Barbara Surowska

Wie war das Wunder des Überlebens möglich? Vom Treffen eines polnischen Juden mit einem deutschen Wehrmachtsoffizier im okkupierten Warschau 1944.

Wladyslaw Szpilman, born in 1911, today a well-known pianist, is one of the very few survivors of the Jewish ghetto in . Already selected for assassination in Auschwitz together with his family, he managed to save himself from deportation by hiding in the abandoned ruins of the former ghetto after the whole population had been 'evacuated' by the Nazis. The miracle of his survival was partly due to the help of a German army officer, Wim Hosenfeld. Fortunately, the diary of this German army officer about his war experiences in between 18 January 1942 and 11 August 1944 survived. Parts of the diary could therefore be added to Szpilman's war memoirs, entitled Das wunderbare Überleben. The combination of the memories of a holocaust survivor with those of a German army officer, telling two stories of two lives that are closely connected to each other, is a most valuable and rare historical document.

Mein Thema werde ich anhand von zwei Texten behandeln, die es dank einer besonderen Konstellation von Umständen gibt, gleichsam durch Fügung des Schicksals. Es sind Erinnerungen von Władysław Szpilman, einem Überlebenden aus dem Warschauer Ghetto, die den Zeitraum 1939-1945, d.h. die ganze Kriegszeit umfassen, sowie Aufzeichnungen des Wehrmachtsoffiziers, Wilm Hosenfeld vom 18. Januar 1942 bis zum 11. August 1944 aus seiner Armeezeit. Der Szpilman-Text ist in der Erstausgabe in Polnisch bereits 1946, also kurz nach dem Krieg, erschienen. Die Aufzeichnungen Hosenfelds wurden erst 1998 in der deutschen Ausgabe der Erinnerungen Szpilmans, gleichsam als Ergänzung zu diesem Bericht publiziert. Das Buch, dessen erster Teil in wortgetreuer Übersetzung aus dem Polnischen Szpilmans Epopöe wiederholt, heißt dementsprechend Das wunderbare Überleben – der Titel der polnischen Originalausgabe lautete Śmierć miasta: Der Tod einer Stadt. Wir schreiben das Jahr 1999 und so langsam sind uns aus den unterschiedlichsten Quellen – Literatur, Theater, Film und sonstigen Medien – viele Schicksale von Überlebenden des Holocausts bekannt. In den meisten Fällen entrannen Juden wie durch ein Wunder dem sicheren Tod. Sie hatten ihr Leben lang schwer daran zu tragen. Denn zu überleben, wenn andere sterben müssen, wird wie eine Schuld empfunden, obwohl man selbstverständlich am Leben hängt.

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Szpilman hat erst vor ein paar Jahren wieder über seine Erlebnisse aus der Kriegszeit zu sprechen begonnen. Für seinen Sohn Andrzej war das die Erfahrung seiner Herkunft. Er war es, der die Warschauer Erinnerungen seines Vaters in Deutsch herausgab, um “die schmerzliche Sprachlosigkeit zwischen Juden und Deutschen und Polen,”1 die ihm selber zu schaffen machte, zu durchbrechen und beizutragen, daß diese Wunden sich langsam schließen mögen. Das Buch hat Dokumentarcharakter. Wir haben es mit einer Zeugenschaft zu tun, die unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse zustande kam. Beide Berichterstatter gewannen keine Distanz zum Erlebten. Hosenfeld führte ein Tagebuch. Szpilman hatte zwar erst 1945/46 seine Erinnerungen aufschreiben lassen, aber er erinnerte sich an das Vorgefallene sehr genau. Sein Erleben war zu schmerzhaft, um ihm aus dem Gedächtnis zu entschwinden. Jacek Leociak, der Autor eines Buches über Berichte aus dem Warschauer Ghetto, das 1997 erschien,2 erfand für diese Erinnerungen die Bezeichnung Gesprochenes Tagebuch, um sie den Dokumenten aus der Zeit des Holocausts und nicht der Literatur der Nachkriegszeit zuzuordnen. Auch trug er damit der Tatsache Rechnung, daß Szpilman sie nicht selbst aufschrieb, sondern seinem damaligen Freund, Jerzy Waldorff, in die Feder diktierte. Szpilman hat die Ghetto-Zeit von Anfang an erlebt. Er konnte sich vor dem Abtransport in das Vernichtungslager retten, als das Ende der Existenz dieses Ghettos abzusehen war. Sein Bericht läßt uns verfolgen, wie das Ghetto entsteht, wie es wächst, lebt, wie es leidet, wie es verzweifelt kämpft und doch unaufhaltsam zugrundegehen muß. Nach der Rettung aus dem Transport blieb Szpilman in dem von den Deutschen besetzten Warschau. In die Provinz konnte er nicht fliehen, denn es bestand für ihn die Gefahr, als Jude erkannt und an die Deutschen verraten zu werden. Als die Warschauer nach der Niederlage des Aufstandes im Herbst 1944 ihre Stadt verlassen mußten, hielt er sich bis zum Einmarsch der polnischen und russischen Armeen in den Ruinen versteckt. Seine Begegnung mit dem deutschen Hauptmann Wilm Hosenfeld fand in der zweiten Novemberhälfte statt. Szpilman war auf der Suche nach etwas Eßbarem in einem Haus in der Narbutta-Straße, in das der Stab des Festungskommandos Warschau gerade einziehen sollte, was er allerdings nicht wußte. Als er in der Speisekammer herumsuchte, wurde er von einem Deutschen überrascht. Es kam zu einem Wortwechsel, bei dem er sich als Musiker zu erkennen geben konnte. Als der Deutsche sein Klavierspiel hörte, war er so beeindruckt, daß er ihm Unterschlupf gewährte, warme

1 Andrzej Szpilman im Vorwort zu Władysław Szpilman: Das wunderbare Überleben. Warschauer Erinnerungen 1939 bis 1945. Mit einem Anhang von Wilm Hosenfeld und einem Essay von Wolf Biermann. Düsseldorf, München 1998. S. 5. 2 Jacek Leociak: Tekst wobec zagłady (O relacjach z getta warszawskiego). Wrocław 1997.