SWR2 Oper Peter Tschaikowski: „Eugen Onegin“

Sendung: Sonntag, 27. Dezember 2020, 20.03 Uhr Redaktion: Bernd Künzig

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Heute mit Peter Tschaikowskis Meisterwerk „Eugen Onegin“ in einer Referenzaufnahme unter der Leitung von und Bernd Weikl in der Titelpartei. „Eugen Onegin“ ist eine Oper, aber Tschaikowsky gab ihr den Untertitel „Lyrische Szenen“. Und das sagt schon einiges aus über die Besonderheit dieses Werkes. In der Tat sah der Komponist sein Werk nicht im Zusammenhang der Opernkonvention. Er wünschte sich noch nicht einmal eine Uraufführung an einem großen Haus mit Ausstattungszauber. Eine kleine Bühne sollte es sein für dieses private, fast schon alltägliche Drama um das verpfuschte Leben eines jungen Mannes im Russland des 19. Jahrhunderts. Auch wünschte sich der Komponist junge Sängerinnen und Sänger, die auch dem Alter der von ihnen verkörperten Rollen entsprechen sollten. Tschaikowski setzte sich dabei mit seinen Wünschen durch. Am 17. März 1879 wird die Oper im Moskauer Maly-Theater gegeben. Der Name des Aufführungsortes als „Kleines Theater“ zeigt schon die Intimität der Angelegenheit. Die Sängerinnen und Sänger waren jung, sie waren allesamt Studenten des Moskauer Konservatoriums und wurden von Nikolai Rubinstein geleitet. Der Dirigent drängte Tschaikowski allerdings schon nach der erfolgreichen Uraufführung dazu, das Werk unbedingt an einem großen Haus heraus zu bringen. Erst zwei Jahre später findet am 11. Januar 1881 die offizielle Uraufführung am Moskauer Bolschoi-Theater statt. Und damit beginnen die Aufführungsprobleme des Stücks. Zwei Ballszenen mit Walzer und Polonaise verführten die Opernkonvention dazu, das Stück in Richtung Ausstattung zu verbiegen. Dazu wird das Orchester noch angeheizt und auf der Bühne versuchen die Sängerinnen und Sänger mit Stimmgewalt anzukommen. Davon ist in unserer Aufnahme nun nichts zu hören. In vielen Aufführungen verwandelt sich dagegen das intime Stück in eine große Oper. Und genau daran dachte Tschaikowski nicht. Im Gegenteil bekundete er im Vorfeld der Komposition und in Bezug auf Giuseppe Verdis „Aida“ und Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“, dessen Uraufführung er in Bayreuth 1876 beiwohnte, dass er mit ägyptischen Prinzessinnen und germanischen Göttern nun einmal nichts anzufangen wüsste. Er bräuchte Menschen aus Fleisch und Blut. Die fand Tschaikowsky nun ausgerechnet im vielleicht zentralen Werk des Dichters Alexander Puschkin. Sein „Eugen Onegin“ ist allerdings weder ein Theaterstück noch ein Roman, sondern ein Versepos. Ausgerechnet für seine durchaus mit Ironie durchzogene Lebensgeschichte seines titelgebenden, zur Emotionalität vollkommen unfähigen Lebensmannes, der von seiner eigenen Langeweile durch die Welt getrieben wird, wählte Puschkin eine dichterische Form, die wir eher aus Homers Heldenepos über Odysseus kennen. Aber Puschkins „Eugen Onegin“ ist ein ironisch gebrochener Odysseus auf einer vergeblichen Irrfahrt zu sich selbst. Er wird im Unterschied zum antiken Helden nie bei sich ankommen und mit einem verpfuschten Leben enden.

Keine leichte Aufgabe, aus einem solch literarisch raffinierten Gebilde eine Oper zu formen. Eine Aufgabe, an der man nur scheitern kann, wenn man sie als „Eins zu Eins-Veroperung“ von Puschkins Text auffassen würde. Doch das tat Tschaikowsky beileibe nicht. Das Versepos ist Vorlage und Vorgabe, aber die Musik ist weder Umsetzung noch Illustration der Sprachkunst eines unerreichbaren Vorbildes. Und da es sich beim Original um ein Versepos handelt, setzt es auch eine episch breite Handlung voraus. Man könnte das auch als einen Roman in Versen bezeichnen. Und dessen Breite lässt sich natürlich kaum in einem Bühnenstück fassen, geschweige denn in einer Oper. Entsprechend wird die Angelegenheit und die Handlung im Libretto, das Tschaikowski zusammen mit Konstantin Schilowskij selbst erstellte, entsprechend gerafft. Auf Vollständigkeit gegenüber dem Original Puschkins wird hier dementsprechend wenig Wert gelegt. Wie mit einem Fernglas werden aus der epischen Breite bestimmte Momente nahe gerückt, anderes wird nur gestreift. Die Handlung schreitet bewusst mit Sprüngen voran. Eine Tragödie des Alltags ist Tschaikowskis „Eugen Onegin“ schon deshalb nicht, weil die drei Einheiten einer solchen von Ort, Zeit und Handlung bewusst verletzt werden. Der Untertitel der „lyrischen Szenen“ ist keineswegs eine Verlegenheitslösung, sondern ein bewusstes Konzept des Komponisten, damit eine völlig neue Struktur einer Oper zu erzeugen, die es so bislang noch nicht gegeben hat. Das Ergebnis wirkt dann erstaunlicherweise auch weniger wie eine Vertonung des Puschkinschen Epos, sondern wie eine Vorwegnahme von etwas Zukünftigem. Man könnte

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3 hier den Eindruck gewinnen, als finde die Aufführung eines Stückes von Anton Tschechow auf der Opernbühne statt. Tschechows erstes Stück „Platonow“ war allerdings erst im Jahr vor der Uraufführung von Tschaikowskis lyrischen Szenen entstanden. Den lakonischen und melancholischen Realismus dieses großen Theaterdichters konnte Tschaikowski also gar nicht gekannt haben, als er seine Oper komponierte. Aber seine Oper atmet einiges vom Geist dieses großen „Theatererneuerers“ auf der Opernbühne.

Wir befinden uns im ersten Akt der Oper auf einem russischen Landgut. Dort wohnt die verwitwete Gutsbesitzerin Larina mit ihren beiden Töchtern Tatjana und Olga. Während Tatjana noch von einem Märchenprinzen träumt, hat sich Olga in den schwärmerischen Nachbarn und Poeten Lenskij verliebt. Zu Beginn macht die Dorfbevölkerung mit Folklore ihre Aufwartung. Während Tatjana von den Liedern bezaubert ist, belustigt sich die realistische Olga darüber. Lenski, der nun auch Olga seine Aufwartung macht, hat heute einen Freund aus Moskau mitgebracht, der sich seit kurzem auf dem Land niedergelassen hat. Dieser Eugen Onegin erscheint wie ein Großstadtdandy, dessen Auftreten Tatjana sofort an den romantischen Dichter Lord Byron erinnert, einen ihrer literarischen Heroen. Es kommt, wie es kommen muss: während Lenski mal wieder seine schwärmerische Liebe zu Olga bekennt, verliebt sich Tatjana auf den ersten Blick in den lässig-zynischen Onegin. Im zweiten Bild befinden wir uns im Zimmer Tatjanas. Sie hat beschlossen, ihrem Gefühlssturm Ausdruck zu verleihen. Sie will Onegin einen Bekenntnisbrief schreiben. Was in dieser Szene passiert? Nichts, außer dem Verfassen dieses Briefes. Und dieser grandiose Monolog einer gewaltigen Fieberkurve des inneren Gefühlswirrwarrs ist keine gewöhnliche Arie mehr. Es ist, um mit Heinrich von Kleist zu sprechen, die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen. Wir erleben hier in einer organisch wuchernden Form geradezu naturalistisch auskomponiert, wie ein solcher Brief geschrieben wird. Hier lässt Tschaikowski alle Opernformen und -konventionen weit hinter sich und komponiert das Protokoll einer weiblichen Gefühlslandschaft. Es ist die Kernszene der ganzen Modernität dieser Partitur, die endgültig aus dem Melodramatischen der Oper des 19. Jahrhunderts in den musikalischen Realismus der Moderne ausbricht.

Die letzte kurze Szene des ersten Aktes gehört dem nächsten Tag. Onegin hat Tatjanas Brief erhalten. Freundlich, aber kalt bestimmt erklärt er ihr, dass er sie nicht liebe und er eine mögliche Ehe als äußerste Qual empfinde.

Die Mitwirkenden im ersten Akt von Peter Tschaikowskis lyrischen Szenen des „Eugen Onegin“:

Eugen Onegin: Bernd Weikl Lenski: Larina: Anna Reynolds Tatjana: Olga: Filipjewna: Enid Hartle

Wir hören den John Alldis Chor und das Orchester des Royal House Covent Garden unter der Leitung von Georg Solti.

Musik: Peter Tschaikowski: „Eugen Onegin“, 1. Akt (70:44)

Im SWR2 Opernabend heute Peter Tschaikwoskjs lyrische Szenen nach Alexander Puschkins gleichnamigen Versroman „Eugen Onegin“.

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Tschaikowskis Meisterwerk ist als ein solches mittlerweile anerkannt. Erstaunlicherweise war das zur Entstehungszeit in Russland nicht ganz so einhellig. In Tschaikowskis Realismus können wir heute eine Revolution der Oper erkennen, vor allem der russischen, die nur der Großtat von Modest Mussorgskis „Boris Godunow“ gleichkommt. Wenngleich Mussorgski einen Stoff aus der russischen Vergangenheit wählte und Tschaikowski sich um einen Gegenwartsstoff bemühte: beide hatten sich mit Alexander Puschkin auf den gleichen Dichter ihrer Vorlagen bezogen. Nun standen sich der Kreis um Mussorgskj, das sogenannte „mächtige Häuflein“ mit Nikolai Rimski-Korsakow, Alexander Borodin, César Cui und Mili Balakirew und Tschaikowski einander spinnefeind gegenüber. Den Mitgliedern des Häufleins galt Tschaikowski als akademischer Konservativer, dessen Musikgeschmack sich an der westlichen Musik orientierte, während sie sich um eine neue, authentische russische Musiksprache bemühten. In seinen Opern sahen die Avantgardisten lediglich Konvention, verkannten grundlegend jene andere Spielart des gesellschaftskritischen Realismus, den sie lieber an historischen, märchenhaften und mythischen Stoffen exemplifizieren wollten. Und Tschaikowski teilte leider nun auch die verächtliche Haltung für die Gegenseite. Für ihn waren die Vertreter des mächtigen Häufleins lediglich komponierende Dilettanten. Mussorgskis „Boris Godunow“ war 1874 nur wenige Jahre vor Tschaikowskis „Eugen Onegin“ uraufgeführt worden. Und beide Opern müssen wir heute als die Grundsteine der Erneuerung, gar der eigentlichen Begründung der russischen Oper anerkennen. Sicher: kompositorisch unterscheiden sich beide Ansätze radikal. Aber sie sind letztlich zwei Seiten einer Medaille. Im Falle von Mussorgski ein musikalischer Realismus, der in der Vergangenheit das Gegenwärtige zu entdecken sucht, dort ein Wille zu einer musikalischen Sprache, die zu den Menschen und ihren Empfindungen einer unmittelbaren Gegenwart vorzudringen sucht. Und beide finden ihren Ausgangspunkt in jenen recht unterschiedlichen Strategien des zumindest aus ihrer Sicht größten Dichters Russlands, in Alexander Puschkin. Dessen dichterisches Handeln müssen wir schon als ein tiefgründiges Ausloten der russischen Sprache verstehen. Die unterschiedlichsten Formen des Lesedramas, der Lyrik und des Epos, ebenso wie die Prosa eröffnen ein literarisches Panorama der russischen Sprache, um der Komplexität von Land und Leuten gerecht zu werden. Bis heute ist das nahezu unübersetzbar. Das gilt vor allem für den „Eugen Onegin“, der als Gesellschaftsroman in Versform nur unzureichend in deutscher oder einer anderen Sprache wiedergegeben werden kann.

Ein so bewusster und raffinierter Sprachjongleur wie Vladimir Nabokov wusste um diese Komplexität. Und dieser große wie großartige Romanautor betrachtetet ausgerechnet seine Übersetzung des Puschkinschen Epos in englischer Sprache und deren Kommentierung als sein eigentliches Hauptwerk. Der Witz an diesem Hauptwerk: Nabokovs Textkommentierung ist etwa dreimal so dick wie die Übersetzung. Obwohl sein Sohn Dimitrij ein recht erfolgreicher Opernsänger werden sollte, dieser geniale Autor war hochgradig unmusikalisch. Er hatte für Mussorgski wenig Sympathie und Tschaikowskis Version des „Eugen Onegin“ verachtete er geradezu als lächerliche Kitschversion von Puschkins Original. Darin irrte der Meister allerdings. Sicherlich erlaubt der Komponist sich nicht eine derartige musikalische Kommentierung, wie er sie sich für seine Übersetzung gönnte. Da wäre diese Oper wohl so lang geworden wie Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ mit vier Opern. Tschaikowskis „Eugen Onegin“ ist anders als Nabokovs subtile und geradezu archivarische Kommentierung ein äußerstes Konzentrat. In diesem Konzentrat finden wir eine so überaus kühn komponierte Szene, wie Tatjanas Verfassung ihres Briefes an Onegin. Ein Meisterstück tiefenpsychologischer Musik. Dagegen wartet der Beginn des zweiten Aktes mit einer scheinbar banalen Walzermusik auf. Im dritten werden wir noch einer Polonaise begegnen. Diese Musik der Konvention hat das mächtige Häuflein gegen Tschaikowski eingenommen. Auch da haben sie die Strategie des Komponisten so wenig verstanden wie später Nabokov. Es geht hier nicht um die Brillanz der Konvention, sondern um die akkurate Darstellung solch gesellschaftlicher Ereignisse. Zur Walzermusik des zweiten Aktes wird gesungen, wie bei solchen Festen gesprochen wird. Dazu und darüber hinweg. Die Elefanten mögen darin nur Musik für Elefanten hören, wer aber genau zu hören versteht, wird in dieser Musik auch eine

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über die Elefanten hören. Mit anderen Worten: Tschaikowski feiert nicht die Konvention, sondern stellt sie dar, um sie zu entlarven. Letztlich geht es ihm wie Puschkin um eine Gesellschaft, deren glänzende Oberfläche oft auch Oberflächlichkeit ist und an der Wahrheit vorbeischliddert. Das Ergebnis ist jenes verpfuschte Leben des Onegin unter dem nicht nur er selbst, sondern auch die anderen zu leiden haben. Was Tschaikowski einfordert, ist ein würdiges, selbstbestimmtes Leben zu führen ohne Verletzungen. Er selbst hatte damit als Homosexueller seine einschlägigen Erfahrungen gemacht.

Im zweiten Akt von „Eugen Onegin“ sind einige Monate vergangen. Man trifft sich am 12. Januar im Hause Larins zum Namenstag von Tatjana. Es wird Walzer getanzt, der französische Hausfreund Triquet singt ein rührendes Couplet. Auch Lenski ist zugegen und er hat wieder Onegin mitgenommen. Der ärgert sich, dass er der Einladung gefolgt ist. Noch immer ist er an Tatjana desinteressiert. Aus Rache tanzt er den Abend mit Olga. Das fordert Lenskis Eifersucht heraus. Das Fass kommt zum Überlaufen, als Olga ihm auch noch einen versprochenen Tanz verweigert, um ihn mit Onegin auszuführen. Vor den Gästen kündigt er Onegin die Freundschaft und fordert ihn zum Duell.

Auch das zweite Bild ist so lapidar, wie das des ersten Aktes. Im Morgengrauen vor dem Duell ist Lenski von fataler Todessehnsucht erfasst. Es kommt wie es kommen muss. Die erste Kugel von Onegin trifft ihn tödlich. Als der Sekundant Saretzki ihm den Tod Lenskis verkündet, fasst sich Onegin verzweifelt an den Kopf.

Wir hören im zweiten Akt:

Eugen Onegin: Bernd Weikl Lenski: Stuart Burrows Larina: Anna Reynolds Tatjana: Teresa Kubiak Olga: Julia Hamari Triquet: Michel Sénéchal Ein Hauptmann: William Mason Saretzki: Richard Van Allen Der John Alldis Choir. Das Orchester des Royal Opera House Covent Garden. Der Dirigent ist Georg Solti.

Musik: Peter Tschaikowski: „Eugen Onegin“, 2. Akt (39:04)

Das war der zweite Akt aus Peter Tschaikowskis lyrischen Szenen „Eugen Onegin“ in einer 1974 entstandenen Studioaufnahme unter der Leitung von Georg Solti.

Tschaikowski führt uns mit der Titelfigur des Eugen Onegin keinen Opernbösewicht vor. Puschkins streckenweise beißende Ironie in seinem Versroman war sicher nicht die Sache des emotionsbetonten Komponisten. Was ihn letztlich aber an Puschkins Analyse eines verpfuschten Lebens und des individuellen Scheiterns fasziniert haben mag, war durchaus autobiografischer Natur. 1877 wird zu seinem Schicksalsjahr. Aufmerksam gemacht auf Puschkins Text hat ihn ein Kollege am Moskauer Konservatorium. Und er entschließt sich rasch zu einer Opernversion. Es sollte sein bereits fünftes Bühnenwerk werden. Gleichzeitig verstrickt sich Tschaikowski in eine Situation, die dem des „Onegin“ nahesteht. Obwohl er sich seiner Homosexualität bewusst ist, entschließt er sich im Juli seine ehemalige Schülerin Antonina Miljukowa zu heiraten. Die Ehe wird eine verheerende Katastrophe. Nach drei Monaten trennt er sich von seiner Frau. Die Ehe wird allerdings offiziell nie geschieden. Und genau in dieser Situation beginnt er mit der Komposition der Oper, der er den Untertitel

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„lyrische Szenen“ gibt. Die Lage, sein Leben gerade fast verpfuscht zu haben, fließt wohl unmittelbar in dieses Kammerspiel ein.

Viele Inszenierungen haben dies im Laufe der Zeit nach der Uraufführung fast vergessen. In vielen Aufführungen wurde der „Onegin“ als Ausstattungsstück auf die große Bühne gehievt, die im Grunde äußerlichen Ballszenen zu großen Tanzszenen aufgeblasen. Es war schließlich vor allem die Erfahrung mit der Sprechbühne und dem Naturalismus des Regisseurs Konstantin Stanislawski und seines kongenialen Autors Anton Tschechow oder auch umgekehrt, die hier zu einer Umorientierung geführt hat. Die inhaltliche Verwandtschaft der Stücke Tschechows mit diesem eigentlichen Opern-Kammerspiel hat auch zu einem neuen Inszenierungsstil geführt. Auch unsere heutige Aufnahme unter der Leitung von Georg Solti nimmt deutlichen Abstand von der großen Bühne und folgt den Intentionen Tschaikowskis, der für sein Stück einen eher intimen Bühnenraum vorgesehen hat und junge Sängerinnen und Sänger. Bernd Weikl, der Sänger der Titelpartie war zum damaligen Zeitpunkt 32 Jahre alt, zwar nicht 26 wie der Onegin zum Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Russland am Schluss, aber doch noch ein junger Sängerdarsteller.

Im dritten Akt von „Eugen Onegin“ kehrt der Titelheld nach mehreren Jahren auf Reisen im Ausland nach St. Petersburg zurück. Er ist eingeladen zu einer Soirée des Fürsten Gremin. Dort trifft er unerwartet auf Tatjana. Sie ist mittlerweile die Frau dieses Freundes von Onegin geworden. Gremin berichtet Onegin völlig unbefangen von seiner leidenschaftlichen Liebe zu Tatjana. Da begreift Onegin plötzlich wie seine Gefühlslage für Tatjana wirklich ist. Da sie ihn zunächst kaum beachtet, ersucht er sie schriftlich um eine Aussprache. Seinem unerfüllten Leben will er eine Wendung geben.Tatsächlich empfängt ihn Tatjana und Onegin versucht sie durch sein Flehen für sich einzunehmen. Da erklärt ihm Tatjana, dass es zu spät sei, sie keineswegs gewillt ist, sich von ihrem Treuegelöbnis, das sie Gremin gegeben hat, zu lösen. Schließlich gesteht sie ihm, dass sie ihn dennoch immer noch liebt, ihren Gefühlen für ihn aber nicht nachgeben kann und will. Der verzweifelte Onegin erkennt, dass er sein Leben verpfuscht hat und stürzt davon.

Im dritten und letzten Akt von Peter Tschaikowskis „Eugen Onegin“ singen:

Eugen Onegin: Bernd Weikl Tatjana: Teresa Kubiak Fürst Gremin: Es singt der John Alldis Choir. Georg Solti dirigiert das Orchester des Royal Opera House Covent Garden.

Musik: Peter Tschaikowski: „Eugen Onegin“, 3. Akt (33:12)

Im SWR2 Opernabend hörten Sie „Eugen Onegin“. Lyrische Szenen in drei Akten von Peter Tschaikowski. Die Mitwirkenden waren:

Eugen Onegin: Bernd Weikl Lenski: Stuart Burrows Larina: Anna Reynolds Tatjana: Teresa Kubiak Olga: Julia Hamari Filipjewna: Enid Hartle Fürst Gremin: Nicolai Ghiaurov Triquet: Michel Sénéchal Ein Hauptmann: William Mason Saretzki: Richard Van Allen

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Der John Alldis Choir und das Orchester des Royal Opera House Covent Garden Es dirigierte Georg Solti.

Tschaikowskis Oper ist ein unbestrittenes Meisterwerk, das auch zu den fundamentalen Säulen der russischen Oper auch zu sowjetischen Zeiten zählte. Im Jahr 1937 näherte sich der 100. Todestag Puschkins. Und auch die Sowjetunion war bemüht an ihr kulturelles Erbe, wie sie das so gerne nannte, anzuknüpfen. Man beauftragte damals den Komponisten Sergej Prokofjew mit mehreren Musiken zu neuen Fassungen von Bühnenstücken nach Puschkins Dramen „Boris Godunow“ und „Mozart und Salieri“, sowie nach der Erzählung „Pique Dame“ und auch dem Versroman „Eugen Onegin“. All diese Stoffen waren bereits ins Musiktheater überführt worden durch Mussorgski, Tschaikowski und Rimski-Korsakow. Selbst Prokofjew nannte das Unterfangen zu diesen Neufassungen Musik zu schreiben, den Wahn eines Verrückten. Aber auch er fühlte sich dem Andenken Puschkins verpflichtet und komponierte eine Bühnenmusik zur neuen Fassung des „Eugen Onegin“. 1937 war allerdings auch der Höhepunkt der stalinistischen Säuberungen, und auch alle Kulturprodukte mussten sich vor absurden Geheimkomitees und Gremien rechtfertigen. Und auch im Falle des neuen „Eugen Onegin“ waren die neiderfüllten Kleingeister am Werk und so wurden Fassung und Musik einstimmig verdammt und eine Aufführung untersagt. Prokofiew konnte die Partitur retten, indem er sie dem Musikwissenschaftler Pavel Lamm übergab. So haben auch wir jetzt noch die Möglichkeit, Auszüge aus dieser Bühnenmusik zu „Eugen Onegin“ von Sergej Prokofiew zum Schluss unseres SWR2 Opernabends hier erklingen zu lassen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Michail Jurowski.

Musik: Sergej Prokofiew „Eugen Onegin - Lenski am Grab von Larin und Tatjanas Treffen mit Onegin“ (10:46)

Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin; Michail Jurowski, Dirigent

Zum Schluss unseres SWR2 Opernabends zwei Instrumentalstücke aus Sergej Prokofiews Bühnenmusik zur Theaterfassung von Puschkins „Eugen Onegin“ mit dem Radio-Sinfonie- Orchester Berlin unter der Leitung von Michail Jurowski. Redakteur des Opernabends: Bernd Künzig.

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