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SA/SO, 21./22. JUNI 2008 KULTUR NR. 143 SEITE B5

Abbado macht Mozart zum Wuchtbrummer NACHRICHTEN Saarbrücken. Vor den Feiern zu Die Klänge Oscars ändern Regeln Mozarts 250. Geburtstag hob für Auslandsfilme Claudio Abbado in Bologna das „Orchestra Mozart“ aus der Taufe Los Angeles. Wie die „Acade- – mit jungen Musikern aus Euro- kompostiert my of Motion Picture Arts and pa. Die Live-Einspielungen der Sciences“ mitteilte, ändern die Mozart-Sinfonien Nr. 29 in A- Oscars ihr Regelwerk: Beim Dur, Nr. 33 B-Dur, Nr. 35 D-Dur Ein Geniestreich von Bill Frisell Auslands-Oscar sucht dem- („Haffner“), Nr. 38 D-Dur („Pra- nach das aus Academy-Mit- ger“) und der Jupiter-Sinfonie Mit „History, Mystery“ legt Bill nierte und aus der ein Teil des gliedern bestehende Freiwilli- Nr. 41 bringen die Qualitäten des Frisell ein exzellentes Doppel- Materials für diese Doppel-CD gen-Komitee nur noch sechs präzisen Ensembles zur Geltung. Album vor: ein reich instru- stammt. Einen anderen Teil der neun Produktionen für die Abbados Mozart-Interpretation mentiertes Stück Amerika, vol- dieses magisch ausbalancier- Vorauswahl aus. Danach be- gestaltet sich facettenreich, trägt ler musikalischer Impressio- ten, mild zusammenfließenden stimmen Mitglieder des Aca- romantisierende Züge und wirkt nen, wagemutiger Stilbrüche, Zapping-Programms schrieb er demy-Gremiums für fremd- dennoch in sich geschlossen. Da Sprünge und Exkursionen. für einen Multimedia-Dialog sprachige Filme die restlichen werden extreme Lautstärke- mit dem Comiczeichner Jim drei Bewerber. Die Academy Kontraste ausgekostet, bei den Von SZ-Mitarbeiter Woodring. Auch mit ihm arbei- war in die Kritik geraten, nach- gedehnten Tempi setzt der Ma- Ulrich Steinmetzger tete er nicht zum ersten Mal. dem der rumänische Cannes- estro mehr auf wuchtige Drama- Weißt du noch, wie es gewe- Gewinner „4 Monate, 3 Wo- tik denn auf leichte Eleganz. uhr Saarbrücken. Der imponie- sen sein wird? Der Mythos ei- chen, 2 Tage“ 2008 nicht no- v Mozart Symphonies mit dem rendste Mischer, Kompostierer nes Landes wird um- und um- miniert worden war. Die zwei- Orchestra Mozart unter Claudio und Anverwandler dessen, was geschaufelt und wie stets bleibt te Änderung: Es dürfen nur Abbado (Archiv/DGG). Amerika an Klängen angehäuft einzig die Verwandlung. Drei- noch höchstens zwei Stücke hat, ist Bill Frisell – und der Gi- ßig Titel – mal nur 36 Sekun- aus einem Film ins Rennen um tarrist des Jahrgangs 1951 den, mal neun Minuten lang – den Song-Oscar gehen. ddp bleibt es umso mehr nach sei- stoßen sich gegenseitig an und ner jüngsten Veröffentlichung. ab. Bestens besetzt mit Kor- Die fügt sich in die suggestive nett, Bratsche, Cello, Geige, Marsch gegen Dresdner Endlosschleife seines auf um Klarinette, Saxofon, Bass und die 80 Platten angewachsenen Schlagzeug: Genau die Instru- Brücke ist zu Ende Werks, indem sie mit einem mente für alle Stimmungs- Dresden. Der am Samstag zu Oktett aus alten und neuen schattierungen, für jeden Auf- Ende gehende „WeltKultur- Weggefährten in traumverlo- und Abschwung, für die Sounds Marsch“ Dresdner Bürger ren zurückgelehnter und doch zu Idyllen, Katastrophen und durch Deutschland für den Er- höchst wacher Weise eins aus zu diesem gnadenlos entfessel- halt des von der Waldschlöss- dem anderen hervorgehen ten Soul von „A Change Is Gon- chenbrücke bedrohten lässt. „Das ist Amerika“ könnte na Come“. Dieses Kompendi- Unesco-Welterbes ist auf gro- als Motto über der ambitionier- um ist ein Geniestreich, mit ßes Interesse gestoßen, teilt ten Arbeit dieses immer wieder dem Frisell wieder einmal und die Initiative „Welterbe Erhal- überraschenden Mannes aus vielleicht besser denn je de- ten“ mit. In Lübeck habe sich dem mittleren Westen stehen. monstriert, wie seine und jede Günter Grass erneut gegen den Blues, Ambient und Country, Geschichte immer weitergeht. Brückenbau ausgesprochen: Paraden- und Verandamusik, v Bill Frisell: History, Mystery. „Ich kann nur hoffen, dass in , Erschienen bei Nonesuch/War- Dresden die Vernunft das letz- und Aaron Copeland, Walzer, ner. Offizielle Internetseite: te Wort hat.“ Die „Last Minute Wiegenlieder und Trauermär- www.billfrisell.com. Tour“ machte seit dem 9. Juni sche schweben ineinander. Konzerte: Näher als nach Peru- auf zentralen Plätzen in elf „Storys aus dem Herzen des gia in Italien kommt Frisell den Bill Frisell, der musikalische Tausendsassa. Dank einer Empfeh- Großstädten Halt. dpa Landes“, hieß treffend eine Ra- deutschen Fans nicht. Dort lung von landete er Anfang der 80er beim renom- dioserie, für die Frisell kompo- spielt er vom 12. bis 18. Juli. mierten ECM-Label – der Rest ist (Musik-)Geschichte. Foto: Warner Merck-Preis für Feuilletonist Müller Darmstadt. Der Johann-Hein- rich-Merck-Preis für literari- ? Unter anderem schon Im gefälligkeitsfreien Klanggebiet sche Kritik und Essay geht in diesem Jahr an den Literatur- Die Magie von Nik Bärtschs Projekt Ronin Can-Gründer Irmin Schmidt hat mit TripHop-Pionier Kumo eine neue Platte eingespielt wissenschaftler Lothar Müller, der für das Feuilleton der Saarbrücken. Als der Pianist und Meyers E-Bass Saarbrücken. Zwar haben Can, Bis heute. Schmidt-Faible. Der innere Pro- „Süddeutschen Zeitung“ Komponist Nik Bärtsch mit sei- hört man nur auch 40 Jahre nach ihrer Grün- Sieben Jahre jektor rattert also auch so – ohne schreibt. Der Mediziner und ner Band „Ronin“ vor zwei Jah- noch akusti- dung wahrscheinlich (neben nach „Masters dass man die Bonus-DVD einlegt, Wissenschaftshistoriker Mi- ren bei ECM in München, sche Instru- Kraftwerk und, ja, Tokio Hotel) of Confusions“ die zweistündige, von Schmidt chael Hagner, seit 2003 Pro- Deutschlands edelstem Jazzla- mente: Piano, die weltweit bekannteste deut- hat er mit dem und Kumo 2001 für das Londoner fessor für Wissenschaftsfor- bel, „Stoa“ veröffentlichte, war Bassklarinette, sche Band, nie Rock’n’Roll ge- TripHop-Pio- Elektronik-Festival entwickelte schung in Zürich, erhält den das wie eine Ankunft. Fortan Altsaxofon, macht, aber egal. Im Rock’n’Roll- nier Kumo (ali- Sound- und Video-Installation Sigmund-Freud-Preis für wis- wurde das Quintett bemerkt und Schlagzeug Museum im westfälischen Gro- as Jono Pod- „Flies, Guys and Choirs“. Assis- senschaftliche Prosa. Beide tourte weltweit. und Perkussion. Man hört sie als nau steht jetzt ihr 20 x 10 x 8 Me- more) wieder eine neue Platte ge- tiert von dem vorzüglichen Trom- Auszeichnungen werden von Diese Musik ist als kompakter fest gefügtes, insistierendes, in- ter großes Weilswister Tonstudio. macht. „Axolotl Eyes“ ist ein peter Ian Dixon und dem gesang- der Deutschen Akademie für Block ein Unikat: Soli findet man tensiv vorantanzendes Geflecht. Ein bisschen kleiner zwar als das großartiges Album – wenn man es lich an die alte Can-Song-Diktion Sprache und Dichtung in nicht, überraschende individuel- Im Beiheft vergleicht Bärtsch das Original, dessen Wände mit 1500 nicht nur als Hintergrundhörku- anknüpfenden Paul J. Fredericks Darmstadt vergeben und sind le Akzentuierungen im dicht da- mit einem scheinbar in sich ru- Matratzen verkleidet waren. Hil- lisse benutzt, sondern sich hi- expedieren einen Schmidt & Ku- mit je 12 500 Euro dotiert. dpa hingetriebenen Strom repetitiver henden Fischschwarm, „der sich degard, die Frau von Can-Grün- neinarbeitet, um seine elektroni- mo in ziemlich gefälligkeitsfreies Muster dafür umso mehr. Deswe- blitzschnell über dem Korallen- der Irmin Schmidt, hatte sie der schen Phrasierungen zu ergrün- Klanggebiet. Unterschwelligkei- gen ist das nur unter anderem riff verlagert“ – und dabei wie Bundeswehr abgekauft. 1978 war den. Aufgenommen in Schmidts ten kitzelt der Lautstärkeregler Produktion dieser Seite: Jazz. „Ritual Groove Music“ oder magisch zusammenbleibt. stei es mit Can dann vorbei. Die Can- Tonstudio in Les Rossignols, erin- hervor. Also: aufdrehen! cis Tobias Kessler „Zen-Funk“ gab Bärtsch als For- v Nik Bärtsch’s Ronin: Holon Mannen aber machten alleine nern die sieben Stücke nicht von v Irmin Schmidt & Kumo: Axo- Christoph Schreiner meln vor. Abgesehen von Björn (ECM/Universal). weiter – auch Irmin Schmidt. ungefähr an Filmmusik – ein altes lotl Eyes (Spoon Records).