REISENDE AUS BÖHMEN IM EUROPA DER RENAISSANCE

Reisen als kultureller Faktor und als Katalysator der politischen Integration

Von Jaroslav Pánek

Die europäische Historiographie entdeckte während der letzten Jahrzehnte im Rei- sen ein Thema, dessen systematische Erarbeitung auf grundlegende Art und Weise zur Aufklärung neuer Aspekte der kulturellen und politischen, zum Teil auch der wirt- schaftlichen und Sozialgeschichte beitragen kann. Gilt diese Aussage in entsprechen- dem Umfange für alle historischen Epochen, so gilt sie für den Beginn der Neuzeit ins- besondere. Gerade in dieser Epoche spiegelte der Reiseverkehr, der sich gegenüber dem Mittelalter vervielfachte, die qualitative Veränderung der europäischen Gesell- schaft wider, die sich im Aufbau eines den ganzen Kontinent umspannenden Netzes von Handels-, Finanz-, Post-, diplomatischen und nachrichtendienstlichen Kontak- ten äußerte. Und wenn sich die gestiegene Dynamik zu Beginn der Neuzeit in allen europäischen Ländern in einer Intensivierung des Reiseverkehrs niederschlug, dann kann man von der Annahme ausgehen, daß dies für Böhmen und Mähren in erhöhtem Maße galt. Gerieten doch die böhmischen Länder gegen Ende des Mittelalters als Ergebnis der hussitischen Revolution, der utraquistischen Exklusivität und auch der Versuche, gegen sie eine wirtschaftliche und kulturelle Blockade zu errichten, in eine gewisse Isolation. Wenn diese Isolation zu keinem Zeitpunkt lückenlos war und im Grunde die nördlichen Territorien des böhmischen Staates (Schlesien und die Lausitz) sowie das katholische Grenzgebiet nicht berührten, so trug die auf sich beschränkte Entwicklung der Kerngebiete Böhmens und Mährens in nachhussitischer Zeit doch zu einer Verstärkung des böhmischen und mährischen Landesprovinzialis- mus bei. Die schrittweise Überwindung der provinziellen Abgeschlossenheit der böhmi- schen Länder vollzog sich am auffälligsten auf zwei Ebenen. In der konfessionell-poli- tischen Sphäre wurde der Vormarsch der deutschen und später schweizerischen Reformation zu ihrer treibenden Kraft, deren Repräsentanten alle Zurückhaltung gegenüber den Utraquisten und den Angehörigen der Brüderunität ablegten, und ihnen so Gelegenheit gaben, die breiteren, europäischen Horizonte zu erblicken. Die staatspolitische Sphäre wurde zutiefst durch die Entstehung der Habsburger- monarchie geprägt, die schon durch ihre bloße Existenz und ihre natürliche Integra- tionswirkung eine größere Durchlässigkeit der Landes- und Staatsgrenzen bewirkte und neue Bindungen zwischen den Bewohnern Mitteleuropa s schuf. Die Reforma- tion sowie auch die nachfolgende Gegenreformation und die Zentralisation der Regierung unter der Habsburgerdynastie stellten nur Äußerungen allgemeiner Ten- denzen dar, die mit konkreter menschlicher Tätigkeit und der Herausbildung neuer J. Pánek, Reisende aus Böhmen 339 zwischenmenschliche r Beziehungen angefüllt werden mußten. Unte r die zahlreichen Forme n dieser konkreten geschichtliche n Bewegung ist auch das Reisen zu zählen als ein Mitte l zur Realisierun g der neuen gesellschaftlichen Tendenzen un d als ein Faktor , dessen Wirkungen an den integrativen Verschiebungen im Bereich der Kultur und der Politi k Anteil hatten. Währen d die Historiker unserer Nachbarlände r bereits synthetische Arbeiten zur Geschicht e des Reisens veröffentlicht haben, zumindest für einige Zeitabschnitte , steht die tschechische Forschung in dieser Hinsicht noch völlig am Anfang. Für die Epoche n des späten Mittelalter s und der frühen Neuzei t wurde das Them a des Reisens bisher überwiegend nur unter dem einschränkende n Aspekt der Literaturgeschichte bearbeitet 2. Neben diesem kamen noch - wenn auch in geringerem Umfange - geographische 3, ethnographische4 und komplex historische Gesichtspunkte zur

1 Besonders bemerkenswerte Ereignisse erreichte die polnisch e Historiographi e dank des breit konzipierte n Forschungsprojekts A. Maczaks; neben einer Reihe partieller Studien^ ver- öffentlicht e A. Maczak die nachfolgende n synthetischen Werke: Maczak, Antoni : Zycie codzienn e w podróžac h po Europi e w XVI i XVII wieku [Das alltägliche Leben auf Reisen durch Europa im XVI. und XVII. Jahrhundert] . Warszawa 1978 und ders. : Peregrynacje- Wojaže -Turystyk a [Reisen und Touristik] . Warszawa 1984. Aus anderen Länder n darf ich wenigstens die neuesten synthetischen Publikationen anführen, die zumeist umfängliche Literaturhinweis e enthalten: Darkevič , V. P.: Argonavty srednevekovja [Die Argonau- ten des Mittelalters]. Moskva 1976; Löschburg, Winfried: History of Travel. Leipzig 1979 und Ohler, Norbert: Reisen im Mittelalter. München 1986. Vgl. auch die mono- thematische n Sammelbände: Maczak, Antoni/Teuteberg, H. J. (Hrsg.): Reisebe- richt e als Quellen europäischer Kulturgeschichte . Wolfenbüttel 1982 und Härder , H.-B. (Hrsg.) : Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17.Jahrhundert. Köln-Wien 1984. 2 Eine solche Einschränkung des Blickwinkels trifft noch auf die Anthologie zu: Tichá , Zdeňka : Jak staří Čechové poznával i svět. Výbor ze starších českých cestopisů 14.-17. století [Wie die alten Tschechen die Welt kennenlernten . Eine Auswahl aus alten tschechischen Reisebeschreibunge n des 14.-17.Jahrhunderts]. Prah a 1985. Vgl. des weiteren Petrů , Eduard : Vzrušující skutečnost. Fakta a fantazie ve středověké a humanistické literatuře [Aufregende Wirklichkeit. Fakten und Phantasien in der mittelalterliche n und humanisti- schen Literatur] . Ostrava 1984. 3 Den Grundbestan d an Informatione n vermittel t die übersichtliche , um Proben zeitgenössi- scher Dokument e bereichert e Publikatio n von Kunský, Josef: Čeští cestovatelé I [Böhmi - scher Forschungsreisend e I]. Prah a 1961. Diese Publikatio n ersetzt voll und ganz die beinahe wertlose Kompilation von Trantina , V.: Staří Čechové na cestách [Die alten Tscheche n auf Reisen]. Prah a 1941. Überwiegend aus geographischem Blickwinkel heraus entstand die ausgezeichnet e kritische Edition Bohuslav Horáks „Danie l Vetter a jeho ,Islandia' " [Danie l Vetter und seine Jslandia']. Brno 1931. Den kartographische n Aspekt des Reisens berücksichtigt e auch Kuchař , Karel: Naše mapy odedávna do dneška [Unser e Karte n von altershe r bis heute]. Prah a 1958. 4 Vgl. Nahodil , Otakar: Místo a význam cestopisu Martin a Kabátník a v dějinách české eth- nografie [De r Platz und die Bedeutung der Reisebeschreibung Martin Kabátník s in der Geschicht e der tschechische n Ethnographie] . ČL 39 (1952) 152-164 und 202-212. Des wei- teren vgl. Dvořák , Karel: Humanistická etnografie Čech. Johanne s Butzbach a jeho Hodoporico n [Die humanistische Ethnographie Böhmens. Johanne s Butzbach und sein Hodoporicon] . Prah a 1975. 5 Ein Beispiel der vertieften historischen Einsicht in die Themati k des Reisens bietet im Gegen - satz zur Anthologie Z. Tichá s (siehe Anmerkun g 2) die neueste, von Simon a B i n k o v á und 340 Band 32 (1991)

Geltung . Der Literatur- und in breiterem Sinne Kulturgeschichte kommt das Ver- dienst zu, eine Reih e interessante r Reisebeschreibunge n der Öffentlichkei t zugänglich gemach t zu haben. Diese könne n auch dem Historiker als Quellengrundlag e dienen6. Nich t selten verstellten die literarhistorischen Editionen von Reisebeschreibungen aber auch den Blick auf die Vielzahl weiterer Zeitzeugen, die zwar künstlerisch unbe- deuten d sind, aber in der Regel unter dem Aspekt ihres dokumentarische n Werts unersetzlich e Quellen darstellen7. Zwar fanden Reiseinstruktionen, politische und

Josef Polišenský vorbereitet e Anthologie Česká touha cestovatelská . Cestopisy, deníky a listy ze 17. století [Böhmisch e Reiselust. Reisebeschreibungen, Tagebücher und Briefe aus dem 17.Jahrhundert] . Prah a 1989. Erben , K.J. (Hrsg.): Kristofa Harant a z Polžic a z Bezdružic a na Pecce atd. Cesta z Krá- lovství českého do Benátek, odtud do Země svaté, země judské a dále do Egypta ..., I—LI [Christop h Harant s von Polschitz und Bezdružit z und zu Pecka etc. Reise aus dem böhmi - schen Königreich nach Venedig, von dort aus ins Heilige Land, ins jüdische Land un d weiter nach Ägypten ..., I—II]. Prah a 1854-1855. - Prášek, J. V. (Hrsg.) : Martin a Kabátník a Cesta z Čech do a a Kaira r. 1491-1492 [Marti n Kabátník s Reise aus Böhme n nac h Jerusalem und Kairo in den Jahren 1491-1492]. Prah a 1894. - Strejček, Ferdinan d (Hrsg.) : Jana Hasištejnskéh o z Lobkovic Putování k Svatému hrobu [Jan Hassenstein s von Lobkowicz Pilgerfahrt zum Heiligen Grab]. Prah a 1902. -Maleček , František: Jan Hasi- štejnský z Lobkovic, Putování k Svatému hrobu [Jan Hassenstein s von Lobkowicz, Pilger- fahrt zum Heiligen Grab]. Prah a 1907. - Grund , Antoní n (Hrsg.) : Cestopi s Bedřicha z Donin a [Die Reisebeschreibun g Friedrichs von Dohna] . Praha 1940. - Zelinka , T.Č. (Hrsg.) : Cesty českých bratří Matěje Červenky a Jana Blahoslava [Die Reisen der böhmi- schen Brüder Matthia s Červenk a und Jan Blahoslav]. Prah a 1942 .-Hrdina , Karel (Hrsg.) : Cesta z Prahy do Benátek a odtud poto m po moři až do Palestyny ..., kteroužt o cestu ... vykonal Oldřich Prefát z Vlkanova léta Pán ě 1546 [Die Reise von Prag nach Venedi g und von dort aus über das Mee r bis nach Palästin a ..., welche ... Ulrich Prefa t von Wlkanow im Jahr e des Herr n 1546 unternahm] . Prah a 1947. -Dostál , Josef (Hrsg.): Cesty do Svaté země . Ze starých českých cestopisů [Reisen ins Heilige Land. Aus alten tschechische n Reisebeschrei- bungen] . Prah a 1948. - Von den jüngeren Ausgaben der Reisebeschreibun g Wenzel Wratis- laws von Mitrowitz führe ich an: Daňhelka , Jiří (Hrsg.) : Příhod y Václava Vratislava z Mitrovi c [Die Erlebnisse Wenzel Wartislaws von Mitrowitz] . Praha 1950 und Bejblík , Alois (Hrsg.) : Příhod y Václava Vratislava z Mitrovi c [Die Erlebniss e Wenzel Wratislaws von Mitrowitz] . Praha 1977. - Sehr wichtig sind die kritischen Editione n von Reisetagebüchern , die ihren Akzent auf den Wert dieser Schriften als historische Quelle legen: Dvořák , Max (Hrsg.) : Dva deníky Dra. Matyáše Borbonia z Borbenheimu [Zwei Tagebücher des Dr.Mathia s Borbonius von Borbenheim]. Prah a 1896; Ergänzungen und Kommentar e hierzu : G e 11 n e r , G.: Životopi s lékaře Borboni a a výklad jeho deníků [Die Biographi e des Arztes Borboniu s und die Auslegung seiner Tagebücher]. Prah a 1938. -Martínková , Dan a (Hrsg.): Simon Proxenu s a Sudetis, Commentari i de itinere Francogallico . Budapest 1979. - Příběh y Jindřicha Hýzrle z Chodů [Die Erlebnisse des Heinric h Hieserle von Chody] . Praha 1979. - Einen weitere n Typ von Quellen, Reiseberichte , wurde n abgedruckt bei Polišenský, Josef & Koll. (Hrsg.): Poselství z Prahy do Moskvy roku 1589 [Die Gesandtschaf t von Prag nach Moska u im Jahr e 1589]. Prah a 1975. 7 Die Tenden z zur schrittweisen Ausweitung der Quellenbasis durch Editionen , die nicht in den Bereich der künstlerischen Literatur gehören, belegen die im zweiten Teil der voran- gegangenen Anmerkun g angeführten Titel. Durc h ein breites Spektrum seiner Studien zeich- nete sich bereits der bedeutend e Historike r des Balkans Konstantin Jireček in seiner Studie „Václav Budovec z Budova v Cařihradě " [Wenzel Budowetz von Budow in Konstantinopel] . ČČM 51 (1877) 417-437 und 580-598 aus, in der er sich Fragen stellte, die der neueren J. Pánek, Reisende aus Böhmen 341 private Korrespondenz, Tagebuchaufzeichnungen, Reiseberichte und finanzielle Belege in verschiedene m Maße auch schon früher das Interesse derjenigen Historiker, die sich mit den internationale n Beziehunge n beschäftigten8, bzw. von Autoren, die an den Biographien bedeutender Persönlichkeite n arbeiteten9, aber die Problematik

Reiseforschun g nahestehen. Im Gegensat z dazu begnügte sich J. V. Prášek mit der Analyse einzelner , isolierter Reisebeschreibungen ; vgl. Prášek, J. V.: Cesta Krištofa Harant a z Pol- žic a význam její pro historické poznán í zemí východníc h [Die Reise Christop h Harant s von Polischit z und ihre Bedeutun g für die historische Kenntni s der östlichen Länder]. ČČM 67 (1893) 132-157und381-395 . -D ers.: OldřichaPrefátazVlkánovacestanavýchodr . 1546a význam její[UlrichPrefat s von WlkanowReiseindenOste n imJahr e 1546undihreBedeutung] . CČM 68 (1894)353-37 8 und518-534. 8 Odložilík, Otakar: Cesty z Čech a Morav y do Velké Británie v letech 1563 až 1620 [Rei- sen aus Böhmen und Mähren nach Großbritannie n in den Jahren 1563 bis 1620. Časopis Matic e moravské 41 (1935) 241-320. - Ders.: Jednot a bratrská a reformovaní francouz- ského jazyka [Die Brüder-Unitä t un d die Reformierte n der französische n Sprache]. Philadel - phia 1964. - Chudoba , Bohdan: Španělé na Bílé hoř e [Die Spanie r auf dem Weißen Berg]. Prah a 1945. - Macůrek , Josef: Čechov é a Poláci v 2. pol. XVI. století (1573-1589) . Tři kapitoly z dějin česko-polské politické vzájemnosti [Die Tschechen und die Polen in der 2. Hälft e des XVI.Jahrhundert s (1573-1589). Drei Kapitel aus der Geschichte der tsche- chisch-polnische n politischen Gemeinsamkeit] . Prah a 1948. -Polišenský , Josef: Anglie a Bílá hora [Englan d und der Weiße Berg]. Prah a 1949. -Ders. : Nizozemsk á politika a Bílá hora [Die niederländisch e Politi k und der Weiße Berg]. Prah a 1958. - In Anknüpfun g an die Forschunge n tschechische r Historiker entstande n auch Arbeiten ausländischer Bohemisten, die die erwähnte Problemati k berühren , z.B.:Mout,M.E.H.N. : Bohemen endeNeder - landen in de zestiende eeuw. Leiden 1975. - Gmiterek , Henryk: Zwiazki intelektuáln ě polsko-czeski e w okresie Odrodzenia (1526-1620) [Intellektuelle polnisch-tschechische Beziehunge n in der Zeit der Renaissance] . Lublin 1989. 9 von Chlumecky , Peter : Carl von Zieroti n un d seine Zeit 1564-1615. Brunn 1862,134 ff. -Jire ček, Josef: Bohuslav Hodějovský zHodějova. ČČM 58 (1884) 173-195. -Ders. : Jan Hodějovský zHodějova. Praha 1884. - Lukášek, Josef: Jáchym Ondřej hrabě Šlik. Prah a 1913,4 ff.-Odložilík , Otakar: Poslední Smiřičt í [Die letzte n Herre n von Smiřitz] . Od pravěku k dnešku (Pekařův sborník) II. Prah a 1930, 70-87. -Ders. : Vchynští z Vchynic a Tetova v Nizozemí v 16. a 17. století. Příspěvky k dějinám rodu [Die Vchynskýs von Vchynitz und Tetow in den Niederlande n im XVI. und XVII. Jahrhundert . Beiträge zur Geschicht e des Geschlechts] . In : Sborní k prací věnovaných Dru Gustavu Friedrichov i k 60. narozennám . Praha 1931,291-309 . -Ders. : Karel starší ze Žerotína . Prah a 1936, 39ff. und 71 ff. -Hrubý , František: Ladislav Velen ze Žerotína . Prahal930 , 12ff. -Fialo vá, Vla- sta: Jan Adam z Víčková, moravský emigrant a vůdce Valachů 1620-1628 [Jan Adam von Witzkow, mährischer Emigran t und Führer der Wallachen 1620-1628]. Brno 1935, 14f. - K a 1 i s t a, Zdeněk : Čechové, kteří tvořili dějiny světa [Tschechen , die Weltgeschicht e mach- ten]. Prah a 1939. - Haas , Antonín : Karel Bruntálský z Vrbna. Praha 1947, 30f. - Poli- šenský, Josef: Jan Jesenský-Jessensius . Prah a 1965, 21 und 53ff. - Ders. : Život a smrt Zdeňk a Brtnického z Valdštejna - přítele škol a akademií [Leben und Tod des Zdeně k Brtnick ý von Waldstein - eines Freunde s der Schulen un d Akademien] . Studia Comenian a et historic a 12/24 (1982)37-44. -Janáček , Josef: Jan Blahoslav. Praha 1966, 39 ff. -Ders.: Valdštejn a jeh o doba [Wallenstein und seine Epoche] . Prah a 1978, 35 ff. - D e r s.: Rudolf IL a jeho doba [Rudolp h IL und seine Epoche]. Prah a 1987, 30ff. und 115ff. - Racek, Jan: Kryštof Harant z Polžic a jeho doba I—III [Christop h Haran t und seine Zeit I—III] . Brno 1972-1973. - Hejnic , Josef: Petr Bechyně z Lažan a renesanční humanismus [Peter Bechin von Lažan und der Renaissancehumanismus] . Vlastivědný sborník Podbrdska 18 (1980) 59-73, insbesondere S. 62. - Rejchrtová , Noemi: Václav Budovec z Budova. Prah a 1984, 15 ff. - P á n e k , Jaroslav: Poslední Rožmberkové , velmoži české renesance [Die letzten Herre n von Rosenberg, Magnaten der böhmische n Renaissance] . Prah a 1989. 342 Bohemia Band 32 (1991) des Reisens als solche blieb bei einem in diesem Sinne angelegten Studium der Quellen stets im Schatte n andere r Fragen . Versuche einer komplexere n Bearbeitun g zumindest ausgewählter Themen aus der Geschichte des Reisens tauchten erst in allerjüngster Vergangenhei t auf; zum größten Teil bleibt diese Thematik eine Aufgabe für die Zukunft 10. Obwohl das „Reisen" sich gegenwärtig eines ungewöhliche n Interesses der auslän- dischen Historiker erfreut, wird der Begriff als solcher in häufig unklarem Sinne ver- wandt. Im Bemühen, die konservative Vorstellung von einer angeblich erstarrten mittelalterliche n Gesellschaft zu korrigieren, umfassen einige Forscher unte r diesem Begriff im Prinzi p jegliche territoriale Bewegung, angefangen bei großen Migrations- und Kolonisationsprozesse n bis hin zum Verlassen der Familie , dem Umherstreune n u.a. n. Im Ergebnis eines solchen Ansatzes droht die Gefahr, daß die Beschäftigung mit der Thematik des Reisens zu einem uferlosen Sammeln gänzlich heterogener Phänomen e verkommt. Die aus den Quellen gewonnenen Fakten wären nicht durch wesentliche Zusammenhänge , sondern nur durch ein formales Kennzeichen, nämlic h die Bewegung im Raum , miteinande r verknüpft . Meiner Meinun g nac h lassen sich als Reisen im wirklichen Sinne des Wortes nur solche Ortsveränderungen bezeichnen , die zumindest einige Tage dauern (gleichgültig, ob der Zielort im Ausland oder im eigenen Lande liegt), deren Teilnehme r sich im voraus ein bestimm- tes Programm vorgenomme n haben (das natürlich sehr variabel gehandhabt werden kann ) und bei denen man mit einer Rückkeh r zum Ausgangsort rechnet. Auch bei einer solchen Begriffsbestimmung dokumentieren die erhaltenen früh- neuzeitliche n Quellen ein buntes Spektrum verschiedenartiger Reisen im eigenen Land e oder im Ausland. Es ist deshalb u.U. angebracht , an dieser Stelle die Reisen zumindes t versuchsweise und provisorisch entsprechend ihres Charakters zu klassi- fizieren. Welche Arten von Reisen in Europa und im Mittelmeerrau m hinsichtlic h ihrer Bestimmun g oder zumindest ihrer überwiegenden Motivation begegnen wir an der Schwelle der Neuzeit ? Nac h Meinun g des Autors zeichnen sich im Quellenmate - rial die folgenden sechs Grundtype n des frühneuzeitliche n Reisens ab: Handelsreisen , politisch e und diplomatische Reisen, militärische Reisen, religiöse Reisen, Studien- reisen und Reisen von Künstlern.

10 Růžička, Jindřich: Italská cesta Jaroslava z Pernštejna roku 1559 (Příspěvek k otázce vztahu české šlechty k humanismu ) [Die Italienreis e Jaroslavs von Pernstei n im Jahr e 1559 (Ein Beitrag zur Frage der Beziehung des böhmischen Adels zum Humanismus] . Sborní k prací východočeských archívů 4 (1978) 153-185. - Hojda , Zdeněk: „Kavalírské cesty" v 17. století a zájem české šlechty o Itálii [„Kavaliersreisen " im 17. Jahrhunder t und das Inter - esse des böhmischen Adels an Italien]. In: Itálie, Čechy a střední Evropa. Praha 1986, 216-239. - Ders. : „Voyages de Chevaliers" de Bohém e au XVIIe siěcle. In: Zeszyty Nau- kowe Uniwersytetu Jagiellonskiego. Prače Historyczn e 88 (1989) 99-105. -Pánek , Jaro - slav: Výprava české šlecht y do Itáli e vletec h 1551-1552 [Ein e Reiseunternehmun g des böhmi - schen Adels nach Italien in den Jahren 1551-1552]. Prah a 1987. - Für die Zeit nach der Schlach t am Weißen Berge vgl. auch Kroupa , Jiří: Dietrichštejnov é v pol. 17.století a mode l tzv. kavalírské cesty [Die Dietrichstein s in der Mitte des 17. Jahrhundert s und das Model l der sog. Kavaliersreisen]. Historick á a její současné problémy 4 (1983) 109-117. 11 Vgl. insbesondere die zitierte n Werke von V. P. Darkevič und N . Ohler in Anm. 1. J. Pánek, Reisende aus Böhmen 343

Die lebensnotwendigen Handelsverbindungen Böhmens und Mährens mit den Nachbarländern , über die wir n a dieser Stelle keine detaillierten Ausführungen mache n können , besaßen uralte Wurzeln. Ihre Bedeutun g für alle andere n Arten des Reisens bestand vor allem darin, daß sich auf der Grundlag e der Handelswege bereits im 14. Jahrhunder t ein Netz von Landstraßen herausbilden konnte, auf denen - in Anbetrach t der untergeordnete n Rolle schiffbarer Flüsse im böhmisch-mährische n Becken - der inländisch e und international e Austausch in praktisch allen Forme n bis ins 18.Jahrhundert hinein pulsierte12. Diese Landstraßen bildeten den Ausgangs- punkt jeglichen „aktiven" Reisens der Bevölkerung Böhmens und Mähren s ins Aus- land und bestimmte n zugleich die Trassen des „passiv" empfangenen fremdländischen Reiseverkehr s in den Länder n der böhmische n Krone. Auf der Basis der Tätigkeit von Händler n entstanden auch die übrigen unverzichtbaren Elemente der Reiseverkehr- Infrastruktur , d.h. insbesondere Transport- und Unterbringungskapazitäten . Der Aufbau einer solchen Infrastruktu r gelang umso leichter, als die böhmische n Länder bereits zu Beginn der Neuzei t einen erhebliche n Urbanisierungsgra d erreicht hatten , so daß seit dem 16. Jahrhunder t spezialisierte Gasthäuser oder für diesen Zweck bei Bedarf hergerichtete Gebäude bzw. Gebäudeteile in relativ ausreichendem Maße vorhande n waren13. In Prag beispielsweise stellten die Fuhrleut e bereits im M.Jahr- hunder t ein selbständiges Gewerbe dar; seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert s entwickelt e sich das Gewerbe des Personentransports , d.h. der Kutscher, das im 16. Jahrhunder t zu einer Institution wurde, die alle Schichten der Bevölkerung in Anspruch nahmen 14. Politische n und diplomatischen Zielen dienendes Reisen fand im inländischen Raum vor allem im Zusammenhan g mit den periodisch wiederkehrenden Sitzungen der Ständekorporatione n (d.h. der Landtage und Gerichte) statt und wurde durch deren Sitz und Tätigkeit geprägt. Im politisch motivierten Reiseverkehr zwischen den einzelne n Ländern der böhmischen Krone sowie im internationalen politisch motivierte n Reiseverkehr war es vor allem der Ho f des Herrschers , der dessen Forme n und Intensitä t bestimmte . Während seit dem Jahr e 1490 der Umfan g der Beziehungen nach Buda hin zunahm , wurden nach dem Jahr e 1526 die Beziehunge n der Bewohner des böhmischen Staates zu Österreich, insbesondere zu Wien, beständig intensiver. Der wachsende Reiseverkehr zum Herrscherhof bereicherte im 16.Jahrhundert

Janáček , Josef: Dějin y obchodu v předbělohorsk é Praze [Geschicht e des Handel s in Prag in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. Prah a 1955, 229. - Petráň , Josef et ah: Dějin y hmotné kultury 1/ 2 [Geschichte der materiellen Kultur 1/2]. Prah a 1985, 812ff. - Kartographisch e Dokumentatio n siehe bei D o s k o č i 1, Karel: Berní rula II. Popi s Čech r. 1654 [Die Steuerroll e II. Beschreibun g Böhmens im Jahr e 1654]. Beilage 2. Atlas českoslo- venských dějin [Atlas der tschechoslowakische n Geschichte]. Prah a 1965, Karte 9. Eine Sonde in dieser bisher wenig erforschten Problematik bilden die Studien von Pánek , Jaroslav: Benešov - tranzitn í město posledních Rožmberků [Beneschau - die Transitstadt der letzten Herren von Rosenberg]. Sborní k vlastivědních prací z Podblanicka 25 (1984) 187-209 un d ders.: Výprava české šlecht y 161, Anm. 170. - Einen Beitrag zur Erforschung der Situation in Europa allgemein leisteten Peyer, H.C. (Hrsg.): Gastfreundschaft, Taverne und Gasthaus im Mittelalter. München-Wie n 1983 und Maczak: Zycie cod- zienn e 37-80. Janáček : Dějiny obchodu234. 344 Bohemia Band 32 (1991) das politische Leben um ein neues Element: Er zwang alle Personen , die politische Ambitione n hegten, d. h. insbesondere Vertreter des Adels, ihre Wirkungsstätte zumindes t zeitweise aus dem traditionellen Landesrahmen hinaus zu verlegen. Für einige Höflinge, die sich in der Näh e des Herrscher s aufhielten, und insbesonder e für einen der höchsten Amtsträger des böhmischen Staates, den Oberstkanzler, wurde der Aufenthalt außerhalb der eigenen Landesgrenzen fast zur Regel. Die Reisen zum Herrscherho f führten natürlich auch die Repräsentante n der böhmischen , österreichi- schen, und mitunte r auch ungarischen , Ständevertretunge n zu Verhandlunge n zusam- men . Den entsprechende n Personen boten diese Kontakte Gelegenheit, die eigenen politische n Probleme in einem breiteren, mitteleuropäischen Rahmen zu sehen. Sofern böhmische Politiker an diplomatischen Missionen der Herrscher aus dem Geschlech t der Habsburge r ins Ausland teil hatten , gewannen sie einen noc h weiteren Horizont . Sie konnte n un d mußte n nunmeh r die Perspektive n des böhmische n Staates im Kontext der politischen Auseinandersetzungen der Großmächte untereinande r betrachten . Bis zu diesem Punkte sollte das politisch und diplomatisch motivierte Reisen den böhmischen Adel eigentlich zu ergebenem Dienst an der Dynastie der Habsburge r bewegen. In der Realität äußerte n sich die Auswirkungen solcher Reisen allerdings nicht nur in dieser, sondern auch in völlig entgegengesetzter Richtung. Kame n sich die böhmische n Politiker auf den Reisen doch mit den Repräsentante n der ständische n Kommunitäte n andere r mitteleuropäische r Länder nähe r und boten diese Reisen doch allen beteiligten Parteien die Gelegenhei t zu einem besseren gegenseitigen Verständnis . Im Verlaufe des 16.Jahrhundert s gelang es so, die Barrieren zwischen den ständischen Kommunitäten der einzelnen habsburgischen Länder teilweise zu überwinden und gemeinsame ständische und konfessionelle Interessen zu ent- decken . Ohne diese langewährend e Annäherun g wäre die mächtige Bewegung, in die die ständisch e Opposition zu Beginn des 17. Jahrhundert s geriet, undenkba r gewesen. Ohn e die in langandauernde r Kommunikatio n festgestellte Interessenübereinstim- mun g wären die Ständ e der habsburgische n Länder nich t in der Lage gewesen, in einer Zeit der Krise der Habsburgermonarchie mit einem konföderativen Programm aufzutreten , das eine alternative Lösung der staatsrechtliche n Verhältnisse in Mittel- europ a verkörperte15.

Eine umfangreiche Dokumentation, die unserer Studie zugrunde liegt, enthält die Edi- tion „Sněm y české I-XI , XV" [Böhmisch e Landtage I-XI , XV]. Prah a 1877-1955. - Vgl. des weiteren Kameníček , František: Zemské sněmy a sjezdy moravské I—III [Die mähri- schen Landtage und Versammlunge n I—III] . Brno 1900-1905. - Mit einzelne n Aspekten der politische n Integratio n beschäftigen sich Rezek, Antonín: První pokusy o společný parla- men t pro všechny země rakousk é [Die ersten Versuche zur Bildun g eines gemeinsame n Parla- ment s für alle österreichische n Länder]. Prah a 1882. - Krofta , Kamil: Snahy o společný sněm zemí domu rakouského v letech 1526-1848 [Die Bemühunge n um ein gemeinsames Parlamen t der Länder des österreichische n Hauses in denjahre n 1526-1848]. Prah a 1917. - Pánek , Jaroslav: Stavovská opozic e a její zápas s Habsburk y 1547-1577 [Di e Ständeopposi - tion und ihr Ringen mit den Habsburger n 1547-1577]. Prah a 1982. -Ders. : Das politische System des böhmischen Staates im ersten Jahrhundert der habsburgischen Herrschaft (1526-1620) . MIÖG 97 (1989) 53-82. - Über die Konföderationsbewegun g schrieben: Stanka , Rudolf: Die böhmische n Conföderationsakte n von 1619. Berlin 1932. - Malý, Karel: Změny státního zřízení v českém stavovském povstání [Veränderunge n der Staat- J. Pánek, Reisende aus Böhmen 345

Weitere Anregungen boten die Reisen böhmischer Politiker in Länder außerhalb der Habsburgermonarchie , die sowohl in diplomatische n Diensten der herrschende n Dynasti e erfolgten als auch gänzlich anderen politische n Zielen dienten . Besonder s im Ergebnis ihrer Reisen in die protestantische n Territorialstaate n des Römisch-Deut - schen Kaiserreiches entstanden für die Habsburger außerordentlich unangenehme und für den Kaiser zudem gefährliche Kontakte (einschließlich verwandtschaftlicher Beziehungen ) zwischen der einheimischen Ständeoppositio n auf der einen und den Fürstenhäuser n Sachsens, Brandenburgs, der Pfalz, Braunschweigs usw. auf der andere n Seite16. Darübe r hinau s führten die Reisen böhmische r Politiker nicht nu r auf Reichsgebiet , sondern auch in die Monarchie n im Westen und Osten Europas. Bei längeren Aufenthalten an den Höfen dieser Staaten kam es mitunte r zu einer erheb- lichen Lockerun g der Bindun g der mächtigsten böhmischen und mährische n Magna- ten an die Habsburger. Einige Repräsentante n der ständischen Kommunitäte n Böh- men s und Mährens handelten beinahe so, als wären sie selbständige Subjekte der internationale n Beziehungen: Der südböhmische Magnat Wilhelm von Rosenberg, der sich in den siebziger Jahre n des 16. Jahrhundert s einige Monat e lang in Polen auf- hielt, knüpfte während dieser Zeit so enge Beziehunge n zur Nobilitä t des Landes, daß es ihm möglich wurde, sich um die polnisch e Königskrone zu bewerben und auf diese Weise verdeck t auch mit Kaiser Maximilian II. zu konkurrieren . Der mährisch e Ange- hörige des Herrenstande s un d Mitglied der Brüderunität , Karl von Zeroti n d. Ä., enga- gierte sich in denjahre n 1591-1592 unte r Mißachtun g des allgemein gültigen Verbots, ohn e Zustimmun g des Herrschers in fremde Kriegsdienste zu treten, militärisch auf seiten des französischen Königs Henri IV. Im Verlaufe ihrer diplomatischen oder breitere n politischen Missionen dienenden Reisen traten diejenigen böhmischen und mährische n Adligen, die die höchste n Ambitione n hegten, in die Sphären der europä- ischen Politik ein, und obwohl ihre Absichten erfolglos endeten, kehrten sie um unbezahlbar e Erfahrungen bereichert nach Hause zurück. Diese Reisen vermittelten ihnen einen nicht alltäglichen politischen und kulturellen Horizont, allerdings auch ein großes Maß an Skepsis. Dem energischen Schritt aus dem provinziellen Rahmen des eigenen Landes und Staates heraus folgte die Rückkehr in diese bescheideneren Verhältnisse und das durch eine reale Einschätzung der eigenen Kräfte geprägte

liehen Ordnun g währen d des böhmische n Ständeaufstandes] . FHB 8 (1985) 63-88. -Ada- mová, Karolina: K otázce konfederačníc h snah v českém státě na počátk u 17. století [Zur Frage der konföderativen Bemühungen im böhmischen Staat zu Beginn des ^.Jahrhun - derts]. PHS 27 (1986) 57-96. -Válka, Josef: Morava ve stavovské konfederac i roku 1619 [Mähre n in der Ständekonföderatio n des Jahre s 1619]. FH B 10 (1986) 333-349. -Bahl c ke, Joachim : Konföderatio n und Widerstand . Die politische n Beziehungen der böhmische n und mährische n Ständegemeind e vom Bruderzwist bis zum Aufstand gegen Habsbur g 1608-1619 (Diss. Freiburg im Breisgau 1989; eine gekürzte Version dieser Studie erschien in FH B 13 1990, 235-288). Uflacker.H . G.: Christiani , von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Münche n 1926. - Pánek , Jaroslav: Zápas o vedení české stavovské obce v polovině 16.století (Knížata z Plavná a Vilém z Rožmberka 1547-1556) [Das Ringen um die Führun g der böhmsichen Ständegemeind e (Die Fürste n von Plauen und Wilhelm von Rosenberg 1547-1556)]. ČsČH 31 (1983) 855-884. -Ders. : Posledn í Rožmberkov é 107ff. 346 Bohemia Band 32 (1991)

Bemühen, in den Beziehungen zwischen Herrscher und Ständen eine neue Lösung zu finden, die für beide Seiten einen erträglichen Kompromiß darstellen würde17. War die Kriegskunst in der frühen Neuzeit eine leibliche Schwester der Diplomatie, so schlössen sich erfolglosen diplomatischen Missionen nicht selten Feldzüge an. Das Jahrhundert vor dem antihabsburgischen Aufstand verlief in dieser Hinsicht relativ ruhig. Mit Ausnahme zweier Überfälle zu Beginn des 17. Jahrhunderts (im Jahre 1605 fielen aufständische Abteilungen desIstvá n Bocskai in Mähren ein; im Jahre 1611 Truppen des Passauer Bischofs, Erzherzog Leopold, in Böhmen) blieben alle Bedro- hungen der böhmischen Länder im Rahmen theoretischer Möglichkeiten. Nichts- destotrotz wurde die Bevölkerung des böhmischen Staates zur Verteidigung der öst- lichen und südöstlichen Grenze der Habsburgermonarchie gegen die osmanische Expansion herangezogen. Im Verlaufe des 16.Jahrhunderts mehrfach wiederholte Feldzüge nach Ungarn führten jeweils einige tausend uniformierter böhmischer Adliger, Bürger und Untertanen auf diese beschwerlichen Reisen. Die großen Feldzüge gegen die Türken brachten, bildlich gesprochen, die gesamte Ständegesellschaft in Bewegung. An den größten dieser Unternehmungen beteiligte sich mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung direkt. (Im Jahre 1594 zählte das Heer aus Böhmen allein ungefähr 18 300 Mann, also 1,4 % der Bevölkerung.) Die böh- mischen Teilnehmer an den antitürkischen Feldzügen hatten Gelegenheit, sich aus der Nähe mit den ungarischen Verhältnissen bekannt zu machen. Sie lernten aber auch Söldnerheere aus ganz Westeuropa und die fortgeschrittene Kriegstechnik ihrer Zeit kennen. Eine größere Anzahl weiterer Bewohner der böhmischen Länder war mit der Versorgung der Armee und der Organisation des Hinterlandes befaßt. Finanzieren mußte diese Kriegsvorbereitungen natürlich die erdrückende Mehrheit der Bevölke- rung. Obwohl es den Habsburgern vor der Schlacht am Weißen Berg nicht gelang, die ständische Auffassung von der Verteidigung gegen die Türken, die sich auf das Donau- Vorfeld der mährischen Grenzen beschränkte, zu durchbrechen, erreichten sie durch die ständige Einbeziehung des böhmischen Militärpotentials in die Lösung dieses Kon- flikts, der im damaligen Europa zu den größten zählte, doch in gewissem Umfange ein für ihre Position günstiges Resultat: Sie vermochten die Mentalität des böhmischen und mährischen Adels zu ändern. Sie zwangen ihn, die türkische Gefahr zur Kenntnis zu nehmen und in seiner eigenen Politik zu berücksichtigen. Die Auswirkungen der Kriegsereignisse und die wiederholten Züge auf die Schlachtfelder ketteten die poli- tisch aktiven Teile der böhmischen Gesellschaft, insbesondere den Adel, an das Ge- schehen außerhalb der Landesgrenzen, zumindest an das Geschehen in Mitteleuropa. Parallel dazu kam es auch zu einem bisher nie dagewesenen Integrationsdruck auf die Länder und Regionen innerhalb des böhmischen Staates, da die materielle Ab- sicherung der Feldzüge besonders hohe Anforderungen an das böhmische Königreich stellte. Wegen dieser Anforderungen schalteten sich die Repräsentanten der böhmi- schen Stände außerordentlich aktiv in die Organisation der territorialen Verschie- bungen des mobilisierten Teils der Bevölkerung ein. Aus dem Prager Zentrum heraus

von Chlumecky: Carl von Zierotin 128 ff. - O d 1 o ž i 1 í k : Karel starší ze Žerotína 71 ff. -Pánek: Poslední Rožmberkové 161 ff. J. Pánek, Reisende aus Böhmen 347 setzten sie eine gleichmäßige Belastung der potentiellen Zahlungsverpflichtungen, ohn e Rücksicht auf die Inhaber besonderer Privilegien bezüglich der Befreiung von militärische n Lasten, durch. Der Druck, den Prag auf die Bergstädte und die sog. äußere n Bezirke (Eger, Tachau, Elbogen und Glatz) ausübte, unterstützt e allerdings unwillkürlich den Kurs der regierende n Habsburger auf eine Zentralisierun g des böh- mischen Königreichs . Ähnlichen Druc k übte das Prager Zentru m auch auf die Neben - länder aus und beschleunigte damit, wenn auch mit wechselndem Erfolg, die Ver- flechtun g der einzelnen Territorie n der böhmischen Krone untereinander . Ein inter- essantes Nebenprodukt dieser Dynamisierun g der Beziehungen zwischen den Stän- den und Ländern der Wenzelskrone war das Bemühen um eine engere Bindung der ausländische n Lehen (feuda extra curtem) jenseits der Westgrenze Böhmens in den böhmische n Staat. Des weiteren regten die Repräsentante n der böhmischen Stände den König an, die Kurfürsten und andere Reichsstände , die böhmische Lehensgüter innehatten , zur Teilnahme an den Feldzügen oder aber wenigstens zu einem finan- ziellen Beitrag zu bewegen. Auch sollte der König sein durch erbliche Freund- schaftsverträge gesichertes Bündnis mit den Reichsfürste n in dieser Richtun g nutzen . Ohn e Rücksicht auf die realen Ergebnisse der gegen die Osmanen gerichteten Feld- züge kann man sagen, daß in der Folge der wiederholten Verschiebungen böhmi- scher Heere nach Ungarn das ganze politische System des böhmischen Staates in Bewegung geriet und daß diese Bewegung, objektiv betrachtet, den Zusammen - schluß der Länder und angeschlossenen Territorien der böhmische n Krone beschleu- nigte 18. Religiös motiviertes Reisen fand in vielerlei Gestalt statt. Die wichtigste Form solcher Reisen führte seit dem Mittelalter Pilger an Orte, die symbolisch mit den Anfängen des christlichen Kults verknüpft waren. Bei Pilgerfahrten zum Heiligen Gra b und in andere das Leben Jesu Christi erinnernd e Ort e in Palästin a überschritte n Einwohne r des böhmischen Staates die Grenzen Europas . Den adligen Teilnehmern an solchen Pilgerfahrten ging es dabei nicht zuletzt darum, den Ehrentitel eines Ritter s und Beschützer s des Heiligen Grabes zu erlangen19. Das Interesse am Besuch des Heiligen Landes war so groß, daß in Prag zu Ende des 16. Jahrhundert s zwei Büche r erschienen , die die biblische Topographie denen nahebringe n sollten, die sich nich t auf den weiten Weg machen konnten , damit sie wenigstens „mit Geist und Sinn an diesen Orten stünden und mit dem innere n Blick des Herzen s die seltsamen Taten

Eine Zusammenfassung dieser Problematik sowie weitere Litaratur bieten die Studien Pánek , Jaroslav: Turecké nebezpeč í a předbělohorsk á česká společnost [Die Türkengefahr und die böhmische Gesellschaft vor der Schlacht am Weißen Berge]. Studia Comenian a et historic a XI/23 (1981) 53-72. -Ders. : Podí l předbělohorskéh o českého státu na obran ě středn í Evropy proti osmanské expanzi [De r Anteil des böhmische n Staates vor der Schlach t am Weißen Berge an der Verteidigung Mitteleuropas gegen die osmanische Expansion]. ČsČH 36 (1989) 71-84. Beachtenswert e Belege über Reisen nach Palästin a enthält die Handschrif t des Jan Zajíc von Hasenbur g aus dem Jahre 1553 (Österreichische Nationalbibliothe k Wien, Cod. Vindob. 8091, insbesondere Fol. 18v). - Staatliches Regionalarchiv in Brunn (SOA Brunn), G 83, Copiariu m der Bischöfe von Olmütz, cop. 16, Fol. 24v-25v; cop. 18, Fol. 56v; cop. 21, Fol. lr. - Vgl. des weiteren E r b e n , K. J. (Hrsg.): K. Harant , Cest a 1241-244. 348 Bohemia Band 32 (1991) und Wunder Gottes schauten und sich selbst voller Dankbarkeit an sie erinnerten " . Die vermittelten geographischen Kenntnisse aus Reisen nach Palästina sollten zu einem tieferen Verständnis der Heiligen Schrift verhelfen, zur Stärkung des christ- lichen Glaubens und schließlich auch zur besseren Orientierung im weltlichen Geschehen , d.h. in der Politik. Der durch Reisen oder aber durch Reiseliteratur gewonnen e Kontakt zum Heiligen Land wurde so zu einem dynamisierende n Faktor der religiösen Bewußtwerdung und der konfessionell-politische n Aktivität. Mit Rücksicht auf die Länge, die drohende n Gefahre n und die Kosten einer Reise in den Nahe n Osten begnügten sich die meisten der fromme n Pilger allerdings mit denk- würdigen Orten der christliche n Traditio n in Europa . Aber auch Reisen von Einwoh- nern der böhmischen Länder zum berühmtesten Wallfahrtsort des alten Kontinents , dem Grab des hl.Jako b im spanischen Santiago de Compostela , bildeten eine recht sel- tene Ausnahme. Pilgerfahrten dorthin unternahme n z. B. Ulrich Prefat im Jahr e 1552 und Christoph Haran t im Jahre 161421. Böhmische Pilger besuchten häufiger die Dom e in Mitteleuropa , in dene n Reliquie n von Heiligen aufbewahrt wurden; wichtige mittelalterlich e Wallfahrtsorte waren z. B. Regensburg22 und Köln am Rhein 23. Nach dem Triente r Konzil, in einer Atmosphär e des sich ausweitenden Marien-Kults , nahm auch das Interesse am italienischen Loreto 24, am bayerischen Altötting25 und dem Kloster im polnischen Czenstochau 26 zu. Eine bleibende Anziehungskraft bewahrte sich natürlich Rom als Zentru m der bedeutendste n katholischen Heiligtümer , als Sitz des Papstes und Schauplat z der wichtigsten religiösen Feiern27. Im Rahme n der kirch- lichen Verwaltung unterhielt man mehr oder minder regelmäßige Kontakte der Präla- ten und ihrer Beauftragten mit den Diözesan- und Ordenszentren im Ausland28.

Vorwort Daniel Adams von Weleslawin zu Buetings Buch „Itinerariu m Sacra e scripturae", Prah a 1592. Siehe auch Beneš, Zdeněk in ČsČH 36 (1988) 439, Anm. 3. Kunský : Čeští cestovatelé 1101 und 107. - Vgl. Deutsch e Jakobspilger und ihre Berichte. Tübingen 1988. Jireček: Bohuslav Hodějovský 181. - Grund (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donin a 52. SO A Wittingau , CRR 21, Aufzeichnunge n Peter Woks von Rosenberg über die Reise nach den Niederlande n im Jahr e 1562. Belege über das Interesse des böhmischen Adels an Reisen nach Loreto : SOA Brunn, G 83, Cop. 26, Fol. 90 (Václav Berka von Duba , 1588). -Pánek , Jaroslav (Hrsg.) : Václav Břežan, Životy posledních Rožmberk ů I [Václav Břežan , Vitae der letzten Herre n von Rosenberg I]. Prah a 1985, 364. - Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donin a 120-132. Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donín a 83. Gmitere k führt in seiner Studie „Zwijzki intelektuálně" auf S. 164 an, daß die Koloni e der polnische n Studente n an der jesuitischen Akademie in Olmütz Pilgerfahrten nach Czensto - chau durchführte . Für das Jahr 1587 ist ein Aufenthalt des Bischofs von Olmütz, Stanislaus Pavlovský, im Kloster von Czenstocha u belegt. - SOA Brunn, G 83, Cop. 25, Fol. 190r. Friedric h von Dohna nannt e Rom „das Haupt der Welt, wegen der Vielzahl der Märtyrer Gotte s und des Stuhls des Stellvertreters Gottes heilig geheißen " -Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřich a z Donín a 93. Eine außerordentlich reiche Dokumentatio n zum Studium dieser Frage bietet eine Reihe von Kopiarien der Bischöfe von Olmütz im SOA Brunn und SOA Troppau, Zweigstelle Olmütz . / . Pánek, Reisende aus Böhmen 349

Auf vergleichbare Art und Weise, wenn auch ohne feste institutionell e Basis, entwik- kelten sich die persönliche n Beziehungen böhmischer und mährischer Evangelischer mit den geistigen Zentren ihnen verwandter Kirchen im Ausland, insbesondere mit den Lutheraner n in Wien und Sachsen oder mit den pfälzischen und schweizerischen Calvinisten 29. Die religiös motivierten Reisen, ob sie nun Katholike n oder Evangeli- sche unternahmen , festigten das Bewußtsein der Zusammengehörigkei t mit denen , die sich weit jenseits der Grenze n Böhmen s und Mähren s zum gleichen Glauben bekann - ten. Sie trugen zur organisierten Festigung der Kirchen und zur Ausprägung ihrer gegenseitigen Polarität bei. Die größte Aufmerksamkeit der Forscher haben bisher die Studienreisen auf sich gezogen. Diese sind vom Bild der europäische n Geisteskultu r des späten Mittelalter s und der frühen Neuzeit nicht wegzudenken . Bezüglich der Studienreise n nahmen die böhmische n Länder eine eigentümliche Stellung ein, da die altehrwürdige Prager Universitä t im Verlaufe des 15.Jahrhundert s ihre Anziehungskraft sowohl für Aus- länder als auch für den Großtei l der einheimische n Studenten verlor. Die utraquisti- sche Prager Universität wurde zu einer konfessionell abgeschlossenen und im Ergeb- nis dessen auch auf das Land beschränkten Lehranstalt. Ihr Aktionsradius umgriff lediglich den größeren Teil Böhmens und West- zum Teil auch Südostmährens , d. h. der Territorien mit überwiegend tschechischsprachiger Bevölkerung. Die aus natio- naler Sicht tschechisch e konfessionell utraquistische und unter sozialem Aspekt bür- gerliche Akademie zeichnete sich darüber hinaus auch nicht durch das Niveau ihrer Lehre aus. Obwohl sie im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhundert s die größte Zahl der graduierte n tschechischen Hochschüler erzog, vermochte sie nicht die deutsch- sprachigen Bewohner Böhmens und Mähren s nicht zu befriedigen, weder den Adel, noch die Katholiken. Diesen begannen seit dem letzten Drittel des 16.Jahrhunderts die jesuitischen Akademien in Prag und Olmütz zu dienen. Paradox wirkte die Tat- sache, daß die bis zur deutschen Reformatio n extrem radikal „häretische " Universität in Prag seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhundert s im Vergleich mit den protestan - tischen Akademien zu einer überaus konservativen Lehranstalt wurde. Sie fügte sich nich t in den Kreis der protestantische n Universitäten ein, an denen das Leben der internationale n studentischen Gesellschaft pulsierte. Dafür stellten die Bewohner der böhmischen Länder einen erheblichen Teil der an ausländischen Universitäten studierende n nichteinheimische n Studenten 30.

Z e 1 i n k a, T. Č. (Hrsg.) : Cesty Českých bratří Matěj e Červenky a Jana Blahoslava [Die Rei- sen der Böhmische n Brüder Matthia s Červenk a und Jan Blahoslav]. Prah a 1942. -Hrubý , Františe k (Hrsg.) : Etudiant s tchěque s aux écoles protestante s de l'Europ e occidental e ä la fin du 16e et au debu t du 17e siěcle. Documents . Brno 1970. Aus der umfangreichen Literatu r erwähn e ich nur die grundlegenden Werke, in denen weitere bibliographische Angaben gemacht werden: Šmahel , František/T r u c , Miroslav: Studie k dějinám University Karlovy v letech 1433-1622 [Studie n zur Geschicht e der Karls- Universitä t in den Jahren 1433-1622]. Acta UC - HUCP IV/2 (1963) 3-60. - Šmahel , František : Regionální původ, profesionální uplatnění a sociální mobilita gradouvaných stu- dent ů pražské univerzity v letech 1433-1622 [Die regionale Herkunft, die professionelle Betätigun g und die soziale Mobilität der graduierten Studente n der Prager Universitä t in den Jahre n 1433-1622]. Zprávy AUK 4 (1982) 3-28. - Pešek, Jiří/Šaman , : Student i z Čech na zahraničníc h universitác h v předbělohorské m čtvrtstoletí [Studente n aus Böhme n 350 Bohemia Band 32 (1991)

Die bisherige Forschun g vermochte für den Zeitraum von 1503 bis 1622 mehr als 5200 an ausländischen Universitäten eingeschriebene Studenten aus Böhmen und Mähre n nachzuweisen31. Auf Grund der nur bruchstückhaft erhaltenen Quellen erfaßt diese Zahl natürlich bei weiten nicht das tatsächliche Ausmaß des Studiums böhmische r und mährischer Landesbewohner an ausländischen Universitäten. Die aus den Quellen gewonnenen statistischen Angaben erlauben allerdings, die Intensitä t und die Hauptrichtunge n der Studienreisen festzustellen. Die Kurve der Häufigkeit des Besuchs ausländischer Hochschulen durch Einwohner der böhmischen Länder besaß bis zum Beginn der lutherischen Reformation eine steigende Tendenz. Nach einem vorübergehenden Absinken und einer anschließenden allmählichen Konsoli- dierun g in den zwanziger bis vierziger Jahre n des 16.Jahrhundert s setzte nach 1550 ein heftiges Wachstum der Studentenzahle n ein, das mit kleineren Schwankungen bis zur Schlacht am Weißen Berge andauerte. Auch bei der Unvollständigkeit der uns zur Verfügung stehenden Statistiken kommen wir in jedem Jahr auf eine Zahl von ungefähr 40 bis 50 (in einigen Jahre n allerdings auf über 90) böhmisch e und mährisch e Studenten , die sich an ausländischen Universitäten immatrikulierten . Diese jungen Reisende n verließen ihre Heimat in verschiedene Richtungen. Die deutschsprachi- gen Bewohner Böhmens und Mährens suchten zu Beginn des 16.Jahrhundert s vor allem die geographisch nahegelegenen Universitäten in Wien und Krakau auf; in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert s gingen sie auch nac h Altdor f und Frankfur t an der Oder. Eines dauerhaften Interesses erfreute sich die Universität in Leipzig. An diesen Lehranstalten erwarben die deutschsprachigen Bewohner der böhmischen Lände r eine dem damaligen Standard entsprechende Hochschulbildung, die ihre zumeist an städtischen Partikularschulen gewonnenen Kenntnisse fortentwickelte. Andere Bevölkerungsgruppen stellten spezielle Ansprüche . Sie besuchte n Universitä- ten mit einem höhere n Prestige oder mit einer ausgeprägten konfessionellen Orientie- rung. An der Wende vom 16. zum 17.Jahrhundert fühlten sich die Lutheraner vor allem von Leipzig, Wittenberg und Frankfur t an der Oder angezogen, weniger schon von Jena, Tübingen und Straßburg. Die böhmischen und mährischen Calvinisten studierte n vorrangig in Basel, Genf und Heidelberg; die Katholiken vor allem in Ingolstadt . Begüterte Studenten wählten auch Universitäten in Italien, Frankreich , den Niederlande n und England 32. Ein beträchtliche r Teil der reisende n Studente n begnügte sich nicht mit dem Besuch einer einzigen Universität. Die Auswahl unterschiedliche r ausländischer Universitä- ten erfolgte gegen End e des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhundert s entsprechen d dem sozialen Ursprun g der Studente n - während die Sprößlinge bürgerlicher Familien ins- besonder e verschiedene deutsche lutherische Universitäten aufsuchten, setzten die

an ausländischen Universitäten im Vierteljahrhunder t vor der Schlacht am Weißen Berge]. Ústeck ý sborník historický (1983) 173-218. - Petráň , Josef: Nástin dějin Filozofické fakulty University Karlovy v Praze [Abriß der Geschicht e der Philosophische n Fakultä t der Karls-Universitä t in Prag]. Prah a 1983, 37-60. Diese Zahle n stellen die auf die Jahr e 1503-1622 reduzierte n Angaben aus Šmahel/Truc : Studie 51 dar. Vgl. Anm. 30. J. Pánek, Reisende aus Böhmen 351

Adligen ihr Studium nach dem Aufenthalt an einer deutschen Lehranstal t oft an den Akademien in der Schweiz, in Frankreic h oder in den Niederlande n fort. Begüterte Studente n besuchten auch (zumeist ohne Interesse am Erwerb eines akademischen Grades ) drei und mehr Hochschulen . Oftmals studierten sie nicht, um tatsächlic h am Lehrbetrie b teilzunehmen, sondern um direkte Kontakte mit der internationale n Kommunitä t der Gelehrten anzuknüpfen , und auch, um auf ihren Reisen die Privi- legien der jeweiligen Universitätsgemeind e in Anspruch nehmen zu können 33. Die um des Erwerbs oder der Erhöhun g der Hochschulbildun g willen unternom - mene n Reisen besaßen eine vielseitige kulturelle und politisch e Bedeutung . Vor allem hoben sie das allgemeine intellektuelle Niveau der böhmisch-mährische n Stände- gesellschaft und beschleunigten den Prozeß der Bürokratisierung der städtischen und staatlichen Verwaltung. Sie ermöglichte n die Beherrschun g von Fremdsprache n und den Zugang zu Informatione n und die Anknüpfun g persönlicher Verbindungen ohn e Rücksicht auf die Landesgrenzen . Im Ergebni s längerer Aufenthalt e im Ausland wuchs auch das Selbstbewußtsein der Gelehrten . Nach ihrer Rückkeh r in die Heima t vermochte n sich diese oftmals nicht in die Durchschnittlichkei t ihre s ursprünglichen Milieu s zu fügen und setzten sich nicht selten mit Erfolg in Verwaltungs- und kirch- lichen Funktionen , aber auch im literarische n Schaffen durch. Den Intellektuellen , die wissenschaftlich e Interessen besaßen, vermittelte der Aufenthalt in fremden Verhält- nissen wertvolle methodologisch e Anregungen, die sich u. a. in der Entwicklun g der tschechische n Rechtswissenschaften , Historiographie, Rhetorik und Linguistik nie- derschlugen . Ein sehr wichtiges Resultat der ausländischen Studienreisen von Ein- wohner n des böhmischen Staates bestand in der Festigung der Bindungen zwischen den einheimischen und ausländischen Glaubensgenossen. Mancher Student verließ währen d seines Auslandsaufenthaltes die Plattform der gemäßigten theologischen Doktrine n des relativ toleranten böhmisch-mährische n Milieus und machte sich die konfessionelle und politische Orientierun g markante r Lutheraner , Calvinisten oder aber von der Entwicklun g nach dem Triente r Konzil geprägter Katholiken zu eigen. Nac h ihrer Rückkeh r wirkten die Hochschulabsolvente n dieses Typu s auf die Radika - lisierung des eigenen konfessionellen Lagers in den böhmische n Ländern ein; einige Studente n konvertierte n gar unter dem Eindruc k ihrer Reiseerlebnisse . Aber auch all- gemein läßt sich feststellen, daß der Eintrit t einstige r Studente n ausländische r Univer- sitäten ins öffentliche Leben eher zur Radikalisierun g des kompromißlose n Katholi- zismus, zur Lutheranisierun g des Neuutraquismu s und zur Calvinisierung der Brü- derunitä t beitrug. Die Integration in die internationalen konfessionell-politischen Lager verschärfte die inneren Spannungen der böhmisch-mährische n Gesellschaft und beschleunigte auf ihre Weise die zum radikalen Zusammensto ß im antihabsburgi- schen Ständeaufstan d der Jahr e 1618 bis 1620 führende Entwicklung34.

Siehe auch Hofmann , H. H. : Eine Reise nach Padu a 1585. Dreifränkischejunke r „uff der Reiß nachltaliam" . Sigmaringen 1969. -Müller , Karel: Tři evangeličtí studenti z českých zemí v Padově na konc i 16. století [Dre i evangelische Studenten aus den böhmische n Länder n in Padu a zu Ende des 16. Jahrhunderts] . Z kralické tvrze 12 (1985) 16-23. Eine umfangreiche biographische Dokumentatio n zu dieser Problematik findet sich bei Hejnic , Josef/M a r t í n e k, Jan: Rukověí humanistickéh o básnictví v Čechác h a na Morav ě 352 Bohemia Band 32 (1991)

Das Interess e der Reisende n an der Kunst , insbesonder e an Architektu r und Malerei , aber auch an der Bildhauere i und am Kunsthandwerk , an Musi k und Theate r läßt sich aus einer Reihe von Reiseaufzeichnungen adliger Kavaliere, Studenten, kirchlicher Würdenträger , Politiker und Soldaten ablesen. Ordnen wir jedoch die Reiseunter- nehmunge n solcher Vertreter der Belletristik, der bildende n Kunst und der Musik wie beispielsweise Wenzel Budowetz von Budov, Friedric h von Dohna oder Christop h Haran t von Polschitz den Kavaliersreisen zu35, dann besitzen wir bisher nur sehr wenig Kenntni s über spezialisierte Reisen mit ausgeprägt schöpferischen Absichten36. Als Beispiel, allerdings umgekehrt nach Böhmen hin gerichtet, kann uns die Be- schreibun g und Analyse der Reise dienen, die im Jahre 1602 Jan Willenberg unter- nah m und die es diesem hervorragende n Zeichne r möglic h machte , getreue Ansichten böhmische r Städte zu schaffen37. In ähnliche r Richtun g könnt e sich das Studium der Reisen aktiver Schöpfer der böhmische n und mährische n Renaissancekuns t bewegen. Bisher sehen wir die Motivatio n kulturelle r Veränderunge n allerdings überwiegend in den Reisen von Mäzenen , die sich im Ausland den Lebensstil der Renaissanc e ange- eignet hatten un d für ihre Höfe dementsprechend e Künstle r auswählten, begründet. Die angeführte n sechs Typen des Reisens lassen sich, wenn auch in bescheidenere m Maße , bereits im Spätmittelalte r belegen. Aber gerade an der Schwelle der Neuzeit setzte in dieser Hinsicht in ganz Europa und auch in Böhmen eine prinzipielle Ver- schiebun g ein. Das Eindringen in früher unbekannte geographische Räume und die Entdeckun g neuer Kontinent e „vergrößerten " die Welt zwar, verliehen ihr zugleich aber auch eine konkrete Gestalt und erhöhte Anziehungskraft . Die Keime eines all- umfassende n Netzes des Welthandels auf der einen Seite und der Aufschwung der zentralisierte n Staatsmacht andererseit s führten im 16. Jahrhunder t zu einschneiden - den Veränderungen. Die bedeutenderen europäischen Zentren wurden durch regelmäßige Postverbindungen sowie durch die festen Bande zwischen Finanz- zentrale n und Zweigstellen der großen Handelshäuser miteinander verknüpft. In Europ a entstand ein relativ entwickeltes Informationssystem (handgeschriebene Wochenzeitunge n und darüber hinaus gedruckte Reisebeschreibungen und ver- schiedenartigst e Nachrichte n übe r das Geschehe n im Ausland). In den Hauptstädte n

I- V [Handbuch der humanistischen Dichtung in Böhmen und Mähren I-V]. Prah a 1966-1982. -Au s einer Reih e partielle r Studien führe ich an: Teplý, František: Pro č se stal Vilém Slavata z Chlum u a Košumberk a z Českého bratra katholíke m [Warum aus dem Böh- mischen Bruder Wilhelm Slawata von Chlu m und Koschumberg ein Katholik wurde]. SHK 13 (1912) 205-221. -Janáček : Valdštejn 35 ff- Diwald, Helmut: Wallenstein. Biographie . Frankfur t am Main/Berli n 1987, 29 ff. - M a n n , Golo : Wallenstein . Sein Leben . Frankfur t am Mai n 1987,24ff. - Vgl. auchHaupt , Herbert : Fürst Karl I. von Lichtenstein . Hofstaa t und Sammeltätigkei t I. Wien-Köln-Gra z 1983. Erben (Hrsg.): K. Harant , Cesta; Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donína ; Re j chr- tová, Noemi: Václav Budovec z Budova, Antialkorán [Wenzel Budowetz von Budow, Antikoran] . Praha 1990. Ein - bisher einzeln dastehende s - Beispiel bildet die Studienreis e des Stillebenmaler s Georg Flegel aus Olmüt z in die Niederlande ; Polišenský: Nizozemská politika 104 f. Truc, Miroslav: Vznik Willenbergova strahovskéh o skicáře [Die Entstehun g des Willen- bergschen Strahower Skizzenbuchs]. In: Miscellane a oddělen í rukopisů a vzácných tisků 5 (1988) 179-198. / . Pánek, Reisende aus Böhmen 353 der Staaten ließen sich diplomatische Vertretungen nieder. Dies alles verstärkte das Bedürfnis, öfter auf Reisen zu gehen und fremde Länder besser kennenzulernen . Zugleich entstande n für die Befriedigun g dieser Bedürfnisse günstigere Voraussetzun- gen als je zuvor38. Die zunehmende n Gelegenheite n zum Besuch fremder Länder konnte n die Reisen- den aus Böhme n natürlic h nu r bei Berücksichtigun g rechtlicher, finanzieller und ver- kehrstechnische r Voraussetzungen nutzen. Sofern sie das Gebiet eines anderen souveräne n Staates bereisen wollten, mußten sie sich mit einem „Paß", einer vom eigenen Herrscher ausgestellten Beglaubigung der persönlichen Identität und des Reiseziels, ausweisen. Bei Einreise in weitere Staaten mußte n sie sich je nach örtliche r Vorschrift weitere „Pässe" besorgen (die in diesem Falle dem moderne n Visum schon recht nahestanden). Diese Reisedokumente stellten die Behörden der besuchten Lände r aus. Sie berechtigte n zur Durchreis e durch das entsprechend e Gastgeberland . Mitunte r wurde neben dem „Paß" eine schriftliche Bestätigung dessen verlangt, daß der Reisende nicht aus einem Gebie t kommt , in dem Seuche n wüteten . (Mit besonde - rer Konsequenz wurde diese Bestimmung beim Betreten Venedigs angewandt39.) Für Adlige, daran gewöhnt, im abgeschlossenen Raum des unantastbaren Landes- recht s zu leben, war das eine große Schule, in der sie gezwungen waren, tief ver- wurzelte Gewohnheiten zu überwinden und sich an abweichende Rechtssysteme 40 anzupasse n . Die finanziellen Ansprüche, mit denen das Reisen im 16. Jahrhunder t verbunden war, verlangten nach der Anwendun g neuer Forme n finanzielle r Kontakte, denn der Transpor t größerer Summen Bargelds über weite Entfernunge n war äußerst riskant, und sofern man die Reisen zu Pferde unternahm , wurde schon das bloße Gewicht der mitzuhelfende n Münzen zu einem Problem 41. In den böhmischen Ländern war die Geldwirtschaf t nicht in einem mit Norditalien, Süddeutschlan d oder den Nieder- landen vergleichbaren Maße entwickelt. Deshalb suchten begüterte Reisende aus den Länder n der Wenzelskrone, die in der Regel die Transport- und Unterbringungs- kosten ganzer Reisegesellschaften finanzierten, Kontakt zu den führenden süd- deutsche n Handelshäusern , insbesondere zu den Fuggern und Welsern, bei Reisen nach Italien auch zu Handelshäusern in Tirol, um deren Geldwechseldienste in Anspruch zu nehmen. Auf vertraglicher Grundlage boten sie diesen Finanziers

Eine Zusammenfassung der Problematik findet sich bei Mjczak: Zycie codzienne. - Ders. : Peregrynacje; Aufgaben und Möglichkeite n der historische n Reiseforschung. SOA Brunn, G 83, Cop. 16, Fol. 11. - Erben (Hrsg.): K. Harant , Cesta I llf. - Grund (Hrsg.) : Cestopi s Bedřicha z Donína 104 und 180. - Příběh y Jindřicha Hýzrla z Cho- dů 158. - Páne k (Hrsg.) : V. Břežan, Životy II 388f. - Ders. : Výprava 30 und 147, Anm. 45. Vgl. Conrads , Norbert : Politisch e und staatsrechtlich e Problem e der Kavalierstour. In: Reisebericht e als Quellen europäische r Kulturgeschichte . Wolfenbütte l 1982, 45-64. Der Bischof Stanislaus Pavlovský schrieb seinem Bruder Hanu š Pavlovský am 19. August 1592 bezeichnenderweise , daß er zum Transpor t „solche s Geld, und wenn möglich in Gold , so daß es ihnen leichte r fiele, es mitzunehmen , da sie nur zu Pferde reisen werden ..." bereit- stellen werde. SOA Brunn, G 83, Cop. 30, Fol . 163v. 354 Bohemia Band 32 (1991) böhmisch e oder andere mitteleuropäisch e Währungen an, und diese zahlten den Rei- senden aus den böhmische n Ländern in Italien oder anderswo mittels ihrer Faktoreie n entsprechend e Geldbeträge in den jeweiligen ortsüblichen Währungen aus42. Einige dieser Finanzoperatione n wurden auch auf der Basis kurzfristiger Darlehen verein- bart; mitunter konnten die finanziell erschöpften Reisenden aus Böhmen auch im Gastlan d solche aufnehmen, sofern sie natürlich hinreichen d glaubwürdige Bürgen fanden . (Im Jahr e 1563 verbürgte sich in Brüssel beispielsweise Wilhelm von Oranien für ein Darlehe n von 4000 Goldstücke n an Pete r Wok von Rosenberg43.) Direkt e Kontakte mit verhältnismäßig weit entfernten Handelshäusern stellten nich t immer die günstigste Form der finanziellen Absicherung einer Reise dar. Des- halb entwickelten sich parallel dazu weitere Formen des Geldtransfers, insbesondere auf diplomatischem Weg. Der Bischof von Olmütz, Stanislaus Pavlovský, überwies seinen langfristig in Italien weilenden Schutzbefohlenen in denjahren 1579 bis 1586 entsprechend e finanzielle Unterstützun g über den venezianischen oder ferrarischen Gesandte n bzw. über den päpstlichen Nuntius am Kaiserhof. Die, Beauftragte n des Bischofs leisteten eine Bargeldzahlun g in die Händ e des betreffenden Diplomaten in Prag, und dieser gab anschließend eine entsprechend e Anweisung zur Auszahlung eines adäquaten Betrags in Venedig, Ferrara, Rom oder an andere r Stelle. Neben die- sen fortgeschrittenere n Methode n fand aber auch noc h der direkte Transpor t von Bar- geld ins Ausland, insbesondere in die Städte der nächsten mitteleuropäische n Nach- barn, breite Anwendung. Mit solchen Transporten betraute man gern entweder spezielle Boten oder aber Geistliche bzw. Beamte des kaiserlichen Hofes. Ihrem Wesen nach wirkten die finanziellen Aufwendungen für das Reisen jedoch dahin- gehend , daß sich die Bewohne r der böhmische n Länder enger an das westeuropäische Bankensyste m anschlössen und dessen Dienste verstärkt in Anspruch zu nehmen begannen 44. Auf ähnliche Weise vollzog sich der Anschluß der böhmischen Länder an das europäisch e Transportsystem. Die Reisenden aus Böhmen und Mähren machten sich im Ausland alle Transportmittel , auf die sie in der jeweiligen Region trafen, zu- nutze . Sie berühre n schiffbare Flüsse in Boote n oder bewegten sich auf den zugefrore- nen Kanälen der Niederlande in Schlitten fort45. Hatten sie Interesse n a einer möglichst schnellen Beförderun g von Ort zu Ort, ohne sich mit der Sorge um eigene

Pa'nek : Výprava 110-133. -Vgl. Maczak, Antoni : Ceny, place i koszty utrzymani a w Europi e Šrodkowej. W poszkiwaniu nowych žródel dla dziejów XVI wieku [Preise, Löhn e und Lebenshaltungskosten in Mitteleuropa. Auf der Suche nach neuen Quellen zur Geschicht e des XVI. Jh.], Przeglad Historyczny 64 (1973) 741-769. - Ders.: Žycie co- dzienne81ff. Pa'ne k (Hrsg.): V. Břežan, Životy II, 389. SOA Brunn, G83, Cop. 17, Fol.38v-40r; Cop. 21, Fol. 168v-169r; Cop.24, Fol.308v- 309v, 321v-322r; Cop. 30, Fol. 108v, 162v, 163v; Cop. 31, Fol. 13r-14r , 226r-227v. Zum Schiffstransport siehe B r and 1, Vincenc (Hrsg.) : Spisy Karla staršího z Žerotín a II/ l [Die Schriften Karls von Zieroti n d.Ä. II/l] . Brno 1870, 56. - Jireček: Václav Budovec 420. - Grund (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donína 82, 88, 198. - Zum Transpor t mit Schlitte n siehe das Tagebuch Peter Woks von Rosenber g im SOA Wittingau, CRR 21. / . Pánek, Reisende aus Böhmen 355

Pferde und Wagen aufhalten zu wollen, benutzten sie die Postverbindungen , die die Lände r der Wenzelskron e bereits im Jahr e 1526 an Süd- un d Westeurop a anschlössen. Das auf Eilpostkutschen gestützte Transportnetz wurde im Verlaufe des 16.Jahr- hundert s zunehmend dichter. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung nach dem Jahre 1583, in dem die böhmische Metropole zur Residenzstadt des Römisch- Deutsche n Kaiserreiches wurde. Regelmäßige Postverbindungen mit Prag unterhiel - ten um das Jahr 1600 siebzehn der bedeutendsten Verkehrs Zentre n Europas. Die prinzipiell e Orientierung der böhmischen Länder auf Mitteleuropa kam in den Trassen nach Wien, Linz, Innsbruck, Bamberg, Nürnberg und Frankfurt am Main zum Ausdruck. Während der Verkehrsanschlu ß an den Norde n und Osten minimal war (nur Danzig) , bestande n mehrere Verbindunge n nach Italien (Venedig, Mailand, Rom und sogar Neapel), in die Schweiz (Baden, Lausanne) und nach Frankreich (Paris, Lyon). Auch in die Niederland e (Brüssel) und sogar nach Spanien (Madrid) konnt e man von Prag aus reisen. Während sich in den Unternehmunge n böhmische r Reisende r das Bemühen widerspiegelte, Anschluß an das übrige Europa zu finden, kam in der Eingliederung Prags in das internationale Postsystem das umgekehrte Bedürfni s West- und Südeuropas nach Integration der böhmischen Länder in das europäisch e Kommunikationsnet z zum Ausdruck46. Die Reisegeschwindigkeit wurde im 16.Jahrhundert allgemein vom schlechten Zustan d der Landstraße n begrenzt. Sie ließ sich aber durch regelmäßigen Wechsel der Reit- oder Zugpferde beträchtlich erhöhen 47. Bei der relativ schnellsten Fortbewe- gungsart, d.h. im Sattel, konnte ein Reiter im Durchschnit t etwa 120 km pro Tag zurücklegen . Solche Geschwindigkeite n ließen sich erreichen , wenn die Reiter bestän- dig frische Pferde zur Verfügung hatten, die in den ganz West-, Südwest- und Mittel - europ a errichteten Poststatione n bereitstanden , oder aber, wenn sich frische Pferde wie auf dem Territoriu m des Osmanischen Reiches durch rücksichtslose Einziehung des Eigentums christlicher Kaufleute oder Bauern durch die türkische Militärbeglei- tung gewinnen ließen. Unter solchen Umständen bewältigte zum Beispiel Wenzel Budowetz im Jahr e 1577 die Entfernun g zwischen Buda und Konstantinope l im Ver- laufe von zwölf Tagen48. Die gleiche Zeitspanne braucht e ein Eilbote im Jahre 1592, der Nachrichte n vom päpstlichen Hof in Rom nach Kremsier brachte 49. Eine schnelle Reise von Prag nach Warschau dauerte im Jahre 1593 neun Tage50, während die

Roubík , František: K vývoji poštovnictví v Čechách v 16. až 18. století [Zur Entwicklun g des Postwesens in Böhme n im 16. bis 18. Jahrhundert] . Sborní k Archivu ministerstva vnitra 10 (1937) 164-302. - Polišenský, Miroslav: Poštovní itineráře doby předbělohorské a jejich význam pro dějiny poštovnictví českých zemí [Die Kursbüche r aus der Zeit vor der Schlach t am Weißen Berge und ihre Bedeutung für die Geschicht e des Postwesens in den böhmische n Ländern] . In: Archivní prameny k dějinám poštovnictví. Praha 1983, 47f. Die vergleichbar e Situation in etwa zum Jahr e 1500 und die Transportmöglichkeite n im Spät - mittelalte r siehe bei P e t r á ň : Dějin y hmotn é kultury 1/ 2 817-820. Die Errechnun g dieser Geschwindigkeit stützt sich auf J i r e č e k: Václav Budovec 423. SOA Brunn, G 83, Cop. 16, Fol . 214. Letošník , Václav: Poselství Václava Berky z Dube a na Rychmburc e k polskému dvoru 1593 [Die Gesandtschaf t Václav Berkas von Dub a und zu Rychmbur k zum polnische n Hofe 1593]. In: Z dějin Evropy a Slovanstva. Sborník k 60. narozeniná m J. Bidla. Praha 1928, 301. 356 Bohemia Band 32 (1991) bequemere Reise Christoph Harants von Westböhmen nach Venedig im Frühjahr 1598 ungefähr 17 Tage in Anspruch nahm51. In der Postkutsche kam man natürlich erheb- lich langsamer voran als im Sattel. Reiste man auf eigenen Pferden, in Kutschen und Begleitwagen, u.U. zudem mit einem Troß von Lasteseln, ließen sich in ebenen Land- schaften 30 bis 70 km pro Tag zurücklegen, im Gebirge höchstens 30 bis 40 km. Bei einer längeren Reise war eine solche Tagesleistung allerdings nur bei häufiger ein- bis zweitägiger Unterbrechung der Reise zu erreichen, so daß man im Wochendurch- schnitt etwa 150 bis 300 km zu bewältigen vermochte. Auf diese Art und Weise legten Reisende im Jahre 1551 die Strecke von Südböhmen bis zur Mittelmeerküste bei Genua in ungefähr einem Monat angespannter Fahrt zurück52. Die angeführten Zahlen gelten natürlich nur annähernd, da die Reisegeschwindigkeit neben dem benutzten Transportmittel vor allem vom momentanen Zustand der Landstraßen und vom Wetter abhing. Im Prinzip wird jedoch deutlich, daß eine Reise in ein beliebiges politisches oder kulturelles Zentrum Europas für einen Einwohner Böhmens oder Mährens im 16. Jahrhundert - insbesondere in dessen letzten Jahrzehnten - zu einer Angelegenheit von Tagen bzw. wenigen Wochen wurde. Dank der Veränderungen in der Organisation des Transports und der Finanzierung verlor das Reisen in der Renaissance-Epoche den Charakter eines persönlichen Opfers, das nur Menschen von soldatischer Disziplin oder asketischer Selbst- verleugnung auf sich zu nehmen bereit waren. Reisen wurde vielmehr zu einer Ver- führung. Neben der Flucht aus dem Alltagsleben und der Ausweitung des eigenen Blickfelds bot es nunmehr auch eine gewissen Bequemlichkeit und zumeist darüber hinaus eine Reihe angenehmer Erlebnisse. Reisen war nicht mehr bloß ein Mittel zur Erreichung eines geographischen Zielpunktes; es verwandelte sich selbst in eine sinnvolle Tätigkeit. Auch den Studenten ging es nicht mehr nur um die Über- windung der Entfernung zum auserkorenen Universitätszentrum. Das Reisen in fremde Länder, an Herrscherhöfe oder an die Höfe bedeutender Magnaten, in präch- tige Städte, zu Handelshäfen und Grenzfestungen wurde nun für sich genommen zu einer Sache der Bildung. Reisen war eine geeignete Form der Vorbereitung auf eine künftige Karriere als Politiker, Höfling, Beamter oder höherer Offizier. Es wurde im Verlaufe der Zeit zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil derjenigen sozia- len Schichten, die sich diese Beschäftigung erlauben konnten und deren Angehörige sich von der gewonnenen Weltkenntnis weiteren gesellschaftlichen Aufstieg verspra- chen. Bei den hohen Kosten, die Auslandsreisen verursachten, konnten sich vor allem gut situierte Adlige und reiche Bürger diesen Luxus leisten. In diesen Schichten ent- stand der neuzeitliche Reiseverkehr als eine vielseitige gesellschaftliche Aktivität, an der allerdings nicht nur die begüterten Reisenden selbst teil hatten, sondern in der Rolle von Erziehern, Höflingen, Dienern und bewaffneten Begleitern auch Angehörige weniger wohlhabender oder gänzlich besitzloser Schichten53. Der ein-

Erben (Hrsg.): K. Harant, Cesta I, 12. Pánek: Výprava58. Die Größe der Reisegesellschaften bewegte sichvo n der minimalen Anzahl von zwei Personen (ein Adliger und sein Diener) bis zur etwa zwanzigköpfigen Suite eines Aristokraten, in der unter Führung eines Hofmeisters Angehörige des niederen Adels in der Rolle von Pagen / . Pánek, Reisende aus Böhmen 357 dimensional e Zweck des Reisens wuchs in eine komplexe Motivation hinüber, in der sich politische, diplomatisch e und militärisch e Anliegen mit kulturellen und reli- giösen Absichten verbanden. Die Reisenden traten in komplizierte ökonomische Beziehunge n ein, sowohl zum Gastland als auch zu ihrer Heimat, von wo aus sie finanziell unterstützt wurden . So entstan d der für die frühe Neuzeit charakteristische , seinem Wesen nach synthetische Typ der Kavaliersreise, den man wegen der außer- ordentlic h hohen Repräsentan z der Aristokratie und der sie umgebenden Diener- schaft treffender als adlige Reiseunternehmun g bezeichnen kann. Den Prototy p der adligen Reiseunternehmun g bildeten die in der Mitt e des 16. Jahr - hundert s mehrfach wiederholten Reisen der böhmischen Nobilität nach Italien, ins- besonder e die große Expedition nach Genua in den Jahren 1551 bis 1552. Diese umgefähr siebenmonatige Reise durch die Alpenländer und Norditalie n führte über Innsbruck , Bozen, Mantua , Cremon a und Mailand nach Pavia, Voghera und Genua . In der rund zweihundertköpfigen böhmischen Reisegellschaft befanden sich 23 Angehörige des Herrenstandes und 30 Ritter. An ihrer Spitze standen Vertreter der bedeutendsten aristokratischen Geschlechter wie Wilhelm von Rosenberg, Wratislaw von Pernstein und Zacharias von Neuhaus. Die Begleitung bestand aus zahlreiche n Bürgerlichen und Untertanen . Die Expedition hatte ursprünglich den Auftrag, Maximilian II. und dessen Gattin Maria, die aus Spanien zurückkehrten , zu begrüßen . Unter dem Einfluß kriegerischer Ereignisse zog sie sich jedoch beträchtlic h in die Länge. Die Teilnehmer entgingen für die Dauer dieser Reise dem Alltags- leben in der Heimat. Sie bot ihnen eine Vielzahl ungewöhnlicher Erlebnisse und ermöglicht e ihnen persönliche Kontakte zu den italienischen Fürstenhöfen, zum Adel, zur Geistlichkeit, aber auch zu den universitären Kommunitäten . Sie öffnete den Reisende n den Einblic k in früher ungekannt e Sphäre n der Politi k un d Kultur . Die Umständ e dieses Reiseunternehmen s schufen Bedingungen für die politische Selbst- bewußtwerdun g der beteiligten böhmischen Adligen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur Habsburgerdynastie und zu den europäischen Großmächten , aber hinsichtlich der Beziehungen zwischen den verschiedenen Ständegruppierungen innerhalb der böhmische n und mährische n Ständekommunität . Die jungen Aristokraten, die sich an der Expedition beteiligten, nahmen relativ kurze Zeit später höchste Regierungsfunktione n in Böhmen und Mähren ein, in die sie in den sechziger bis achziger Jahre n des 16. Jahrhundert s den gewonnene n Einblick in die europäischen Verhältnisse zum Nutzen des Landes einzubringen wußten. Sie zeigten ein tiefes Interesse an internationale n Ereignissen, und nach ihrer Rückkehr sicherte n sie sich den Zugang zu den neueste n Nachrichte n aus dem Ausland in For m wöchentliche r geschriebener Relationen aus allen Teilen Europas . Sie kehrte n mit dem

und Höflingen sowie die Leibdiener des Magnaten einschließlich des Schreibers, Kochs, Schneider s und der Pferdeknechte vertreten waren. Bei diplomatischen Missionen oder bei Feldzügen stieg die Anzahl der Personen , die den Magnaten auf der Reise begleiteten, beträchtlich . Zur Gefolgschaft kamen dann Bewaffnete, ein Arzt, ein Priester, aber auch Musikante n usw. hinzu. Auf diese Art und Weise kam eine erhebliche Anzahl nicht vermögende r Personen in den Genuß des Reisens. Eine Reihe von Belege für diese Fest- stellung bringt Páne k (Hrsg.) : V. Břežan, Životy I—II passim. - Ders.: Výprava 43ff. und 175 ff. 358 Bohemia Band 32 (1991)

Wissen um die außerordentliche n finanzielle n Erfordernisse des Reisens in die Heima t zurück (einige von ihnen hatten unterwegs erhebliche Schulden gemacht), aber auch bereicher t um das intensive Erleben der Kultur des Italiens der Spätrenaissance . Aus den Reihen der Teilnehmer an dieser Expedition gingen die größten Förderer der Renaissancekuns t in Böhmen und Mähre n hervor, die Auftraggeber für den Bau von Schlössern , Palästen und Gärten nach italienischem Vorbild. Unter dem unmittel- baren Eindruck der Begegnung mit der norditalienischen Musikkultur entstand in Kruma u im Jahre 1552 die erste adlige Kapelle in den böhmischen Ländern, die sich in ihrem Repertoir e später eindeutig auf die Interpretatio n italienischer , französischer und niederländische r Renaissancemusik spezialisierte. Die an der Kavaliersreise der Jahre 1551 bis 1552 beteiligten böhmischen und mährischen Aristokraten machten sich während ihres Aufenthaltes in Italien rasch den Lebensstil der einheimischen Nobilitä t zu eigen, insbesondere hinsichtlich der Kleidermode und der Kochkunst. Die sie begleitenden Schneider und Köche wiederru m erwarben die zur Befriedigung der neuen Ansprüch e ihrer Herrschafte n erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen . Diese Expedition, wie auch eine Reihe weiterer Reiseunternehmen , übertrug viel- fältige Impulse der Spätrenaissanc e nach Böhme n und Mähren , un d zwar nicht nu r in Gestal t zufälliger Importe , sondern als nicht wegzudenkende r Bestandteil des Lebens der privilegierten Schichten der Ständegesellschaft54. Kürzer e und weniger prunkvolle Reiseunternehmungen des böhmischen und mährische n Adels fanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert s noch mehrfach unte r dem Patroná t der Habsburge r statt. Ziellände r waren Frankreich , Pole n und die Niederlande 55. Die große italienische Expedition diente aber auch einzelnen Adligen als entscheidend e Anregung dafür, selbständig die Länder Süd- und Westeuropas zu bereisen. Das Ausgangsmotiv für den Entschluß, auf Reisen zu gehen, konnte der Wunsch sein, eine bestimmte Universität oder einen bestimmten Herrscherho f zu besuchen . Aber auch Einladunge n ausländischer Magnaten an ihre böhmische n oder mährische n Freund e spielten bereits eine Rolle. Eine solche Einladun g von Seiten Wil- helms von Oranien stand am Beginn der großzügig angelegten Kavaliersreisen Pete r Woks von Rosenberg ins Rheinland , in die Niederland e und nach England in denjahre n 1562 bis 1563. Diese Unternehmun g eröffnet e eine ganze Reihe ähnliche r Reisen böhmischer Adliger nach Großbritannien , in deren Verlauf es in der Regel auch zu einer Audienz am glanzvollen Hofe der englischen Königin Elisabeth I.

Ders. : Výprava. - Ders.: Renesančn í velmož a utváření hudební kultury šlechtického dvora K ( hudebním u mecenátu Viléma z Rožmberka) [Ein Renaissance-Magna t und die Herausbildun g der Musikkultur eines adligen Hofes (Zum musikalischen Mäzenatentu m Wilhelms von Rosenberg]. Hudebn í věda 26 (1989) 4-17. Den Auslandsreiseunternehmunge n des Adels ist bisher noch nich t in ausreichende m Maße Aufmerksamkei t gewidmet worden. Dokument e zu diesem Thema finden sich in einer Reih e von Archiven, z.B.: Österreichische s Staatsarchiv Wien, HHStA , Hofstaatsliste n (Exzerpte auch im Kreisarchiv Zwittau mit Sitz in Leitomischl, Pernstein-Dokumentation) ; Tiroler Landesarchi v Innsbruck, Oberösterreich . Hofregistratur , Ab, Fase. 1 un d 13; SOA Wittin- gau, Außenstelle Neuhaus, Familienarchi v der Herren von Neuhaus , Sign.II LI. Reisege- sellschaften , die in denjahre n 1570-1575 Angehörige der Habsburgerdynasti e begleiteten, verzeichnet e J a n á č e k : Rudolf IL ajehodoba43, 71, 115-127. / . Pánek, Reisende aus Böhmen 359 kam 56. Bei den einige Monate bis mehrere Jahre dauernden Kavaliersreisen durch- drangen sich, meist ohne Rücksicht auf den ursprünglichen Hauptzweck, alle Aspekte des Reisens und schufen einen einzigen Strom von Erlebnissen und Erkennt - nissen. Die böhmische n Adligen lernten das wirtschaftliche Entwicklungsniveau der besuchte n Länder kennen. Sie wurden sich des gewaltigen Umfangs des Übersee- handel s und der mit ihm verbundene n Finanzoperatione n bewuß t und suchten Erklä- rungen für die außerordentlic h hohe n Einkünft e ihrer Gastgeber . Sie besuchte n Herr - scherhöf e und die Höfe der Aristokratie, machten sich mit deren äußerer Etikette und ihrem politischen Hinterland bekannt. Mitunte r traten sie sogar in die Dienste fremder Höfe ein. Die Reisenden studierten die Befestigungsanlagen und Waffen- arsenale der Städte und Schlösser; einige nahmen auch an lokalen bewaffenten Aus- einandersetzunge n teil. Sie suchten Wallfahrtsort e auf, Dome und Klöster, um Bestä- tigung für ihren Glauben zu finden oder umgekehrt im Verlaufe der Zeit zu einer andere n Konfession überzutreten. Nicht selten wuchsen in ihnen aber auch nur die Zweifel gegenüber den veräußerlichten Glaubenspraktiken jeglicher der damaligen Konfessionen . Viele schrieben sich in die Matrike l universitäre r Kommunitäte n ein ; in der Regel widmeten sie sich aber mehr der lebendigen Praxis als dem theoretischen Studium . Und diese Praxis beschränkte sich nicht nur auf eine gründliche Besichti- gung (und anschließendes Nachahmen ) der besuchten Orte, sondern zielte auf das Kennenlerne n aller Seiten der hohe n un d der Alltagskultur ab. Nebe n den zahlreiche n architektonische n Sehenswürdigkeiten und deren Ausstattung mit Skulturen und Gemälde n interessierte n sich die Reisende n insbesonder e für Sammlungen von Kunst- gegenständen , Naturgebilde n und Kuriositäten . Sie kauften künstlerische und literari- sche Werke un d verfolgten alles Ungewöhnliche , angefangen von antiken Denkmäler n in Italien bis zu Shakespeares Globe-Theater in London. Insbesondere auf den Kavaliersreisen formten sich die Persönlichkeiten künftiger Mäzenaten, Sammler und Bücherliebhaber , die der böhmische n Kultur der Renaissanc e und des Manieris- mus ihren kosmopolitische n Charakter verliehen57. Erst die künftige Erforschung der Reisen des böhmische n Adels und seiner Beglei- tung wird uns alle Ziele, Äußerungsforme n und Resultate dieser Seite der internatio - nalen Beziehunge n aufzeigen. Bereits heute kann man aber sagen, daß die böhmische n Reisende n des 16. und des beginnenden 17.Jahrhundert s eine relativ genaue Kenntni s des überwiegenden Teils des europäischen Kontinent s erwarben. Komplex betrach- tet, spielte sich die grenzüberschreitend e Reisetätigkeit des böhmischen Adels auf mehrere n geographischen Ebenen ab. Lassen wir die Handelsbeziehungen , die eine eigenständig e Erörterung erfordern58, beiseite, lassen sich in etwa vier Horizonte

SOA Wittingau, CRR 21, Reiseaufzeichnunge n Peter Woks von Rosenberg . -Odložilík : Cesty z Čech a Moravy do Velké Británi e 4 f. -Pánek : Poslední Rožmberkov é 116 ff. Ich fasse an dieser Stelle meine Schlußfolgerunge n aller o. g. Quellen und Fachpublikatione n zusammen . Mit Rücksicht auf den begrenzten Umfang der vorliegenden Studie ist es nich t möglich, die einzelnen Behauptunge n durch Verweisungen zu belegen. Vgl. zumindest Janáček : Dějiny obchodu und aus der jüngst erschienene n Literatu r Spá- čilová, Libuše: Zahraniční obchod v předbělohorské Olomouci [De r Außenhande l im Olmüt z der Zeit vor der Schlach t am Weißen Berge]. FH B 13 (1990) 131-157. 360 Bohemia Band 32 (1991) ausmachen . Die geringsten Entfernungen legten die Reisende n im Rahme n des grenz- nahe n Verkehrs zurück, der vermutlic h beträchtliche Ausmaße besaß, von dem sich aber in den Quelle n nur fragmentarisch e Nachrichten niederschlugen . Solche Kon- takte besaßen nach außen hin zumeist gesellschaftlichen Charakter (wechselseitige Besuche der Aristokratie bei Gastmählern , Hochzeiten , Taufen, Begräbnissen und aus anderen konventionellen Anlässen), nicht selten dienten sie aber nebenher verschleierte n politischen Verhandlungen, darüber hinaus auch der Befriedigung kulturelle r Interessen. In kritische n Zeiten konnte n diese rasch vereinbarten und aus dem Blickwinkel der Regierungsmach t unkontrollierbare n Treffen einen konspirati- ven Charakter annehmen und die politischen Bindungen der Repräsentante n der Ständ e der böhmische n Länder zu ihren Nachbar n mitbestimmen . Dieser Fall tra t bei- spielsweise bei den gegenseitigen Besuchen böhmischer , mährischer , österreichischer und pfälzischer Aristokraten in denjahre n 1606 bis 1611 ein, in dene n diese antihabs- burgischen Politiker untereinande r Kontakt hielten, indem sie häufig zwischen den naheliegende n Herrensitzen Wittingau, Weitra und Gmün d hin- und herreisten und auf diese Weise ihre gemeinsame Oppositionspoliti k koordinierten 59. Die Reisen in größere Entfernungen , sofern sie im Prinzi p nich t im Verlaufe einiger Tage bzw. Wochen zu bewältigende Distanzen überschritten , benutzte n frequentierte Trassen, die von Böhme n in die bedeutendste n Zentren der Nachbarlände r führten. Nebe n den Hauptstädte n der österreichische n Länder (Wien, Linz, Innsbruck , Graz) und den süddeutsche n Reichsstädte n (Augsburg, Nürnberg , Regensburg) handelte es sich dabei um die Häuptstädte der benachbarten Reichsfürstentümer (Passau, München , Amberg zusammen mit Heidelberg , Dresden und Berlin) sowie um di e Regierungszentre n des polnische n und ungarischen Königreichs (Krakau und Preß - burg). Zählen wir zu den eben genannten die politisch und kulturel l anziehenden Reichsstädt e Frankfurt am Main und Straßburg hinzu, so ist damit die engere mittel- europäisch e Region gekennzeichnet, die der größere Teil des reisende n böhmischen und mährische n Adels persönlic h kennenlernte . An zwei extreme n Beispielen aus dem breiten sozialen Spektrum der böhmische n Adelskommunitä t läßt sich belegen, daß der Großteil dieser Bevölkerungsschicht den beschriebenen , relativ stabilen geogra- phische n Horizon t erwarb. Bei unsere m Beispiel handelt es sich um zwei Reisende, deren Aktivitäten sich auf der Grundlag e der erhaltene n Quellen lückenlos rekonstru- ieren und kartographisc h darstellen ließen. Auf der unterste n Stufe der Adelsgesell- schaft stand der wenig begüterte Ritter Jan Boreň Chlumčanský von Chlumčan , der in den Jahren 1570 bis 1610 elf Auslandsreisen unternahm, wahrscheinlic h des öfteren als Begleiter vermögender Adliger. Die meisten seiner Reisen spielten sich in dem oben angedeutete n geographischen Umfeld ab60. An der Spitz e der Vermögens- und Gesellschaftspyramid e des böhmische n Adels waren die Angehörigen der zwölf- ten Generation des Magnatengeschlecht s der Rosenbergs angesiedelt, die sich in

Páne k (Hrsg.) : V. Břežan, Životy II 578-630. - Ders.: Posledn í Rožmberkov é 306ff. - Vgl. auch H u 1 e c, Otakar : Konspiračn í charakte r předbělohorsk é protihabsbursk é opozice [De r konspirative Charakte r der antihabsburgische n Oppositio n in der Zeit vor der Schlach t am Weißen Berge]. JSbH 30 (1961) 97-102. Kunský: Čeští cestovatelé 1123-125. J. Pánek, Reisende aus Böhmen 361 den Jahren 1544 bis 1611 mehrere Dutzen d Male auf Auslandsreisen begaben; wie- derum überwiegend im beschriebenen mitteleuropäischen Raum61. Es handelt sich bei diesen Territorie n um eine Region mit eindeuti g dominierende r deutschsprachiger Bevölkerung, als deren Grenzpunkt e man Straßburg im Westen, Krakau im Osten, Berlin im Norde n un d Innsbruc k im Süden bezeichne n kann. Die überwiegend e deut- sche Sprache in einem jeweiligen bereisten Gebiet bestimmte in der Regel auch den sprachliche n Charakter der Kommunikanten der böhmischen und mährischen Reisende n mit dem Gastgeberland. Sofern die reisenden Adligen aus Böhme n und Mähre n den obengenannte n gekenn- zeichnete n geographischen Horizont Mitteleuropa s überschritten, wandten sie sich zumeist den entwickeltesten Regionen des damaligen Europas zu - Italien und den Niederlanden , gegebenenfalls weiteren Staaten Westeuropas. Solche Reisen gaben dem breiteren europäischen Horizont seine Konturen. Dieser umfaßte Nord- und Mittelitalien , die Schweiz, Frankreich, die Niederlande , Südostengland , die Hafen- städte an der Küste der Nord - und Ostsee und den Westteil der polnisch-litauische n Union . Dieser dritte geographische Horizont besitzt in etwa die Gestalt eines Drei- ecks zwischen London, Rom und Warschau. Das so bezeichnete Territorium ist allerdings um Ausläufer in entlegene Gebiete im Südwesten und Südosten des Konti- nent s zu erweitern, wohin sich die Reisenden in der Regel entlang stabiler Trassen bewegten, d.h. über Genua un d Barcelon a nach Spanie n und über Buda, Belgrad und Sofia ins Zentru m des Osmanischen Reiches nach Konstantinopel . Von dort aus zog ein Teil der Pilger weiter nach Palästina und Ägypten. Andere wählten die Seeroute über Venedig. Überschreitungen dieses territorialen Rahmens in Gebiete, die eine vierte Schicht des geographischen Horizonts der Reisen aus den böhmischen Län- dern bilden, gehörten zu den recht seltenen Ausnahmen . Es handelte sich dabei zum Beispiel um Reisen nach Süditalie n und Malta , die vor allem von böhmische n Johanni - tern unternomme n wurden , nach Nordeurop a (bedeutsam ist in dieser Richtung die Reise Daniel Vetters nach Island im Jahr e 1613) und schließlich um Reisen nach Ruß - land. Obwohl die Häufigkeit des Reisens in die einzelne n Lände r bei weitem kein ein- heitliche s Niveau aufweist und auch nich t in einem direkte n Verhältni s zur Anzahl der verfaßten Reisebeschreibungen steht, die man eher entlegenen und exotischen Land- schaften widmete als den am stärksten besuchten Regionen, wird aus dem Gesagten deutlich , daß die böhmisch-mährische n Reisende n bei abgestufter Intensität alle wich- tigen Teile Europas aufsuchten62. „Fremde ' Landschafte n zu schauen, die Sprache und Gebräuche anderer Völker kennenzulernen" 63 war das erklärte Ziel der Reisenden aus Böhmen und Mähren,

Pánek : Poslední Rožmberkov é 389. Eine kartographische Bearbeitung ausgewählter Reisen von Einwohnern der böhmischen Lände r durch Europ a in der Zeit vor der Schlach t am Weißen Berge wird die Publikatio n be- inhalten : Petráň , Josef et ah: Dějin y Československa do roku 1648 [Geschicht e der Tsche - choslowakei bis zum Jahr e 1648]. Prah a 1990, Kartenbeilagen. Zitier t aus einem Schreiben Stanislaus Pavlovskýs an den Fürste n Christop h Radziwili vom 16.10.1582; SOA Brunn, G83, Cop. 19, Fol . 161r. Ähnliche Formulierunge n finden sich in der Korresponden z der Zeit vor der Schlach t am Weißen Berge häufiger. 362 Bohemia Band 32 (1991) die sich im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhundert s ins Ausland begaben. Das Reisen vertiefte tatsächlich den Sinn für die Wahrnehmun g der natürlichen , aber noch mehr der kultivierten Landschaften in den besuchte n Staaten. Es führte auch zum Studium fremder Sprachen und der bei anderen Völkern verbreiteten Gebräuche . Die politisch e und kulturelle Tragweite des Reisens übertraf allerdings die Bedeutun g der genannte n Aspekte bei weitem. Für jeden Reisenden war insbesondere das persönlich e Erleben von Geschehnissen wichtig, die er andernfalls nur als verschwommenen , den Nachrichte n aus dem Aus- land entnommene n Eindruc k empfangen hätte. Wenn sich Dutzende n böhmischer und mährische r Reisender in Italien die Gelegenhei t bot, aus der Näh e Einblic k in den Verlauf des jahrelangen Ringens um die Hegemonie in Westeuropa zu gewinnen, wenn sie die Auswirkungen des habsburgisch-osmanische n Kampfes um den Mittel - meerrau m sahen, wenn sie den Schauplatz des Trienter Konzils besuchten, mußten sie sich zumindest einige Zusammenhäng e zwischen der europäischen Entwicklung und der Entwicklung in ihrer Heimat weitaus klarer vergegenwärtigen als ihre Vorgänger. Das Gleiche galt für Reisende, die den Westen des Kontinen s aufsuchten, und dabei einen Blick hinter die Kulissen der Bürgerkriege in Frankreich und des niederländische n Aufstands gegen die Spanier werfen konnten, aber auch für die tausende n Menschen, die nach ungewollter Mobilisierung gezwungenermaßen das Kräfteverhältni s auf dem ungarischen Kampffeld kennenlernten. Das persönliche Erleben der „großen" Politik machte den Reisende n aus den böhmische n Ländern ihr bisheriges Unbeteiligtsein unmöglich, bezog sie in das international e Geschehe n ein und veranlaßte sie, ihre eigenen Erfahrungen an diejenigen weiterzugeben, die aus verschiedene n Gründen zu Hause blieben65. Insbesondere die Funktionsträge r und die Spitzen der Ständegesellschaft motivierte der zeitweilige Kontakt zur ausländi- schen Politik auch nach der Rückkehr in die Heimat dazu, das Geschehen in der Fremd e regelmäßig zu verfolgen. Der Bezug von Nachrichte n aus dem Ausland, die in geschriebenen Wochenzeitungen66 festgehalten wurden, verbreitete sich in den Kreisen des höheren Adels in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts beträchtlich und wurde für die Rosenbergs, die Persteins, die Herre n von Lobkowicz und weitere aristokratisch e Geschlechter zu einer Selbstverständlichkeit . Es bildeten sich ganze Zirkel von Adligen und Prälaten, die die neuesten Zeitungen untereinander aus-

Die Bewertun g des Einflusses der Reisetätigkei t auf die Verbreitun g des aktiven tschechisch - deutsche n Bilingualismu s sowie auf die Kenntni s des Italienischen , Spanische n un d Französi - schen in Böhme n und Mähre n erforder t eine eigenständige Studie. Das Zeugnis Ulrich Prefats von Wlkanow hinsichtlich der Ausleihe seiner Schriften an Freund e und die Anfertigung von Abschriften durch diese noch vor der Drucklegun g der Reisebeschreibun g bestätigt die Auffassung, daß auch nich t publiziert e Reiseaufzeichnungen einem breiteren Personenkreis bekannt wurden und in gewissem Maße das Niveau der öffentliche n Meinung beeinflußten . Vgl. Hrdin a (Hrsg.) : Cesta z Prah y do Benátek 9. Ich stütze mich auf eine Kollektion von Wochenzeitungen , die im SOA Wittingau (Fonds Historica ) un d im SOA Leitmeritz, Zweigstelle Schüttenit z (Fond s LRRA) aufbewahrt wer- den. Zahlreich e Hinweise auf die Existenz solcher Zeitungen finden sich in der Korrespon - denz der Bischöfe von Olmütz (SOA Brunn, G 83). Die ganze Problemati k wurde von Zde- něk Šimeček in einer Reih e von Studien , die ich in meine m Buch Výprava auf S. 225 im einzel- nen zitiere, einer detaillierte n Analyse unterzogen . / . Pánek, Reisende aus Böhmen 363 tauschten , sich über Ereignisse im Ausland informierten und diese mit höchste m Interess e kommentierten . Die Überwindun g provinzieller Maßstäbe und die Beurtei- lung der inländische n Entwicklung mit Bezug auf den gesamteuropäische n Rahmen, in dem sich diese abspielte, wurden zu einem hervorstechende n Charakterzug der politische n Kultur in den Länder n der böhmische n Krone. Der politische n und religiösen Ordnung der Gastgeberlände r schenkten die Reisen- den aus Böhme n und Mähren größte Aufmerksamkeit. Ob sie nach Venedig kamen, Island oder das Osmanisch e Reich bereisten, überall verglichen sie die vorgefundene Situatio n mit den Verhältnissen zu Hause 67. Manchma l handelt e es sich schon nicht mehr nur um die Beobachtun g der jeweiligen Gegebenheiten , sondern um einen Pro- zeß der Integratio n in das neue Milieu. Das spiegelte sich in Eheschließunge n mit Ausländerinne n wider und in der Änderun g der kulturellen und politische n Orientie- rung (insbesondere in spanische m Geiste), aber auch in der Aufnahm e ausgewählter Magnate n in die elitäre Gemeinschaft der europäische n Aristokratie - dem Orde n vom Goldenen Vlies68. Jeder Reisende zog aus de m Vergleich der einheimische n und der ausländischen Situation eigene Schlüsse, kaum einer vermochte jedoch gleich- gültig zu bleiben. Nach der Rückkehr vergegenwärtigten sich beispielsweise die politisch Denkenden unter den Aristokraten, daß die Privilegien, die ihnen die Landesordnun g bot, nur relativen Wert besaßen und daß die Landesordnun g als solche in der langandauernde n Konfrontatio n mit de m habsburgischen Zentralismus zur Stagnation und zum rechtliche m Konservatismu s verurteilt war. Diejenigen Ari- stokraten , die sich einen europäische n Horizon t erwarben, waren sich deutlicher als ihre Vorfahren oder seßhaften Nachbarn der Tatsach e bewußt, daß die böhmische n Lände r zwischen zwei Möglichkeite n der Integratio n in die mitteleuropäisch e Region zu wählen hatten : entweder die Einordnun g in eine zentralisiert e Monarchi e unte r der Regierun g der katholische n Habsburge r oder die Eingliederun g in eine Konföderatio n von Ländern mit einem Übergewich t der evangelischen Stände69. Die auf den Auslandsreisen gemachten Erkenntniss e und Erlebnisse schlugen sich natürlic h in allen Sphären des kulturellen Lebens nieder. Wenn auch die Rezeptio n des Lebensstils der Renaissanc e tiefere Wurzeln besaß und sich vereinzelt bereits am End e des 15.Jahrhunderts andeutete70, setzte dessen massive Verbreitung erst in der Mitt e des 16. Jahrhundert s ein. Die fruchtbarste n Inspiratione n empfinge n die böhmi - schen und mährische n Reisenden, aber auch die Reisende n aus anderen Staaten, in

Erben (Hrsg.): K. Harant , Cesta I 22ff. - Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donín a 180ff. - Horá k (Hrsg.) : Danie l Vetter a jeho „Islandia " 83 ff. - Rej chrtov á (Hrsg.) : V. Budovec, Antialkoránpassim. Chudoba : Španělé na Bílé hoře 53ff., 120, 157ff. und 177ff. - Fritzová , Charlotte / Rů ž i č k a, Jindřich : Španělský sňatek Vratislava z Pernštejn a (1555) [Die spanische Heirat Wratislaws von Pernstei n (1555)]. Sborní k prací východočeskýc h archívů 3 (1975) 63-77. Zur Verbindung von Reisen und Politik vgl. die Biographien, die in Anmerkun g 9) zitiert werden. Andeutunge n dessen werden u.a. aus der Korresponden z des italienische n Humaniste n Filip Beroaldu s mit den Herre n von Rosenberg deutlich. Vgl. Ryba, Bohumil: Filip Bero- aldus a čeští humanisté [Filip Beroaldus und die böhmische n Humanisten] . In: Zpráva o činnost i městského musea v Č. Budějovicích za léta 1932 a 1933. České Budějovice 1934, 1-39. 364 Bohemia Band 32 (1991)

Italien , in dem sie das am höchste n entwickelt e Land der damaligen Kulturwelt sahen. Die Worte Friedrich von Dohn a über das „ruhmreichste , vorzüglichste und schönste Land Europas " 71 spiegelten die Tatsach e wider, daß sie Appeninenhalbinse l nicht nu r zum anziehendsten Ziel des entstehenden Reiseverkehrs geworden war, sondern schlechthi n als Maßstab der zeitgenössischen zivilisatorischen Werte galt. Die größte Aufmerksamkei t zogen neben Rom, dem „Haupt der Welt"72, Venedig, Mantua, Mailand , Genua, Floren z und Sienna auf sich. In der Skala der Beliebtheit folgten Italien weitere westeuropäische Länder mit ihren künstlerischen Schätzen - in den Niederlande n vor allem Brüssel, Antwerpen und Amsterdam, in Frankreich neben Paris, Orleans und Fontainebleau , in Spanien Madrid , Escorial und Valladolid. Die Mehrzah l der Reisenden aus Böhmen und Mähren hatte jedoch vor allem Gelegen- heit, die Hauptzentre n der mitteleuropäischen Renaissance und des Manierismus kennenzulernen , wie Neugebäude bei Wien, Ambras bei Innsbruck, München, Dresde n und Heidelberg 73. Von dort aus nahmen sie nicht nur vielfältige Anregun- gen für das eigene Schaffen oder Mäzenatentu m mit, sonder n auch die Gewöhnun g an den neuen Lebensstil, die sich im allgemeinen sehr rasch einstellte. Die im Ausland gelegentlich gekauften Bücher, graphischen Blätter und Kunstgegenständ e eröffneten oft eine Reihe weiterer durchdachter Erwerbungen, die die Reisenden später von ihrer Heima t aus in den Hauptzentre n de r Renaissanc e tätigten und u.U . in Böhme n und Mähren weiterverbreiteten 74. Durc h die Vermittlun g der Werte der geistigen und materielle n Kultu r unterstützt e das Reisen die Integratio n der böhmisch-mährische n Gesellschaft in die europäische n Verhältnisse, genauer gesagt: in die Sphäre des westlichen Christentums und der Renaissance . Dieses hauptsächliche n Nutzen s des Reisens war sich eine Reih e böhmi - scher Autoren von Reisebeschreibunge n im Grund e bewußt, vollauf zu würdigen ver- mocht e ihn aber erst Johan n Arnos Comenius. Schon als Student, der in denjahren 1611 bis 1614 deutsche und niederländische Städte bereiste, suchte Comenius auf seinen Exkursionen vor allem kulturelle Bereicherung. Später entwickelte er seine Vorstellungen über das Reisen - in Anknüpfun g an die Traditio n des Reiseverkehrs vor der Schlacht am Weißen Berge, die die Konfrontation zwischen dem heimat- lichen Milieu und den fremden Ländern betonte - in pädagogischem und philo-

Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donín a 89. Ähnlich begeistert schätzte man Italie n auch in deutsche n Länder n ein, wie die Reisebeschreibunge n Henrick Kilians aus dem Jahr e 1592 belegt. Vgl. Pánek , Jaroslav: Čechy, Morava a Lužice v německém cestopisu ze sklonku 16. století (s edicí bohemikáln í části spisu Henrick a Kiliána z Rostocku ) [Böhmen , Mähre n und die Lausitz in den deutsche n Reisebeschreibunge n gegen End e des 16. Jahrhun - derts (mit einer Beilage des Böhmen betreffenden Teils der Edition der Schrift Henrick Kilians aus Rostock)] . FH B 13 (1990) 203-233, insbesondere S. 214, Anm. 12. Grun d (Hrsg.): Cestopi s Bedřicha z Donín a 93. Belege zu dieser Behauptun g in der weiter oben angeführte n Zusammenstellun g von Quellen und Fachliteratur . Vgl. auch die Überblickskart e „Baudenkmäle r der Renaissance " im Werk „Große r historische r Weltatlas, III , Neuzeit" . Münche n 1967, 121. Zum Beispiel erwarb der mit der italienischen Kunst gut vertraute Bischof von Olmütz, Stanislau s Pavlovský, Kunstgegenständ e aus Florenz, die er an seine adligen Gönner ver- schenkte , um sich deren Guns t zu erhalten ; SOA Brunn, G 83, Cop. 26, Fol . 86,118v-119v; Cop.30,Fol.41v . J. Pánek, Reisende aus Böhmen 365 sophische m Sinne weiter. In einer Reihe von Schriften und letztendlic h in ausgereifter For m in seinem Projekt der Consultati o catholic a schlug Comeniu s einen vierstufigen Zyklus der Schulbildung vor, der seinen Abschluß in akademischen Studien und Auslandsreisen finden sollte. Er erwog eine planmäßige, organisierte Reisetätigkeit der Studenten , die amtliche Stellen materiell und unte r dem Aspekt der Sicherhei t des Reisens zu garantieren hätten. Den Sinn des Reisens, insbesondere für junge Leute, sah Comeniu s in der allseitigen Belehrung, wie sie aus der lustbetonte n Erkenntni s der Welt erwächst, aber auch in bewußter Selbsterziehung, die das Verständnis und die Brüderlichkei t zwischen den Völkern unterstütze n sollte. Das Reisen wirkt Comenius zufolge in dreifacher Hinsicht humanisierend : Es führt den einzelne n zu individueller Vervollkommnung , s e fördert die zwischenmenschliche n Beziehungen, und es trägt zur Gestaltun g eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen den Völkern bei75. Die humanistisch e Vision des Reisens stellt natürlic h nu r eine Seite der Medaill e dar. Zu der ausgewogenen Charakterisierung der Reisetätigkei t in der Zeit vor der Schlach t auf dem Weißen Berge gehört auch die andere, dem Blick des Beobachters nicht zugewandt e Seite. Der Ausbau der Kontakt e zwischen den Angehörigen verschiede- ner Völker rief auch die Besorgnis hervor, daß das eigene Volk den fremden Sprachen und kulturellen Einflüssen erliegen könnte. Nebe n antideutsche n Tönen , die im böh- mischen Milieu den Widerstreit der beiden auf dem Territoriu m Böhmen s und Mäh- rens vermischt lebenden Ethnika widerspiegelten, wuchs auch das Mißtraue n gegen- über den Ausländern allgemein und die Angst vor den Italienern insbesondere. Gerad e die Italiener symbolisierten in den überwiegend evangelischen Ländern der böhmische n Krone den Katholizismu s und dank ihrer individuellen Fähigkeiten auch eine von den Einheimische n gefürchtet e Schlauheit. Zwar entstan d in den böhmische n Länder n keine ausgesprochene Fremdenfeindlichkeit, dennoch signalisierte die wachsend e Mißgunst gegenüber den Italienern die negativen Konsequenzen des intensiven Reiseverkehrs und des Zuzugs von Ausländern76. Das Reisen verlor nämlich in einer Zeit zunehmender konfessionell-politischer Antagonisme n an allgemein menschlichem Wert und nahm allmählich konfessionell diskriminierend e Züge an. Im katholischen Milieu, insbesondere bei ihren Reisen

Comenius , I. A.: De rerum humanarum emendation e consultatio catholica IL Pragae 1966, 108-111 und 649. -Popelová , Jiřina: Jana Amose Komenského cesta k všenápravě [De r Weg von J.A. Comenius zur Consultati o catholica]. Praha 1958, 390f. - Poli- šenský: Česká touha cestovatelská, Einleitung , 7f. - Vgl. auch Šorm, Gustav: J.A. Comeniu s etles voyages. Acta Comenian a 25 (1969)231-23 5 sowie Mou to vá, Nicolette / Polišenský, Josef: Komensk ý v Amsterodam u [Comenius in Amsterdam] . Prah a 1970. SOA Wittingau, Historica, Nr . 5996. -Rezek , Antonín (Hrsg.) : Pamět i Mikuláše Dačic - kého z Heslová I [Die Memoire n des Nikolau s Dačick ý von Heslow I]. Praha 1878, 354. - Petrů , Eduard/ P r a ž á k, Emil (Hrsg.) : Mikulá š Dačick ý z Heslová, Prostopravda . Pamět i [Nikolau s Dačick ý von Heslow, Die einfache Wahrheit. Memoiren] . Prah a 1955, 83f. und 281. - Kolár, Jaroslav (Hrsg.) : Zrcadl o rozdělenéh o království. Z politických satir před- bělohorskéh o století v Čechách [Spiegel des geteilten Königreichs. Auswahl aus den politi- schen Satiren Böhmens im Jahrhunder t vor der Schlacht am Weißen Berge]. Prah a 1963, 165.-Kopecký , Milan (Hrsg.) : Staří slezští kazatelé [Alte schlesische Prediger]. Ostrava 1970,25. 366 Bohemia Band 32 (1991) zum Hof der Habsburger , mußten sich sogar Aristokraten evangelischen Bekenntnis- ses bereits in der Mitte des 16. Jahrhundert s an Äußerungen von Intoleranz gewöh- nen 77. Dem Katholisierungsdruc k mangelte es zwar an Konsequenz , aber bei allen Schwankunge n nahm er im Zeitraum nach dem Trienter Konzil im ganzen gesehen zu. Doch auch das streng lutheranisch e Milieu war nicht frei von religiösem Rigoris- mus . Am Hofe des sächsische n Kurfürsten mußte beispielsweise auch der als Gast dort weilende Joachim Andreas Schlick im Jahre 1595 einen Eid auf seine lutheranische Rechtgläubigkei t ablegen78. Die Lawine der Intoleran z gegenüber Reisenden aus dem Ausland erfaßte natürlich erst recht die Angehörigen der verfolgten Brüder-Unität . Zu Beginn des 17. Jahrhundert s erwies es sich bereits als nicht realisierbar, einen der erfahrensten Reisenden, Wenzel Budowetz, in eine offizielle Gesandtschaft auf- zunehmen , obwohl er im Jah r 1577 ohne Schwierigkeit in der führende n Funktio n des Hofmeister s eine kaiserliche Botschaft nach Konstantinopel befördern durfte79. Allerdings sah auch Budowetz selbst in dieser Zeit im Reisen nicht länger eine Pilger- schaft zum Zwecke allseitiger Erkenntnis. Insbesonder e Italien, die einstige Wiege der Renaissance , hatte sich in seinen Augen zu einer „Stiefmutter" gewandelt, der er seinen Sohn nich t anvertraue n mocht e un d von deren Besuch er überhaup t abriet80. Zu Beginn des 17. Jahrhundert s teilte das Reisen die Schicksale des ganzen Landes. Als Produkt und zugleich bewegendes Moment der zunehmen d dynamischere n Ent- wicklung der böhmische n Gesellschaft konnte es die Vorstellung von der tatkräftigen Unterstützun g einer ausschließlich auf allgemeine humanistische Prinzipien gegrün- deten Integration der Länder der Wenzelskrone in das übrige Europa nicht erfüllen. Im Reisen kamen zwar Bemühungen um das Verstehen eines fremden Milieus zum Ausdruck, und es baute auch die der Unkenntni s entspringend e Angst vor fremden Regione n und deren Bewohnern ab81, zugleich wurde das Reisen aber zu einer konfessionel l abgegrenzten Angelegenheit und verstärkte die Konstituierung eines auf die Andersgläubigen fixierten Feindbildes. Das Reisen brachte einerseits die Men - schen ohne Rücksicht auf Landes- und Staatsgrenzen einander näher, andererseits

Ein anschauliche s Beispiel für die Situatio n am Hofe Ferdinand s I. in Augsburg im Jahr e 1559 blieb in den Aufzeichnunge n Peter Woks von Rosenberg erhalten. Vgl. Páne k (Hrsg.) : V. Břežan , Životy II 386. L u k á š e k: Jáchym Ondřej hrabě Šlik 8. Borovička, Josef: Čeští poslové do Uhe r roku 1606. České přípravy k ratifikaci Vídeň- ského míru [Die im Jahr e 1606 nach Ungar n gesandten böhmische n Boten . Böhmisch e Vor- bereitunge n auf die Ratifizierun g des Wiener Friedens]. In: Sborní k k 60. narozeniná m J. B. Nováka . Praha 1932, 407-418. Kalista, Zdeněk : Češi v Sieně [Einwohne r der böhmischen Länder in Siena]. ČČH 33 (1927) 117. -Odložilík : Cesty z Čech a Moravy do Velké Británi e 241. - Zur antiitalieni - schen Haltun g Theodo r Bézas vgl. Hrubý : Ladislav Velen z Žerotín a 27. Die tiefgreifende Veränderung der Art und Weise, in der die Zeitgenossen Ausländer betrachteten , wird zum Beispiel in der Wertung der Engländer in zwei böhmische n Reise- beschreibunge n deutlich, die aus der zweiten Hälfte des 15.Jahrhundert s und vom Beginn des 17.Jahrhundert s stammen. Vgl. Hrdina , Karel (Hrsg.) : Commentariu s brevis et iu- cundu s itineris atque peregrinationis, pietatis et religionis causa susceptae ab illustri ... Leone , libero baron e de Rosmita l et Blatná . Pragae 1951, 41 (Wenzel Šašek von Biřkow). - Binková/Polišensk ý (Hrsg.) : Česká touha cestovatelská 55 (Zdeně k Brtnický von Waldstein) . / . Pánek, Reisende aus Böhmen 367 vertiefte s e jedoch die Unterschied e zwischen den Anhängern verschiedener Kon- fessionen. m I Ergebnis der allgemeinen Entwicklung des europäischen Teils der Menschhei t förderte das Reisen in letzter Konsequenz dessen Integration, aller- dings nicht unte r Berücksichtigun g der Prinzipie n des Humanismus , sonder n auf der Basis eines extremen Konfessionalismus . In dieser Gestalt begleitete es die böhmisch e Gesellschaf t bis an die Schwelle des antihabsburgische n Aufstands und des Dreißig- jährigen Krieges, die die bekanntesten böhmischen Reisenden auf den Richtplatz führte n oder in die Emigratio n trieben. Auf diese traurige Art und Weise fand die in ihren Auswirkungen widersprüchliche Reisetätigkeit in unserer Geschichte vor der Schlach t am Weißen Berge ihr Ende. *

Übersetz t von Hennin g Schlegel

* In tschechische r Sprach e ist dieser Aufsatz in ČČH 88 (1990)661-681 erschienen.

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