miguel de Cervantes, Don Quijote de la Mancha). ≈Eine fette braune Gans lag am einen Ende des Tisches, und am anderen Ende lag auf einer Lagerstatt aus geknit- tertem, mit Petersilienzweigen übersätem Papier ein mit Brotkrumen bestreuter großer Schinken, dessen Außen- haut entfernt und um dessen Knochen eine gefällige Papierkrause gewickelt war, um die herum gewürztes Rindfleisch lag. Zwischen diesen rivalisierenden Tischen- den verliefen parallele Reihen von Nebengerichten: zwei kleine Dome aus Gelee, rot und gelb; eine flache Schale mit Blancmanger-Würfeln und roter Konfitüre, eine große, grüne blattförmige Schale mit stengelförmigem Griff, auf

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P-Geogische Koch Print 120117 69 12.01.2017, 10:53 der rote Weintrauben und geschälte Mandeln lagen, eine dazu passende Schale, auf der ein kompaktes Rechteck aus Smyrnafeigen lag, eine Schale mit Custard und gerie- bener Muskatnuss obendrauf,…« (James Joyce, Die Toten)

≈Jinhua saß auf einem Sessel aus rotem Sandelholz an einem Tisch und probierte nach und nach von den zahl- reichen Speisen aller Art, die aufgereiht vor ihr standen. Schwalbennester, Haifischflossen, gedämpfte Eier, geräu- cherter Karpfen, gebratenes Schwein, Seegurkensuppe ∑ unmöglich, jede einzelne der Speisen aufzuzählen.« (Ryonosuke Akutagawa, Der Christus aus Nanking)

≈Ja-haha… Das gab’s, das gab’s! Alte Moskauer erinnern sich noch an das berühmte Gribojedow! Was war schon der gekochte Zander! Ein Garnichts, lieber Ambrossi! Hingegen der Sterlet (Stör), Sterlet in Silberpfanne, Sterlet in Stücken, umlegt mit Krebbschwänzen und frischem Kavier? Und die Eier à la Cocotte mit Champignonpüree in Tassen? Und die Drosselfilets, haben die Ihnen nicht gemundet? Mit Trüffeln? Und die Wachteln à la Genua? Für neuneinhalb Rubel! Und die Tanzkapelle, und die höfliche Bedienung!« (Michael Bulgakow, Der Meister und Margarita)

≈Aber wir wollen ein gebührendes Abschiedsmahl rich- ten, das hat Papa bestimmt, und ich brüte schon über der Speisefolge. Gedämpfter Barsch nach Melchers Art, wie wäre das? Und dann Strömlingsauflauf und Pfifferlings- omelett und vielleicht ein paar kleine gute Fleischklöße. Zum Kaffe Sahnetorte…« (Astrid Lindgren, Ferien auf Saltkrokan)

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P-Geogische Koch Print 120117 70 12.01.2017, 10:53 ≈Das Mehl wurde mit warmem Salzwasser geknetet. Der Teig sollte weder zu weich, noch zu hart werden ∑ wenn er beim Kneten zu knistern begann, war er fertig. Darauf wurden Semmelbrösel gestreut und mit der Hand über- kreuzt, mit den Worten: ≈Gott, segne ihn und gib ihm die Fülle!« Dann wurde er mit einer Decke, sogar mit Säcken zugedeckt, damit der Teig es warm hatte. Bis er aufging und die Eheschließung stattfand, d.h. bis das Wasser und das Mehl miteinander in Einklang kamen, vergingen etwa zwei bis drei Stunden. Wenn man mit der Hand drauf- drückte und die eingedrückte Stelle bald verschwand, musste Thone geheizt werden.« (Nugzar Schataidze, Broterzählung)

Und wer weiß, wie viele ähnlich üppig und gut abge- schmeckte Texte es noch gibt!

Diese Blätter haben die Köche an den weißen Wänden in der riesigen Küche befestigt, sie schauen öfters nach, über- prüfen die Einzelheiten, manchmal fragen sie einander um Rat, bitten um eine Prise Vanille oder Kardamom. Für diese Festtage kochen sie die Speisen persönlich. In riesigen Töpfen köcheln und brodeln tausend Wunder- gerichte, jede Sekunde eilt ein sympathischer Kellner in leuchtendweißer Uniform herein und bringt immer neue Bestellungen: ≈Mandeldessert für Madame Bovary!« ≈Herr Odysseus möchte Wildschweinfleisch, auf Feuer gebraten!« ≈Die gebratenen Nieren für Mister Blum!« ≈Auf dem Tisch von Buendias fehlt das Bananen- dessert!«

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P-Geogische Koch Print 120117 71 12.01.2017, 10:53 ≈Bring Kupati und Wurst für unseren Spaßvogel aus Flandern, an den Tisch acht!« ≈Süßkartoffelbrei für Herrn Samurai!« ≈An den Tisch von Georgiern haben wir Lachsrücken- filet noch nicht serviert, beeilt euch meine Herren!« ≈Bringt für die Kinder einen Nachschlag von Crêpes und süße Brötchen, auch den heißen Kakao, bitte!«

Und sie schneiden, braten, schmoren, grillen, brutzeln, dünsten, kochen, garen, backen. Es fehlen einem die Worte, um alles zu beschreiben. Wenn Sie neben dem Herd stehen, werden Sie bestimmt ein äußerst interessan- tes Gespräch mitverfolgen ∑ wie der Autor von ≈Die drei Musketiere« und ≈Der Graf von Monte Christo« einem deutschen Schriftsteller, der ein Liebhaber von üppigen deutschen Gerichten ist, das Zubereiten von französi- schen Schnecken beibringt. Hier ist eines der Rezepte für Schneckenzubereitung aus der ≈Großen kulinarischen Enzyklopädie« von Dumas:

Schnecken-Matelote à la Bordelaise ≈Nachdem die Schnecken abgebürstet wurden, werden sie in Butter geschwenkt, ohne sie braun werden zu lassen. Einen Esslöffel Mehl hinzufügen und mit einem Glas weißen Bordeaux und einem Glas Fleischbrühe aufgie- ßen, salzen und pfeffern; mit Muskat, Gewürznelke, Thy- mian, Lorbeer und Basilikum sowie einer Knoblauchze- he würzen. Eine Zwiebel mit einer Gewürznelke spicken und ebenfalls zu den Schnecken geben. Die Schnecken sollten so lange dünsten, bis sie weich sind, dann wird die Sauce entfettet. Die Schnecken abtropfen lassen und in

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P-Geogische Koch Print 120117 72 12.01.2017, 10:53 eine zweite Kasserolle legen, in der sich tournierte und vorgekochte Champignons befinden. Die Sauce reduzie- ren lassen, mit drei Dottern legieren und mit kleinen Butterstücken montieren. Diese Sauce durch ein Seihtuch auf die Schnecken passieren, welche warm gehalten wer- den sollten. Einen halben Esslöffel blanchierte Petersilie und Schnittlauch darüber streuen, mit Zitronensaft be- träufeln und servieren.«

Der Deutsche rümpft die Nase und bietet stattdessen sein Rezept für das Zubereiten von Fisch an:

≈Wenn der Fisch in ordentliche Stücke zerschnitten ist, … mit Zwiebeln und Nelken und Zwieback in die Kasser- rolle geben, mit etwas Zucker bestreuen, einen Löffel Butter beigeben und auf das Feuer stellen … Aber nicht waschen, … alles Blut mitnehmen, um Gottes willen…« (Thomas Mann, Buddenbrooks)

An dieser Stelle mischt sich ein Romanist aus Brasilien ins Gespräch ein. Wenn es jemanden gibt, der sich in kulina- rischen Dingen auskennt, dann ist es zweifellos er. Möch- ten Sie wissen, wie Sie eine gebratene Schildkröte zube- reiten sollen? Genau so:

≈Schließlich entferne man das Fleisch, dazu die Innereien (Leber und Herz) sowie die Eier (sofern vorhanden), werfe die Eigenweide weg, was besondere Sorgfalt erfordert; jede Arbeit ist getrennt vorzunehmen. Man wasche alles, Fleisch und Inneres; beides, gewürzt mit Salz, Zitrone, Knoblauch, Zwiebel, Tomaten, Pfeffer und Öl, süßes Öl nach Belieben, soll auf kleinem Feuer kochen, bis es gold-

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P-Geogische Koch Print 120117 73 12.01.2017, 10:53 braun ist und stark duftet. Das Gericht soll mit salzlosen Kartoffeln oder weißer, korianderbestreuter Farofa auf- getragen werden.« (Jorge Amado, Dona Flori und ihre zwei Ehemänner)

Der Schriftsteller aus Serbien ist ganz still für sich beschäf- tigt. Er kocht ein sehr feines und anspruchsvolles Gericht, die überflüssigen Worte stören ihn, und er lässt keinen in seine Nähe:

≈Es gibt verschiedene Arten von Liebe. Die eine lässt sich nur mit der Gabel aufspießen, die andere isst man wie eine Auster mit der Hand, eine dritte schneidest du besser mit dem Messer, sonst erstickst du daran, doch gibt es auch suppige, so dass nur der Löffel hilft. Ganz abgesehen von denen, die man pflückt wie den Apfel, den Adam pflückte.« (Milorad PaviÊ, Die inwendige Seite des Windes oder Der Roman von Hero und Leander) Der geniale blinde Argentinier nähert sich nicht mal dem Herd ∑ er besitzt eine ganz andere, eigene Methode, wie man aus der Asche eine Rose erblühen lassen kann.

Im großen Saal ist etwas Außergewöhnliches im Gange. Das Fest kommt langsam in Schwung und die Stimmung wird heiterer, Gargantua und Luarsab Tatqaridze können für den Knochenhaufen auf ihren Tellern nur mit Mühe Platz schaffen, Madame Bovary und Anna Karenina essen dezent in Happen, Tom Sawyer und David Copperfield genießen den Brotpudding, Quentin Thompson nimmt keinen Bissen zu sich, sondern trinkt nur Alkohol, auch Fürst Mischkin und Herr Nagel zeigen keinen großen Appetit, Odysseus und Äneas nehmen von Zirze zuberei-

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P-Geogische Koch Print 120117 74 12.01.2017, 10:53 tete Ambrosia zu sich, der amerikanische Soldat isst die spanischen Gerichte, Gulliver und Robinson Crusoe bieten einander warme Speisen an, der dritte Bruder Kejeradze diskutiert über die Chinkali-Philosophie und Tschampura singt einen Hymnus auf die Bohnen, während Aluda seinen Teller anstarrt ohne den Blick abzuwenden und wieder über das Gericht aus seinem Traum phantasiert. In der großen Küche sind geniale Chefköche beschäf- tigt, Wörter brauchen Gewürze genauso, wie Schokolade Wasser braucht! Also, guten Appetit!

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P-Geogische Koch Print 120117 75 12.01.2017, 10:53 Das eigene Zimmer und die eigene Küche

Ich sitze beim Tisch in meiner Küche. Auf dem Herd kocht Wasser in einem Topf ∑ das in Weißwein-Olivenöl- Marinade eingelegte Kalbfleisch wartet geduldig auf die Fortsetzung der kulinarischen Erzählung. Ein wenig welke, aber trotzdem duftende und leuchtende Kräuter atmen in kaltem Wasser auf und werden wieder frisch. Rote, gel- be und grüne Paprika sind bereits geschnitten und liegen in Porzellanschüsseln. Das Rot der Tomaten kann mich jetzt nicht aufhalten, geschweige denn das der Paprika ∑ denn Farben haben in der Küche ihre eigene Bedeutung. Auf dem Tisch liegen Bücher, Zeitschriften, aus dem Internet herunter geladene und ausgedruckte Papiere. Es ist ein gewohnter Prozess ∑ die theoretische Vorbereitung praktischer Handlungen. Ich besitze eine sehr reichhaltige kulinarische Bibliothek und betrachte die Bücher eins nach dem anderen, spreche die Namen der Autoren laut aus: Rusudan Kaischauri, Lia Sturua, Ela Gotschiaschwili, Maia Sarischwili, Eka Kewanischwili, Nato Ingorokwa, Lela Samniaschwili… In ihren Büchern findet man keine Rezepte von Salaten und Obstschnäpsen, es sind Gedicht- bände.

Ich sitze in der Küche, im Topf köchelt das Wasser. Ich lese Gedichte. Meine kulinarische Reise beginnt hier, eine Reise in die Küchen von Lyrikerinnen.

Als erstes besuche ich die Küche von Eka Kewanischwili. Ich versuche mir im Voraus vorzustellen, was mich dort

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P-Geogische Koch Print 120117 76 12.01.2017, 10:53 erwartet, welcher Gewürzduft mich an der Tür empfan- gen wird, welche Lebensmittel ich im Kühlschrank vor- finde, was sie zubereitet und wie sie es zubereitet. In diesem Fall werden die Gedichte die Rolle von mei- nem imaginären Menü übernehmen, denn sowohl die Lyrik als auch die Kochkunst besteht aus dem Zusam- menspiel von Elementarteilchen, ist eine Art Chemie. Ich nehme an, dass die Herrin dieser Küche das Kochen von scharfen Fleischgerichten besonders mag, im Schrank mehrere scharfe Paprikasorten stehen hat, dass sie even- tuell noch einige Zwergchilis in Tontöpfen wachsen lässt und Knoblauch- und Safrangirlanden am Fenster hängen hat. Ich denke nicht, dass sie beim Kochen eine Schürze trägt, wahrscheinlich befolgt sie die Rezepte nicht haar- genau, und auch die Speisen dekoriert sie nicht pedan- tisch. Sie wird aber die Konfitüren mögen.

≈Alles fing so an: Eines Abends, als der Arbeitstag zu Ende ging, teilte ich die dreckigen Treppen vom Bazar in Zickzack ein und um leichter rauf gehen zu können, faltete ich sie zusammen. Mit angehaltenem Atem und der mit Fingern zugehaltenen Nase Drängte ich mich zwischen den Baumpilzen und Hüfen für Chaschi ein, zwei Mal nieste ich neben Gewürzen, Auch diesmal entschuldigte ich mich bei dem Verkäufer vom heißen Schoti-Brot, dass ich heute kein Brot esse, er solle es mir nicht anbieten und blieb vor dem Berg aus Marillen stehen. Gleich in der Nähe fand ich die purpurne Himbeerwiese vor

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P-Geogische Koch Print 120117 77 12.01.2017, 10:53 Und die Hügel aus roten Beeren. Es reicht! Ich kaufe.« (≈Beere, ich liebe dich«)

Eka macht die Tür auf, es duftet nach Paprika, gedünste- ten Karotten, Koriander, Zwiebeln. ≈Was kochst du?«, frage ich. ≈Gedünstetes Fleisch mit Karotten, vielleicht verwandle ich es später in eine Suppe«. Sie pflegt keine besondere Liebe zu Fleisch oder Ge- müse, sie mag und interessiert sich für alles gleicherma- ßen. Was sie liebt, ist ein Markt, vor allem im Frühling, die Lebensmittelgeschäfte, das Ansehen von Würsten, Konserven, Saucen und dergleichen, aber nur, wenn sie alleine ist und auf keinen Fall gemeinsam mit anderen. ≈Ich kann nicht behaupten, dass ich mich um die Ästhe- tik eines Gerichts sehr kümmere, ich mag keine Salate mit herzförmigen Karotten oder Radieschen-Rosen. Ich deko- riere nie derart, und wenn ich es woanders sehe, verdirbt es mir zum Teil den Appetit. Ich liebe nur die Zitrone. Sie scheint ähnlich der Sonne.« Ich beginne mit der Inspektion des Kühlschranks. Ein Hoch auf den Gast wie mich, der hineinstürmt und un- gefragt den Kühlschrank aufreißt: Sauerrahm, Topfen, Milch, verschiedene Saucen, Halva, eine große Menge an Kräutern und natürlich ≈der General Zitrone und der Leutnant Paprika.« Was das Kochen betrifft: ≈Es gibt verschiedene Koch- Prozesse. Zum einen sind da die obligatorischen Gerich- te, wenn ich weniger kreativ bin und nur daran denke, nichts zu vergessen und nicht einzudösen, denn solche Speisen bereite ich nachts zu, wenn ich Nitsa bereits zum

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P-Geogische Koch Print 120117 78 12.01.2017, 10:53 Schlafen gelegt habe. Dann folgen die Experimente. Wenn sowohl das Interesse als auch der Enthusiasmus vorhan- den sind, wird es spannend. Kurz gesagt: Wenn etwas zweimal anbrennt, fange ich zum dritten Mal von vorne an. Und es gibt noch die wichtigste Art zu kochen ∑ wenn ich für jemanden koche, nein, nicht für jemanden, son- dern für ihn. Es ist wie ein beschwörendes Ritual.«

Ich habe doch gesagt, dass sie die Marmeladen mögen wird, den Kochprozess und den Duft von Himbeeren, Johannisbeeren, Erdbeeren, Sauerkirschen… Ich möchte ein Rezept haben, von etwas, was ich nur bei Eka essen kann, ein Gericht, auf das sie stolz ist. Sie erklärt es mir, ich schreibe mit:

Kaninchen auf ratschische Art ∑ Tabutsuni Das gesäuberte Kaninchen schneiden wir in Stücken, erst kochen wir es auf, bis es eine leicht weiße Farbe bekommt und dann garen wir es zusammen mit sehr klein gehack- ten Zwiebeln und Fett. Mit den klein gehackten Zwiebeln werden auch die geriebenen Tomaten gedünstet, dazu fügen wir in Kaninchenbouillon verrührten zerdrückten Knoblauch, Essig und Salz. Das Ganze gießen wir über das Kaninchen. Kräuter braucht das Gericht nicht, dafür sprudelnden Zolikouri (Weißwein) zum Trinken.

Als Eka die Zutaten aufzählt, erinnert sie sich: ≈Gestern habe ich Eis gekauft, aus einem einzigen Grund ∑ auf der Packung stand ≈Vanilleeis mit Johannisbeere«, und mir hat das Wort gefallen: Johannisbeere, Johannisbeere, wiederholte ich immer wieder auf dem Weg nach Hause.«

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P-Geogische Koch Print 120117 79 12.01.2017, 10:53 ≈Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, was ich nicht machen konnte. In dieser Liste stand an erster Stelle das Kochen. Meine Oma und Mutter waren so gute Hausfrauen, dass ich diesen Bereich völlig ihnen überlas- sen hatte. Sie versuchten ständig, mir das Kochen eines Gerichts beizubringen. Ich schaute zu und sagte: ≈Ja, ja, verstanden«. Die Rezepte gingen zwar bei einem Ohr hinein, aber aus dem anderen gleich wieder hinaus. Und wenn ich danach doch versuchte etwas umzusetzen, war es eine reine Katastrophe, so dass mich niemand mehr bat, es noch ein Mal zu probieren« ∑ Ungefähr so erzählte es Sylvia Plath, die amerikanische Lieblingsdichterin von Feministinnen. Ich plane die Lyrikerin Lela Samniaschwili, die Plath ins Georgische übersetzt hat, zu besuchen.

Ich stelle es mir folgendermaßen vor: Mich erwartet etwas Exotisches und Außergewöhnliches, Meeresprodukte, exotische Küche, weder zu scharf, noch zu süß. Die Zu- taten für den Salat werden penibel und behutsam ge- schnitten. Ich denke, sie wird Brot mögen, verschiedene Arten von Brot ∑ Schwarzbrot, Weizen- und Roggenbrot, Sesambrötchen, Brot mit Gewürzen oder einfach unge- säuertes Brot. Vor allem kalte Speisen ∑ die nordeuropäische Küche. Als Getränk vielleicht selbst gemachte Limonade und Wasser, kaltes, sauberes Wasser. Bei den Gewürzen denke ich bei ihr an Salz, unbedingt Salz. Bei meinem Besuch bietet sie mir Tee mit Honigkeksen an. Im Kühlschrank liegen nur die notwendigsten Lebens- mittel und noch Fertigprodukte. Am schnellsten gehen bei ihr daheim Kartoffeln und Schokolade aus. Am häufig- sten bereitet sie Fisch mit gekochten Kartoffeln zu (auch dies gehört zur Nordeuropa-Küche). Als ich mit ihr über

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P-Geogische Koch Print 120117 80 12.01.2017, 10:53 Gastronomie, Kochen, Geschmäcker und Düfte sprechen will, zitiert sie ihr altes Gedicht:

≈Jeans waschen und Kartoffel braten Beansprucht jeweils die Zeit für ein Gedicht. Heute erntet den Lyrik-Lorbeerkranz Die auf meinem Herd angebrannte Pfanne.«

Obwohl es anscheinend keinen Sinn hat, das Thema weiter zu verfolgen, gelingt es mir trotzdem, ihr einige kulina- rische Abenteuer sowie ein bis zwei Rezepte zu entlocken, wie vermutet eines mit Garnelen: ≈Du musst sie die ganze Nacht waschen und aus den Schalen befreien, aber je- mand sollte dir dabei helfen. Dann musst du sie im Mehl und Salz panieren und in der heißen Pfanne braten. Dazu passen Zitronenstücke gut.« Genau so, kurz und knapp.

Besser gesagt, so: ≈Diese merkwürdige und wertvolle Kochkunst, bis zum Umfallen köstlich, die wir einander geschenkt haben.« (≈Die Garnelen«)

Der köstlichste, nach Vanille duftende Besuch ist mir bei Nato Ingorokwa gelungen, obwohl ich eigentlich das Gegenteil erwartet hatte ∑ auch diesmal haben die Ge- dichte mich getäuscht. Ich war eingestellt auf: trockenen Kuchen ohne Creme, einfachste Lebensmittelpaare wie Käse und Brot, Tee und Kekse, Tomaten und Gurken… Verschiedene Pchali, eingelegtes Gemüse, stark ausgeprägte, eindeutige Ge- schmäcker, wo scharf ∑ scharf ist, und süß ∑ süß.

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P-Geogische Koch Print 120117 81 12.01.2017, 10:53 Ein feiner Duft kitzelt bereits am Anfang der Straße meine Nase, das erinnert mich an meine Großmutter aus Imeretien. Als gewohntes Begrüßungsritual bringe ich eine selbstge- backene Roulade mit Beeren, damit meine Funktion sich nicht nur auf das Probieren und Begutachten beschränkt. In der Wohnung ist der Geruch vom zerstampften Koriandersamen und Schabzigerklee verbreitet, vermischt mit dem Duft von Vanille und Schokolade. Im Kühl- schrank ist alles bunt und farbenfroh ∑ Gemüse, Obst, Kräuter… Ich mache den kleinen Küchenschrank auf ∑ nach Farben und Formen sortiert finden sich hier trockener Koriander, Safran, Schabzigerklee, Pfefferminz, Rosma- rin, scharfe rote Paprika, schwarzer Pfeffer, Flohkraut, Svanetiensalz. Nato bäckt etwas, es riecht nach Kuchen ∑ eine Über- raschung mit Walnüssen und Karamell. Es duftet so, dass ich Hunger bekomme. Auch das gehört dazu ∑ dieses vorläufige Duftverschlingen mag ich sehr, außerdem sind Vorspeisen eine wunderbare Erfin- dung ∑ du knabberst und bereitest dich gleichzeitig auf das erwartete Festessen vor.

≈Ich koche nicht, damit im Topf für einen Hungrigen et- was zu essen ist. Jedes Gericht mit seinen unterschiedli- chen Zutaten ist eine andere Geschichte. Während des Kochens probiere ich nie den Geschmack des Gerichtes, auch die Gewürze füge ich nach dem Augenmaß hinzu und trotzdem weiß ich ganz genau, dass es gut schmecken wird. Ich versuche, nicht nur eine großzügige, sondern auch ein bisschen eine attraktive Gastgeberin zu sein, ich liebe es, wenn beim Gericht nicht nur Geschmack und Geruch

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P-Geogische Koch Print 120117 82 12.01.2017, 10:53 stimmen, sondern auch das Erscheinungsbild der Köchin. Wenn man ein Gericht, wie ich, nach dem Augenmaß und mit Intuition würzt und mit Liebe vermischt, ist es aus- geschlossen, dass es nicht gut gelingt.«

Kaum zu glauben, dass sie in letzter Zeit angefangen hat, trockene, fast schematische Gedichte zu schreiben, die eher wie Grammatikregeln klingen! ≈Auch hier bewahre ich die Temperatur der Wörter, vom zugedeckten Topf nehme ich den Deckel ab und die gewürzten Häppchen werden von der Stiftspitze auf die Zungenspitze umzie- hen.«

Am meisten mag sie Koriander und Vanille, auch die Pa- prika, obwohl die ein schädliches Gemüse ist ∑ sie lässt alles nach ihrer Pfeife tanzen. Was sie nicht zubereiten kann, sind unterschiedliche Fleisch- und Fischgerichte, Rouladen und überbackene Pastetchen, zauberhaft ge- backene Quitten-, Orangen- und Schokodesserts, mit vier verschiedenen Cremen gesüßten Kuchen… Zum Karamell-Tee essen wir Kuchen und reden über tausend Dinge ∑ dass es saftige, trockene und salzige Ge- dichte gibt, fleischige Gedichte, üppige Gedichte, Gedich- te mit viel zu viel Creme, die wie türkische Kuchen in Fett und Zucker ertrinken, wässrige Gedichte und auch sol- che, die sogar auf leeren Magen keinen Appetit erwecken, dass das sentimentale Pathos im Grunde genommen Pfeffer und Zucker zusammen ist, dass sowohl ein Gedicht als auch der Kuchenboden eine Genauigkeit und Mäßigung, und natürlich Geduld brauchen. Aber wer schert sich denn um all das, wenn diese Roulade mit Walnüssen so köstlich schmeckt?

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P-Geogische Koch Print 120117 83 12.01.2017, 10:53 Rindfleisch-Rezepte: Zutaten: Rindfleisch, Estragon, Mozzarella, , Korian- der, scharfes Paprikapulver, Salz

Nr. 1 Das Fleisch schneiden wir in dünnen Scheiben, dann klopfen wir es, panieren es mit scharfem Paprika und Salz, bestreuen es mit klein gehacktem Estragon und Koriander; danach rollen wir es zusammen, fixieren es mit einem Zahnstocher, legen es in die Pfanne und bra- ten alles im Backofen. Wenn es fertig ist, herausnehmen, mit geriebenem Käse überstreuen und für weitere 2∑3 Mi- nuten im Ofen rasten lassen. (Nato Ingorokwa)

Nr. 2 Das Fleisch schneiden wir in dünnen Stückchen und kochen es. In Bouillon vermischen wir Mayonnaise, Estragon, Koriander, Salz und scharfes Paprikapulver. Damit be- sprengen wir das Fleisch, verstreuen darauf den Käse und stellen alles für einige Minuten in den Backofen. (Lela Samniaschwili)

Nr. 3 Das Fleischstück klopfen wir, mit Salz, Pfeffer und Käse würzen, in Alufolie einwickeln und im Backofen braten. Die Mayonnaise mit geschnittenem Estragon, Koriander, Salz und scharfem Paprika verrühren und über das gebra- tene Rindfleisch gießen. Anschließend mit geriebenem Käse garnieren. (Eka Kewanischwili)

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P-Geogische Koch Print 120117 84 12.01.2017, 10:53 Wie ich bei Lia Sturua Dornbuschtee getrunken habe, was für ein Tatara Ela Gotschiaschwili zubereiten kann, wie ich bei Maia Sarischwili die kunterbunten Marmeladen probiert habe, was für Pchlowana Rusudan Kaischauri backen kann und was für einen Geschmack Dambal- Chatscho von Eter Tataraidze hat, erzähle ich ein anderes Mal. Das ist ein anderes kulinarisches Abenteuer.

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P-Geogische Koch Print 120117 85 12.01.2017, 10:53 Von den Saucen (Fakten und Farben)

Vor langer Zeit hatte ich einen sehr wundersamen und sehr begabten Kollegen. Keine Sorge, er ist auch jetzt ge- sund und munter, lang lebe er, aber es kommt doch vor, dass Menschen den Weg vergessen, wie sie zueinander finden, und Punkt. Also, warum habe ich mich eigentlich an meinen Kumpel, einen sehr guten Maler erinnert…? Wenn man weltweit jemanden suchen würde, für den die Geschmäcker überhaupt keine Bedeutung haben, dann ist er wahrscheinlich diese Person. Die Frage, was er gegessen hat, wenn er es überhaupt tat, stellte ich mir oft. Dafür sind die Malfarben, die sich in seinem Atelier auf dem Regal stapelten, für immer in mein Gedächtnis einge- prägt. Sie waren genauso penibel und liebevoll geordnet wie die Gewürze im Küchenschrank meiner Großmutter, der Reihe nach aufgestellt je nach Farbe und Bedeutung: An erster Stelle stand das scharfe, rote Paprikapulver, dann schwarzer Pfeffer, darauf folgten Safran, getrockne- ter Koriander, Pfefferminze, Schabzigerklee, trockenes Basilikum, und so weiter und so fort. Während der ermüdenden Suche nach blauem Käse in den Lebensmittelgeschäften von Tiflis entsann ich mich, mit welch außergewöhnlichem Appetit mein Bekannter das Wort ≈Lazurit« aussprach, das, eine Art von blauer Farbe ist. Und manchmal dachte ich wirklich, er würde sich von den Malfarben ernähren. Morgens frühstückte er z.B. mit dem in Wasser verdünnten Acryl und auf das Brot gestrichener Gouache. Wie findet ihr das?

Ihr werdet bestimmt denken, dass ich nicht richtig ticke, wenn ich sage, dass mir sowohl mein Maler-Freund, als

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P-Geogische Koch Print 120117 86 12.01.2017, 10:53 auch die Malfarben wegen der Saucen in der Küche wie- der einfielen ∑ jenem so wertvollen und wichtigen Teil der Kochkunst. Genauso wie das Leben ohne Farben und ohne die Wahrnehmung von Schönheit seinen Sinn ver- liert, ist die Küche ohne Saucen uninteressant und inhalts- los, für mich zumindest. Drei Hauptfarben meiner Küche, womit ich alle an- dere Farben mixen kann, sind: rot, gelb und grün ∑ rote Paprika, gelbe Paprika und grüne Paprika. Ich glaube fest an diese Chemie oder Physik, an die Lichtbrechung. Sehr oft, beim Erfinden eines neuen Gerichts oder beim impro- visierten Ändern eines alten, verwende ich die Lebensmit- tel nach den Farben, und das Ergebnis ist immer köstlich, egal, wie unglaubwürdig das auch klingen mag.

Also, ich folge meinen Lieblingsfarben und gehe dann langsam zu meinen Lieblingsgeschmäckern über:

Rot: Adschika aus roten Rüben (roter Bete) Zutaten: 500 g rote Rüben, 2 Karotten, 3 rote Paprika, 2 Pfefferoni od. scharfe rote Paprika, 3 EL Sonnenblumenöl , 5 Zehen Knoblauch, Koriander, Schabzigerklee, Safran, Salz

Rote Rüben, Karotten, Paprika und Pfefferoni drehen wir durch den Fleischwolf. In einen kleinen Topf geben wir erst Öl und dann das pürierte Gemüse, dazu gießen wir ein wenig Wasser und lassen das Ganze 15 Minuten lang kochen. Dazu geben wir Knoblauch, Gewürze und Salz, und lassen das Gericht weitere 15 Minuten köcheln. Das Ergebnis ist knallrot und scharf. Es passt sehr gut zu Fleischgerichten.

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P-Geogische Koch Print 120117 87 12.01.2017, 10:53 Gelb: Sauce aus Eiern und Senf Zutaten: 5 Eigelb, 50 g Senf, 3 EL Essig, Zucker, Salz, schwarzer Pfeffer, 1 EL Olivenöl

Mit dem gekochten und pürierten Eigelb verrühren wir die andere Zutaten. Anschließend schmecken wir es mit Gewürzen ab.

Grün: mit Ziegenkäse Zutaten: 200 g Ziegenkäse, ein Bund Jungzwiebel, einige Stängel Petersilie, einige Blätter Basilikum, Zitronensaft, 1/2 TL geriebene Zitronenschale, 2 Knoblauchzehen, 1/2 scharfer Paprika

Den Käse reiben. Paprika, Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie pürieren, mit Zitronensaft vermengen, zer- stampftes Basilikum und ein wenig Olivenöl dazugeben und gut verrühren.

Orange: Sauce aus Karotten mit Honig und Sauerrahm Zutaten: 200 g Karotten, 1 EL Honig, 1/2 EL geriebene Orangen- schale, 100 g Sauerrahm, Salz, scharfes Paprikapulver, Koriander, 1 Knoblauchzehe

Die gekochten Karotten pürieren, mit Honig, Sauerrahm und zerstampftem Knoblauch vermengen und mit Gewür- zen abschmecken.

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P-Geogische Koch Print 120117 88 12.01.2017, 10:53 Dunkelblau: Sauce aus schwarzen Pflaumen Zutaten: 500 g Pflaumen, 3 EL Zitronensaft, Koriander, Knob- lauch, Salz, Zucker, Schabzigerklee, Safran, Flohkraut, Dill, Fenchel, scharfes Paprikapulver

Die entkernten Pflaumen kochen, pürieren, mit Zitronen- saft verrühren und mit den passierten und zerstampften Kräutern vermengen. Mit Salz, Paprika und Zucker nach Geschmack würzen

Weiß: Käsesauce mit Cognac Zutaten: 5 EL Topfen, 100 g weicher Rahmkäse, 100 g Käse (Roque- fort), ein halbes Glas Cognac, Vanille, scharfes Paprika- pulver

Topfen, Rahmkäse und Roquefort verrühren, mit schar- fem Paprika und einer Prise Salz würzen. Die Sauce kann man auch mit einem Obstsalat genießen.

Braun: Scharfe Schokosauce Zutaten: 2 Tassen Milch, 100 g Schlagobers, 50 g Bitterschokolade, 2 EL Puderzucker, Rum, 1 EL Stärke, eine Prise Vanille, scharfes, rotes Paprikapulver

Die geriebene Schokolade vermischen wir mit Zucker. Die Milch kochen wir auf, fügen unter ständigem Rühren in kleinen Mengen die Schokolade bei und lassen sie weiter kochen. Danach vermengen wir die Schokolademilch mit

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P-Geogische Koch Print 120117 89 12.01.2017, 10:53 der in kaltem Schlagobers verrührten Speisestärke und lassen alles weiter auf niedriger Flamme köcheln. Danach geben wir noch Rum, Vanille und scharfes Paprika hinzu und rühren noch einmal um.

Wie ihr seht, kann man die Farben nicht nur sehen, son- dern auch schmecken und sogar hören. Wie kann man denn sonst erklären, dass die in China, Thailand, Laos und Vietnam verbreiteten Dialekte der Miao-Yao Sprache folgendermaßen gegliedert sind: Rote Miao, weiße Miao, grüne (blaue) Miao und schwarze Miao? Durch das Ver- mischen von Farben können wir andere Farben bekom- men, durch das Vermischen von Saucen ∑ völlig andere Saucen. Es ist ein sehr interessantes und genüssliches Spiel, ihr könnt es selbst versuchen und meine Liste an Saucen und Farben noch erweitern.

Dann deckt ihr den Tisch mit einer weißen Decke, gießt die Saucen auf Teller, nehmt ein Stück Roggenbrot und probiert sie einzeln ∑ das ist eine Art Therapie, glaubt mir! Gibt es eigentlich eine Richtung in der Malerei, die das Malen mit Saucen beinhaltet? Wenn nicht, gehört diese Erfindung mir.

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P-Geogische Koch Print 120117 90 12.01.2017, 10:53 Der Geschmack vom Staub des Lächelns

Ich glaube sehr an den Zufall. Besser gesagt, an die Re- gelmäßigkeit des Zufalls. Auf den ersten Blick ist es ein linguistisch-semantischer Paradoxon, aber ich kann noch mehr hinzufügen ∑ der Zufall ist eine Art Ritus, ein seit Jahren gewöhnter, angenehmer Ritus. Stellt euch einen ganz gewöhnlichen Wochentag vor ∑ Dienstag etwa ∑ ein Tag von Nichts. Dein Morgen be- ginnt gewöhnlich um 7 Uhr (eigentlich beginnt er noch früher, aber um diese Zeit wachst du auf), das gewohnte morgendliche Wirrwarr, das Verlassen der Wohnung mit schwerem Herzen ∑ du musstest Gio wieder bei dem Kin- dermädchen lassen usw. Der Weg zur Arbeit, der übliche Fluss von Autos, in den du nicht nur zweimal, sondern täglich steigst. Es gäbe nichts Interessantes, wenn nicht das Warten auf einen Zufall ∑ dieses stille, merkwürdige Gefühl, dass dieser Tag durch etwas verändert wird, dass alles zu einem leuchtenden Zufall führt, genau das ist die Gesetzmäßigkeit eines Zufalls. Genau so kommen Menschen in dein Leben, Gerichte, Geschmäcker, Dinge, Orte, Straßenwerbungen, Haltestel- len, Ideen, Rezepte, Menschen und Bücher. Ich glaube sehr an die Gesetzmäßigkeit des Zufalls. Auch diesen Morgen ist bei mir ein solcher Zufall zu Gast. Er heißt ≈Der Staub des Lächelns« (Marie Métrailler, Die Reise der Seele). Ins Georgische wurde es von David Akriani übersetzt und enthält alltägliche Dialoge von zwei Frauen ∑ Marie Métrailler und Marie-Magdaleine Brumagne. Besser gesagt, außergewöhnlichen, höchst außergewöhnlichen Frauen … Marie Métrailler ist eine in einem Schweizer Bergdorf lebende Frau. Sie erzählt

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P-Geogische Koch Print 120117 91 12.01.2017, 10:53 phantastische Geschichten über tägliche Wunder, Riten, das Überwinden von Notlagen, über Stärke und Mäch- tigkeit, Feen, Blumen, Herden von Ziegen und Schafen, über das Leben, Kochkunst, Käse, Wahlrecht, Literatur, Philosophie und noch vieles andere. Wenn tausend verschiedene Dinge euch interessieren, solltet ihr unbedingt dieses Buch suchen. Davor werde ich euch einige Ausschnitte vorlesen: Die Geschichten aus dem persönlichen Kochbuch dieser wunderbaren Frau, über ihr eigenes Zimmer, eigene Stärke und eigene Einsam- keit; die Einsamkeit ist wie ein Ritus, mit streng definier- ten Regeln, festgelegten Sitzplätzen am Tisch, mit der Geschirrqualität und der Tradition des Tischdeckens, mit Musik und Stille, mit Stille und Musik.

≈Großmutters Leitspruch: ›Mit dem leben, was man im Haus hat‹. Mit unseren hauseigenen Mitteln! In dem ab- geschlossenen Tal, dessen Bevölkerung damals nicht klei- ner als heute war, hat man es immer so gehalten, wenn man auch auf winzigen Landstücken hauste. Die Familien waren groß. Zum Glück heirateten nicht alle. Mit unseren hauseigenen Mitteln haben wir nie Hunger gelitten, wenn wir auch wenig besaßen.«

≈Die Marmelade. Die mussten wir machen. Wir pflück- ten die kleinen Früchte überall. An einem Tag konnte man zehn Kilo wilde Himbeeren und roter Heidelbeeren sam- meln. Am Tag darauf ging es weiter. Die klassische Fruchtkonfitüre kennt jedermann. Sie ist nicht unbedingt besser, als was wir hier aus jenen Beeren machten, die in Sonne und großer Höhe reiften.«

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P-Geogische Koch Print 120117 92 12.01.2017, 10:53 ≈Um auf die Feen zurückzukommen: Ich habe meine ganze Kindheit mit ihnen verbracht. Es gab welche in Evolène, im Märchenschloss, im Felshaufen über dem Dorf. Dort lebten Die Feen des großen Tales. Man sagt, sie wegge- zogen, weil die Leute ganz dem Materialismus verfielen. Ich weiß nicht, wann sie fort gegangen sind, den Schlüssel zum Schloss ins Gebüsch geworfen haben, doch auf aben- teuerliche Weise bin ich zu einem Schlüssel gekommen…«

≈Hast du im Sommer all die Schmetterlinge gesehen? Wenn du einen Bach entlang spazierst, wirst du eine Un- zahl davon aufscheuchen. Mit den herrlichsten Farben. Der Vulkan, schwarz-braun mit rotem Band. Er verpuppt sich auf den Brennesseln. Der weiße Apollofalter oder der sehr helle, grüne …«

≈Der Duft steigt auf; die Luft, die man einatmet, riecht nach Honig. Ich glaube, dass die Blumen all ihre duften- den Essenzen nur in jener Höhe von sich geben, die ihrem vollen Erblühen genau entspricht. Dies ist keineswegs eine wissenschaftliche Theorie; aber ich bin mir sicher.«

≈Das Essen bereiteten wir auf der Kochstelle zu. Sämtliche Töpfe hingen an den Kesselhaken. Die Hefen, die man nicht aufhängte, stellte man auf den Dreifuß. Wir hatten eine sehr einfache Kost. Kartoffeln, Salate aus den kleinen Gärten begleiteten den Käse. Den Mais brachten wir mit herauf. Am Sonntag gab es Polenta mit einem Stück Fleisch, wie im Dorf. Welch friedliche Zeiten, reich an Entdeckungen, neuen Eindrücken. Heute geht das Leben zu schnell, als dass man es in kleinen Schlucken kosten könnte.«

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P-Geogische Koch Print 120117 93 12.01.2017, 10:53 ≈Die Raclette, die wir kannten, war nicht, was man jetzt daraus macht, wenn man Käse herunterschabt, der an der Hitze eines Feuers oder elektrischen Apparates geschmol- zen ist. Man spießte ein Stück Käse auf eine dreispitzige Astgabel und ließ ihn an der Glut rösten. Dazu hat man Roggenbrot gegessen; das gibt es nicht mehr, man möchte meinen, die Bäcker hätten das Rezept verloren. Jenes Brot machte man auf sechs Monate hinaus!«

≈Im Frühling ging Vater in den Keller und sah sich seine Käselaibe noch einmal an. Erst wusch er sie mit einem guten Weißwein, dann rieb er sie mit Olivenöl ein. Damit musste man sorgsam umgehen, sollten sie nicht ranzig werden. Die Rinde wurde leuchtend gelb und der Käse hatte einen Geschmack… mehr sage ich nicht!«

≈Erst Kartoffeln und Rüben in ziemlich dünne Scheiben schneiden. In eine feuerfeste Schüssel legst du eine Schicht Kartoffeln, dann eine mit Rüben. Gibst geriebenen Käse hinzu. Das wiederholst du bis an den Rand der Schüssel. Dann gießt du ein wenig Fleischbrühe dazu, aus Knochen und Fleischresten. Langsam im Ofen backen lassen.«

≈Man schneidet Kartoffeln in kleine Würfel und gibt sie ins siedende Wasser, um sie weich zu kochen. Daneben kocht man die gleiche Menge sehr feine Nudeln. In einer Pfanne brät man nebeneinander Kartoffeln und Nudeln in Öl. Gut bräunen. Vermischen und kleine Käsewürfel darüber streuen. Walliser, die aus der Fremde zur Landes- ausstellung 1964 gekommen waren, schrien in dem Restau- rant, das unsere Spezialitäten feilbot, mit Leib und Seele nach diesem Gericht. Ich versichere dir, ich habe gesehen,

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P-Geogische Koch Print 120117 94 12.01.2017, 10:53 mit welch religiöser Inbrust sie ihre Nudeln aßen. Sie hatten dabei das ganze Land am Gaumen! Dann gab es noch kroukchanch, an der Sonne gedörrte Früchte, die man im Winter aß: Äpfel, Birnen, halbe Marillen. Die hatten einen Geschmack, den ich nie wieder gefunden habe. Sie waren prall voll Sonne, unbehandelt und reif.«

≈Es war eine harte, schwere Zeit, und zugleich voller Wunder, wenn man sie zu deuten wusste, wenn man den nährenden Saft der bitteren Wurzel fand, wenn man seinen Lebenshunger, seine Daseinsneugier darauf zu richten wusste. Eine Zeit der Armut, trotzdem voll mit wahrem Reichtum.«

Die Gesetzmäßigkeit des Zufalls war es, dass ich vor ein paar, besser gesagt vor vielen Jahren an einer studentische Expedition in Chewsureti teilnahm, am Fuß des Dorfes Ardoti, neben dem Fluss Arghuni. Marie Métrailler hatte mich an die einzige Gastgeberin des Dorfes Ardoti erin- nert, Mariam, mit zwei goldfarbenen Kindern und einem, bei der Flotte dienendem Lyriker als Ehemann. Sie war die einzige Gastgeberin, weil im Dorf nur ihre Familien ge- blieben war. Alle anderen waren in das Tal gezogen ∑ die Trolle und Feen aus Chewsureti wurden allein gelassen. Wie der Zufall es wollte, hat Mariam mich und einige meiner Freunde bei sich aufgenommen. Und so gerieten wir mitten hinein in ein sehr schwie- riges und trotzdem glückliches Leben. Ich erzähle nichts vom Himmel, der greifbar nahe schien, vom sehr alten Dorf, das im Winter vom Rest der Welt völlig abgeschottet wurde, von Ikonen und Dorf- ältesten, von Bergen, von den chewsurischen Liedern über

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P-Geogische Koch Print 120117 95 12.01.2017, 10:53 Einsamkeit, von dem Morgennebel und der strahlenden Mittagssonne. Ich denke jetzt nur an unsere Gastgeberin zurück ∑ nachdem sie die Kühe zum Weiden geschickt, Milch und Käse eingebracht, das Wasser geholt, die Wäsche gewaschen und getrocknet, das Haus aufgeräumt und geputzt, die Kinder gebadet und gepflegt, das Mittages- sen gekocht, Brot und Pchlowana gebacken, die Gäste empfangen und zur Tür begleitet, und nachdem sie noch mehr ganz gewöhnliche Aufgaben erledigt hatte, trank sie mit uns noch Dost-Tee, las die chewsurischen Gedichte vor ∑ und auf ihrem Gesicht erlosch nie das blasse Lächeln ∑ der Staub des Lächelns.

≈In Ewolen ist ein einziger Mann, und sogar er ist eine Frau«, so sagt man über Marie Métrailler in diesem ab- gelegenen Dorf in der Schweiz. Auch die Vornamen stim- men durch Zufall überein. Ich glaube an die Gesetzmäßigkeit des Zufalls ∑ er ist mein Lebensritus.

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P-Geogische Koch Print 120117 96 12.01.2017, 10:53 Mutter

In habe ein Kochbuch mit Eintragungen gefunden. Es lag zu Hause, in einer dunklen Schrankecke. Es ist ein ganz gewöhnliches Heftchen im hellblauen Umschlag mit To- maten und Paprika, Löffel und Schaumlöffel darauf ∑ ein für die sowjetische Massenkultur charakteristisches ein- faches Stillleben, ein wenig verblasst und mit an einigen Stellen abgetragener Farbe. Ich wunderte mich, es auf diese Weise zu entdecken, denn, der Platz für Rezepte befindet sich auf dem kleinen Regal in der Küche, wo auch meine kleine kulinarische Bibliothek platziert ist, die alten Rezepte von meiner Großmutter, meine Rezepte, die Rezepte von meiner Mutter, aus den Zeitungen heraus- geschnittene und von den Nachbarn diktierte Rezepte. Aber dieses Buch liegt ganz alleine im Schrank, der eigent- lich mit alten Tischdecken mit Spitzen und Stoffservietten gefüllt ist, ich nutze sie nur noch selten. Ich blättere im Buch durch. ≈Nana« steht auf der Ti- telseite, ich blättere, blättere und lese. Es ist das Kochbuch meiner Mutter, außer Rezepten gibt es Randbemerkungen, Bilder, Kritzeleien, wahr- scheinlich aus der früheren Kindheit von einer von uns. Warum habe ich das Buch noch nie gesehen? Ich beginne zu lesen, alles ist gut bekannt ∑ die Ge- schmäcker, an die ich mich erinnere, die Gerichte, die die Mutter für uns gekocht hat, die überbackenen Pastetchen und Kuchen, Konserven und eingelegtes Gemüse … Hin und wieder gibt es Eintragungen: ≈Giorgi braucht mehr Milchprodukte«, ≈Diana muss zum Augenarzt gebracht werden«, oder ≈Musiklehrerin von Elsa anrufen« … Oder Randbemerkungen, z.B. neben dem Rezept von

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P-Geogische Koch Print 120117 97 12.01.2017, 10:53 Fleischrouladen: ≈Dimitri (mein Vater) mag weniger scharf«, oder neben dem Keks-Rezept: ≈Diana isst kein Apfelpüree«. Hier stehen noch andere Dinge, manche so persönlich, dass ich sie sogar mit euch nicht teilen kann ∑ intim wie Liebesbriefe, geheim zu halten wie eine Beichte. Nicht nur das, ich begreife, warum ich dieses Buch noch nie gesehen habe ∑ es war nicht nötig. Plötzlich dämmert es mir, dass dieses Rezeptbuch in Wirklichkeit die Biografie meiner Mutter ist, die Speisen und Zutaten ändern sich von Jahr zu Jahr, von unserer Kind- heit bis zur unserem Erwachsensein, vom Leben unseres Vaters bis zu seinem Tod. Andere Menschen betraten und verließen ihr Leben ∑ was bleibt, sind die von ihnen mitgeteilten Rezepte. Hier, diese Frau wohnte über uns, dann tauschte sie die Woh- nung um oder verkaufte sie, ich weiß es nicht mehr genau. Dafür ist in diesem Buch ein Rezept von ihr geblieben ∑ ≈Rote Tomaten mit Walnüssen«. Es ist ein einfaches und leichtes Rezept, genauso wie das Hauskleid von ihr, dunkel- blau und ein wenig abgetragen:

Rote Tomaten mit Walnüssen Zutaten: 1 kg Tomaten, 200 g Walnüsse, 2 ∑ 3 Zwiebeln, 2 Knob- lauchzehen, 50 g Koriander, Salz, Pfeffer, Petersilie, Wein- essig, Wasser nach Geschmack Den kleinen, harten Tomaten schneiden wir den Stiel- ansatz ab, höhlen sie aus, ohne dass ihre Schalen verletzt werden und stellen sie kopfüber auf das Küchenbrett, damit sie entsaften. Die pürierten Walnüsse, Salz nach Geschmack, Koriander, Knoblauch, klein gehackte Zwie-

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P-Geogische Koch Print 120117 98 12.01.2017, 10:53 beln, Petersilie, roter und schwarzer Pfeffer, Weinessig und ein wenig Wasser zu einer Füllung verarbeiten ∑ mit dieser Masse füllen wir die Tomaten aus, legen sie auf ein Tablett und besprühen sie mit Walnussöl.

Mein Lieblingsdessert war ≈Schokmanje«, ein Schokoladen- Mousse. Ich vergötterte es wahrhaftig. Die Mutter fügte noch entkernte Kirschen hinzu. Wenn ich gut lernte, durfte ich dieses Dessert essen und sogar mein Lieblingsbuch ≈Mutter, Vater, acht Kinder und der Lastwagen« lesen.

Hier noch der Kuchen ≈Lämmchen«. Wie ich in Erinne- rung habe, gab es eine spezielle Backform in Form eines Schafes. Der Kuchen wurde zu Ostern gebacken und zusammen mit der frisch aufgegangenen Saat auf dem Porzellanteller platziert. Ich habe die ganze Küche auf den Kopf gestellt, konnte die Form aber nicht finden. Das Rezept wäre doch so leicht nachzumachen. Ich hätte es ganz gern für Gio zum Ostern gebacken:

≈Lämmchen« Zutaten: 5 Eier, eine Packung Butter, 1 l Milch, zwei Tassen Zucker, ein EL Essig, 1 TL Back- Soda, eine Prise Vanille Alle Zutaten vermischen und so viel Mehl einrühren, soviel es vertragen kann. Der Teig darf weder zu hart, noch zu weich werden. Die Form wird eingefettet, mit Teig gefüllt und zugedeckt gebacken.

Die Torte ≈Prag«, ≈Bärchen«, ≈Ideal«, ≈Vogelmilch«, ≈Honigkuchen« ∑ geläufige Rezepte … Ich lese, langsam

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P-Geogische Koch Print 120117 99 12.01.2017, 10:53 verschwindet erst Milch, dann wird die Butter durch Margarine ersetzt, später mit der billigen türkischen Kochbutter, dann wird der Zucker weniger, ≈Apfel- marmelade ohne Zucker«, Kuchen ≈Sigua«, ≈Chatschapuri mit Makkaroni« … Nach und nach finden in den Rezep- ten Milchpulver, Kartoffelpulver, Eipulver und noch an- dere Pulver Platz, am Ende gibt’s auch keine Pulver mehr. ≈Adjarisches Chatschapuri aus Schwarzbrot«, ≈Chartscho aus Brot«, ≈Gebratenes Brot mit Dill und Zwiebeln«, verschiedene Konserven…

Kartoffelpizza Zutaten: 2 mittlere oder eine große Kartoffel, 1 Zwiebel, 1 Tasse Mehl und Wasser und Salz, soviel das Mehl braucht, um zum Teig zu werden, 1/2 TL Kochbutter

Erhitzen Sie die Kochbutter in der Pfanne, braten Sie die Zwiebelringe zusammen mit geschnittenen Kartoffeln. Wenn sie gut gebraten sind, bereiten Sie einen dünnen Teig zu und gießen ihn darauf. In einigen Minuten ist es bereits fertig und kann serviert werden.

Ich lese und stelle mir vor ∑ wie sie mit ihrem Witwen- dasein kämpft, wie sie versucht aus dem Stein Wasser herauszupressen, Kupfer zum Gold zu verwandeln, aus Erde ein Gericht zu zaubern, die Luft zu backen und das Wasser zu kochen. Danach kann ich nicht mehr weiter lesen. Ich erstarre, mir kommen die Tränen und ich ver- misse ihre rauen Hände und ihre weiche, unglaublich weiche Stimme.

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P-Geogische Koch Print 120117 100 12.01.2017, 10:53 Schlagobers in verschiedenen Farben: Weiß ∑ Zucker, Vanille Rosa ∑ einige Tropfen Rosenwasser Gelb ∑ Safranextrakt Blau ∑ einige Tropfen von Lakmuswasser Rot ∑ gebrannter Zucker Braun ∑ ein wenig Kakao

Diese Farben standen in ihrem Kochbuch, doch ich erin- nere mich nur an das schwarze Kleid meiner Mutter.

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P-Geogische Koch Print 120117 101 12.01.2017, 10:53 Pfannkuchen und ein wenig von anderem

Ich möchte über die Georgierin mit den blondesten Haaren und über die Finnin mit dem dunkelsten Teint erzählen. Die eine ist Lyrikerin, die andere Schriftstellerin. Die eine kocht selten, die andere oft. Die eine ist hübsch, genauso die andere. Die eine ist Salome Benidze, die andere Maka Ldokonen.

Der Urgroßvater von Maka war ein großer finnischer Seemann mit blonden Haaren, blauen Augen und vielen Sommersprossen. Er diente auf einem Schiff und verliebte sich in die georgische Ehefrau des Schiffkapitäns ∑ eine bezaubernde Frau mit dunklem Teint und geraden Ge- sichtszügen. Der Schiffskapitän hat dem verliebten Ma- trosen das Land der Frauen mit dem dunklen Teint ge- zeigt, um das eigene, männliche Ehrgefühl zu schützen. Das Land war Georgien und der blonde Finne hat hier tatsächlich seine lang ersehnte Geliebte gefunden. Als Ergebnis ist Maka Ldokonen die Finnin mit dem dunkelsten Teint, die ich kenne. Sie ist eigentlich die einzige Finnin, die ich kenne. Sie ist Schriftstellerin, eine sehr gute Schrift- stellerin, vor zwei Jahren wurden ihre Erzählungen mit dem Literaturpreis ≈Saba« ausgezeichnet. In der Regel frage ich die Menschen, deren kulinari- sche Ideen mich interessieren, nicht über ihre Hauptbe- schäftigung, aber bei Maka gelingt es mir nicht, denn ihr erstes Buch heißt ≈Die Geschichten mit Sultaninen« ∑ und dieser Titel führt mich gleich zur Kochkunst. Also frage ich sie, warum denn ≈Sultaninen«? Sie antwortet, dass die Erinnerungen wie Sultaninen sind. Die wahren Geschich- ten trocknen in der Sonne, dörren aus, werden goldig und

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P-Geogische Koch Print 120117 102 12.01.2017, 10:53 süßlich und am Ende musst du sie auf dem silbernen Ta- blett verstreuen und langsam, genüsslich verkosten. Die Literatur ist auch so eine Sache, es ist schwer der Versu- chung zu widerstehen.

Sie hat so eine sinnliche Beziehung zu den Worten, dass ich vermutete, sie müsste sich als eine gute Köchin heraus- stellen. Meine Intuition hat mich nicht getäuscht. Ihre Feinschmeckerei hat ihre Wurzeln in der Kindheit: In ihrer Kindheiten feierte man den Pilmeni-Tag zusammen mit ihrem finnischen Großvater. Leider ist das Rezept verloren gegangen, aber an den Geschmack kann sie sich noch gut erinnern, an den Geschmack und die Stimmung. Außer- dem ist in ihrem Gedächtnis noch das von ihrer Großmutter gebackene Paska geblieben, und davon hat sie sogar in einem alten, verstaubten Kochbuch mit vergilbten Blät- tern noch das Rezept:

Paska von Marusia Zutaten: 1 kg Mehl, 1/2 Glas Milch, 40 g Hefe, 6 Eier, 300 g Butter, 2 Tassen Zucker, eine Messerspitze Salz, 150 g Sultani- nen, Muskatnuss, getrocknete und geriebene Orangen- schalen (werden vorher mit Alkohol bearbeitet), Vanille, 6 Kardamom-Kapseln

Wir verrühren warme Milch, Hefe und ein halbes Kilo Mehl und stellen es in die Wärme, bis der Teig aufgeht. Danach fügen wir mit Zucker verquirltes Eigelb, Vanille, Salz, geschmolzene Butter bei und vermengen alles mit- einander. Gründlich kneten. Danach verrühren wir das geschlagene Eiklar und den Rest vom Mehl und stellen es

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P-Geogische Koch Print 120117 103 12.01.2017, 10:53 wieder an einen warmen Platz. Nachdem der Teig noch einmal aufgegangen ist, kneten wir ihn erneut und ver- mengen ihn mit Sultaninen, Gewürzen und der in Alko- hol (Rum) eingelegten, geriebener Orangenschale. Eine Backform damit zu zwei Drittel befüllen. Für 50∑60 Mi- nuten bei niedriger Flamme backen.

Aber das ist ein Rezept von der Großmutter. Mich inter- essiert, was Maka selbst kocht, was ihr am besten gelingt. Als Antwort auf diese Frage erzählt sie mir die Geschichte von einer guten Schülerin, die von der Mutter verwöhnt wurde und die nicht einmal zum Herd schauen oder sich der verbotenen Küchenzone nähern durfte. Später hat dieses Mädchen geheiratet und ihr Mann plante im Scherz, sie mit goldenen Ketten in der Küche festzubinden. Doch solche radikalen Maßnahmen wurden nicht mehr ge- braucht ∑ Maka lernte bald, kulinarische Meisterwerke zu erschaffen. So ist das Schicksal von begabten Men- schen. Ich frage sie, was sie selbst am öftesten zubereitet. Die Antwort ist eindeutig ∑ Pfannkuchen! Pfannkuchen mit verschiedensten Füllungen und Saucen.

Pfannkuchenteig: Zutaten: 1 Ei, Vanille, Salz, 2 TL Zucker, 1 1/2 Glas Milch, 3 EL Öl, Mehl nach Augenmaß ∑ der Teig muss schwer und dick wie Sauerrahm werden.

Alle Zutaten miteinander vermengen, den Teig mindes- tens eine halbe Stunde lang ruhen lassen, oder ihn sogar für den ganzen Abend in den Kühlschrank stellen. Da- nach backen wir die Pfannkuchen in Öl in der Pfanne.

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P-Geogische Koch Print 120117 104 12.01.2017, 10:53 Füllungen: ∑ Sauerrahm und klein geschnittene Würstchen, ein paar Petersilienstängel; ∑ Schmelzkäse, Schinken und Pilze; ∑ Baumpilze, geriebene Karotten, geriebene Paprika, ge- schnittene Zwiebeln ∑ zusammen gebraten und gewürzt; ∑ Marmelade aus weißen Kirschen mit Sauerrahm oder Topfen, und so weiter und sofort

P.S. Noch ein nützlicher Ratschlag ∑ für das Backen jeg- licher Konditoreiwaren müssen die Zutaten Zimmertem- peratur haben, d.h. sie sollen früh genug aus dem Kühl- schrank genommen und im Vornherein erwärmt werden. Ratschläge hin oder her, ich denke immer noch über die Pfannkuchen nach. Ich stelle mir vor: Man nimmt einen dünnen Pfannkuchen, gießt darauf Honig, verstreut die gerösteten Mandeln und geschälten Sonnenblumenker- ne… Die Pfannkuchen erinnern mich an Salome, Salome erinnert mich an Litauen, Litauen ∑ an die litauischen Pfannkuchen, die litauischen Pfannkuchen ∑ an Salome … Oder habe ich es bereits gesagt?

Salome ist eine Dichterin. Ich habe sie auf einem litera- rischen Forum kennen gelernt, sie hat unter all meinen georgischen Bekannten die blondesten Haare, sie arbei- tet am härtesten und reist am öftesten. Sie liebt Reisen sehr, aber als ich ihre Gedichte gelesen habe, begriff ich, dass für sie die Freude des Zurückkehrens dermaßen wichtig ist, dass sie überall hin reisen und jedes Land be- sichtigen würde, nur um diese Freude zu fühlen.

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P-Geogische Koch Print 120117 105 12.01.2017, 10:53 ≈Der Report« ∑ so heißt ihr erster Gedichtband, den ich geografische Lyrik nenne. ≈Was haben die Pfannkuchen und die Geografie mit- einander zu tun?«, werdet ihr mich sicher fragen. Salome liebt Litauen über alles, Vilnius, wo sie ihren Magister machte und in das sie bis heute so zurückkehrt, wie in ihre Heimatstadt. Das bekannteste Gericht von Litauern ist der litauische Pfannkuchen, den sie mit solchem Genuss und Liebe zubereitet, dass ich ihn unbedingt probieren muss. Wenn Salome ein Gericht mag, und besonders, wenn sie es auch zubereitet, bedeutet es, dass es um ein wirk- lich besonderes Gericht geht. Warum das so ist, erkläre ich euch gleich. Ich kann mich lediglich an drei Fälle erinnern, als ich auf meine Freunde sauer wurde, nicht nur, weil sie keine Gourmets, sondern weil sie wahre Geschmacksbanausen sind, wie meine Großmutter Zinaida zu sagen pflegte. Einmal, als meine Besucher Irakli und Keto, anstatt den mit viel Mühe zubereiteten Fisch zu probieren, die Kar- toffelchips gegessen haben; ein zweites Mal war es in Sin- gapur, als an diesem Schmelzpunkt kulinarischer Wunder Natia zu mir sagte, dass sie sich nur mit Keksen und Ba- nanen mühevoll durchbringen konnte; und das dritte Mal war es Salome, die in Mexiko, das für alle Gourmets ein Traumland darstellt, außer McDonald’s-Burger nichts gegessen hatte. Was meint ihr: Die litauischen Gerichte müssen doch tatsächlich etwas Besonderes sein, wenn sie die nicht nur isst, sondern auch zubereitet?

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P-Geogische Koch Print 120117 106 12.01.2017, 10:53 Litauische Pfannkuchen Zutaten: 1 Ei, 1 TL Salz, 1 1/2 TL geriebene Zwiebel, 100 g Sauer- rahm, 2 Tassen geriebene rohe Kartoffeln, Mehl, soviel es verträgt

Das alles verquirlen wir gut miteinander und backen es in der heißen, eingefetteten Pfanne. Man kann die Pfann- kuchen mit Schmelzkäse oder Sauerrahm essen.

Dieses Gericht schmeckt besonders an einem warmen Oktoberabend, wenn du in Vilnius in irgendeinem Straßen- café sitzt, die frische Brise in der Luft zu spüren ist, du dich an den letzten Sonnenstrahlen wärmst, in eine ziegel- farbige Fleecedecke eingehüllt bist und dich um nichts auf der Welt kümmerst. Auch dies hat mir Salome erzählt, und ich glaube daran, dass die Menschen sich in die Städte verlieben und die Städte ∑ in die Menschen. Durch Salome von Litauen inspiriert, habe ich die litaui- schen Rezepte gesucht und bin dabei auf ein sehr interes- santes Gericht gestoßen. Wahrscheinlich werde ich es gleich heute Abend ausprobieren:

Brotsuppe mit verschiedenen Trockenfrüchten und Sauerrahm Zutaten: 200 g Roggenbrot, 2 l Wasser, 200 g Trockenfrüchte, eine Prise Zimt, 250 g Sauerrahm

Das Brot schneiden wir in kleine Würfel und braten sie goldbraun in wenig Fett. Die fertigen Croutons begießen wir mit kochendem Wasser und lassen sie für einige Zeit

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P-Geogische Koch Print 120117 107 12.01.2017, 10:53 stehen. Die Trockenfrüchte kochen wir zusammen mit Zucker und Zimt auf, die eingeweichten Brotwürfel pas- sieren wir durch ein Sieb und vermischen alles mit dem Kompott aus Trockenfrüchten, alles passieren und die saure Sahne hinzufügen. Ich denke, das wird genau das Richtige für kalte Winterabende sein. Genießen Sie es!

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P-Geogische Koch Print 120117 108 12.01.2017, 10:53 Kulinarischer Egoismus auf einfache Art oder: Drei köstliche, belegte Brote

Am Anfang war ein belegtes Brot. Nein, nein, ich irre mich. Am Anfang war das Wort und dieses Wort war ≈Brot«, später kam darauf irgendein Kräuterblatt oder vielleicht sogar ein prähistorisches Käsestück, und so entstand das belegte Brot. Es geschah am siebenten Tag, als Gott alles erschaf- fen hatte, sich ausruhte und das mit Mond belegte Brot aß, das auf einer Wolke lag. ∑ Es steht euch frei, mir zu sagen, dass meine Religion aus Lebensmitteln besteht. Ich werde mich verteidigen und behaupten, dass meine Re- ligion die Liebe ist. Aus Schwärmerei schrieb ich Gedich- te; aus Liebe zu meinem Mann, Zaza, backe ich Kuchen; aus der Liebe zur Sprache, eines Forschungsobjektes, verfasste ich die wissenschaftlichen Arbeiten, und aus Liebe zu mir selbst mache ich die belegten Brote ∑ keine gewöhnlichen, sondern manchmal außergewöhnliche. Also will ich jetzt davon erzählen.

Im Grunde genommen ist das Kochen für sich selbst die egoistischste Handlung auf der ganzen Welt, die egoistische und zugleich auch die ehrlichste. Wenn du vor anderen nicht wirklich preisgeben magst, dass dieses oder jenes Gewürz im Gericht überflüssig ist, oder beispielsweise, dass du keine gedünsteten Zwiebeln magst ∑ für dich selbst brauchst du dich nicht zu verstellen. Du gibst dir genau vor ∑ das Brot soll so und so geröstet sein, die Butter so und so viel, und so weiter und so fort. Es ist eine Art Therapie: Du sitzt in der eigenen Küche, und wie eine

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P-Geogische Koch Print 120117 109 12.01.2017, 10:53 professionelle Psychotherapeutin fragst du dich selbst: Was und wie ist es passiert, wie konntest du eigentlich dazu kommen…? Danach findet alles seinen Platz, und während du für das Dessert die Äpfel schälst, wird beim Kochen alles all- mählich klar und einfach. Also beginnen wir mit diesem harmlosen und therapeutischen Egoismus: Fangen wir mit Brot an. Das Brot wählen wir nur nach der eigenen Laune ∑ dunkles Brot, Weiß-, Schwarz-, Weizen-, Roggen-, Toast- Brot, geröstet, ganz frisch oder ein wenig ausgetrocknet, Baguette oder Brötchen… Hauptsache ist das Brot, alles andere wird schon dazu passen:

Belegtes Brot ≈Oktoberruhe« (Das bereitest du dann zu, wenn es Herbst ist, draußen die Oktobersonne scheint, wenn man dir aus dem Dorf den Wein geschickt hat und du die Gedichte von Jalal ad-Din Rumi liest.)

Zutaten: Weißbrot, Quittenkonfitüre, weiße und schwarze Wein- trauben, Rahmbutter, holländischer Käse, Zimt, Schoko- glasur

Eine Scheibe Weißbrot wird im Ofen ein wenig erwärmt, darauf wird die Rahmbutter und Quittenmarmelade ge- strichen, das Brot bestreut man mit gemahlenem Zimt und belegt es mit einer dünnen Scheibe Käse. Die Wein- trauben werden halbiert und auf den Käse gelegt. Anschlie- ßend mit Schokoglasur verzieren.

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P-Geogische Koch Print 120117 110 12.01.2017, 10:53 Belegtes Brot ≈Vulgäre Paprika« (Es ist ein belegtes Brot für einen heißen Sommer, man muss dazu Zitronensaft trinken und sich von den kuba- nischen -Rhythmen mitreißen lassen.)

Zutaten: Sesambrötchen, Käse ≈Gouda«, Hähnchenfilet, grüne, gelbe und rote Paprika, Salatblätter, getrocknetes Basili- kum, süßer Senf (Mustarda)

Auf das Brötchen streichen Sie Mustarada, darauf legen Sie die Salatblätter, mit Basilikum bestreutes Hähnchen- filet, Käsescheibe und dünn geschnittene Paprika. Obenauf kommt die mit Mustarda bestrichene zweite Brötchen- hälfte. Stellen Sie es für 5 Minuten in den Ofen.

Einfaches, mit Fisch belegtes Brot Zutaten: 1 Scheibe Schwarzbrot, Gurke, schwarzer Pfeffer, Salzhe- ring, Sojasauce, Jungzwiebeln, ein Stück Grapefruit

Auf die Brotscheibe gießen Sie die Sojasauce und belegen sie mit dünn geschnittenen, gepfefferten Gurken und Fisch, außerdem mit einer geschälten, dünnen Grapefruit- scheibe und gehackten grünen Zwiebeln.

Fühlen Sie sich nicht ein wenig besser?

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P-Geogische Koch Print 120117 111 12.01.2017, 10:53 Begegnungen und andere Glücksrezepte

Wenn mein Flugzeug im Flughafen von Thessaloniki landet, ist das Erste, woran ich denke, dass ich sehr hungrig bin. Erst danach erinnere ich mich an meine Familie, die ich seit langem nicht mehr gesehen habe und an die Freude des Wiedersehens, die mich in einer etwa halben Stunde erwartet. Also nachdem der Zöllner sehr lange und gründ- lich meine mit geräuchertem Käse, Maismehl, Adschika, Kupati und wer weiß noch mit was gefüllten Taschen durchsucht hat (der in der Wäsche eingewickelte Wein ist im Koffer versteckt), ein wenig meckert, dann auf meinen griechischen Pass einen Blick wirft, mich zur glücklichen Ankunft beglückwünscht und ich den Gepäckwagen schiebend zum hundertsten Mal den Ausgang zu suchen beginne. Ich habe einen grottenschlechten Orientierungs- sinn. Ich suche den Ausgang immer an einer völlig fal- schen Stelle. Am Ausgang wird mich meine große griechische Fami- lie erwarten ∑ Mutter, meine Schwester Elsa, der Schwager Iorgo, Bruder Giorgi, Schwägerin Natalia und die Kinder ∑ Kiriakos, Elpida, Viktoria, Dimitri und Waleri. Nach den ersehnten Umarmungen, dem Austausch all der Küsse, die sich in der langen Zeitspanne angesammelt haben und nach der Begutachtung meines Erscheinungs- bildes (die Mutter wird sagen, dass ich wieder abgenom- men habe, dass ihr meine Gesichtsfarbe nicht gefällt und dass ich bis heute nicht gelernt habe, mich meinem Alter entsprechend anzuziehen), eilen wir gemeinsam dorthin, wohin wir nach meiner Ankunft immer gehen ∑ es ist das Wirtshaus von Kiria Maria, eine halbe Stunde Fahrt von Thessaloniki entfernt, in der Umgebung unserer kleinen

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P-Geogische Koch Print 120117 112 12.01.2017, 10:53 Stadt. Ich bin in Thessalien und ein gutes Mittagessen gehört schließlich dazu. Es ist noch Vormittag, also muss man sich vor der Hitze noch nicht fürchten, sondern kann den Kopf aus dem Autofenster recken und all die Oliven-, Kirsch-, Pfir- sich-, Zitrusgärten und Weinberge rechts und links der Straße betrachten. Der Anblick, den ich am meisten mag, sind, an beiden Straßenseiten zum Trocknen aufgehängte, goldfarbig schimmernde Sultanin-Weintrauben. Darauf folgt dann ein griechisches Dorf, dann wieder die Gärten, dann die Ruinen von irgendeinem antiken Tempel oder der Stadt. Jetzt zum Beispiel sind wir an dem Schloss von Phillip von Mazedonien, dem Vater von Alexander des Großen, vorbeigefahren, danach kommt noch ein griechi- sches Dorf und endlich erscheint das Wirtshaus von Kiria Maria. Unterwegs lachen wir natürlich über die Witze von meinem Schwager (so wie bei den Swanen, erzählen die Griechen aus Ponto die meisten Witze über die Griechen aus Ponto), wir schaffen sogar, uns über Politik zu streiten und bekommen mehr und mehr Hunger.

Das Wirtshaus besteht aus dem mit Weinreben bedeckten kleinen Hof, aus blau gefärbten Holztischen und weißen Stühlen, blauweiß karierten Tischdecken, weißen Servi- etten. Auf jedem Tisch steht das hausgemachte Olivenöl, Zitronenessig, Salz, Pfeffer und meine Lieblingslektüre nach Besik Charanaulis ≈ Besarion« ∑ die Speise- karte ∑ jene Literatur, die mich nie langweilt. Also schauen wir rein: Das traditionelle Bratfleischsortiment ∑ Schaschliks aus Schwein, Rind, Ziege, Schaf, Hase, sowie Geflügel.

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P-Geogische Koch Print 120117 113 12.01.2017, 10:53 Dolma im Weinblatt und Zitronensaft (Dolma haben die Griechen erfunden, so!) Langusten in Olivenöl und Zitronensaft Hasen-Stifado Schaf-Frikassee Mit Schinken und Käse gefüllte Tomaten Suppe aus weißen Bohnen Gefüllte Zucchini Suppe aus Zucchini und Kürbisblättern Spinat mit Fleisch Gefüllte Kalmare Tintenfisch in Weinsauce Gedünstetes Wildschweinfleisch Gegrilltes Jagdfleisch Hausgemachtes Joghurt Und so weiter und so fort.

Ihr könnt bestimmt nachvollziehen, wie ich mich fühle. Es sind die angenehmsten Momente ∑ diese Beratung im Familienkreis nach griechischer Art, also sehr laut geführte Diskussionen, und die Bestellung ist endlich aufgegeben. Jetzt bleibt uns nur noch das Warten. Wir versuchen uns die Zeit mit Gespräch zu vertreiben. Ich bin doch Philo- login und die ganzen Jahre habe ich damit verbracht, mir anzuhören, dass ≈begraben ist die georgische Sprache bis zum Tage Seiner zweiten Ankunft, um Zeugnis abzulegen, damit Gott jede Sprache durch diese Sprache überführe.« (Ioane Zosime, Lob und Preis der georgischen Sprache) Genau die gleiche Fakultät, aber mit der Fachrichtung griechische Philologie, hat mein Schwager in Thessaloniki absolviert, und er hat bestimmt ähnliche Texte über die griechische Sprache gehört ∑ also gibt es genügend Stoff, um uns zu streiten. Es ist doch so leicht, auf leeren Magen

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P-Geogische Koch Print 120117 114 12.01.2017, 10:53 über tiefgründige philosophische Fragen leidenschaftlich zu streiten, vor allem, wenn das griechisch-georgische Temperament dir keine Ruhe lässt. Als ob wir zusätzliche Gründe bräuchten, um den Appetit noch mehr zu wecken, aber die Macht der Ge- wohnheit halt… Ein kleines Glas Ouzo, griechischer Käse und Oliven ∑ also was in unserer Sprache die Vorspeise genannt wird, klingt auf Georgisch so: Legen wir drunter! Legen wir drunter!

Ouzo ist griechischer Wodka, aus Sternanis. Er hat einen angenehmen Duft und eine wunderschöne Farbe. Mein Mann nennt ihn Baldriantropfen und trinkt ihn nicht, aber ich liebe genau diesen Kräutergeschmack. Auch der Käse ist griechisch ∑ Manouri, der harte Schafs- oder Zie- genkäse. (Beim Schafskäse muss ich immer an den armen Zyklop denken, dessen ungebetenen Gäste seinen ganzen Vorrat an Käse vernichtet und ihn mit nur einem Auge zurückgelassen haben. Unser Gastgeber hatte diesmal Glück, denn wir waren in völlig friedlicher Absicht zu Gast.) Mit der Vielfalt an Variationen, wie man Oliven, den Nationalstolz der Griechen, verwendet oder aufbewahrt, kann kein anderes Land mithalten: Es gibt schwarze, grüne, bläuliche Oliven, eingelegte Oliven, Olivenkonfitüre, Olivenpasta, Oliven zusammen mit anderem Gemüse, Oliven im Winter, Oliven im Sommer und im Herbst.

Aber jetzt ist Schluss mit den Oliven, denn die Gastgeberin schmückt unsere Tafel allmählich mit unterschiedlichen Gerichten. Und schon wechselt der philosophische Ge- dankengang meines Schwagers von den linguistischen Themen zu den kulinarischen. Er sagt, dass, als die ganze

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P-Geogische Koch Print 120117 115 12.01.2017, 10:53 Welt auf Feuer gebratenes Jagdfleisch, Pflanzenwurzeln und Blumenzwiebeln aß, die alten Griechen bereits die Fischsuppe und überbackene Fleischpastetchen zuberei- teten. Ich verteidige meine Position mit den kulinarischen Errungenschaften der goldreichen Kolchis, doch nach ei- niger Zeit verstummen wir alle. Nur Hunger und köstli- che Speisen können die Diskussion der Griechen über ihre Geschichte und philosophische Fragen unterbrechen.

Ich beginne mit dem Salat. Ich mag die leichte Ouvertüre vor dem vergleichbar schweren ersten Gang. Im Prinzip ist der weltbekannte griechische Salat, den die Griechen als Bauernsalat bezeichnen, nichts Besonderes, eigentlich ein ganz normaler Salat. Zu etwas Besonderem machen ihn der Ziegenkäse Feta, kaltgepresstes Olivenöl höchster Qualität und die Oliven. Auch der Zitronensaft und frisch gepflücktes griechisches Basilikum peppen ihn auf. Ein weiterer, leichter Vorspeisen-Salat, der auch als Sauce oder Beilage zu Fleisch- oder Geflügelgerichten dienen kann, ist Zaziki. Diese Speise ist auch bei georgischen Griechen sehr populär, meine Großmutter aus Dmanisi hat es für mich in den Sommern zubereitet. Das Rezept ist sehr einfach und das Ergebnis köstlich:

Zaziki Zutaten: einige Gurken, eine Tasse passierten Topfen, 3∑4 Knob- lauchzehen, Zitronensaft, ein Teelöffel Olivenöl, einige Blätter frischer Minze.

Die geschälten Gurken werden gerieben. Mit Topfen ver- mischen wir den zerdrückten Knoblauch, Öl, eine Prise

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P-Geogische Koch Print 120117 116 12.01.2017, 10:53 Salz, Zitronensaft, klein gehackte Minze und verrühren alles mit den geriebenen Gurken.

Mit so zubereitetem Zaziki könnt ihr gegrillte süße Papri- ka, Tomaten oder Auberginen füllen. Für das Gemüse kann man auch mit scharfem Paprika gewürzte Käse- sauce verwenden. Was die Hauptspeisen betrifft, ähnlich der georgischen Küche, ist auch die griechische Küche sehr kalorienreich, woran vor allem die Fleischgerichte schuld sind. In Eu- ropa kann man wahrscheinlich nirgendwo eine so köst- liche Vielzahl an Fleischspießen genießen, wie in einem griechischen Wirtshaus.

Wir bekommen aber jetzt eine vergleichsweise leichte Speise, eine Fischsuppe, die aus drei verschiedenen Fisch- sorten gekocht wurde und mich nach der Reise wieder wunderbar zu Kräften kommen lässt. Den Fisch und die Meeresprodukte genießen wir auch auf andere Art und Weise: als gebratene Sardinen in Zitronensauce, in Wein eingelegten Tintenfisch und kalt servierte Kalmare.

Meine besondere Aufmerksamkeit gilt jetzt aber einem sehr farbenfrohen Gericht. Ich habe es noch nicht pro- biert: gebratene Kürbisblüten. Diese Kürbisblüten kann man auch in Suppen finden oder so:

Bratlinge aus Zucchini- und Kürbisblüten Zutaten: 10 Kürbisblüten, 2 große Zucchini, eine Teetasse mit ge- riebenem griechischen Käse (≈Kefalotiri«), 1 EL Olivenöl,

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P-Geogische Koch Print 120117 117 12.01.2017, 10:53 2 EL Ziegentopfen, Rigani (griechisches Basilikum), ein wenig Zitronensaft, ein EL Mehl, scharfes Paprikapulver.

In der erhitzten Pfanne braten wir die geriebenen Zucchini an, mengen die klein gehackten Kürbisblüten, den gerie- benen Käse, Topfen, Salz, scharfes Paprika und Basilikum bei, verdicken das Ganze mit Mehl und formen Bällchen daraus. Diese Bällchen panieren wir in Mehl und braten sie in Olivenöl. Anschließend werden sie mit Zitronensaft und Ziegentopfen übergossen.

Ich muss einige Worte über das Brot sagen. Zu diesem Mittagsessen wurden uns zwei Arten von Brot serviert ∑ normales Weißbrot mit Sesamkörnern und hausgemach- tes Dunkelbrot mit Oliven. Die Griechen lieben das Brot sehr und backen viele unterschiedliche Sorten ∑ ob für religiöse Zwecke, für Feste oder für das gewöhnliche Familienessen. Außer Brot haben wir noch verschiedene Pastetchen, die mit dem traditionellen griechischen Teig zubereitet und mit Käse und Spinat, mit Fleisch und wei- ßen Bohnen gefüllt werden. Dazu kommen Desserts mit Früchten, sowie unterschiedlichste griechische Süßigkei- ten. Ihr werdet mich nicht davon überzeugen können, dass es etwas Besseres als griechische Süßigkeiten gibt ∑ da bin ich grenzenlos subjektiv! Nehmen wir als Beispiel dieses einfache Rezept:

Griechisches Mandelgebäck Ein Eigelb, 400 Gramm erweichte Butter, eine Tasse Zucker, ein Kaffeebecher Cognac, darin eingerührt ein Teelöffel Soda und eine Prise Salz, miteinander vermengen. So viel

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P-Geogische Koch Print 120117 118 12.01.2017, 10:53 Mehl beigeben, wie es verträgt. Dem dünnen Teig mischen wir 200 Gramm geröstete Mandeln bei (Die Mandeln werden vorher im Wasser gekocht, geschält, geschnitten, geröstet). Die Teigbällchen werden zu Halbmonden geformt und im Backofen gebacken. Das heiße Gebäck wird mit Puderzucker bestäubt und über Nacht stehen gelassen. Ihr könnt sie am Morgen genießen.

Ich bin so gut gelaunt, dass mich sogar Autohupen zum Tanzen bringen könnte, und erst recht Bouzouki und Lyra. Bis wir nach Hause fahren, würde ich gern noch ein Eis essen, aber ich muss im Magen noch Platz für andere köstliche Treffen lassen. Der besondere Geschmack und der Duft dieses Fa- milientreffens macht den Verzicht aber wieder wett ∑ ist mit Vanillecreme der Sehnsucht verziert und mit Freuden- tränen begossen. Wenn mir das Finale zu süßlich geraten ist, verzeiht mir. Um das Ganze zu neutralisieren gibt’s noch, bitte- schön, den bitteren griechischen Kaffee zum Abschluss.

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P-Geogische Koch Print 120117 119 12.01.2017, 10:53 Die Jungs, und so weiter

Die Schule

In Beka war ich in der Grundschule verliebt. Er war ein- zigartig, hatte eine sehr ruhige und ausgeglichene Art zu sprechen, trug in der Schule einen weißen, gestärkten Mantel und eine glänzende, schöne Schultasche. Ich war völlig anders als er ∑ latschte mit getragenen, zu großen Schuhen herum, verbreitete komische Ideen, hatte den Ruf einer beklopften Dichterin. Ich war weder besonders hübsch, noch so farbenfroh wie meine Klassenfreundin Tamuna. Daher bin ich ihm auch nie aufgefallen. Aber ich liebte ihn, schrieb idiotische Gedichte, lernte die Gedichte anderer Dichter auswendig und deklamierte sie theatralisch. Richtiger Quatsch, es hat nichts genutzt. Im Prinzip nützen die Gedichte nie. Das einzige Mal, dass er mir seine Aufmerksamkeit widmete, war an dem Tag, als wir gemeinsam mit den Oberstufenschülern an einem Biologie-Wettbewerb teil- nahmen. Ich war der Kapitän unseres Teams (Ich erinnere mich noch gut daran, wie eine Lehrerin mich verächtlich angeschaut und verärgert gefragt hat, ob ich mich ange- sichts der anderen, herausgeputzten Kapitäne nicht schämen würde? Ich war eigentlich ganz normal angezogen ∑ mit Hose und T-Shirt. Die anderen hatten allerdings weiße Seidenhemden mit Spitzen an.) Um es kurz zu fassen: Wir haben gewonnen. Und es war ein sehr großer Sieg, die Fünftklässler haben die Sechs- und Siebentklässler be- siegt. Nach dem Spiel hat Beka allen Mädchen aus unse- rer Gruppe Rosen gebracht, die er vom Schulzaun pflückte.

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P-Geogische Koch Print 120117 120 12.01.2017, 10:53 Eine Kleinigkeit, doch diese Rose habe ich noch sehr lange Zeit aufbewahrt. Dann wurde er krank und ging lange Zeit nicht zur Schule. Man sagte uns, er hätte einen Tumor im Kopf. Ich habe nicht viel verstanden und hoffte, er würde nur einige Zeit krank sein und dann wieder genesen. Lange wartete ich darauf, dass er in die Schule zurückkehrte. Eines Tages, nach den Unterrichtsstunden, brachte uns die Lehrerin zu ihm. Er war schwach und blass, aber wie immer sehr ruhig und höflich. Er meinte, wir seien bestimmt hungrig, also gab er uns allen Thone-Brot und Käse … Ich saß da, schluckte Flusssteine zusammen mit versteinerten Fischen hinunter und konnte kein Wort herausbringen. Im Sommer, als ich bei der Großmutter war, sagte man mir, er sei gestorben. Da lief ich in das Haus, kletterte auf die riesige Aussteuer-Kiste meiner Oma und weinte sehr lange. So endete meine erste Liebe.

Ein Dichter, Keto und die Rahmsuppe

Keto ist meine Errungenschaft aus der Uni-Zeit, sozusagen. Das Wichtigste, was die Universität mir gab, war nicht das Diplom einer Philologin, oder die Kenntnis, wie man Passiv und Aktiv voneinander unterscheiden kann, son- dern es waren Keto und noch einige meiner wichtigsten Freunde. Ich war schon immer eher verschlossen, und so be- trachtete ich zu Studienbeginn an der Universität meine Kommilitonen, jene Menschen, mit denen ich die nächsten paar Jahre verbringen sollte, mit Interesse aber auch mit ein wenig Angst. An einem solchen Tag kam ein sehr

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P-Geogische Koch Print 120117 121 12.01.2017, 10:53 hübsches, in Lila und Rosa gekleidetes junges Mädchen auf mich zu. Ihre Art war dermaßen aufgeschlossen und freundlich, dass es mich verwirrte. Wir unterhielten uns über verschiedene Themen, lasen einander eigene Gedich- te vor. Einige haben uns gefallen, andere wiederum nicht. Nach ein paar Tagen gingen wir gemeinsam ins Theater in die Aufführung ≈Antigone« und stellten fest, dass wir beide Antigone sind, und so nahm unsere Freundschaft ihren Lauf ∑ gewürzt mit Literatur, Liedern aus Gurien, geschwänzten Vorlesungen und fordernden Prüfungen. In der Kochkunst meines Lebens und in meinem kulina- rischen Gedächtnis hat dieser Zeitabschnitt einen einzigen Geschmack ∑ die Rahmsuppe. Damals war ich in einen bekannten Dichter verliebt, und ich begann, die Gedichte nach seiner Art zu schreiben. Ich dichtete sie, dann ging ich nach den Vorlesungen zu Keto, wir aßen von Tante Maja gekochte Rahmsuppe, ich schrieb mein dichter- ähnliches Gedicht auf einem schönen, weißen Blatt nie- der und besprühte es mit ein paar Dufttropfen. Danach gingen Keto und ich von der Barnowistraße hinunter zur Rustaweli Ave., in den ≈Theatralische Keller«, wo die Lyrikabende stattfanden. Ich gab Keto mein Gedicht für den Dichter mit, wir hörten uns die Gedichte an und kehr- ten dann wieder zurück. Am nächsten Tag ging es wieder von vorne los: Ich schrieb Gedichte, ging nach den Vorlesungen zu Keto, aß die Rahmsuppe von Tante Maja, schrieb mein dichter- ähnliches Gedicht auf ein schönes, weißes Papier, be- sprühte es mit zwei Dufttropfen, und Keto und ich gingen von der Barnowistraße hinunter zur Rustaweli Ave., in den ≈Theatralische Keller«, wo die Lyrikabende stattfan- den, ich gab Keto mein Gedicht für den Lyriker mit, wir

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P-Geogische Koch Print 120117 122 12.01.2017, 10:53 hörten uns Gedichte an und kehrten wieder zurück. ∑ Und so ging es fast das ganze Jahr lang. Damals habe ich sogar die Prüfung für Linguistik in Gedichtform abgelegt. Das ist kein Ammenmärchen ∑ über die Strenge und den sonderbaren Charakter des Dozenten waren so viele Legenden in Umlauf, dass ich hoffte, dadurch ein leichtes Spiel zu haben. Dieses Gedicht nannte ich ≈Liebguistik« und versuchte auf den Minne-Inhalt der linguistischen Fachbegriffe die Aufmerksamkeit zu lenken, beispielsweise so:

Und was für einen Sinn macht es, Ob am Ende eine Respiration oder Phonation übrig bleibt. Oder: Du bist ein Spirant und ich das Plosiv Und die Liebe ist ein Frikativ.

Ich habe die höchste Punktezahl bekommen. Das war das einzige Mal, wo die Gedichte letztendlich zu etwas nutze waren. Es war auch damals, als Keto und ich Mohn in Mziuri gepflückt und zu einem sehr berühmten Schriftsteller ge- bracht hatten, der uns den ganzen Abend über Fußball volllaberte. Damals, als wir planten, an die Grenze von Chewsureti zu ziehen, um viele Kinder zu gebären und die Grenzen zu festigen. Ich habe meinem Schwarmobjekt sogar einen Brief geschrieben: ≈Na, wie sieht’s aus? Kommst du mit?« Es war die Zeit, als wir in der Theater- gruppe der Uni sehr tiefsinnige Etüden probten, meinen Kommilitonen Paata Schamugia (heute bereits ein her- vorragender Lyriker) für den zu großen Einfluss von Galaktioni kritisierten, und so weiter und so fort.

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P-Geogische Koch Print 120117 123 12.01.2017, 10:53 An einem Silvesterabend schenkte mir Keto einen Gedichtband jenes berühmten Dichters. Was ich ihr schenkte, weiß ich nicht mehr, ich glaube, auch irgend- ein Buch. Ohrringe kann ich ihr nicht geschenkt haben, keine von uns hatte schon Ohrlöcher. Sie ließ jenen Dich- ter auf das geschenkte Buch eine Widmung schreiben, eine sehr nette Widmung, die ich auswendig lernte: ≈Es war einmal die eine Diane…«, so fing der Text an. Mit der Zeit verlor ich das Interesse an der einseitigen Schwärmerei zu diesem Lyriker, oder vielleicht habe ich auch ein anderes Schwarmobjekt gefunden, ich erinner mich nicht mehr genau. Das Wichtigste bleibt bis heute, dass ich das Überbringen meiner Gedichtbriefe an den Empfänger, mein größtes Geheimnis, meiner Freundin Keto anvertraut habe ∑ der größten Errungenschaft meiner Studienzeit.

Zaza und das Wichtigste

≈Kindchen, einen Mann muss man dann einschätzen, wenn er betrunken ist und wenn er isst ∑ in diesen Mo- menten kann man dich nicht täuschen, merk dir das!« ∑ Das sagte mir meine wunderhübsche Großmutter Zinaida, als ich ihr von der nächstfolgenden Liebesfrustration er- zählte. Meine Großmutter war eine kluge Frau: ≈Wenn jemand genüsslich isst, heißt das, er wird selbst auch ein köstlicher Mensch sein, Kindchen, so einer, der das Leben liebt und imstande ist, sich zu freuen.« Vermutlich ist es hilfreich, so eine Kriterien-Tabelle für das Einschätzen von Männern zu haben, aber ich beurteilte das andere Geschlecht nie nach irgendwelchen Eigenschaften. Daher

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P-Geogische Koch Print 120117 124 12.01.2017, 10:53 gefielen mir auch die unterschiedlichsten Typen ∑ darunter sehr gute, aber auch sehr schlechte.

Auch Zaza war in meiner Klasse. Ich habe nie auf ihn geachtet, erstens, weil er sehr groß gewachsen war und in der hintersten Schulbank saß, zweitens, weil er uns, trotz seiner sehr guten Mathematik-Kenntnisse, nie bei den Testarbeiten abschreiben ließ. Den dritten Grund könnt ihr im ersten Teil dieses kleinen Opus herausfinden. Auch er mochte mich nicht besonders. Endlich, in der sechsten Klasse, schaffte er es, sich aus unserer Schule zu befreien und nach Komarow zu wechseln. Seitdem habe weder ich an ihn gedacht, noch er an mich. Dann schrieb er mich vor drei Jahren an. Ganz nor- mal ∑ ein gewöhnliches Kompliment und ein Gruß. Ich schwärmte für einen anderen Typen, er für ein anderes Mädchen. Dann folgte gegenseitige Hilfe beim Planen von Ren- dezvous, das Autofahren-Lernen, das Plaudern über die eigenen Schwarmobjekte, viele Diskussionen über die Zukunftspläne, manchmal waren auch die Relativitäts- theorie oder die Gedichte von Marina Tswetaewa mit dabei, und noch vieles andere. Eines Tages (genauer kann ich ihn nicht benennen) wollten wir eines meiner Bücher oder irgendeinen literari- schen Preis feiern, und gingen in ein französisches Restau- rant, um Schnecken zu essen (Er wollte originell erscheinen, und ich verriet auch nicht, dass ich lieber eine gute Pizza gegessen hätte). Also gingen wir. An den Schnecken kauten wir, wie es zu erwarten war, widerwillig herum, haben uns aber nichts anmerken lassen. Dazu tranken wir ein Glas Wein,

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P-Geogische Koch Print 120117 125 12.01.2017, 10:53 und ich war sofort betrunken. Dann schlief ich im Auto ein. (Man muss das bei einem Date erst einmal schaffen!) Da weckte mich ein heftiger Wangenkuss auf. Doch, als ob ich nichts gemerkt hätte, öffnete ich die Augen nicht. Dann ging ich hinauf in die Wohnung und begriff, dass in meinem Leben etwas Neues begonnen hatte, etwas Neues und sehr Schönes. Ein paar Monate später wurden wir in einem wunderhübschen, grünen Kloster im Borjomi- Tal getraut. P.S.: Als der Priester das Ehe-Gebet aussprach und Zaza ihm aufmerksam zuhörte, dachte ich über meine Großmutter Zinaida nach und begriff, wie vollkommen Recht sie hatte: Wenn ein Mann deinetwegen auch die ungenießbaren Schnecken so genüsslich isst, als wären sie die schmackhafteste Leckerei der Welt, dann ist er ein köstlicher Mensch. So sieht die Hauptgeschichte meiner Liebe aus.

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P-Geogische Koch Print 120117 126 12.01.2017, 10:53 Sonntag der beleuchteten Fenster

Ich habe es bereits erwähnt und jetzt wiederhole ich es für mich selbst: Ich kann ohne Feiertage weder leben noch überleben, ich kann ohne sie nicht einmal atmen, und Punkt. Dabei meine ich nicht nur die gesetzlichen Feier- tage, sondern die Feiertage, die ich selbst ausgedacht, ge- schrieben und gebacken habe. Meine Antagonistin Diana wird zu mir sagen: ≈Auf der Welt herrscht Krieg, in deinem Land hungern die Menschen, die Menschen lieben einan- der nicht mehr. Die Feiertage sind fehl am Platz!« Ich weiß, antworte ich, ich weiß. Ich werde meine andere Hälfte beruhigen, sie sättigen und mich in sie verlieben, und trotz des miesen Wetters werde ich die Vanillestäbchen, die ich in einem Geschäft in Tiflis gefunden habe, doch kaufen. Ein Feiertag ist eine wichtige Angelegenheit, für man- che sogar enorm wichtig. Zum Beispiel ist für meinen kleinen Giorgi jeder Tag ein Feiertag: Er öffnet die Augen, springt sofort auf und sagt zu mir: ≈Ich bin aufgeschienen.« Also, heute gibt es einen wunderbareren Grund für einen Feiertag ∑ es ist Sonntagabend. Aber Zaza ist nicht zu Hause, er arbeitet. Gio ist eingeschlafen, ich sitze am Fenster und genieße die seltenen ruhigen Augenblicke. Seit der Kindheit liebe ich die beleuchteten Fenster von anderen. Manchmal ist das warme Licht des fremden Fensters wie ein Kindheitsritus ∑ die heiße Milch vor dem Schlafengehen, die dich beruhigt und einschlafen lässt. Also sitze ich am Fenster und beobachte den geräuschvol- len Abend meiner Straße.

Die Fenster im siebenten Stock des gegenüberliegenden Gebäudes mag ich am meisten. Dort wohnt eine Groß-

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P-Geogische Koch Print 120117 127 12.01.2017, 10:53 familie ∑ Mutter, Vater und sechs Kinder. Das jüngste wurde erst kürzlich geboren, es sind junge Eltern. Keine Ahnung, wo sie arbeiten, den Vater sehe ich morgens, wenn ich zur Arbeit fahre, oft. Auch die Mutter, wenn sie einige Kinder zur Schule geschickt, einige zum Kinde- garten und einige ins Bett zum Schlafen gelegt hat, hat alle Hände voll zu tun. Manchmal sitzt sie am Tisch und ist in die aufgeschlagenen Büchern vertieft. Meiner Meinung nach ist sie entweder eine Lehrerin oder Schriftstellerin. Die Familie hat ein großes Wohnzimmer, an dessen Fenster so durchsichtige Gardinen hängen, dass ich mühe- los alles sehen kann ∑ das Geschirr auf dem Tisch, das Lächeln auf den Kindergesichtern und die Servietten mit blauen Streifen auf der Tischdecke. Und ich sehe die Küche ∑ wie die Mutter das Mittag- essen für den Sonntag zubereitet: Viel Gemüse, die Salat- blätter, frisches Grünzeug, ich kann sogar die bunten Basilikumblätter unterscheiden, bunte Paprika, einen Haufen grüner Bohnen; da liegt ein merkwürdiges Ge- wächs, ich glaube es sind Brennnesseln. Vorsicht Kinder, holt euch keine Quaddeln! Die Mutter wird sie über- brühen und zusammen mit Ei und Zwiebeln dünsten. Auch der Vater ist in der Küche, rührt im Topf um. Was darin gekocht wird, weiß ich nicht. Die Kinder decken den Tisch, sie bringen das Geschirr vorsichtig und für- sorglich aus der Küche und schmücken die Tafel. Das kleine Mädchen, fünf Jahre alt, ist auf den Stuhl gekrab- belt und versucht mit seinen pummeligen, kleinen Fingern die Servietten zu ordnen, besser gesagt, sie bringt sie durcheinander. Dann wenden alle ihre Aufmerksamkeit der Küche zu, anscheinend hat die Mutter gerufen. Die zwei ältesten laufen in die Küche und kehren in Kürze mit

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P-Geogische Koch Print 120117 128 12.01.2017, 10:53 den Tellern zurück. Nichts Außergewöhnliches, auf einem liegt eingelegtes Gemüse, vermutlich Gurken, roter Kohl, Paprika oder Tomaten mit Füllung, aber es kann auch etwas völlig anderes sein. Das eingelegte Gemüse ist eine universelle Angelegenheit ∑ meine Großmutter legte die unreifen weißen Kirschen ein, sie schmecken sehr inter- essant und pikant. Auf dem zweiten Teller liegt etwas Schönes und Farbenfrohes ∑ ich glaube, ein Gemüsesalat. Farben, Farben und Geschmäcker. Dann bringt die Mutter eine große, dampfende Suppenschüssel aus Porzellan herein. Die Spinatsuppe mit gekochten Eiern und Teig- Grenki ∑ das ist eine Spezialität der Mutter, ihre Eigen- kreation ∑ sowohl sättigend, als auch vitaminreich. Die Frau stellt die Schüssel in die Tischmitte und sagt etwas, vermutlich so etwas Ähnliches wie: ≈Es ist heiß, nicht verbrennen!« Auf dem Tisch liegen noch: Mit Kartoffeln gebratener Fisch, Pfannkuchen mit Kirschmarmelade, dazu werden sie noch Tee mit Zitrone und Kekse genießen. Die Tafel ist also fertig gedeckt. Alle setzen sich ge- meinsam an den Tisch ∑ unter dem Tisch sehe ich jetzt noch anderes ∑ die Hausschuhe von Mann und Frau, zwei paar Sportschuhe, rosa Sneakers und noch drei Paar Füße, die den Boden nicht erreichen und in der Luft bau- meln. Die Suppe wird erst für die Kinder eingeschenkt. Wie das kleine Mädchen ihre Wangen aufbläst und auf den Löffel pustet! Sie bläst mit voller Kraft, der kleine Junge lässt ein Brotboot in der Suppe hin und her schwimmen. Das Boot prallt manchmal gegen die Riffe aus Gemüse und gekochten Eiern. Daraufhin wird er nicht allzu streng ermahnt, er solle nicht spielen, sondern essen. Also wirft er den Anker, aber nur für kurze Zeit. Man sieht an seinen

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P-Geogische Koch Print 120117 129 12.01.2017, 10:53 Augen, dass er diese Reise in der grünen Suppe unbedingt fortsetzen wird. Das älteste Mädchen ist 13 Jahre alt und isst schön häppchenweise. Ach, diese dreizehnjährigen Mädchen! Sogar den Löffel hält es ganz vorsichtig, ver- sucht, geräuschlos zu essen und flirtet mit allem ∑ der Luft, dem Geschirr, der Rückenlehne, der orangen Lampe. Die Eltern unterhalten sich, die Kinder hören ihnen zu. Manchmal wirft die Mutter den Kopf so leicht, schön und frei nach hinten, dass ich sofort begreife: Ihr geht es gut, und es wird ihr noch besser gehen. Auch der Vater ist stolz auf seine Familie, er bietet der Kleinen das Gemüse und den Saft an ∑ diese Kinder brauchen manchmal ja so viel Gutes-Zureden! Es klingelt an der Tür. Wahrschein- lich ist eine Nachbarin gekommen, um Salz oder vielleicht ein Sieb auszuleihen. Erst wird sie verlegen lächeln, ver- neinen, sich dagegen wehren, aber dann lockt diese fröhli- che Gemütlichkeit auch sie hinein und sie wird einen leeren Stuhl an den Tisch stellen.

Jetzt klingelt es an unserer Tür. Zaza ist von der Arbeit nach Hause gekommen. Ich erwärme das Mittagessen, mache den Kühlschrank auf, lege den am Vortag gebacke- nen Kuchen schön auf den Teller und übergieße ihn mit Schokosauce. Ich glaube, ich habe es bereits erwähnt, aber ich werde es noch einmal wiederholen: Ich kann ohne Feiertage weder leben noch überleben, ich kann ohne sie nicht einmal atmen, und Punkt.

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P-Geogische Koch Print 120117 130 12.01.2017, 10:53 Großmutter

Die Eltern meiner Großmutter hießen Domna und Domenti. Stellt euch vor, wie herrlich es ist, wenn du Domna heißt und das Glück hast, genau Domenti zu finden! Nicht Grigol oder Nikifore, sondern genau Domenti. Domna war eine Fürstin, eine wunderhübsche Frau, die ihr ganzes Leben lang eine silberne Pfeife geraucht hat. Domenti war hingegen ein einfacher Bauer. ≈Halt mal an dieser Stelle«, unterbreche ich die Mutter, die mir diese Geschichten erzählt. ≈Wie kam es, dass eine Fürstin einen Bauer heiratete, was ist da vorgefallen?« ≈Er war nicht einfach Domenti, Mädchen, sondern ein gut gebildeter Domenti. Er war gemeinsam mit Ilia in der Gesellschaft zur Verbreitung der Lese- und Schreib- kunde beschäftigt«, antwortet die Mutter, ≈dann kehrte er wieder in sein Dorf zurück. Fast aus ganz Westgeorgien suchten ihn die Menschen auf, damit er für sie Briefe, Anzeigen und viele andere Sachen schrieb.« Also heira- tete ihn unsere Domna Tschiqowani, natürlich heiratete sie ihn. Nichtsdestotrotz erinnerte sie ihn ständig an ihre adelige Abstammung. Nicht nur mit Worten, sondern auch durch ihr Verhalten. Beispielsweise ging aus der bäuerlichen Familie von Domenti jeden Sonntag folgen- de Gruppe in die Kirche: Auf dem Pferd sitzend Frau Domna, der alle anderen zu Fuß folgten. Na, wie findet ihr es? Den Reitsitz hat ihr Schwiegervater für sie ange- fertigt ∑ ein weißbärtiger, magerer, gut aussehender Mann. Keine Ahnung, ob Domna einen unbewussten Kom- plex von Domenti verkörperte, aber Tatsache ist, dass dieser schriftverbreitende Mann, der in Martwili oder Choni zu den gebildetsten und ehrlichsten Personen zählte,

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P-Geogische Koch Print 120117 131 12.01.2017, 10:53 sich durch irgendetwas so veränderte, dass er sogar die Geburtsdaten ihrer Söhne fälschte, um sie vor dem Einzug zum Zweiten Weltkrieg zu bewahren. Die Kommunisten haben ihn auf seinem wunderschönen Anwesen in Gorda aufgesucht. Domenti versteckte sich in einem Sarg, der für seinen verstorbenen Nachbarn vorbereitet worden war. Man fand ihn nichtsdestotrotz und steckte ihn ins Ge- fängnis. Domna und Domenti hatten acht Kinder, darunter drei Söhne. Obwohl all ihre Töchter eine schöner als die andere waren, befürchtete Domenti, ähnlich der berühm- ten Spielfigur aus Kldiaschwilis Erzählung, dass er nicht alle von ihnen unter die Haube bringen würde ∑ Also ver- heiratete er alle sehr früh. Alle fünf Töchter meines Urgroßvaters waren hübsch, aber meine Großmutter ∑ Zinaida ∑ war einfach bild- schön. Sie erzählte lustige Geschichten darüber, wie an- dere Frauen sie auf der Straße verfolgten, um zu sehen, ob ihr Gesicht genauso wunderschön war wie ihr Körper. Sie war eine wunderbare Frau ∑ honigfarbene Haare, dunkelblaue Augen, unglaublich gerade Gesichtszüge. Ich sagte zu ihr, sie sei die georgische Marlene Dietrich.

Also, was habe ich erzählt? Als ihr Vater, der verängstigte Vater von fünf Töchtern, sie schnell verheiratete, war sie verliebt, aber nicht in meinen Großvater. ≈Ich liebte einen Jungen«, erzählte sie mir einmal vor dem Schlafengehen, als ich die Märchen satt hatte. Sie liebte einen anderen, aber heiratete meinen Großvater ∑ einen fleißigen und anständigen Mann, gebar ihm drei Kinder und wurde zu meiner Oma. (Wie viele enttäuschte Liebesgeschichten sind in den georgischen Familien verborgen?)

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P-Geogische Koch Print 120117 132 12.01.2017, 10:53 Ich behaupte entschlossen, dass ich einer besseren Köchin als meiner Großmutter nie begegnet bin. Wie ge- stern sehe ich ihre türkise Schürze vor mir, die wunder- schönen Hände und das Geschick dieser Hände beim Würzen der Gerichte. Am meisten mochte ich den Mo- ment der Kostprobe. Ich war irgendwo in der Ecke mit einem Buch eingekuschelt. Sie rief nach mir, ließ mich die Hände waschen und legte auf meine Handfläche Pchali mit Walnüssen oder abchasisches Adschika. Dann schaute sie mich mit ihren, dem Meer ähnlichen, Augen prüfend an, und nachdem sie sich ein paar Mal mein begeistertes Lob angehört hatte, verließ sie mit triumphierendem Gesicht die Küchen-Arena. Ghomi mochte sie besonders. Wenn der serviert wurde, musste man ihn für sie auf einen extra großen Teller legen. ≈Für mich viel«, pflegte sie zu sagen. Immer, wenn ich Ghomi koche, stelle ich auf einen großen Teller mit Brei eine Kerze. Ich habe keine Ahnung, welchen Weg die Spei- sen von unseren Tischen bis zur Tafel der Verstorbenen nehmen, aber es ist einfach meine kleine Tradition; wer weiß, wozu sie gut sein wird.

Vor meinen Augen sehe ich eine Szene aus dem Sommer ∑ die Zubereitung verschiedener Konserven ist in der August-Bruthitze in vollem Gange. Im Hof meiner Groß- mutter, auf dem Gasherd steht ein großer Topf, und dort kochen und köcheln unterschiedliche Saucen aus Kirsch- pflaumen oder Sauerkirschen, grüne, rote oder hellbraune Saucen, die Marmelade, und das Gemüse wird eingelegt ∑ unreife Äpfel wie Tomaten. Ich suche die Rezepte der Großmutter, ich erinnere mich an die Speisen, die weltbekannten und populären, einfachen georgischen Speisen. Doch ich finde sie nicht,

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P-Geogische Koch Print 120117 133 12.01.2017, 10:53 weil sie einfach nichts aufgeschrieben hatte. Sie kochte nach Augenmaß, dem Herzensruf, der Erfahrung, durch die Ahnen genetisch übertragenen Intuition. Ich denke nach: Was machte ihre Gerichte denn so einzigartig, ihre Gewürze so duftend, ihre Maisbrote so knackig? Nein, es ist keine subjektive Erinnerung, die auf Sehnsucht basiert! Alle haben ihre Einzigartigkeit anerkannt. Also begreife ich, dass der unnachahmliche Zauber meiner Großmut- ter und der Großmütter im Allgemeinen darin besteht, uns mit geläufigen Rezepten, mit geläufigen Gerichten zum Staunen zu bringen. Es ist dein persönliches Märchen, dein persönlicher Raum, in dem du eines Tages entdeckst, dass deine Großmutter so dunkelblaue Augen hat, wie nur eine der Ehefrauen von Gott Poseidon sie haben könnte.

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P-Geogische Koch Print 120117 134 12.01.2017, 10:53 Lebens- (Rezept-)buch

Das Leben ist die Zubereitung. Bitte streitet nicht mit mir. Ich sage, das ist so. Für den einen ist es die Vorbereitung auf den Tod, für den Zweiten für ein schicksalhaftes, einziges Treffen, für den Dritten ist es die Zubereitung der einzigen Creme für den einzigen Kuchen für jedes einzige Mittagessen. Das Leben ist eine Zubereitung, Rezepte gibt es in Vielzahl. Hauptsache ist es, ihnen zu folgen. Erst musst du folgen, dann brechen, dann lieben, dann nicht mehr lieben. Oder für immer lieben ∑ so wie Alice B. Toklas Gertrude Stein ihr ganzes Leben lang liebte. Alice war dreißig Jahre alt, als sie Gertrude traf. Seit diesem Tag lebten die beiden fast 39 Jahre zusammen in ihrem Haus in Paris. Gertrude schrieb, Alice war ihre Haushälterin, Sekretärin, Freundin und Geliebte. Im Sommer, wenn sie sich in ihrem ländlichen Holz- haus aufhielten, stand Alice immer sehr früh, noch vor dem Sonnenaufgang auf, um für Gertrudes Frühstück die Erdbeeren zu pflücken. Dann tippte sie auf der Schreib- maschine Gertrudes Handschriften ab, was für sie nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein Vergnügen war: ≈Es ist, als ob ich Bach spiele«, pflegte sie zu sagen. Nach Gertrudes Tod veröffentlichte Alice B. Toklas im Alter von 75 Jahren ihr Kochbuch, in dem all die Rezepte Platz gefunden haben, die sie ihr ganzes Leben lang gesammelt hatte ∑ Rezepte von Gerichten, die sie für Gertrude und ihre Freunde ge- kocht hatte. Die Freunde waren Pablo Picasso, Apollinaire, Matisse, Scott Fitzgerald, Sherwood Anderson, Francis Picabia und andere. Deshalb wurden keine ≈einfachen«

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P-Geogische Koch Print 120117 135 12.01.2017, 10:53 Speisen zubereitet, außerdem konnte Alice ≈einfache Speisen« gar nicht kochen.

Das Hähnchen in Weißwein mit süßer Paprika, hart ge- kochtes Ei mit Pilzfüllung, Blätterteigkörbe mit Erdbeeren, karamellisierter Apfel im Blätterteig, Pfirsichkonfitüre, … Neben den Rezepten schreibt Alice in ihrem wun- derbaren Erzählstil über die interessanten, manchmal einfachen und genialen, manchmal auch reichhaltigen Mittagessen, die sie und Gertrude bei sich zu Hause ver- anstaltet haben, oder denen sie als Gäste beiwohnten. Es ist kein einfaches Kochbuch, manchmal ist es ein historischer Roman, manchmal die Einleitung zur Kunst- wissenschaft, an einigen Stellen ist es eine Detektiv-Story, dann wieder der neue französische Roman, wo die wich- tigsten Hauptdarsteller in Vanillesauce schwimmende schwarze Pfefferkörnchen sind.

Nun einige Rezepte aus Alice B. Toklas’ ≈Kochbuch«:

Spiegeleier nach Francis Picabias Rezept ≈8 Eier in eine Schlüssel schlagen und gut mit der Gabel vermengen. Salzen, aber nicht pfeffern. Alles in einen Topf gießen. Ja, in einen Topf, nein, nicht in eine Brat- pfanne! Den Topf auf ganz, ganz schwache Flamme stel- len und ständig mit der Gabel rühren, während man sehr langsam und in sehr kleine Stücken 1/2 Pfd. Butter dazu- gibt ∑ kein Krümchen weniger, eher mehr, wenn Sie sich trauen. Man braucht 1/2 Std. für die Zubereitung des Ge- richtes. Es sind selbstverständlich keine Rühreier; mit der Butter ∑ Ersatz ist nicht zulässig ∑ erlangen sie eine ge-

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P-Geogische Koch Print 120117 136 12.01.2017, 10:53 schmeidige Konsistenz, die wohl nur Gourmets zu schät- zen wissen.«

Gulasch nach Roma-Art

≈1 1/2 Pfd. Rinderfilets in 1/2 cm dicke Scheiben schneiden, diese wiederum in Würfel mit einer Kantenlänge von 1/2 cm. Anbraten in Schweineschmalz mit 1 TL Salz, 1 EL Paprika und 1 EL Mehl, dann 4 in Scheiben geschnittene, dicke Zwiebel und ein 3/4 Pfd. in Scheiben geschnittene Kartof- feln hinzufügen. Mit 2 Gläsern Rotwein, 1/4 l Sauerrahm und soviel Bouillon auffüllen, dass das Fleisch bedeckt ist. Im geschlossenen Topf bei 200° C im Ofen kochen lassen. Vor dem Servieren 1/5 l Sauerrahm darangeben. Als Bei- lage Nudeln. Ausreichend für 4 Personen.«

Zwiebelsuppe ≈In einem Topf über mäßiger Hitze 4 in dünne Scheiben geschnittene Zwiebeln unter Rühren mit einem Holzlöffel anbräunen. Nach 20 Min. 1 TL Zucker über die Zwie- beln streuen. 1 1/2 l kochendes Wasser zugießen. Salzen und pfeffern. Zugedeckt 10 Min. kochen lassen. In eine feuerfeste Form oder einen entsprechenden Topf 1/2 Pfd. in 1 cm dicke Scheiben geschnittenes Brot legen und auf jedes Brotstück 1 dünne Scheibe Schweizer Käse. Dazu wird etwas mehr als 1/4 Pfd. Käse benötigt. Die Flüssig- keit aus dem Topf darüber gießen. Die Brotscheiben steigen nach oben. Mit 4 EL geschmolzener Butter übergießen. 20 Min. bei 200° C im vorgeheizten Ofen überbacken. Sehr heiß servieren.«

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P-Geogische Koch Print 120117 137 12.01.2017, 10:53 An Stelle eines Epilogs

Über so vieles habe ich es nicht geschafft, zu erzählen. Ich wollte noch über den französischen Kreuzritter reden, der zufällig in Chewsureti gelandet ist und das Zubereiten von Chewsurische Chinkali gelernt hat. Diese Geschichte würde beispielsweise so beginnen: ≈Gottfried aus Tou- louse entkam dem Tod nur durch Zufall. Als er ohne Freunde in ein Jerusalemer Wirtshaus gegangen war, um einen Happen zu essen, und zurückkam, fand er keinen von seinen Mitkämpfern lebendig vor. Genau an dieses letzte, ohne Gewissensbisse genossene Mittagessen, erin- nerte er sich jetzt, verschollen in den Gebirgen dieses merkwürdigen Landes. Es war kalt… Ach, wie würden ihn doch der Wein aus dem Elsass und die Gänsepastet- chen, gebraten von seiner Frau Sibille, aufwärmen …« ∑ Klingt doch spannend, oder?

Außerdem würde ich von einer georgischen Übersetzerin erzählen, die ihre Rezeptur des Übersetzens mit nieman- dem teilte, bis sie sich eines Tages in jemanden so verlieb- te, dass sie aus der Erzählung eines ausländischen Autors ein wunderbares Liebesgedicht kreierte. (So etwas hat der Missbrauch von Vanille zur Folge!) Und ich wollte noch über den größten Hunger, den größten Durst und die größte Sättigung erzählen: Wie köstlich die Kekse im Geburtshaus für mich waren, so, wie die ersten Milchschlucke meines neugeborenen Kindes. Wie wir als hungernde Kinder mit Kohlpastetchen gefüttert wurden und wie groß mein Wunsch ist, dass kein einziges Kind an Hunger leidet.

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P-Geogische Koch Print 120117 138 12.01.2017, 10:53 Ich wollte noch über Konfitüre erzählen und über die merkwürdigen Zufälle, die aus der Schwärmerei über Marmeladen entstehen ∑ dass die Augen meines Sohnes die Farbe der Walnusskonfitüre haben, und dass Glück nach Apfelmarmelade schmeckt.

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P-Geogische Koch Print 120117 139 12.01.2017, 10:53 140

P-Geogische Koch Print 120117 140 12.01.2017, 10:53 Glossar Kulinarik

Alutscha ∑ eine Pflaumenart Atria ∑ in Salzwasser gekochte Teigstreifen Atschma ∑ eine Art Chatschapuri, besteht aus mehreren Schichten Chartscho ∑ scharfe Suppe aus Rindfleisch, Reis, Wal- nüssen Chaschi ∑ Rindsuppe aus Kutteln und Hüfen Chatschapuri ∑ überbackenes Käsebrot Chinkali ∑ Teigtaschen, meist mit Fleisch gefüllt Dambal-Chatscho ∑ eingeweichter Topfen Gebjalia ∑ kalte Speise aus Käse Ghomi ∑ eine Art Brei aus Kolbenhirse Girtsi ∑ ingilische Chinkali Grenki ∑ eine Art russischer French Toast Kedaifi ∑ süßes Gebäck Kulitschi ∑ süßes Weihnachtsgebäck Kupati ∑ georgische Wurst aus Schweinefleisch Lavash ∑ ungesäuertes Fladenbrot Lobiani ∑ überbackenes Bohnenbrot Mchali ∑ auch Pchali/Phkali genannt ∑ kalte Speise aus grünem Gemüse Mchlowana ∑ Pastetchen aus Mchali Milchkorkoti ∑ breiartige Speise aus Weizen, wird meist zu religiösen Festen zubereitet Odschaleschi ∑ georgische Weinsorte Pelamuschi ∑ Dessert aus kondensiertem Traubensaft Penowani ∑ aus Blätterteig gebackene Chatschapuri Piti ∑ ein aserbaidschanisches Fleischgericht Qada ∑ Art Gebäck mit einer Füllung aus Mehlschwitze

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P-Geogische Koch Print 120117 141 12.01.2017, 10:53 Schabzigerklee ∑ krautige Gewürzpflanze ähnlich dem Bockshornklee Schaschlik ∑ gegrillter oder gebratener Fleischspieß Svanetiensalz ∑ mit verschiedenen Gewürzen gemischtes Salz Tatara ∑ siehe Pelamuschi Thone ∑ in die Erde gestellter, zylinderförmiger Backofen, ähnlich einem Tandur Tkemali ∑ saure Sauce aus Kirschpflaumen Tschurtschchelas ∑ Konfekt aus Walnüssen, überzogen mit einer Traubensaft-Kuvertüre Zolikouri ∑ georgische Weißweinsorte

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P-Geogische Koch Print 120117 142 12.01.2017, 10:53 Orts- und Personenregister

Aluda ∑ Held aus dem Poem ≈Aluda Qetelauri« von Vascha Pschawela Gamsachurdia, Zwiad ∑ der erste Präsident Georgiens 1991/92 Gurien ∑ Region in Georgien Imeretien ∑ Region in Georgien Ioseliani, Dschaba ∑ georgischer Politiker in den 1990er Jahren Kejeradze ∑ Figur aus einer Erzählung von Guram Dotschanaschwili Kekelidze, Korneli ∑ georgischer Philosoph und Literatur- wissenschafter Kldiaschwili, David ∑ georgischer Schriftsteller Komarow ∑ eine Physik- und Mathematikschule in Tiflis Martwili ∑ Region in Mengrelien Mziuri ∑ Park für Kinder in Tiflis Nanuli Schwardnadze ∑ Ehefrau von Eduard Schwardnadze Nutsubidze, Schalwa ∑ einer der Gründer der staatlichen Universität Tiflis Orbeliani, Grigol ∑ georgischer Dichter Saingilo ∑ aus dem 19. Jh. stammende Bezeichnung für das Territorium, das die Region Balakan, Zaqatala, Kachi umfasst, das heute zu Aserbaidschan gehört Schanidze, Akaki ∑ georgischer Sprachwissenschafter Sigua, Tengiz ∑ der zweite georgische Premier-Minister 1992/93 Tabidze, Galaktion ∑ georgischer Lyriker Tatqaridze, Luarsab ∑ Figur aus einer Erzählung von Ilia Tschawtschawadze

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P-Geogische Koch Print 120117 143 12.01.2017, 10:53 Tschampura ∑ Figur aus einer Erzählung von Giorgi Leonidze Tschiqobawa, Arnold ∑ georgischer Sprachwissenschafter Tsereteli, Akaki ∑ georgischer Dichter und Politiker

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P-Geogische Koch Print 120117 144 12.01.2017, 10:53 Rezeptregister

Adschika aus roten Rüben 87 Atschma 25 Barsch 29 Belegtes Brot ≈Oktoberruhe« 110 Belegtes Brot ≈Vulgäre Paprika« 111 Bratlinge aus Zucchini- und Kürbisblüten 117 Brot-Laibchen 25 Brotsuppe mit verschiedenen Trockenfrüchten und Sauer- rahm 107 Chartscho aus Brot 25 Chatschapuri aus Imeretien 26 Chips aus Zwiebeln 25 Creme aus schwarzer Schokolade, mit Zimt, Mandeln, scharfem Paprika 61 Dschawachische Käsesuppe 20 Dzidznaki 65 Einfaches, mit Fisch belegtes Brot 111 Gebratene Schildkröte 73 Gebratene Wachtelkönige mit Sauce 42 Girtsi 66 Griechisches Mandelgebäck 118 Gulasch nach Roma-Art 137 Halva 67 Hausgemachter Kuchen mit getrocknetem Obst 30 Heiße Schokolade mit Erdbeeren 59 Heißer Schokoladenschaum 59 Ingilische Blatt-Chinkali 65 Iranischer Pilaw mit Granatapfel und Kastanie 48 Kalbsroulade 29 Kaninchen auf ratschische Art ∑ Tabutsuni 79 Kartoffelpizza 24, 100

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P-Geogische Koch Print 120117 145 12.01.2017, 10:53 Käsesauce mit Cognac 89 Kchakcho 65 Kichererbsen-Laibchen in Sauce 41 Korianderkebab 41 Kuchen Sigua 26 Lämmchen-Kuchen 99 Laspingi 42 Litauische Pfannkuchen 107 Mit Kirschpflaumen und Walnüssen gefülltes Hähnchen auf talische Art 50 Orange mit Topfen und Schokolade 60 Paska und Kulitsche 54 Paska von Marusia 103 Penowani 26 Pesto mit Ziegenkäse 88 Pilaw auf ingilische Art 67 Rindfleisch-Rezepte, drei 84 Rote Tomaten mit Walnüssen 98 Sauce aus Eiern und Senf 88 Sauce aus Karotten mit Honig und Sauerrahm 88 Sauce aus schwarzen Pflaumen 89 Scharfe Schokosauce 89 Schnecken-Matelote à la Bordelaise 72 Schokoladekuchen mit Birne 62 Shekerbura, aserbaidschanischer Kuchen 51 Spiegeleier nach Francis Picabias Rezept 136 Spinat-Laibchen 21 Steife Sahne in verschiedenen Farben 101 Suruli 66 Tschrianteli aus Kirschpflaumen 40 Zaziki 30, 116 Zwiebelsuppe 25 Zwiebelsuppe 137

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P-Geogische Koch Print 120117 147 12.01.2017, 10:53 www.wieser-verlag.com

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