Das Göttinger Nobelpreiswunder
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1 Göttinger Bibliotheksschriften 23 2 3 Das Göttinger Nobelpreiswunder 100 Jahre Nobelpreis Vortragsband Herausgegeben von Elmar Mittler und Fritz Paul Göttingen 2004 4 © Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 2004 Umschlagfoto: Roland Schmidt • Satz: Michael Kakuschke Layout: Jan-Jasper Fast • Einband: Burghard Teuteberg ISBN 3-930457-36-9 ISSN 0943-951X 5 „Das Göttinger Nobelpreiswunder“: Erträge einer erfolgreichen Ausstellung Elmar Mittler ............................................................................................ 7 Alfred Nobel und sein Vermächtnis Fritz Paul .................................................................................................. 9 Das Göttinger Nobelpreiswunder, wissenschaftshistorisch betrachtet Nicolaas Rupke ........................................................................................ 37 Anmerkungen eines Preisträgers Manfred Eigen ........................................................................................ 53 Naturwissenschaftliche Nobelpreise aus der Sicht eines Preisträgers Erwin Neher ........................................................................................... 69 Büchermachen mit Günter Grass Gerhard Steidl ......................................................................................... 75 Vertriebene, Verbliebene, Verfehlungen: Der Nobelpreis und der Nationalsozialismus Mitchell G. Ash ....................................................................................... 83 „Das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung“: Der Nobelpreis für Literatur Werner Frick ......................................................................................... 115 6 Inhalt Der Friedensnobelpreis und die internationale Politik Ernst Kuper ........................................................................................... 139 Die Spieltheorie und der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften Günter Gabisch ..................................................................................... 165 Alfred Nobel, der Erfinder des Dynamits Ulrike Neidhöfer .................................................................................... 177 Wissenschaftliches Vortragsprogramm Fritz Paul .............................................................................................. 193 7 „Das Göttinger Nobelpreiswunder“: Erträge einer erfolgreichen Ausstellung Mit fast 15.000 Besuchern hat die Göttinger Nobelpreisausstellung sich als Magnet für alle wissenschaftlich Interessierten in der Universitätsstadt und weit darüber hinaus erwiesen. Das von Professor Fritz Paul gestaltete wis- senschaftliche Begleitprogramm hatte einen wesentlichen Anteil am Er- folg. Fast alle Beiträge können im vorliegenden Band veröffentlicht wer- den. Es sind neben den grundlegenden Untersuchungen zur Entstehung des Nobelpreises (Fritz Paul) und den Aspekten der Göttinger Wissen- schaftsgeschichte, die den Kontext der historischen Leistungen deutlich machen (Nicolaas Rupke), die unmittelbaren Begegnungen mit den in Göttingen lebenden Preisträgern (Manfred Eigen, Erwin Neher) und ihren Reflektionen, die den besonderen Wert der sonntäglichen Vortragsreihe ausmachten – ergänzt um die Lesung von Günter Grass und die Spiege- lung seiner Arbeitsweise aus dem Blickwinkel seines Göttinger Verlegers (Gerhard Steidl). Bedauerlicherweise konnte der „ jüngste“ Göttinger Nobelpreisträger Herbert Kroemer aus gesundheitlichen Gründen seinen geplanten Vortrag nicht halten. Dankenswerterweise sprang Prof. Dr. Ulbrich für ihn ein (Bei- trag nicht in diesem Band). Ergänzend konnte durch freundliche Vermitt- lung von Prof. Gustav Born eine Fotoausstellung zu Max Born und James Franck im Neubau der SUB gezeigt werden. In den historischen Beiträgen wird Höhen und Tiefen der Nobelpreis- verleihung nachgegangen, ihr Wert und Sinn reflektiert. Dem teilweise erschütternden Beitrag von Mitchell G. Ash über den Nobelpreis und den Nationalsozialismus folgen die fachlichen Darstellungen zum Literatur- (Werner Frick), Friedens- (Ernst Kuper) und Wirtschaftsnobelpreis (Günter Gabisch). Ulrike Neidhöfers Bericht über den Industriellen Alfred Nobel bringt mit der Dynamitfabrik in Krümmel zugleich ein fast vergessenes Stück norddeutscher Regionalgeschichte wieder ins Bewusstsein. Der Facettenreichtum des wissenschaftlichen Beiprogramms macht den Erkenntniswert reflektierender Wissenschaftsgeschichte deutlich; das Göttinger Nobelpreiswunder wird als Ergebnis des Zusammenspiels ziel- 8 „Das Göttinger Nobelpreiswunder“: Erträge einer Ausstellung gerichteter wissenschaftspolitischer Entscheidungen in Berlin mit dem Engagement bedeutender Personen in Göttingen erkennbar. Erwähnt sei hier nur Max Borns beispielhafte Berufungsverhandlung zu Gunsten auch von James Franck, mit der er eine wesentliche personelle Grundlage für das „goldene“ Zeitalter der Göttinger Physik gelegt hat. Die große Resonanz der Ausstellung, die sich über den Besucherstrom hinaus in Beiträgen der überregionalen Presse ebenso spiegelte wie in der Nobelpreisträgerserie des Göttinger Tageblattes, hat hoffentlich in Univer- sität und Stadt auch das Selbstbewusstsein gestärkt, das notwendig sein wird, um im zunehmend härter werdenden Verteilungskampf um die per- sonellen und finanziellen Ressourcen wissenschaftlicher Forschung beste- hen und exzellente Wissenschaft am Standort Göttingen an immer neue Studierendengenerationen weitergeben zu können. Göttingen, im Februar 2004 Dr. Dr. h. c. Elmar Mittler Professor für Buch- und Bibliothekswissenschaft Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 9 Alfred Nobel und sein Vermächtnis Fritz Paul 1. Mythos Nobelpreis Wikinger plünderten und verheerten im Jahre 793 auf barbarische Weise das nordostenglische Kloster Lindisfarne. Mit diesem brutalen Akt trat Skandinavien zum ersten Mal in den Horizont der europäischen Geschichte und erregte in der ganzen „Christenheit Aufsehen und Abscheu“.1 Der Geruch des Barbarischen verflüchtigte sich erst nach und nach. Später wurden die Nordmänner in den von ihnen eroberten Gebieten – sie reich- ten von Britannien über die Normandie bis nach Sizilien – so assimiliert, dass von ihnen so gut wie nichts im kulturellen Gedächtnis der europäi- schen Welt haftet, sieht man einmal von zahlreichen Orts- und Personen- namen und einigen Runeninschriften ab. Ebenso folgenlos blieb die Ent- deckung Amerikas im Jahre 1000 durch den Isländer Leif Eriksson. Der zweite wirkungsmächtige Auftritt auf der Bühne der europäischen Geschichte erfolgte im Rahmen des zeitweiligen Aufstiegs Schwedens zur europäischen Großmacht. König Gustav Adolf hatte nichts Geringeres im Sinn, als aus religiösen und machtpolitischen Gründen ein dauerhaftes Bündnis aller Fürsten evangelischer Konfession unter seiner Führung zu schmieden, ein Projekt, das spätestens durch seinen Tod in der Schlacht von Lützen zunichte gemacht wurde. Anders als bei den Wikingern hiel- ten die politischen und kulturellen Folgen der schwedischen Großmacht- stellung aber doch noch einige Zeit an. Bis 1815 gab es schwedische Terri- torien auf deutschem Boden, und die Universität Greifswald erinnert sich bis heute ausdrücklich und gern an ihre schwedische Vergangenheit. Seine Großmachtstellung hatte Schweden längst verloren, als es im späten 19. Jahrhundert – zusammen mit den anderen skandinavischen Län- 1 Arthur Erwin Imhof: Grundzüge der nordischen Geschichte. Darmstadt 1970, S. 27. 10 Fritz Paul dern – schlagartig erneut in Erscheinung trat. Nun aber nicht mehr als mi- litärische, sondern als kulturelle Größe, und dies in einem Maße, das in keinem Verhältnis zur Zahl seiner Bevölkerung stand. Kaum jemand hätte damals den enormen Aufschwung prophezeien können, den die skandi- navischen Kulturen, insbesondere die Literaturen, nach 1880 in Deutsch- land und in der ganzen Welt erleben sollten, und der ihnen zeitweilig die Funktion von Leitkulturen zuwies.2 Sie füllten nämlich, zusammen mit der französischen und russischen Literatur, eine Leerstelle aus, die von der deutschen zunächst nicht mehr zu füllen war. Während die französischen und russischen Dichter – allen voran Zola, Dostojewski und Tolstoi – die Hauptgattung der Epoche, nämlich den Roman, pflegten, ist die Überset- zungs- und Rezeptionsgeschichte Skandinaviens untrennbar mit dem Dra- ma und der Theatergeschichte verbunden. Das moderne Drama nahm bei Henrik Ibsen (1828-1906) und August Strindberg (1849-1912) seinen Aus- gang, und die Welttheatergeschichte der letzten hundert Jahre wäre ohne Ibsen und Strindberg und ihre Bühnenerfolge in Deutschland und vielen anderen Ländern – nicht zuletzt in maßstabsetzenden Inszenierungen von Max Reinhardt bis Peter Stein – anders verlaufen. Diese kulturelle und auch wissenschaftliche Blüte war – in Verbindung mit dem wirtschaftli- chen Aufschwung der Gründerzeit – der geistige Humus, in dem die von Alfred Nobel gestifteten Nobelpreise ihren Nährboden und damit auch ihren Ausgangspunkt fanden.3 Obwohl die skandinavischen Länder heute kaum mehr zum Ensemble der Leitkulturen gerechnet werden können, richtet sich doch einmal im Jahr der Blick der Welt besonders intensiv auf Schweden und Norwegen, und zwar im Herbst. Dann nämlich haben die Nobelpreiskomitees ihre Kür der neuen Preisträger abgeschlossen. Herbstzeit gleich Nobelpreiszeit. Die Erwartungen sind kurz vor der Namensverkündung hoch, nicht nur in den Dichterstuben und Feuilletonredaktionen, sondern auch in den natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten vieler Län- der. Selten nur werden