.de Ein Abriss über die fossilen Bartenwale von Johannes Albers

Die Entstehung der Wale (Cetacea) begann, so belegen rund 50 Millionen Jahre al- te Fossilien von Urwalen aus Indopakistan, mit einer Umstellung der Fressge- wohnheiten. Die Spezialisierung auf das Fischefangen hinterließ an den Zähnen der Tiere charakteristische Abnutzungsspuren. Fast 20 Millionen Jahre jünger sind Fundstücke, die einen neuen Entwicklungsschub innerhalb der Cetacea dokumen- tieren: die Entstehung der Bartenwale (Mysticeti), die im Laufe ihrer Evolution die Zähne durch fransige Hornlamellen (Barten) im Oberkiefer ersetzen. Auch hier ist der Ausgangspunkt eine Veränderung des Fressverhaltens.

Die Entstehung der Bartenwale Die morphologische Anpassung an mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion Cetacea.de ([email protected]) © Cetacea.de 2010 / Alle Rechte vorbehalten V http://www Johannes Albers (2004): Ein Abriss über die fossilen Bartenwale. Nach dem Auseinanderbrechen des das Filtrieren sieht zunächst so aus, Gondwana-Kontinents konnten sich im dass die Backenzähne weit voneinan- .cetacea.de/palaeocetologie/mysticeti/index.php Alttertiär kalte Meeresströmungen der entfernt stehen, ihre Nebenspitzen rund um die Antarktis etablieren. Sie aber sehr stark ausgeprägt werden. hatten direkte Auswirkungen auf das Dadurch entsteht eine Art Gitter, das verstärkte Auftreten von Plankton. für die neue Form der Nahrungsauf- Pflanzliches Plankton zieht kleine wir- nahme besonders geeignet ist. bellose Tiere (Krill) an, denen es als Nahrung dient. Der Krill wiederum Llanocetus dient als Nahrung für größere Tiere. Dieses Stadium findet sich bei dem 34 Und damit sind wir bei den Walen: Millionen Jahre alten Llanocetus denti- eröffentlichung oder V Manche Wale stellten sich darauf ein, crenatus von der Seymour-Insel. Die mit Hilfe ihres Gebisses große Mengen liegt östlich des Nordzipfels der an- kleiner Futtertiere aus dem Wasser zu tarktischen Halbinsel, mit der die Ant- filtern. Die morphologische Ausgangs- arktis sich in Richtung Südamerika form des Gebisses repräsentiert dabei streckt. Das Fossil des Llanocetus denti- die Bezahnung fortgeschrittener Ar- crenatus befindet sich im Besitz der a- ervielfältigung nur chaeoceti (Urwale): Die Kronen ihrer merikanischen Smithsonian Instituti- Backenzähne bilden gekerbte Schnei- on und wurde im Jahre 1989 von ED- den, so dass jeder Zahn außer einer WARD D. MITCHELL beschrieben. Der Hauptspitze noch eine Reihe mehrerer Gattungsname bezieht sich auf den A- Nebenspitzen trägt. merikaner GEORGE A. LLANO, der in

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. Erdzeitalter System Serie Alter (in Mio. Jahren)

Holozän Heute - 0,011784 Quartär Pleistozän 0,011784 - 1,8

Pliozän 1,8 - 5,3 Neogen Känozoikum Miozän 5,3 - 23 Oligozän 23 - 33,9 Paläogen Eozän 33,9 - 55,8 Paläozän 55,8 - 65,5

Abb. 1: Jüngere Zeitabschnitte der Erdgeschichte

Washington für die Polarprogramme sondern noch auf vier Beinen an Land der Nationalen Wissenschaftsstiftung gehen konnten. tätig war und sowohl Schiffs- als auch Fossilstudien über Wale gefördert hat. Mammalodon Erhalten ist von Llanocetus denticre- MITCHELL stellte Llanocetus denticrena- natus ein Schädelfragment, das noch tus in eine eigene Familie Llanocetidae an Archaeoceti erinnert. Dazu gehört und ordnete ihn zeitlich dem späten ein natürlicher Hirnausguss, wie man Eozän zu. Dann stufte man ihn aber in ihn auch von verschiedenen Urwalen das frühe Oligozän ein. Aus dem Oli- aus Indopakistan und Ägypten kennt. gozän stammt auch ein Schädelfund Ebenso zählt das Fragment eines Un- aus Südaustralien: Mammalodon collive- terkieferastes mit Zähnen dazu. Dabei ri. Hierauf gründete MITCHELL 1989 ist der Kiefer noch nicht so gebaut wie die Familie Mammalodontidae. Mam- bei heutigen Bartenwalen. Und Barten malodon colliveri lebte vor 24 Millionen lassen sich noch nicht nachweisen. Jahren und ist damit rund 10 Millionen Trotzdem wird dieses Tier bereits den Jahre jünger als Llanocetus. Doch wirkt Mysticeti zugeordnet: Es hat als Fil- das Tier im Vergleich zu manchen sei- trierer erkennbar den Entwicklungs- ner Zeitgenossen wie ein Relikt aus äl- weg eingeschlagen, der schließlich zu teren Zeiten. Seine Schnauze ist noch den heutigen Bartenwalen führt. nicht sehr weit nach vorn verlängert. Die ersten Bartenwale (Mysticeti) Bereits entwickelt ist aber die Fähig- hatten also noch gar keine Barten, keit der Kieferknochen, sich gegenei- ähnlich wie die ersten Wale überhaupt nander zu bewegen. Das gilt für den noch keine reinen Wassertiere waren, Ober- wie auch für den Unterkiefer

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. und ist ein Vorteil bei den starken me- Oregons (USA) zu, der aber inzwischen chanischen Belastungen, denen das in das (jüngere) Miozän gestellt wurde: Maul eines Bartenwales beim Fressen 1966 beschrieb DOUGLAS EMLONG den ausgesetzt ist. Aetiocetus cotylalveus, den er damals als Die Erstbeschreibung des Mamma- einen Vertreter der Archaeoceti ansah, lodon durch seinen Entdecker PRIT- der sich auf dem Weg zu den Mysticeti CHARD erschien im Januar 1939. Auch befindet. Auch diese Form wirkt wie dieser Bartenwal besaß noch Zähne, ein Übrigbleibsel früherer Evolutions- und PRITCHARD, der den Fund fälsch- phasen. Der deutsche Paläontologe lich dem Eozän zuschrieb, hielt sein ROTHAUSEN glaubte hier auch Schä- Mammalodon für einen Angehörigen delmerkmale zu erkennen, die typisch des "Zeuglodon"-Formenkreises, also für Odontoceti sind. Er sprach von “ei- für einen Archaeoceten. Erst später genartigen Merkmalskombinationen”, erkannte man, dass der Wal zu den wie sie bei verschiedenen Arten vor- Mysticeti zu stellen ist. Ähnlich be- kommen. Dabei votierte er dafür, die hauptete 1884 HERMANN LANDOIS aus systematische Stellung dieser Wale of- Münster den Fund eines "Zeuglodon" fen zu lassen: Es seien vielleicht Ent- im westfälischen Vreden. Hier befand wicklungsversuche abseits der großen man später, es handele sich um einen Linien, die bald wieder erloschen sei- frühen Vertreter der Zahnwale (Odon- en. Doch heute wird Aetiocetus cotylal- toceti). Ihren Grund haben diese Ver- veus als Bartenwal angesehen. Auch er wechslungen in der je ähnlichen Ge- hatte noch Zähne, und auf ihn wurde stalt der Zähne bei späten Urwalen die Familie Aetiocetidae gegründet, die und frühen Zahn- und Bartenwalen. auch aus dem US-Bundesstaat Wa- Ein südaustralischer Zahnfund wurde shington vorliegt. Bezahnte Bartenwa- nacheinander allen drei Unterordnun- le kennt man inzwischen auch von an- gen zugewiesen: 1881 beschrieb SAN- deren Stellen des Nordpazifikraums. GER ihn als Zeuglodon Harwoodi, also als Seit 2000 z.B. aus dem Grenzbereich Archaeoceten. 1914 stellte OTHENIO Oligozän - Miozän Kaliforniens. ABEL die Art in die Gattung Microzeug- lodon. 1977 hielten NEVILLE PLEDGE Mauicetus und KARLHEINZ ROTHAUSEN sie für Eine eindeutige oligozäne Barten- einen Odontoceten und nannten sie walgattung ist Mauicetus aus Neusee- Metasqualodon harwoodi. Inzwischen land: Zuerst beschrieb BENHAM 1937 wurde sie den Mysticeti zugesellt. anhand eines Schädels die neue Wal- gattung Lophocephalus mit der Art . Aetiocetus Dann wurde er darauf aufmerksam Dem Oligozän rechnete man zunächst gemacht, dass der Gattungsname be- auch einen Fund von der Pazifikküste reits dreimal vergeben worden war: an

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. ein Sporentierchen (Einzeller), einen Cetotheriopsis Käfer und einen Fisch. Deshalb führte Zu den Cetotheriidae zählt man er im März 1939 als Ersatz den Gat- auch Cetotheriopsis lintianus aus dem tungsnamen Mauicetus ein. So heißt die Oberoligozän von Linz in Österreich. Typusart heute Mauicetus parki. Davon kennt man nur ein Stück des Als neue Arten beschrieb MARPLES Hinterschädels. Gefunden wurde es 1956 Mauicetus brevicollis (ohne den wohl 1849. CARL EHRLICH vom vater- Schädel zu kennen), Mauicetus lophoce- ländischen Museum in Linz schickte phalus (Schädellänge beim lebenden einen Gipsabdruck an den Gelehrten Tier ca. 1,50 Meter) und Mauicetus wai- und späteren Bundestagskassierer takiensis. Zu den beiden letzten Formen HERMANN VON MEYER in Frankfurt meint aber R. EWAN FORDYCE, dass sie am Main. Der stellte den Fund in die nicht in dieselbe Gattung wie Mauicetus Gattung Balaenodon. Diese Einordnung parki gehören. wurde in den 1860er Jahren durch Soweit aussagekräftige Fossilien PIERRE JOSEPH VAN BENEDEN wider- vorliegen, ist im Kreis dieser Arten rufen, der das Schädelstück als Auloce- zumindest bei erwachsenen Tieren tus und später auch Stenodon ansprach. Zahnlosigkeit festzustellen. (Als Em- Dabei stellte er den Wal als einen Ver- bryo haben selbst heutige Bartenwale treter der Zeuglodonten dar. Schließ- noch Zahnanlagen.) Deshalb darf man lich erkannte BRANDT in dem Tier ei- hier bereits die Existenz der hornigen nen Bartenwal und benannte die Gat- Barten im Oberkiefer vermuten. Die tung 1871 in Cetotheriopsis um. Lange Barten selbst sind nicht überliefert Zeit galt dieses Tier als der einzige be- und auch bei anderen, geologisch jün- kannte Bartenwal des Alttertiärs auf geren Walfunden nur recht selten fos- der Nordhalbkugel. silisiert. Doch im Juni 1965 fand man in ei- Mauicetus wird der Sammelfamilie ner Kiesgrube in Lank-Latum am Nie- Cetotheriidae zugerechnet. In dieser derrhein (linksrheinisch, gegenüber Familie hat man zahllose Arten unter- des rechtsrheinischen Düsseldorf-Kai- gebracht, von denen man sehr wohl serswerth) ein neues Hirnschädel- weiß, dass sie keine natürliche Famili- fragment eines oligozänen Bartenwals. eneinheit bilden. Aber bislang ist die Es war mit einem Bagger aus dem Bo- Forschung noch nicht in der Lage, eine den geholt und zunächst unerkannt stichhaltige und zugleich umfassende auf die Halde gekippt worden. Gebor- Systematisierung vorzunehmen. Ü- gen wurde der Walrest durch den Geo- berhaupt gibt es in dieser Hinsicht bei logen FRITZ VON DER HOCHT. Das Tier fossilen Bartenwalen noch eine Menge wurde von ROTHAUSEN Cetotheriopsis Arbeit zu bewältigen. tobieni genannt, nach dem Säugetier-

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. Paläontologen HEINZ TOBIEN, dem er rezenten Furchenwalen (Balaenopteri- die Beschreibung widmete. Es ist der dae) verwandt waren. Dazu gehören frühste bekannte Bartenwal im Atlan- u.a. Isanacetus aus dem frühen Miozän tikraum nördlich der Tethys, der Ur- Japans und Parietobalaena aus dem heimat der Wale. Der komplette Schä- mittleren Miozän Amerikas. del war beim lebenden Tier wohl unge- fähr einen Meter lang, sein fossiler Mesocetus Rest ging an die Universität Mainz. Die Weitere Cetotheriidae fanden sich Gattungszuordnung wurde inzwischen beim Bau der Antwerpener Befesti- freilich in Zweifel gezogen. gungsanlagen in den 1860er Jahren. Aus dem belgischen Mittelmiozän führt man drei Arten der Gattung Me- Die Nominatgattung der Cetotheriidae socetus (M. latifrons, M. longirostris, M. ist Cetotherium aus dem Miozän, also pinguis), die bereits eine enge Ver- bereits dem Jungtertiär. 1833 entdeck- wandtschaft mit den Furchenwalen te RATHKE ein Schädelfragment auf zeigt. Arten dieser Gattung kennt man der russischen Halbinsel Taman am auch aus Frankreich, Dänemark, Öster- Schwarzen Meer (östlich der Krim ge- reich, Kroatien und den USA. Als Bei- genüberliegend). Diese von BRANDT spiel sei der dänische Mesocetus argilla- beschriebene Art trägt den Namen Ce- rius angeführt, 1973 in Südjütland ge- totherium rathkei und war nur etwa 2 funden. Er war etwa 7 Meter lang. Meter lang, also wesentlich kleiner als Nicht gesichert in seiner Zuord- heutige Bartenwale. Andere Arten (Ce- nung zu den Cetotheriidae ist ein totherium mayeri, C. maicopicum, C. pri- Schnauzenstück aus der Umgebung scum) werden aus dem Kaukasus und von Cadenberge, südlich der Elbmün- Gegenden nördlich des Schwarzen dung. Das Stück wird im Niedersächsi- Meeres berichtet. Bei der Beurteilung schen Landesmuseum in Hannover dieser Formen ist zu berücksichtigen, aufbewahrt. dass sie zum Bereich der so genannten Paratethys gehören, die sich bereits im Balaenidae Oligozän in teils isolierte Einzelbecken Im Miozän treten auch erstmals die aufteilte. Dadurch kam es zu einem ei- heute noch lebenden Familien Bala- genen, abgetrennten Gang der Evoluti- enidae (Glattwale) und Balaenopteri- on, der sich aber ähnlich vollzog wie dae (Furchenwale) in Erscheinung. Der bei Walen anderer Regionen. Der Gat- älteste bekannte Glattwal ist Morenoce- tung Cetotherium wurde auch C. furlongi tus parvus aus dem unteren Miozän Ar- aus Kalifornien zugeschrieben. Doch gentiniens, beschrieben 1926 von AN- gab es andere Cetotheriidae-Gattun- GEL CABRERA. Er liegt in Form eines gen, die näher als Cetotherium mit den Hirnschädelfragmentes vor. Im späten

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. im April 2002 dar, dass es sich um ei- nen Bartenwal der heute noch leben- den Gattung Eubalaena handelt. Die heutigen Vertreter dieser Gat- tung gliedert man nach genetischen Analysen in drei Arten: Nordkaper (Eubalaena glacialis) im Nordatlantik, Südlicher Glattwal (Eubalaena australis) und Nordpazifischer Glattwal (Eubala- ena japonica). Die Gattung Balaena ist in der Tos- kana durch Balaena montalionis aus dem frühen Pliozän und Balaena etrusca ver- treten, aus dem Pliozän Antwerpens kommt Balaena primigenia. Auch diese Gattung lebt heute noch: Mit dem Grönlandwal, Balaena Abb. 2: Knochen eines Grönlandwals vom mysticetus, sind die Bartenwale bis weit Ende der letzten Eiszeit in Köln (Kirche St. Maria im Kapitol). Den subfossilen Wirbel in die Arktis vorgedrungen. Knochen eines Grönlandwals von der Ostsee besitzt dieser Tierart vom Ende der letzten das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund. © Photo: J. Albers Eiszeit sind in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol zu sehen. Sie stam- Miozän setzt eine Radiation ein, bei men von einem Tier, das sich wohl in der sich die Gattung Balaena von dem den damaligen Rheinarmen verirrt hat Entwicklungszweig der Gattungen Ba- und nach seinem Tod dort liegen blieb, laenula und Eubalaena trennt. wo sich heute die Stadt Köln befindet. Die Kleinform Balaenula ist im Es handelt sich um einen über 4 Meter Pliozän, der Zeit vor rund 5 bis 2 Milli- langen Unterkieferast und Rippen bzw. onen Jahren, weit verbreitet. Funde Rippenfragmente, die schon vor Jahr- stammen aus Kalifornien, Japan, Ant- hunderten gefunden und ausgestellt werpen (Balaenula balaenopsis) und wurden. Norditalien (Balaenula astensis). Aus dem Pliozän Italiens (Toskana) kommt Balaenopteridae auch der älteste Beleg für die Gattung Die Furchenwale tragen ihren deut- Eubalaena. 1974 fand man das Frag- schen Namen nach den Kehlfalten, die ment eines Hinterschädels, rund 3,5 sich bei der Nahrungsaufnahme bal- Millionen Jahre alt. Von GIORGIO PIL- lonartig ausdehnen können. LERI zunächst als Pottwal angespro- Einblicke in den Übergangsbereich chen, legte MICHELANGELO BISCONTI von den Cetotheriidae zu den Balae-

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. nopteridae erlauben in Deutschland drei gut erhaltene Bartenwal-Skelette aus dem Obermiozän von Groß Pam- pau in Schleswig-Holstein (östlich von Hamburg). Sie wurden 1984 - 1993 ge- borgen, und zwei von ihnen sind in Lübeck im Museum für Natur und Umwelt ausgestellt. Das dritte war 1994 - 1997 in der Greenpeace-Wan- derausstellung "Die Welt der Wale" zu Abb. 3: Vorderansicht des Plesiocetus in Kre- sehen. Berühmt wurde eines der Lübe- feld. Der Wal liegt auf dem Rücken. Flache Verbreiterungen an den Unterkieferspitzen cker Skelette als besterhaltener Bar- dienten dem festeren Zusammenhalt (mit tenwal aus dem Tertiär Europas. Mit Bändern) zwischen beiden Kieferästen. Die- ses seltene Merkmal hat sich in der Evolution der Erforschung der Wale von Groß nicht durchgesetzt. Pampau befasst sich OLIVER HAMPE. © Photo: J. Albers (Mit freundlicher Geneh- migung des Geologischen Dienstes NRW) Klar von den Cetotheriidae abzu- grenzen ist bereits im Mittelmiozän vor ca. 14 Millionen Jahren Eobalaenop- tera harrisoni, 2004 aus Virginia, USA beschrieben. In Belgien wird die mittelmiozäne Gattung Mesocetus im Obermiozän durch vier Arten der Furchenwalgat- tung Plesiocetus abgelöst: P. brialmonti, P. burtini, P. dubius und P. hupschi. In diese Gattung stellte OLIVER HAMPE 1996 auch ein obermiozänes Walskelett, das 1987 in der Nieder- rheinischen Bucht bei Kevelaer-Ker- venheim gefunden wurde. Für eine Ausstellung von Dezember 2002 bis Ende März 2003 wurde es nach Berlin in den Martin-Gropius-Bau gebracht. Sonst liegt es im Haus des Geologi- schen Dienstes Nordrhein-Westfalen in Krefeld und kann dort besichtigt wer- Abb. 4: Balaenoptera siberi im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. Der Wal den. Seine erhaltene Länge beträgt kommt aus der Pisco-Formation Perus, einer der Gegenden Südamerikas, in denen rund 6,5 Meter, doch fehlt ein Großteil manchmal sogar Barten fossil erhalten sind. des Schwanzes. Ungewöhnlich ist der © Photo: J. Albers

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. Museum für Naturkunde in Karlsruhe ausgestellt. Ein Skelett der gleichen Art, 1989 von GIORGIO PILLERI als Ba- laenoptera siberi beschrieben, ist im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart (Museum Schloss Rosenstein) zu sehen. Heute hat die Gattung im Blauwal, Balaenoptera musculus, eine

Abb. 5: Fossiler Buckelwal Megaptera gigantische Größe erreicht. hubachi. Um 1922 in Chile ausgegraben und Neben Balaenoptera zählt zu den dem Berliner Museum für Naturkunde ge- schenkt, wurde er dort 1958 aufgestellt. Sei- Furchenwalen noch eine zweite leben- ne Beschreibung erschien 1983. de Gattung: Megaptera, heute vertreten © Photo: J. Albers durch den Buckelwal, Megaptera novae- angliae. Auch diese Gattung ist seit dem Obermiozän nachweisbar: 1922 be- schrieb REMINGTON KELLOGG die Art Megaptera miocaena von Kalifornien. Um dieselbe Zeit grub der Deutsche HEINRICH HUBACH in Nordchile einen Wal aus, der heute dem unteren Pliozän zugeordnet wird und Megapte- ra hubachi heißt. Sein Skelett von 6 Me- Abb. 5: Schädel von Megaptera hubachi. tern Länge wird im Berliner Museum Fehlende Teile sind mit Gips ergänzt, z.B. am Unterkiefer. An der Unterseite der Schnauze für Naturkunde gezeigt, stellenweise saß eine Seepocke (festsitzendes Krebstier), durch Gips ergänzt. die den Wal wohl nach dessen Tod besiedelt hat. Entsprechend fand sich ein Muschelab- druck an einem Brustwirbel. Eschrichtiidae Bild: Johannes Albers Eine eigene Familie bildet unter den heutigen Bartenwalen der Grau- gute Erhaltungszustand trotz einer wal, Eschrichtius robustus. Ihn wollte Umlagerung in einer eiszeitlichen man eine Zeit lang von den Cetotherii- Stauchmoräne vor 250.000 Jahren. dae ableiten, doch dazu passte es Im Obermiozän begegnet man be- schlecht, dass fossile bzw. subfossile reits der heute noch lebenden Gattung Belege für Grauwale nur gut 100 000 Balaenoptera. 1987 bargen HANS-JAKOB Jahre bis in das Eiszeitalter (Pleis- SIBER und PETE LARSON ein 8 Meter tozän) zurückreichen. Der pliozäne langes Skelett aus der Pisco-Formation "Eschrichtius davidsonii" aus Kalifornien Perus, die viele fossile Wale enthält. erwies sich bei einer Revision von 1986 Das Skelett ist heute im Staatlichen als Vertreter der Furchenwalgattung

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© Copyright Cetacea.de. Veröffentlichung oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Redaktion Cetacea.de. Balaenoptera. Umgekehrt: Als 1859 alte Grauwal und Furchenwalen aus. Dafür Grauwalknochen auf der schwedischen sprechen auch molekulare Befunde. Ostseeinsel Gräsö (am Eingang zum Im Atlantikraum lebte der Grauwal Bottnischen Meerbusen) ausgegraben noch bis in die frühe Neuzeit. Heute ist wurden, hielt WILHELM LILLJEBORG er hier ausgestorben und existiert nur den Wal für eine Balaenoptera-Art. Heu- noch im Pazifik. te gilt seine Beschreibung des Tieres als wissenschaftliche Erstbeschreibung des Grauwals, und man geht von einer engen Verwandtschaft zwischen

LITERATUR ZUM VERTIEFEN

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Palaeocetologie - Fossile Wale Weitere Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Wale von Johannes Albers finden Sie bei Cetacea.de: www.cetacea.de/palaeocetologie/ Johannes Albers erreichen Sie per Email [email protected] Cetacea.de Cetacea.de ist ein nicht kommerzielles Projekt zur Förderung des Wis- sens über Waltiere. Cetacea.de soll einen Beitrag zum Schutz des Le- bensraums Meer und seiner Bewohner leisten. Wenn Sie Bilder, Photos, Texte für Cetacea.de zur Verfügung stellen können oder Cetacea.de anderweitig unterstützen wollen, schreiben Sie uns bitte. Vielen Dank. Cetacea.de wird herausgegeben von Jan Herrmann ([email protected])

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