LÄNDERBERICHT Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

TANSANIA DANJA BERGMANN STEFAN REITH Bombenanschlag auf Oppositions- 25. Juni 2013 partei überschattet Lokalwahlen www.kas.de/tansania www.kas.de in Tansania

VIER TOTE BEI WAHLKAMPFVERANSTALTUNG IN ARUSHA

Erneut erschütterte am 15. Juni ein Bom- kurz vor 18.00 Uhr ein Sprengsatz in die benanschlag die nordtansanische Touris- Menschenmenge geworfen. Dieser explo- musmetropole Arusha. Der Anschlag er- dierte unmittelbar vor der Rednerbühne, auf eignete sich während einer Wahlkampf- der der Parteivorsitzende veranstaltung am Vorabend der landes- kurz zuvor seine Ansprache beendet hatte. weiten Wahlen zur Nachbesetzung von 26 In der Nähe des Podiums – das Dach eines lokalen Mandaten für Stadt- und Gemein- Kastenwagens – waren auch die lokale Füh- devertreter und richtete sich gegen die rungsriege und nationale Spitzenpolitiker größte tansanische Oppositionspartei platziert. Der Sprengkörper verfehlte jedoch CHADEMA. Vier Menschen, darunter drei sein mutmaßliches Ziel, Freeman Mbowe Kinder, wurden getötet. Das Attentat ist und der in Arusha äußerst populäre nationa- der tragische Höhepunkt der nach Augen- zeugenberichten zuvor von massiven Ein- le Abgeordnete blieben un- schüchterungsversuchen begleiteten verletzt. Die Explosion traf vor allem die Wahlvorbereitungen und reiht sich ein in Menschen in den vorderen Reihen, wo auch die seit Monaten zunehmende Spirale von viele Kinder saßen: Drei Kinder sowie die politisch und religiös motivierter Gewalt. Vorsitzende des CHADEMA-Frauenverbands in Arusha, Judith Moshi, wurden getötet und Die Wahlen in Arusha, das als Hochburg von mehr als 60 Menschen zum Teil schwer ver- CHADEMA (Partei für Demokratie und Fort- letzt, darunter einige enge Parteimitarbei- schritt) gilt, wurden nach dem Anschlag auf ter. den 30. Juni verschoben. Hier stehen vier Mandate zur Wahl, die von der nationalen Unkoordinierte Polizeikräfte Regierungspartei CCM (Partei der Revoluti- on) und der Opposition besonders stark Die anwesenden Polizeieinheiten, die für die umkämpft sind, weil dem Wahlausgang in Absicherung des Veranstaltungsortes ver- der zweitgrößten Stadt Tansanias eine hohe antwortlich waren, reagierten nach Augen- symbolische Bedeutung für die politischen zeugenberichten unkoordiniert, feuerten Kräfteverhältnisse auf nationaler Ebene zu- ziellos in die Luft, und schleuderten, wäh- gemessen wird. Der jüngste Anschlag er- rend Teilnehmer panisch flüchteten, in völli- folgte nur sechs Wochen nach dem Bom- ger Fehleinschätzung der Lage Tränengas- benanschlag auf einen katholischen Gottes- granaten in die Menge. Die Rettungsmaß- dienst am 5. Mai in Arusha. nahmen wurden von den Teilnehmern selbst Während der Abschlusskundgebung CHA- eingeleitet. Mangels Krankenwagen stellten DEMAs am Samstag, den 15. Juni wurde um CHADEMA-Mitglieder eigene Fahrzeuge zur

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Verfügung, um Schwerverletzte in Kranken- Die Entwicklungen am zweiten Tag nach häuser zu transportieren. Der sichtlich ge- dem Anschlag ließen diese ersten Erklärun- TANSANIA schockte Parteivorsitzende Mbowe besuchte gen von Regierungsseite allerdings wie Lip- DANJA BERGMANN nach am selben Abend Verletzte im Kran- penbekenntnisse erscheinen. Vertreter von STEFAN REITH kenhaus und rief zur Solidarität mit den Op- Regierung und Opposition konfrontierten

fern des Anschlags auf. Die Versorgung der sich nun gegenseitig mit schweren Vorwür- 25. Juni 2013 Opfer habe oberste Priorität. Anschließend fen und machten jeweils die andere Seite

zog sich die Parteispitze zu Beratungen zu- für den Anschlag verantwortlich. Die Natio- www.kas.de/tansania rück. nalen Abgeordneten von CHADEMA hatten www.kas.de bereits am Sonntag angekündigt, den Par- Offizielle Reaktionen lamentssitzungen in Dodoma für eine Wo- che fernzubleiben, um mit den Anschlagsop- Der Inspector General of Police (IGP) Said fern und ihren Familien zu trauern. Parla- Mwema kündigte am Sonntag landesweite mentspräsidentin Makinda erklärte dann je- intensive Ermittlungen an, um die Schuldi- doch bei der Eröffnung der planmäßig gen festzunehmen. Es gebe zahlreiche Hin- durchgeführten Haushaltssitzung, sie wüss- weise aus der Bevölkerung, denen man te nicht, warum die CHADEMA- nachgehe. Den Anschlag bezeichnete IGP Abgeordneten nicht anwesend seien und Mwema als einen “terroristischen Akt”, der ging zur Tagesordnung über. In einer Regie- von wenigen Menschen oder einer Gruppe rungserklärung zu dem Anschlag in Arusha durchgeführt worden sei, die den Frieden im äußerte der für Polizei- und Parlamentsan- Land untergraben wollten. Man werde alles gelegenheiten zuständige Staatsminister tun, um die Täter zur Verantwortung zu zie- beim Premierminister, William Lukufi, die hen. Ermittlungsspezialisten aus Dar es Sa- Tendenz einiger politischer Parteien, die Be- laam seien bereits in Arusha und hätten ihre völkerung gegen die Polizei aufzuhetzen, Arbeit aufgenommen. habe zu den jüngsten Vorfällen geführt.

Präsident Kikwete verurteilte den Anschlag Wenngleich keine Namen genannt wurden, in einer vom state house veröffentlichten richteten sich Lukuvis Vorwürfe klar gegen Erklärung und sandte seine Beileidsbekun- CHADEMA. Darüber hinaus erklärte er, CHA- dungen an die Angehörigen der Toten und DEMA-Anhänger hätten nach der Explosion Verletzten. Er ordnete umgehend intensive die Sicherheitskräfte daran gehindert, zum Ermittlungen an, um die Verantwortlichen Tatort vorzudringen und die Täter zu verfol- zu identifizieren und rief die Bevölkerung gen. Man müsse sich fragen, ob die Behin- Arushas zur Zusammenarbeit mit den Straf- derung der Polizei zufällig oder geplant ge- verfolgungsbehörden auf. Auch der oberste wesen sei, so Lukuvi im Parlament. Zudem Regierungsvertreter in der Region Arusha, sei die Polizei von CHADEMA-Anhängern an- Regional Commissioner Magesa Mulongo, gegriffen worden und hätte sich durch den erklärte, er habe die Nachricht vom An- Einsatz von Schusswaffen verteidigen müs- schlag auf die CHADEMA-Veranstaltung mit sen. Die Darstellung Lukuvis führte zu „Schock und tiefer Trauer“ erhalten. Man scharfer Kritik einiger Abgeordneter, die der fühle mit CHADEMA und den Opfern, beton- Regierung im Zusammenhang mit den zu- te Mulongo, der in seinem Amt als Stellver- nehmenden Gewaltexzessen im Land Untä- treter des Präsidenten in der Region Arusha tigkeit vorwarfen. auch die Leitung der Polizei- und Sicher- heitskräfte verantwortet.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Scharfe Vorwürfe und Gegenvorwürfe mit Pistolen und Maschinenpistolen in die Menge gefeuert worden sei. Weiterhin seien TANSANIA Einen Schritt weiter und über vorausgegan- Einschusslöcher am Tank des Kastenwa- DANJA BERGMANN gene offizielle Verlautbarungen hinaus ging gens, der als Rednerbühne fungiert habe, STEFAN REITH der stellvertretende Generalsekretär und gefunden worden. Mehrere Menschen mit

Parteisprecher der Regierungspartei CCM, Schussverletzungen seien in die Kranken- 25. Juni 2013 Nape Nnauye, mit seiner Behauptung, häuser eingeliefert worden. Mbowe forderte

CHADEMA selbst habe den Anschlag began- Präsident Kikwete auf, eine unabhängige,

gen. Vor Journalisten erklärte er in Dodoma www.kas.de/tansania mit Richtern besetzte Untersuchungskom- www.kas.de wörtlich, CHADEMA habe den Anschlag ge- mission einzusetzen, der man die Beweise plant, um die Lokalwahlen in Arusha zu sa- zur Verfügung stellen würde. Der Polizei botieren, als die Partei merkte, dass sie die traue man nicht, da diese selbst in Planung Wahlen verlieren würde. Der Anschlag sei und Durchführung des Attentats verwickelt Teil einer Strategie von CHADEMA, um das sei, so Mbowe. Land unregierbar zu machen und daraus politisches Kapital zu schlagen, so Nnauye. Kampf um die Deutungshoheit Diese Äußerungen lösten einen Sturm der Kritik und Empörung auf Seiten der Opposi- Auch in den Internetforen, z.B. dem populä- tion und regierungskritischen Zivilgesell- ren Jamii-Forum – einer Art tansanisches schaft aus, der sich rapide über die Medien Facebook in Kiswahili – sowie den Diskussi- und Onlineforen ausbreitete. onsforen der Onlinemedien tobt seither der Kampf um die Deutungshoheit zu dem Im Laufe des Tages trat schließlich der Bombenanschlag. Die große Mehrheit der CHADEMA-Vorsitzende Freeman Mbowe mit Diskussionsteilnehmer äußert sich dabei einer offiziellen Stellungnahme in Arusha sehr regierungskritisch. Viele Beiträge kriti- vor die Presse. Dabei wies der Oppositions- sieren die Untätigkeit der Regierung, die führer die Erklärungen der Regierungsver- CHADEMA als “Terroristen” bezeichne, treter scharf zurück und erhob schwerwie- selbst aber Gewalt gegen die Opposition gende Vorwürfe gegen die Polizei- und Si- stillschweigend dulde oder aktiv befördere. cherheitskräfte. Mbowe erklärte, dass der Ein Diskussionsbeitrag kritisierte beispiels- Bombenanschlag von staatlichen Sicher- weise, der Präsident nehme zwar sonst an heitsorganen geplant und durchgeführt „jeder Beerdigung im Lande“ teil und habe worden sei. Man verfüge über Videomaterial nach dem Anschlag auf die Kirche einen und Fotos in hoher Auflösung, die das At- Staatsbesuch abgebrochen. Bei dem Terror- tentat dokumentierten und auf denen der anschlag auf die Opposition hielte er sich Täter, ein Mitglied der uniformierten Sicher- aber bedeckt. Viele Diskutanten formulieren heitskräfte, deutlich zu erkennen sei. Man ihre Sorge um ein Abgleiten Tansanias in habe die Person bereits identifiziert und Gewalt und Chaos, wenn die Regierung werde den Namen in Kürze öffentlich ma- nicht konsequent handele und die Drahtzie- chen. Nachdem die Person die Granate ge- her der Terroranschläge in Arusha zur Re- schleudert habe, habe sie mehrfach mit ei- chenschaft ziehe. ner Schusswaffe gefeuert, sei dann in ein Polizeiauto gestiegen und weggebracht wor- Ausschreitungen bei Trauerfeier den, so Mbowe. Die entsprechenden Video- und Fotobeweise seien an sicheren Orten Am 18. Juni, drei Tage nach dem Anschlag, verwahrt und würden der Öffentlichkeit eskalierte die Lage in Arusha erneut. Die als noch zugänglich gemacht. Mbowe betonte, Trauerfeier geplante Versammlung der Op- dass nach der Sprengstoffexplosion auch position am Ort des Anschlags wurde ge-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. waltsam aufgelöst. Die Nutzung des Platzes „Mit aller Härte“ war durch seinen Eigentümer, das der tan- TANSANIA sanischen Regierung unterstehende Arusha Im nationalen Parlament sorgte die Entwick- DANJA BERGMANN International Conference Center (AICC), un- lung in Arusha für weitere Aufregung. Einer STEFAN REITH tersagt worden. Als Oppositionsvertreter öffentlichen Erklärung des Premierministers

daraufhin die Menge aufforderten, den Platz Mizengo Pinda folgte in den Medien eine 25. Juni 2013 zu verlassen und sich zu einem der Kran- Welle der Empörung: Auf die Frage eines

kenhäuser zu begeben, um den Toten dort Abgeordneten, was die Regierung gegen die

zunehmende Gewalt in Tansania unterneh- www.kas.de/tansania die letzte Ehre zu erweisen, begannen Poli- www.kas.de zei- und Sicherheitskräfte, die Menge mit me, hatte Pinda geantwortet, man müsse Schlagstöcken und Tränengas auseinander- die Verursacher des Chaos niederprügeln. zutreiben. Zur Wahrung von Frieden und Sicherheit im Land werde die Regierung alle notwendigen Über Stunden herrschte Chaos in der Innen- Maßnahmen ergreifen. Wenn die Regierung stadt Arushas, Tränengasschwaden lagen in dazu gezwungen werde, Gewalt einzuset- den Straßen. Auch die Verbindungsstraße zen, würden Menschen leiden, so die ein- nach Nairobi, die zentrale Verkehrsader im deutige Warnung des Premierministers. Norden Tansanias, war zwischenzeitlich we- gen der Tumulte unterbrochen. Insgesamt Die Ursache der aktuellen Entwicklungen vier nationale Abgeordnete der Opposition könne laut Pinda in der Drohung CHADEMAs wurden mit dem Vorwurf der Ansprache an liegen, das Land unregierbar zu machen. eine illegale Versammlung festgenommen Dem Einwand eines Abgeordneten der op- und erst am nächsten Tag wieder freigelas- positionellen CUF-Partei (Civic United sen. Gerüchte, dass einer der Abgeordne- Front), diese Äußerungen verstießen gegen ten, der parlamentarische Geschäftsführer die Verfassung und die Unschuldvermutung, CHADEMAs , bei dem Polizeiein- entgegnete Pinda, dass sich die Verfassung satz ums Leben gekommen sei, bewahrhei- nur auf gesetzestreue Personen beziehe, teten sich nicht. Lissu berichtete aber nach nicht auf solche, die sich den legalen Anwei- seiner Freilassung von Misshandlungen sungen des Staates widersetzten. Die öf- durch die Polizei. Auch Journalisten und Me- fentlich im Parlament vorgetragenen Äuße- dienvertreter berichteten von Verfolgung rungen des Premierministers wurden von und Repressalien durch die Polizeikräfte, die unabhängigen Beobachtern als unverhohle- ihren Aussagen zufolge Digitalkameras, ne Drohung an CHADEMA sowie als Auffor- Laptops und Mobiltelefone beschlagnahm- derung an die Polizei- und Sicherheitskräfte ten. interpretiert, künftig mit aller Härte gegen Proteste von Opposition und Regierungskri- Die gegenseitigen Schuldzuweisungen eska- tikern vorzugehen. lierten infolge der erneuten Ausschreitungen weiter. CCM-Vertreter warfen der Oppositi- Vorfälle bei den Lokalwahlen on vor, die Bevölkerung gegen die Polizei aufzuwiegeln und politisches Kapital aus Wenngleich die Lokalwahlen in den vier dem Attentat schlagen zu wollen. Vertreter Wahlbezirken Arushas aus Sicherheitsgrün- der Opposition prangerten dagegen die un- den auf den 30. Juni 2013 verschoben wur- angemessene Polizeigewalt gegen eine den, fanden die Lokalwahlen an den ande- friedliche Versammlung an und warfen den ren Orten am 15. Juni wie geplant statt. Der Sicherheitskräften vor, die wahren Hinter- Bombenanschlag in Arusha überschattete gründe des Anschlags vertuschen zu wollen. dabei die zahlreichen weiteren Zwischenfäl- le, von denen Augenzeugen und Betroffene

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. berichteten. Der Leiter der Kommunikati- Die Zukunft der Opposition ons- und Öffentlichkeitsarbeit CHADEMAs TANSANIA und nationaler Abgeordneter, , In ihren offiziellen Verlautbarungen prokla- DANJA BERGMANN erklärte in einer öffentlichen Stellungnah- mieren sowohl Regierung wie auch Opposi- STEFAN REITH me, dass die Regierungspartei CCM ihre An- tion die Wahlergebnisse als Erfolg. Von den

hänger an praktisch allen Wahlorten zur 22 zur Wahl stehenden Mandaten konnte 25. Juni 2013 Gewalt gegen CHADEMA angestachelt und die Regierungspartei 15 Sitze und CHADEMA

die Bevölkerung durch die Polizei einge- 7 verbuchen. Während seitens der CCM auf

das ungebrochene Vertrauen der Bevölke- www.kas.de/tansania schüchtert habe. CHADEMA-Vertreter seien www.kas.de vor den Wahlen entführt und zusammenge- rungsmehrheit in die Regierungspartei hin- schlagen worden. Viele seien schwer ver- gewiesen wird, verweisen CHADEMA- letzt worden; die Täter seien allgemein be- Vertreter auf die starken Zugewinne. Von kannt, aber von der Polizei nicht belangt den 22 zur Wahl stehenden Mandaten habe worden. CHADEMA veröffentlichte eine Lis- die Partei vorher nur eines besetzt. Dieses te, in der die Vorfälle bis ins Detail - bis hin habe man behauptet und sechs weitere hin- zur Autonummer der beteiligten Polizeifahr- zugewonnen. Angesichts der zahlreichen zeuge – dokumentiert wurden. In Monduli Einschüchterungs- und Manipulationsversu- wurde ein nationaler CHADEMA- che sei dies ein sehr gutes Ergebnis, zumal Abgeordneter, Joshua Nassari, schwer ver- am 30. Juni noch vier Mandate in Arusha zu wundet, als er beim Verlassen des Wahllo- besetzen seien. Ein Parteisprecher wies dar- kals von einer Gruppe von 30 vermeintli- auf hin, dass CHADEMA (ca. 18.000 Stim- chen CCM-Anhängern angegriffen und zu- men) bei der Gesamtzahl der abgegebenen sammengeschlagen wurde. Nassari erklärte Stimmen sogar deutlich vor der CCM (ca. später im Krankenhaus, er hätte sich zu 17.000 Stimmen) liege. seinem Auto retten können, wo seine Pistole lag. Mit dieser hätte er die Angreifer zu- Unabhängige Beobachter sehen die Wahlen rückgehalten, sonst wäre er wohl zu Tode als Beleg dafür, dass sich CHADEMA im poli- geprügelt worden, so Nassari. tischen Wettbewerb inzwischen auf Augen- höhe mit der Regierung bewegt und geste- Offenbar kam es an vielen Orten auch zu hen der Partei bei den Lokalwahlen 2014 versuchten oder tatsächlichen Wahlmanipu- sowie den Parlaments- und Präsident- lationen. In Arusha wird einem hochrangi- schaftswahlen 2015 durchaus Chancen auf gen CCM-Politiker vorgeworfen, er habe einen Wahlsieg zu. Die grundlegende Vor- versucht, die Wahlbehörden zu bestechen. aussetzung dafür wäre allerdings ein weit- In Mbagala, einem Vorort Dar es Salaams, gehend transparenter und fairer Verlauf der waren mehr Wähler im Wahlverzeichnis ein- Wahlen. Dies scheint angesichts der aktuel- getragen als im nationalen Wahlregister. An len Entwicklungen wenig realistisch. Die anderen Orten fanden registrierte Wähler wachsende Popularität der Opposition auch beim Wahlgang ihren Namen nicht mehr auf außerhalb der urbanen Zentren des Landes der Liste. Opposition und lokale Medien be- seit dem Wahlerfolg bei den letzten Parla- richteten von zahlreichen Unregelmäßigkei- ments- und Präsidentschaftswahlen 20101, ten. Bei unabhängigen Beobachtern sowie in korreliert mit einem signifikanten Anstieg der breiten Bevölkerung verstärkt sich an- staatlicher Repression gegen Opposition und gesichts dieser Berichte der Eindruck, dass

die Regierungspartei die Wahlen landesweit zu manipulieren versuchte. 1 Das tansanische Parlament „Bunge“ be- steht derzeit aus 357 Abgeordneten. CHAE- MA steigerte die Zahl der Mandate 2010 von 11 auf 49.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Regierungskritiker. Diese Entwicklung ist in mögliche Zusammenhänge zu den religiös verschiedenen unabhängigen Berichten ein- motivierten Anschlägen auf christliche und TANSANIA deutig belegt.2 muslimische Kleriker sowie zu den zuneh- DANJA BERGMANN menden interreligiösen Auseinandersetzun- STEFAN REITH Religiös motivierte Gewaltspirale gen im Land zu untersuchen. Nach Aussage

des Regional Commissioner von Arusha 25. Juni 2013 Die wachsende politische Spannung wird wurden mindestens neun verdächtige Per-

zudem von einem Anstieg religiös begrün- sonen festgenommen und zu dem Bomben-

deter Gewalttaten und Auseinandersetzun- www.kas.de/tansania attentat des 5. Mai befragt. Vier saudiarabi- www.kas.de gen begleitet. Höhepunkt dieser Entwick- sche Touristen wurden unmittelbar wieder lung bildet der Bombenanschlag bei der freigelassen, zum Verbleib eines in Haft ge- Einweihung einer katholischen Kirche in nommenen Tansaniers liegen keine Infor- Arusha am 5. Mai 2013. Ein Sprengsatz mationen vor. Damit ist der offizielle Stand wurde kurz vor Beginn des Feiergottes- der Ermittlungen erschöpft. dienstes, der von dem Erzbischof von Arus- ha, Josaphat Lebulu, und dem vatikanischen Seit Oktober 2012 haben Friktionen zwi- Nuntius in Tansania, Francisco Padillo, gelei- schen christlichen und muslimischen Bevöl- tet werden sollte, in die Menge der dort ver- kerungsteilen sowie Protesthandlungen von sammelten Gläubigen geworfen. Drei Men- islamistischen Gruppierungen gegen den schen wurden getötet, mehr als 60 teilweise Staat oder Vertreter der christlichen Kirchen schwer verletzt. Auch hier waren zahlreiche deutlich zugenommen. Für Schlagzeilen Kinder unter den Toten und Verletzten. sorgten zuvor mehrere, bislang ungeklärte Brandanschläge auf Kirchen in Sansibar Präsident Jakaya Kikwete brach seinen aber auch in Dar es Salaam durch eine Staatsbesuch in Kuwait unmittelbar nach Menge aufgebrachter Muslime infolge der Bekanntwerden des Anschlages ab. Er und Schändung des Koran durch einen weitere hohe Regierungsvertreter, u.a. Vi- 14jährigen Christen. Mehrere Protestwellen zepräsident Mohamed Gharib Bilal und Pre- radikal islamischer Vertreter der UAMSHO mierminister Mizengo Pinda, trafen in Arus- Bewegung, die für die Sezession Sansibars ha ein, um Verletzte zu besuchen und der vom Festland Tansanias eintritt, versetzten Öffentlichkeit zu versichern, dass alle er- die sansibarische Hauptstadt Stonetown denklichen Maßnahmen zur Aufdeckung der wiederholt in Ausnahmezustand und forder- Hintergründe und zur Erfassung der Täter ten das Leben eines Polizisten. ergriffen würden. Die Einsatzkräfte der tan- sanischen Polizei wurden, wie bereits im Fall Hintergrund war das bislang ungeklärte, der Ermordung eines Priesters Anfang 2013 dreitägige Verschwinden eines religiösen auf Sansibar, durch das FBI verstärkt, um Führers der Bewegung. Anhänger riefen auf der UAMSHO-Facebookseite zu Attacken

gegen Christen auf. Auch Dar es Salaam 2 Tanzania Human Rights Report 2012, Le- wurde Ende letzten Jahres von Protestwel- gal and Human Rights Center, Rangliste der Pressfreiheit 2013, Reporter ohne Grenzen len gegen die Inhaftierung des radikal isla- (Hier stürzte Tansania im Vergleich zum mischen Sheiks Ponda Issa Ponda wieder- Vorjahr um 36 Plätze ab und belegt aktuell Rang 70 von 179), Annual Report 2012, holt in Unruhe versetzt. In die Kette religiös Amnesty International, Freedom in the motivierter Gewalt reiht sich auch der An- World 2013, Freedom House. Auch die KAS berichtete bereits im vergangenen Jahr. Vgl. schlag auf den Sekretär des Muftis von San- Länderbericht September 2012: Die Repres- sibar im November 2012 ein. Sheikh Sora- sion in Tansania nimmt zu – Opposition, Medien und Menschenrechtsgruppen in gro- ga, ein prominenter Befürworter des inter- ßer Sorge. religiösen Dialogs, wurde beim Joggen von

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4 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. zwei Unbekannten mit Säure attackiert, Ge- zess – sieht die Regierungspartei CCM ihr sicht und Oberkörper wurden dabei schwer bisheriges Machtmonopol in Frage gestellt. TANSANIA verletzt. Von der Unabhängigkeit Tanganjikas im DANJA BERGMANN Jahr 1961 bis zur Einführung des Mehrpar- STEFAN REITH Zwei Attentate mit Schusswaffen wurden im teiensystems 1992 führte die aktuelle Re-

Dezember 2012 und im Februar 2013 auf gierungspartei das Land als Staatspartei im 25. Juni 2013 katholische Priester verübt, jeweils auf San- Einparteiensystem. Sie dominierte auch die

sibar. Zu den Ermittlungen um die Erschie- erste Dekade des 1992 eingeführten und www.kas.de/tansania ßung des katholischen Priesters Evarist 1995 im Zuge der Präsidentschaftswahlen www.kas.de Mushi wurde sogar das US Federal Bureau erstmals angewandten Mehrparteiensys- of Investigations (FBI) herangezogen, Er- tems. Doch bei den Wahlen 2010 gelang es gebnisse wurden bislang keine öffentlich der Opposition, sich als sichtbare Alternati- gemacht. In der Region Geita, südlich des ve zu etablieren. Zahlreiche Experten inner- Viktoriasees, wurde im Februar dieses Jah- halb und außerhalb des Landes halten einen res ein katholischer Priester im Rahmen demokratischen Regierungswechsel in den christlich-muslimischer Auseinandersetzun- nächsten Jahren inzwischen für realistisch, gen enthauptet. Die aufgebrachte christliche befürchten aber, dass die regierenden Eliten Gegenseite konnte daran gehindert wer- dieses unter Einsatz aller Mittel zu verhin- den, im Gegenzug die Moschee mit den ge- dern suchen. flüchteten Muslimen in Brand zu setzen. Mit dem neuerlichen und, wenn man die In- Die zunehmend repressiven Reaktionen des dizien zusammenfügt, klar politisch moti- Polizei- und Sicherheitsapparates auf legiti- vierten Bombenanschlag auf die CHADEMA- me Proteste und Kritik von der Bevölkerung Wahlveranstaltung am 15. Juni, richten sich werden als Vorgeschmack auf die kommen- die Blicke auch wieder auf die Umstände den zwei Jahre bis zu den nächsten Wahlen des Anschlags am 5. Mai in Arusha. Beob- interpretiert. Die Liste der Fälle von Bedro- achter stellen die Frage nach einem mögli- hungen, Drangsalierungen und Verfolgun- chen Zusammenhang beider Anschläge so- gen von Oppositionellen und Regierungskri- wie der politischen und religiösen Gewaltex- tikern wächst ständig. Dabei wechseln sich zesse generell. subtile Formen der Einschüchterung und Manipulation immer häufiger mit der An- Drohender Machtverlust und Eskalation wendung offener Gewalt ab. Die Urheber der Gewalt bleiben in der Regel unbekannt oder ihre Identitäten werden verschleiert. Die Täter In Anbetracht der Entwicklungen der letzten werden von den staatlichen Strafverfol- Monate – die stetig wachsende Zustimmung gungsbehörden nicht zur Rechenschaft ge- zur Opposition, der zunehmende Ansehens- zogen. Selbst von den Sicherheitskräften verlust der Regierung, bislang noch lokal nachweislich verübte Tötungen bleiben begrenzte Massenproteste der Bevölkerung3 und der laufende Verfassungsreformpro-

4 Der vom Präsidenten selbst initiierte Ver-

fassungsreformprozess wird von der CCM inzwischen als Bedrohung der eigenen Posi- 3 Im südtansanischen Mtwara wurden wie- tion wahrgenommen. Ein von der Verfas- derholte Massenproteste im Zusammenhang sungskommission vorgelegter Entwurf gilt mit der Erschließung großer Erdgasvor- als reformorientiert und würde die Rolle der kommen von der Polizei gewaltsam nieder- Zentralregierung beschneiden. CCM- geschlagen; auch hier waren Tote und Ver- Sprecher äußerten sich entsprechend kri- letzte zu beklagen. tisch.

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5 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. straffrei und werden gedeckt. Kriminalisiert heitskreisen keine Hinweise auf mögliche werden dagegen die Opfer, denen „Volks- Verbindungen zur Al-Shabaab, die in Kenia TANSANIA verhetzung, Anstiftung zu öffentlichem Auf- bereits nach ähnlichem Muster Anschläge DANJA BERGMANN ruhr und Terrorismus“ vorgeworfen wird. verübt hat. Während die tansanische Regie- STEFAN REITH Die Umdeutung der Opfer zu Tätern durch rung nach dem Anschlag auf den Gottes-

höchste Regierungsstellen hat System. dienst über die amerikanische Botschaft das 25. Juni 2013 Während der Premierminister im Parlament FBI um Unterstützung bei den Ermittlungen

offen davon sprach, Proteste niederknüp- bat, blieb eine solche Anfrage im jüngsten www.kas.de/tansania peln zu lassen, behauptete der Parteispre- Fall aus. Kritiker bewerten dies als Beleg www.kas.de cher der Regierungspartei nach dem jüngs- dafür, dass die Regierung kein echtes Inte- ten Anschlag in Arusha, die Opposition habe resse an einer Aufklärung des Anschlags auf das Sprengstoffattentat auf die eigene die Opposition habe. Während Augenzeu- Wahlveranstaltung verübt, um Mitleid und genberichte von Verletzten in den Medien Unterstützung zu kreieren. Diese Aussagen auftauchen, die die Polizei schwer belasten, sprechen für sich selbst. beschuldigen Vertreter der Regierungspartei weiterhin die Opposition selbst. Allerdings Neue Dimensionen von Gewalt hat CHADEMA bis zum Abschluss des vorlie- genden Länderberichts (25.6.) auch noch Die Eskalation der Sprache ist symptoma- keinen der angekündigten Foto- und Video- tisch für die sich immer schneller drehende beweise öffentlich gemacht. Spirale religiöser und politischer Gewalt. Ob und wie beides zusammenhängt, ist für Au- Ein Abklingen der Spannungen ist derzeit ßenstehende nicht seriös nachvollziehbar. nicht in Sicht; die unmissverständlichen öf- Das gilt auch für die beiden Bombenan- fentlichen Drohungen von Regierungsvertre- schläge im Mai und Juni in Arusha. In bei- tern lassen im Gegenteil eine weitere Eska- den Fällen handelt es sich jedenfalls um ei- lation befürchten. Die nachzuholenden Wah- ne völlig neue Dimension von Gewalt. So- len von vier Stadtvertretern am 30. Juni in wohl bei dem Anschlag auf die Kirche als Arusha bergen vor diesem Hintergrund er- auch bei dem Anschlag auf die CHADEMA- neut großes Konfliktpotential. Veranstaltung waren unter den Toten und Verletzten viele Kinder. Auch deswegen Die Tatsache, dass selbst lokale Nachwahlen sprachen viele Kommentatoren von einem einzelner kommunaler Mandate zu massiver terroristischen Akt. Gemeinsam ist beiden Gewalt in faktisch allen Wahlbezirken und Fällen zudem, dass von konkreten Ermitt- einem Bombenanschlag in Arusha führen lungsfortschritten in der Öffentlichkeit nur konnten, verleitet Kommentatoren in den wenig bekannt wird. Auch wenn beide An- Medien zu der These, dass die kommenden schläge mit einer Handgranate verübt wor- Urnengänge 2014 und 2015 das Land in den sein sollen und die kenianische Grenze Gewalt und Chaos stürzen könnten, wenn in Arusha nicht weit ist, gibt es aus Sicher- die Verantwortlichen nicht umgehend ein- lenken. Pessimistische Stimmen bezweifeln

sogar, dass die gegenwärtigen politischen, 5 Der Polizeipräsident (regional police com- religiösen und sozialen Spannungen sich mander, RCP) Iringas, Michael Kamuhanda, der nachweislich die Ermordung des Journa- überhaupt noch so lange kanalisieren las- listen Daudi Mwangosi im September 2012 sen. durch die Polizei beaufsichtigte, wurde im Juni 2013 sogar zum deputy commissioner Die Vertreter der internationalen Gemein- of police (DCP) im nationalen Hauptquartier schaft vor Ort mahnen die tansanischen Be- in Dar es Salaam berufen und damit in den Rang eines der höchsten Polizeibeamten hörden vor diesem Hintergrund zum Han- Tansanias befördert. deln. In einem Zeitungsinterview mit der

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. größten englischsprachigen Tageszeitung in Tansania „The Citizen“ erklärte der Leiter TANSANIA der EU-Delegation im Land, Filiberto Sebre- DANJA BERGMANN gondi, dass ausbleibende Ermittlungsergeb- STEFAN REITH nisse und anhaltende Straffreiheit für die

Urheber der letzten Vorfälle von Gewalt den 25. Juni 2013 demokratischen Prozess und die Zukunft

des Landes bedrohten.6 Mit dieser Einschät- www.kas.de/tansania zung steht Sebregondi nicht alleine. www.kas.de

6 The Citizen, 25. Juni 2013, Seite 1. http://www.thecitizen.co.tz/News/EU--Act- swiftly-on-Arusha-/-/1840392/1890874/- /1s8siw/-/index.html