Vom„apparatder auserleßensten kirchenStücke“ zum „Vorrath an Musicalien,von J. S. Bach undandern berühmtenMusicis“–QuellenkundlicheErmittlungen zurfrühenThüringerBach-Überlieferung undzueinigen Weimarer Schülern undKollegenBachs1

VonPeter Wollny(Leipzig)

ChristophWolff zum75. Geburtstag

Johann SebastianBachs Jahreals Organist derNeuen KircheinArnstadt (1703–1707), derDivi-Blasii-KircheinMühlhausen(1707–1708) undder SchloßkapelleinWeimar(1708–1717) gelten alsseine formativePeriode,in derder junge Musikersich über dieGrenzen seines unmittelbaren Wirkungs- kreiseshinausals geachteter Virtuose undKomponist etablierte unddas Fun- dament zu einerbeispiellosen Karriere legte, dieihm in derFolgedas Kapell- meisteramt am Köthener Hofund schließlichdas LeipzigerThomaskantorat bescherte.2 Da Bach dasKompositionshandwerk–nach Aussage desNekro- logs –„größtentheilsnur durchdas Betrachtender Wercke derdamaligen be- rühmtenund gründlichenComponisten undangewandtes eigenes Nachsinnen erlernet hatte“, 3 richtet dieForschung in ihremBemühen,Bachskünstlerische Entwicklungnachzuzeichnen, ihre Aufmerksamkeitseitlängeremnicht nur aufdie vonihm selbst komponierten Werke, sondernebensoauf dievon ihm zusammengetragenen Kompositionenanderer Meister.Unsergesichertes Wissen über dieZeitvor Bachsdreißigstem Lebensjahr istallerdings außer- ordentlich lückenhaft.Dennaus derZeitvor seiner Ernennungzum Kon- zertmeisterder Weimarer Hofkapelle am 2. März 1714 undder mitdiesem Datum einsetzenden turnusmäßigen Verpflichtung, im Gottesdienstder Him- melsburg „Monatlich neüeStücke“ aufzuführen,4 sind nurwenigeseiner KompositioneninPrimär- oder sicher datierbarenSekundärquellenüber- liefert, undauchdie Tradierung vonStückenaus BachsNotenbibliothek setzt

1 DasBach-Archiv Leipzig erkundet im Rahmen einesseitSeptember 2015 vonder FritzThyssen StiftungKölngeförderten Forschungsprojektsdie Lebenswege von BachsSchülernund derenRolle in derÜberlieferung seiner Werke. 2 Siehedie umfassende Darstellungbei C. Wolff, Johann SebastianBach,Frankfurt/ Main 2000,aktualisierte Neuausgabe 2005,spezielldie Kapitel4–6. 3 DokIII,Nr. 666 (S.82). 4 DokII, Nr.66. 100

–von bemerkenswerten Ausnahmenabgesehen5 –erstinden mittlerenWei- marerJahrenein.6 Da zudemdie Anzahl derdie ersten drei Lebensjahrzehnte desKomponisten betreffenden biographischen Zeugnisseentmutigend gering ist, erweistsich derVersuch,ein aussagekräftiges unddifferenziertesBilddieserfrühenJahre zu entwerfen, alsaußerordentlich schwierigesUnterfangen. DieErweiterung desFundusanhistorischenund musikalischenQuellen speziell für dieseZeit bleibt daherein zentralesAnliegen. Auch dievon Hans-Joachim Schulzebe- reitsvor dreißigJahrengeforderte„permanente Durchforstung“ desbekannten musikalischenQuellenmaterials7 gehörtnachwie vorzuden zentralenAuf- gabender Bach-Forschung,wennwir dieLückenhaftigkeit vonWerküberlie- ferung undBiographienicht alsunabänderlich hinnehmenwollen. Es gilt also, nach MöglichkeitLicht in dienochdunklen Provenienzwege zu bringen, bis- her anonymeSchreiber chronologischund regional einzuordnen(im Idealfall auchnamentlichzuidentifizieren)und ihre BeziehungzuBachsogenau wie möglich nachzuverfolgen,ummit Hilfevon diplomatischenMethodendie Bestimmung vonChronologie-und Echtheitsfragenvoranzutreiben. In diesem Sinneerkundetder vorliegendeBeitrag aufbisherwenig beschrittenenPfaden einige Aspekteder frühen Bach-Überlieferung in Thüringen.

I.

DasBerliner Konvolut Mus. ms.30244 hat bislangkaumBeachtung gefunden. DerBandenthält insgesamtsechs in separatenFaszikeln niedergeschriebene anonymegeistlicheFiguralstücke,deren Bedeutungfür dieBach-Forschung sich ausdem im folgenden zu erörterndenSchreiberbefund ergibt.Das Eti- kett aufdem vorderen Einbanddeckelträgt die–nachträglichkanzellierte–

5 Siehe Weimarer Orgeltabulatur.Die frühestenNotenhandschriften Johann Seba­ stianBachs sowieAbschriften seinesSchülersJohannMartinSchubartmit Werken vonDietrich Buxtehude, Johann Adam Reinkenund Johann Pachelbel. Faksimile, Übertragung und Kommentar,hrsg. vonM.Maulund P. Wollny, Kassel 2007 (FaksimilereiheBachscher Werkeund Schriftstücke.NeueFolge, Bd.III;zugleich DocumentaMusicologica, Bd.II/39). –Die seinerzeit vonMartinStaehelin (siehe Mf 61,2008, S. 319–329; Mf 62,2009, S. 37 und150f.)vorgebrachten Zweifelander Identifizierungder Tabulaturen habensich alsgegenstandsloserwiesen; siehe M. Maulund P. Wollny, Bachund Buxtehude–neue Perspektivenanhandeines Quellenfundes,in: Dieterich Buxtehude. Text –Kontext –Rezeption.Bericht über dasSymposionander MusikhochschuleLübeck10.–12. Mai2007, hrsg.von W. Sandbergerund V. Scherliess,Kassel2011, S. 144–187, speziell S. 181–187. 6 SieheBeißwenger, S. 44. 7 SchulzeBach-Überlieferung, S. 10. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 101 Aufschrift „Sechs |Festtags-Kantaten|Partitur“; alsSchreiber dieses Titels kann derBraunschweiger MusikgelehrteFriedrich Conrad Griepenkerl (1782–1849)bestimmtwerden. DieZuweisung wird vonder aufdem vorderen Spiegelnotierten Akzessionsnummer „2172“ bestätigt. Dieseführt zu einem Bestandvon 22 mitkonsekutivenAkzessionsnummernversehenenHand- schriften undDrucken, dieam9.Juni1849von derKöniglichen Bibliothek Berlin über dasBerliner Antiquariat Asheraus demNachlaß Griepenkerls angekauftwurden.8 Griepenkerlwiederumhatte dieHandschrift anscheinend ausdem Nachlaßseines LehrersJohann Nikolaus Forkel übernommen; im Anhang vondessenNachlaßkatalog findetsich jedenfalls unterder Losnum- mer 136die an Griepenkerls TitelerinnerndeEintragung„7alteFesttags- Cantaten P[artitur]G[eschrieben]“. DieDiskrepanzinder Zahl dervorhande- nenStückemag darauf zurückzuführensein, daßForkeldie Handschriften noch alsloseHefte verwahrte undein siebtesStück vorder vonGriepenkerl veranlaßtenbuchbinderischenVereinigung entfernt wurde.ÜberForkel hinaus lassen sich zunächst keineverwertbarenAnhaltspunkte fürweitere Vorbesit- zerausmachen; dieses Problemwirduns noch beschäftigen. Schon einersterBlick zeigt, daßdie sechsStückezweideutlichvoneinander unterscheidbaren chronologischenSchichten angehören. Währenddie Faszi- kel4–6 derzweiten Hälftedes 18.Jahrhundertszuzuordnensindund drei –einst weit verbreiteteund entsprechend durchmehrere Konkordanzen abge- sicherte –Kantatenvon GottfriedAugustHomiliusenthalten,9 sind dieersten drei Faszikel desBandesdeutlichälter;sie stammenaus demfrühen18. Jahr- hundertund weisen dieSchriftzüge einesfür dieBach-Überlieferungwich- tigenKopistenauf:„Anonymus Weimar 1“ (nachDürrSt) beziehungsweise „Anonymus M1“(nach NBAIX/3),der seit einigerZeitmit überzeugenden Argumenten mitBachs frühem Schülerund direktem Nachfolger im Weimarer OrganistenamtJohann Martin Schubart (1690–1721)gleichgesetztwird.10 Nach demZeugnis vonJohann GottfriedWalther „erlernete [Schubart] bey Hrn. Johann SebastianBachendas Clavier-Spielen, undhieltesich beydem- selben von1707bis 1717 beständigauf.11 SeineKopistendienste für Bach

8 Siehehierzu K. Heller, FriedrichKonradGriepenkerl.Aus unveröffentlichten Briefendes Bach­Sammlersund ­Editors,BJ1978, S. 211–228, speziell S. 223f.Die Signatur Mus.ms. 30244 istinHellers Aufstellung der Handschriften aus Griepen- kerlsNachlaß zu ergänzen. 9 HoWV II.166 („Lobetden Herrn, ihrseine Engel“,Michaelis),HoWVII.120(„Der Herr zeucht Gerechtigkeitan“,10. SonntagnachTrinitatis) undHoWVII.66 („Was suchet ihrden Lebendigen beiden Toten“,1.Ostertag). 10 Y. Kobayashi, QuellenkundlicheÜberlegungenzur Chronologieder Weimarer Vokalwerke Bachs,in: Bach-KolloquiumRostock,S.290–310, speziell S. 291; Wei­ marerOrgeltabulatur (wie Fußnote5), Vorwort, S. IX–X. 11 SieheWaltherL, S. 557; DokII, Nr.324 (S.233). 102 Peter Wollny lassen sich vonFebruar 1708 bisetwaOktober 1716 verfolgen.12 Schubarts erstegrößere Arbeit istseine BeteiligungamOriginalstimmensatzder Mühlhäuser Ratswahlkantate „Gottist mein König“ BWV71(St 377); in Weimar wirkte er um 1710–1712neben seinem Lehrer alsHauptschreiberder StimmenzuReinhardKeisers Markus-Passion undfertigte–von Bach an- schließend revidierte –Reinschriften derbeidenToccaten BWV913 und914 an.13 Ab März 1714 beteiligteersich regelmäßig am Ausschreiben vonAuf- führungsmaterialienzuBachs Kantaten.InMühlhausenbegann Schubart auch, seineeigeneNotenbibliothek aufzubauen; dies belegt dieTabulatur- abschrift einesOrgelchoralsvon Johann Pachelbel.14 Wenden wiruns nunden drei neuaufgefundenen Abschriften vonder Hand Schubartszu. In derfolgenden knappen Aufstellung sind dieFaszikelbereits nach schriftkundlichen Merkmalenchronologischangeordnet.

–Faszikel2(S.23–32):Kantate „Ach,daß dieHilfe ausZionüberIsrael käme“inF-Dur Biniound einEinzelblatt, Blattformatca. 33 ×19,5cm; Wasserzeichen:Ge- krönterDoppeladler mitHerzschild undMühlhaue, CB-Marke(Weiß 58). Kopftitel: „In dieNatal Xi ab 8Vocicum Continuo | Tel […?] D… M [?]“;die ersten vier Wörter wurdennachträglichkanzelliert unddurch „Fest Nativit: Christi“ersetzt (siehe Abb. 1).Die Besetzungsangabe undinsbesondereder Autorennamesindfastbis zurUnkenntlichkeit verblaßt.Statt desvielleichtauf Georg PhilippTelemannzielenden Namensfragments„Tel […]“wäremög- licherweiseauch„Theil[…]“zulesen (und dieAngabeentsprechend aufJo- hann Theile zu beziehen)oderaber„JG[…]“. DieamFuß dererstenSeite angebrachten Initialen „J.M.S.“ –offenbarein Schreiber- oder Possessoren- vermerk–sinddurch dasBeschneiden desunteren Blattrands leichtversehrt. Immerhinerhärten siedie bislangtentative Identifizierung desAnonymus Weimar 1als Johann Martin Schubart.Die Schriftformenähnelndenen in den OriginalstimmenzuBWV 71,wirkeninsgesamt aber noch unbeholfener.Ge- legentlich sind dieBaßschlüsselanderrechten Seitemit zwei senkrechten Strichen versehen –anscheinend einzeitlich noch vor St 377 liegendes Schrift- stadium. Angabenzur BesetzungfehleninderPartitur,dochdeutendie Schlüsselauf zwei Violinen,zweiBratschen ( IimSopranschlüssel) undeinevier- stimmige Vokalgruppe(SATB). DerContinuoist durchgehend beziffert. Die

12 SieheNBA IX/3 (Y.Kobayashi/K.Beißwenger, 2007), Textband,S.1f. (mit einer Aufstellung dervon Schubart kopiertenHandschriften). 13 SieheC.Blanken, Einwieder zugänglich gemachter Bestand alter Musikaliender Bach­FamilieimVerlagsarchiv Breitkopf&Härtel,BJ2013, S. 79–128,speziell S. 87–95und 110–115. 14 Siehe Weimarer Orgeltabulatur (wie Fußnote5), Vorwort, S. VII undFaszikelIII. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 103 Partitur stellt vermutlich dieSpartierung eines–heute verschollenen–Stim- mensatzesdar. DasWerkhat folgenden Aufbau:

–„Ach, daßdie Hilfe ausZionüberIsraelkäme“ (Ps. 14,7): Tutti –„Ach, wo bleibt doch derversprochne Held“: Aria,Alt,Streicher,Bc. –„Brecht,ihr blauenHimmelsbogen“:Aria„a3“, Sopran, Alt, Baß, Bc. –„Fürchtet euch nicht“ (Lk2,10–11 +einigeZeilenfreierDichtung):Aria, Sopran, Streicher, Bc. –„Ehre seiGottinder Höhe“(Lk 2,14 +einige Zeilen freier Dichtung): Aria,Sopran, Alt, Baß, Bc. –„ErwünschtePost, oWortdes Lebens“: Aria,Tutti –„Bist willkommen,duedler Gast“(M. Luther,„VomHimmelhoch“,Strophe8): Choralbearbeitung, Tutti

Dieden Binnensätzenzugrundeliegende, durchwegrecht hausbackenefreie Dichtung stellt gewißkeininsichgeschlossenes,gedanklichausgefeiltesKan- tatenlibrettodar;die Chance,den oder dieVerfasser zu ermitteln, erscheint dahergering. Diemetrischund formal sehr unterschiedlichenStrophensind wohl ausverschiedenen Quellenzusammengesucht.Etwas befremdlich wirkt dieinden Sätzen 4und 5zubeobachtendeKombinationvon Textpassagenaus derWeihnachtsgeschichte nach Lukas2mit frei gedichteten Zeilen.Die Arien- stropheinSatz3(„Brecht,ihr blauenHimmelsbogen“)hingegenwar offenbar im frühen 18.Jahrhundert in Thüringenrecht verbreitet:Der Text läßt sich in zwei Motetten nachweisen,die im November 1720 voneinem unbekannten Schreiberindie Sammelhandschrift D-Dl, Mus. 1­D­8 eingetragen wurden.15 Leider fehlen Angabenzuden Komponisten, undauchzur Herkunft des Repertoiresliegenkeine Erkenntnissevor,sodaß es für eine nähere regionale Einordnung derMotetten–unddamit tentativ auchunserer Weihnachtskan- tate –keinerlei Handhabe gibt. Trotzgebotener Vorsicht lassen sich aufder Grundlagedes musikalischen Befundsimmerhin einige Beobachtungenformulieren.Das musikalischeher schlichteWerkdürfteweder vonGeorg PhilippTelemann noch vonJohann Theile stammen. GewisseÄhnlichkeiten,speziellinder Heterogenität der Texte, bestehen hingegenzuzweiinder Sammlung Großfahner überlieferten Vokalwerkenvon BachsMühlhäuser AmtsvorgängerJohann GeorgAhle (1651–1706); diefastverlöschteAutorenangabe im Kopftitelwäreindiesem

15 W. Steude, DieMusiksammelhandschriftender Sächsischen Landesbibliothek Dres­ den,Wilhelmshaven 1974 (Quellenkatalogezur Musikgeschichte. 6.), S. 29–33, speziell S. 31 (Nr. 99 und107). DieHandschrift Mus.1­D­8 wurdeüberdie um 1835 nachgewieseneBuchhandlung F. Suppus in Erfurtangekauft (zuSuppussiehe F. Metz, Geschichte desBuchhandels undder Buchdruckerkunst,Darmstadt 1835, S. 125). 104 Peter Wollny Fall als„JG[Ahle] D[irector] M[usices]“zulesen.Ahles Kantate„Lobetden Herrn, denn er istsehrfreundlich“ mischt vier Strophen destitelgebenden Liedes über Psalm147 mitArienstrophen in unterschiedlichenMetren, wäh- rend seineKantate „Hüter,ist dieNacht schier hin“ verschiedene biblische Dicta(Jes. 21,11–12; Micha7,2;Jes.1,16–17)mit Strophen ausnicht weniger alsvierChorälenkombiniert.16 Diestilistischen undsatztechnischenPar- allelen, diesich in allendreiWerkenfinden,wären noch eingehender zu unter- suchen.Sollten siesichweiterkonkretisierenlassen, könnte es sich beider Kantate„Ach, daßdie Hilfeaus Zion über Israelkäme“ um eine späteKom- position Ahleshandeln. Versuchenwir,allediese Indizienineinen stimmigenZusammenhangzu bringen, so wäre zu erwägen, ob Schubart zunächst alsOrgelschüler(undGe- hilfe?)von Johann GeorgAhlenachMühlhausenkam;imBlick aufsein Geburtsjahrkönntediesum1705–alsoimAlter vonetwa15Jahren–ge- schehensein. Nach demfrühenTod seines ersten Lehrmeisterswäreerdann vondessenNachfolger,dem gerade einmal fünf Jahreälteren Johann Sebas- tian Bach übernommenworden. DieseZusammenhänge werfen möglicher- weiseauchneues Lichtauf eine weiterefrühe Abschrift vonSchubarts Hand: Dieinnerhalb derGruppeder sogenanntenWeimarerTabulaturen überlieferte Kopievon PachelbelsChoralbearbeitung „AnWasserflüssenBabylon“ist ebenfallsauf Mühlhäuser Papier geschrieben.DaSchubarts Tabulaturnotation (Teilung derOktave zwischen hund c, Verwendung vonlateinischenBuch- staben fürdie großeOktave)hierwie auchanderswoeiner abweichenden Traditionfolgtals diejenigeBachs (Teilung derOktavezwischenbund h, Verwendung vondeutschen Buchstaben fürdie großeOktave), könnte es sich beidieserfrühenHandschrift vielleicht eher um einZeugnis vonSchubarts Unterricht beiAhleund noch nichtumeineFruchtseinerStudien beiBach handeln. Folgen wirdiesenÜberlegungen, dann wärenSchubarts Abschriften der anonymen Kantate„Ach, daßdie Hilfeaus Zion über Israelkäme“ undvon PachelbelsChoralvorspiel„An Wasserflüssen Babylon“ bereitsum1705/06 entstanden. Dessenungeachtet istjedochauchzuerwägen,obSchubarts Par- titurder Weihnachtskantate mitBachs Mühlhäuser Aufführungsrepertoirezu tunhat undobBachdiesesWerk zu Weihnachten 1707 in derBlasiuskirche musizierthaben könnte.Abgesehen vonden vier für Mühlhausen bezeugten eigenengeistlichen Figuralstücken(BWV71, 106, 131, 150) dürfte er in den knappelf Monaten seines dortigenDienstesmeist fremde Werkedargeboten

16 D-WRha, GF 104/AJG01und GF 105/AJG 02.Vgl.H.R.Jung, Thematischer Kata­ logder Musiksammlung Großfahner/EschenbergeninThüringen,Kassel2001(Cata- logus Musicus. XVII.),S.123–125 (mit korrekturbedürftigen Angabenzuden Texten undzur Struktur derWerke)sowie RISM A/II,ID-Nr.250007174 und250007175. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 105 haben.Die bittereWendung in seinem Mühlhäuser Entlassungsgesuchvom 25.Juni1708, derzufolgeviele Dorfschaften eine „offtbeßer,als allhier fasonierte harmonie“vorzuweisen hatten,17 könnte entsprechend auchdahin- gehend zu deuten sein,daß dieäußeren BedingungenBachselbst an hohen Festtagenzwangen, technischanspruchslosere ältere undinseinenAugen wenigerattraktiveStücke aufzuführen.

–Faszikel1(S. 1–20): Missa(Kyrieund Gloria) in C-Dur Fünf gefalteteund ineinander gelegteBögen,Blattformat ca.32,5×20cm; Wasserzeichen:Gekrönter Doppeladlermit Herzschild undMühlhaue, CB- Marke(Weiß 58). Ohne Titel; dieSysteme aufS.1tragen folgendeBesetzungs- angaben: Tromba 1, Tromba 2, Tympano, Violino1,Violino2,Viola1,Viola2, Fagotto, Cantus 1, Canto2,, Tenore, Basso, Canto2di Chori, Alto 2di Chori, Tenore 2diChori, Basso2di Chori, Organo (beziffert). Dieplanvolle Dispositionder Niederschriftzeigt sich an demkorrekturarmenReinschrift- charakter, denmeist mitdem Lineal gezogenen Taktstrichen undder opti- malenNutzungdes Papiers. Diegenaue Bezeichnungder Singstimmenund derdurchwegbezifferteContinuolegen auchhierdie Annahmenahe, daßes sich um dieSpartierung eines Stimmensatzeshandelt.Bei derzuvermutenden späteren Separierungvon Partitur undStimmen wurde wohl derTitelumschlag denheute verschollenenStimmen zugeschlagen. Da derSuche nach demKomponisten derMesse bislangkeinErfolg beschie- denwar,sei hier eine knappe Übersicht derformalenDisposition angefügt,die auchdie wenigenoriginalenAngaben zu Tempo, Dynamik undBesetzung berücksichtigt:

–Kyrie I: Streicher, Chorus 1und 2, Bc; ,28Takte –Christe:„Christeà|6[recte:5]Voc: | senzaStro | menti“; CCATB(Chorus 1),Bc; 3/2, 44 Takte –Kyrie II:„NB.indiesen Kyrie gehendie Instrum: u. derandre Chor.mit denersten Chor all’ unisono“; „alla breue“; notiert sind .I+II, CCATB, Bc;  [!], 59 Takte

–Etinterra:Tutti; ,43Takte –Gratias agimus tibi:Streicher,Chorus 1und 2, Bc;3/2,40Takte –DomineDeusRex cælestis:„graveepiano“; zuerst Streicherund Chorus 1, später Tutti; ,55Takte –Quoniamtusolussanctus: Tutti; 3/2,32Takte –Cum sancto Spiritu: „Allegro“, Tutti; ,49Takte Dievorstehende Gliederung gibt denAufbaudes Glorianur unzureichend wieder.Denninsbesonderedie geradtaktigen Abschnittezeichnensichdurch einenbuntenWechselunterschiedlicher Satzmuster aus. DasWerkist ein

17 DokI,Nr. 1. 106 Peter Wollny eindrucksvollerVertreter derum1660von denamDresdnerHof wirkenden Kapellmeistern Vincenzo Albriciund Gioseppe PerandainMitteldeutschland eingeführtenMissa concertata unddes fürdiese Gattung typischenstylus luxurians. Im Vergleich mitden Werken Albricis undPerandaszeigt diein SchubartsAbschrift überlieferte Messeallerdings bereitseinigemodernere Züge,die eine Datierungauf dieZeitzwischenetwa1675und 1700 nahelegen. In diesem Zusammenhang seispeziellauf dieFaktur des„Domine Deus Rex cælestis“mit seiner Tempo- undSpielanweisung„Grave epiano“, seinen staccato auszuführenden StreicherakkordenimViertelpuls undseinerosti- naten Harmoniefolgehingewiesen.Ähnlichehochaffektive Abschnitte begeg- nenuns auchinWerken vonDavid Pohleund Philipp Heinrich Erlebach.18 Ungewöhnlich erscheint allenfalls dieneunstimmige Vokalbesetzungmit der asymmetrischen Gegenüberstellungeines fünfstimmigenFavorit-Ensembles undeiner vierstimmigenmeist untergeordnetenGruppe, dieinden konzer- tantenTutti-Abschnitten parallel mitden Streichern geführtist undinden fugiertenAbschnitten alsRipieno eingesetzt wird.Die ausder Vokaldisposi- tion resultierendeseltene Gesamtstimmenzahl„à17“ lädt zu Erkundungen im mitteldeutschenUmfeldein.Tatsächlich hat DavidPohle am 13.August 1673 im Rahmen einesFestgottesdiensts anläßlich desGeburtstags vonHer- zogAugustvon Sachsen-Weißenfels im DomzuHalle eine „Missa,à17“ musiziert.19 Da jedoch weitereAngaben zu demverschollenen Werk fehlen,20 bleibt dieser Fingerzeigbis aufweiteresspekulativ. ZumSchlußsei noch aufeinemerkwürdige musikalische Parallelehinge- wiesen:Der fugierte letzte Abschnitt desGloria(„Cum sancto Spirito“)ver- wendet einThema,das fast völlig mitdem in Johann LudwigBachs Missa „AlleinGottinder Höhsei Ehr“ (1716) an gleicher Stelle verwendeten Fugen- themaübereinstimmt.Obessich hier um einenZufallodereinebewußte Entlehnung handelt, istallerdings nichtzuentscheiden.

18 Sieheetwaden Schlußabschnitt vonPohlesKonzert „Paratum cormeum“ (S-Uu, VMHS 63:9)und diemit derTempoangabe „Grave“ undinden Streicherstimmen mitder Spielanweisung„staccato“ versehene Aria „Joveclemens omnibus“ aus Erlebachs Konzert„Exultemus, gaudeamus, laetemur in Deo“,das Teil derMühl- häuser Erbhuldigungsmusik von1705ist (Stadtarchiv Mühlhausen, „Musicalia bei demActuHomagiali“, D5a/b,Nr. 33, Vol. II). 19 W. Serauky, Musikgeschichte derStadt Halle,Bd. II/1,Halle 1939,S.281. 20 AufKonkordanzendurchgesehenwurdendie Sammlung Bokemeyer unddas Wei- ßenfelserInventar. SieheH.Kümmerling, Katalogder Sammlung Bokemeyer, Kassel 1970 (KielerSchriften zurMusikwissenschaft.18.)sowie M. Seiffert, Ein- leitungzuJohann PhilippKrieger (1649–1725). 21Ausgewählte Kirchenkomposi­ tionen,Leipzig 1916 (DDT 53/54) undK.-J. Gundlach, DasWeißenfelser Auffüh­ rungsverzeichnisJohannPhilippKriegersund seines Sohnes Johann Gotthilf Krieger (1684–1732),Sinzig 2001. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 107 Nach Maßgabedes Schreiber- undPapierbefunds könnte dierepräsentative Missa einRepertoirestück ausBachs Mühlhäuser „Apparat“darstellen; jeden- fallsgehörtsie in dasengere Umfeld dergroßenRatswahlkantate „Gottist mein König“ BWV71.

–Faszikel3(S. 35–58):Psalm „Confitebor tibi Domine“ing-Moll Sechsgefaltete undineinandergelegte Bögen, Blattformatca. 33,5×19,5cm; Wasserzeichen: Gekröntersächsischer Rautenkranzschild, darüberSchrift- band mitder BuchstabenfolgeWEHZSICVBEW (Weiß36).Kopftitel:„Con- fitebor“; Besetzungsangabenfehleninder Partitur,dochlegen dieverwendeten SchlüsselVioline,Viola,Sopran, Alt, Baßund Continuo nahe.Die durchweg bezifferte Continuo-Stimmedeutetabermalsauf dieSpartierung nach einem –verschollenen –Stimmensatz.Schubarts Handschriftzeigt in dieser Quelle diegewohnten,nachErmittlungenvon YoshitakeKobayashi ab 1715 auftau- chenden reifen Züge (siehe Abb. 2).21 Hierzu paßt auchder Papierbefund: Das WasserzeichenWeiß36läßtsich in BachschenOriginalquellen in denJahren 1714 und1715nachweisen.Eswäremithinzuerwägen,obdiese lateinische Psalmkomposition zu denvon Bach in derWeimarerSchloßkapelle aufge- führtenFiguralstückenzuzählenist.Allerdings sind auchhierwiederum andere Kontexte denkbar. Zumeinen mußmit derMöglichkeit gerechnetwer- den, daßder inzwischen25jährige Schubart zu dieser Zeit bereitssystema- tischden Aufbau einereigenen Sammlung vonattraktiven Figuralstücken betrieb; zum anderenist fürdie Jahrezwischen1713und 1715 mehrfach belegt,daß Schubart fürden jungen Prinzen Johann Ernstvon Sachsen- Weimar alsKopistvon Musikalien arbeitete.22 In welches derdreinachweis- barenGebietevon SchubartsArbeitals Notenschreiber (für deneigenen Gebrauch,für Bach,für denWeimarerHof)die Abschriftdes anonymen Confiteborfällt,ist kaum zu entscheiden,zumal nichteinmalgeklärt ist, ob eine solchstrikte Trennung seiner Tätigkeitenüberhaupt statthaft ist. Anders gefragt: Bedeutet eine mutmaßlichinBachsWohnung –und damitgleichsam unterseinenAugen–entstandene Abschrift Schubarts, daßauchBachselbst dasWerk zurKenntnisnahmbeziehungsweise daßeseinen wieauchimmer zu definierenden Bestandteilseinesmusikalischen Horizontsbildete?Zube- denken istindiesemZusammenhang, daßdas Confiteborunabhängig von denBesitzverhältnissen desNotenmaterialsvermutlich vonder Hofkapelle –und damitunter BachsMitwirkung–musiziert wurde.Die Grenzenzwi- schenden PrivatsammlungeneinzelnerKapellmitgliederund demhöfischen, etwa vonJohann Ernstauf seinen Reisen angeschafftenMusikalienbestand hätten wiruns mithin nichtals undurchlässigvorzustellen. Vielmehr gehörten

21 Kobayashi, QuellenkundlicheÜberlegungen (wie Fußnote10),S.291 f. 22 SchulzeBach-Überlieferung, S. 159und 163. 108 Peter Wollny auchdie Kollektionen andererWeimarerMusiker zu Bachsmusikalischem Umfeld. Leider konnte auchbei dieser drittenAbschrift Schubartsder Autordes Werksbishernicht ermitteltwerden.Die Faktur deutet aufeinen um 1700 wirkendenitalienischenKomponisten.Die formaleDisposition wieauchdie Verwendungdes damals modernen 3/8-Takts mitseinentypischen Hemiolen erinnert an dieKompositionen vonGiovanniBattistaBassani (um1657–1716), doch kann dasStück in dessen gedruckten Sammlungennichtnachgewiesen werden.23 DieSatzfolgedes anonymen Confiteborlautet:

1. ConfitebortibiDomine: Tutti; 3/8,g-Moll 2. Magnaopera Domini:Sopran, Bc; ,B-Dur 3. Confessio:Alt,Baß,Streicher,Bc; ,B-Dur 4. Memoriafecit:Tutti;6/8,g-Moll 5. Memorerit: Basso, Violino, Bc; ,d-Moll 6. Ut detillis: Alt, Bc;3/4,g-Moll 7. Fideliaomnia mandataejus: SAB, Viola, Bc; ,c-Moll 8. Redemptionem misitpopulo suo: Sopran,Bc; 3/4,Es-Dur 9. Sanctumetterribile:Tutti; ,g-Moll 10.Intellectus bonusomnibus:Tutti; ,g-Moll 11.GloriaPatri et Filio: SAB, Bc;3/4,d-Moll 12.Sicut erat in principio: Tutti; 3/8, g-Moll (= Satz 1)

Ungeachtet dervielenoffenen Fragen verleihendie drei Handschriften unse- remBildvon derPflege dergeistlichen Figuralmusik in BachsMühlhäuserund Weimarer Umfeld deutlichereKonturen.

II.

DieIdentifizierungvon drei bislangunbekanntenHandschriften des Bach-SchülersJohann Martin Schubart nährtden Wunsch, Nähereszur Über- lieferungnicht nurdieserQuellen,sondern auchseinerNotensammlungins- gesamt in Erfahrungzubringen. EinenFingerzeigliefern diedem Konvolut Mus. ms.30244 beigebundenenAbschriften derKantatenvon Homilius.Diese

23 R. Haselbach, GiovanniBattista Bassani. Werkkatalog, Biographie und künst­ lerische Würdigungmit besonderer Berücksichtigung derkonzertierendenkirch­ lichen Vokalmusik,Kassel1955. Formal undmusikalisch sehr ähnlich istaller- dingsBassanisConfitebor in a-Moll ausden Salmiconcertati a3.4.e5.vocicon Violini,op. 21,Bologna1699(abschriftlich erhalten in D-B, Mus.ms. 1170/2). Siehe dieBesprechungbei Haselbach, S. 205f. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 109 drei Kantaten wurdenoffenbarvon zwei verschiedenenKopistengeschrieben, sind aber anhand deseinheitlichen Wasserzeichens alszusammengehörig zu erkennen:Das Zeichenpaar„BingabelüberhöhtemSchild+ICR“deutet aufdie PapiermühleBlankenburgimHarzund denPapiermacherJohann Christoph Riedel (tätig in Blankenburgzwischen1749und 1777).24 Nach Er- mittlungenvon Karlheinz Schönheid wurde BlankenburgerPapier am Wei- marerHof bisins 19.Jahrhundert hinein verwendet.Eslag also nahe, in Wei- marerAkten nach denKopistendieserQuellen zu fahnden. Fürden ersten derbeidenSchreiber führte dieSuche raschzueinem positivenErgebnis:Die Partituren zu „Lobet denHerrn,ihr seineEngel“HoWVII.166und „Der Herr zeucht Gerechtigkeitan“ HoWV II.120 stammenvon derHanddes lang- jährigen Weimarer Hofkantors Johann ChristophRudolph. Rudolphwirdinden Weimarer Aktenerstmalsam14. August 1755 greifbar, alsersichumdas durchden Todvon Wolfgang ChristophAlt vakant gewor- dene Amtdes Hofkantors bewirbt.25 In seinem Bewerbungsschreibenteilt er mit, daßer„vonKindesbeinenander Musicobgelegen“habeund daher„so- wohl in der vocal-als instrumental Music“ versiert sei, zumal er „ohnedem beym allhiesigenSchüler-Chor als Præfectus steheund dieseStellegar füglich mitversehen“ könne. BereitskurznachseinerAnstellungstellte er allerdings fest,daß diePräfektur sich mitden Aufgaben einesHofkantorsnicht verein- barenließ, undersuchtedarum,von denalten Verpflichtungenentbunden zu werden;gleichzeitigaberbat er,daß dieKantorenstelle–wie zu Zeiten seines Vorgängers Johann Döbernitz(1658–1735) –wiederhöherbesoldetwerden möge.26 Dies wurde anscheinend abgelehnt, denn bereitsam28. Oktober1755 batRudolphdarum,„dieienigen6Rthlr.,welchevon demverstorbenen Hoff-Cantor Alt, demHoff-Kirchnervor sein wöchentlichSingeninder Schloß-Kirchen vormahls abgetreten undvon Hochfürstl:Cammer gezahlet worden,(weilnernun mitdem Singennichtsmehrzuthunhat undich solches verrichte) mirzugönnengnädigstgeruhen wolten“. 27 DerHintergrund dieser Eingaben ist, daßW.C.Alt nebenseinerTätigkeit alsHofkantor eine Lehrer- stelle (Quintus)amWeimarerGymnasium versah undwegen dieser Doppel- belastunggezwungenwar,einigeseinerVerpflichtungenabzutreten. DieEin- künfte desHofkantorswaren in derFolge offenbar starkgekürzt (und die BedeutungdieserStelleentsprechend reduziert) worden. Nach demTod desStadtkantorsJohann SebastianBrunner (1706–1777)be- warb Rudolphsicham11. Oktober1777 aufdessenStellemit demHinweis,

24 SieheK.Schönheid, DieBlankenburgerPapiermühle,in: Greifenstein-Bote. Mit- teilungsblattder Greifenstein-Freunde,Nr. 5(Dezember 2006), S. 6–7. 25 ThüringischesHauptstaatsarchiv Weimar (imfolgenden:ThHStAW), Konsistorial­ sachen B3450,fol.1r+v. 26 Ebenda, fol. 5r–6v. 27 Ebenda, fol. 7r+v. 110 PeterWollny daßer„ganzer 22. Jahr […] wegenmeinergeringenBesoldung[alsHofkan- tor] mitder information so wolimChristenthum, Latein und Music habe hin- bringenmüssen“.28 Rudolphwurde –jedochmit spürbarerZurückhaltung – vondem Weimarer Oberpfarrer undEphorusJohann GottfriedHerder unter- stützt,dochlehnteihn dasOberkonsistoriumals ungeeignet ab.29 Wie Herder in seinem Gutachten erwähnt, hatte Rudolph„geraumeZeitfür denHrn. CapellmeisterWolfinFürstl. Hofkirchedie Stelle desOrganistenvertreten“. 30 Zu einerförmlichenErnennung zumHoforganisten kamesjedocherst1795, einige JahrenachWolfs Tod.31 DenWeimarerHofkalendernist darüberhin- aus zu entnehmen, daßRudolphzusätzlichzuseinenmusikalischenVer- pflichtungenab1757oder1758für dieHerzogliche Bibliothek alsSchreiber gearbeitet hat.IndieserdreifachenFunktionals Kantor,Organist undBiblio- theksgehilfewirkteerbis zu seinem TodimJahr1804.32 Sollte Rudolphdie beiden in Mus. ms.30244 überliefertenKantatenvon GottfriedAugustHomiliusfür deneigenen Gebrauch abgeschrieben haben, so käme hierfür vielleicht am ehestenseine Zeit alsPräfekt desSchülerchors um dieMitte der1750erJahre in Betracht,als er noch künstlerisch ambitio- niertwar undwohlden größtenmusikalischen Gestaltungsspielraum hatte33;

28 StadtarchivWeimar, HA ILoc.27Nr. 61,fol.60r. 29 M. Keßler, Johann GottfriedHerder–der Theologe unter denKlassikern. Das Amtdes Generalsuperintendentenvon Sachsen­Weimar,Berlin 2007 (Arbeitenzur Kirchengeschichte.102.),S.133–134, sowieO.Francke, Geschichte desWilhelm­ Ernst­Gymnasiums in Weimar,Weimar1916, S. 88. 30 Gemeintist ErnstWilhelm Wolf (1735–1792), der1761Konzertmeisterund 1763 in derNachfolgeJohannCasparVoglers Organist derWeimarerHofkapellesowie Musikmeister derHerzoginAnnaAmaliawurde.Wegen zahlreicher anderweitiger Verpflichtungen(1768 erfolgte noch seineErnennung zum Hofkomponisten und 1772 diezum Kapellmeister)war Wolf offenbar gezwungen, seineAufgabenals Hoforganistregelmäßigvon einemVertreter wahrnehmenzulassen.Siehe hierzu besondersdie Akte ThHStAW, Konsistorialsachen B3459. 31 Keßler (wie Fußnote29),S.146. 32 Dieerste Erwähnungdieser Tätigkeitfindet sich im Hochfürstl.Sachsen­Weimar­ und EisenachischenHof­und Adress­Calender, aufdas Jahr 1758,Weimar[1757], S. 102. Durchgesehenwurde diedigitalisierteReihe derHofkalender bis1804; siehe http://www.urmel-dl.de/Projekte/LegislativundExekutiv/OnlineAngebot/Sachsen WeimarEisenach.html. 33 Hierzu würdeauchder –freilich noch nichthinreichend abgesicherte –Schreiber- befund derauf demgleichen Papier geschriebenen drittenHomilius-Kantatedes Konvoluts passen („Wassuchetihr denLebendigen beiden Toten“ HoWV II.66). DieerstenneunSeitendiesesFaszikels sowieein großer Teil derTextunterlegung stammenallem Anschein nach vonder Hand desAllstedterKantors undSchul- meisters Johann Friedrich Rötscher,der sich am 8. Februar1778erfolglosumdas Weimarer Stadtkantoratbewarb. Rötscher waraus Winkel beiAllstedtgebürtig und Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 111 alsHofkantor dürfte seineRolle sich aufdie Leitungdes liturgischenGe- sangesbeschränkt haben.Allerdings wäre auchdenkbar,daß er sein kläg- liches Kantorengehalt mitNotenschreibenaufzubessernsuchte. Daßdie gemeinsame Überlieferungder Abschriften vonSchubartund Ru- dolphauf Zufall beruhenkönnte, istangesichts dervorstehend referierten biographischenFaktenals wenigwahrscheinlich zurückzuweisen.Trotz aller noch bestehendenUnsicherheiten undLückenist immerhin auffällig, daß Rudolphab1764als offenbar regelmäßiger Vertretervon ErnstWilhelm Wolf dieselbe Funktion ausübtewie der1721–ohneErben –verstorbene Bach-Schüler Schubart.Diesdeutetauf stabileTraditionen,die für dieÜber- lieferungmusikalischer Quellengünstig gewesenseinmüssenund dieviel- leicht erst um 1800 mitdem Abtreten derGenerationRudolphs abgerissen sind.34 Mitanderen Worten:Der Befund desKonvoluts Mus. ms.30244 legt dieAnnahme nahe,daß Rudolphzueinem noch näher zu bestimmenden Zeit- punktMusikalienaus demehemaligenBesitzdes Bach-SchülersSchubart übernahm. Wirwissennicht,obRudolphaußer deninMus. ms.30244 enthaltenen Quellennochweitere Handschriften ausSchubarts Nachlaßbesessenhat. Immerhin istauffällig, daßdie vonBachund Schubart geschriebenen Wei- marerTabulaturen in dererstenHälftedes 19.Jahrhundertsden Wegindie- jenige Bibliothek fanden,inder RudolphfastfünfJahrzehntelangals Gehilfeund Schreibergewirkt hatte. Im Blick aufdie nunmehrschlüssig re- konstruierte Provenienz desBandes Mus. ms.30244 (J.M.Schubart–…– J. C. Rudolph–J.N.Forkel –F.K.Griepenkerl)wärezudem mitder Möglich- keit zu rechnen, daßRudolphoderdie VerwalterseinesNachlassesmit Johann NikolausForkelund gegebenenfalls anderenSammlernindirektemKontakt

wurde im Juli 1741 alsDepositus in dieMatrikelder UniversitätLeipzig einge- schrieben (Erler III, S. 340).1765wurde er alsTenorist an denDarmstädter Hof verpflichtet, trat dort jedoch nicht an;siehe MfM32(1900), S. 85 (W.Nagel). Da Rötscher seiner Herkunft nach einLandeskinddes Herzogtums Sachsen-Weimar war, dürfte er seineSchulausbildung am Weimarer Gymnasiumerhalten haben, wo er vielleichtneben RudolphimSchülerchor eine führendeRolle innehatte.Weitere ErmittlungenzuseinerBiographiestehennochaus. 34 Am Randesei erwähnt, daßdie in derHerzoginAnnaAmaliaBibliothekzuWeimar aufbewahrteAbschrift vonJohannGottfried Walthers Praecepta dermusicalischen Composition (D-WRz, Q341c)anscheinend vonder Hand desWeimarerStadt- organisten Johann Samuel Maul(1721–1802) herrührt (verglichen wurden diein derAkte HA ILoc.2Nr. 6 desStadtarchivsWeimarenthaltenen Schriftstücke Mauls). Dasinderselben Akte (fol.92–93)überlieferteBewerbungsschreibenvon VoglersSohnJohann Christian(datiert26. März 1748)liefert denNachweis,daß dieser in demBandD-B, Mus.ms. 12011 mehrfach alsSchreiber vertretenist (ge- naue NachweiseimAnhang). 112 PeterWollny standenund ihneningrößeremUmfangZugangzuälteren Musikalien aus der Blütezeitder Weimarer Hofmusik undinsbesonderezuwichtigen frühen Bach-Quellen verschafften.

III.

In derrekonstruierten Provenienzkettedes Konvoluts Mus. ms.30244 sind lediglichdie JahrezwischenSchubarts Tod(1721)und demBeginnvon Ru- dolphs Tätigkeitals Vertreterdes Hoforganisten Wolf (1764) noch offen. Als Zwischenbesitzerkommt insbesondereeinePersoninBetracht, dieinmancher Hinsicht gewissermaßenein Bindeglied zwischenden Zeitaltern darstellt: der Bach-Schüler Johann Caspar Vogler,der 1721 dieNachfolgeSchubarts alsHof- organist antrat unddiese Stelle mehr alsvierzig Jahrebis zu seinem Todam3. Juni 1763 innehatte.35 Diebereits 2007 vorsichtig geäußerteVermutung, die Weimarer Tabulaturenkönnten mitdem 1766 veräußertenNachlaß vonSchu- bartsAmtsnachfolger Johann Caspar Vogler zu tunhaben,36 veranlaßte mich in derFolge zu weitreichenden Recherchen. Da kein Exemplar desinzwei Zeitungsannoncenerwähnten Verkaufskatalogsmehrgreifbarist,kann Vog- lers „Vorrath an Musicalien,von J. S. Bach undandernberühmten Musicis“37 nuranhandder Bestimmung vongemeinsamen Merkmalender seiner Samm- lung mutmaßlichzuzuordnenden Handschriften rekonstruiertwerden. Tatsächlichfördertedie sukzessive Durchsicht desgesamtengreifbaren Quellenmaterials ausdem Weimarer Umfeld zahlreiche Handschriftenmit gleichartigen, meistinder rechten unterenEckeder ersten Seiteangebrachten Bleistiftsignaturen zutage.Diese bilden eine offenbar zusammengehörige Nummernfolge, die–mit vielen Lücken–von „No. 3“ bis„833“ reicht.38 Wie einVergleichmit gesichertenSchriftstückeneindeutig ergibt,stammen die Nummernvon VoglersHand(sieheAbb.3a–d).39 SeineMusikaliensammlung

35 Zu VoglersBiographiesiehe besondersSchulze Bach-Überlieferung,S.59–68. 36 Weimarer Orgeltabulatur (wie Fußnote5), Vorwort, S. XI. 37 SieheDok III,Nr. 728, sowieSchulze Bach-Überlieferung,S.67. 38 AufFotokopien undMikrofilmaufnahmen sind dieZiffern meistnicht zu erkennen. In derLiteratur undden Quellenbeschreibungender betreffenden Kritischen Be- richte derNBA fehlen daherinder Regeldie entsprechenden Hinweise. Dieauf dem Stammbuchblattmit BachsKanon BWV1073zufindendeBleistiftnummer („841“) gehört meines Erachtensnicht in dieseReihe;zumindest stammt sievon eineran- deren(späteren)Hand. 39 Herangezogen wurden verschiedene DokumenteimThHStAW;siehe besondersdas auchbei SchulzeBach-Überlieferung, S. 208, abgebildeteSchriftstückaus derAkte B4367a,Bl. 3–4. Charakteristisch für VoglersHandsindinsbesonderedie Ziffern 1, 2, 3, 5, 6und 9. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 113 gewinntdamit erstmals deutlicheKonturen.Allerdings handeltessichbei den Chiffren nicht um Losnummerneiner Auktion, sondernumInventarnum- mern, diemit einemvon Vogler angelegten VerzeichnisseinesNotenschatzes korrespondiert habendürften.Dieseswiederumwirddie Grundlagedes spä- tervon VoglersWitwe in denerwähnten Verkaufsangeboten(vom11. April und15. Juli 1766)genanntenKatalogsgebildet haben, der–handschriftlich oder gedruckt –auf Anfrageanpotentielle Käufer verschicktwurde.Die die- semAufsatzals Anhang beigefügte Zusammenstellung allerbisher identi- fizierten Handschriften ausVoglerBesitzvermittelteinen Eindruck vonden musikalischenVorlieben desWeimarerHoforganisten undgewährt einen Blickauf dasvon ihm beherrschteund in denGottesdienstender Himmels- burg beziehungsweiseimhäuslich-privatenRahmengepflegteRepertoire. Zugleich dokumentiert sieVoglers –zum Teil auchanderweitig belegte– persönlicheBeziehungenzuOrganistenkollegen wieJohann PeterKellner, Johann Tobias Krebsund Johann Nikolaus Mempell.40 Auffälligist dasFeh- lenvon Werken undeigenhändigen Abschriften Johann GottfriedWalthers; anscheinend hatte der1747zwischenVoglerund Waltheroffen ausgebrochene Konflikteinelängere Vorgeschichte.41 DieInventarnummernlegen nahe,daß Vogler ausschließlich Werkefür Tas- teninstrumente sammelte;sollteer–wie sein KollegeJohann GottfriedWal- ther –auchVokalmusik besessen haben(dieÜberlieferung derdreiSchubart- QuelleninMus. ms.30244 legt dies nahe), so haterdiese anscheinend nicht inventarisiert. Eine systematische Ordnungdes numeriertenBestandsist nuransatzweise zu erkennen:Voglers Abschrift derFranzösischen Suiten („No.38“)steht direkt voreiner „Suite pour le Clavecin“inEs-Durvon Johann LudwigKrebs („No.39“), während es sich beiden Positionen „No. 110“ bis „No. 139“ ausschließlich um Choralbearbeitungenfür Orgelhandelt.Von „No. 171“ bis„No.214“finden sich freie Tastenwerkevon J. S. Bach (Präludien undFugen),vergleichbareKompositionen anderer Meister verteilensichauf diePositionen„No.504“bis „No. 570“,und zwischen„No.640“und „No. 651“ häufen sich Orgel-Trios. Ab „No. 654“ sind wiederum ausschließlich Choral- bearbeitungenverzeichnet;vielleichthandelt es sich hier um einenausge- dehntenAnhang, demdann auchdie vier Weimarer Tabulaturen („830“ bis „833“) zugeordnet waren. Nicht zu klären ist, wodurchdie Umgruppierung vonmindestensdreiPositionenaus demBereich zwischenden Nummern404 und466 in denniedrigstelligenBereich (zwischen„No.3“und „No. 39“) be- dingtwar.

40 SieheSchulze Bach-Überlieferung,S.68. 41 Siehe Johann GottfriedWalther.Briefe,hrsg. vonK.Beckmannund H.-J.Schulze, Leipzig1987,S.255–257. 114 PeterWollny Zu welchemZeitpunkt Vogler dieInventarisierungseinerMusikaliensamm- lung vornahm, istnicht bekannt. Beiseineneigenen Abschriften scheintdie Numerierung nicht in einemZuge mitder Kopienahmeerfolgt zu sein,es handeltsichalso nichtumein numerus-currens-System. Mithin ergibt sich aus derAbfolgeder Signaturen keinechronologische OrdnungseinerSammel- undKopiertätigkeit. DieÜberlieferung derHandschriften ausVoglers Sammlungist mitvielen Fragen behaftet.ImVergleich mitder rechtgroßenZahlvon Werken seiner Organistenkollegen Kellnerund Krebserstaunt, daßvon Johann Sebastian BachsKompositionen kaum etwaszufinden ist. Da aber gerade dieser Reper- toireschwerpunkt vonVoglers Witweinihrer Zeitungsanzeigebesonders hervorgehoben wurde,sindhieroffenbarempfindliche Verluste zu beklagen. DieKellner-und Krebs-Abschriftensindüberdie SammlungForkel über- liefert. Ob –analog –der heuteweitgehendverschollenegroße Bachiana-Be- stand, der1819inForkels Nachlaßverzeichnisnochgenannt wird,zumindest in Teilen ebenfallsauf dieSammlungVoglerzurückging, läßt sich nicht mehr bestimmen.42 Allerdings dürfte Forkel 1766 alsgeradeeinmal17jähriger Schülerkaumschon selbst alsKäuferaufgetreten sein;erwurde also höch- stensübereinen Zwischenbesitzerauf die Quellenaufmerksam.Wer dieser mögliche Zwischenbesitzer gewesenseinkönnte, entzieht sich unsererKennt- nis–und überhauptwissenwir nicht, welcherPersonenkreis seinerzeit aufdas Verkaufsangebotvon Christiana AugustaVoglerreagierte.InBetrachtkämen in erster LinieMusiker ausdem Weimarer Kreis, darunter,wie es derÜberlie- ferungsbefundvon Mus. ms.30244 nahelegt,auchJohannChristoph Rudolph. Jedenfalls wurde dieSammlungVogleranscheinend schonfrühzerstreut;das erklärtauch, warumfür diewenigen nochgreifbarenVoglerschen Bach-Ab- schriften kein einheitliches Überlieferungsprofil zu erkennen ist. Schließlich istauchdenkbar, daßessich beiden vonForkelerworbenenHandschriften aus demBesitzVoglers lediglichumeinigeinWeimarzurückgebliebeneRest- bestände handelte.43 MindestenseineQuelle–VoglersAbschrift derbeiden Livres d’Orgue von Jacques Boyvin (D-B, Mus. ms.2329)–gelangteinden Besitz vonJohann ChristophWalther (1715–1771); dies geschahwohlerst1770, in demJahr, in demWalther seineOrganistenstelle am Ulmer Münsteraufgabund in seine Geburtsstadt Weimar zurückkehrte.NachAuskunfteiner handschriftlichen Notiz aufdem Vorsatzblatt erwarb denBandimNovember1858der damalige

42 Eine Ausnahme bildet VoglersAbschrift derFugeBWV 578, dieaberanonym überliefertist understinjüngererZeitals eine Kompositionvon J. S. Bach erkannt wurde. Siehe NBAIV/5–6 Krit.Bericht (D.Kilian,1978),S.95. 43 VoglersWitwe starbAnfangMärz1783(sieheDok III,S.723); möglicherweise zogensichdie Verkäufe biszudiesem Zeitpunkthin. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 115 Weimarer Opernregisseur ErnstPasqué„zu Weimar vonder FamilieMartini“, denNachkommenvon J. C. Walthers Schwester Wilhelmina Maria; wohl aufgrund derProvenienzhielt Pasqué dieQuellefür einAutograph vonJohann GottfriedWalther: „J.Ch. Walther, derseinenVater beerbte, hinterließ seiner Schwester,verehelichteMartini zu Weimar seinen musikalischenNachlaß, welcher theilweise in denBesitzGerbers […]überging, theilweise im Besitz derFamilie blieb,von derenNachkommender Unterzeichnete denBander- hielt“. Vier weitereBach-Handschriften scheinen nach Leipziggelangt zu sein;sie tauchenspäter im Nachlaßdes ThomaskantorsJohann GottfriedSchichtbe- ziehungsweiseimHandschriftensortiment desVerlagshauses Breitkopf& Härtel auf.44 Ob dievierQuellen 1766 einengemeinsamen Wegnahmen, ob sie gegebenenfalls Teil einesgrößerenBestandswaren undwer deroderdie Käu- fergewesen sein mögen–all dies bleibt ungeklärt. Da wirnicht einmal wissen, ob Vogler sämtlicheHandschriften mitTastenwerken in seinem Besitz in- ventarisierte,wärezufragen, ob nicht vielleichtauchdie eine oder andere um 1800 in LeipzigauftauchendeWeimarerQuelleaus seinem Nachlaßstammen könnte.Schicht zumBeispielbesaß eine vermutlich vor1720entstandene Ab- schrift desPräludiumsina-MollBWV 569(F-Sn, MS 2964), derenWasser- zeichen (A mitDreipaß)auchinzahlreichen frühen HandschriftenBachs und Walthers vorkommt.Das gleichegiltfür dieerstvor kurzembekanntgewor- dene Abschrift derbeidenManualiter-Toccaten BWV913 und914,als deren früheste Besitzer FranzHauserund dasVerlagsarchiv Breitkopf&Härtelbe- stimmt werden konnten.45 Eine andere,zugegebenvageSpurzuverschollenen Bachiana aus Voglers Sammlungergibtsichaus demWasserzeichenbefund.Die meisteneigenhän- digenAbschriften Voglerssowie auchdie Mehrzahl derinseinemBesitzbe- findlichen Kopien vonder Hand Johann Tobias Krebs’ (siehe Anhang)sind aufPapier ausder ArnstädterManufaktur vonJohann MichaelStoßge- schrieben (WZ: Amit Dreipaß+MonogrammJMS). Nach Aufzeichnungen vonWilhelm Rust undErnst Naumann fand sich dieses Wasserzeichen auch in mehreren –heute verschollenen–Abschriften ausder Sammlung Gotthold in derUniversitätsbibliothek Königsberg.46 Dieinden Königsberger Faszikeln enthaltenenWerke–Choralbearbeitungen ausdem DrittenTeilder Clavier- Übungund drei früherepräsentative Weimarer Choralfantasien(BWV1128, 661a und735a) –würdengut in dasBildvon VoglersSammelinteressen pas- sen. Da dieKönigsbergerHandschriften sämtlich ausdem Besitz desehe-

44 ZurProvenienzvon VoglersBach-Abschriftensiehe speziell SchulzeBach-Über- lieferung, S. 60–65. 45 Blanken(wieFußnote13),S.79–128. 46 Vgl. BJ 2008,S.18–20 (H.-J. Schulze). 116 PeterWollny maligenWeimarerOpernsängers undChordirektors Johann NicolausJulius Kötschau (1788–1845)stammen,wärezuerwägen,obder umfangreicheBe- standanBach-Handschriftenindessen1845gedrucktemNachlaßkatalog zumindestinTeilenauf VoglersSammlungzurückging.47 Angesichts derprominentenStellungund weitreichendenberuflichen Kon- takteVoglers istanzunehmen, daßdieserinseinerSammeltätigkeit vonan- derenMusikernaus seinem regionalen Umfeld unterstützt wurdeund diese im Gegenzug vonseinemQuellenbesitz profitierten. InstruktiveBeispiele sind dieAbschriften vonJohann Tobias Krebs(größtenteils Werkeseinesältesten Sohnes enthaltend)und dievon Johann Nikolaus MempellbesorgteKopie vonJohann PeterKellnersFuge in a-Moll (Mus. ms.11544,Fasz. 10). Beider Bewertungvon Mempells Bach-Abschriften wäre künftigdessendirekter KontaktzuVoglerstärker zu berücksichtigen.48 Weiterer Überlegungenbedarfauchdie Herkunft derfrühenAbschriften von derHandJohannGottliebPrellers. Prellerwar –nachErmittlungenvon Tho- masSynofzik–von 1744 bis1750(oder 1751)Schüler desWeimarer Gym- nasiums.49 Daßerhierauchmusikalisch tätigwar undinsbesondereinseinen letztenSchuljahren in demvon demWeimarer Hofmusiker Georg Christoph Eylenstein aufWeisung vonHerzogErnst August begründetenCollegium musicumeineaktiveRolle spielte, ergibt sich ausden in Weimar erhaltenen TextdruckenzudreiHuldigungsmusiken–(1) einerGeburtstagskantate für JohannaCharlotte,der unverheiratetenSchwester deswenigeMonatezuvor verstorbenen HerzogsErnst August († 23.November1748),(2) einerKantate zum 13.Geburtstagvon Herzog ErnstAugustConstantin(2. Juni 1749)und (3)

47 Siehedie Übersicht im Krit.Bericht NBAIV/5–6 (D.Kilian,1978),S.227f. –An- dere Teileder Sammlung Kötschau stammten offenbar ausden Nachlaßdes Erfurter Organisten Johann ChristianKittel; dies trifft etwa für dieFaszikel3,8und22–24 desKonvoluts Rfα6derStaats-und Universitätsbibliothek Königsberg zu (siehe die Übersicht in BJ 2008,S.18–20). Außerdem gibt Kötschau an,1814weitere Hand- schriften ausdem Nachlaßvon Johann ChristianBach, demsogenanntenHallischen Clavier-Bach,übernommenzuhaben.–Zu KötschausBiographiesiehe W. Serauky, Musikgeschichte derStadt Halle,Bd. II/2,Halle 1940,S.474. 48 Zu denBiographien undMusiksammlungen vonJohannNikolausMempell und demimfolgenden diskutierten Johann Gottlieb Prellersiehe diegrundlegende Studie vonH.-J. Schulze, Wieentstand dieBach­Sammlung Mempell­Preller?,BJ 1974,S.104–122 (auchinSchulze Bach-Überlieferung,S.69–88). 49 T. Synofzik, Johann Gottlieb Preller und seineAbschriften BachscherClavier­ werke–Kopistenpraxis alsSchlüssel zurAufführungspraxis,in: Bach undseine mitteldeutschenZeitgenossen, Bericht über dasinternationale musikwissenschaft- licheKolloquium, Erfurtund Arnstadt 2000,hrsg. vonR.Kaiser,Eisenach2001, S. 45–64, speziell S. 50f. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 117 einemOratorium zu dessen 14.Geburtstag(2. Juni 1750). 50 Über dieses Collegiummusicum dürfte Prellerpersönliche VerbindungenzuMitgliedern derHofkapelleund vermutlich auch zu demHoforganisten Vogler geknüpft haben.Selbstein förmliches Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischenVoglerund Prellererscheint angesichtsdieserbiographischenKonstellationen nichtaus- geschlossen.51

Vonbesonderem Interessesinddie älterenHandschriften in VoglersSamm- lung.Eswärezufragen, ob Vogler analog zu dernun belegten Übernahmedes musikalischenNachlassesvon Johann Martin Schubart weitereHandschriften

50 (1) Unterthänigste Freuden­BezeugungtreuerMusen über dasHochergehen einer grossen Prinzessin, Welche an dem 23stendes Winter­Monatsdes 1748stenJahres, alsandem in allenerwünschten Hoch­Fürstl. Hochergehenbeglückt erlebten Ge­ burths­Feste Der […] Fürstinund Frau,FrauJohanna Charlotte,Herzoginzu Sachsen,Jülich,Cleve und Berg […] durch folgendeCantata in […] Unterthänig­ keit an denTag legeten, desHoch­Fürstl. Weimarischen Gymnasii Illustrisnach­ gesezteMitgliederdes Collegii Musici,Weimar1748(Exemplar: D-WRz, Huld G31); alsOrganisatoren werden genannt„J. G. Prelleraus OberRoßla“,„W. C. Nieckschaus Schoppendorf“ und„J. E. Michaelaus Weimar“. (2) Alsder Durchlauchtigste Fürstund Herr,HerrErnst August Constantin,Her­ zogzuSachsen, Jülich,Cleve und Berg […] Dero […] Geburths­Licht […] das 13de mahl erlebten,stattetenihren […] Glück­Wunsch […] ab Dienachstehenden sämtlichen Civesder 1stenOrdnung und Gliederdes Collegii Musici, aufdem Hoch­Fürstlichen Gymnasio illustri zu Weimar,Weimar1749(Exemplar: D-WRz, Huld G41); Organisatoren:„J. G. Prelleraus Ober-Rosla“, „W.C.Nieckschaus Schoppendorff“und „J.C.Kellner ausWeimar“. (3) Dasvon seinenTelemachverlassene, und überdas vierzehende Gebuhrts­ Fest,Des DuchlauchtigstenFürsten und Herrn, Herrn ErnstAugustConstantin, Hertzogs zu Sachsen,Jülich,Cleve,und Berg, […] den2.Junii 1750 […],höchst­ erfreueteIthacawurde um zu diesen […] Tage ihren […] Glück­Wunsch abzustatten in einem Oratoriovorgestelletvon denensämtlichenCivibus dererstenOrdnung desHochfürstl. Weimarischen Gymnasiiillustris,Weimar1750(Exemplar: D-WRz, Huld H23); Organisatoren:„J. G. Preller, ausOber-Rosla“,„W. C. Niecksch, aus Schoppendorff“ und„J. C. Kellner,aus Weimar“. Daßessichbei demin(2) und(3) genanntenJ.C.Kellner um den1736geborenen Sohnvon Johann PeterKellner aus Gräfenhain handelnkönnte, istwenig wahr- scheinlich;möglicherweisebestanden aber zwischender Weimarer undder Gräfen- hainer FamilieKellner verwandtschaftlicheBeziehungen. Zu denMitwirkenden der drei Aufführungen dürfte auch derinAbschnitt II porträtierte J. C. Rudolphgehört haben. ZurGeschichtedes Collegiummusicum liegen bislangnur wenige gesicherte Erkenntnisse vor; sieheW.Lidke, DasMusikleben in Weimar 1683–1735,Weimar 1954,S.65–67. 51 Vgl. SchulzeBach-Überlieferung, S. 86. 118 PeterWollny vonWeimarerKollegenerworbenhat.Hierzukonnten folgendeIndizienzu- sammengetragen werden: 1. Dieindem Konvolut Mus.ms. 30194 (Faszikel21) enthaltene Abschrift dersingulärüberlieferten ToccatainA-Dur vonJohann Kuhnau („No.570“) weistdas Wasserzeichen „Gekrönter SächsischerRautenkranzschild mit Schriftband WEHZSICVBEW“ auf, das, bedingtdurch dasungewöhnlich dicke Papier (möglicherweiseDoppelpapier), allerdings nurrecht schwachzu erkennen ist, so daßeinenähereBestimmungder konkretenVariante nurmit Vorbehalterfolgen kann;dem Augenschein nach handeltessichumdas Zei- chen Weiß 36,das in zahlreichenBachschen Originalquellenaus denJahren 1714 und1715nachgewiesenist.Eserstauntdaher nicht, daßauchder Schrei- berinBachs Umfeld auftaucht:Esist derKopistAnonymus W7,52 derHaupt- schreiberdes Weimarer Originalstimmensatzes(St 23)zur Pfingstkantate „Erschallet, ihrLieder“ BWV172,die Bach am 20.Mai 1714 alsdrittes Werk nach seiner Ernennungzum Konzertmeister derWeimarerHofkapelleauf- führte.Dadie betreffenden Stimmender Pfingstkantateebenfalls dasWasser- zeichen Weiß 36 aufweisen, könnte dieKuhnau-Abschriftinzeitlicher Nähe entstandensein. DieseZusammenhänge erlauben dieSchlußfolgerung,daß Anonymus W7ein –namentlichnochnichtidentifizierter–WeimarerSchüler Bachswar (siehe Abb. 4a–b). Somit istdenkbar,daß er fürseine Abschrift der Kuhnau-Toccataauf eine Vorlageaus BachsNotensammlung zurückgreifen konnte. Dies wiederum ließebemerkenswerte Rückschlüsse aufBachs eige- nenmusikalischen Horizont zu,und es wäre des weiteren zu erwägen, ob das vielgestaltige undmusikalischanspruchsvolleWerk zurVorgeschichteder Toccaten BWV910–916 gehört. 2. Dieindem Konvolut Mus. ms.30194 alsFaszikel24enthaltene,bezüglich derAutorschaft mitZweifelnbehafteteChoralbearbeitung „Vater unserim Himmelreich“BWV 762(„No. 139“)ist ebenfallsauf eineminWeimarhäufig verwendetenPapier geschrieben.Bei demWasserzeichenhandelt es sich um denBuchstabenPingabelüberhöhtemSchild, beseitet vonden Buchstaben M undK.ÄhnlicheZeichen taucheninBachschen Originalquellender gesamten Weimarer Zeit auf. DieBuchstabenMund Kdeutenauf MichaelKeyßner,von 1689 bis1726Inhaber derPapiermühle Blankenburg/Thüringen.53 DieIdenti- fizierung desbisher unbekanntenSchreibersgelingt anhand derimKopftitel belegten charakteristischen Buchstabenschrift:Eshandelt sich um denlang- jährigenOrganisten derWeimarerJacobskirchePhilipp Samuel Alt, einen

52 Vgl. NBAIX/3, Textband,S.6. 53 Vgl. NBAIX/1(W. Weiß/Y.Kobayashi, 1985), Nr.41–43.Auf denPapierbefund hatte bereits1978Yoshitake Kobayashihingewiesen;siehe dessen Aufsatz Neu­ erkenntnisse zu einigenBach­Quellen an Hand schriftkundlicher Untersuchungen, BJ 1978,S.43–60, speziell S. 59. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 119

Bruder desvorstehend erwähntenW.C.Alt (siehe Abb. 5a+b). 54 P. S. Alt wurde am 18.Januar1689als Sohn desWeimarerHofkantorsund Sängers ChristophAlt getauft. Am 17.August1708schrieb er sich in dieMatrikelder UniversitätErfurtein;ein dreiviertelJahrspäter wechselteernachJena (29. März 1709). Sein Studiumander Salana wurde ihmdurch einzweijäh- rigesStipendiumdes Weimarer Hofesermöglicht.55 Nach Beendigungseiner Ausbildung wurde er 1714 alsBassist in dieWeimarerHofkapelleaufgenom- men. Am 4. Juli 1720 bewarb er sich um diedurch denTod vonJohannGeorg Hoffmann freigewordeneStelleeines Violinisteninder Hofkapelle undließ beidieser Gelegenheiteinfließen, er habe„in die5.und mehr Jahrebey der HochFürstl:HoffCapelle sowohl,als auch wenn sonsten Music gewesendie mitgemachet, undinAbwesenheit erwehntenHerrn Hoffmannsdeßen Vices in die5.und mehr Jahrevertreten“. 56 In seiner aufden 2. April1721da- tiertenBewerbung um dasmit demTod Schubartsvakantgewordene Amtdes Hoforganisten schrieb er über seinemusikalischeQualifikation, er habe„nicht nurzuJenadie Collegen­Orgel einige Jahrezutractiren gehabt,sondern auch alhier bereitszuZeitenHerrn Bachs, undobgedachten HerrnSchubarts deren Stelle,bey Abwesenheitund Unpäßligkeit derselben, vertretenmüßen,und überdießnochdie Orgel in derhiesigen St.Jacobs-Kirchen zuspielenge- habt“.57 DieBewerbungführtezwarnichtzudem erhofften Amt, doch erhielt Altinder Folgeimmerhin eine festeAnstellungander Jakobskirche.1727 wurde er außerdem zumHofadvokatenberufen.Auchder fürdas Jahr 1748 belegten Bewerbungumdie NachfolgeJohann GottfriedWalthersals Organist derStadtkirche St. Peterund Paul warkeinErfolgbeschieden,obwohlAlt da- rauf hinwies, „bereits in die26. undmehrJahre dem Organisten-Dienste zu Sct: Jacob alh. treüfleißigst vorgestanden,und hiernächst noch die Composi­

54 BiographischeAngaben nach WaltherBriefe(wieFußnote41),S.275, undden an- gegebenenAkten. 55 ThHStAW, Fürstliche Weimarischegesamte Cammer­und Steuer­Rechnung […] vonMichaelis1709. bis Michaelis1710,fol.95; dito,1710bis 1711,fol.95. 56 ThHStAW, Weimarer Dienersachen B26435,Bl. 81r–v. 57 DokII, Nr.104.–Das vonAlt eigenhändigzuPapier gebrachteBewerbungsschrei- benfindet sich im ThHStAW unterder Signatur B3457 (Gesuch PhilippSamuel Alts um dieledige StelleeinesHoforganisten zu Weimar 1721). –AltsAngaben zu seiner Tätigkeitals Organist derJenaerKollegienkirche lassen erkennen,daß die Verhandlungenumdie Besetzung derStellemit Johann Nikolaus Bach noch ver- worrener gewesenseinmüssen, alsesdie starkausgedünntenJenaerAkten erken- nenlassen; vgl. BJ 2004,S.162–165 (M.Maul) undBJ2014, S. 196f.(H.-J.Schulze), wo Alts Name zu ergänzen ist. Anknüpfend an diebisherige Diskussionwärezu spekulieren, ob Altvon demoffenbarseit1708inJenalebenden emeritierten Wei- marerHoforganisten Johann Effler(†1711) protegiert wurdeund möglicherweise alsdessenSchüler anzusehenist. 120 Peter Wollny tion,sobey dergleichem Diensteebenergestaltnicht wohl zu entbehrenist,mit begriffenund erlernet“zuhaben.58 AltverstarbEndeJuni1765(begraben am 27.Juni1765) im Altervon 76 Jahren. DieIdentifizierungvon Philipp Samuel Altals Schreibervon Mus. ms.30194, Fasz.24vermagdie Autorschaft desChoralvorspiels BWV762 zwar nicht abschließend zu klären,immerhinaberwirdanhandder stemmatischsehr engvoneinander abhängigen Abschriften Alts undWalthersdeutlich,daß dieKomposition in Weimar anonym kursierte.DaAlt 1748 seineBeherr- schung desKompositionshandwerks eigens erwähnt, wäre künftigaucher alsAutor desanmutigen kleinenWerks in Betrachtzuziehen. Dieeinzige expliziteZuschreibung„di J. S. Bach“findet sich aufeiner vonunbekannter Hand angefertigtenleicht abweichenden Fassung(heuteTeildes Konvoluts D-LEb, Ms.7)und wurde offenbar erst nachträglich vonMempell ergänzt.59 Es istdurchaus denkbar, daßdieser Schreiber–inder Literatur wird er häufig als„KopistMempells“ bezeichnet–aufeigeneInitiativearbeitete;sollte seineAbschrift erst durchKaufanMempell gelangtsein, wäre dieZuschrei- bung an Bach mitnochgrößererVorsicht zu betrachten.

IV.

Wenn wirdie erhaltenen Resteder Tastenmusiksammlungendes Weimarer Hoforganisten Bach undseinerKollegensystematischzusammentragen, so lassen sich zahlreiche Anhaltspunkte fürein engesZusammenwirkenerken- nen. Eine Gesamtschaualler Verbindungslinienwärewünschenswert,würde denRahmendieserStudiejedochsprengen. Hier seidaher nurein einzelner Aspekt herausgegriffen undnäher beleuchtet. Dieheute in demkleinformatigen Konvolut P801 vereinigtenEinzelhand- schriftenvon derHandJohann GottfriedWalthersbelegen für dieZeitum 1712 einenstarken ZuwachsanWerken französischerMeister.Unvermittelt findensich hier Cembalo-Suiten vonJean-Henri d’Anglebert, CharlesFrançois Dieupart,Gaspard Le Roux,Louis Marchand undNicolas AntoineLeBègue sowieOrgelkompositionenvon Guillaume GabrielNivers.60 Etwa um die-

58 StadtarchivWeimar, HA ILoc.27Nr. 61,fol.95bis. 59 ZurQuellenlage sieheNBA IV/10Krit. Bericht(R. Emans,2008),S.246f. 60 SieheH.Zietz, QuellenkritischeUntersuchungenanden Bach­Handschriften P801,P802und P803 ausdem „Krebs’schen Nachlass“unter besonderer Be­ rücksichtigung derChoralbearbeitungendes jungen J. S. Bach,Hamburg 1969 (Hamburger Beiträge zurMusikwissenschaft.1.),S.48–60und 209–211;K.Beiß- wenger, ZurChronologie derNotenhandschriften JohannGottfried Walthers,in: Acht kleine Präludienund StudienüberBACH. Georg vonDadelsenzum 70.Ge- burtstag am 17.November1988,hrsg. vomKollegium desJohann-Sebastian-Bach- Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 121 selbeZeitfertigteJohann Caspar Vogler seinebereits erwähnte vollständige Abschrift derbeiden Livres d’Orgue vonJacques Boyvin an,die nach Über- legungenvon Victoria Horn aufeineVorlage ausBachs Besitz zurückgehen dürfte.61 DiegenanntenQuellen bilden denhistorischenKontext fürden von Bach in mehreren Arbeitsphasen(um 1709–1712, um 1713 undum1714–1716) zusammengestellten Sammelband D-F, Mus. Hs.1538 mitvollständigen Ab- schriften des Premier livred’orgue (1700) vonNicolas de Grigny undder SixSuittes De Clavecin (ca. 1701)von CharlesFrançoisDieupart sowieder Verzierungstabelle ausden Pièces de clavecin (1689) vonJean-Henri d’Angle- bert.62 DerBestand an Weimarer Quellenmit französischerTastenmusik läßt sich noch erweitern, wenn wirdie Arbeiten einesanonymen,offenbarimWeimarer Umfeld beheimateten Kopisten einbeziehen, derindem Berliner Konvolut P281 miteiner frühen Abschriftder Toccataind-MollBWV 913vertreten ist. Vonder Hand dieses Schreibers stammt auchdie Kopieeiner möglicher- weiseauf Waltherzurückgehenden Orgelbearbeitung vonTelemannsViolin- konzertinB-Dur (TWV 51:B2) undeines Satzes ausdessenOuverture in E-Dur(TWV55: E2,Satz4), dieindem ausJohann PeterKellnersBesitz stammenden Konvolut P804 überliefertist,63 sowieeinevon mirjüngstin Dresden aufgefundene vollständige Abschriftvon Jean-Henri d’Angleberts Pièces de clavessin von1689(D-Dl, Mus. 2004­T­1). AlsWasserzeichen läßt sich in P804 und Mus. 2004­T­1 dieschlankeFormdes ArnstädterAerken- nen(ähnlich Weiß 113, 115und 116),die eine Datierung aufdie Zeit um 1710–1715nahelegt.64

InstitutsGöttingen, Wiesbaden 1992,S.11–39,speziellS.21f., datiertdie vonihr einem„SchriftstadiumIII“zugeordnetenAbschriften aufdie Zeit um 1714–1717. 61 V. Horn, French Influence in Bach’sOrgan Works,in: J. S. Bach as Organist.His Instruments, Music, andPerformance Practices, hrsg.von G. Stauffer undE.May, Bloomington/IN 1986,S.256–273,speziellS.259. 62 ErsteUntersuchungendieser Handschriftfinden sich beiR.S.Hill, TheMöller Manuscriptand theAndreas BachBook: TwoKeyboard Anthologies from the Circle of theYoung Johann SebastianBach,Diss. HarvardUniversity1987,S.142 bis145,und Beißwenger, S. 190–202. 63 Vgl. NBAV/9.1 Krit.Bericht (P.Wollny, 1999), S. 72–74. Editiondes Violinkon- zertsin: Keyboard Transcriptionsfromthe BachCircle,hrsg. vonR.Stinson,Ma- dison/WI1992(Recent Researches in theMusic of theBaroque Era. 69.),Nr. 7. 64 DieAbschrift in P281 weistkeinWasserzeichen auf. –Solltesich dieseDatierung erhärten, so wäre damitnicht nurein Anhaltspunktfür dieEntstehungvon Tele- mannsOuvertüreTWV 55:E2gefunden(Eisenacher Zeit?),sondernauchder früheste Nachweis für dieindiesemWerkwohlerstmalseingesetzte d’amore. SieheBJ2014, S. 45–60(C. Ahrens). 122 Peter Wollny Dervon Bach geschriebeneSammelbandD-F, Mus. Hs.1538 diente nach Ermittlungen vonHans-JoachimSchulze alsdirekte Vorlagefür eine Ab- schriftvon Grignys Premier Livred’Orgue (D-B, Mus. ms.8550)von der Hand Walthers.65 Auffälligist dessen selektives Interesseanden hier versam- melten Werken:Während er dieSammlungvon Grigny erst ab demvierten Stückkopierte,wählteeraus dennachfolgenden Suiten Dieupartslediglich dieerste aus,die er in einseparatesHeft(heute P801,Fasz. 17)eintrug.Ähn- lich selektiv verfuhrermit den Pièces desClavessin vonNicolas-Antoine Le Bègue(Paris1677; zweite Ausgabeunter demTitel LivredeClavessin, Amsterdam 1697). Um Walthers Vorgehen richtigbewerten zu können,werfenwir einenBlick aufeineoffenbarverwandteQuelle: DieMöllerscheHandschrift (D-B, Mus. ms.40644)enthält auffol.82v–96v,geschrieben vonBachs ältestem Bruder Johann Christoph, dievollständigeSammlungder fünf Suiten Le Bègues ein- schließlich der„Demonstration desMarques“, allerdings in derFolge 2, 1, 3–5 undohnedie freienPréludes(dienacheinem Hinweis vonHans-Joachim Schulzeaberbereits in derAmsterdamer Ausgabefehlen66). Waltherkopierte in Faszikel 30 von P801 lediglichdie zweite Suiteohnedas Prélude. An- gesichts dergeringenVerbreitung derWerke Le Bègues darf es alssehrwahr- scheinlich gelten,daß J. C. Bach undWalther dieselbeVorlage benutzten67 – vielleicht eine Abschrift im Besitz J. S. Bachs, dieder eine vollständig, der andere nurinAuszügenkopierte. An entlegener Stelle findetsich einweitererkennenswerter Belegfür Bachs Vertrautheit mitder französischenTastenmusik.Ein 1808 gedrucktes Ver- kaufsangebotdes Nürnberger HistorikersChristophGottliebvon Murr enthält aufBl. 2rfolgenden Eintrag:

65 Vermerkauf einemder Handschrift beiliegenden Zettel vom4.5.1970. Beißwenger, S. 198–200, bezweifelt eine direkteAbhängigkeit, doch bedürfenihreArgumente einererneutenPrüfung.Siehe auchdie Faksimile-Ausgabe Nicolas de Grigny. Premier Livred’Orgue –Edition originale 1699,Copie manuscrite de J. S. Bach, Copiemanuscrite de J. G. Walther,hrsg. vonP.Hardouin, P. Lescat, J. Saint-Arro- manund J. C. Tosi,Courlay 2001,sowie dieAusgabe vonN.Gorenstein(Editions du Triton), Fleurier 1994. 66 Siehe SchulzeBach-Überlieferung, S. 43. 67 DiebeidenAbschriften unterscheidensichzwarhinsichtlichder Verzierungen; es istjedochauffällig, daßbeide QuellenaneinigenStellen gemeinsame Sonderles- artenaufweisen.Siehe hierzu dieeingehendeDiskussionbei Hill (wie Fußnote62), S. 147–149. Hill weistdaraufhin,daß Johann Christoph BachsAbschrift ungeachtet derfehlenden Préludes eher vonder Pariser Originalausgabe(1677)als vondem Amsterdamer Nachdruck(1697)abhängigist. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 123

Autographum. Livred’Orgue.Composé parAndré Raison. Copiedelamainde J. S. Bach. SumexAerario Musico JoannisSebastianiBachii. Vinariae. 1709.Folior. 81.intrav. à30fl.68

Anscheinend gabesalso eine vollständige Bachsche Abschrift vonRaisons 1688 in Pariserschienenem Livred’Orgue.Der lateinische Vermerksamt Jahreszahl gibt offenbar eine Notizauf derTitelseitewieder. Es handelte sich somitumeineSchwesterquelleder in zeitlicher Nähe entstandenen Grigny- Abschrift,überderen VerbleibleidernichtsinErfahrung zu bringenist.Da Bach dasOstinato-ThemaseinerPassacagliainc-MollBWV 582anscheinend nach demChriste („Trio en passacaille“)von Raisons „Messe du Deuzième Ton“ entwarf,69 ergebensichaus diesem Nachweis wertvolleAnhaltspunkte füreinemöglicheDatierung desWerks. Ergänzen wirdiese Belege noch um dieErwähnung einersoherausragen- den, in DeutschlandaberkaumbekanntenPersönlichkeitwie denPariser Organisten Pierre du Mage in Johann AbrahamBirnbaums Verteidigungs- schrift,70 so lassen sich dieUmrisse desinWeimarverfügbaren Repertoires französischerTastenmusik desspäten17. undfrühen18. Jahrhunderts recht detailliertnachzeichnen. DiefolgendeAufstellung versucht,einen knappenÜberblick über dasab etwa 1710 in Weimar verfügbare französische Tastenmusikrepertoirezuge- ben. Sieberücksichtigt auchdie beiden in OhrdrufentstandenenSammelbände ausdem Besitz vonJohann ChristophBach(Möllersche Handschrift und Andreas-Bach-Buch),da–nach einhelligerAuffassungder einschlägigen For- schungsliteratur –die hier vertretenenfranzösischen Werkevermutlich aufdie VermittlungJ.S.Bachs zurückgehen:

68 Staatsbibliothek Bamberg, J. H. Msc.hist. 140,fol.266r–267v.–Einen weiteren datiertenBesitzvermerktrugBachs Abschriftvon Girolamo Frescobaldis Fiori musicali („J. S. Bach 1714“).NachMitteilungvon Christoph Wolffbewahrte die Bibliothek derAkademie für Kirchen-und Schulmusik Berlin biszum Zweiten WeltkriegeineAbschrift vonRaisons Livred’Orgue vonder Hand Walthers;siehe C. Wolff, From Berlin to Łódź:The Spitta Collection Resurfaces,in: Notes46 (1989/90),S.311–327,speziellS.327. 69 AndréRaison. Premier Livred’Orgue,hrsg. vonA.Guilmantund A. Pirro, Paris 1899 (Archivesdes Maitresdel’Orgue.2.),S.10und 37.Siehe auchNBA IV/7 Krit. Bericht(D. Kilian,1988), S. 127, undBeißwenger, S. 46 und369. 70 SieheDok II,Nr. 409(S. 304),und Beißwenger, S. 351. DieNennung desNamens Du Mage dürfte –woraufChristoph Wolffhingewiesen hat –direktauf Bach zu- rückgehen. SieheC.Wolff, „Die sonderbarenVollkommenheitendes Herrn Hof­ compositeurs“. Versuchüberdie Eigenartder Bachschen Musik,in: Bachiana et alia musicologica. FestschriftAlfredDürrzum 65.Geburtstag, hrsg.von W. Rehm, Kassel 1983,S.356–362,speziellS.358. 124 Peter Wollny

Quelle SchreiberDatierung Vorlage D-F, Mus.Hs. 1538 J. S. Bach um J. H. d’Anglebert, Pièces de 1709/12, clavecin,Paris 1689 (nur Verzie- 1713, rungstabelle); 1714/16 N. de Grigny, Premier livred’orgue, Reims1700; C. F. Dieupart, SixSuittes De Clavecin,Amsterdam o. J. [um1701] verschollenJ.S.Bach„1709“A.Raison, Livred’Orgue,Paris 1688 verschollenJ.S.Bach? ?P.duMage, Livred’Orgue,Paris 1708 (oderverschollenefrühere Auflage?) P801,Fasz. 13 J. G. Waltherum1712? J.-F.Dandrieu,Suite g-Moll (Vorlage unbekannt) P801,Fasz. 14 J. G. Waltherum1712? J. H. d’Anglebert, Pièces de clavecin,Paris 1689 (nur Suite1) P801,Fasz. 16 J. G. Waltherum1712? G. G. Nivers, Livred’orgue,Paris 1665 (nur Préludeund Fuguedu 4. Ton) P801,Fasz. 16 J. G. Waltherum1712? C. F. Dieupart, SixSuittes De Clavecin,Amsterdam o. J. [um 1701](nurSuite 1) P801,Fasz. 26 J. G. Waltherum1712? G. le Roux, Piècesdeclavessin, Paris170571 P801,Fasz. 27 J. G. Walthernach1714L.Marchand, Pièces de clavecin, Livre2,Paris1714 P801,Fasz. 30 J. G. Waltherum1712? N.-A.leBègue, Pièces desClaves­ sin,Paris1677, 2. Ausgabe: Amsterdam1697(nurSuite 2, ohne Prélude) P801,Fasz. 31 J. G. Waltherum1712? G. le Roux, Piècesdeclavessin, Paris1705(nurSuiten1und 3, ohne Préludes,sowie GigueG-Dur) Mus.ms. 8550 J. G. Walthernach1717? N. de Grigny, Premier livred’orgue, Reims1700(nurAuszüge)

71 In P801 istder Autorirrtümlich als„Clerambouloux“ (Titelseite, S. 423) bzw. „Clerambault“(Kopftitel, S. 424) angegeben; vgl. Zietz(wieFußnote60),S.55. Die Identifizierungdes WerksgelangJean-ClaudeZehnder;siehe BJ 1988,S.87. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 125

Mus.ms. 2329 J. C. Vogler um J. Boyvin, Livres d’Orgue,livres1 1710–1715 und2,Paris1689 Mus.ms. 40644 J. C. Bach um C. F. Dieupart, SixSuittes De (Möllersche 1710–1713 Clavecin,Amsterdam o. J. [um Handschrift) 1701](nurVerzierungstabelle); N.-A.leBègue, Pièces desClaves­ sin,Paris1677, 2. Ausgabe: Amsterdam 1697 (Suite 2, 1, 3–5, jeweilsohnePrélude) D-LEm, III.8.4 J. C. Bach um L. Marchand, Pièces de Clavecin, (Andreas-Bach- 1710–1713? LivrePremier,Paris1702 Buch) D-Dl, Mus. Anonymer um J. H. d’Anglebert, Pièces de 2004­T­1 Kopist 1710–1715 clavecin,Paris1689

Läßt sich fürdas Auftretendieser beeindruckenden Zahl rarerfranzösischer Tastenwerkeum1710imWeimarerUmfeldein plausiblerGrund finden? Eine naheliegende–wenngleichbislang offenbar noch vonkeinemAutor erwogene –Erklärung scheintmir in derKavalierstour zu liegen,die derjunge Prinz ErnstAugustvon Sachsen-Weimar in derZeitzwischenAnfangAugust1706 undEndeDezember1707inBegleitung seines HofmeistersFriedrich Gott- hilf Marschall(genanntGreif)unternahm unddie ihn zunächstnachHom- burg an denHof vonLandgrafFriedrich II.führte, demVater seiner Stief- mutterCharlotte Dorothea Sophie geb. Prinzessinvon Hessen-Homburg.72 Hier schloß sich ihmder jüngsteBruderseinerStiefmutter, Prinz Casimir Wilhelmvon Hessen-Homburg, an.Die kleine Reisegesellschaftbegab sich sodann über dasRheinlandindie SpanischenNiederlande.Die letztendrei Monatedes Jahres 1706 verbrachte ErnstAugustinBrüssel; Anfang 1707 ging es weiter nach ,wosichzudieserZeitder exilierte bayrischeKurfürst MaxEmanuel mitseinemHof aufhielt,und Ende Januar 1707 traf Ernst August in Parisein.Bedingtdurch diepolitischenVerwerfungendes seit 1701 tobenden SpanischenErbfolgekriegswar es füreinen jungendeutschen Fürsten in diesen Jahren offenbar nichtleicht,einepersönlicheAudienz bei LudwigXIV.zuerlangen. Dies glücktenachlangerWartezeit schließlichauf Vermittlungder ausDeutschland stammenden Herzogin ElisabethCharlotte vonOrléans (Lieselottevon derPfalz), derSchwägerindes Sonnenkönigs. In

72 Diefolgenden AngabennachG.A. de Wette, Kurzgefaßte LebensGeschichte der Herzoge zu Sachsen,welchevom ChurfürstJohannFriedrich an,bis aufden Herzog Ernst August Constantin,zuWeimarregieret haben,Weimar1770, S. 482f., undC.von Beaulieu-Marconnay, Ernst August,Herzogvon Sachsen­Weimar­ Eisenach(1688–1748).KulturgeschichtlicherVersuch,Leipzig 1872,S.23–28. 126 Peter Wollny derZwischenzeitscheint ErnstAugustausgiebigdas kulturelle Lebender französischenMetropole genossen zu haben. DieReise kamzueinem vorzei- tigenEnde, alsder junge Prinz im Juni 1707 vomTod seines Vaters erfuhr.73 SeineAnfangJuliangetreteneRückreise führte ihn über Brüssel, Antwerpen, Dordrecht, Rotterdam,Den Haag,Leiden, Harlem,Amsterdam undUtrecht zurück nach Weimar,woerEndeDezemberwiedereintraf. Es istanzunehmen, daßder musikinteressierte Prinz seineZeitinParis–und vielleicht auchseine Aufenthalteinanderen Städten–nutzte,umMusikalien einzukaufen. Zu seinen Mitbringselnkönnten Exemplareder oben nachge- wiesenen Drucke (oderauchAbschriften)gehörthaben,die später denWei- marerMusikernzugänglichwaren.74 DerParis-Aufenthalt vonErnst August scheintmithindem höfischen undstädtischenMusikleben Weimarseinen ähnlichstarken Impuls gegebenzuhaben wiefünfJahre später dieweitaus besser belegteBildungs- undStudienreiseseinesjüngerenHalbbruders Prinz Johann Ernst, in derenFolgedie Konzerte Vivaldis undanderer Italienernach Weimar gelangten.75 Akzeptiert mandie hier vorgetragene Hypothese, so istnichtnur dieabetwa 1710 zu beobachtendestarkePräsenzdes französischenTastenmusikreper- toires in denSammlungenvon Bach,Walther undVoglerzuverstehen,son- dern wirhättenaucheineplausibleErklärung dafür,warum es Bach möglich war, dieSuitenvon Francois Dieupart über einenlängerenZeitraumhinwegzu kopieren:76 Er konnte wohl kontinuierlich aufdie Drucke undHandschriften im Besitz ErnstAugusts zurückgreifenund daherohneZeitdruck arbeiten. Selbst dasProblem derkleinen Differenzeninden konkordanten Abschriften vonBachund Waltherwäremit derHypotheseeiner dauerhaften Verfügbar-

73 Herzog Johann Ernstvon Sachsen-Weimar waram10. Juni 1707 verstorben.Das Stammbuchvon ErnstAugust(D-WRz, Stb293)enthält Eintragungenaus Paris zwischen Anfang Maiund Ende Juni 1707;einer solchen Eintragung istzuentneh- men, daßPrinz CasimirWilhelm bereitsAnfangMai 1707 ausParisabreiste. 74 DieMusikalienkäufe müssen sich keineswegs aufWerke für Tasteninstrumentebe- schränkt haben. Vielleichtgehörte auchdie Vorlagezueiner teilweisevon Johann GottfriedWalther geschriebenen undwohlaus seinem Besitz stammenden Kopie einerMissa vonPietroAntonio Fiocco (1654–1714)dazu(D-B, Mus.ms. 30088, Fasz. 7).Der Kopftitelder Abschrift wartet mitpräzisenbiographischenInforma- tionen über denKomponisten auf: Messaâ4. Voci è5.Instrum:diPietroAntonio Fiocco Veneto.Maestro di CapellanellaChiesaDucaledella Madonna del Sablone in Bruxelles.Fioccowar erst 1703 an derBrüsseler KircheNotre Dame du Sablon zum„maitre de musique“ ernanntworden. Vielleichtwar dasWerkauch J. S. Bach zugänglich. 75 Vgl. SchulzeBach-Überlieferung, S. 156–163. 76 Vgl. Beißwenger, S. 190–195. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 127 keit gemeinsamer Vorlagen gelöst.77 Zu derhieraufscheinenden Großzügig- keit paßt auchdie Mitteilung C. P. E. Bachs, daßHerzogErnst August –neben FürstLeopold vonAnhalt-Köthen undHerzogChristian vonSachsen-Wei- ßenfels–einerjener Herrscherwar,die Bach „besondersgeliebt u. auchnach proportion beschenckt“haben.78 Bedenktman ferner,daß Bach –wie Ent- geltefür dieInstandhaltungvon Cembalibelegen –sich ab 1709 an derMusik- pflegedes nunmehrigenHerzogs undMitregenten ErnstAugustbeteiligte,79 daßeineihm Ende 1716 gewährte Besoldungszulageaus der„Fürstlich SächßischErnst August:Particulier Cammer“stammte80 unddaß er vonErnst August bereits1711und 1712 Honorare fürdie musikalische Ausbildung des PagenAdamFriedrich Wilhelmvon Jagemann empfangen hatte,81 darf die unspezifische Bemerkungdes Nekrologs–„DasWohlgefallenseinergnädigen Herrschaft an seinem Spielen, feuerte ihn an,alles möglicheinder Kunstdie Orgelzuhandhaben,zuversuchen“82 –vielleicht sogareherauf denjüngeren, seit demErreichen seiner Volljährigkeit im April1709mitregierenden Ernst August bezogenwerden alsauf denälteren Weimarer Herzog WilhelmErnst, derBachs eigentlicher Dienstherr war.

V.

BachsWeimarerSammlungvon geistlichenFiguralstückenfremder Meister gilt insgesamt alsgut erforscht.Kirsten Beißwengerhat in ihrerStudieüber Johann SebastianBachs Notenbibliothek(1992)den damaligenKenntnisstand zusammengefaßt undumneueBeobachtungenergänzt;seither sind einige Entdeckungenhinzugekommen.Auf weitereFunde bleibt zu hoffen.Wie im folgenden gezeigt werden soll,bietenjedochauchdie bereitsbekanntenQuel- lennochzahlreicheAnsätze fürweiterführendeUntersuchungen, dieunser Bild vonden beruflichen Kontaktendes Weimarer Hoforganisten undKon- zertmeisters Bach um wesentlicheDetails zu bereichern versprechen.

1. Messen vonGiovanni PierluigidaPalestrina UnserWissenumBachs Beschäftigungmit demSchaffenPalestrinas hat durchBarbara WiermannsEntdeckungeiner ausBachs Besitz stammenden handschriftlichen Partitur (D-B, Mus. ms.16695)mit sieben –teils voll-

77 Vgl. dieDiskussionbei Beißwenger, S. 198–200. 78 DokIII,Nr. 803(BriefanJ.N.Forkelvom 13.Januar1775). 79 DokII, Nr.49. 80 DokII, Nr.81. 81 DokII, Nr.53. 82 DokIII,Nr. 666 (S.82f.). 128 Peter Wollny ständig, teilsinAuszügenkopierten–Werken ausPalestrinas erstem Messen- buch (inder erweitertenFassung von1591) eine bemerkenswerteneueFacette erhalten.83 Denn während derseitlangembekannte Stimmensatzder sechs- stimmigenMissa sine nomine(D-B, Mus. ms.16714)–genau wieder eben- fallsvon Wiermann entdeckteunvollständige Stimmensatzder Missa Ecce sacerdos magnus (D-Bsak, SA 424)–in diespäteLeipziger Zeit (um1742bzw. um 1744)gehört, weistdie Partitur Mus. ms.16695 nach Weimar:Aufgrund desauf derenersterSeite vonJohann GottfriedWalther ergänztenKompo- nistennamens schloß Wiermann,daß dieseHandschrift bereitsinWeimar über WaltherinBachs Besitz gelangte.84 Daniel MelamedwiesimBJ2012 ergänzend darauf hin, daßdie Palestrina-Messenund andere Werkeaus BachsNotenbibliothek auch im Aufführungsverzeichnisdes Weißenfelser HofkapellmeistersJohann PhilippKrieger nachweisbarsind.85 Melamedzog in Erwägung,daß,erstens,Bach„Aufführungenvon Palestrina-Messen in Weißenfels hörte“ und–vielleichtüberden ab 1713 in Weißenfels,vordemin Weimar tätigen–Musiker Adam Immanuel Weldig Zugang zu Kriegers No- tensammlungfandund,zweitens, er sich bereitsinseinenWeimarerJahrenmit demstile antico Palestrinascher Prägungkünstlerischauseinandersetzte.Die geringe Entfernung zwischen denbeidenResidenzenWeimarund Weißenfels verleiht diesen Überlegungenzur Provenienz zusätzlichePlausibilität. DieZahlder möglichen Verbindungensteigtallerdings,wennwir daneben noch dasRudolstädter Inventar mitdem Nachlaßvon PhilippHeinrich Er- lebachaus demJahr1714konsultieren. Dort findetsich unterder Nummer 390 folgendeEintragung: „Missæcum Quattuor, Quinque ac Sexvocibus, Liber Primus, AuctoreJo. PetroAloysio“. 86 BerndBaseltbezog dieseAngabeauf einennichtweiterbekanntenKomponisten namens Johann Petrus Aloysius;

83 B. Wiermann, Bachund Palestrina:NeueQuellen ausJohannSebastian Bachs Notenbibliothek,BJ2002, S. 9–28. Zu Bachspraktischer VerwendungdiesesMate- rialssiehe D. R. Melamed, Bachund Palestrina –Einige praktische Probleme I, BJ 2003,S.221–224,und B. Wiermann, Bachund Palestrina –Einige praktische Probleme II,BJ2003, S. 225–227. 84 Ebenda, S. 17. 85 Vgl. D. R. Melamed, Johann SebastianBach, Johann Gottfried Walther und die Musik vonGiovanniPierluigidaPalestrina,BJ2012, S. 73–93, sowiedas Vorwort zu meinen Ausgaben derbeidenMessenvon Gioseppe Peranda(MarcoGioseppe Peranda.Missaina­Moll, nach einem Stimmensatz ausdem Besitz J. S. Bachs, Stuttgart2000;und MarcoGioseppePeranda.Kyrie in C­Dur,nacheinem Stim­ mensatzaus demBesitzJ.S.Bachs,Stuttgart 2001). 86 B. Baselt, DieMusikaliensammlung derSchwarzburg­Rudolstädtischen Hofkapelle unter PhilippHeinrich Erlebach(1657–1714),in: Traditionenund Aufgaben der HallischenMusikwissenschaft,Halle 1963 (Wissenschaftliche Zeitschrift der Mar- tin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg, Sonderband), S. 105–134, speziell S. 116. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 129 einVergleich mitdem Titelder erweitertenrömischen Ausgabevon Pale- strinaserstemMessenbuchaus demJahre 1591 zeigtallerdings eindeutig, was hier eigentlich gemeintist:„Missarum cumquattuor,quinque ac sexvoci­ busLiber primusauctoreIo. PetroAloysio Praenestino. […] Romae, apud Alexandrum Gardanum […] 1591.“ EinTeildes Originaltitels findetsichauch im Kolophon derAbschrift ausBachs Notenbibliothek: „Jo.PetrusAloysius Prænestinus | Romæ apud Alexandrum | Gardanum.1591“. Es istnicht be- kannt, ob Erlebach einExemplardes Stimmendrucksodereine–dannver- mutlich in Partiturform notierte –Abschrift besaß. Da aber dieSammlungen Erlebachs undKriegerseineerstaunlich großeZahlvon Konkordanzen auf- weisen,erscheint denkbar, daßzwischenden Palestrina-QuelleninRudolstadt, Weißenfels undWeimarZusammenhänge bestehen,die sich unseremZugriff entziehen. Fragen wirnachder Entstehungszeitund Chronologieder Besitzerfolgevon Mus. ms.16695,solassensichfolgendeBeobachtungenanführen: Walther ergänzte nicht nurden Komponistennamen,sondernsah zudemauchdie Abschriftder ersten Messe(MissaEccesacerdos magnus)genau durch. Auf Bl.1vergänzte er im zweitenTaktdie Textsilbe„[ju-]stus“,und aufBl. 3r fügteerzuBeginndes Gloria(„Etinterra“) dieStimmenbezeichnung„Alto“ ein. Möglicherweise gehenaucheinigeErgänzungender Textunterlegungauf ihnzurück; diesewären,dem ungefestigtenSchriftcharakternachzuurteilen, sehr früh anzusetzen,vielleichtnochvor Walthers DienstantrittinWeimar im Sommer 1707.87 BachsBeschäftigungmit derPalestrina-Partitur ließ sich bisher nurfür die Zeit nach 1740 belegen, alserdie erwähntenStimmensätzeanfertigte.88 Tat- sächlich aber istdie Partitur –was bisher übersehenwurde –übersät mit eigenhändigenEintragungenaus seiner Weimarer Zeit.Bachs zierlicheBuch- stabenschrift derWeimarerJahre findetsich in weiten Teilen derTextunter- legung in denAbschnittenKyrie undGloriasowohlder Missa Ecce sacerdos magnus alsauchder Missa sine nomine(sieheAbb.6). DerDuktusdieserEin- tragungenentsprichtgenau demder TextunterlegunginseinenAbschriften der Messen vonJohann Baal,GioseppePeranda undJohann ChristophPez.Bachs Ergänzungenerwiesensichals notwendig,dader anonymeSchreiber der Partitur,wie besondersdeutlichimKyrie der–von Bach nichtrevidierten – MissaOregem coelizuerkennenist,den Gesangstextnur äußerstsparsam unterlegte.Bachscheint darüberhinaus derUrhebermehrererNotenkorrektu- renund sämtlicher nachträglich eingefügter Akzidenzienzusein. Eine derart intensiveAuseinandersetzungmit denWerken Palestrinaswärekaummit dem

87 GemeintsindspeziellPassagenimCredo derMissa Ecce sacerdosmagnus; ver- glichen wurde Walthers Weimarer Bewerbungsschreibenvom 4. Juli 1707. 88 BJ 2002,S.16(B. Wiermann). 130 Peter Wollny bloßenStudium derSatztechnikzuerklären; vielmehr stehthiervermutlich dieVorbereitungvon Aufführungeninden Gottesdiensten derHimmelsburg im Hintergrund. BachsBeschäftigungmit denMessenPalestrinas läßt sich also folgenderma- ßenzusammenfassen:

1. wohl vor1714: Erwerbungder Partitur ausdem Besitz Walthers 2. um 1714–1717: Aufführung(en) derMissa Ecce sacerdos magnus undder Missa sine nomine, nachfolgend Verlustdes Aufführungsmaterials 3. um 1742:Anfertigung eines neuenStimmensatzes zurMissa sine nominemit colla partegeführten Bläsern(Aufführung in Kammertone-Moll, Chortond-Moll) 4. um 1744:Anfertigung eines neuenStimmensatzeszur Missa Ecce sacerdosmagnus mitcolla partegeführten Oboen; Stimmensatzunvollständig,vermutlich keine Aufführung

2. Eine Motettevon SebastianKnüpfer Daniel Melamedentdeckte 1989 im Zuge seiner ForschungenzuBachs Be- schäftigungmit derGattung Motetteeinen vonBachum1746/47 geschrie- benenStimmensatz(D-B, Mus. ms.11788)zuSebastian KnüpfersBegräbnis- motette „Erforsche mich,Gott, underfahre mein Herz“und eine zugehörige, mitEintragungenvon BachsHandversehene Partiturabschrift (D-B, Mus. ms.autogr. Knüpfer 1)aus demspäten 17.Jahrhundert.89 DieTitelseiteder Partitur wurde –mit Ausnahme derAutorenzuweisung–vomHauptschreiber desAlt-BachischenArchivs beschriftet,den ich1998als denArnstädter StadtkantorErnst Dietrich Heindorff (1651–1724)identifizieren konnte.90 Un- sere Aufmerksamkeit gilt zunächstder aufder Titelseite nachträglich ergänz- tenAngabe„di Seb: Knüpfer“. ArnoldScheringhatte sieeinst für eine Ein- tragungJ.S.Bachs gehalten,dochwiesMelamed dieseZuweisung alsirrig zurück91;sie wurde seitherinder Forschungsliteratur nicht wieder diskutiert. In derTat weisen dieSchriftzüge keinenennenswerten Ähnlichkeitenmit deminden Stimmenvertretenen Duktus vonBachs Spätschrift auf. Vergleicht manindes dieimTitelzusatzenthaltenen Buchstabenformen mitfrühen Schriftzeugnissen, so lassen sich bemerkenswerteÜbereinstimmungen fest- stellen: Fürdas etwasschrägliegendegroße Sund daselegant geschwungene großeKsowie auchdas miteinem kleinenwaagerechtenStrich endendekleine rfinden sich mehrereBelegeinBachs Weimarer Autographen (siehe Abb. 7a

89 SieheD.R.Melamed, Eine Motette SebastianKnüpfersaus J. S. Bachs Notenbib­ liothek,BJ1989, S. 191–196. 90 SieheP.Wollny, Alte Bach­Funde,BJ1998, S. 137–148, speziell S. 138und S. 140f. 91 SieheA.Schering, VorwortzuSebastian Knüpfer,JohannSchelle, Johann Kuhnau. AusgewählteKirchenkantaten,Leipzig 1918 (DDT 58/59),S.XVIII undXX; sowie BJ 1989,S.192,Fußnote8(D. R. Melamed). Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 131 +b). Auch einVergleich mitden ArnstädterBesoldungsquittungenund ande- renfrühenDokumente liefertpositiveResultate.Ich halteesdaher fürge- sichert, daßBachdie Partitur derKnüpfer-Motettebereits in jungenJahrenvon Heindorff erworben hat. Es liegtnahe, dieseErwerbungauf die Jahre1703bis 1707 anzusetzen,als Bach undHeindorff in ArnstadtKollegenwaren,aller- dingssindvielleichtauchdie frühen Weimarer Jahrenicht ganz auszuschlie- ßen.92 BachsKorrekturen vonSpartierungsfehlern undErgänzungender TextunterlegunginderPartitur sind wegenihrer Kürzeund Gedrängtheit zwar nurschwerzudatieren, doch kann alssicher gelten,daß sienicht in seine „Spätzeit“einzuordnen sind.VielmehrsindzahlreicheParallelenzuden autographen Kantatenpartituren derWeimarerZeit, zu denKopftitelndes Orgelbüchleins undzuden beiden BriefenanAugustBeckerinHalle (14. Ja- nuar und19. März 1714)zuerkennen. Somit ist–ähnlich wiebei denPale- strina-Messen –neben derbereits bekanntenLeipziger Aufführung um 1746/ 47 auchvon einerDarbietung desWerks in denmittleren Weimarer Jahren auszugehen, wobeiauchindiesemFalldie Weimarer StimmeninBachs Leip- zigerZeitoffenbarnicht mehr vorhandenwaren.

3. WeitereverscholleneWeimarerQuellen Fragen wiranknüpfend an diebeidenhierdiskutiertenFälle,obweitere Quellenaus BachsLeipziger NotenbibliothekihreWurzeln in derWeimarer Zeit haben könnten, so kommen folgendeKompositionen in Betracht: –Das erst vorkurzemvon ArneThielemann identifizierte in C- Dur(BWVAnh.30) desbayrischenHofkapellmeisters Pietro Torri(ca.1650 bis1737) istineiner vonBachgeschriebenen Partitur undeiner ebenfalls autographen Tamburi-Stimme ausder Zeit um 1742 überliefert(beideQuel- len: P195).93 DieErmittlungvon zwei Konkordanzen zeigte,daß Bach das Werk –vielleicht nach einemStimmensatz–spartierteund in seiner Partitur zunächstzweiSysteme freiließ,indie er dann in seiner charakteristischen Konzeptschrift dieimOriginalnicht enthaltenenPartien für diedritteTrom- pete unddie Pauken nachtrug.Thielemann wunderte sich,warum Bach um 1742 das„bereitsdeutlichveraltete Werk“ Torris noch für eine Aufführung einrichtete.Ich halteesaufgrundder folgenden Überlegungenfür sehr wahr-

92 DieseErkenntnishat möglicherweiseAuswirkungenauf unser Bild vonder Über- lieferungdes Alt-Bachischen Archivs. Ichhatte 1998 aufder Basisder wenigen seinerzeit greifbaren Photographienangenommen, daßBacherstEndeder 1730er Jahreinden Besitz derQuellen gekommen ist. Dieseit2001wiedergreifbaren Originalquellenbedürfenallerdingseiner erneuten kritischen Durchsicht,die ich in einerseparaten Studie vorzulegen gedenke. 93 A. Thielemann, ZurIdentifizierungdes Magnificats BWVAnh.30aus Johann SebastianBachs Notenbibliothek,BJ2012, S. 217–223. 132 Peter Wollny scheinlich,daß dasStück eine in dieWeimarerZeitzurückreichendeVor- geschichte hat:Torri hieltsich zwischen1704und 1715 gemeinsammit dem nach derSchlachtbei HochstädtexiliertenKurfürstenMax Emanuel in Brüs- selund Mons auf.94 Hier dürfte er 1707 mitPrinz ErnstAugustvon Sachsen- Weimar zusammengetroffensein. AufdiesemWegekönnte–ähnlich wiewir es bereitsfür dieMissa vonFiocco vermutet haben–eine Abschriftdes Mag- nificat nach Weimar gelangtsein. Daßdas Werk spätestens 1714 in Thüringen kursierte,belegtauchdas erwähnte Rudolstädter Inventar.Dortfindet sich unterder Nummer 420der folgende unmißverständlicheEintrag:„Magnificat à15ô20, 8Vociconcertatocon diversistrom.diTorri,benebst d. Part.“.95 –EineähnlicheVorgeschichte vermuteich für diemonumentaleMissa in G- DurBWVAnh. 167, die–ehemals alsein Hauptwerk desThomaskantors angesehen–inder Bach-Rezeptiondes frühen 19.Jahrhundertseinebedeu- tendeRolle spielte.96 DasWerkist mitzweivierstimmigenVokalgruppen, zwei fünfstimmigenInstrumentalensemblesund einemRipienchor überausfest- lich besetzt. Derstilistische Befund deutet aufdas letzte Vierteldes 17.Jahr- hunderts;als KomponistkommenMeister wieChristoph Bernhard (1628bis 1692), Johann Philipp Krieger(1649–1725) undDavid Pohle(1624–1695) in Betracht. Bach hatdas Kyrieund denBeginndes Gloriazwischen1732und 1735 vondem KopistenAnonymus 20 abschreibenlassenund diePartitur um 1738/39eigenhändig vervollständigt(P659). EinKopierfehler in derConti- nuo-Partie aufBl. 4v zeigt, daßAnonymus 20 dasWerk nach einemStimmen- satzspartierteund dabeiim„Christeeleison“ zunächst15Takte(=eineZeile?) übersprungenhatte.Unsere Aufmerksamkeit wecktdie Notation dervier- stimmigenOboengruppe.ImGegensatz zu deninG-Mixolydischstehenden Sing-und Streicherstimmensinddie drei Oboenund dieTailleinB-Dur notiert. Dies deutet aufdie für Weimar typische Stimmtonpraxis,nachder Sängerund Streicher sich an demhohen Chortonder Orgelorientierten, wäh- rend dieHolzbläsereinekleineTerztieferimKammertongestimmtwaren und entsprechend transponierte Partienerhielten.Dadie Missa stilistischeindeutig ins17. Jahrhundertgehört,dürftedie Bläsergruppe ursprünglich nicht mit Oboen, sondernmit Zinken undPosaunenbesetzt gewesensein. DieUmwid- mung aufOboen wäre demnacheineBearbeitung Bachs.97 Da dasWerkin Anbetracht seiner großen Besetzung(„à 22“) sicherlich zurFeier einesbe-

94 SieheMGG2,Personenteil, Bd.16(2006), Sp.954 (N.Dubowy). 95 Baselt (wie Fußnote86),S.116. 96 Vgl. DokVI, D77–81. 97 In seiner Weimarer Aufführung derMotette „Auf Gott hoffeich“von Johann Chri- stoph Schmidt(1664–1728) ersetzte Bach dieoriginalenBläser (zweimit „Flaut: Allem.“bezeichneteTraversflöten) ebenfallsdurch Oboen. SieheBeißwenger, S. 311f.Vgl.auchdie –fastidentische –Holzbläserbesetzungder Weimarer Oster- kantate„DerHimmellacht!Die Erde jubilieret!“ BWV31(PL-Kj, St 14). Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 133 sonderen Ereignissesdiente, istesvielleichtstatthaft,nacheinem konkreten Aufführungsanlaß zu suchen.Hierbietet sich dieam6.November 1713 er- folgte Einweihungder Weimarer Jakobskirche an.98 Dieerhaltene Gottes- dienstordnungnennt an zweiterStelletatsächlich einenentsprechenden Pro- grammpunkt („Musiciretdie Hof-Capelleeinesogenannte Missam“); zudem fälltauf,daß unterden in derListe derEinweihungsprozessionnamentlich genanntenMitgliedern derHofkapelleder –seitlangemkränkliche–Kapell- meisterJohann Samuel Dresefehlt.99 Vielleichtalso –someine abweichend vonDok II vorgeschlageneDeutung –standen dieAufführungender Figural- musikandiesemTag vertretungsweise unterder LeitungBachs,was gegebe- nenfalls auchneueSpekulationen über denmöglichen Autorder in demselben GottesdienstdargebotenenzehnsätzigenFestkantate (Textbeginn: „Hilf,laß alleswohlgelingen“)erlaubenwürde.100 –Schließlich seinocherwähnt, daßdie für dasMagnificat vonPietroTorri angestellten Überlegungenmutatis mutandisauchauf dieVorlagenfür Bachs Bearbeitungdes Sanctusaus derMissa superbavon Johann Caspar Kerllund für dieMesse in g-Moll vonJohann Hugo vonWildererangewendet werden können,die Bach vor1731gemeinsam mitChristianGottlob Meißner nach einem unbekanntenStimmensatzspartierte,101 unddaß auchdie vonBach1716 abgeschriebenelateinische Solomotette „Languet animamea“imRudolstädter Inventar von1714verzeichnet ist(Nr.946:„Languetanimamea à9di Conti, benebstd.Part.“).102

98 Vgl. etwa dieBesetzungender vonJohannPhilipp Krieger1682zur Einweihung derWeißenfelserSchloßkircheaufgeführtenWerke(mitgeteilt in DDT53/54,wie Fußnote20, S. XXf.). 99 SieheDok II,Nr. 60K. 100 In diesem Zusammenhang istbemerkenswert,daß Bach auch dieGlückwunsch- musikzum 51.Geburtstagvon Herzog WilhelmErnst am 30.Oktober 1713 (die Aria „Alles mitGottund nichtsohn’ihn“BWV 1127)komponierthatte;das Werk erklangnachErmittlungenvon MichaelMaulentwederamGeburtstagselbstoder am darauffolgenden 21.Sonntag nach Trinitatis (5.November1713), also wenige Tage vorder Einweihungder Jakobskirche;siehe M. Maul, „Alles mitGottund nichts ohn’ ihn“ –Eine neuaufgefundeneAriavon Johann SebastianBach,BJ 2005,S.7–34, speziell S. 18.Vgl.auchdie vonBacham14. Januar 1714 erwähnten „VerrichtungenzuHoffe wegendes Prinzens Geburths Feste“ (Dok I, Nr.2). – Möglicherweise gehören alle dieseAktivitäten bereitsindenZusammenhangvon BachsBemühungenumdie –imMärz1714erfolgte –Ernennung zum Konzert- meister. 101 Beißwenger, S. 323. 102 Baselt (wie Fußnote86),S.124.Die Besetzungsangabe „à 9“ belegt,daß diebeiden OboengenuinerBestandteil desWerkssindund nicht erst vonBachergänzt wur- den. 134 Peter Wollny 4. Zwei Messen vonGioseppePeranda

In denZusammenhangdes bereitserwähnten kollegialenAustausches von Musikalien im Kreisder Weimarer Musikergehörtanscheinend auchdie von unbekannterHandgeschriebenePartitur zu Perandas Missa in a-Moll (D-B, Mus. ms.30098), dieBachals Vorlagefür eineneigenhändig geschrie- benenStimmensatz desKyrie diente (D-B, Mus. ms.17079/11). DiePartitur istaugenscheinlich bereitsimspäten 17.Jahrhundert angefertigtworden. Die hier vertretenenSchriftformen stimmenauffällig übereinmit Johann Samuel Dreses Eintragung in daserstvor wenigenJahrenvon MichaelMaulermittelte Stammbuchdes Weimarer StadtschreibersJohann ChristophGebhard (D-WRz, Stb456), zu demeinst auchdas später herausgelösteBlatt mitBachs Kanon BWV1073gehörte (siehe Abb. 8a+b).103 Dreses Stammbuchblatt ent- hält zwar nurwenige, dazu noch offenbar vonAlter undKrankheit geprägte Notenzeichen undauchnur wenigText, doch fälltinsbesonderedie Ähnlich- keit dersehrcharakteristischenViolinschlüsselauf.Trotz allerUnsicherheiten möchte ichdaher mitder gebotenenVorsicht denWeimarerKapellmeister Dreseals Schreiberder Peranda-Partitur vorschlagen. Ob er seineAbschrift derum1714schon fast fünfzigJahre altenKomposition direkt an Bach wei- tergab, läßt sich nicht feststellen. Immerhin zitiertWalther bereits1708eine Passageaus demWerk in seinen Praecepta,104 so daßaucherals möglicher Zwischenbesitzer in Betracht zu ziehen ist. Dervon Bach miteinem eigenhändigenTitel verseheneStimmensatz zu Perandas KyrieinC-Dur (D-B, Mus. ms.17079/10)stammtvon derHand einesKopisten(Anonymus W1/Anonymus BNB2), dernachErmittlungen vonKirsten BeißwengerauchinAbschriften vonfünfgeistlichen Kantaten Johann DavidHeinichensauftaucht,die über Waltherindie Sammlung Boke- meyergelangt sind (in: D-B, Mus. ms.30210).105 DieUnsicherheitenbezüg- lich derIdentität desSchreibers–Beißwengererwog,daß es sich um einenBe- rufskopisten oder einenSchüler BachsbeziehungsweiseWalthershandeln

103 M. Maul, Ein Weimarer Stammbuchund BachsKanon BWV1073,in: Übertönte Geschichten–Musikkultur in Weimar,hrsg. vonH.T.Seemann undT.Valk, Göt- tingen2011, S. 221–233. 104 Vgl. J. G. Walther, Praecepta derMusicalischen Composition,hrsg. vonP.Benary, Leipzig 1955,S.145.Siehe auch meineHinweiseimVorwort zu derinFußnote 82 genanntenPeranda-Ausgabe.AmRande seivermerkt, daßWalther in den Prae­ cepta auch dasvon Bach in derFuge BWV946 verarbeitete Themades vierten Satzes ausder Triosonate op.1/12von Tomaso Albinonizitiert sowieDietrich Buxtehudes kontrapunktische Choralbearbeitungüber„MitFried undFreud ich fahr dahin“ BuxWV76/1 erwähnt(siehedie Ausgabevon Benary, S. 54 und187). 105 SieheNBA IX/3,Textband, S. 3, sowieBeißwenger, S. 63–66, undKümmerling (wie Fußnote20),S.116 (Nr. 478–481). Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 135 könnte –haben bisher eine angemessene Bewertungder vonihm kopierten Quellengruppeverhindert.Diessollnun nachgeholt werden. Verschiedene Schriftstücke ausden Jahren 1679 bis1726belegen mitwün- schenswerter Eindeutigkeit, daßessichbei „Anonymus BNB2“umden lang- jährigen Weimarer StadtkantorGeorg Theodor Reineccius handelt(siehe Abb. 9a+b).106 Mitder Identifizierung vonReinecciustritt eine Persönlichkeit in unserBlickfeld,die über vier Jahrzehnte hinwegdas Musikleben derherzog- lichen ResidenzstadtWeimarentscheidend geprägthat undzwischen1708 und1717zum engerenBekanntenkreis Johann SebastianBachs gehörthaben muß.107 Über seineBiographieliegenbislang nurwenigeund verstreutpubli- zierte Datenvor; eine knappe Zusammenfassungerscheint daherangebracht. Über dieJugendzeitund musikalische Ausbildung vonG.T.Reinecciussind bislangkeine Zeugnissegreifbar. Derbei Waltherangegebene Herkunftsort Neubrandenburg wird durchzweiImmatrikulationseintragungenzwarbestä- tigt,dochläßtsich dasgenaue Geburtsdatum nicht mehr feststellen, da die Taufbücher fürden fraglichen Zeitraum fehlen.108 Reineccius selbst gab sein Alteram24. Dezember 1678 mit19Jahrenan, wodurchsichimmerhin das Geburtsjahr1659bestimmen läßt.SeinVater,Franciscus Reineccius,war Kaufmann109;überdie Mutter fehlen jegliche Angaben.110 Um 1673,also im Altervon etwa 14 Jahren,wurde Reineccius Schülerdes traditionsreichen MerseburgerDomgymnasiums undam24. Dezember 1678 wechselteeran dieLeipziger Thomasschule.Deren damaligerRektorJacob Thomasiushielt in seinem Schultagebuchfest, Reineccius habe „sichsonsten schrifftlichbey unserm HerrnCantore angegebenund umbeinestelleinunserer schulan- gehalten“. Johann Schelleexaminierte ihn daraufhin„in Musicis“und befand

106 Im einzelnenliegenmir vor(1) ein„Eißleben den8.Januar. 1684.“ datierterBrief an Graf Johann GeorgzuMansfeld; LandeshauptarchivSachsen-Anhalt Abt. Magdeburg/Wernigerode, Rep. A12aIII (Gräflich Mansfeldisches Konsistorium zu Eisleben), Nr.2853(EingelaufeneSchreiben vonKantor St.Andreas 1669–1687), fol. 131; sowie(2) einBrief an Herzog WilhelmErnst vom9.Sept.1726(„Exem- plumsineexemplo“) in D-WRz, Huld C10. 107 Reineccius warder Pate vonBachs am 23.Februar 1713 getaufterTochter Maria Sophia.Siehe DokII, Nr.56. 108 Laut freundlicher Mitteilung desKirchenbuchamtsNeubrandenburgist dasTauf- register derJohanniskirche erst ab 1761 überliefert, dasder Marienkirche zwar ab 1611,dochfehlendie Jahrgänge 1659–1663. 109 Diefolgenden biographischen Angabennach Acta Nicolaitana et Thomana. Auf­ zeichnungen vonJakobThomasius währendseinesRektorates an derNikolai­und Thomasschule zu Leipzig(1670–1684),hrsg. vonR.Sachse,Leipzig 1912,S.339 f. 110 Möglicherweisestammte dieFamilieväterlicherseitsaus Lüneburg, denn einBru- derdes Vaters –der ebenfallsdie Vornamen GeorgTheodor trug –bezeichnete sich anläßlich seiner Immatrikulationander UniversitätLeipzig im Sommer- semester 1654 als„Lunaeburgensis“. Vgl. ErlerII, S. 351. 136 Peter Wollny ihn„gartüchtig“. Allerdings bliebder junge Musikernur kurzeZeitinLeip- zig–bereits am 12.Juliwurde er vonPrinz ChristianII. vonSachsen-Merse- burg abberufen; zurBegründungheißt es:„hat eine feinehandzuschreiben, istauchinMusicis wolgeübt,darumbihn derFürst in abschreibung etlicher Musicalischensachenbrauchenwollen, undsich erbothen,etwagegen Micha- elis ihn ad Academiamnostram zu befördern“.111 Sein Universitätsstudium begann Reineccius allerdings erst im Oktober1680inJena. Am 3. August 1682 wurde er alsKantornachEisleben berufen.112 Nach Jahren voller Wid- rigkeitenwechselteerschließlich zu Ostern 1687 aufdas Stadtkantoratin Weimar.Indieser Position wirkte er,anfangs als„CollegaIV“,später als „Collega III“, biszuseinemTod am 30.November1726. DerStimmensatzvon Perandas KyrieinC-Dur istnunmehr in neuemLicht zu betrachten. DasWerkgehörte zunächstoffenbarzum Repertoire der Wei- marerStadtkirche, bevorBachesinseine Sammlung übernahm unddie Continuo-Stimmemit einemTitel versah.Oberdas festlich besetzte, doch kurze Stückjemalsinder Weimarer Schloßkapelleoderauchzueinemspäte- renZeitpunkt anderswo aufgeführt hat,ist nicht bekannt; jedenfalls findensich vonseinerHandkeinerlei Einträge,die eine Aufführung unterseinerLeitung belegenwürden. Reineccius hingegenhat dasWerkmindestenszweimal in jeweilsleichtabweichender GestaltzuGehör gebracht.Zur ersten Fassung gehören diefünfSingstimmen sowiedie Partienfür diebeidenTrompeten,die vier hohen Streicherund denbeziffertenContinuo. DasPapierzur Nieder- schriftdieserBlätter stammt ausder PapiermühleOberweimarund weist einenWasserzeichentypauf (Weiß37),der ab 1703 belegt ist. In dieser ersten Fassungwar noch kein separatesBaßinstrument für dieStreichergruppe vor- gesehenund das„Christeeleison“ bestandaus einerlediglich vonder Orgel begleitetenChorfuge ohne Mitwirkung vonweiterenInstrumenten. Füreine spätereAufführung ergänzte Reineccius einenViolone,dessenPartieaus Vokalbaß undContinuoabgeleitetist undder nurdorteingesetzt wird,wo auchdie übrigenStreicher spielen. Zu diesem Zeitpunktentschied er auch, im „Christe“ dieStreicher collaparte mitden Singstimmenzuführen, trug dieentsprechenden Partienindie Streicherstimmen einund kanzellierte die zugehörigen Tacet-Vermerke.Einen Fingerzeig aufden ZeitpunktdieserBe- setzungserweiterunggibtdas Wasserzeichender nachträglich angefertigten Violone-Stimme(Weiß 114),das identischist mitdem in BachsAbschrift einesKonzertsfür zwei Violinen vonGeorg PhilippTelemann,die mitguten Gründenauf um 1709 datiertwird.113

111 Sachse (wie Fußnote109), S. 359. 112 SieheF.Ellendt, Geschichte desKöniglichen Gymnasiums zu Eisleben,Eisleben 1847,S.55und 125. 113 SieheH.-J. Schulze, Telemann–Pisendel –Bach. Zu einem unbekannten Bach­ Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 137 Es istzuvermuten,daß Reineccius alsMusikdirektor derWeimarerStadt- kirche eine beachtlicheMusikbibliothek besaß, derenVerbleibweiternach- zuspüren wäre.Abgesehen voneinigen verstreutenHinweisen aufeigene Kompositionen114 fälltder Blick aufdie bereitserwähnten Abschriftenvon fünf Kirchenkantaten Johann DavidHeinichens(D-B, Mus. ms.30210)und einanonymes Werk (D-B, Mus. ms.30300,Fasz. 6; Kompositionvon Lieb- hold?).Dadie Heinichen-Kantaten um 1733 über J. G. WaltheranHeinrich Bokemeyergelangten,wärezufragen, ob Waltherden Nachlaßseinesver- storbenenKollegenReinecciusübernahmund ihn nach undnachzuveräußern suchte–vielleichtimAuftrag vondessenErben.Als indirekteBestätigung dieser Vermutungist möglicherweise eine Passageaus einemBrief Walthers an Bokemeyer vom19. Juli 1730 zu werten.115 Wie demSchreiben zu entneh- menist,übersandteWalther seinem Briefpartner drei Kirchenstücke eigener Komposition, vondenen zwei –eineFestmusik zurZweihundertjahrfeierder Reformation (1717) undeineAdventskantate–vonReinecciuskopiert waren. Walthergibtzudem an,daß ihmdiese Stücke erst kurzzuvor wieder „unter dieHände gekommen“seien (wie es scheint, anläßlich einerDurchsicht von Reineccius’Notensammlung)und daßReinecciusineinem derSätze beim Kopieren dieursprünglichverwendeteAlla-breve-Notationeigenmächtigauf halbeWerte reduzierthabe. Akzeptiert mandiese Hypothese, so wärenvermutungsweisenochweitere hier unddainWalthersBriefen an BokemeyererwähnteMusikalienbestände auf denNachlaß desStadtkantorszurückzuverfolgen.MöglicheKandidatensind:

–Kirchenstücke von„Telemann,Böhmen, Kriegern,Erlebachen, Englert,Buttstedten, Heinichen,Gleitsmann,Conradi,Schultzen,u.s.w.“ (zum Verkaufangebotenam 24.4.1730)116 –Kantatenjahrgang vonLiebhold (erwähnt am 12.3.1731, zum Verkaufangeboten am 19.9.1740und 26.1.1741).117 Waltherbesaßanscheinend zwei Jahrgänge;den einenscheint er selbst kopiertzuhaben,überden anderenwerdenkeine näheren Angabengemacht. –2Kirchenstücke vonHeinichen (übersandt am 29.7.1733)118 –„TelemannischeKirchen-Stücke“ (erwähnt am 19.9.1740und 22. 9. 1742)119

Autograph,in: DieBedeutung Georg Philipp Telemannsfür dieEntwicklung der europäischen Musikkulturim18. Jahrhundert, Konferenzbericht Magdeburg 1981, Teil 2, Magdeburg 1983,S.73–77. 114 Vgl. DDT49/50(M. Seiffert,1915),S.153–170,und WaltherL,S.517 f. 115 WaltherBriefe(wieFußnote41),S.121. 116 Ebenda, S. 115. 117 Ebenda, S. 134, 232f., 236. 118 Ebenda, S. 166. 119 Ebenda, S. 232und 242. 138 Peter Wollny

–„etliche30Schellische Kirchen-Stücke“(angebotenam22. September 1742)120 –„Kuhnauischeund Kriegerische Kirchen-Stücke“(angebotenam22. 9. 1742 und 6. 8. 1745)121 –„einSchellischergantz unbekanntersehrstarckerJahrgang in Partitur undPartien à 75 St[ück]für 5rthlr.“(angebotenam6.8.1745)122 –„lateinischeMotettenvon ItaliänischerArbeit“ (angebotenam6.8.1745) Alle dieseNachweiseliegenlange nach BachsWeimarerZeit. Da es sich jedoch meistumältereWerke handelt, istanzunehmen, daßsie schon vor 1717 zumAufführungsrepertoire derStadtkirche gehörten.Und selbst wenn sienicht direkt in BachsNotensammlung eingegangensind, tragen sieimmer- hinzueiner besseren Kenntnisseinesmusikalischen Umfeldsbei.Ganzgewiß aber dürfen wirannehmen, daßReinecciusund Bach weitaushäufiger Musi- kalien austauschten alsindem einenbelegtenFall.

120 Ebenda, S. 242. 121 Ebenda, S. 242und 251f. 122 Ebenda, S. 252. Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 139

Abb. 1. D-B, Mus.ms. 30244,Fasz. 2. Anonym (J.G.Ahle?), Weihnachtskantate „Ach,daß dieHilfeaus Zion über Israelkäme“; Abschrift vonJ.M.Schubart 140 Peter Wollny

Abb. 2. D-B, Mus.ms. 30244,Fasz. 3. Anonym,Confitebor; Abschrift vonJ.M.Schubart Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 141

Abb. 3a–c.D-B, Mus.ms. 12011,Fasz. 5, 8und 9(Ausschnitte). Inventarnummernvon derHandJ.C.Voglers

Abb. 3d.D-B, Mus.ms. 11544,Fasz. 7. Taktvorzeichnung vonder Hand J. C. Voglers 142 Peter Wollny

Abb. 4a.D-B, Mus.ms. 30194,Fasz. 21.J.Kuhnau, ToccatainA-Dur; Abschrift vonAnonymusW7

Abb. 4b. St 23. J. S. Bach,„Erschallet,ihr Lieder“BWV 172, Stimme Viola1; Abschrift vonAnonymusW7 Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 143

Abb. 5a.D-B, Mus.ms. 30194,Fasz. 24. Anonym (P.S.Alt?/J.S.Bach?)„Vaterunser im Himmelreich“BWV 762; Abschrift vonP.S.Alt 144 Peter Wollny

Abb. 5b.ThHStAW, B3457 (Gesuch PhilippSamuelAltsumdie ledige Stelle einesHoforganisten zu Weimar 1721), Bl.1r Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 145

Abb. 6. D-B, Mus.ms. 16695,Bl. 2r.G.P.Palestrina, Missa Ecce sacerdos magnus; Abschrift vonunbekannter Hand,Textunterlegung undKorrekturen vonJ.S.Bach 146 Peter Wollny

Abb. 7a.D-B, Mus.ms. autogr.Knüpfer 1,Titelseite; Zeile1–5:E.D.Heindorf; Zeile6–7:J.S. Bach

Abb. 7b.D-B, Mus.ms. 17079/11.G.Peranda,Missa in a-Moll, Soprano1; Abschrift vonJ.S.Bach Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 147

Abb. 8a.D-WRz, Stb456.Stammbuchvon J. G. Gebhard; Eintragung vonJ.S.Drese

Abb. 8b.D-B, Mus.ms. 30098.G.Peranda,Missa in a-Moll,Partitur; Abschrift vonJ.S.Drese? 148 Peter Wollny

Abb. 9a.D-B, Mus. ms.30210,Fasz. 9, Bl.1r. J. D. Heinichen, Kantate„Gegrüßet seistdu, holdselgeMaria“; Abschriftvon G. T. Reineccius Quellenkundliche Ermittlungen zur frühen Thüringer Bach-Überlieferung 149

Abb. 9b.LandeshauptarchivSachsen-Anhalt, Abt. Magdeburg/Wernigerode, Rep. A12aIII,Nr. 2853,fol.131 r; Eingabevon G. T. Reineccius 150 Peter Wollny u u u au au – – – ha ha ha 8) lc lch lch lc ni 8) lc ti 85 r– oe oe oe oe 87 1 oe ar ) (1 ) z he (1 lt 03 82 –P en ué )–P )–P )–P )–P er eM 2 ni l 19 18 el el el el ll sq li Wa rk rk rk ve ke Pa B( B( mi ork C. Mü ro or Fo Fo Fo J. Fa D- E. (F J. D- er gl r, n le er er er vo Vo og gl gl gl en ar nV Vo Vo Vo ur ia sp kt s( s( s( sF ar ar ar st rP re ri sp sp sp eb eb eb eb Ca be or Kr Kr Kr Kr ei Ca Ch Ca Ca tK hr nn h. h. h. h. T. T. T. T. Jo mi Jo J. Jo J. J. Sc J. 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