14. internationales forum 44 34. internationale des jungen films berlin 1984 filmfestspiele berlin

NIPPON-KOKU FURUYASHIKI-MURA Der Reisanbau, das Dörfchen Furuyashiki und die Per• — Das Dörfchen Furuyashiki sonen des Films Sommer 1980.Kalte Luft vom Pazifik trifft alle japanischen In• seln. Furuyashiki, ein kleines Dorf im Berggebiet von Zao, ist Land Japan 1982/83 keine Ausnahme. Produktion Ogawa Productions In Furuyashiki heißt 'kalte Luft' 'Shiro - Minami\ (Shiro be• deutet 'weiß' und Minami 'Süden'.) Wie dieser ortsübliche Aus• druck andeutet, strömt weißliche Luft von der Südostseite der Regie, Buch Shinsuke Ogawa Bergkette zum Dorf hinunter, und dann fällt die Temperatur im Dorf rapide. Shigezo Inue, einer der Dorfbewohner, sagt: „Der 'Shiro — Minami' trifft uns sehr oft, seit Tohoku 1934 den Regieassistenz Toshio Iizuka, Dadatoshi Mikado Kaltwetterschaden hatte." Kamera Am 31. August um zwei Uhr nachmittags fängt die Kamera die Kameraassistenz Tetsuji Hayashi, Haruo Nasaka Reisblüte auf dem Feld ein ... Es gibt keine Anzeichen dafür, daß ein Ansturm kalter Luftmassen kurz bevorsteht. Einen Mo• Schnitt Shinsuke Ogawa, Toshio Iizuka nat später zeigt die Kamera jedoch, daß keine Reisblüte sich in Schnittassistenz Sato mi Hirose, Sadatoshi Mikado Reiskörner verwandelt hat. Musik Ichiro Seki Anfang Oktober macht die Filmcrew mit Yoshio Hanaya Bekannt• Ton Nobuyuki Kikuchi schaft, der die unreifen Reisähren entfernt. Vom 'Shiro Minami' getroffen, sind die Reispflanzen hier in Shimo-Minamizawa ab• Grafik Reiko Fujimori gestorben. Daraufhin bilden Yoshio und der Stab der Produktion Gedichttext Michio Kimura Ogawa ein Team und beginnen Experimente mit Kaltluft. Produktionsleitung Hiroo Fuseya Zuerst fertigen sie eine Reliefkarte von Furuyashiki an und dann lassen sie Trockeneis darüberhinströmen, das der Kaltluft ähnelt. Auf nah meleitung Yoko Shiraishi, Hiroko Hatanaka Im Südosten des Dorfs stehen Berge von über 1000 Meter Höhe Titelzeichnung Takashi Shoji wie eine spanische Wand. Die Kaltluft, die über diese Berge fließt, Technische Beratung führt Kälte aus einer Höhe von 1000 - 1500 Meter mit sich, und für Holzverkoklung Nikichi Sato die Luft in der geringeren Höhe von 600 - 700 Metern könnte un• möglich über die Berge kommen. Trotzdem bekommt Shimo- Minamizawa die Kaltluft aus zwei verschiedenen Gegenden ... Uraufführung 1. Oktober 1982, Kamiyama über die Berge und dann über einen etwas tiefer gelegenen Punkt. Wo kommt die Kaltluft her? „Genau daher! Sie strömt rasch über diesen Paß hinein nach Shimo-Minamizawa!" Die Kamera Format 16 mm, Farbe zeigt die Freude und die Aufregung über die Entdeckung, die Länge 210 Minuten für einen Augenblick die drohende Kaltluft vergessen macht. Als nächstes entdeckt das Team die Ursache der in diesem Jahr Anmerkung: der japanische Titel des Füms kann auch die Bedeu• erfolgreichen Reisemte auf dem Feld von Komatsugura ... ob• tung haben: »Japan — Ein Dorf aus alten Bauernhäusern". gleich es genau neben dem völlig ruinierten Reisfeld liegt. Dann eine andere Entdeckung: die kleine Kaltluftmasse, die von einem kleinen Sumpf gebiet kommt ... Außer in den Reisanbau führt die Kamera in Geographie und Inhalt Klima von Furuyashiki ein. Jetzt schwenkt sie zum Erdboden Schauplatz dieses Films ist ein Dorf im Zao-Gebirge namens hinunter ... sie zeigt den Erdboden der völlig ruinierten Reisfel• Furuyashiki. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der bewohn• der von Shimo-Minamizawa. Wie Joshyo sagt: der Boden wäre ten Häuser dort von 18 auf 8 gesunken. Die jungen Leute arbei• gut für den Reisanbau, wenn die Kaltluft nicht das Dorf umgäbe. ten alle in der Stadt; deswegen ist Furuyashiki tagsüber ein Dorf Jedoch entdeckt die Kamera unerwartet eine akkumulierte Eisen• der alten Leute. Der Regisseur Ogawa und sein Team haben meh• schicht, wie man sie angeblich oft in alten Reisfeldern findet, rere Jahre in diesem Dorf gelebt und selbst den Reisanbau erlernt, aber niemand hat sie je gesehen. Diesmal baut das Team ein Mo• um die Lebensbedingungen der Bauern richtig verstehen zu kön• dell der Bodenschichten und tauscht Ansichten darüber aus, nen. Der Film beginnt mit der Erläuterung der Reispflanze und warum sich das Eisen hier angesammelt hat und wie es auf den der kalten Luft, die den Reisanbau in Furuyashiki behindern, Reis wirkt. Ein Ausdruck der Bewußtheit erscheint auf den Ge• und entwickelt sich zu einem Porträt des Dorfes und seiner Be• sichtern der Teammitglieder. wohner. Diese berichten nicht nur von ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten, sondern auch von Mißernten und von ihren Er• Die bisher auf den Boden gerichtete Kamera wendet sich nun dem Geschehen über dem Boden zu. Es ist schon Spätherbst und lebnissen im Krieg der Showa-Dynastiezeit. die Reisernte von 1980 ist vorbei. Aber das Dorf ist da, und die Nach 'Kinema Jumpo', , Nr. 850, Dezember 1982 Dorfbewohner leben wie immer. Fossilien von Meeresmuscheln im Schoß, die von den Hügeln hinter ihrem Haus stammen, erzählt Mie von früher ... über ihre Reise nach Tokio Ende der zwanziger Jahre, zu der sie sich da• mals entschloß, als sie sich sagte: „Nicht alle Orte in Japan sind wie dieses unfruchtbare Dorf." ... Wie einträglich die Kohlen- brennerei in ihrer Jugend, als sie noch ihre Arbeitskraft hatte, Seidenraupenzucht dem Dorf Wohlstand brachte und die Dorf• im Dorf war; und die weibliche Feuerwehr, die das Dorf den bewohner gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts 'neureich' Tag über schützte, während die Männer in den Bergen bei der wurden, brachte man am Himmel über dem Dorf Feuerwerks• Arbeit waren. Sie erzählt auch von den Frauen auf einem Er• körper zur Explosion. Kisa kann sich die Feuerwerkskörper noch innerungsphoto, die damals lebten, als es im Dorf nur achtzehn heute bildlich vorstllen, die sie als kleines Mädchen sah. Haushalte gab. Chiu Kimura entnimmt einem buddhistischen Altar staatliche Eine Straße, die das Dorf mit der Stadt verbindet. Kiichiros Schatzanweisungen und zeigt sie uns. Sie bekam sie von der Re• Traum war es, mit dieser gepflasterten, bequemen Straße die gierung als Spende für ihren Schwiegersohn Tomekichi, der auf 'Modernisierung' ins Dorf zu bringen. Jedoch hat sie die Dorf• der Insel Attu gefallen ist. Aber sie sagt, wie hilfreich sie gewe• bewohner, im Gegenteil, nur hinausgebracht. Andererseits gibt sen wären, wenn man sie damals gegeben hätte, als ihre Familie es eine Straße, die alle 'Owari Kaido' nennen. Diesen Bergpfad in Not war; jetzt jedoch seien sie wertlos. „Ich glaube jetzt, daß ist Wari, eine der Frauen aus dem Dorf, seit vierzig Jahren hin• sowohl Tomekichis Leben als auch das für seinen ehrenhaften auf- und hinuntergegangen, schnaufend mit einer schweren Last Tod angebotene Geld dem Land geweiht worden sind, aber ich auf dem Rücken. Auf diesem Abhang erlebte sie die Wunder ihres werde nie die Augusttage 1945 vergessen, als ich erfuhr, daß der Lebens ... Eine schöne Frau, die unerwartet auftauchte. Die Kaiser kapituliert hatte", fügt sie hinzu. 'Owari Kaido' ist die Straße für jeden Dorfbewohner, der auf die In Chius Haus wird die Kokon-Ernte der Seidenraupenzucht in Felder und in die Berge arbeiten geht. festlicher Heiterkeit verarbeitet. Die Kamera konzentriert sich Winter 1980. Hiroshi Hanaya, der einzig überlebende Köhler von auf die sich geschäftig bewegenden Finger der Frauen über wei• Furuyashiki, ist an der Arbeit in den schneebedeckten Bergen. Er ßen Kokons. Die Stimmung ist fröhlich, man singt... Wari, be• erzählt dem Kamerateam: „Ich arbeite lieber für den Ofen als kannt für den 'Owari Kaido', ist da und hilft ihnen. für einen Menschen." Und er zeigt uns, wie er die 'Hakutan'-Holz- Sie singt ein Lied, das sie früher oft gesungen hat. Chiu lacht kohle nach dem traditionellen Rezept des Dorfes brennt. viel. Chiu, Hiroshis Mutter, zeigt uns die amtlichen Schreiben, die sie Abends geht Wari auf einer der Dorfstraßen heim. Wind kommt vom Tode ihrer beiden Söhne, Chokichi und Takuya, im Krieg auf und die Blätter der Bäume rascheln. Die Berge werfen das benachrichtigten, sie hat die Briefe lange sorgfältig aufbewahrt. Echo zurück und der Sumpf murmelt ... als ob menschliche Stim• 'Tod für Ehre' ... Chius beide Söhne ließen ihr Leben auf Saipan men im Chor sängen ... und den Philippinen, wo die Geschichte des Zweiten Weltkrieges die blutigsten Schlachtfelder verzeichnet. In der Tat haben die Heute, am 3. Juli 1981 nachmittags um vier Uhr strömt der Vorfahren von Chius Familie ein Denkmal für die Ruhe der Toten 'Shiro-minami' wieder nach Furuyashiki hinein. gebaut. Um 1870, fünf Generationen zuvor, gaben die Yokichis (Produktionsmitteilung) die traditionelle Beschäftigung — die Bärenjagd — auf, bauten die• ses Denkmal und hinterließen den Nachkommen Familiensprich• wörter mit dem Inhalt: „Rühre nie ein Gewehr an!" So erzählt Von Narita nach Magino Hiroshi, der nach dem Verlust seiner beiden Brüder im Krieg jetzt Sie verändern sich und finden den Schlüssel zu einer neuen Welt das Haupt der Familie ist. Das Denkmal, das noch an der Straße durch Landwirtschaft und dadurch, daß sie ihren Lebensunter• steht, enthält die Geschichte einer Dorffamilie. Zerschnitten und halt verdienen. gekreuzt, vermischt mit der Geschichte des Landes ... und jetzt... Dokumentarfilmfans werden sich an die Ogawa-Produktion we• Frühling 1981. Die traditionelle Seidenraupenzucht im Dorf be• gen ihrer Narita-Seúe erinnern, die man bisweilen als 'Filme hoch• ginnt. Sada Hanaya, die hart arbeitende Großmutter einer der politischer Art' bezeichnet hat. Aber durch die lange Anstren• Familien des Dorfes, ist fleißig mit den Seidenwürmern beschäf• gung der sechs Afonía-Filme entdeckte der Stab der Ogawa-Pro• tigt. Ihre Familie ist eine der 'zweiten Linie'. Sie hat ihrem Mann duktion allmählich etwas, das durch Politik nicht gänzlich zu geholfen und ihr Leben lang gearbeitet, um ihrer Verantwortung lösen war. 'eines Ablegers' gerecht zu werden und um die Familie 'wiederzu• Der Flughafen Narita — ein Flughafen für den internationalen beleben'. Durch mühevolle Arbeit erwarben sie ein Feld in einem Verkehr — befindet sich in einem landwirtschaftlichen Gebiet, Dorf ohne Kaltluftschaden, aber es ging 'durch MacArthur' ver• in dem man eine reiche Ernte von Früh-Reis und frühem Gemüse loren, was der Kummer ihres Lebens bleibt. Kumazo ist das Haupt der dritten Generation der Familie. Im Frühjahr 1932, in erzielte. Die Bauern hier — gewöhnlich sehr ruhige Leute — hat• dem Jahr, das auf Kolonisierung der Mandschurei folgte, ten sehr erbittert gegen die Regierung gekämpft, die den Bau des wurde Kumazo, damals zwanzig Jahre alt und ein Gemeiner beim Flughafens von Narita mit der Rechtfertigung „Der Bau des Flug• Militär, in die Mandschurei — das Land, von dem er geträumt hat• hafens entspricht der nationalen Stimmung" vorangetrieben hat• te — geschickt. Aber es war der Anfang der Verwicklung der Fa• te. Es war überraschend für die ganze Produktion, daß trotz der milie in den Zweiten Weltkrieg, und er war bereits sechsunddrei• erbitterten Kämpfe keine tragische Atmosphäre aufkam. Was ßig, als er aus dem Krieg nach Hause kam. Er füttert die Seiden• hatte sie so stark gemacht? würmer ruhig mit Maulbeerbaumblättern ... Der Stab der Ogawa-Produktion meinte, daß die Stärke und Zu• versicht der Bauern vielleicht ihrem Bauernleben selbst zuzu• Tokuzo Suzuki kommt unerwartet ins Dorf. Er ist ein überleben• schreiben war. Mit anderen Worten, ihre Macht war nicht etwas, der Soldat von der Schlacht in Neuguinea. Er sagt, daß nur 800 das man durch Strategie erreichen konnte, sondern sie erwuchs von den 12.000 Soldaten, die man dort hingeschickt hatte, le• ihnen aus ihrem Arbeitsleben auf den Feldern und auch aus bend nach Haus zurückkehrten. „Ich glaube, was ich für die Ruhe ihrem Alltagsleben. der Kriegstoten tun kann, ist, den Krieg und meine Teilnahme daran nicht zu vergessen", sagt Suzuki. Um seinen Glauben zu Als sie den Ursprung der Macht der Bauern entdeckt hatten, ent• beweisen, hat er immer eine Armeetrompete bei sich. Die Melo• schloß sich die Ogawa-Produktion, Szenen aus dem Arbeits• die mit dem Wunsch nach Frieden auf Erden, die er auf der Trom• leben der Bauern in Narita zu filmen. Aber als Stadtmerischen pete spielt, hallt im Dorf wieder. Das Dorf hat neun Männer aus hatten die Mitglieder des Teams keine Vorstellung davon, wie seinen acht Haushalten in den Krieg geschickt, und drei starben die Arbeit von Bauern war. Deshalb hatten sie das Gefühl, daß in Ehre. sie landwirtschaftliche Szenen nicht so gut filmen konnten, wie die erhitzten Gefechte zwischen den Bauern und der Bereitschafts• Kiichiro Hanaya wurde mit 36 in den Krieg gerufen, als er in der polizei. Es stimmt, daß die Bauern und ihre Feldfrüchte auf der Blüte seiner Mannesjahre war. Er war das Haupt der Familie. Ob• Leinwand erschienen, aber es war nur ein Bild, das nichts Rea• gleich er nur kurze Zeit fort war, erlitt seine Familie unermeßli• les oder Wesentliches zeigte. chen Schaden. Für wen und wofür wurde der Krieg gekämpft? Solch ein Film, der keine Realität und Wahrheit zum Ausdruck Kiichiros Großvater Mantaro Hanaya war auch als Mantaro brachte, hatte keinen Wert, fanden sie. Die Mitglieder des Pro- Hanabi bekannt ('Hanabi' bedeutet Feuerwerkskörper). Als die duktionsstabs suchten nun nach dem Schlüssel des wahren Aus• Lage und dem Wetter zu klären. Bei ihren Besuchen aber merk• drucks. Man fand ihn schließlich, als die Famüie Ogawa den Ort ten sie allmählich, daß die alten Männer und Frauen in diesem Kaminoyama in der Präfektur Yamagata besuchte, der den Hin• verschneiten Dorf sozusagen 'Leute mit Ideen* waren. Der alte tergrund für einen neuen Film, Narita, Dorf Heta, abgeben sollte. Mensch weiß außerordentlich gut, wie man dies oder jenes im Eines Tages kam es mit den Bauern in Kaminoyama zu einem täglichen Leben macht. Wie schade war es, daß niemand im Dorf Gespräch, das den Gedanken der Ogawa-Produktion eine neue war, der ihre Nachfolge antreten würde! Als der Stab das begriff, Richtung gab. Der Gedanke der Bauern war im Grunde sehr ein• entschloß man sich, die Produktion des Reis-Films vorläufig zu fach und konkret. Sie sagten: „Dir streitet darüber, was die Bau• unterbrechen und stattdessen das Leben des Dörfchens Furuya• ern sind; der Streit ist sinnlos. Denn die Bauern sind einfach da. shiki und die Leute dort zu filmen. Diese Entscheidung war die Sie arbeiten und sie leben. Das ist alles. Nur ihr Dasein ist wirk• Geburtsstunde von NIPPON-KOKU FURUYASHIKI-MURA lich von Bedeutung. Warum kommt ihr nicht und arbeitet auf Aus dem Wochenmagagzin 'Hoseki' einem Feld mit uns? Wir haben ein freies Feld und ein Haus für euch." Shinsuke Ogawa und der japanische Dokumentarfilm Der Stab redete lange über diesen Vorschlag. Und endlich ent• Der japanische Dokumentarfilm wurde im letzten Jahrzehnt von schloß man sich, nach Kaminoyama zu ziehen und ein Leben zwei 'Langstreckenläufern', Noriaki Tsuchimoto und Shinsuke als Bauern zu versuchen. Ihr starker Wunsch, den Film für sich selbst zu machen, bewegte alle Mitglieder des Teams zu diesem Ogawa bestimmt. Beide sind für ihre beharrlichen Anstrengun• Entschluß. Einmal fand sich diese arme Filmemacher-Familie gen bekannt, einen speziellen Existenzkampf zu dokumentieren zum Zusammenleben bereit, weü sie nur so ihre Lebenshaltungs• und den Film politisch als Waffe auf der Seite der Opfer einzu• kosten verringern konnte. Ein gemeinschaftliches Zusammenleben setzen. Für Ogawa war es der Kampf der Bauern, die von ihrem zu diesem Zweck funktioniert auf dem Lande sehr gut — vergli• Land vertrieben wurden, um Tokios neuen internationalen Flug• chen mit der Großstadt. Auch konnten sie durch den landwirt• hafen bei Narita — inzwischen ein fait accompli, wie jeder Ja• schaftlichen Anbau in Kaminoyama Reis für ihren eigenen Bedarf panbesucher weiß, trotz der erreichten Umweltverwüstung — produzieren. Die Unabhängigkeit half ihnen sehr. Platz zu schaffen. Ogawa lebte mit seinem Team bei den Bauern und fümte auf ihrer Seite stehend vier Jahre lang. Daraus ent• Die Mitglieder des Stabs fanden die Physiologie des Reises inter• standen sechs Dokumentarfilme; die bekanntesten sind Das Dorf essant. Damals empfanden sie im Grunde ihres Herzens, daß die Heta und Die Bauern der zweiten Festung. lange Geschichte der Kultivierung durch die Bauern in die Hülse Tsuchimoto richtete seine Aufmerksamkeit auf die Opfer der eines Reiskorns komprimiert war. Diese überraschende und wun• Quecksilbervergiftung in Minamata. derbare Entdeckung hätten sie ohne Berührung mit dem Boden und dem Reis durch ihre eigenen Hände nicht machen können. Vor zehn Jahren wurden in Japan viele unabhängige 'Protestfil• „Wir empfanden deutlich, wie wichtig es für einen ist, die Din• me' produziert. Sie beschäftigten sich mit Themen wie dem US- ge zu sehen und zu berühren, wenn man sie verstehen will. Zum japanischen Sicherheitsvertrag oder der amerikanischen Präsenz Beispiel können wir den Reis nicht dadurch vollständig verste• auf Okinawa, aber viele FUmemacher wurden seither von der hen, daß wir Photographien von ihm betrachten. Wir fertigten Spielfilmindustrie absorbiert oder haben aufgegeben. selbst Proben an, brachten sie auf ein Diapositiv und sahen es Ich habe mehrere im Film tätige Leute in Japan gefragt: 'Wer uns an. Das war der Ausgangspunkt, der unsere Neugier stimu• sind die Dokumentarfilmer von heute? ' Überall hieß es unver• lierte, so daß wir mehr über den Reis wissen wollten." ändert: 'Ogawa und Tsuchimoto'. Ihre Arbeit reflektiert auf ver• In dem Notizbuch, in dem ihre Beobachtungen stehen, lesen schiedene Weise ihre frühen Themen: Ogawa dreht eine sehr aus• wir von Teüen ihres Lernprozesses. Von diesem Anfang her führliche Serie über den Reisanbau, hat mit seinem Team aus näherten sie sich allmählich ihrem Ziel. Im Sommer 1980, als wissenschaftlichen und ökonomischen Gründen sechs Jahre lang das Ziel sehr nah schien, veränderte der Stab jedoch plötzlich selbst Reis angebaut. Tsuchimoto hat einen neuen Film über die seine Pläne. Opfer der Minamata-Krankheit, seinen elften über das gleiche Thema, fertiggestellt, und die Sache ist in keiner Beziehung ein Als man diese Veränderung vornahm, wohnten sie seit sechs abgeschlossener Fall. Jahren in Kaminoyama: die ersten drei Jahre hatten sie den Reisanbau studiert, und die letzten drei Jahre in größerem Um• Shinsuke Ogawas Interesse am Reisanbau entwickelte sich aus fang gefilmt. Hätten sie ihre Pläne nicht geändert, so wäre der seinem Kontakt mit den Bauern während der Jahre, in denen er Film zum Herbst jenes Jahres fertig geworden, wie sie es bereits seine Sanrisuka-Seiie über den Protest der Bauern gegen die Ent• öffentlich angekündigt hatten. eignung ihres Landes für den Flughafenbau in Narita drehte. Es war eine besondere Situation — eine Zeit der Spannung. Danach Damals versuchten sie, Großaufnahmen von der Reisblüte her• wollte er einen langen Zeitablauf im Leben eines Bauerndorfs fil• zustellen, die sich, wie sie fanden, langsamer als in gewöhnlichen men. Aber bevor sie mit dem Film begannen, mußten die Filmer Jahren vollzog. Sie fanden auch Veränderungen an den Blüten. erst einmal wie die Bauern leben, und so wurden sie für den Zeit• Das war ein Anzeichen für einen Kaltwetterschaden. Zuerst woll• raum von drei Jahren Reisbauern. Ursprünglich hatten sie nicht ten sie den Einfluß dieses kalten Wetters auf den Reis in den gedacht, daß sie so lange brauchen würden, doch paßte sich das Bergen und in der Ebene untersuchen. Tempo des Filmens dem des Reisanbaus an, und nicht umge• Und sie wählten das Dörfchen Furuyashiki für ihre Untersuchun• kehrt. gen aus. Es ist ein sehr kleines, 400 Meter über dem Meeresspie• Während seiner Recherchen für den Reis-Füm machte Ogawa im gel gelegenen Dorf auf der Westseite des Berges Funahiki im selben Dorf auch einen FUm über die Seidenraupenzucht. Ich sah Zao-Gebirge. Man erreicht es, wenn man von Magino, wo die ihn in der Premiere beim 'Image Forum' in Tokio (einem unab• Ogawa-Familie lebte, den Kayataira-Fluß (einen Nebenfluß des hängigen Filmkollektiv). Magino Monogatari — Yosan hen (Die Su) hinauffährt. Geschichte von Magino — Die Seidenraupenkultur) ist ein Super- Die Haupterwerbszweige dieses Dörfchens sind die Seidenraupen• 8-Füm von knapp zwei Stunden Länge. Er erzählt die Geschichte zucht, die um die Mitte der Meiji-Periode eingeführt wurde, und der Seidenproduktion, verfolgt den Zyklus der Seidenraupe aus die Holzkohlenherstellung, die so gut floriert, daß das Dörfchen der Nähe und in allen Einzelheiten und erteüt den Bauern das von Rauch bedeckt ist. Aber in den letzten Jahren ist dieses klei• Wort, die über ihre Arbeit und ihr Verhältnis zu ihrer Arbeit spre• ne Dorf noch kleiner geworden. Zur Überrachung des Stabs stell• chen. Es ist ein hervorragender, niemals langweiliger Film. te sich heraus, daß die Bevölkerung sich, als die Ogawa-Produk• Die Dreharbeiten über den Reisanbau sind jetzt abgeschlossen. tion im Dörfchen Furuyashiki zu filmen begannen, von 18 Haus• Aus dem reichhaltigen Material sollen drei oder vier FUme von je halten auf 7 verringert hatte. Während des Tages blieben nur alte etwa zwei oder drei Stunden entstehen, unter anderem eine wis• Leute im Dorf, denn die jungen gingen fort und suchten sich eine senschaftlich-agronomische Studie über das Wachstum der Reis• Arbeit. pflanze, über den Boden, die Bakterien, die Wasserquellen, die Der Stab der Ogawa-Produktion besuchte dieses kleine Dorf oft, Wasserprobleme im Dorf und den Anbauzyklus. Umweltbedin• zuerst, um den Zusammenhang zwischen seiner geographischen gungen und der Reisanbau selbst werden unter Verwendung von Mikroskoplinsen, Zeitraffertechnik usw. in allen Einzelheiten 'Blütenlage' in verschiedenen Jahren und die Frostschäden. Der untersucht. Ogawa betrachtet den Reisanbau nicht nur in einem Film ist zwar eine Chronik vom August 1980 bis Juli 1981, aber sozio-kulturellen Kontext, sondern auch als eine geistige Bezie• er verrät, daß man mit der Studie des Reisanbaus schon 1978 hung zum Reis, als Glauben an den Geist des Reisfeldes und an begonnen hat. den Geist des Berges, als ländliche Organisationsform und als Einmal hat Shinsuke Ogawa erzählt, daß man das Unheimliche eine Einheit, die sich aus der Reisanbautradition entwickelt hat. der Einheimischen mit dem Unheimlichen des Wanderers kon• Es ist eine gründliche und umfassende Studie dieses für den Le• frontieren muß. Gewiß darf dieser Film nicht nur als eine Chro• bensunterhalt der Japaner wesentlichen Themas, das auch ihrem nik der Ausstrahlung der Vergangenheit auf die Gegenwart gel• geistigen und kulturellen Leben zugrundeliegt. Wie Nagisa Oshi- ten, sondern er ist auch ein Dokument der Lebensweise der ma gesagt hat: „Ogawa ist heute der japanischste von allen Filme• Ogawa-Produktion selbst, die Zeit und Mühe als Waffen anwendet. machern. Er verfolgt die japanische Kultur bis zu ihren Wurzeln." Am ersten Oktober wurde dieser Film im Bürgerhaus von Ka• miyama uraufgeführt, die Vorführung wurde von ca. 1.500 Zu• Solrun Hoas, in: Film News, Sidney, Vol. 13, No. 3, März 1983 schauern besucht. In Tokyo soll der Film langfristig nicht durch das übliche Verleih- und Kinosystem gezeigt werden; der ganze Mitarbeiterstab, der bis kurz zuvor noch die Apparate bedient Kritik hatte, wird sich mit der Organisierung der Vorführungen be• NIPPON-KOKU FURUYASHIKI-MURA ist ein Füm, den die fassen. Im nächsten Jahr sollen die Kopien in ganz Japan verbrei• Ogawa-Produktion fünf Jahre nach ihrem bis dato letzten Werk, tet werden, vor allem aber im Nordosten. Außerdem will Ogawa Magino-monogatari, Yosan-hen (Die Geschichte von Magino, seinen nächsten Film in Angriff nehmen: Magino-monogatari, Teil: Seidenraupenzucht) hergestellt hat. Hier spürt man das Ge• Inasaku-hen (Die Geschichte von Magino, Teil: Reiszüchtung). wicht der Zeit von knapp zehn Jahren, seitdem der Sitz der Pro• In: Kinema Jumpo, Tokyo, Nr. 850, Dezember 1982 duktion von Sanrizuka nach Kamiyama veriegt wurde. Die Filme der Ogawa-Produktion enthalten, genauer gesagt, viele Gedanken Biofilmographie über den Dokumentarfilm und die Funktion der Bildsprache, was Shinsuke Ogawa, geboren 1935 in der Präfektur Gifu. Begann bei diesem Werk einen so besonderen Charakter gibt, daß es nicht einer unabhängigen Produktion mit der Filmarbeit. Lernte ab einfach ein.ausgezeichneter Film genannt werden kann. 1960 Dokumentarfilmregie bei den 'Iwanami Productions'. Er Man könnte sagen, es gäbe in diesem Film keine besonderen machte sich 1963 selbständig. 1966 Gründung der 'Ogawa Pro• gesellschaftskritischen Aspekte, im Gegensatz zu den Sanrizuka- ductions' zusammen mit seinen Kollegen. Herstellung einer Viel• Filmen der vergangenen Jahre. Was die Frostschäden an den zahl von Filmen in eigener Regie und Produktion. Ogawa lebte Reispflanzen betrifft, so konnte man den gleichen Schaden von 1967 an in Narita (Sanrizuka) und drehte eine Reihe von Fil• 1980 in jedem Dorf im Nordosten Japans beobachten. Es ist men in der Narita (Sanirizuka)-Serie über den Kampf der Bauern auch keine besondere Eigenschaft von Furuyashiki, daß ein gegen die Errichtung des neuen Flughafens von Tokyo in Narita. Dorf aufgrund seiner Unterbevölkerung in die Lage eines Gei• Zusammenarbeit mit den Bauern. 1975 verlegte die Gruppe ihren sterdorfes zu geraten droht. Daß es Furuyashiki sein muß, Wohnsitz nach Magino, Kaminoyama, Präfektur von Yamagata. liegt daran, daß die Ogawa-Produktion diesen Ort ganz einfach Herstellung der Magino-Serie, gleichzeitig Anbau von Reis für ausgewählt hat und nunmehr all ihre filmische Arbeit in das den eigenen Bedarf. 'Objektivieren' ihrer Wahl steckt. Die Thematik des Films entfaltet sich so, daß man oft an eine 1982 Fertigstellung von NIPPON-KOKU FURUYASHIKI-MURA Dramatisierung erinnert wird. Am Anfang hätte der Film nur nach zweijährigen Dreharbeiten. Ogawa lebt weiterhin in Magino. ein Dokument vom Frostschaden 1980 sein sollen, aber die 1966 Seinen no umi/yo-nin no tsushin-ky ouikusei tachi Ursachen dieses Frostschadens und die Gründe für die Unter• ('Das Meer der Jugend') schiedlichkeit des Schadens in verschiedenen Orten werden 1967 Assatsu no mori/takakeidai toso no kiroku durch die Verbindung zwischen den Experimenten des Teams ('Die unterdrückten Studenten') und den Ergebnissen der Wirklichkeit mit schrecklicher Sorg• fältigkeit bestätigt. Inzwischen kommt die Rede auf die Fa• Gennin hokokusho/haneda toso no kiroku milie von Yoshio Hanaya, der an der Erforschung des Frost• ('Bericht aus Haneda') schadens mitarbeitet; dann wendet sich der Film mehr und 1968 Nihon kaiho sensen — sanrizuka no natsu mehr dem Dorf Furuyashiki zu und erzählt schließlich die Ge• ('Sommer in Narita: Die Front zur Befreiung Japans') schichte der Bevölkerung des Dorfes. Die Erzählungen der Dorf• einwohner beziehen sich nicht nur auf die Vergangenheit, son• 1970 Nihon kaiho sensen — sanrizuka dern auch auf Umstände aus der Jetztzeit, die infolge des Bahn• ('Winter in Narita: Die Front zur Befreiung Japans') baus und der Einführung des Fernsehens das Leben der Leute Sanrizuka — Daisanji kyosei sokuryo soshi Toso bequemer machen, gleichzeitig aber auch neue Probleme schaf• ('Der dreitägige Krieg in Narita') fen. In der Szene, als ein Heimkehrer aus Neuguinea immer 1971 Sanrizuka — Daini toride no hitobito noch Trompete bläst, spürt man, daß die vergessene Nachkriegs• ('Narita: Die Bauern der zweiten Festung') geschichte in Japan hier kontinuierlich weiterläuft. Je lustiger so eine Geschichte ist, umso trauriger und eindrucksvoller wirkt 1972 Sanrizuka — iwayama ni tetto ga dekita sie oftmals. Auch wenn die Kamera von Masaki Tamura mei• ('Narita: Der Bau des Iwayama-Turms') stens fest steht, zeigen die alten Leute eine bemerkenswerte 1973 Sanrizuka — heta buraku Ausstrahlung. Sie erinnern ab und zu an begabte Schauspieler, ('Narita: Das Dorf Heta') sie fluchen und lachen, spielen bestimmte Rollen, sie lassen uns 1975 Dokkoi ningen-bushi/Kotobuki-jiyu rodosya no machi wissen, daß diese Geschichten nur zu dem Dörfchen Furyashiki ('Das Lied aus der Tiefe', auch: 'Das Lied vom wilden gehören; gleichzeitig enthalten ihre Geschichten aber viele De• Tier') tails, die sich auf die japanische staatiiche Struktur beziehen und den Kern typisch japanischer Situationen und japanischer Ge• Clean center homonki schichte berühren. ('Interview in der Zentralreinigung') Man kann aus den Bildern nicht direkt entnehmen, daß sich die 1977 Sanrizuka — gogatsu no sora sato no kayoiji Filmarbeit außergewöhnlich lange hinzog, daß es so lange Zeit ('Narita: Der Himmel im Mai') brauchte, ucn diese Geschichten zu erzählen und das Vertrauen Magino monogatari — yosan hen (Super 8) der Leute zu erlangen; noch auch, daß es drei Jahre dauerte, um ('Die Geschichte von Magino, Teil: Seidenraupenzucht') die Reispflanzen erneut abschneiden zu können und daß man die Aufnahmen infolgedessen auch unter dem Mikroskop hätte ma• Magino monogatari — toge (Super 8) chen können. Trotzdem erfährt man viele Einzelheiten über die ('Die Geschichte von Magino, Teil: Der Paß') 1982 NIPPON-KOKU FURUYASHIKI-MURA