Kapitel 1 Glanz und Elend eines Weltkonzerns

3. September 1875 Geburt von Ferdinand

1900 Vorstellung des Lohner-Porsche in Paris 1904 Geburt von Louise Porsche 1909 Geburt von 1922 Präsentation des Rennwagens »Sascha« 1931 Eröffnung der »Dr. Ing. h. c. F. Porsche Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Konstruktionen und Beratungen für Motoren- und Fahrzeugbau« 1931 Patent auf die Drehstabfederung 1933 Vertragsabschluss mit der Auto Union über den Bau eines 750-kg-Formel-Rennwagens 1934 Erste Skizzen eines »« 1936 Erste Prototypen des Volkswagens 1937 Umwandlung der »Dr. Ing. h. c. F. Porsche GmbH« in eine Kommanditgesellschaft 1938 Gründung der »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben« 1939 Präsentation des Berlin-Rom-Wagens 1940 In Fallersleben treffen erste VW-Zwangsarbeiter ein 1941 bis 1945 Diverse Entwicklungen für das Rüstungsministerium 1945 Umbenennung der »Stadt des KdF-Wagens« in Wolfsburg 1948 Präsentation des Porsche Typ 360 »« 1948 Erster Sportwagen unter dem Namen Porsche (Typ 356) 1948 Vertrag Ferry mit VW 1949 Gründung der »Porsche Salzburg Ges.m.b. H.« durch Anton und Louise Piëch 1950 Produktion der ersten Porsche-Sportwagen in Zuffenhausen 30. Januar 1951 Tod Ferdinand Porsches 1951 Erstmals Verkauf in den USA 1953 Präsentation des Spyder 550 in Paris 1956 Einführung der betrieblichen Altersvorsorge 1960 Umsatz übersteigt erstmals die Grenze von 100 Millionen D-Mark

Porsche und . Christian D. Euler 17 Copyright © 2010 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ISBN 978-3-527-50523-4 1962 Der 50 000. Porsche läuft vom Band 1963 Präsentation des 901 (später 911) 1965 Erstes Sicherheits-Cabriolet der Welt: Targa 1966 Der 100 000. Porsche läuft vom Band 1969 Vorstellung des 917 in Genf 1969 Der erste VW läuft vom Band 1971 Stuttgarter »Erbfolgekrieg« 1972 Umwandlung der Porsche Kommanditgesellschaft in die Porsche AG 1974 Debüt des 1977 Präsentation des 928 1982 Der 911 SC Cabriolet ist die Sensation des Genfer Automobilsalons 1984 Börsengang der Porsche AG 1985 Vorstellung des auf der IAA 1990 Ferry Porsche übergibt den Aufsichtsratsvorsitz an seinen Sohn Ferdinand Alexander 1992 Berufung Wendelin Wiedekings zum Sprecher des Vorstands 1993 Ernennung Wiedekings zum Vorstandschef 1994 Gründung der Porsche-Consulting 1994/1995 Turnaround nach drei schwierigen Jahren 1996 Der 1 000 000. Porsche läuft vom Band 1996 Erster Boxster 1997 Erste Euro-Anleihe (200 Millionen D-Mark) 1997/1998 Höchster Jahresüberschuss der Geschichte mit 276,9 Millionen D-Mark 27. März 1998 Tod Ferry Porsches in Zell am See 2000 Neues Rekord-Konzernergebnis mit 698,2 Millionen D-Mark 2000 Erstmals in der Unternehmensgeschichte werden mehr als 50 000 Fahrzeuge innerhalb eines Geschäftsjahres verkauft. 2002 Präsentation des Cayenne in Paris 2002 Erste Panamera-Skizze Beteiligung an der Volkswagen AG 2005 Einführung des Cayman S 2005 Konzernergebnis bei 1,24 Milliarden Euro 2005 Porsche-Vorzugsaktie erstmals bei 1 000 Euro 2005/2006 Ausgliederung des operativen Geschäfts in eine 100-prozentige Tochtergesellschaft. Die Holding wird unter »Porsche Automobil Holding SE« geführt 2009 Verkaufsstart des Panamera 2009 Endgültiges Scheitern der Übernahme der Volkswagen AG

Abb. 1: Die Geschichte von Porsche im Überblick

18 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Der Überflieger aus Böhmen

»Der Großvater war jähzornig. Er war ein Genialer – und Geniale sind nicht immer ganz einfach«, beschreibt Enkel den Gründer der Stuttgarter Sportwagenmanufaktur. Die Erfolgs- geschichte von Porsche beginnt am 3. September 1875. Ferdinand Por- sche kommt als drittes Kind des Spenglermeisters Anton Porsche im böhmischen Maffersdorf, dem heutigen Vratislavice, zur Welt. Der Name Porsche stammt vom tschechischen Namen Boresˇ. Es gibt wohl kaum eine Gattung von Fahrzeugen, an denen sich Ferdinand Por- sche, der Gründer der Sportwagen-Manufaktur, nicht versuchte und bei deren Konstruktion er nicht durchschlagende Erfolge erzielt hät- te. Schon als Vierzehnjähriger experimentiert Ferdinand mit der Elek- trizität. Von derlei Versuchen hielt der Vater aber nichts. Im Gegen- teil: Lange versuchte Anton Porsche, seinem Sohn den Umgang mit »diesem Firlefanz« zu verbieten. Wäre es nach ihm gegangen, wäre Sohn Ferdinand Klempner geworden. Doch der ließ sich davon nicht beirren und richtete sich heimlich unter dem Dach des elterlichen Hauses seine eigene Werkstatt ein, wo er ungestört experimentieren konnte. Schon als Jugendlicher installierte er eine elektrische Be- leuchtungsanlage im väterlichen Betrieb. Nach der Volksschule be- gann er eine Lehre im Installateurbetrieb seines Vaters und besuchte in Abendkursen die Reichenberger Staatsgewerbeschule. Im Alter von 18 Jahren trat der Automobilpionier in die Vereinigte Electricitäts Aktiengesellschaft – vormals Béla Egger & Co. – in Wien ein, der spä- teren Brown Boveri. Schon hier zeigte er außerordentliches Talent und Gespür für technische Zusammenhänge. In nur vier Jahren stieg er – ohne eine Hochschule besucht zu haben – vom Mechaniker zum Leiter der Prüfabteilung auf. In diese Zeit fällt seine Konstruktion des Radnabenelektromotors, auf den er 1896 ein Patent anmeldete. Ein Radnabenmotor ist eine Kraftmaschine, die direkt in ein Rad eines Fahrzeuges eingebaut ist und gleichzeitig die Radnabe trägt, so dass ein Teil des Motors mit dem Rad umläuft. 1898 wechselte Porsche zur k. u. k. Hofwagenfabrik »Jacob Lohner & Co.« in Wien, wo er das Lohner-Porsche-Elektromobil entwickelte, das zwei Jahre später auf der Pariser Weltausstellung einer begeister- ten Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Das Fahrzeug war seiner Zeit weit voraus: Der Lohner-Porsche, für den die Österreichische Pa-

Der Überflieger aus Böhmen 19 tentschrift Nr. 19645 für und Ludwig Lohner er- teilt wurde, verfügte über einen in der Geometrie exakt ausgebildeten, von Einflüssen auf die Lenkung freien Vorderradantrieb, wie er bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor erst Jahrzehnte später möglich wurde. Der Wagen hatte eine für damalige Verhältnisse beachtliche Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde und erreichte mit einer 410 Kilogramm schweren Bleibatterie eine Reichweite von 50 Kilometern. Die Fachpresse äußerte sich euphorisch: Ein zeitge- nössisches Fachblatt lobte die Konstruktion so: »Die epochemachen- de Neuheit besteht in der gänzlichen Beseitigung aller Zwischenge- triebe als Zahnräder, Riemen, Ketten, Differentiale etc., kurz in der Herstellung des allerersten bisher existierenden transmissionslosen Wagens.«

Erste Gehversuche im Rennzirkus

Um das Auto renntauglich zu machen, stattete Porsche im Jahr 1900 den Lohner-Porsche zusätzlich zu den beiden Radnabenmoto- ren an den Vorderrädern mit Motoren an den Hinterrädern aus – die Geburt des ersten allradgetriebenen Wagens der Welt. Der Flitzer des britischen Rennfahrers E. W. Hart erreichte eine Geschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde. 1900 gewann Porsche mit seiner Kon- struktion auf dem Semmering bei Wien. 1902 war das Automobilge- nie k. u. k. Reserveinfanterist und Fahrer des Erzherzogs Franz Fer- dinand – mit einem Fahrzeug auf Basis einer Porsche-Konstruktion. Ein Nachteil dieses Wagens war das hohe Batteriegewicht von 1800 Kilogramm. Diese Schwäche glich der Porsche Mixte aus, der 1902 präsentiert wurde und als Vorläufer aller modernen Hybridmodelle in die Geschichte eingehen sollte. Damit hatte Ferdinand Porsche bei Lohner das erste Auto mit Allradantrieb und seriellem Hybridantrieb entwickelt. 1903 heiratete Porsche Aloisia Johanna Kaes. 1904 kam Tochter Louise zur Welt, fünf Jahre später wurde Sohn Ferdinand Anton Ernst geboren. Sein Kindermädchen nannte ihn Ferry, weil ihr der Klang des Spitznamens Ferdy nicht gefiel. Damit schuf sie den Rufnamen, den er sein ganzes Leben lang behalten sollte. Schon am Tag seiner Geburt ließ sich erahnen, dass Zeit seines Lebens Benzin im Blut des

20 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Gründer-Sohns fließen würde: Vater Ferdinand erzielte an diesem Tag mit einem von ihm entwickelten Austro-Daimler-Rennwagen einen Klassensieg beim Semmering-Bergrennen. »Ich wurde mit Benzin aufgezogen und bin vom Automobil mein Leben lang nicht mehr weggekommen«, wird Ferry später sagen. Als Chefkonstruk- teur brütete der Vater ununterbrochen über neuen Ideen und Kons- truktionen. »Die Fabrik wurde mein Spielplatz«, wird Ferry Porsche im Jubiläumsband zu seinem 100. Geburtstag zitiert. »Mich erfüllten die vielen Wagen mit ihrer glänzenden Lackierung, die mit schim- mernden Messinglampen und knolligen Hupen ausgerüstet überall herumstanden, mit fassungslosem Staunen.« Weil Lohner die Tüfteleien Porsches zu teuer wurden, wechselte der Ingenieur 1906 zur Oesterreichischen Daimler-Motoren-Gesellschaft – kurz Austro Daimler – nach Wiener Neustadt. Dort beschäftigte er sich mit der Entwicklung von Personenfahrzeugen, Flugmotoren und Sportwagen – und stellte schnell seinen Genius unter Beweis. Schon nach zwei Jahren präsentierte Austro Daimler seine ersten Flugmo- toren für Luftschiffe und Flugzeuge. Am Steuer eines von ihm ent- worfenen Austro Daimlers gewann Ferdinand 1910 die populäre »Prinz-Heinrich-Fahrt«, eine Langstreckenprüfung für Tourenwagen mit jährlich wechselnder Streckenführung. Der Parcours erstreckte sich über 1495 Kilometer von Berlin über Magdeburg, Braunschweig, Kassel, Würzburg, Nürnberg, , Straßburg, Trier zum Zielort Bad Homburg. Porsche steuerte seinen Tourenwagen, der mit neuar- tiger aerodynamischer Tulpenform und Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 140 Stundenkilometern beeindruckte. Im Ersten Weltkrieg als Direktor eines Rüstungsbetriebes unab- kömmlich, konstruierte der Mann mit dem universellen technischen Gefühl den »Landwehr-Train« – eine benzin-elektrisch angetriebene Zugmaschine, die mehrere automatisch gesteuerte Anhänger zog, die von Radnabenelektromotoren angetrieben wurden. Die hohe Zuglast von 30 Tonnen war bis dahin unvorstellbar. Einsetzbar war der Las- tentransporter sowohl auf kurvigen Gebirgsstraßen wie auch auf Schienen. Für seine Verdienste um Österreich erhielt Porsche neben hohen militärischen Auszeichnungen 1917 auch den Ehrendoktortitel der TH Wien. Nach dem verlorenen Krieg entschied sich der Porsche- Pionier für die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, was ihm dank seines Geburtsortes möglich war. Der Hauptgrund für diese

Erste Gehversuche im Rennzirkus 21 Entscheidung dürfte gewesen sein, dass österreichische Staatsange- hörige als Kriegsverlierer zunächst nicht ins Ausland reisen durften. Für Porsche war es aber entscheidend, Rennen und Automobilsalons zu besuchen. Da sein Lebensschwerpunkt aber in Österreich lag, leg- ten ihm Kritiker sein Votum zur tschechoslowakischen Staatsbürger- schaft als mangelndes politisches Bewusstsein aus. Wie sich im Drit- ten Reich zeigen sollte, war es einfach Ferdinand Porsches Art, politi- sche Begleitumstände auszublenden, wenn es um den Erfolg seines Unternehmens ging. Weihnachten 1920 gab es ein ganz besonderes Geschenk für den mittlerweile zehn Jahr alten Ferry: Vater Ferdinand ließ seine Lehr- linge einen kleinen Zweisitzer zusammenbauen, angetrieben von ei- nem luftgekühltem 6-PS-Zweizylindermotor, stolze 60 Stundenkilo- meter schnell. »In dieser Welt des Automobils wuchs ich auf. Schon als kleiner Knirps fühlte ich mich zum Automobil hingezogen«, schrieb Ferry in seinen Memoiren. Er manövrierte das Fahrzeug oh- ne Kennzeichen und Führerschein durch die Straßen von Wiener Neustadt. Es gab keine Probleme mit den Ordnungshütern, denn »aufgrund der Stellung meines Vaters pflegten die Polizisten in Wie- ner Neustadt beide Augen zuzudrücken«. Seine Fahrkünste stellte er früh unter Beweis: Kurz nach seinem elften Geburtstag nahm er an einem Geschicklichkeitsturnier des Wiener Automobilclubs teil – und fuhr mit seinem Spezialfahrzeug so schnell wie kein anderer. 1922 präsentierte Ferdinand Porsche den »Sascha«, einen kleinen Rennwagen mit vier Zylindern und 1,1-Liter-Hubraum. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Noch im gleichen Jahr gewann der »Sascha« (benannt nach dem Grafen Alexander Kolowrat) bei der Tar- ga Florio, einem Langstreckenrennen auf öffentlichen Bergstraßen in Sizilien, auf Anhieb die Plätze 1 und 2 in seiner Klasse. Die Gazetta dello Sport war begeistert: »Noch bis vor kurzem hätte man es einfach für unerreichbar erklärt, mit einem Vierzylinder-Motor, der in die Ka- tegorie der allerkleinsten Wagen gehört, eine derartige Höchstleis- tung in Geschwindigkeit und Widerstandsfähigkeit zu erzielen.« Bis 1922 fuhren die Rennwagen des Typs Sascha bei 51 Starts 43mal aufs Siegertreppchen. (Siehe auch Kapitel 5.)

22 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Der ewige Tüftler

Ferdinand Porsche ruhte sich nicht auf diesen Erfolgen aus, son- dern brütete rastlos weiter. Zu den vielen Konstruktionen Porsches während seiner Zeit als Technischer Direktor bei Austro Daimler zähl- ten Oberleitungsbusse, große Zugmaschinen, leistungsstarke Flug- motoren, aber auch Feuerwehrfahrzeuge und Transportsysteme mit benzin-elektrischem Antrieb. 1923 verließ Porsche Austro Daimler, nachdem der Vorstand die für die Rennwagenabteilung zur Verfügung stehenden Mittel stark ge- kürzt hatte. Die Familie zog von Wiener Neustadt nach Stuttgart. Tochter Louise heiratete den Wiener Anwalt Anton Piëch und blieb in Österreich. Dank einer Sondergenehmigung erhielt Ferry mit nur 14 Jahren den Motorrad- und bereits mit 16 Jahren den Kfz-Führer- schein. Vater Ferdinand begann 1923 in Stuttgart Untertürkheim als Leiter des Konstruktionsbüros und Vorstandsmitglied der Daimler-Moto- ren-Gesellschaft (DMG). Als Technischer Direktor entwickelte er un- ter anderem den ersten Mercedes-Benz mit Achtzylindermotor und die mit einem Kompressor aufgeladenen Sport- und Rennwagen mit den Namenskürzeln »S« (Sport), »SS« (Super Sport) und »SSK«» (Su- per Sport Kurz). 1926 zwang die angespannte wirtschaftliche Lage die Daimler-Motoren-Gesellschaft und Benz & Cie zur Fusion, wodurch Porsches firmeninterne Position geschwächt wurde. Weil Porsche von einer lebenslangen Anstellung ausging, sein Vertrag aber 1928 nicht verlängert wurde, kam es zu einem juristischen Scharmützel, das mit einem Vergleich beendet wurde. Zudem wünschte man sich in Stutt- gart einen Konstrukteur, der den Ideen seiner Kollegen aufgeschlos- sener gegenüber stand als Porsche, der stets seinen eigenen Kopf hat- te. 1929 ging Porsche zur österreichischen Automobilfirma Steyr- Werke AG, wo er wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens aber nur ein kurzes Gastspiel geben konnte. Ende 1930 kehrte Ferdinand Porsche als Selbstständiger nach Stutt- gart zurück. »Mein Vater hatte erkannt, dass seine Produktivität so enorm war, dass er innerhalb ein bis zwei Jahren einer Firma so viele Grundlagen geschaffen hatte, dass sie zehn Jahre davon leben konn- te. Und die Firma hat sich die Ausgaben gespart, indem sie ihm den Vertrag nicht verlängert hat. Und er hat sich gesagt: Wie komme ich

Der ewige Tüftler 23 dazu, jedes Mal Grundlagen zu schaffen und dann kann ich wieder gehen. Es ist doch besser, ich mache ein eigenes Büro und arbeite für alle«, beschrieb sein Sohn Ferry in der Dokumentation Der Porsche-Weg die Beweggründe seines Vaters. Am 25. April 1931 er- öffnete der geniale Autobauer sein Konstruktionsbüro, das als »Dr. Ing. h. c. F. Porsche Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Konstruktionen und Beratungen für Motoren- und Fahrzeugbau« mit Sitz in der Stuttgarter Kronenstraße 24 im Register für Gesellschafts- firmen eingetragen wurde. Die Firmenanteile lagen zu 70 Prozent bei Porsche, zu 15 Prozent bei dem Kaufmann und Rennfahrer Adolf Rosenberger und zu 15 Prozent bei seinem Schwiegersohn, dem Wie- ner Rechtsanwalt Anton Piëch.

Kampf gegen die Krise

Mit anfangs nur zwölf Konstrukteuren stemmte sich der Jung- unternehmer gegen die sich zuspitzende Wirtschaftskrise. Im Febru- ar 1932 erreichte die Depression den Arbeitsmarkt mit voller Wucht: 6 120 000 Arbeitslosen, das entsprach 16,3 Prozent der Gesamtbevöl- kerung, standen lediglich 12 Millionen Beschäftigte gegenüber. Die Stimmung erreichte den Tiefpunkt, kaum jemand wagte auf bessere Zeiten zu hoffen. Doch selbst der konjunkturelle Gegenwind vermochte die geniale Kreativität Porsches nicht zu beeinträchtigen. Zu einem Meilenstein wurde die im August 1931 zum Patent ange- meldete Drehstabfederung, die jahrzehntelang im Automobilbau ein- gesetzt werden sollte. Die ersten Autos trugen noch nicht den Namen Porsche, sondern waren Kundenaufträge, etwa die Kleinwagenkonzepte Typ 12 für den Nürnberger Zweiradhersteller Zündapp oder Typ 32 für NSU. Das Fahrzeug hatte große Ähnlichkeit mit dem späteren VW Käfer und war zunächst mit einem Ein-Liter-Motor geplant, der Prototyp hatte ei- nen wassergekühlten 1,2-Liter-5-Zylinder-Sternmotor. In Serie ging der Wagen jedoch nie. Die Zählung der Porsche-Entwicklungen be- gann mit der Sieben, vermutlich um bei Auftraggebern ein größeres Vertrauen in die junge Firma zu erzeugen. Später entwarfen die Stutt- garter für NSU den Mittelklassewagen Porsche Typ 32, der bereits vie-

24 Glanz und Elend eines Weltkonzerns le Gemeinsamkeiten mit dem späteren VW Käfer aufwies und erst- mals mit der 1931 patentierten Drehstabfederung ausgerüstet war. 1932 brach Ferdinand Porsche zu einer Rundreise durch die Sowjetunion auf. Es war die Zeit der Wirtschaftskrise. Auch in Stalins Reich ging es den Menschen schlecht, es herrschte Hungersnot. Doch der Diktator hatte es geschafft, Wirtschaftsexperten aus dem Westen in sein Land zu locken. Henry Ford und sein Fließband standen hoch im Kurs in der UdSSR, auch der renommierte Staudammexperte Hugh Cooper aus den USA leistete Entwicklungshilfe. Stalin träumte ähnlich wie Hitler von einer staatlich geförderten Automobilindustrie und von einer automobilen Gesellschaft. Er lud Porsche ein, ihm beim Aufbau zu helfen. Porsche erwog zunächst, in der Sowjetunion zu bleiben, sagte später aber ab: Er sprach nicht Russisch und wollte es mit seinen 57 Jahren auch nicht mehr lernen. Zudem hätte er – so lau- tete Stalins Bedingung – das Land nicht mehr verlassen dürfen.

Die Erfolgsfahrt geht weiter

Im Frühjahr 1933 begann Porsche im Auftrag der sächsischen Auto Union die Entwicklung eines neuen Grand-Prix-Rennwagens nach den Regeln der neuen 750-kg-Rennformel. Der Bolide wurde mit ei- nem 16-Zylinder-Mittelmotor – damals noch Heckmotor genannt – ausgerüstet. Mit diesem Konzept erwies sich Ferdinand Porsche ein- mal mehr als Visionär. Noch heute kommt der Mittelmotor in der For- mel 1 zum Einsatz. Schon im Januar 1934 fanden die ersten Ver- suchsfahrten statt. Ferry Porsche stellte dabei sein besonderes fahre- risches Talent so eindrucksvoll zur Schau, dass der Vater befürchtete, seinen Sohn an den Rennsport zu verlieren. Mit den Worten »Renn- fahrer habe ich viele, aber nur einen Sohn« verbot er ihm weitere Am- bitionen als Rennfahrer. Bereits während der ersten Rennsaison im Jahr 1934 gewann der Bolide drei Weltrekorde und fuhr neben meh- reren Bergrennen auch bei drei internationalen Grand-Prix-Rennen auf das Siegertreppchen. Mit Fahrern wie Bernd Rosemeyer, Hans Stuck oder Tazio Nuvolari avancierte der zwischen 1934 und 1939 kon- tinuierlich weiterentwickelte Auto Union-Rennwagen zu einem der erfolgreichsten Rennfahrzeuge der Vorkriegszeit.

Die Erfolgsfahrt geht weiter 25 Dank der guten Ertragslage änderte Porsche 1937 die Rechtsform seines Ingenieurbüros in eine Kommanditgesellschaft. Teilhaber wa- ren sein Sohn Ferry mit 15 Prozent, sein Schwiegersohn Anton Piëch mit zehn Prozent und seine Tochter Louise Piëch mit fünf Prozent. Im gleichen Jahr entwickelten die Konstrukteure im Auftrag der Deutschen Arbeitsfront (DAF) den landwirtschaftlichen Klein-Schlep- per Typ 110 mit luftgekühltem Zweizylindermotor, der zur Grundlage des späteren Volkstraktors und der nach dem Zweiten Weltkrieg pro- duzierten Porsche Diesel-Schlepper wurde. Das Konstruktionsbüro, das sich seit 1938 in der Spitalwaldstraße 2 in Zuffenhausen befand, bearbeitete weitere Entwicklungsaufträge, etwa den 8,24 Meter langen Mercedes Benz Typ 80 mit einem zwölfzylindrigen Flugmotor. Mit dem 3500 PS starken Gefährt soll- te der Geschwindigkeitsweltrekord von Sir Malcolm Campbell ge- brochen werden. Mit seinem Blue Bird erreichte er eine Spitzen- geschwindigkeit von 484,62 Stundenkilometern. Zum Einsatz kam der T 80 jedoch nie – der Zweite Weltkrieg verlangte vollkommen andere Prioritäten, und für Rekordfahrten gab es keinen Raum mehr. Für Langstrecken wurde der Berlin-Rom-Wagen, auch als Porsche Typ 64 bekannt, entwickelt. Anlass war die für den Herbst 1939 ge- plante Fernfahrt von Berlin nach Rom, ein Gegenstück zur populären Rallye Lüttich–Rom–Lüttich. Mit einer handgefertigten, besonders windschnittigen Karosserie aus Aluminium, verkleideten Radkästen und einem modifizierten Vierzylinder-Boxermotor mit 1,1 Liter Hub- raum und 33 PS erreichte das Fahrzeug eine Spitzengeschwindigkeit von 145 Stundenkilometern. Ferdinand Porsche ließ nur drei Exem- plare bauen. Vor dem Termin der Fernfahrt Berlin–Rom brach am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg aus, sodass der Sportwagen nicht zum Einsatz kam. Gerade ein Exemplar des Typ 64 überstand den Krieg. Einen fuhr KdF-Leiter Bodo Lafferentz zu Bruch und ein weiterer wurde höchstwahrscheinlich bei einem Bombenangriff oder von der amerikanischen Besatzung zerstört. Der an eine eigentümli- che Mischung zwischen U-Boot und UFO erinnernde Urahn aller Porsches ist seit Anfang 2009 öffentlich im Porsche-Museum in Zuf- fenhausen zu sehen.

26 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Die Geburt des Käfers

Ferdinand Porsches bedeutendster Auftrag und sein Lebensziel sollte aber unter der Projektnummer 60 die Entwicklung des »Volks- wagens« werden, ohne den die Firma Porsche als Fahrzeughersteller wahrscheinlich nie entstanden wäre. Am 17. Januar 1934 stellte Por- sche dem Reichsverkehrsministerium sein »Exposé betreffend den Bau eines Deutschen Volkswagens« vor: Das Auto sollte Platz für zwei Erwachsene und drei Kinder bieten, eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern erreichen und im Durchschnitt nicht mehr als sieben Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer verbrauchen. Schon am 22. Juni 1934 folgte der Vertrag mit dem Reichsverband der Automo- bilindustrie über den Bau eines Prototyps des Volkswagens. Porsche verpflichtete sich, diesen Prototyp innerhalb von zehn Monaten fertig zu stellen. Hitler kündigte zur Automobilausstellung im Februar 1935 »die Schaffung des Wagens der breiten Masse« an. Der Diktator freu- te sich, dass es dank »der Fähigkeit des glänzenden Konstrukteurs Porsche« gelungen sei, »die Vorentwürfe für den deutschen Volkswa- gen fertig zu stellen.« So montierte Porsche ab 1935 im Auftrag des Reichsverbandes der Automobilindustrie die ersten Fahrzeuge in der Garage seiner Stuttgarter Villa. 1936 fuhren die ersten Prototypen auf der Straße, verantwortlich dafür war der 27-jährige Ferry. Eine Vor- führung fand auch auf dem Obersalzberg statt. Die Wagen basierten auf dem NSU-Prototyp, zeigten aber schon stärker die Form des VW Käfer, allerdings mit hinten angeschlagenen Türen. Abweichend vom NSU waren die Scheinwerfer nicht in die Kotflügel, sondern eng bei- sammen stehend in die Frontabdeckung einbezogen. Die Motorhau- be reichte beinahe bis ans Dach, ein Heckfenster hatten die Wagen nicht. Erst 1938 baute das Karosseriewerk Reutter die Vorserie VW 38 mit Ganzstahlkarosserie, vorn angeschlagenen Türen, Stoßfängern vorn und hinten und dem bis März 1953 beibehaltenen geteilten Rück- fenster, das als »Brezelfenster« Geschichte machte. Hitler zeigte sich begeistert, zur Automobilausstellung 1938 sollten bereits die ersten von zunächst 100 000 Fahrzeugen ausgeliefert werden. Porsches Modelle wurden wenig später, sehr zum Missfallen seines Konstrukteurs, von treuen Nationalsozialisten als KdF-Wagen be- zeichnet – »Kraft durch Freude« war die Urlaubsorganisation der Deutschen Arbeitsfront. Nach den Vorgaben Hitlers sollte der Wagen

Die Geburt des Käfers 27 mit 990 Reichsmark für jedermann erschwinglich sein. Als Urheber des VW-Käfer-Vorläufers gilt zwar gemeinhin Ferdinand Porsche. Doch der hatte bei der Konstruktion maßgeblich auf Entwürfe des österreichischen Autokonstrukteurs Béla Barényi zurückgegriffen, der den buckligen Wagen bereits 1925 auf dem Reißbrett entworfen und als Abschlussarbeit bei einem Wiener Technikum eingereicht hatte. Die Firma Porsche hatte die Urheberschaft Barényis lange be- stritten, erst durch ein Gerichtsurteil konnte Barényi 1953 seine Urhe- berschaft und damit seine Ansprüche durchsetzen. Ein entscheiden- des Element fehlte dem Ur-Käfer jedoch: Der von Porsche realisierte Wagen hatte statt der von Barényi vorgesehenen Sicherheits-Lenksäu- le den gefährlichen Lenkspieß, eine starre Lenksäule, die wie ein Speer auf den Fahrer gerichtet ist und ihn im Falle eines Aufpralls aufspießt. Erst 1967 ersetzte VW den von Porsche realisierten Lenkspieß durch eine Sicherheitslenkung im Sinne Barényis. Der Name Käfer wiede- rum entstand nach dem Krieg aus der Rückübersetzung von »Beetle.« Ursprünglich sollte das Auto für 990 Reichsmark erhältlich sein. Eine Barzahlung war nicht vorgesehen, sondern die Interessenten konnten Wertmarken in nicht begrenzter Zahl zu je fünf Reichsmark kaufen und diese auf »KdF-Wagen-Sparkarten« kleben. Die erste Sparkarte diente gleichzeitig als Kaufantrag. Ab 1938 konnten Inter- essierte wöchentlich Sparmarken für den KdF-Wagen im Wert von fünf Mark erwerben. Das Fahrzeug sollte dann bei Erreichen der Kaufsumme ausgeliefert werden. Zur Produktion des KdF-Wagens legte man am 26. Mai 1938 nahe Fallersleben den Grundstein für den Bau des Volkswagen-Werks, das das modernste Automobilwerk in Europa werden sollte. Vorbild war das Ford-Werk »River Rouge« in Detroit, das mit ausgefeilter Technik Wagen am Fließband produzier- te. Hitler wollte die Fabrik »Porsche-Werk« nennen, doch Ferdinand Porsche lehnte ab. So wurde daraus das Volkswagenwerk. Am 1. Juli 1938 erfolgte die Gründung der neuen Stadt mit dem Namen »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben« zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Als der Grundstein gelegt wurde, hielt bereits die Kriegs- furcht in Europa Einzug. Wenige Monate später – der Zweite Welt- krieg hatte gerade erst begonnen – war an eine Serienproduktion des Volkswagens nicht mehr zu denken. Deutschland brauchte keinen Volkswagen mehr, Hitlers Feldzüge verlangten andere Transportfahrzeuge. Nach dem Ende des Zweiten

28 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Weltkrieges war das Volkswagenwerk zu rund zwei Dritteln zerstört. 1945 wurde die »Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben« in Wolfsburg umbenannt – das Volkswagenwerk begann zunächst unter Leitung der britischen Besatzungsmacht mit der Serienproduktion des seither »Volkswagen« genannten KdF-Wagens, dem späteren VW Käfer. Ferry Porsche zeigte neben seinem herausragenden technischen Sachverstand auch unternehmerischen Weitblick. 1948 schloss seine Firma mit dem Volkswagenwerk einen Vertrag, der die finanzielle Ba- sis für das Stuttgarter Autowerk und die österreichische Porsche Hol- ding Pkw-Handelsgesellschaft bildete. Porsche verzichtete auf die zu- vor bestehende Generalbeauftragung für alle VW-Entwicklungsarbei- ten. Ersatzweise erfolgte für die Zusammenarbeit mit VW bei der Weiterentwicklung des VW-Käfers eine monatliche Vergütung von 40 000 DM, die später auf 480 000 DM erhöht wurde. Außerdem wurde neben der Festlegung eines Konkurrenzverbotes für die Be- nutzung der Patente Porsches eine Lizenzgebühr von 0,1 Prozent des Bruttolistenpreises vereinbart. Dies entsprach 1950 bei der Standard- ausführung eines Käfers einem Betrag von fünf DM. Porsche erhielt außerdem die Alleinvertretung von Volkswagen in Österreich. Der ei- gentliche Erfolg des VW-Käfers begann erst in der Nachkriegszeit. Im März 1950 lief in Wolfsburg der 100 000. Volkswagen vom Band.

Porsche und das Dritte Reich

1934 legte Ferdinand Porsche auf Drängen Hitlers die tschechoslo- wakische Staatsangehörigkeit ab und nahm die deutsche an. Vier Jah- re später wurde er zusammen mit Ernst Heinkel, Willy Messerschmitt und Fritz Todt mit dem 1937 von Hitler neu gestifteten Deutschen Na- tionalpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. 1940 wurde Porsche zum Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Stuttgart ernannt und 1942 zum Oberführer der Allgemeinen SS. Por- sche war zwar seit 1937 Mitglied der NSDAP und hatte auch den Rang eines SS-Oberführers. Aber dies schien ihn nicht zu interessieren und er machte nie Aufhebens davon, er blieb immer der Konstrukteur in Zivil. Uniformen konnte Porsche nie etwas abgewinnen, auch nicht im Kaiserreich.

Porsche und das Dritte Reich 29 Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beschäftigten sich die Porsche-Ingenieure vorwiegend mit der Entwicklung militäri- scher Fahrzeuge. Neben dem Typ 81 »VW-Kastenwagen« entwickelte man den Typ 62 »KdF-Gelände-Fahrzeug«, den als Kübelwagen be- kannt gewordenen Typ 82, sowie den mit Allradantrieb ausgestatteten Typ 87 und den Typ 166 »VW-Schwimmwagen«. Ende 1939 erhielt das Konstruktionsbüro vom Heereswaffenamt den Entwicklungsauf- trag für einen mittelschweren Kampfpanzer, dessen Konstruktion jedoch vorzeitig eingestellt wurde, weil schwerere Panzertypen benö- tigt wurden. Sein Engagement in der Kriegsindustrie machte Ferdinand Por- sche von 1941 bis 1943 zum Vorsitzenden der Panzerkommission, da- mals eine Spitzenposition in der Kriegswirtschaft. Später wurde er in den Rüstungsrat berufen. Als Hitlers Lieblingsingenieur entwickelte er den nach ihm benannten Panzerjäger Ferdinand und den Panzer- kampfwagen Maus. Das Konstruktionsbüro in Stuttgart, das zu- nehmend zur Konstruktionsabteilung des Volkswagenwerks wurde, sicherte sich immer mehr lukrative Aufträge. »Es waren Innovationen dabei, an denen sich Militärhistoriker heute noch begeistern, nur ein gesamtheitlicher Techniker konnte sie entwickeln«, erinnert sich VW- Patriarch und Porsche-Enkel Ferdinand Piëch in seinem Buch »Auto.Biographie«. Statt des kleinen Wagens für das Volk rollten seit Kriegsbeginn Kübelwagen und Schwimmwagen für die Wehrmacht von den Bändern des Volkswagen-Werks. Porsche lieferte auch Teile für die Flugbombe V1 und konstruierte die Panzertypen »Panther« und »Tiger«. Das auch als »Tiger I« bekannte Kriegsgerät war der ers- te schwere deutsche Kampfpanzer, der im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kam. Ebenfalls unter Ferdinand Porsches Leitung wurde ein 180-Tonnen-Riese mit dem Tarnnamen »Maus« entwickelt, der Kampfpanzer »Ferdinand« trug gar seinen Namen. 1943 übernahm das Volkswagenwerk auf Initiative des Hauptgeschäftsführers Ferdi- nand Porsche die unternehmerische Verantwortung beim Autobauer Peugeot in Frankreich. Zwischen 1940 und 1945 produzierte das Werk in Fallersleben rund 65 000 Fahrzeuge, Varianten des von Porsche entwickelten zivilen Modells. Es waren Amphibienautos und vor allem der von der Wehrmacht und der SS bestellte Kübelwagen, aus dem später – nach erfolgreicher Fronterprobung – wieder der Käfer wurde.

30 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Nachdem das Fahrzeug Anfang der 1950er-Jahre mit wachsendem Erfolg in die USA exportiert und als erschwingliches, sparsames und robustes Gebrauchsauto populär geworden war, bürgerte sich dort der spöttisch-liebevoll gemeinte Spitzname »Beetle« oder »Bug« ein. Erst in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, nachdem mit »Herbie, ein tol- ler Käfer« das Auto zum Filmstar geworden war, übernahm der VW- Konzern den inzwischen auch in Deutschland gängigen Namen »Käfer« für seine Werbekampagnen. Wenn man noch 1960 sagte, man fahre einen VW, war jedem klar, dass der Typ 1 gemeint war; denn das »Volkswagenwerk« baute außer diesem nur noch den Typ 2, den VW-Bus. 1955 macht der Käfer die erste Million verkaufter Exemplare voll – und allerspätestens jetzt wird auch dem letzten Spötter klar, dass der kleine Wagen ein ganz Großer ist, ein Volltreffer. Der VW war da- mit Motor und Sinnbild des Wirtschaftswunders – der Wunsch, vom Motorrad ins Auto aufzusteigen, zog sich durch alle Schichten.

Das dunkle Kapitel

Das Anfang der 1930er-Jahre entstehende Stuttgarter Unterneh- men entwickelte sich zu einem typischen Betrieb nationalsozialisti- scher Gewaltherrschaft. Der Bochumer Historiker Hans Mommsen geht in seiner Studie »Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich« davon aus, »dass Männer wie Porsche keine fanati- schen Nationalsozialisten waren, aber trotzdem zum Vollstrecker völ- lig widersinnig gewordener Rüstungsanstrengungen der letzten Stunde« wurden. Ferry Porsche drückte es so aus: »Während mein Vater in technischen Belangen ein äußerst praktischer Mann war, ein Realist, jederzeit in der Lage, ein Problem zu lösen, war er politisch naiv wie ein Kind. Er machte sich über Ereignisse von nationaler oder internationaler Bedeutung keine Gedanken. Wenn ihm ein Argument überzeugend klang, dann glaubte er es ohne Zögern.« Porsches Angestellte hofften, unter den sowjetischen Kriegsgefan- genen Metallarbeiter zu finden. Doch das Hitler-Regime stand sich zunächst selbst im Weg: Es mutmaßte Sabotage und ideologische An- steckung durch die von den Nationalsozialisten verteufelten Bolsche- wisten. Nach langem Zögern stimmte Hitler schließlich dem Einsatz von 120 000 sowjetischen Gefangenen in Deutschland zu. Auf dem

Das dunkle Kapitel 31 Höhepunkt der Kriegsproduktion arbeiteten etwa 15 000 Menschen – das entsprach rund zwei Dritteln der Gesamtbelegschaft – aus Polen, der Sowjetunion, Italien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden sowie deutsche »Wehrmachtstrafgefangene« als Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk. Historiker Mommsen schreibt über den Schwie- gersohn des Porsche-Gründers: »Anton Piëch erklärte im Sommer 1943 unverblümt, er müsse billige Ostarbeiter einsetzen, um nach dem Willen des Führers den Volkswagen für 990 Reichsmark zu pro- duzieren.« Das Gros der Kriegsgefangenen war jedoch nur eingeschränkt ar- beitsfähig, zu stark zehrten Erschöpfung und Hunger nach dem end- losen Transport. Im VW-Werk starben 27 von 120 fast verhungerten Russen, die Ende 1940 als erste Zwangsarbeiter in Fallersleben ein- trafen. Die sowjetischen Gefangenen wurden von den übrigen Arbei- tern abgeschirmt und hausten in jämmerlichen Baracken hinter dop- peltem Stacheldraht. Kaum erträglicher war das Los der Zwangs- arbeiter, die in den besetzten Ländern zusammengetrieben und nach Deutschland gebracht worden waren. Die Häftlinge wurden in der Regel von der Werksleitung angefordert. Porsche selbst nutzte seinen Kontakt zum SS-Führer Heinrich Himmler, als das Werk weitere Arbeitskräfte für den Bau einer Leichtmetallgießerei brauchte. »Noch im Februar 1945 ließ Porsche KZ-Opfer aus Buchenwald herbeischaf- fen. Sie sollten in Eschershausen bei Holzminden die Stollen aus- bauen, in die er seine Rüstungsproduktion verlegen wollte«, schreibt die Frankfurter Historikerin Ursula Krause-Schmitt. Hans Momm- sen schreibt zum gleichen Zeitraum: »Ferdinand Porsche war zuletzt am 11. Januar 1945 in der Stadt des KdF-Wagens gewesen und zog sich offensichtlich resigniert nach Österreich zurück, wo er das Kriegs- ende auf dem Schüttgut in Zell am See erlebte.« Nach Auswertung von teilweise bisher unbekanntem Archivmate- rial beziffert der Automobil-Journalist Ulrich Viehöver in seinem An- fang Oktober 2009 erschienen Buch »Stuttgarter NS-Täter« die Zahl der Porsche-Zwangsarbeiter in Stuttgart auf etwa 300. Porsche selbst spricht dagegen von »maximal 50 Zwangsarbeitern«. Sollte die Zahl 300 zutreffen, wäre fast ein Drittel der gesamten Belegschaft zur Ar- beit gezwungen worden, denn die Sportwagenmanufaktur beschäf- tigte 1944, ohne Zwangsarbeiter 656 Menschen. Viehöver zitiert den Polen Jan Karolczak als Zeitzeugen, der seit dem Frühjahr 1942 als

32 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Zwangsarbeiter für Porsche gearbeitet hat und vor einigen Jahren ent- schädigt wurde. Der Befehl zum Arbeitseinsatz erreichte den damals 21-jährigen im besetzten polnischen Krotoszyn. Von seinen 150 Reichsmark Monatslohn musste er noch Krankenkassenbeiträge, Lohnsteuer, und das »dürftige« Essen bestreiten. »Mir sind 60 Mark davon geblieben«, zitiert ihn Viehöver. Dem Spiegel sagte Karolczak Ende September 2009, es seien mit ihm mindestens 70 Zwangsar- beiter bei Porsche beschäftigt gewesen. Wiedeking-Biograf Viehöver schreibt, dass es in Stuttgart-Zuffen- hausen eigens Behausungen für Zwangsarbeiter der Firma Porsche gegeben habe, etwa eine Baracke in der Schwieberdinger Straße 130. Eine weitere Unterkunft habe es in der Strohgäustraße gegeben. Belege für den Einsatz jüdischer KZ-Häftlinge am Stammsitz von Por- sche seien bisher aber nicht in Archiven gefunden worden. 1999 gab es eine Kontroverse über die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangs- arbeiter. Mit der Begründung, das Unternehmen sei eine Neugrün- dung von 1948, lehnte Porsche zunächst alle Entschädigungszahlun- gen ab, obwohl eine Klage eines 74-jährigen Polen vorlag, der von 1942 bis 1945 Zwangsarbeit in Stuttgart geleistet hatte. Nachdem die Klage vom Stuttgarter Landgericht abgewiesen wurde, trat Porsche je- doch der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft bei, die das Ziel hatte, mit einem Milliardenfonds die Entschädigung von Zwangs- arbeitern zu regeln. Zudem verpflichtete man sich, »alle Personen, die ihre unfreiwillige Arbeit plausibel belegen können, unverzüglich mit jeweils 10 000 Mark zu entschädigen«. Zu diesem Zeitpunkt hat- ten sich fünf Personen als ehemalige Zwangsarbeiter bei Porsche gemeldet.

Der Porsche-Grandseigneur: Technik vor Gefühlen

Um seine Rolle im Dritten Reich richtig bewerten zu können, muss man Ferdinand Porsches absolute, fast kindliche Technikgläu- bigkeit berücksichtigen. In seiner Gedankenwelt war Technik eine ra- tionale Größe – frei von Werten wie Gut und Böse, bar jeder Gefühls- betontheit. Für ihn gab es allenfalls Aufgaben, die es mit allen ver- fügbaren Mitteln zu lösen galt. Eine mögliche moralische Fehlbarkeit dessen, was mit seinen Produkten möglich war, existierte für ihn

Der Porsche Grandseigneur: Technik vor Gefühlen 33 nicht. Ebenso wenig stellte er die Mittel zur Umsetzung seiner Pro- jekte in Frage: Seine gute Beziehung zu Hitler nutzte er wie selbst- verständlich. Ohne in ethischen oder moralischen Kategorien zu den- ken forderte er bei Heinrich Himmler 10 000 Häftlinge zur Aufrecht- erhaltung des Produktionsbetriebes an. Er schreckte nicht einmal davor zurück, den französischen Automobilhersteller Peugeot unter seine Aufsicht zu stellen. Sein Sohn Ferry beschreibt ihn zwar als wenig nationalistisch und seine Frau sogar als unpolitisch. Auch konnte er nichts mit dem Selbstinszenierungsdrang der Nazis anfangen, was er dadurch kund- tat, dass er bei allen öffentlichen Anlässen nur in Zivilkleidung auf- trat und die ihm verliehenen NS-Auszeichnungen ignorierte. Den Arm zum Hitlergruß zu heben war seine Sache nicht. Dennoch be- fand er sich in einer beklemmenden Symbiose mit dem nationalsozi- alistischen System, das ihm genau die Freiheiten bot, die er benötig- te. Mit hoher Loyalität setzte er seine großen Begabungen auch für die Kriegspolitik der nationalsozialistischen Diktatur ein. »Ferdinand Porsche gehörte zu den Technikern«, schreibt Mommsen, »die die un- geahnten produktiven Freiräume, die das Regime ihnen plötzlich er- öffnete, um jeden Preis zu nutzen entschlossen waren, ohne sich an den politischen Rahmenbedingungen zu stoßen.« Porsches Schwie- gersohn Anton Piëch, der 1943 zum Hauptgeschäftsführer berufen wurde, setzte diesen Weg konsequent fort. Er gab den scharf kalku- lierenden Kaufmann, der sein Unternehmen konsequent auf Profit trimmen wollte. Der Einstieg in die Rüstungsproduktion lohnte sich: Zwischen 1934 und 1944 vervielfachte sich der Gewinn des Stuttgar- ter Konstruktionsbüros von rund 3000 Reichsmark auf mehr als zwei Millionen Reichsmark. Historiker Mommsen bezichtigt die damals Verantwortlichen der »moralischen Indifferenz«, bewusstes Mitläufertum sieht er aber nicht. Er sieht Porsche eher als »Technokrat, der sicherlich kein Kriegsverbrecher gewesen ist«. »Wie ein Schlafwandler«, schreibt der Wissenschaftler, »ist Porsche durch das Verbrechen gelaufen.« Den- noch lässt er offen: »Wie weit sich Porsche über den verbrecherischen Charakter des Regimes, dem er diente und dem er entscheidende För- derung verdankte, im Klaren gewesen ist, muss offen bleiben. Er stell- te den Prototyp des ausschließlich an technologischen Fragen inter- essierten Fachmanns dar, der sich aber andererseits nicht scheute, die

34 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Herrschenden direkt anzugehen, wenn es um die Interessen des Volkswagenwerks ging. Unter den Industrieführern der NS-Zeit nahm Porsche ebenso eine Sonderstellung ein wie in der politischen Führungselite.« Der Diskurs um die Rolle des Gründervaters bleibt gespalten. Parteimitglieder der Grünen im Rat der Stadt Wolfsburg et- wa schrieben ihm 1988 auch eine persönliche Mitschuld am Leiden von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zu. Der frühere Zwangs- arbeiter Jan Karolczak erinnert sich an ein Erlebnis, das viel über die Haltung des Porsche-Gründers offenbart: Während der Luftangriffe wurde er mit anderen Zwangsarbeitern gezwungen in der Firma zu bleiben, um eventuell zu löschen: »Hinterher gab es dafür aber eine Mark fünfzig.« Die Luftangriffe auf Stuttgart belasteten ab 1943 Leben und Arbeit der Porsche-Mitarbeiter immer mehr. Das Rüstungskommando der Wehrmacht drängte die aufstrebende Firma schließlich im Herbst 1944, das Konstruktionsbüro nach Gmünd in Kärnten zu verlegen. Weil das neue Porsche-Werk von einer ganzen Reihe von Unterkünf- ten und Werkstätten geprägt war, verliehen ihm die Mitarbeiter den sarkastischen Beinamen »Vereinigte Hüttenwerke.«

Die Nachkriegszeit

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges hielt sich Ferdinand Porsche im österreichischen Gmünd und in Zell am See auf, wohin er sich schon im Januar 1945 zurückgezogen hatte. Dort wohnten auch die Kinder Louise und Ferry. Die Zuffenhausener Produktionsanlagen wurden zunächst vom französischen Militär benutzt, das zur LKW- Werkstatt umfunktionierte Werk 1 wurde im August 1945 von einer US-Einheit zweckentfremdet. Mitte November 1945 wurden Ferdi- nand und Ferry Porsche sowie Schwiegersohn Anton Piëch vom fran- zösischen Geheimdienst in Baden-Baden verhaftet. Man warf ihnen vor, während der Besetzung Frankreichs die Deportation französi- scher Arbeiter nach Fallersleben und die Verschleppung von Peugeot- Direktoren in ein Konzentrationslager veranlasst zu haben. Außer- dem galten sie verantwortlich für die Demontage und Verlagerung von Maschinen und Werkzeug der Firma Peugeot ins Volkswagen- werk. Während Ferry im März 1946 wieder aus dem Gefängnis frei

Die Nachkriegszeit 35 kam, hielt man den erkrankten Senior, dessen Gesundheitszustand sich zunehmend verschlechterte, weiter fest. Ferdinand Porsche und Anton Piëch verbrachten 22 Monate in französischen Gefängnissen. Im Mai 1946 wurden die beiden Automobilpuristen nach Paris ver- legt und im Pförtnerhaus des vormaligen Anwesens von Louis Renault untergebracht. Ironie der Geschichte: Als Gefangener fuhr der Porsche-Urvater die Renault 4CV-Versuchswagen und sollte Ideen über die notwendige Verbesserung der Straßenlage liefern. Der Renault 4CV avancierte später zur französischen Variante des Volks- wagens. Wie der VW-Käfer hatte er den Motor im Heck und wurde über die Hinterräder angetrieben. Anders als dieser hatte er aber kei- nen luftgekühlten Boxermotor, sondern ein wassergekühltes 4-Zylin- der-Reihenaggregat. Die Lage für Porsche und Piëch spitzte sich zu, als sie im Februar 1947 in Ketten nach Dijon gebracht wurden. Der Gesundheitszustand Porsches verschlechterte sich weiter. Drei Monate später begannen die Vernehmungen. Eine Reihe von Zeugenaussagen bestätigte Porsches korrektes Verhalten und half, die Vorwürfe zu entkräften. Bis heute sind die Hintergründe der Festsetzung ohne Erhebung einer Anklage nicht gänzlich geklärt. Weder die Firma Peugeot noch das französi- sche Justizministerium gewährten den Historikern Einblick in die Akten. Ferry Porsche nahm in der Zwischenzeit, im Dezember 1946, eine Vielzahl von Entwicklungsaufträgen vom Turiner Industriellen Piero Dusio für dessen Turiner Firma Cisitalia entgegen, die einen kleinen Sportwagen mit Fiat-Motor bauten. Hergestellt werden sollten unter anderem ein kleiner Traktor, eine Wasserturbine, der zweisitzige Typ 370 Mittelmotor-Sportwagen und ein Grand-Prix-Rennwagen. Ferry Porsche löste sich mit dem Rennwagen erstmals aus dem langen Schatten des Vaters – und war nicht weniger erfolgreich: Das voll- ständig unter seiner Leitung entstandene Fahrzeug war seiner Zeit weit voraus. Die Porsche-Tüftler konstruierten nach Ferrys Vorgaben einen 1,5 Liter-Zwölfzylindermotor mit Kompressoraufladung, für die Kraftübertragung sorgte ein zuschaltbarer Allradantrieb. Es war der erste Wagen, der den Namen der Gründerfamilie trug. Und er war der Meilenstein für die Emanzipation Ferrys von seinem Vater. Bis dahin hatte Porsche senior die Beziehung der beiden klar dominiert. »Er wollte ein Auto nach seinen Träumen bauen – und das Fahrzeug soll-

36 Glanz und Elend eines Weltkonzerns te seinen Namen tragen«, erinnert sich Susanne Porsche. Die Film- produzentin war bis 2008 mit Ferrys Sohn Wolfgang verheiratet und hatte 2005 die Biografie »Ferrytales« über das Leben des visionären Autobauers geschrieben. Vater Ferdinand konnte Ferrys Flitzer erst nach seiner Entlassung aus der Haft Anfang August 1947 beurteilen – und zollte Ferry höchstes Lob: »Keine Schraube hätte ich anders gemacht.«

Der erste pure Porsche

Weil der italienische Auftraggeber das Grand Prix-Wagen-Projekt nicht mehr finanzieren konnte, kam der Bolide nicht über das Ver- suchsstadium hinaus. Dennoch hatte das Vorhaben nachhaltige Aus- wirkungen auf die weitere Entwicklung der Firma: Ferry Porsche konnte mit dem Honorar die Kaution für Ferdinand Porsche in Höhe von 500 000 französischen Francs zahlen. Zudem erwachte durch den Cisitalia-Renner erstmals der Wunsch nach einem Porsche-Sport- wagen. »Die Anregung kam, das kann man ruhig zugeben, durch Cisitalia. Diese Firma baute damals einen kleinen Sportwagen mit Fiat-Motor. Da sagte ich mir: Warum sollten wir nicht das Gleiche mit VW-Teilen tun können?«, erinnerte sich Ferry Porsche später an die Anfänge des legendären . Der Wagen gilt auch heute noch als Legende des Automobilbaus. Er gilt als Ur-Porsche und Aus- gangspunkt einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, die bis heute nichts an Glanz verloren hat. Das Modell nach Ferrys Träumen hieß 356 und erhielt am 8. Juni 1948 die Zulassung der Kärntner Landesregierung. Grundlage war 1948 der von Ferry Porsche initiierte »Porsche Nr. 1«, ein zweisitziger Mittelmotorroadster mit Rohrrahmen und einem auf 35 PS gesteiger- ten 1,1-Liter-VW-Motor. Die ersten 50 Fahrzeuge mit Aluminiumka- rosserie wurden in Handarbeit in Gmünd in Kärnten gebaut, wohin Porsche gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ausgewichen war. Der Wagen wurde mit einfachen Mitteln unter Verwendung von Volkswa- gen-Teilen hergestellt. Die Form aller wichtigen Porsche-Fahrzeuge – beispielsweise die runden Frontscheinwerfer auf konvex gewölbten Kotflügeln, das abfallende Heck und das abgerundete Heckfenster geht noch heute auf das Design des von Ferry persönlich entworfenen

Der erste pure Porsche 37 356 Nr. 1 zurück. Auch das Logo von Porsche hatte Ferry Porsche entworfen. Die Mischung aus den Wappen von Württemberg- Hohenzollern und Stuttgart stellt einen Bezug zum Standort des Wer- kes her. Ergänzt wird es von einem krönenden Porsche-Schriftzug. Ferry Porsche zeichnete den ersten Entwurf einst bei einem Aufent- halt in New York auf eine Serviette. Heute ist es eines der bekanntes- ten Markenzeichen der Welt. Das Fahrwerk des 356 basierte auf einem luftgekühlten Vierzylin- der Boxermotor, der von VW stammte. Auch Radaufhängung, Fede- rung und Lenkung stammten aus dem Volkswagen. Dass Porsche bei der Entwicklung dieser Konstruktion auch VW-Teile verwendete, war nahe liegend. Schließlich hatte man den Volkswagen entwickelt und kannte dessen Technik. Zudem war im Nachkriegsösterreich kaum anderes Material vorhanden, und die Kärntner Landesregierung hat- te zu jener Zeit die Fertigung mechanischer Teile untersagt. VW-Tei- le waren hingegen, wenn auch eingeschränkt, im Gmünder Porsche- Werk erhältlich. Im März 1948 wurde der 356 auf ersten Testfahrten mit dem nackten Fahrgestell auf Herz und Nieren geprüft. Als Teststrecke wählte man unter anderen den Katschbergpass, der aufgrund seiner Steigung – bis zu 32 Prozent – berüchtigt war. Sandsäcke simulierten das Gewicht der Karosserie. Am Steuer des Testfahrzeugs saß Grün- dersohn Ferry persönlich. Das Ergebnis beeindruckte: Der 35 PS star- ke Mittelmotor-Roadster erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 135 Kilometern pro Stunde und bewährte sich gleichermaßen durch seine Fahrleistungen wie auch sein Fahrverhalten. Im April 1948 wur- den dann der eigentliche Gitterrohrrahmen und im Mai die von entwickelte und von Karosseriebauer Friedrich Weber ge- fertigte Aluminiumkarosserie montiert. Die Karosserie war richtung- weisend für das künftige Porsche-Design: betonte vordere Kotflügel, runde Scheinwerfer in den Kotflügeln und in der Wagenfarbe lackierte Stoßstangen. Die betonten Kotflügel hatten zudem eine Funktion: Sie sollten laut Ferry Porsche dem Fahrer die Position der Räder anzeigen und so ein zielgenaueres Fahren des nur 585 Kilo- gramm schweren Sportwagens in Kurven ermöglichen. Hinter dem Motorraum war Platz für das Reserverad, die 6-Volt-Batterie und leichtes Gepäck. Der 50 Liter fassende Benzintank befand sich unter der Fronthaube. Um die Aerodynamik zu verbessern, bauten die In-

38 Glanz und Elend eines Weltkonzerns genieure die äußeren Türgriffe versenkt ein. Die zweigeteilte, flache und rahmenlose Windschutzscheibe war abnehmbar, zudem gab es ein leichtes Notverdeck. Der Innerraum war betont schlicht. Die ursprünglich durchgehen- de Sitzbank mit einer konturierten Rückenlehne wurde später durch zwei Einzelsitze ersetzt. Die Türen waren innen hohl und mit einer Stoffverkleidung sowie einer Ziehschnur zum Öffnen ausgestattet. Diese Ziehschnur sollte auch später wieder bei besonders sportlichen Porsche-Modellen zum Einsatz kommen. An Instrumenten gab es nur einen mittig vor dem Fahrer angeordneten Tachometer und eine im Handschuhfachdeckel vor dem Beifahrer befindliche Zeituhr. Der 8. Juni 1948 wurde somit zu einem der wichtigsten Tage in der Unternehmensgeschichte der Sportwagenschmiede. Die Porsche Konstruktionen GmbH Gmünd erhielt an diesem Tag von der Kärnt- ner Landesregierung unter der Prüfnummer 4328 die Einzelgeneh- migung für ihren »Sport 356/1«, der das Kennzeichen »K 45 286« er- hielt. Dies war die Geburtsstunde der Sportwagenmarke Porsche. Die Produktion des zunächst in Handarbeit gefertigten Wagens konnte anlaufen, knapp einen Monat später wurde der 356 anlässlich des Schweizer Grand Prix in Bern erstmals der Öffentlichkeit vorge- stellt. Eine Woche danach, am 11. Juli, siegte der erste offizielle Por- sche beim Innsbrucker Stadtrennen mit Ferry Porsches Cousin Her- bert Kaes am Steuer in der Klasse bis 1 200 Kubikzentimeter. Damit begann die bis heute fortgesetzte Tradition, Porsche-Sportwagen bei Motorsportveranstaltungen einzusetzen. Im September 1948 wurde der 356/1 für 7000 Franken an den Schweizer Unternehmer Rupp- recht von Senger verkauft, der das Auto wiederum für 7500 Franken an einen Schweizer Kunden weitergab. Das wirtschaftliche Risiko des 356-Projekts erscheint aus heutiger Sicht enorm. Europa war mit dem Wiederaufbau beschäftigt, gefragt waren vor allem kostengünstige und alltagstaugliche Autos. Sportwa- gen waren zu jener Zeit bestenfalls ein Traum – den Ferry Porsche ver- wirklichen wollte. »In dieser Zeit seinen eigenen Sportwagen gebaut zu haben ist wohl die größte Lebensleistung meines Vaters«, sagt spä- ter Wolfgang Porsche laut der Zeitung Die Welt. Seine damalige Ge- mahlin Susanne wird im Focus so zitiert: »Eigentlich brauchte kein Mensch zu der Zeit einen Sportwagen, die Leute brauchten ein Dach über dem Kopf.«

Der erste pure Porsche 39 Der legendäre Porsche 356 Nr. 1 mit seinem Mittelmotorlayout soll- te ein Einzelstück bleiben. Seine Nachfolger 356/2 wurden auf einem Blechpressrahmen und mit dem Boxermotor im Heck gebaut, um hinter den Vordersitzen einen Gepäckraum zu ermöglichen. Die ers- ten Verkaufserfolge machten Mut für die Zukunft. Dass Porsche ein reiner Sportwagenhersteller werden sollte, war damit jedoch keine be- schlossene Sache. Porsche-Gründer Ferdinand legte seinen Fokus auf Wasserturbinen und Dieseltraktoren und sah in der Auftragsferti- gung größere Erträge als mit der Eigenproduktion. Sein Sohn blieb dennoch seinen eigenen Visionen treu und wollte zumindest einige Hundert Fahrzeuge bauen. Dass es bis zum Ende der Produktion im Jahr 1965 mehr als 76 000 Sportwagen werden sollten, hätte er zu die- sem Zeitpunkt wohl noch nicht einmal zu träumen gewagt: »Ich dach- te, dass ich vielleicht 500 solcher Porsche-Autos verkaufen könnte und damit meine Kosten begleichen würde. Es stellte sich heraus, dass das eine kleine Unterschätzung war – und von diesem Zeitpunkt an hat es hier immer viel zu tun gegeben.« Um seine ambitionierten Pläne verwirklichen zu können, war der Umzug nach Stuttgart erforderlich. Das Werk in Gmünd war mit sei- ner mangelhaften technischen Ausstattung zu provisorisch. Weil das frühere Porsche-Werk in der baden-württembergischen Landeshaupt- stadt nach wie vor in der Hand der Amerikaner war, richtete Ferry Por- sche ein vorläufiges Büro und eine kleine Versuchswerkstatt in der Stuttgarter Porsche-Villa ein.

Abschied vom Gründer

Im März 1950 schließlich wurde der erste Porsche 356 in Stuttgart gebaut. Im Oktober 1950 reiste Porsche-Gründer Ferdinand zum Automobilsalon nach Paris, wo die Marke Porsche einen eigenen Stand hatte. Kurze Zeit später erlitt er einen Schlaganfall. Als er am 30. Januar 1951 in Stuttgart starb, hinterließ er ein auf zwei Gesell- schaften aufgeteiltes Vermächtnis: das Konstruktionsbüro in Zuffen- hausen, aus dem sich später die Sportwagenschmiede Porsche entwi- ckelte, und den Porsche-Ableger in Salzburg, der zum größten Auto- handelsunternehmen Europas werden sollte. Ferdinand Porsches Erbe teilten die Kinder 1951 gerecht auf. Nachdem das Volkswagen-

40 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Werk von der britischen Militärregierung bereits ein Jahr zuvor an das Land Niedersachsen und die Bundesregierung übertragen worden war, übernahm Ferry Porsche das Stuttgarter Werk, die Tochter Louise Piëch den Handelsvertrieb in Österreich und damit den Exklusivver- trieb für Volkswagen. Noch im gleichen Jahr siedelte der Sportwagenhersteller mit Werk und Familiensitz nach Stuttgart um – nicht ganz freiwillig, wie Susanne Porsche berichtet: »Er wollte in die Nähe der Zulieferer, in seinem Herzen aber war er bis zum Lebensende Österreicher.« Die Produktion wurde in Räumen der Karosseriewerke Reutter aufgenommen, die bereits Ende 1949 den Auftrag erhalten hatten, 500 Stahlkarosserien zu fertigen. Während seiner Produktionszeit verbesserte Porsche den Typ 356 immer weiter, behielt aber typische Merkmale wie die für Porsche patentierte und vom VW Käfer be- kannte vordere Kurbellenkerachse sowie die an Längsschubstreben geführte hintere Pendelachse mit Drehstabfedern bei. Die Motoren basierten zwar immer auf dem VW-Original, wurden aber stetig weiterentwickelt. Ferry Porsche erkannte schnell das Potenzial des Exportmarktes. Er verschiffte 1951 die ersten Sportwagen in die USA – und traf damit voll ins Schwarze. Stars und Sternchen, allen voran die Hollywood-Idole, interessierten sich für den leichten Sportwagen. Der Speedster sorgte für neue Absatzrekorde. Die Nachfrage nach den Sportwagen aus der Schwabenmetropole war so groß, dass 1955 bereits die Hälfte der Jah- resproduktion in die Neue Welt verkauft wurde. »Wir hätten es uns nicht träumen lassen, dass wir schließlich mit dem Typ 356 auf eine Gesamtstückzahl von 76 000 kommen würden«, resümiert Ferry Porsche später stolz.

Carrera Panamericana und

Der erste nur für den Renneinsatz entwickelte Porsche wurde 1953 auf dem Pariser Automobilsalon präsentiert – der 550 Spyder. In den folgenden Jahren holte der Spyder zahlreiche Siege auf der Rundstre- cke und bei den damals populären Straßenrennen. In besonderer Er- innerung geblieben ist bis heute und sein Klassen- sieg beim Langstreckenrennen Carrera Panamericana im November

Geburt zweier Legenden 41 1954 gegen eine deutlich stärkere Konkurrenz. Das Autorennen fand auf öffentlichen Straßen in Mexiko statt. Im ersten Jahr 1950 führte die Carrera Panamericana von der Nordgrenze Mexikos zur Südgren- ze über eine Distanz von 3436 km. Damit war das Rennen doppelt so lang wie die Mille Miglia (tausend Meilen), der Klassiker unter den Langstrecken-Straßenrennen. Ab 1951 wurde die Strecke von Süden nach Norden befahren, aber wegen zu vieler tödlicher Unfälle wurde das Rennen 1954 eingestellt.

Am 10. Juni 1956 errang Porsche einen seiner größten und wichtigs- ten Rennsiege. Auf einem A Spyder erzielte der italieni- sche Rennfahrer Umberto Maglioli überraschend den Gesamtsieg bei der Targa Florio, dem damals traditionsreichsten und schwersten Straßenrennen. Erstmals gelang es einem Fahrer mit einem Fahrzeug der kleinen Rennklasse bis zwei Liter Hubraum, die erheblich PS-stär- keren Autos der größeren Hubraumklassen hinter sich zu lassen. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 90,9 Kilometern pro Stunde und einem Vorsprung von knapp 15 Minuten auf den Zweitplatzierten deklassierte Maglioli nicht nur die Konkurrenz, sondern erzielte für die Stuttgarter auch den ersten Gesamtsieg in der Markenweltmeis- terschaft. Kompromisse gab es bei diesem Renner nicht, was nicht zuletzt an der handgedengelten Karosse zu erkennen war. Sie wurde so knapp über die 15-Zoll-Räder gezogen, als trüge der Spyder einen zu engen Anzug. Keine Stoßstangen, kein Zierrat, Holzlenkrad, Mittelmotor und Platz für zwei Insassen. Es dominierten nackte Rohre und ge- lochte Verstrebungen. Nur eine Umdrehung mit dem Vierkant- schlüssel genügte, und der Spyder klappte in drei Teile auf. Sein pu- ristisches Konzept zog die Trennlinie zur Serie, die mit dem 356 das Käfer-Prinzip des Heckmotors verfolgte. Der 110 PS starke 550 Spyder schlug mit 24 600 Mark zu Buche. Für den gleichen Betrag gab es fünf Export-Käfer. Insgesamt wurden 130 Spyder gebaut, davon gin- gen 50 in die USA.

42 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Geburt zweier Legenden

Dort sollte der Wagen mit dem längs eingebaut Vierzylinder-Boxer- Mittelmotor das Schicksal des Kult-Schauspielers James Dean be- stimmen. Der jugendliche Draufgänger suchte das Tempo. In Dreh- pausen fuhr er mit seinem Porsche sogar Autorennen. Für die Stutt- garter wurde der Hollywoodstar der perfekte Werbeträger in den USA. Am 30. September 1955, nach Abschluss der Dreharbeiten zu »Giganten«, fuhr Dean mit seinem Porsche-Mechaniker Rolf Wüthe- rich in seinem liebevoll »Little Bastard« genannten Porsche zu einer Rennstrecke im kalifornischen Salinas. Auf dem Weg dorthin nahm ihm ein schwerer Ford auf einer einsamen Landstraße die Vorfahrt. Der 24-jährige Filmstar erlitt einen Genickbruch und war sofort tot, Wütherich wurde schwer verletzt. Doch zwei Legenden wurden geboren: Die des ewig jungen James Dean und die des Porsche 550 Spyder – beide wirken bis heute nach.

Butzis Gnadengabe

Ende der 1950-Jahre gestand Ferry Porsche dem 356 nur noch ge- ringe Zukunftschancen zu. Statt das Erfolgsmodell weiter zu entwi- ckeln, entschied sich das Technik-Genie für ein neues Modell, das sich am bewährten Porsche-Konzept mit dem luftgekühlten Boxermotor im Heck anlehnen sollte. Zwischenzeitlich waren drei seiner vier Söh- ne in der Automobilbranche tätig. Besonders aktiv war Ferdinand Ale- xander, genannt »Butzi«, der als Konstrukteur in der Modell-Abtei- lung arbeitete. Ohne seine kreative Leistung hätte der Stuttgarter Sportwagenbauer niemals Weltruf erlangt. Denn es war der älteste Sohn des Firmengründers, der zusammen mit Erwin Komenda, der bereits beim Porsche 356 die Entwicklung maßgeblich beeinflusst hatte, das Design des 911ers schuf. »Als ich damals den 911er kon- struiert hatte, stand er von Anfang an hinter mir. Aber nicht, weil ich sein Sohn war, sondern weil er überzeugt war. Er hatte immer ein aus- geprägtes Formgefühl, extreme Farben und Formen mochte er nie«, sagte der Porsche-Spross über die Zusammenarbeit mit dem be- rühmten Vater. Obwohl er als geistiger Vater des 911ers den Weltruf von Porsche festigte, konnte er sich mit seinem Entwurf nie richtig

Butzis Gnadengabe 43 anfreunden. »Als der 911er unter meiner Regie entstand, hörte ich auf, Porsche zu fahren«, gab der Designer Anfang der 1980er-Jahre im Spiegel zu Protokoll. Die Entwürfe aller Renn- und Sportwagen, die in den 1960er-Jahren vom Band rollten, gehen auf Ferdinand Alexander Porsche zurück. So auch der legendäre Langstrecken- Rennwagen 904 Carrera GTS. Im Jahr 1972 gründete Ferdinand Alexander ein eigenes Designstudio, dessen Sitz er zwei Jahre später nach Zell am See in Österreich verlegte. Dort kreierte er in den fol- genden Jahrzehnten außer Sportwagen auch Uhren, Brillen und Schreibgeräte, die unter der Marke »« vertrieben wer- den. Bis heute zählt das Designstudio in Zell am See zu den renom- miertesten der Welt. Die Rundungen des Blechs, die Porsche-Sohn Ferdinand Alexander Anfang der 1960er-Jahre entworfen hatte, und den brabbelnden Klang des Boxer-Motors empfindet die überwiegend männliche Kundschaft als reine automobile Erotik. Mittlerweile steht der 911er seit Jahrzehnten als Synonym für einen alltagstauglichen Sportwagen.

Der 911 – die Sportwagenikone

Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung 1963 in Frankfurt präsentierte die Sportwagenschmiede erstmals den 911er – zunächst noch unter der Bezeichnung 901. Wegen namensrechtlicher Forde- rungen von Peugeot – die Franzosen hatten sich jegliche dreistellige Chiffre mit der Null in der Mitte patentieren lassen – musste die mitt- lere Null durch eine Eins ersetzt werden, so dass der Wagen im Jahr 1964 als Porsche 911 auf den Markt kam. Um die Produktion gewähr- leisten zu können, übernahmen die Stuttgarter 1964 den Automobil- zulieferer Reutter mit rund 1000 Mitarbeitern. Obwohl als Nachfol- ger des Porsche 356 vorgestellt, unterschied sich der 911 nicht nur technisch in vielen Punkten von seinem Vorgänger. Porsche betrat mit diesem Wagen auch stilistisch Neuland. Vor der Serieneinführung im November des gleichen Jahres wur- den 13 Prototypen des neuen Modells hergestellt. Das Fahrzeug war größer und auch innen geräumiger als der 356er. Ferry Porsche freu- te sich, dass er endlich seine Golfausrüstung unterbringen konnte. Die typische Porsche-Kundschaft hatte genau das beim 356er ver-

44 Glanz und Elend eines Weltkonzerns misst. Der Porsche-Vordenker ahnte offenbar sehr früh, dass sein Unternehmen mit diesem Fahrzeug Geschichte schreiben würde: »Die lange, geradezu ungewöhnliche Lebensdauer dieses Modells macht mich stolz darauf, am Ende mit meiner Meinung vom 911 recht behalten zu haben«, ist im historischen Porsche-Archiv zu lesen. Auch die Fensterflächen waren größer und ergaben eine bessere Rundumsicht. Der Radstand wurde erweitert und ermöglichte ein für die 1960er-Jahre bequemeres Reisen als mit dem Vorgänger. Ebenso wurde der Kofferraum vergrößert, der sich beim Porsche 911 vorne be- findet. Angeboten wurde der 911er schließlich in den Karosseriever- sionen Coupé, Targa und Cabriolet. Der Name Targa (ital. »Schild«) leitet sich aus der Targa Florio ab, bei der Porsche seit den 1950er-Jah- ren einige Gesamtsiege verbuchen konnte. Der erste 911er, der 1964 vom Band lief, war mit einem Sechszylinder-Boxermotor ausgestattet, der aus zwei Litern Hubraum eine Leistung von 130 PS lieferte. Grund für die Erhöhung der Zylinderanzahl war zum einen, dass der Vierzylinder-Boxermotor des Porsche 356 nicht mehr mit wirt- schaftlich vertretbarem Aufwand weiterentwickelt werden konnte, und zum anderen die Tatsache, dass ein Sechszylindermotor traditio- nell eine größere Laufruhe und somit höheren Komfort bietet. Das Armaturenbrett wurde gegenüber dem des 356 überarbeitet und dem Geschmack der 1960er-Jahre angepasst. Das Zündschloss blieb aller- dings links neben der Lenksäule. Die Position des Zündschlüssels ging auf den Rennsport zurück, als die Rennwagen beim Start neben der Rennstrecke geparkt standen und die Piloten erst zu ihren Fahr- zeugen laufen und diese dann starten mussten. Viele Rennwagen wa- ren so ausgestattet, weil ein links vom Lenkrad positionierter Schlüs- sel schneller beim Einsteigen betätigt werden und somit Zeit gewon- nen werden konnte. Die Anordnung der fünf Instrumente wurde bis zum Modell 993 beibehalten: links des mittig eingebauten großen Drehzahlmessers die Kombiinstrumente für Tankinhalt und Ölstand sowie Öltemperatur und Öldruck und auf der rechten Seite Tacho- meter sowie Analoguhr. In der 130-PS-Version wurde der Wagen drei Jahre lang produziert, bis die Modellreihe durch ein stärkeres Modell, den 911 S, erweitert wurde. Diese sportlichere Version wartete mit ei- nem nahezu baugleichen Motor mit einer Leistung von 160 PS auf. Optisch war das Topmodell an den markanten Leichtmetallfelgen der Firma Fuchs, den so genannten »Fuchsfelgen«, zu erkennen.

Der 911 – die Sportwagenikone 45 1969 wurde der Hubraum aller Motoren von 1991 auf 2195 Kubik- zentimeter erweitert. Schon zwei Jahre später erfolgte eine weitere Hubraumerhöhung auf 2341 Kubikzentimeter. Die Leistung der Mo- toren stieg entsprechend an, sodass das Topmodell, der 911 S (S stand für Super) nun 190 PS auf die Straße brachte. Mit der Leistung stieg auch der Kraftstoffverbrauch deutlich an. Mit siebzehn Litern je 100 Kilometern und einem Tankinhalt von 85 Litern musste die Tankstel- le öfter angesteuert werden als jemals zuvor. Dafür war der 911 S 1972 das schnellste in Deutschland gebaute Serienfahrzeug. Eine Sonder- stellung unter den Urmodellen des 911ers nimmt der Carrera RS des Modelljahres 1973 (F-Modell) mit einem 2,7-Liter-Motor ein. Der Wa- gen unterschied sich äußerlich von den anderen 911ern durch seine vorne und hinten ausgestellten Kotflügel, die charakteristisch für al- le späteren Carrera-Modelle waren. Der spezielle Frontspoiler hatte für den Ölkühler eine mittlere Öffnung. Das Heck zierte erstmals ein Flügel bzw. Spoiler, der wegen seiner Form Entenbürzel genannt wur- de. Als erster Hersteller verwendete Porsche bei dem Modell unter- schiedliche Reifendimensionen an Vorder- und Hinterachse: vorne 185/70 VR 15; hinten 215/60 VR 15. Ferry Porsche blickt mit gemisch- ten Gefühlen auf den 911er zurück: »Blicke ich auf den 911er zurück, so stellt dieser Typ zweifellos ein umstrittenes Konzept dar,« zitiert ihn das historische Porsche-Archiv.

Halb Porsche, halb Volkswagen

In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre wollte Ferry Porsche neue Marktanteile gewinnen. Ihm fehlte ein preiswertes Einstiegsmodell, weil der 356er im Jahr 1965 eingestellt wurde und der 912er – ein ab- gespeckter 911er mit dem 90 PS schwachen Vierzylinder des 356C – sich gegenüber den Sportwagen der Konkurrenz nicht behaupten konnte. Gleichzeitig suchte VW einen Nachfolger für den schönen, aber als technisch veraltet geltenden und langsamen Ghia. Was lag da näher als eine gemeinsame Entwicklung der Karosserie? Je nach Antriebsaggregat hätte das Modell entweder als Porsche oder VW verkauft werden können. Ferry Porsche und der mit der Porsche- Familie eng verbundene, damalige VW-Chef Heinrich Nordhoff, des- sen Tochter Elisabeth mit Ferrys Neffen Ernst Piëch verheiratet war,

46 Glanz und Elend eines Weltkonzerns vereinbarten per Handschlag das gemeinsame Vorgehen. Die Stutt- garter Sportwagenschmiede zeichnete einen flachen Zweisitzer mit abnehmbarem Targa-Dach, das im hinteren Kofferraum verstaut wer- den konnte. Der Mittelmotor befand sich hinter den Sitzen, was für eine ausgeglichene Gewichtsverteilung und damit für gute Fahr- eigenschaften sorgte. Durch die links vom Fahrersitz angeordnete Handbremse war in der Mitte eine schmale Notsitzfläche vorhanden, die den Wagen offiziell zum Dreisitzer machte. Entwickelt wurde der Flitzer innerhalb von 37 Monaten. Während die Technik weitgehend aus den Regalen der beteiligten Hersteller stammte, entwarf der Porsche-Designer Heinrich Klie einen voll- kommen neuen Aufbau. »Volksporsche« bürgerte sich als Name für das Auto schnell ein, was bisweilen spöttisch als »VoPo« abgekürzt wurde – obwohl der Marketing-Leiter der VertriebsGmbH, Fritz Huschke von Hanstein, bei der Pressevorführung eindringlich gebe- ten hatte, diese Abkürzung der DDR-Volkspolizei nicht für den 914er zu verwenden. Spötter ätzten, man wisse wegen der Form gar nicht, ob das Auto nun rückwärts oder vorwärts fahre. Außergewöhnlich waren die beiden Falten über den Kotflügeln, die ähnlich wie beim Porsche 911 bis in die vorderen Fahrzeugecken liefen, aber so schmal waren, dass lediglich die Blinker Platz hatten. Im Frühjahr 1968 kam es zu Zwistigkeiten zwischen den Vertragspartnern. Am 12. April 1968 starb Heinrich Nordhoff. Sein Nachfolger, Kurt Lotz, wollte die mündliche Vereinbarung zwischen Nordhoff und Ferry Porsche nicht anerkennen. Das Vermarktungskonzept des 914er war damit bereits vor Beginn der Serienproduktion gescheitert. Die vormaligen Partner verwarfen die Doppelstrategie und gründeten – schließlich war das Modell bereits entwickelt – mit der »VW-Porsche-VertriebsGmbH« eine gemeinsame Vertriebsgesellschaft, die sich um beide Varianten kümmern sollte. Bezüglich des Designs hatten Volkswagen und Porsche sehr unter- schiedliche Auffassungen. Während Wolfsburg ein Modell mit schnit- tiger Optik und überzeugenden Fahrleistungen anstrebte, wollten die Zuffenhausener Kannibalisierungseffekte mit dem 911er vermeiden. Nach der Präsentation des Wagens auf der Internationalen Automo- bil-Ausstellung im Spätsommer des Jahres 1969 reimte denn auch ein Motorjournalist: »Vom Käfer die Natur, vom Porsche die Figur«. Das Magazin Der Spiegel bezeichnete den VW-Porsche 914 wegen sei-

Halb Porsche, halb Volkswagen 47 ner Fahreigenschaften als »so etwas wie der Prototyp eines verkann- ten Autogenies«. Die Version mit dem Porsche-Sechszylinder zeigte sich überaus agil und bot puristisches Fahrvergnügen. Das knapp tau- send Kilogramm schwere Gefährt mit dem direkt hinter den Sitzen positionierten Motor ließ sich erstaunlich dynamisch bewegen und blieb auch bei forscher Fahrweise sehr gutmütig. Die Höchstge- schwindigkeit lag bei knapp 201 Stundenkilometern. Anfang der Siebziger konnten da nicht viele mithalten. Rennfahrer berichten bis heute, dass das Zwitterprodukt dem teureren »echten« Porsche auf der Straße locker wegfahren konnte. Die couragiert gestaltete und mit Klappscheinwerfern und Targa- Dach zusätzlich aufgepeppte Karosserie wurde zum Erfolg. Knapp 120 000 VW-Porsche 914 wurden zwischen 1969 und 1976 gebaut und machten die Koproduktion zum erfolgreichsten Sportwagen sei- ner Zeit. Die 80-PS-Version mit 1,7 Liter Vierzylinder Boxermotor von VW, die bei Karmann in Osnabrück gefertigt wurde, kostete anfangs 12 560 Mark. Der 914/6 mit dem Porsche-Motor schlug dagegen mit 19 980 Mark zu Buche – für damalige Verhältnisse ein teures Ver- gnügen. Doch diese Investition sollte sich lohnen. Modelle mit Por- sche-Motor erzielen heute Preise bis 40 000 Euro, während gut er- haltene Fahrzeuge aus Wolfsburg nur um die 20000 Euro gehandelt werden. Da der Porsche 911 damals nur rund 1000 DM mehr kostete, entschieden sich im ersten Modelljahr gerade einmal 2657 Interes- senten für den 914/6. In den Folgejahren brachen mit 432 (1971) und 229 (1972) Fahrzeugen die Verkaufszahlen völlig ein und der 914/6 wurde ab Mitte 1972 nicht weiter angeboten. Auch Ferry Porsche fuhr einen 914er, den er als Geschenk seiner Mitarbeiter zum 60. Geburtstag erhielt. Für den Porsche-Vordenker durfte es aber kein Produkt von der Stange sein. Der nach außen kaum veränderte Sportwagen war mit dem 260 PS starken Dreiliter- Achtzylindermotor des Rennsportwagens Typ 908 aufgerüstet. Das persönliche Geburtstagsauto wurde von da an zum alljährlichen Ri- tus, so dass Ferry Porsche auf die Frage, ob er sich denn auch selbst einen Porsche kaufen würde, lakonisch antwortete: »Nein, ich warte einfach bis ich Geburtstag habe.« Zum Modelljahr 1973 erfolgten die meisten Änderungen in der Geschichte des 914er. Nach der Einstel- lung des 914/6 ergänzte VW sein Programm mit einem Zweiliter- motor mit 100 PS. Obwohl er auch nur vier Zylinder bieten konnte,

48 Glanz und Elend eines Weltkonzerns erreichte er annähernd die Fahrleistungen des zehn PS stärkeren Wagens mit Porsche-Sechszylindermotor. Im Modelljahr 1976 wur- den nur noch 4 075 Exemplare produziert, die allesamt für den US- Markt bestimmt waren. Die Partner VW und Porsche arbeiteten noch gemeinsam an einem Nachfolger. Doch dieses Mal endete die Koope- ration in der Entzweiung: VW verlor nach der Ölkrise das Interesse. Man überließ den Schwaben die Reste. Diese brachten den Wagen un- ter dem Namen »Porsche 924« trotz vieler VW- und -Teile allein auf den Markt – und verfügten damit über ein Einsteigermodell, das zeitweise zum meistverkauften Fahrzeug der Firma überhaupt avan- cierte. Dass mit dem VW-Porsche noch viel mehr möglich gewesen wäre, zeigte jemand, der damals noch für Porsche arbeitete und dann auf die andere Seite wechselte: Der spätere Audi- und VW-Chef Fer- dinand Piëch ließ sich von seiner Versuchsabteilung den 914/8 mit acht Zylindern und 300 PS entwickeln. Es gab damals keinen Porsche 911 mit Straßenzulassung, der diesem Boliden auch nur annähernd ebenbürtig gewesen wäre.

Neue Wege aus der Krise

Anfang der 1970er-Jahre sollte Porsche im Auftrag der Motorsport- abteilung von Volkswagen einen möglichst günstigen Sportwagen als Nachfolger des VW-Porsche 914 konstruieren, der in das offizielle Verkaufsprogramm von Audi aufgenommen werden sollte. Damit kam man auch den Händlern entgegen, die seit Längerem eine Neu- auflage des Porsche 914 gefordert hatten. Doch die Ölkrise 1973/74 machte den Wolfsburgern einen Strich durch die Rechnung. Das VW- Management sah einen Nachfrageeinbruch für Sportwagen und ent- schied, den Wagen doch nicht in das Angebot aufzunehmen. Porsche kaufte Mitte 1975 die Rechte an der Konstruktion zurück und wollte den Wagen unter eigenem Label vermarkten. Die Ölkrise hatte auch die Schwaben hart getroffen, 1975 verkaufte Porsche nur noch 9000 Fahrzeuge. Der 911er galt als technisch altbacken – nichts war wichti- ger als ein günstiges Einstiegsmodell. Um das vor der Schließung ste- hende Audi-Werk in Neckarsulm auszulasten, forderte der damalige VW-Chef Toni Schmücker, die Produktion des Wagens dorthin zu ver- legen. Keine besondere Bürde, wie sich bald herausstellen sollte, denn

Neue Wege aus der Krise 49 die Kapazitäten bei Porsche waren später ohnehin mit dem ausgelastet. Mit dem 924er hatten die Schwaben ab 1975 ein Fahrzeug im Programm, das mit fast allen Haustraditionen brach. Der unter dem Slogan »Ein neuer Porsche – eine klassische Aufgabe« vorgestellte Wagen war der erste Porsche mit einem vorn eingebauten wassergekühlten Frontmotor – was für Porsche-Puristen freilich fast schon an Hochverrat grenzte. Neu war auch das Transaxle-Konzept, ei- ne Sonderform des Hinterradantriebes, bei welcher der Motor vorne eingebaut ist und das Getriebe an der angetriebenen Hinterachse sitzt. Anders als bei Fahrzeugen mit Frontmotor und Hinterrad- antrieb klassischen Bauweise, bei dem Motor und Getriebe vorne sit- zen und über eine Kardanwelle die Hinterachse antreiben, ist das Ge- triebe bei der Transaxle-Bauweise mitsamt Hinterachsdifferential in einem Gehäuse untergebracht. Die Kardanwelle, die mit Motordreh- zahl rotiert, verbindet Motor und Getriebe. Autofans reagierten skep- tisch, doch die Konstrukteure versprachen sich davon eine besonders ausgewogene Gewichtsverteilung zwischen Front und Heck und da- mit ein neutrales Fahrverhalten mit wenigen Karosseriebewegungen und sehr guter Traktion. Die Pneus waren auf »Telefon«-Felgen auf- gezogen, die die Kundschaft so nannte, weil sie an die Wählscheiben der damaligen Fernsprechapparate erinnerten. Als erster Automobil- hersteller setzte Porsche serienmäßig feuerverzinkte Karosserie- bleche ein. Die Ingenieure sorgten auch für eine ungewohnte Optik. Die Front- partie war glatt und flächig gestaltet, damit auch die Scheinwerfer den makellosen Eindruck nicht störten, ließen sie sich versenken. Das Heck zierte eine massige Glasscheibenhaube, die zugleich als Koffer- raumklappe und Rückscheibe diente. Viele Teile stammten aus dem VW/Audi-Sortiment, etwa Schalter und Türgriffe aus dem VW-Golf. Der anfangs eingebaute 125-PS-Motor wurde abgewandelt auch im Lieferwagen VW LT und im Audi 100 verwendet. Das Aggregat be- schleunigte den gut eine Tonne schweren 924er in 10,5 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer und erreichte ein Spitzentempo von mehr als 200 Stundenkilometern. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,36 war die Karosserie so windschlüpfig wie bei keinem ande- ren Serienauto dieser Zeit. Der Novize entwickelte sich schnell zum Verkaufsschlager – auch wenn ihn Spötter wegen seiner Produktion im Audi-Werk Neckarsulm

50 Glanz und Elend eines Weltkonzerns als Audi-Porsche verunglimpften. Zum Preis von 23 240 Mark gab es Mitte der Siebziger kaum einen besseren Sportwagen auf dem Markt. Außer dem 911er verkaufte Porsche kein anderes Modell so häufig wie den 924er, insgesamt rollten rund 150 000 Exemplare vom Band.

40 Runden Vorsprung

Um die eingefleischten Porsche-Fans vor Abwanderungsgedanken zu schützen, entwickelten die Zuffenhausener auf Basis der Karosse- rie des 924 Carrera GT einen Sportwagen mit einem »echten« Por- sche-Motor. Das neue Auto, das Ende 1981 auf den Markt kam, ging als in die Geschichte ein. Der 944-Motor leistete 163 PS und verhalf dem Wagen zum Spurt von 0 auf 100 Stundenkilometer in 8,4 Sekunden. Für einen Sportwagen schluckte er vergleichsweise wenig Sprit, bei Tempo 120 waren es 8,7 Liter je hundert Kilometer, im Stadtzyklus liefen 11,4 Liter je hundert Kilometer durch den Ver- gaser. Die Fachpresse lobte das Fahrzeug von Beginn an, im ersten Jahr gingen bereits mehr als 30 000 Bestellungen ein. Die Preise stie- gen allerdings so schnell wie die Anzahl der verkauften Fahrzeuge: Zur Einführung kostete das Grundmodell mit manuellem Getriebe 38 900 DM, mit Automatik-Getriebe 40 400 DM. Im letzten Pro- duktionsjahr schlug das Grundmodell mit manuellem Getriebe 61 900 DM, mit Automatik-Getriebe 64 500 DM zu Buche. Das Grundmodell des 944er wurde von 1981 bis 1989 gebaut. Als Topversion präsentierte Porsche seinen Anhängern im Jahr 1985 zum Grundpreis von 72 000 DM den 944 Turbo, dessen turbo- geladener 2,5 Liter-Motor zwangsbelüftet wurde und 220 PS abrief. Die ersten Fahrzeuge wurden 1986 an die Kunden ausgeliefert. Ab 1987 wurde ein Tachometer mit einer Geschwindigkeitsanzeige bis 300 Stundenkilometer eingebaut. Die offizielle Höchstgeschwindig- keit lag zwar bei 245 Stundenkilometern, in Testberichten wurden je- doch auch Spitzen bis 255 Stundenkilometern gemessen. Die an den 944er angelehnte Karosserie wurde in vielen Details überarbeitet und verbessert. Erstmals zu bestaunen waren das Bugteil mit integrierten Leuchteinheiten, die bündig aufgesetzte Frontscheibe, die seitlichen Schwellerblenden und eine in die Gesamtform einbezogene Heck- schürze, die zusätzlich als Unterflurspoiler wirkte.

40 Runden Vorsprung 51 Die Geschichte des Porsche 944 Turbo begann bereits im Sommer 1981, als Porsche beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans einen Pro- totyp des 944 Turbo einsetzte. Das Fahrzeug, das von der deutschen Rallye-Legende Walter Röhrl und Jürgen Barth gesteuert wurde, fuhr unter der Tarnbezeichnung Porsche 924 GTP auf den siebten Platz und bekam den Preis für die kürzesten Boxen-Aufenthalte. Dank sei- ner außergewöhnlichen Zuverlässigkeit schaffte es der Prototyp des 944 Turbo viele leistungsmäßig überlegene Fahrzeuge zu überrun- den, weil diese mehr Zeit für Reparaturen in der Boxengasse benö- tigten. Dieser Triumph bestärkte Porsche, drei Jahre später beim 24- Stunden-Rennen auf dem Nelson-Ledges-Rundkurs in Ohio erneut einen Prototypen des Porsche 944 Turbo einzusetzen. Zur Teilnahme an diesem, auf einem anspruchsvollen Landstraßenkurs veranstalte- ten Rennen waren nur Serienwagen und Serien-Prototypen zugelas- sen, die den Regeln der amerikanischen Straßenverkehrszulassung entsprachen. Der Sportwagen deklassierte die Konkurrenz und sieg- te mit 40 Runden Vorsprung. 1988 kamen die Zuffenhausener mit einer auf nur 1000 Modelle limitierten Sonderserie des 944 Turbo, dem Porsche 944 Turbo S, auf den Markt. Der Motor war eine direkte Ableitung des 944-Turbo-Cup- Motors und serienmäßig mit einem Katalysator ausgerüstet. Die wichtigste Änderung gegenüber dem 944 Turbo war der größere Tur- bolader, mit dem die Leistung auf 250 PS gegenüber 220 PS beim nor- malen Turbo erhöht wurde. Die offizielle Höchstgeschwindigkeit des Sondermodells wurde mit 260 Stundenkilometern angegeben. Die unverbindliche Preisempfehlung näherte sich mit 99 800 DM knapp der 100 000-DM-Schallgrenze. Ein Jahr später wurde auch der nor- male 944 Turbo mit einigen Komponenten des 944 Turbo S ausge- stattet und leistete 250 PS.

Gezeitenwechsel mit dem Modell 928

Mit dem 928er lieferte die schwäbische Sportwagenschmiede 1977 das erste Spitzenmodell mit Frontmotor aus. Die Porsche-Hauszeit- schrift Christophorus kündigte den Typ 928, der im März 1977 auf dem Genfer Salon Premiere feierte, als den »großen neuen Sportwagen von Porsche« an. Zunächst löste das neue Modell Irritationen aus. Zu groß,

52 Glanz und Elend eines Weltkonzerns zu schwer und zu rund schien vielen das neue Kraftpaket, das sich durch ein aufwändig und völlig neu konstruiertes Fahrwerk, einen Achtzylinder-V-Motor aus Alu, die mittlerweile bewährte Transaxle- Bauweise, eine auf Leichtbau ausgelegte Karosserie mit Türen, Kot- flügeln und Motorhaube aus Aluminium auszeichnete. Der 240 PS starke Bolide unterschied sich vom 944 vor allem durch die runden Klappscheinwerfer und die stark gerundete Heckpartie. Das Design er- wies sich über die gesamte Dauer seiner Bauzeit als zeitlos, sodass das Fahrzeug, von wenigen Modifikationen abgesehen, bis zum Ende der Produktion 1995 in fast unveränderter Form gebaut wurde. Die Fach- presse lobte den Luxus-Sportwagen. Die Leser der Stuttgarter Auto- zeitschrift MOT wählten ihn zum vernünftigsten Sportwagen des Jah- res und auf der British Motor Show in Birmingham bekam er eine Goldmedaille vom Institute of British Carriage and Automobile Ma- nufacturers verliehen, das alle Sportwagen in den Disziplinen Design, Qualität und Komfort bewertete. Der größte Erfolg war die Wahl zum Auto des Jahres 1978 durch eine internationale Jury von Journalisten. Nach den Plänen der Stuttgarter Führungsriege sollte das Modell 928 den Porsche 911 ablösen. Dieses Ziel erreichte er allerdings nie, Porsche-Puristen lehnten ab. Nicht zuletzt weil der 928er größer und schwerer war und eine andere Bauweise aufwies. Während der 911er der Inbegriff eines Sportwagens war, stand das Modell 928 eher für einen Gran Turismo im ursprünglichen Sinne des Begriffs. Er koste- te zuletzt als 928 GTS mit einem 350 PS starken 5,4 Liter-Vierventil- Triebwerk im Grundpreis mehr als 178 000 DM. Selbst die Firmen- politik von Porsche, Ende der 1970er-Jahre den 911er durch eine Ver- ringerung der Motorleistung um 20 auf 180 PS vom Markt zu verdrängen, verhalf dem Modell 928 nicht zum Durchbruch. Die be- harrliche Porsche-Kundschaft hatte vielmehr durch Proteste und die weitgehende Boykottierung des 928er erreicht, dass Porsche den 911er mit wesentlich stärkeren Motoren weiterbaute. Auch wenn der 928er bei der Markteinführung seiner Zeit technisch sehr weit voraus war und er objektiv betrachtet das in vielen Belangen bessere Auto ge- wesen sein mag, fristete er dennoch bis zuletzt nur ein Nischendasein in der Modellpalette von Porsche – zumal er dem charismatischen 911er nur seine technische Perfektion entgegenzusetzen hatte. Bei al- len Vorzügen, die das Modell 928 zu bieten hatte, schwor das Gros der Porsche-Kunden weiterhin auf den kompromisslosen 911er, obwohl

Gezeitenwechsel mit dem Modell 928 53 dieser wegen seiner auffälligen Neigung zum Übersteuern im Ver- gleich zum komfortorientierten 928er im Grenzbereich wesentlich schwieriger zu fahren war. Während der 911er die Position des wah- ren Sportwagens mit Rennsport-Eigenschaften besetzte, kam dem 928er daher immer die Rolle des schnellen und luxuriösen Cruisers zu. 1995 – immerhin mehr als 60 000 Stück rollten bis dahin vom Band – wurde die Baureihe eingestellt und das Konzept des klassi- schen GT mit Frontmotor und großvolumigem Motor nicht mehr wei- ter verfolgt.

Manager mit sozialem Anspruch

Ferry Porsche sollte nicht nur als Konstrukteur als einer der Besten seiner Branche in die Geschichte eingehen. Auch auf sozialem Gebiet zeigte er Weitsicht. Schon 1956 führte er die betriebliche Altersvor- sorge ein. Die von ihm ins Leben gerufene Porsche-Stiftung half allen Mitarbeitern, die unverschuldet in Not geraten waren. Seit April 1960 erhielten die Arbeiter Monatslohn statt Stundenlohn. Auch Leistun- gen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurden bei Porsche viel früher – ohne gesetzliche oder tarifliche Verpflichtung – eingeführt, als es in der Branche üblich war. »Ich versuche, mich im Umgang mit meinen Mitarbeitern stets von Loyalität und Menschlichkeit leiten zu lassen«, lautete das Credo von Ferry Porsche, dessen Führungsstil in der Festschrift zu seinem 100. Geburtstag so beschrieben wird: »Ich habe von meinem Vorbild, mei- nem Vater, der sehr streng war und seine Mitarbeiter manchmal hart anfasste, gelernt, dass man mit ärgerlich sein nicht sehr viel erreicht, damit einen Mitarbeiter eher zur Verzweiflung treibt. Ich habe ei- gentlich immer versucht, solange ich hier allein maßgeblich war, alle meine Herren an langer Leine laufen zu lassen, denn man soll doch dem einzelnen, wenn er kreativ ist, nicht unbedingt etwas aufzwingen wollen.« Seine Belegschaft dankte ihm seine fürsorgliche, väterliche Art immer wieder aufs Neue. Noch heute erinnert sich Betriebsrats- chef Uwe Hück, seit 1985 bei Porsche, an Begegnungen mit Ferry Porsche auf dem Zuffenhausener Fabrikgelände – vor allem daran, dass man sich stets auf das per Handschlag gegebene Wort des Auto- mobil-Genies verlassen konnte.

54 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Seinen Ingenieuren ließ Ferry große Freiheiten und stand neuen Ideen offen gegenüber. Freilich nicht, ohne seinem heiligen Grund- satz treu zu bleiben: »Porsche kann und darf alles bauen. Das Produkt muss nur besser als alles Vergleichbare sein.« Er blieb bescheiden und rückte sich bei all den Erfolgen nie ins Rampenlicht. Und lehnte es ab, mit Titeln wie »Herr Doktor« oder »Herr Professor« angesprochen zu werden, obwohl er diese aufgrund seiner Verdienste ebenso verliehen bekam wie das Bundesverdienst- kreuz, das ihm Theodor Heuss, sein Grundstücksnachbar auf dem Killesberg, für seine Verdienste in der Automobilentwicklung bereits im Jahr 1959 verliehen hatte. »Er ist immer am Boden geblieben«, bringt es sein Sohn Wolfgang später auf den Punkt. Zurückhaltung prägt auch seine Einstellung zum Erfolg: »Über die Rezepte, erfolg- reich zu sein, gibt es unzählige Bücher. In ihnen stehen alle mög- lichen guten Tipps. Ich habe keines dieser Bücher gelesen.« Seine Gedanken zur Zukunft des Automobils aus dem Jahr 1979 haben bis heute nichts an Aktualität eingebüßt: »Künftig kommt es besonders auf den Verbrauch an. Der Verbrauch ist seit jeher abhän- gig von Gewicht und Luftwiderstand. In beiden Punkten ist der Sport- wagen im Vorteil.« Visionär zeigte er sich auch hinsichtlich eines Geländefahrzeugs. Schon in den siebziger Jahren bat er seine Inge- nieure, ein allradgetriebenes Fahrzeug mit Sechszylindermotor zu entwickeln. Diese Idee ließ ihn zeitlebens nicht mehr los. 1989 sagte er in einem Interview: »Wenn wir ein Geländefahrzeug nach unseren Qualitätsvorstellungen bauten und vorne steht Porsche drauf, würde es auch verkauft.« 13 Jahre später wurde die Vision mit der Präsenta- tion des Cayenne zur Realität. Auch der viertürige Gran Turismo Pan- amera geht auf ein Thema zurück, mit dem sich Ferry Porsche schon zur Zeit des 356er befasste und für das er mehrere Studien in Auftrag gegeben hatte. Die Nobellimousine kam 2009 auf den Markt – genau in dem Jahr, in dem der Gründersohn seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Dass zu diesem Zeitpunkt sein nie erfüllter Traum eines Por- sches mit vier Sitzen verwirklicht wurde, war ein später Erfolg.

Manager mit sozialem Anspruch 55 Neue Ausrichtung

Anfang der 1970er-Jahre prägte Ferry Porsche, der mittlerweile seit zwei Jahrzehnten an der Spitze stand, noch einmal die langfristige Strategie für sein Unternehmen. Der feine Sportwagenhersteller war sehr groß geworden. Ferry Porsche und seine Schwester Louise Piëch hatten jedoch versäumt, ihre Nachfolge konsequent zu regeln. Beide besaßen jeweils zehn Prozent, die acht Mitglieder der nächsten Gene- ration teilten sich ebenfalls jeweils ein Zehntel des Konzerns – aber al- le wollten mitwirken. Im häufig als »Stuttgarter Erbfolgestreit« ver- unglimpften Familienzwist stritt Ferdinand Piëch als Entwicklungs- chef der Sportwagenmanufaktur erbittert mit Produktionschef und Cousin Hans-Peter Porsche um Hubraumgrößen und Drehzahlen. Selbst ein Wiener Experte für gruppendynamische Beratung, der die Familie in Klausur auf das österreichische Porsche-Refugium Schütt- gut schickte, fand kein Rezept, um Harmonie herzustellen. »Das war eher eine Satire auf gut gemeinte Bemühungen«, erinnert sich Ferdi- nand Piëch in seinem Buch Auto.Biographie, »wir gerieten uns voll in die Wolle.« Oberhaupt Ferry blieb angesichts des Kompetenzgerangels nur noch eine Möglichkeit: »Dann kommt eben keiner an die Spitze.« Die Clan-Chefs Ferry Porsche und Louise Piëch entschieden, dass fort- an kein Mitglied der Familie operative Führungspositionen überneh- men durfte. Die Enkel des Gründers, Entwicklungsleiter Ferdinand Piëch, Produktionsleiter Hans-Peter Porsche sowie Chefdesigner Fer- dinand Alexander Porsche verließen daraufhin das Unternehmen. »Ich quittierte per Jahresende 1971. Nach neun Porsche-Jahren war wieder Zeit zum Schifahren«, schrieb Ferdinand Piëch später. Aus der Dr. Ing. h. c. F. Porsche KG wurde im März 1972 die Porsche AG – ohne Unternehmer, aber mit angestellten Managern. Damals verkaufte die Firma 14 000 Autos im Jahr, beschäftigte 4 000 Menschen und setzte 425 Millionen DM um. Das Grundkapital von 50 Millionen DM hielten zu gleichen Teilen die Familienstämme Por- sche und Piech. Die nicht stimmberechtigten Vorzugsaktien wurden erst 1984 an die Börse gebracht – für 780 DM das Stück. Der Eröff- nungskurs betrug 1020 DM. Die Stammaktien sind bis heute im Be- sitz der Familien Piëch und Porsche. Auch Ferry Porsche beugte sich 1972 dem Familienbeschluss, gab die Geschäftsführung ab und wur- de Aufsichtsratschef.

56 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Mit einem lachenden und einem weinenden Auge musste der Gründersohn mit ansehen, wie mit den Modellen 924, 944 und 928 das gewohnte Fahrwasser verlassen wurde. Dennoch trugen auch die- se, von der traditionellen Porsche-Optik abweichenden Modelle zum Vorwärtskommen der Stuttgarter Sportwagen-Manufaktur bei: In den 1980er-Jahren entstammte jeder zweite verkaufte Porsche dieser Se- rie. »Man hat sich sicher mal verirrt«, beschrieb Wolfgang Porsche die Modellpolitik nach dem Ausstieg seines Vaters im Film Die Porsches – Vater und Sohn, »sicher auch mal bei den Vorständen.« Doch hier be- eilte er sich hinzu zu fügen, dass er damit ausdrücklich nicht Wende- lin Wiedeking meinte, der 1992 das Steuer bei Porsche übernahm. Ferry Porsche blieb bis 1990 als Aufsichtsratschef im Amt, den Vor- sitz im Kontrollgremium übergab er an seinen Sohn Ferdinand Alexander. Der Mann, der die Porsche-Strategie seit fast einem halben Jahrhundert maßgeblich prägte, erlebte danach, wie sein Lebenswerk in Schieflage geriet und als Übernahmekandidat gehandelt wurde. Angebote der Branchenboliden, die mit Porsche gern ihre Marken- palette abgerundet hätten, lehnte er jedoch kategorisch ab: »Ich habe dem Unternehmen nicht meinen Familiennamen gegeben, weil ich es einmal verkaufen will.«

Zurück auf der Überholspur

In den letzten Jahren seines Lebens durfte er die Erfolgsgeschichte unter genießen. Besonders gefreut haben dürf- te ihn die Einführung des Boxster, mit dem im August 1996 die Fort- führung seiner Vision eines Mittelmotorroadsters auf den Markt kam. Der Boxster galt als Nachfolger des Spyder aus den 1950er-Jahren. Das Fahrzeug war ganz nach dem Geschmack Ferry Porsches, für den der Sportwagen bis zuletzt die Krone des Autobaus blieb. »Ich bin der Meinung, dass der Sportwagen eigentlich Vorreiter für neue Dinge ist und es auch schon in der Vergangenheit war. Er wird es auch in Zu- kunft bleiben«, zitiert ihn die Festschrift zu seinem 100. Geburtstag. Die Unabhängigkeit war dem Gründersohn besonders wichtig. So wichtig, dass der spätere Vorstandschef Wendelin Wiedeking dieses Ziel im April 1998 bei der Trauerfeier für den am 27. März im Alter von 88 Jahren verstorbenen Ferry als dessen Vermächtnis präsentier-

Zurück auf der Überholspur 57 te. Dass gerade Wiedeking es war, der mit seinem anfangs genialen Plan, die um ein Vielfaches größere Volkswagen AG zu übernehmen, gut elf Jahre später scheitern und damit die Unabhängigkeit der Sportwagenmanufaktur aufs Spiel setzen würde, ist eine Ironie der Geschichte. Mit dem letzten luftgekühlten 911er endete im Todesjahr Ferrys gleichzeitig eine Ära der Automobilgeschichte.

Die Nach-Ferry-Ära beginnt

Neuer Vorstandsvorsitzender und somit Ferry Porsches Nachfolger wurde 1972 – die Verkaufszahlen waren gerade um ein Drittel zu- rückgegangen – Ernst Fuhrmann. Von seinem Aufsichtsratsvorsit- zenden kaum kontrolliert, verzettelte er sich schnell in eine unüber- sichtliche Modellvielfalt. Das Porsche-Programm bot alles: Autos mit luftgekühltem Heckmotor ebenso wie Sportwagen mit wassergekühl- tem Motor, eingebaut im Heck oder im Bug, mit acht, sechs oder nur vier Zylindern. Die kleinste Autofabrik der Nation leistete sich ein An- gebot, das vielfältiger war als das von manchem Großkonzern. Allein die vier verschiedenen Typen 924/944, 928, 911 und den über 420 000 Mark teuren Porsche 959 gab es in über zehn Versionen. Außer dem Markenemblem hatten die drei Baureihen nicht viel ge- meinsam, hohe Produktionskosten waren die Folge. Einzelne Gesell- schafter, allen voran Gründer-Enkel Ferdinand Piëch, damals Ent- wicklungschef von Audi in Ingolstadt, übten offene Kritik an der Unternehmensführung. Einem Erdrutsch in der Porsche-Tradition glich der Plan Fuhrmanns, den luftgekühlten Porsche 911 durch die wassergekühlten Modelle 924 und 928 zu ersetzen. Abbringen lassen von diesem Vorhaben wollte sich der wenig diplomatische Top-Mana- ger ungern, auch nicht von den zehn Großaktionären unter der Lei- tung des Aufsichtsratsvorsitzenden Ferry Porsche und dessen Neffen, Audi-Chefingenieur Ferdinand Piëch. Ebenso wenig störte ihn, dass Porsche-Patriarch Ferry den 911er als »sein« Auto betrachtete. Dabei hatte der 928er zu keinem Zeitpunkt die Verkaufszahlen des Porsche 911 oder auch nur das ursprünglich geplante Produktionsziel erreicht. Die Stückzahlen waren zu klein und der Luxussportwagen zu teuer. »Der Wagen wurde viel zu teuer produziert und war mit 180 000 Mark einer der teuersten Seriensportwagen der Welt. So preist man

58 Glanz und Elend eines Weltkonzerns sich aus dem Markt«, monierte Eberhard Weiblen, der frühere Chef der 1994 gegründeten Porsche Consulting, im Magazin brand eins. Es wurde eng für den Nachfolger Ferry Porsches, obwohl er den Um- satz während seiner Amtszeit von 400 Millionen auf 1,35 Milliarden DM steigerte und das Unternehmen durch zwei Energiekrisen steu- erte. Vielleicht war genau das der Grund, warum sich der Gemsenjä- ger bis zuletzt furchtlos zeigte. »Mir kann nix passieren«, gab er sich auf dem Ball der deutschen Automanager in Baden-Baden zuver- sichtlich. Mitte November 1980 wurde der Karajan-Verehrer gefeuert – offiziell trennte man sich im »gegenseitigen Einvernehmen«.

El Dorado USA

Ab 1981 übernahm Peter W. Schutz das Lenkrad in Stuttgart-Zuf- fenhausen. Ferdinand Piëch, der sich bereits ein Jahr zuvor um die Fuhrmann-Nachfolge bemühte, wurde von den Arbeitnehmer-Vertre- tern im Aufsichtsrat abgeblockt. Sie mochten ihn unter anderem nicht, weil er ihnen die Pinkelpausen vorschreiben wollte. Und »wenn ich ein Auto wäre«, zitierte Der Spiegel den Deutsch- Amerikaner Schutz im Juli 1986, »dann wäre ich ein Porsche.« Dass er bis dahin nie einen der Nobelrenner aus dem Schwabenland besaß, verschwieg er dabei gerne. Um einen flotten Spruch war Schutz nie verlegen. So ließ er auf die Frage: »Rechnen Sie damit, dass der Dol- lar bis 1,60 Mark fällt?« gern diese Antwort folgen: »Ich rechne aus- schließlich mit dem Tod und mit Steuern.« Die Situation war brenz- lig, die zweite Ölkrise ließ die Umsätze schrumpfen. Schutz drehte das Rad herum und gab die Mittel zur Weiterentwicklung des Porsche 911 wieder frei. Zu seinen ersten Taten gehörte auch ein 911 Cabriolet auf der Basis der inzwischen zwanzig Jahre alten Konstruktion. Das polierte den Glanz des Grundmodells zusätzlich auf. Die Verkaufs- zahlen stiegen prompt und schlugen sich positiv in der Bilanz nieder: Das Geschäftsjahr 1983/1984 war einmal mehr das Beste in der Unternehmensgeschichte. Dabei profitierten die Zuffenhausener vor allem vom starken Dollar und dem hohen Marktanteil in der Neuen Welt – in der Ägide Schutz wurde der Anteil des US-Geschäfts auf 54 Prozent hochgeschraubt. Der Firmenchef ließ durchsickern, »dass die USA-Preise mit einem Dollarkurs von 2,20 Mark solide kalkuliert

El Dorado USA 59 sind«. Die US-Leitwährung verteuerte sich jedoch in der Spitze auf 3,47 DM je Dollar. Da die US-Porsches aber nicht günstiger wurden, flossen die satten Zusatzgewinne direkt in die Kasse der Schwaben. Für das Geschäftsjahr 1984/85 konnte Schutz eine bis dahin nie erreichte Bilanz präsentieren: Es gab Rekorde bei Umsatz, Produk- tion und Gewinn. Allein der Überschuss belief sich auf sagenhafte 120 Millionen DM. In der Folge kam es jedoch zu einem Bumerangeffekt. Als sich der Dollarkurs zwischen Mitte 1985 und Anfang 1988 gegenüber der DM knapp halbierte, verflüchtigten sich die Gewinne so schnell wie der Treibstoff in den spritdurstigen Porschemotoren. Die Nobelsport- wagen wurden für die US-Kunden entsprechend teurer – und führten zu beträchtlichen Absatzeinbrüchen. Porsche-Vormann Schutz ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und baute stattdessen auf »un- sere Riesen-Reserven, die Kreativität und das Image.« Sollte das nicht reichen, »kauft uns eben Daimler auf.« Im Ende Juli 1986 ablaufen- den Geschäftsjahr konnte Schutz noch einmal ein positives Zahlen- werk vorlegen. Mehr als 53 000 verkaufte Edelflitzer spülten Porsche einen neuen Rekordumsatz von 3,5 Milliarden DM in die Kasse. Der zweistellige Millionengewinn beruhte jedoch nur auf Kurssiche- rungsgeschäften, mit denen Finanzchef Heinz Branitzki den Rück- gang des Dollar abfederte. Doch der verlor schneller an Wert als von den meisten Ökonomen erwartet. Die Lage wurde bedrohlich: Im Inland sackten die Verkaufszahlen in den ersten acht Monaten des Jahres 1987 um fast ein Viertel ab, in den USA um 13 Prozent. Kri- senmanagement war gefordert. Finanzvorstand Branitzki rief rund 150 Manager in einem seiner üblichen »Info-Gespräche für Füh- rungskräfte« zu schwäbischer Genügsamkeit auf. Zudem musste die Produktion heruntergefahren werden. Nach verlängerten Weih- nachtsferien standen von Januar bis Juli 1988 an 47 Werktagen die Bänder in Zuffenhausen still. 4 300 von 8 500 Beschäftigten waren von der Kurzarbeit betroffen. Auch bei Audi in Neckarsulm, wo Por- sche die Vierzylinder-Modelle bauen ließ, drohte Kurzarbeit. Mit die- sen Maßnahmen sollten im Geschäftsjahr 1987/88 rund 10 000 Por- sche weniger entstehen als im Vorjahr – eine Reduzierung um zwan- zig Prozent. Porsche-Chef Schutz dünnte zusätzlich die Modellpalette aus und wollte nicht einmal ausschließen, »dass es einmal gar keine Vierzy-

60 Glanz und Elend eines Weltkonzerns linder von Porsche mehr gibt«. Gleichzeitig setzte er die Preise konti- nuierlich herauf – bis zu 27 Prozent zwischen Anfang 1983 und Mit- te 1986. Das günstigste Einsteigermodell, der 924 S, kostete Mitte 1986 bereits 41 950 DM. Die gleichstarke japanische Konkurrenz, der Mazda RX-7 und der Toyota Celica, waren deutlich billiger und warte- ten zudem mit einer besseren Ausstattung auf. In den USA sorgte der fallende Dollar für unerwünschte Preiserhöhungen – die zudem nicht in der Porschekasse landeten. Der begehrte 911er wurde zwischen New York und San Francisco von 1986 bis 2010 immerhin 35 Prozent teurer. Schutz verteidigte seine eigenwillige Preispolitik so: »Ein Por- sche ist kein normales Fortbewegungsmittel, ebenso wie ein Nerz- mantel kein normales Kleidungsstück ist. Ein Nerz hat nicht den Zweck, eine Frau warm zu halten, sondern ruhig.« Damit verwun- derte es die Fachwelt kaum, als Porsche im März 1988 auf dem Gen- fer Automobilsalon ein fast 80 000 DM teures neues 944 Cabrio prä- sentierte. Der weltweite Börsenkrach im Oktober 1987 verschärfte die Pro- bleme. Die Familienclans Porsche und Piëch wurden nervös und fürchteten um ihr Vermögen. Zwar wurden die Stammaktien der Fa- milien nicht an der Börse gehandelt, doch der Kurssturz der Vorzugs- aktie zeigte das Ausmaß der Vermögensvernichtung. Binnen zwei Monaten ging es um fast 50 Prozent nach unten. Gleichzeitig brach der Absatz in den USA im Oktober und November um rund 30 Pro- zent ein. Mit Schutz, der den amerikanischen Markt als El Dorado für die schwäbischen Nobelkarossen hochstilisierte, war schnell ein Sün- denbock gefunden. Zudem schwand sein Rückhalt bei der Eigentü- merfamilie. Gründersohn Ferry zeigte sich sehr enttäuscht, als der Porsche-Vorstandschef auf die Frage, was man tun könne, wenn es noch weiter bergab ginge, antwortete: »Dann müssen Sie halt ihre Fir- ma verkaufen.« Für Ferdinand Piëch, so schrieb er in seiner Auto.Bio- graphie, »war es der Anlass, meinen Einfluss so weit geltend zu ma- chen, dass Onkel Ferry nicht zögerte. Schutz musste gehen, unser langjähriger Finanzmann Heinz Branitzki folgte ihm nach.« Den Rest gab Schutz ein vernichtendes Urteil der Beratungsgesell- schaft McKinsey. Als die Rationalisierer die strauchelnde Firma auf Einsparmöglichkeiten abklopften, entdeckten sie, dass drei unter- schiedliche Baureihen mit einer Vielzahl von Varianten die kleinste deutsche Automobilfabrik an den Rand des Verderbens gebracht hat-

El Dorado USA 61 ten. »Völlig unrentabel«, beschied man den Schwaben. Die Konse- quenz: Anfang Dezember teilte Porsche Schutz mit einem Sechszei- ler das Ende seiner siebenjährigen Amtszeit mit. Zum 16. Dezember 1987 musste der Hobby-Pilot seinen Posten räumen – den bis Ende 1988 laufenden Vertrag konnte er nicht mehr erfüllen.

Ein weiterer Wechsel

Mitten in der Krise übernahm der bisherige Finanzvorstand und stellvertretende Vorstandvorsitzende Heinz Branitzki das Zepter im Konzern. »Der richtige Mann zur richtigen Zeit«, lobte Gründersohn und Aufsichtsratschef Ferry Porsche, der händeringend nach einem Weg aus der Misere suchte. Der Sportwagenabsatz war von gut 53200 Fahrzeugen Mitte der 1980er-Jahre auf 29 000 Einheiten im Ge- schäftsjahr 1988/89 abgestürzt. In den USA hatten die Zuffenhause- ner in diesem Zeitraum gar nur 7 850 Autos an die zahlungsstarke Klientel gebracht. Derart drastisch hatte sich die Korrektur der von Schutz initiierten Konzentration auf den US-Markt – 1986 verkaufte Porsche dort noch 28 000 Autos – niemand vorgestellt. Branitzki glückte es, die Finanzen binnen kurzer Zeit zu konsolidieren. »Wir haben derzeit nicht einen Pfennig Kredit, aber fast 400 Millionen Mark liquide Mittel«, resümierte er bereits wenige Monate nach dem Beginn seiner Amtszeit. Ferry Porsche, der sein Lebenswerk bedroht sah, gab die weitere Marschroute vor: »Es darf nicht mehr so lange dauern, bis geplante Modellerneuerungen produktionsreif sind. Das muss jetzt ganz schnell gehen.« In der Tat drängte die Zeit, denn zwischenzeitlich waren auch die Konkurrenten BMW, Audi und Daimler-Benz mit leistungsstarken und sportlichen Modellen ge- kommen – während die Japaner die Branche mit teilweise frech nach- empfundenen Zweisitzern zu Kampfpreisen aufmischten. Der schrumpfende Umsatz zwang Branitzki dazu, den Vertrieb zu verschlanken. In Deutschland sollte die Zahl der Händler auf etwa die Hälfte reduziert werden. In den USA war Porsche gar auf einen Ver- triebspartner angewiesen, weil die eigenen Händler von den wenigen Fahrzeugen, die sie noch an die Kunden brachten, nicht leben konn- ten. Als sich Seniorchef Ferry Porsche in einem Zeitungsinterview über den Vorstandschef mokierte, verzichtete Branitzki demonstrativ

62 Glanz und Elend eines Weltkonzerns auf eine Vertragsverlängerung und verließ im März 1990 verbittert den Konzern, nachdem er seinen bereits zum Jahresbeginn angetre- tenen Nachfolger Arno Bohn noch eingearbeitet hatte. Der neue star- ke Mann bei den Zuffenhausenern war zuvor stellvertretender Vor- standsvorsitzender beim Computerhersteller Nixdorf gewesen.

Auf Schleuderkurs

Der Beginn der 1990er-Jahre war dramatisch. Die weltweite Kon- junktur kriselte und die Hersteller von Luxusprodukten knabberten an sinkenden Umsätzen. Auch Liebhaber teurer Sportkarossen muss- ten den Gürtel enger schnallen. Die Lage war ernst: 1991 fanden ge- rade noch 6 112 Porsches einen Käufer – fünf Jahre zuvor waren es mehr als 30 000 Fahrzeuge gewesen. Um die Absatzkrise abzufe- dern, übernahm Porsche einen Fertigungsauftrag von der Stuttgarter Mercedes-Benz AG, die den 326 PS starken 500 E in enger Zu- sammenarbeit mit den Zuffenhausenern entwickelte. Schon im Vor- feld waren die Porsche-Ingenieure herangezogen worden, um ihr Know-how bei der Konzeption der Limousine mit ihren sportwagen- ähnlichen Fahrleistungen zu nutzen. Montiert und mit dem Motor be- stückt wurde das Fahrzeug in Werk 1 bei Porsche in Stuttgart-Zuffen- hausen. Am Ende liefen dort 10 479 Stück des Mercedes-Modells vom Band. Die Krise zeigte sich hartnäckig – was dazu führte, dass sich vie- le Autoexperten fragten, ob die edle Autoschmiede eigenständig wür- de überleben können. Im Herbst 1991 gab es erste Übernahmege- rüchte. Interessenten, die das kränkelnde, aber hoch angesehene Unternehmen kaufen wollten, waren reichlich vorhanden. Ferry Por- sche wollte gar »Angebote aus der ganzen Welt« erhalten haben. Fiat hatte bereits vorgefühlt, auch Ford war zu einer Übernahme von Por- sche bereit gewesen. Volkswagen-Vorstandsmitglied Daniel Goeude- vert äußerte mehrfach laut das Interesse der Wolfsburger an der High- Tech-Schmiede, Daimler-Benz brachte sich selbst ins Gespräch. »Be- vor andere zuschlagen«, so der damalige Daimler-Benz-Chef Werner Niefer, der für die Beteiligung bereits eine Rückstellung in der Bilanz gebildet hatte, »schlagen wir zu.« Auf gut schwäbisch klang es so: »Mer helfe dene scho a bissle, ond wenn’s dann trotzdem eng wird, dann übernehma mir den Lade oifach.« Niefer wollte Porsche daheim

Auf Schleuderkurs 63 im Ländle behalten und verhindern, dass die Edelmarke in ausländi- sche Hände gerät. Dort hatte es Daimler-Benz mit kapitalkräftiger Konkurrenz zu tun. Honda lockte mit bis zu vier Milliarden Mark, Toyota wäre das Abenteuer 1,5 Milliarden Mark wert gewesen. An einen Verkauf dachte beim Autobauer jedoch niemand. Auch die Familien Porsche und Piëch sträubten sich dagegen. Stattdessen setz- ten sie auf die Sanierung – eine Strategie, mit der sie goldrichtig lie- gen sollten.

Fehlstart in der Formel 1

Nach Ansicht des neuen Vorstandsvorsitzenden Arno Bohn ge- wann der japanische Markt für den Sportwagenhersteller immer mehr an Bedeutung. Sein Ziel für das Jahr 1990 war es, im Land des Lächelns 3 000 Fahrzeuge zu verkaufen, was damals zehn Prozent des Gesamtumsatzes entsprach. Insgesamt agierte Bohn mit wenig Fortune. Man kreidete ihm vor allem das missglückte Engagement in der Formel 1 an, in der die Zuf- fenhausener ab 1991 ihre internationale Klasse im besonders me- dienwirksamen Formel-1-Rennzirkus unter Beweis stellen wollten. Anlass für dieses 100-Millionen-Mark-Abenteuer waren die Erfolge aus dem hauseigenen Entwicklungszentrum in Weissach, das mit 2 000 Mitarbeitern voll ausgelastet war. Dieses zweite Standbein von Porsche verfügte über gut 200 Millionen Mark an Fremdaufträgen und zählte laut Vorgänger Branitzki »zum größten Anbieter der Welt für die Entwicklung kompletter Fahrzeuge für Drittkunden«. Bohn sah im Grand-Prix-Zirkus die Chance, die Stuttgarter in neu- em Glanz zu präsentieren: »Die Formel 1 ist für uns die beste und wirtschaftlichste Werbung. Es gibt keine bessere Möglichkeit für ei- nen Sportwagenhersteller, sich alle vierzehn Tage zweieinhalb Stun- den in 50 Ländern der Erde so nachhaltig zu präsentieren.« Da die sie- ben Topteams jedoch durchweg mit hochwertigen Motoren großer Konzerne ausgerüstet waren, fand Porsche bei der Partnersuche mit Arrows nur einen Rennstall dritter Wahl, der seit zwölf Jahren auf den ersten Sieg wartete. Bohn und sein Forschungs- und Entwicklungs- vorstand Ulrich Bez setzten alle Hoffnungen in den japanischen Mischkonzern Footwork, der das Arrows-Team Ende 1989 gekauft

64 Glanz und Elend eines Weltkonzerns hatte. 1991 schloss Footwork-Chef Wataru Ohashi einen Exklusivver- trag über Motorenlieferungen mit Porsche. Doch die Schwaben, die Mitte der 1980er-Jahre mit ihrem Turbomotor noch die Formel 1 dominiert hatten, verkalkulierten sich beim Bau ihres Zwölfzylinder- Saugmotors: Dem Triebwerk fehlte es deutlich an Leistung –und sein Übergewicht sorgte beim Footwork FA12-Renner für Handlingpro- bleme. Die verpasste Qualifikation beim Grand Prix von Brasilien zu Saisonbeginn war desillusionierend. Nachdem sich die Lage nicht verbesserte, zog Porsche mitten in der laufenden Saison die Reißlei- ne – ohne einen einzigen Weltmeisterschaftspunkt. Zurück blieb ein 100 Millionen DM teures Desaster. Das war in der Zeit jedoch nicht der einzige Brandherd im Hause Porsche. Hinzu kamen erneut massive Probleme auf dem nordame- rikanischen Markt. Knapp 4 400 Fahrzeuge verkaufte Porsche-Cars of North America 1991, nicht einmal mehr halb soviel wie ein Jahr zu- vor. Wenige Monate später schafften es die Händler in den USA gera- de noch, 419 Flitzer abzusetzen. Vorstandsboss Bohn zog bereits im Herbst 1991 die Notbremse. Knapp 80 von 340 Mitarbeitern bei der US-Tochter in Reno/Nevada verloren ihren Job, außerdem sollten 550 Angestellte im Stammwerk Zuffenhausen, im Vertriebszentrum Ludwigsburg und im Weissacher Entwicklungszentrum entlassen werden. Gleichzeitig geriet Bohn in Konflikt mit der Eigentümer- familie, allen voran mit Porsche-Enkel Ferdinand Piëch. Einem von Bohn veranlassten Gutachten zufolge waren die Personalunion Piëchs als Aufsichtsrat bei Porsche und Chef der VW-Tochter Audi nach deutschem Gesetz unvereinbar. Piëch ließ prompt ein Gegen- gutachten anfertigen, das seine Position zementierte. Die Tage Bohns waren damit gezählt. Im September 1992 trennte sich Porsche vom ehemaligen Nixdorf-Vize, dessen Vertrag erst wenige Monate zuvor um drei Jahre verlängert worden war. Im Zuge der massiven Probleme bei Porsche kursierten in der Presse erste Gerüchte über angebliche Übernahmen durch andere Automobilunternehmen und über Verkaufsabsichten der Eigentü- merfamilie. Im Geschäftsjahr 1991/92 setzten die Zuffenhausener nur 23 000 Fahrzeuge ab, dem Familienunternehmen drohte der Ausverkauf. Gerüchten zufolge wollten Mitglieder aus dem Familien- Clan der Porsches und Piëchs Kasse machen. Kein schlechter Deal, schließlich hätte ein Verkauf jedem Clan-Mitglied fast 100 Millionen

Fehlstart in der Formel 1 65 DM in die Privatkasse gespült – und es wäre nicht das erste Mal ge- wesen, dass ein Angehöriger der mächtigen Familie seine Anteile zu Geld machen würde. 1984 hatte Ferdinand Piëchs ältester Bruder Ernst Millionensummen bei Immobiliengeschäften verspekuliert und wollte seinen 10-Prozent-Anteil an der Porsche AG an eine arabi- sche Investorengruppe verkaufen – was in den Augen des restlichen Clans einem Sakrileg gleichkam. Die Familie nahm ihre Vorkaufs- rechte war, zahlte Ernst Piëch aus und nutzte den Zeitpunkt für den Gang an die Börse. Finanziert wurde der knapp dreistellige Milli- onenbetrag über die . Weil auch der Kauf für alle Fa- milienmitglieder gleichberechtigt vonstatten gehen musste, besitzen die Porsches seit dem »Ernst-Fall« mehr Anteile am Stuttgarter Sport- wagenbauer als die Piëchs. Überhaupt setzte der Clan lieber auf Ba- res. Auf neun DM Gewinnausschüttung je Stammaktie lautete der Vorschlag auf der folgenden Hauptversammlung. Während die Sport- wagenschmiede nur noch mit Standgas fuhr, freuten sich die beiden Familien dank des Geldregens allein 1992 über Dividenden in Höhe von mehr als neun Millionen Mark.

Wende mit Wiedeking

1992, als die Krise besonders hohe Wellen schlug, wurde eine Ent- scheidung getroffen, die die Zukunft des Sportwagenbauers nachhal- tig prägen sollte: Die Familie machte Wendelin Wiedeking zum neu- en Porsche-Chef. Es war eine Personalie, die Porsche zu altem Glan- ze zurückführte – und das, obwohl Wiedeking nicht einmal erste Wahl gewesen war. Favorit war eigentlich BMW-Mann Wolfgang Reitzle, doch der hoffte darauf, der Nachfolger des langjährigen BMW-Vorstandsvorsitzenden Eberhard von Kuenheim zu werden, und lehnte das Angebot ab. Auch die mögliche Rückkehr der Familie in die operative Führung wurde verworfen, weil der einzige mögliche Kandidat – Ferdinand Piëch – bereits als Thronfolger von Carl Hahn bei Volkswagen gehandelt wurde. Zudem sah der spätere VW-Patri- arch »deutlich alle Komplikationen eines Familienunternehmens« vor sich, »sobald die Firma wieder aus dem Gröbsten heraus sein wür- de.« Mit Wiedeking rollten wieder neue vorzeigbare Modelle und auch Neuauflagen von Klassikern von den Bändern. 1993 wurde auf der

66 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Detroit Motor Show die Designstudie des Boxster präsentiert, dessen Name sich aus der ersten Silbe des Wortes Box(ermotor) und der zweiten Silbe des Wortes (Road)ster zusammensetzt. Sein Design ist eine Neuinterpretation der Formensprache alter Porsche-Roadster, et- wa der Modelle 550 Spyder und des ersten Porsche, des 356 Nr. 1 Roadster. Die Markteinführung der ersten Generation in Deutschland er- folgte im August 1996 mit einem wassergekühlten 2,5-Liter-Sechszy- linder-Motor mit 204 PS. Seit Herbst 1997 erweiterte Porsche dank der hohen Nachfrage seine Produktionskapazitäten und ließ den Boxster bei der finnischen Valmet Automotive vom Band rollen. Dank seines Mittelmotorkonzepts hat er vorne und hinten je einen Koffer- raum. Die Rechnung der Entwickler ging auf: Schon vor Erscheinen des kleinen Kraftpaketes gab es 10 000 Blindbestellungen. Im Ge- schäftsjahr 1996/1997 wurden insgesamt 15 902 Boxster produziert. Mit einem Einstiegspreis von 76 500 DM lockte er neue Kunden zur Marke und wurde zum Ausgangspunkt des Aufschwungs bei Porsche ab Mitte der 1990er-Jahre. Nach der Modellpflege im Frühjahr 2009 hatte der Boxster größere Lufteinlässe, geänderte Blinker und Nebel- scheinwerfer sowie ein LED-Tagfahrlicht unter den Bi-Xenon-Haupt- scheinwerfern. Das elektrische Stoffverdeck öffnet und schließt bis zu einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern per Knopfdruck. Nur bei der Entriegelung der Kapuze muss Hand angelegt werden. Heute schöpft ein 255 PS starkes Aggregat seine Kraft aus 2,9 Litern Hubraum und sorgt für schnellen Vortrieb. Ohne Verzögerung setzt das Triebwerk den Wunsch nach Beschleunigung in die Tat um, au- genblicklich schnellt die Nadel des Drehzahlmessers in den Bereich jenseits der Marke von 6 000 Umdrehungen pro Minute, um das ma- ximale Drehmoment von 290 Newtonmetern abzurufen. Den Spurt auf Tempo 100 erledigt das Porsche-Einstiegsmodell in 5,9 Sekunden, die Spitzengeschwindigkeit liegt bei 263 Stundenkilometern. Der vom Hersteller angegebene Durchschnittsverbrauch von 9,4 Litern je einhundert Kilometern lässt sich jedoch nur bei zarter Bedienung des Gaspedals erreichen. Wer mit dem Boxster das traditionelle Porsche- Feeling erleben will, sollte sich auf mindestens elf Liter einstellen. Da- für entschädigen das erstklassige Einlenkverhalten und die gefühl- volle Lenkung – dauerhaft begleitet vom kraftvollen und voluminösen Motorsound. Porsche-Liebhaber, die sich die Sportabgasanlage mit

Wende mit Wiedeking 67 einem Doppelendrohr aus Edelstahl leisten, können den kernigen Sound per Tastendruck sogar noch intensivieren. Auf Knopfdruck lässt sich der agile Flitzer in eine Sport- bzw. Sport-Plus-Version um- schalten. Dann wird das Fahrwerk bretthart und die Gasannahme er- folgt noch bissiger. In diesem Modus steht auch die sogenannte Launch-Control zur Verfügung, ein Programm, das Starts mit maxi- maler Beschleunigung erlaubt. Der begeisterte Fahrer blickt auf klas- sische Porsche-Rundinstrumente und hat auch alle anderen Bedien- elemente und -anzeigen gut im Blick und im Griff. Höchsten Kom- fort bietet – gegen 3 000 Euro Aufpreis – das Porsche Communication Management. Einfach, schnell und sicher lassen sich dem gestochen scharfen 6,5 Zoll-TFT-Bildschirm per Touch-Screen alle notwendigen Informationen, bis hin zu Ausweichrouten, entlocken. Selbst für die SIM-Karte des Mobiltelefons ist ein Schlitz vorgesehen. Die hochwer- tige Verarbeitung des Interieurs und die ansprechende Anordnung der Instrumente und Bedienelemente schmeicheln dem Auge. Die Materialien sind hochwertig, selbst die Armaturentafel ist in edles Leder gekleidet. Freude kommt vor allem auf, wenn man den Boxster oben ohne bewegt. Es dauert nur wenige Sekunden, bis sich das nicht einmal 28 Kilogramm schwere Stoffdach hinter den Sitzen zu- sammenfaltet.

Der Umschwung

1995 schaffte der mondäne Sportwagenbauer endlich den wirt- schaftlichen Turnaround und schrieb wieder schwarze Zahlen. 21 124 verkaufte Fahrzeuge spülten einen Gewinn von 11,3 Millionen Mark in die Firmenkasse. Es war der Startschuss für eine Entwicklung, die den feinen Konzern aus Zuffenhausen zum rentabelsten Automobilher- steller der Welt und zum größten Steuerzahler Stuttgarts – noch vor Daimler – werden ließ. Ein besonderes Jubiläum gab es am 15. Juli 1996 zu feiern. Der Millionste Porsche lief vom Band und wurde an die baden-württembergische Autobahnpolizei ausgeliefert. 1996 wur- de der neue Porsche 911 (intern 996) vorgestellt und kam ein Jahr spä- ter auf den Markt. Es war eine neue Ära: Porsche verließ mit dem 996 endgültig das über fünfzig Jahre verwendete Konzept der Luftküh- lung. Er war das erste Modell der Baureihe 911, das von einem was-

68 Glanz und Elend eines Weltkonzerns sergekühlten Motor angetrieben wurde. Neben diesem vor allem für eingefleischte Porsche-Fans außerordentlich wichtigen technischen Merkmal hatten die Schwaben mit diesem Modell auch aus stilisti- scher Sicht einen Wechsel vollzogen, der sowohl in der Karosserie- form als auch im Innendesign deutlich wurde. Die Leistung der an- gebotenen Sechszylinder-Boxermotoren reichte von 300 PS bis 345 PS in der Saugmotorversion und von 420 PS bis 483 PS bei den Mo- toren mit Turboaufladung. Um die Produktionskosten zu senken, wurden bei der 996er-Entwicklung viele Teile des Porsche Boxster übernommen. Auf den ersten Blick sichtbar wurde das bei den Front- scheinwerfern – wegen ihrer Form oft »Spiegeleier-Leuchten« genannt – die den 911er bei der Vorderansicht kaum vom Boxster unter- schieden. Erst nach vehementer Kritik der Kunden veranlasste Por- sche, ab dem Modelljahr 2002 neben einigen technischen Umgestal- tungen auch die Frontscheinwerfer durch neu geformte zu ersetzen. Das Geschäft lief von Jahr zu Jahr besser. Porsche feierte im Ge- schäftsjahr 1997/98 nicht nur ein halbes Jahrhundert Sportwagen, sondern erzielte gleichzeitig neue Rekorde bei Umsatz und Ertrag. Der Umsatz im Konzern lag – dank 911 und Boxster – mit 4,928 Milli- arden Mark um ein Fünftel höher als im Jahr zuvor. Das Ergebnis vor Steuern konnten die Zuffenhausener mit 324,4 Millionen Mark sogar fast verdoppeln. Auch die Eigentümer und Aktionäre, allen voran die Familien Porsche und Piëch, hatten allen Grund zur Freude. Der Gewinn je 50-DM-Aktie hatte sich von 81 DM im vorangegangenen Geschäftsjahr auf 183 DM mehr als verdoppelt. Versüßt wurde die frohe Botschaft mit der höchsten Dividende in der Geschichte des Unternehmens. Vorstand und Aufsichtsrat schlugen der Haupt- versammlung im Januar 1999 20 Mark je Vorzugsaktie vor – zuzüg- lich fünf Mark als Jubiläumsbonus.

Rekorde am Fließband

Das Geschäft brummte weiter. Im Geschäftsjahr 1998/99 erwirt- schafteten die Stuttgarter einen Umsatz von 6,18 Milliarden DM, und ein Ergebnis von 698 Millionen DM – doppelt so viel wie ein Jahr zu- vor. 43 982 Sportwagen rollten vom Band – ein weiterer Rekord. Zum Jahrtausendwechsel brachte Porsche ein exklusives, 185 000 DM teu-

Rekorde am Fließband 69 res 911-Carrera-Sondermodell auf den Markt – mit einer Auflage von 911 Stück. Der 300 PS starke Sportler war nur in der Außenfarbe »Vio- lettchromaflair« zu haben und lockte mit einer üppigen Sonderaus- stattung. So bestand die Innenausstattung vollständig aus hellbrau- nem Naturleder und Wurzelholz – selbst die Heizungs- und Lüf- tungsdüsen waren mit Leder überzogen. Vollelektronische Sitze mit Memoryfunktion, Sitzheizung, Bordcomputer, Telefon und Audioan- lage samt CD-Wechsler rundeten das Angebot ab. 2002 jagte man die traditionellen Prinzipien durch den Auspuff und ging mit einer dritten Baureihe neben dem Boxster und dem 911 an den Start. Mit dem Cayenne präsentierte man den ersten Fünftürer der Marke, den ersten Porsche, für den es ab Werk eine Anhänger- kupplung gab und der mit einer geteilt-umlegbaren Rücksitzbank und Platz für fünf Personen ausgestattet war. Die Einführung des zur Gruppe der Sport Utility Vehicles (SUV) gehörenden Geländewagens war für die Schwaben ein wichtiger Schritt. »Wir waren in der Situa- tion aus der Krise heraus gewohnt, dass wir wachsen müssen und haben festgestellt, dass es allein mit den Sportwagen nicht ausreichen wird«, sagte später Kommunikationschef Anton Hunger im Film Der Porsche-Weg. Der Cayenne Turbo mit 550 PS ist mit einer Höchstge- schwindigkeit von 280 Stundenkilometern noch heute der schnellste in Serie gefertigte geländegängige Wagen. Aus Kostengründen teilte sich der Cayenne mit dem VW-Touareg und dem Audi Q7 dieselbe Plattform, in allen drei Fahrzeugen kam eine Vielzahl von Teilen aus dem ganzen Volkswagenkonzern zum Einsatz. Ein Teil der Cayenne- Produktion erfolgte zusammen mit seinen beiden Schwestermodellen im Volkwagen-Werk Bratislava. Die aus der Slowakei angelieferte Cayenne-Karosserie wurde dann wiederum im Leipziger Porsche-Werk mit dem aus Stuttgart stammenden Antriebsaggregat kombiniert. Das Werk in Leipzig wurde im August 2002 eigens zur Fertigung des Cayenne – und heute auch des Panamera – errichtet, weil die Pro- duktionskapazitäten in Zuffenhausen zu knapp waren. Die Investi- tionssumme belief sich auf 128 Millionen Euro. Dennoch lehnte man staatliche Subventionen, die zu diesem Zeitpunkt im Osten Deutsch- lands gang und gäbe waren, als wirtschaftlich unsinnig ab – und ver- zichtete auf 50 Millionen Euro. Für sein »klares Ja zum Standort Deutschland und sein klares Nein zum Subventionspoker« wurde Porsche-Chef Wiedeking 2004 in Dresden vom Bund der Steuerzah-

70 Glanz und Elend eines Weltkonzerns ler Sachsen mit dem Sächsischen Steuerzahlerpreis ausgezeichnet. Als der Geehrte den Preis empfing, machte er sich für eine europa- weite Abschaffung von Unternehmenssubventionen im Standort- wettbewerb stark. Für ihn waren derlei Finanzhilfen »überdenkens- wert bis hin zur radikalen Abschaffung«. Schon im Januar 2000 hat- te Wiedeking im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten gesagt: »Luxus und Stütze, das passt nicht zusammen« – eine Aussage, die ihm neun Jahre später vorgehalten werden sollte, als Porsche bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau um einen Kredit bat. Der Cayenne entwickelte sich für Porsche zum vollen Erfolg. Mit 39 900 verkauften Einheiten war er im Geschäftsjahr 2003/2004 der beliebteste Porsche. Im September 2005 feierte mit dem Cayman die Coupé-Ausfüh- rung des Roadster-Modells Boxster auf der Internationalen Automo- bilausstellung (IAA) ihre Premiere. Der Cayman wird wie der Boxster bis 2011 bei Valmet Automotive im finnischen Uusikaupunki gebaut. Ursprünglich sollten die Flitzer ab 2012 bei Magna Steyr in Graz vom Band laufen. Seit VW Ende November 2009 jedoch den Osnabrücker Automobilzulieferer Karmann in letzter Sekunde vor dem Aus rette- te, zeichnete sich ab, dass Boxster und Cayman künftig dort produ- ziert werden. 130 000 Wagen seien bereits in der Stückzahlplanung für das neue VW-Werk enthalten, schrieb die Neue Osnabrücker Zei- tung in ihrer Ausgabe vom 25. November 2009. Wie schon die Herkunft des Namens andeutet, ist der Cayman im Vergleich zum offenen Schwestermodell Boxster das sportlichere Fahrzeug. Kenner bezeichnen das Handling aufgrund der steiferen Karosserie als präziser und agiler. In der S-Version arbeitete anfangs ein 3,4-Liter-Sechszylinder-Aggregat mit 295 PS. Mittlerweile sorgen 320 PS für den schnellen Vortrieb des Sportwagens, der erst bei 277 Stundenkilometern seinen Zenit erreicht. Den Spurt von Null auf 100 Stundenkilometer absolviert der handgeschaltete Cayman S in 5,2 Se- kunden, mit dem hoch präzise arbeitenden Doppelkupplungsgetrie- be ist es mit einer Zehntelsekunde ein Wimpernschlag kürzer. Für weniger leistungsorientierte Porsche-Liebhaber haben die Zuffen- hausener auch einen 2,9-Liter-Sechszylinder mit 265 PS im Angebot. Selbst die Light-Version sprintet in 5,8 Sekunden auf 100 Stunden- kilometer und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 265 Stun- denkilometern.

Rekorde am Fließband 71 Einstieg in Wolfsburg

2005 war nicht nur aufgrund der Einführung des Cayman ein Jahr der strategischen Neuausrichtung: Porsche kaufte außerdem ein Fünftel der VW-Aktien. Der Einstieg sollte die langfristige Absiche- rung der Zukunftsplanung mit dem Entwicklungspartner aus Wolfs- burg sichern und die Übernahme durch Finanzinvestoren erschwe- ren. Die Zuffenhausener Autoschmiede, gemessen an der Zahl der verkauften Fahrzeuge nur die Nummer 24 der Branche, avancierte da- mit zum stärksten Aktionär beim viertgrößten Autokonzern der Welt. Der damalige VW-Chef Bernd Pischetsrieder und der niedersächsi- sche Ministerpräsident Christian Wulff hegten bereits seit längerem die Sorge, dass der niedrige Börsenwert von lediglich 20 Milliarden Euro Hedgefonds auf den Plan rufen könnte, die bei VW einsteigen und den Konzern anschließend filettieren würden. Allein mit der Ab- spaltung der VW-Tochter Audi hätte sich der größte Teil des Kauf- preises bewältigen lassen. Porsche betrat damit völlig neues Terrain. Nur ein Jahr zuvor hatte sich Unternehmenslenker Wiedeking noch ganz anders geäußert: »Waghalsige Expansionspläne, riskante Zukäufe, hohe Verschuldung? Diese Fehler haben wir stets vermieden.« Doch für den Schutz Volks- wagens vor einer feindlichen Übernahme waren alle Mittel recht. Die Wolfsburger waren zwar faktisch durch das VW-Gesetz geschützt, das Niedersachsen einen Sonderstatus verschaffte. Danach durfte kein Ak- tionär, egal mit welchem Aktienanteil ausgestattet, mehr als 20 Prozent der Stimmrechte auf der Hauptversammlung geltend machen. Doch ging man davon aus, dass die EU-Kommission das Gesetz bald ab- schaffen könnte. Niedersachsens Landesvater Wulff musste daher ei- nen Ankeraktionär suchen, um eine mögliche feindliche Übernahme abzuwehren. Bereits ein Jahr danach konnte Wulff fast Vollzug mel- den, als das Emirat Abu Dhabi Interesse zeigte, einen größeren Anteil der Volkswagenaktien zu übernehmen. Letztendlich scheiterte der Ein- stieg aber an den unterschiedlichen Preisvorstellungen. Das marktfeindliche VW-Gesetz begründete auch die Aufstockung des VW-Anteils auf 31 Prozent im März 2008. Schon im Sommer kön- ne der Europäische Gerichtshof das VW-Gesetz kassieren, befürchte- ten die Verantwortlichen, und man müsse eine anschließende Zer- schlagung durch Finanzinvestoren verhindern. An eine Übernahme

72 Glanz und Elend eines Weltkonzerns von VW denke man aber nicht. Branchenkenner hielten die Zu- sammenarbeit überdies auch sinnvoll für das operative Geschäft, durch die gemeinsam entwickelten Geländewagen Cayenne und Touareg erzielte man ohnehin bereits Synergieeffekte. Um die neuen Besitzverhältnisse auch im dazu passenden recht- lichen Konstrukt zu zementieren, erfolgte im Juni 2007 die Um- wandlung der Porsche AG in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE), in deren Zuge das operative Geschäft des Sportwagenbauers in eine Tochtergesellschaft mit dem bisherigen Firmennamen »Dr. Ing. h. c. F. Porsche Aktiengesellschaft« ausgegliedert wurde. Nach offi- zieller Lesart wollte Porsche damit die Trennung seines operativen Ge- schäfts von der 31 Prozent umfassenden Beteiligung an VW sicher- stellen. Die Porsche Automobil Holding SE agiert seither als Holding- Gesellschaft für die Beteiligung an der »Dr. Ing. h. c. F. Porsche Aktiengesellschaft« und der Beteiligung an der Volkswagen Aktien- gesellschaft. »Porsche wird auch in Zukunft Porsche bleiben. So wie Volkswagen Volkswagen bleiben wird«, verspracht Steuermann Wen- delin Wiedeking in einer Pressemitteilung der Zuffenhausener, »das ist das Erfolgsrezept.« Was zu diesem Zeitpunkt wohl kaum jemand ahnen konnte: Gerade einmal zwei Jahre später sollte der VW-Kon- zern die Zuffenhausener unter seine Fittiche nehmen – und wieder eine Investorengruppe aus dem Morgenland – diesmal als neuer Großaktionär bei Porsche – auftreten. Im Oktober 2007 kippte der Europäische Gerichtshof das VW-Ge- setz. Das Gesetz zum Schutz des Wolfsburger Autobauers vor feind- lichen Übernahmen verstoße gegen EU-Recht, lautete die Begrün- dung. Es beschränke den freien Kapitalverkehr in der Union. Das war Wasser auf die Mühlen von VW-Großaktionär Porsche. Konzernchef Wendelin Wiedeking begrüßte das Urteil: »Mit einem Anteil von knapp über 30 Prozent an Volkswagen sind wir natürlich sehr daran interessiert, unsere Stimmrechte auch voll ausüben zu können.« Doch der findige Westfale hatte die Rechnung ohne den niedersäch- sischen Ministerpräsidenten Christian Wulff gemacht. Der organi- sierte – unter anderem während eines Geheimtreffens mit Bundes- kanzlerin Angela Merkel – in der CDU ein neues VW-Gesetz, das die Sperrminorität seines Landes absichern sollte. Derweil verkauften die Zuffenhausener im Geschäftsjahr 2005/06 knapp 97 000 Autos und meldeten einen Rekordgewinn vor Steuern

Einstieg in Wolfsburg 73 von 2,11 Milliarden Euro. Die Flitzerfirma galt bereits seit mehreren Jahren als profitabelster Autobauer der Welt. Ende Januar 2007 be- richtete die Welt am Sonntag unter Berufung auf eine Studie des Pro- gnose-Instituts B&D-Forecast, dass Porsche je Fahrzeug durch- schnittlich 21 799 Euro vor Steuern verdiene. Dies sei neun Mal soviel wie beim Zweitplatzierten BMW. Die Münchner kamen demnach auf 2475 Euro pro Auto, während Toyota bei 1684 Euro, Audi bei 1580 Eu- ro und Daimler-Chrysler bei 708 Euro lagen. VW brachte es laut Stu- die lediglich auf 332 Euro Gewinn vor Steuern pro verkauftem Fahr- zeug. Porsche wies die Berechnung zurück. Die Berechnung sei irre- führend, weil sie nicht die umfangreichen Einmaleffekte und Sondereinflüsse berücksichtigt habe, die in das Vorsteuerergebnis des Porsche-Konzerns im Geschäftsjahr 2005/06 eingeflossen seien und die mit dem originären Porsche-Geschäft nichts zu tun hätten. So stammten 203 Millionen Euro des Vorsteuerergebnisses aus der Volkswagen-Beteiligung. »Bei dieser Summe handelt es sich zum größten Teil um eine rein buchhalterische Größe, die Porsche nach dem Gesetz in seine Ergebnisrechnung aufnehmen muss, obwohl da- von kein Euro in die Kasse des Sportwagenherstellers fließt«, hieß es in einer Presseerklärung der Schwaben im Januar 2007. Zudem, so die Zuffenhausener, summierten sich die Erträge aus Kurssicherun- gen im Zusammenhang mit dem Erwerb der VW-Beteiligung auf ei- nen deutlich dreistelligen Millionenbetrag, der ebenso wenig mit dem eigentlichen Fahrzeuggeschäft zu tun habe. Letztlich habe man durch den Verkauf der CTS Fahrzeug-Dachsysteme GmbH einen zusätz- lichen Buchgewinn von 80,7 Millionen Euro realisiert, der nicht dem Fahrzeuggeschäft zugerechnet werden könne. Porsche hielt es daher für »unseriös, die beschriebenen Sondereffekte in die Berechnungs- grundlage für die Profitabilität je Fahrzeug mit einzubeziehen.«

Die vierte Baureihe

Im August 2005 gaben die Porsche-Entscheider die Entwicklung ei- ner weiteren Modellreihe bekannt – das wohl wichtigste automobile Vorhaben seit Jahrzehnten. Der viertürige Gran Turismo Panamera, dessen Bezeichnung wie auch die Zusatzbezeichnung Carrera für die stärksten Versionen des 356er oder des 911er vom mexikanischen

74 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Langstrecken-Rennen Carrera Panamericana abgeleitet worden war, sollte erstmals 2009 verkauft werden. Das Echo in der Öffentlichkeit war gewaltig: Die vorab veröffentlichte Panamera-Skizze des Chef- designers wurde zum meist veröffentlichten Entwurf der Automobilgeschichte. Als Baureihenleiter warb man eigens Michael Steiner ab, der zuvor in der S-Klasse-Entwicklung von Mer- cedes wirkte. Seine Aufgabe war gleichermaßen herausfordernd wie reizvoll. Konstruiert werden sollte ein Alleskönner – bequem wie eine Luxuslimousine, schnell wie ein Sportwagen und geräumig wie eine Familienkutsche – zur Verfügung stand aber nur ein leeres Blatt. Es gab weder einen Vorgänger, noch eine Tradition und schon gar keinen technischen Leitfaden. Eine weitere Maßgabe lautete, die besonderen Eigenschaften der Wettbewerber, darunter der BMW M5, der Masera- ti Quattroporte oder die bulligen Mercedes AMG-Modelle, in einem Fahrzeug zu vereinen. Im April 2009 wurde der Panamera auf der 13. Auto Shanghai erstmals der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Auf den Markt kam er ab dem 12. September 2009 in drei Varianten – ab 94 575 Euro. Der Panamera wurde zunächst als Achtzylinder mit Leis- tungen von 400 und 500 PS sowie Heck- und Allradantrieb angebo- ten, später sollen ein Sechszylinder-Benziner und eine Hybrid-Vari- ante das Angebot abrunden. Mit dem Panamera feierten gleich fünf technische Innovationen Weltpremiere, die erstmals in der Oberklas- se eingeführt wurden – darunter das erste Start-Stopp-System in Ver- bindung mit einem Automatikgetriebe, eine Luftfederung mit schalt- barem Zusatzvolumen in jeder Feder sowie die aktive Aerodynamik mit einem beim Panamera Turbo mehrdimensional verstellbaren, ausfahrbaren Heckspoiler. Dank seines intelligenten Fahrwerkkonzepts verbindet der Wagen den Fahrkomfort einer luxuriösen Reiselimousine mit der Dynamik eines Porsche-Sportwagens. Der ist ein spektaku- läres Auto: Kein anderer Sportwagen bietet so viel Platz, kein anderer Viersitzer ist so dynamisch. Die 500 PS starke Turboversion sprintet in 4,2 Sekunden von Null auf Tempo 100 und erreicht als Höchstge- schwindigkeit 303 Stundenkilometer – der Tacho reicht bis Tempo 350. Rund 100 Knöpfe im Cockpit vermitteln dem Fahrer fast das Ge- fühl, Pilot zu sein. »Nur Fliegen ist schöner« gilt beim Panamera je- doch nicht. Denn das Fahrgefühl ist einzigartig, man wünscht, der Trip würde niemals enden. Auf der Autobahn bietet der Wagen einen

Die vierte Baureihe 75 Komfort, der Chauffeurslimousinen in nichts nachsteht. Die Ge- schwindigkeit wird dem verblüfften Fahrer nur beim Blick auf den Tachometer bewusst. Doch wäre es kein echter Porsche, wenn sich Porsches jüngstes Kind nicht auch in Kurven wohl fühlen würde. Im Normalfall wird der Panamera von den Hinterrädern angetrieben, in Kurven greift die Vorderachse je nach Bedarf mit ins Geschehen ein. Dabei unterstützen die direkte und feinfühlige Lenkung und das sehr harmonisch abgestimmte elektronische Stabilitätsprogramm. Por- sche-Puristen wählen die Fahrwerksverstellung »Sport Plus«. Dann zieht die Edel-Limousine stur und präzise wie ein Uhrwerk ihre Bahn – egal, wie schnell es zur Sache geht. Wäre da nicht die schöne Bose- Anlage (gegen 1213,80 Euro Aufpreis), würde man allzu gern zuguns- ten des sonoren Porsche-Sounds auf die Musik aus der Konserve ver- zichten. Wer hinten sitzt, muss sich keineswegs zurückgesetzt fühlen. Bei der Entwicklung saß Ex-Chef Wendelin Wiedeking höchstpersönlich Probe in der so genannten Sitzkiste, einem Tonmodell des Innen- raums. Im Fond logiert man in einer Art Schalensitz und darf unge- stört dem imposanten Konzert der Auspuffanlage lauschen, das sich mit auf Knopfdruck verstellbaren Klappen variieren lässt. Die Fau- teuils können belüftet, beheizt oder elektrisch verstellt werden. Alles ist nur eine Frage des Geldbeutels – genau wie all die anderen Extras, die keinen Wunsch offen lassen und in einer mehr als 100 Seiten dicken Aufpreisliste aufgeführt werden. Auch optisch ist Besonderes geboten: Ebenfalls per Knopfdruck fährt ab Tempo 90 ein Heckspoiler aus, der sich jenseits der 205 Stun- denkilometermarke in die so genannte Performance-Position neigt, um die Hinterachse auf die Fahrbahn zu drücken. Eines, nur eines ist am Ende doch nicht so, wie es die Porsche-Vordenker versprechen. Der Durchschnittsverbrauch des Panamera Turbo liegt laut Werksan- gabe bei 12,2 Liter. Wer das schafft, verzichtet auf Vieles. Wer sich füh- len will wie Gott im Porsche, sollte eher mit 15 Litern rechnen. Doch wohl niemand kauft einen Porsche, um zu sparen. Für viele Autofans ist die Mischung aus Supersportwagen und Luxuslimousine ein Traum – und wird es für die allermeisten auch bleiben: Der Paname- ra Turbo ist in der Basisversion nicht unter 135 154 Euro zu haben.

76 Glanz und Elend eines Weltkonzerns Ende einer Ära

Der Kampf zwischen David Porsche und Goliath Volkswagen, der anfangs klar von den Stuttgartern dominiert wurde, fand letztlich ein anderes Ende als in der Bibel. Die Entscheidung fiel in der Nacht zum 23. Juli 2009 in einer rund zwölfstündigen Sitzung im Casino des Porsche-Entwicklungszentrums in Weissach bei Stuttgart. Vorstände, Aufsichtsräte und Banker kämpften erbittert um die Zukunft einer schillernden Marke. Das Ergebnis im Originalton der Presseleute: »Wiedeking und Finanzchef Holger Härter kamen in den letzten Wo- chen zur Auffassung, dass es für die weitere strategische Entwicklung der Porsche SE und der Porsche AG besser sei, wenn sie als handeln- de Personen künftig nicht mehr an Bord sind.« Die Schlacht war ge- schlagen: Wendelin Wiedeking und sein kongenialer Partner Holger Härter mussten sich geschlagen geben und verabschiedeten sich noch am gleichen Tag in einer emotionsgeladenen Betriebsversamm- lung von ihrer Mannschaft. »Du bist der beste Chef der Welt«, stand auf einem Plakat, das die Mitarbeiter im Regen vor Wiedekings Büro in die Höhe hielten. »Der Mythos Porsche lebt und wird nie unterge- hen«, ermutigte der Enkel des Gründers, Wolfgang Porsche mit bre- chender Stimme die mehr einer Trauergemeinde gleichenden Mitar- beiterversammlung. Porsche, die Perle Baden-Württembergs und verehrt in der ganzen Welt, wurde von Niedersachsens Massenautobauer Volkswagen ge- schluckt. Den Schwaben schlug das gewaltig aufs Gemüt. »Ferry Por- sche würde sich im Grab umdrehen«» schimpfte ein Ingenieur, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in Diensten der Zuffenhausener ar- beitete, bei der letzten Betriebsversammlung mit dem scheidenden Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. »Das ist keine Fusion, das ist Pi- raterie«, giftete ein anderer. Auch Stuttgarts Oberbürgermeister Wolf- gang Schuster zürnte gen Wolfsburg: »Offenbar haben viele verges- sen, auch im Norden, dass Porsche vor einigen Jahren bei Volkswagen hochwillkommen war, dass es der Sportwagenbauer war, der den po- tenziellen Übernahmekandidaten Volkswagen in einer kritischen Phase stabilisiert hat. Aber Dankbarkeit kann man dafür freilich nicht erwarten.« Während bei Porsche die Flaggen auf Halbmast wehten, machte sich im Norden der Republik Siegeslaune breit. »Das war der größte

Ende einer Ära 77 Kampf meines Lebens«, zitierte der Focus einen Piëch-Vertrauten. Der Porsche-Enkel und VW-Aufsichsratschef hatte das Duell der Alpha- Tiere nach zähem Kampf für sich entschieden – und die beiden Fir- men, die für ihn immer zusammengehörten, unter einem Dach ver- eint. Die besondere Genugtuung für den Österreicher: Nichts würde künftig ohne sein Plazet geschehen beim Weltkonzern aus Wolfsburg. Wiedeking fuhr mit Ehefrau Ruth in seinem blauen Panamera erst einmal in den Schwarzwald, um Abstand zu gewinnen. Drei Tage nach seinem bewegenden Abschied ließ er es sich jedoch nicht neh- men, bei Würstchen und Bier zusammen mit den Porsche-Angestell- ten und deren Familien das traditionelle Sommerfest zu feiern. Tags darauf verabschiedete er sich von seinen engsten Mitarbeitern – stan- desgemäß: bei einem Essen im Restaurant des Porsche-Museums. »Natürlich hätte ich mir einen anderen Abgang gewünscht, da bin ich ganz offen«, sagte er der Bild am Sonntag, »beim Abschied wurde ich sentimental.« Gefragt nach seiner Bilanz gab der wortgewaltige West- fale einen typischen Wiedeking zum Besten: »Was ich letztlich er- reicht habe, wäre mir damals nicht einmal im Traum eingefallen. Aber als Legende – bei aller mir eigenen Bescheidenheit – tauge ich wirklich nicht.« Wie die Süddeutsche Zeitung Mitte Dezember 2009 enthüllte, war der Abschied am 23. Juli 2009 nicht überraschend, sondern bahnte sich bereits einige Tage zuvor an. Die Zeitung berief sich auf ein Gut- achten des Tübinger Juraprofessors Joachim Vogel, mit dem Porsche die Vorwürfe der Stuttgarter Staatsanwaltschaft entkräften wollte. Die Ermittler unterstellten dem Sportwagenbauer, dass die Ablösung von Wiedeking und Härter weit vor dem 23. Juli absehbar gewesen sei und den Aktionären, der Börse und der Öffentlichkeit hätte viel früher ge- meldet werden müssen. Nach dem Gutachten Vogels waren sich die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch schon vor dem 14. Juli einig, das einstige Erfolgsduo Wiedeking /Härter zur Disposition zu stellen. Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche traf sich neun Tage vor dessen of- fiziellen Demission mit Wiedeking, um über einen Aufhebungsver- trag zu verhandeln. Doch der Konzernchef wollte weiter an der Spit- ze bleiben. Sollte das Kontrollgremium das anders sehen, würde es sich jedoch fügen – sofern man ihm einen »akzeptablen Aufhe- bungsvertrag« unterbreite. Daraufhin bot Wolfgang Porsche dem Por-

78 Glanz und Elend eines Weltkonzerns sche-Boss, so erklärte Wiedekings Anwalt später, 140 Millionen Euro, sofern der Aufsichtsrat einwilligen würde. Am Tag der entscheidenden Aufsichtsratssitzung mit dem wichti- gen Tagesordnungspunkt sechs – »Personelle Angelegenheiten des Vorstandes« – berichtete Wolfgang Porsche laut Süddeutsche Zeitung Wiedeking und Härter vor der Sitzung, dass die Abfindungen wegen der prekären Finanzlage gestundet werden müssten. Die geistigen Köpfe der Übernahme wiesen das vollumfänglich zurück. Es folgte ein erbittertes Geschachere bis um fünf Uhr morgens. Ergebnis: 50 Millionen Euro für Wiedeking, 12,5 Millionen für Härter – und Mi- chael Macht wird neuer Konzernchef. Gutachter Vogel schrieb, das In- formationsverhalten des Sportwagenherstellers vor den Vorstands- wechseln habe ihn »nicht überzeugt«. Man müsse »ernsthaft erör- tern, ob die Möglichkeit des Vorstandswechsels bereits ab dem 15. Juli öffentlich bekannt war.« Die Staatsanwaltschaft will den Fall en détail aufrollen. Im Visier der Ermittler steht Wendelin Wiedeking – der zu- sammen mit Holger Härter, Wolfgang Porsche und Widersacher Ferdinand Piëch aussagen soll. Die Porsche-Geschichte bleibt weiter- hin spannend – auch als eine von vielen Marken unter dem Dach der neuen Besitzer.

Ende einer Ära 79