AHB-SpecialWeek | HS15|16 

Villa - A. Palladio

Der Weg des Holzes - von den Dolomiten nach Venedig 1 Kissling Jonas | Baumgartner Kevin IMPRESSUM Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau Bachelor Architektur Pestalozzistrasse 20 CH-3401 Burgdorf www.ahb.bfh.ch AHB-SpecialWeek | HS15/16 | Der Weg des Holzes - von den Dolomiten nach Venedig Dozenten Katrin Künzi Axel Gampp Patrick Gassmann Philipp Heintzmann

Studenten Kissling Jonas | Baumgartner Kevin Burgdorf, 04. November 2015 Inhaltsverzeichnis

I Einführung 1

Villa Forcari - La Malcontenta 3

Raumabfolge 5 Fassaden 7

Proportionen 9 Die mathematische Ergründung der Schönheit 9 Analyse der Verhältnisse 11 Arithmetisches Mittel 13 Geometrisches Mittel 13 Harmonisches Mittel 13 Imput von Francesco Giordi 15

Paladischer Fuss «Piede vicentino» 17 Definition des palladianischen Fusses 17 Merkmale der Massordnung Palladio’s 19 Abweichungen 21

Auswirkungen in die Moderne 23

Schlusswort 25

Anhang 1 Bildverzeichnis 26

Anhang 2 Quellen 29 Abb. 1 Villa Foscari, G.F. Costa, Le Delizie del Fiume - 1750-62 AHB-SpecialWeek | HS15|16 Einführung

Einführung

Das Zeitalter des Humanismus fusst auf drei „Grundgedanken“ mit denen die Archi- 1 tekten arbeiteten. Die „Hierarchie der Baugattung“, dass mit der Nutzung und die dazugehörige Gesetzmässigkeiten zusammenhängt. Die „Tradition“ verpflichtete den Architekten in einer Auseinandersetzung mit der Antike und der zeitgenössischen An- forderungen. Der dritte Grundgedanke baut auf die der Proportion auf.1 „ […] Nach Albertis wohlbekannter mathematischer Begriffsbestimmung, die er dem Vitruv etlehnt, besteht Schönheit in der planvollen Anordnung und Verschmelzung der Proportionen aller Teile eines Gebäudes derart, dass jeder Teil seine absolut feststehen- de Form und Grösse hat und nichts hinzugefügt oder weggenommen werden kann, ohne die Harmonie des Ganzen zu zerstören.“2 Palladio war einer der Architekten der die Schönheit in dieser mathematischen Thermenologie suchte.

1 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, S. 7-8 2 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, S. 15 Abb. 2 Umschwung der Villa Foscari AHB-SpecialWeek | HS15|16 Villa Forcari - La Malcontenta

Villa Forcari - La Malcontenta

Die Villa Foscari – Malcontenta, wie sie auch genannt wird – liegt nahe bei Venedig. 3 Man sichtet sie am Ufer des Brenta-Kanals, von Mira herkommend nach etwa 8 km Fahrt auf der Strasse Richtung Fusina. Die – ein Spätwerk Palladio’s – entstand im Jahre 1560 im Auftrag der Patrizierfamilie Foscari. Der Bau steht auf einem hohen Sockel, der diesen Adelssitz vor Überschwemmungen schützt, und auch dessen Do- minanz am Zugang zum Canal di Brenta zusätzlich verstärkt. Dem Kanal zugewandt ist die nach Nordosten orientierte Hauptfassade, bestehend aus einem monumentalen Portikus jonischer Ordnung. Die Säulenvorhalle ist symmetrisch angelegt und über zwei abgewinkelte Treppenläufe erreichbar. Damals, als der Bau noch nicht durch Weiden- gebüsche und Bäume verdeckt war, stand er hier als eine in Stein, d.h. in Architektur zum Ausdruck gebrachte Selbstdarstellung und Selbstbehauptung einer Familie, die das umliegende Land besitzt und bewirtschaften lässt. Hier wird Landschaft mit herr- schaftlicher Geste in Besitz – in Bezug – genommen.1

Abb. 3 Situation

1 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 12 Abb. 4 Grundiss Hochparterre, Mussmasse nach A. Palladio Abb. 5 Querschnitt, Mussmasse nach A. Palladio AHB-SpecialWeek | HS15|16 Raumabfolge

Raumabfolge

Die Raumabfolgen in Palladios Villen sind nach einem immer wieder auftauchenden 5 Schema konzipiert. Beginnend mit einem offenen Portikus erstreckte sich dahinter der Hauptsaal in der Mittelachse, dieser wiederum wurde von „zwei oder drei Wohn- oder Schlafzimmern“ in verschiedenen Grössen flankiert. In den üppig ausformulierten Schwelle zwischen Saal und Wohn- Schlafzimmer sind die Nebenräume und die Trep- pen angeordnet. Spezifisch auf die Villa Foscari eingehend sehen wir einen Saal in Form des Kreuzes in der Mittelachse liegend. Seitlich spiegeln sich jeweils drei Räume, die Wohnen Schlafen und zwei Nebenräume enthalten. Palladio liefert in seinem Werk "Quattro Libri", Buch II, S. 4, die Begründung zu den unterschiedlich dimensionierten Räumen wie folgt: "Im Bau soll darauf geachtet werden, dass es grosse, mittlere und kleinere Zimmer gibt, und dass alle nebeneinander liegen, damit man sie beliebig belegen kann […] Zur Be- quemlichkeit gehört auch, dass Räume, die man im Sommer bewohnt, gross und weit sind und nach Norden schauen. Winterquartiere sollen auf der Süd- oder Westseite stehen und sollen eher klein sein, denn im Sommer suchen wir den Schatten und die Winde und im Winter die Sonne, zudem können die kleinen Zimmer leichter beheizt werden als die grossen […]"1. Im Schnitt sehen wir den Einfluss eines sakralen Raumes. Ein „Mittelschiff“ von zwei flankierten Seitenschiffen. Das Haus erhebt sich elf Fuss (3.80 m) über dem Erdbo- den. In seinem unteren Teil liegen Küchen und Diensträume. Bei den repräsentativen Räume im Hochparterre, wird die Höhe mittels des arithmetischen oder harmonischen Mittels berechnet. Die quadratischen, seitlich angegliederten Räume erhalten ein Kup- pelgewölbe und die Kämmerchen werden mittels Zwischengeschosse gegliedert. Das Gewölbe des Hauptsaals ist ein Kreuzgewölbe von halb- kreisförmigem Durchmesser und ist so hoch, wie der Hauptsaal breit ist. Das Obergeschoss erhält durch die unterschiedlichen Raumhöhen im Hochparterre sogenannte Splittlevel, wobei die Höhe nur ca. acht Fuss (2.80 m) hoch ist.

1 , Quattro Libri, Buch II, S. 4 Abb. 6 Fassadenaufriss, richtung Brenta Canal Abb. 7 Fassadenaufriss, gartenseitig AHB-SpecialWeek | HS15|16 Raumabfolge

Fassaden 7

Die Aufrisse zeigen exemplarisch Palladios modernen Geist. Er verwandelt die boden- ständige, schwere dorische Ordnung in eine leichte, dekorativere ionische Ordnung. Das Gesims umläuft das gesamte Haus und formt den Giebel über der Loggia und auf der gegenüberliegenden Seite. Unter der Traufe befindet sich ein weiteres Gesims, das über die Fassade hinweg läuft. Die Hauptfassade zeigt den Typus eines griechischen Tempels mit einem hervortreten- den Portikus. Die ionische Säulen sind auf einer Plinthe und einer attischen Basis mit einer Trochilus und zwei Tori gestellt. Die Volutenkapitelle stützen den Architrav ohne einen ausgeschmückten Fries. Der Tympanon mit einem Zahnschnitt unterstreicht die Wichtigkeit des Gebäudes. Der Portikus ruht auf einen hohen Sockel, der über zwei seitlich gelegenen Treppen erklimmt werden kann. Die Treppe weist bereits erste ba- rokke Elemente auf. Die zwei Seitenflügel fassen das Gesamtwerk und Palladio nimmt sich sogar das Recht, den mittleren Abstand der Säulen zu vergrössern um die Mitte zusätzlich zu betonen. Abb. 8 Schema von elf Villen-Grundrissen Palladios AHB-SpecialWeek | HS15|16 Proportionen

Proportionen

Die mathematische Ergründung der Schönheit 9

Leonardo da Vinci behauptete in einem Kommentar zu seiner vitruvianischen Figur, dass diese „alles in der Welt proportionieren könne“, er sagte „«comensurare» und meinte damit das gemeingültige Mass, die Harmonie des Weltganzen.“ Eine Mehr- heit der Renaissance-Künstler verpflichteten sich einer „mathematischen Definition der Schönheit“. So auch Palladio, der Alberti folgte. Die Definition verfolgte das Kredo, wie in der Einleitung angedeutet, dass etwas schön ist, wenn es grundsätzlich „schöner Form“ entspringt und eine stimmige „Wechselbeziehung des Ganzen zu den Teilen, der Teile unter sich und zu dem Ganzen; so dass die Bauteile einen ganzen und vollendeten Körper bilden, in dem jedes Glied mit jedem anderen übereinstimmt und alle notwendig sind zur Vollkommenheit des Baues.“1 Die Proportion ist der Schlüssel zur vollkomme- nen Architektur und diese Anschauung wurde u.a. durch Da Vinci, Alberti und Palladio wieder aufgenommen und weiterentwickelt.2 Sie stützen sich vor allem auf die Schriften von Vitruv. Im Gefolge von Alberti und Andere (u.a. Bramante) wies Palladio daraufhin, „dass alle regulären Figuren ihr Mass vom Kreise und Quadrate empfangen.“3 Die archi- tektonische Proportionierung, wie sie von Vitruv ursprünglich aufgeschrieben wurden, dienen als Typus und werden in der Renaissance mit der der Musik, basierend auf der griechischen Tonleiter erweitert. Es wird davon ausgegangen, dass „die Zahlen, vermit- tels welcher die Harmonie von Tönen unser Ohr entzückt, ganz dieselben [sind], welche unser Auge und unseren Verstand ergötzen.“4 Was bedeutet dies konkret, von welchen Verhältnisse ist die Rede? Dies wird folgend untersucht.

1 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, S. 24 2 EBD., S. 20 3 EBD., S. 31 4 EBD., S. 90 2:3 3:4 3:5 1:2

Abb. 9 Schemata der Verhältnisse AHB-SpecialWeek | HS15|16 Proportionen

Analyse der Verhältnisse 11

„Alberti empfiehlt die einfachen Verhältnisse 1:1, 1:2, 1:3, 2:3, 3:4 usw. – es sind die Elemente der musikalischen Harmonie.“1 Das Verhältnis 1:2 entspricht bspw. in der musikalischen Harmonie, die der Oktave, dabei verdoppelt sich die Frequenz wenn wir von c‘ zu c‘‘ uns bewegen. Palladio geht von ähnlichen Verhältnisse aus und erweitert diese mit der dritten Dimen- sion. Grundsätzlich ist die Rede von einer arithmetische Proportion, eine geometrische Proportion und einer etwas komplexeren harmonischen Proportion. Als Grundlage die- nen die zweidimensionalen Verhältnisse, die in einer proportionalen Mitte eine dritte Dimension erlangen. Gehen wir spezifischer auf Palladio ein, zuerst seine Verhältnisse in der zweiten Dimension:

>> Kreisrund, >> Quadratisch, >> Breite zur Länge wie Quadratseite zur Quadratdiagonalen (Wurzel 2:1), >> Ein Quadrat und ein Drittel, d.i. 3:4, >> Ein Quadrat und ein Halbes, d.i. 2:3, >> Ein Quadrat und zwei Drittel, d.i. 3:5, >> Zwei Quadrate, d.i. 1:22 [Oktave = gilt als eine Frequenz mit einem belebenden Charakter]

Die Verhältnisse sind bis auf den dritten Fall rationale Verhältnisse. Das zeigt, dass im Allgemeinen in der Praxis mit kommensuralen, sprich angemessenen Verhältnisse ge- dacht und gearbeitet wurden. Anhand von drei Beispielen möchten wir den Leser die drei Herangehensweise erläutern mit der eine Länge, Breite und Höhe in Beziehung gebracht werden.

1 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus., S. 42 2 EBD, S. 88 Abb. 10 Berechnung Arithmetisches Mittel

Abb. 11 Berechnung Geometrisches Mittel

Abb. 12 Berechnung Harmonisches Mittel AHB-SpecialWeek | HS15|16 Proportionen

Arithmetisches Mittel 13

Erstes Bsp. für eine arithmetische Proportion, sprich die Ermittlung der Höhe in Form von einem arithmetischen Mittel. „In der arithmetrischen Proportion übertrifft die zweite Grösse die erste um ebensoviel, wie die dritte Grösse die zweite übertrifft." Wenn wir ein Raum mit einem Verhältnis 1:2 haben, nehmen wir an eine Breite von 6 m und eine Länge von 12 m so liegt das arithmetische Mittel bei 9 m für die Höhe. Die Formel un- termauert dies zusätzlich: (b-a=c-b; 9-6=12-9).

Geometrisches Mittel

In der geometrischen Proportion „verhält sich die erste zur zweiten Grösse wie die zweite zur dritten.“ Gehen wir von eine Grundfläche 4 m x 9 m aus, so beträgt das geometrische Mittel für die Höhe 6 m. In der Formel sieht es folglich so aus: (a:b=b:c; 4:6=6:9).

Harmonisches Mittel

Palladios Fall, in der er die harmonische Proportion erläutert, wird etwas komplizierter. In der harmonischen Proportion stehen nun drei Grössen in Proportion, anders gesagt „drei Grössen sind in harmonischer Proportion, wenn der Unterschied der beiden Ex- treme vom Mittel denselben Bruchteil ihres eigenen Wertes beträgt.“1 Nehmen wir die Grundfläche des ersten Beispiels von 6 m x 12 m, so ist das harmonische Mittel 8. In der Formel transformiert bedeutet dies: (b-a/a = c-b/b; 8-6/6 = 12-8/8 > beide Brüche ergeben das Verhältnis von 1/3. Diese Proportionen (1:2 und 1:3) tauchen auch in der Villa Foscari auf. An dieser Stelle soll ein Exkurs erlaubt sein. Es gab Bemühungen eine Reihung zu finden, deren Mittel sowohl eine harmonische, als auch eine arithmetische Mittel innewohnte.

1 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, S. 89 Abb. 13 Villa Foscari AHB-SpecialWeek | HS15|16 Proportionen

Imput von Francesco Giordi 15

Francesco Giordi nahm als Grundlagen die zwei Reihen von Plato (1, 2, 4, 8 und 1, 3, 9, 27). Um die Mittel als ganze Zahlen wiedergeben zu können, nimmt Giordi die Zahl 6 als kleinste Einheit. Platos Reihen sehen abgeändert nun wie folgt aus: 6, 12, 24, 48 und 6, 18, 54, 162. In diesen Reihungen ist es nun möglich das harmonische und arithmetische Mittel in ganzen Zahlen einzufügen. „Zwischen 12 und 24 sind die Mittel 16 und 18, zwischen 24 und 48 sind sie 32 und 36. Die eine Gattung der Mittel ist harmonisch, die andere arithmetisch, während die geometrischen Mittel in der Reihe 6, 12, 24, 48 selbst enthalten sind."1

Der Kurze Exkurs in der Welt der Proportion ist nicht abschliessend zu Werten und würde noch weitere Anschauungen in Anspruch nehmen, wir halten aber fest, dass Palladio mathematische Regeln verwendete um seine Architektur vollkommen und wi- derspruchslos der Nachwelt zu übergeben.

1 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, S. 91 Abb. 14 Tabellen der Massergebnisse und Standardabweichungen AHB-SpecialWeek | HS15|16 Paladischer Fuss «Piede vicentino»

Paladischer Fuss «Piede vicentino»

Definition des palladianischen Fusses1 17

Problemstellung: Wie viel misst der sogenannte Piede vicentino? Andrea Palladio ver- öffentlichte 1570 die Quatro Libri dell’ Architettura. Im zweiten und dritten Buch die- ses Architekturtraktates stellt Palladio eigene Bauten vor, die mit ausgeführten Bauten identifizierbar sind. Die im Buch publizierten Grund- und Aufrisse unterscheiden sich allerdings zum Teil in extremen Masse von den tatsächlich ausfegührten Bauten. Ottavio Bertotti Scamozzi bearbeitete 1776 aufmerksam die Quatrtro Libri und machte Massnaufnahmen von den bauten und hielt diese als Stahlstiche fest. Bertotti gibt als ausgeführtes Mass für die Länge der kreuzförmigen Halle, bei der Villa Foscari, den Wert von 45’ an. Als metrischer Wert beträgt diese Abmessung 1609 cm, was ein Fussmass von 35.76 cm ergibt. Weitere Vergleichswerte ergeben ein Mittelmass von 35.75 cm, welcher als sogenannte «Vicentiner-Fuss» in der Palladio-Literatur bezeich- net wird. Paul Hofer, ehem. Schweizer Kunsthistoriker an der ETH Zürich, gibt dem Piede vicen- tion 35.8 cm. Diesen Wert entnahm er der Quattro Libri, 2. Buch, S. 4 unten. Cornelius Gurlitt erwähnt in seinem Band über Palladio (Berlin 1914) den vicentiner Fuss genau wie Hofer mit einem Wert von 35.8 cm. Hans Litz, Schweizer Architekt SIA, untersuchte in seiner 1982 publizierten Forschungs- arbeit, die Massordnung der Villa Foscari im Vergleich mit der modularen Mass-Koordi- nation. Als er die Linie eines halben Fusses, auf Seite 4 der Originalausgabe (RAR 439) der «piede Vicentino», mass und eine Verdoppelung vornahm, erhielt er ein Wert von 34.8 cm. Eine weitere mit Tinte gezeichnete Linie eines Originals der Libro quatro S. 10, weisst eine Länge von 34.7 cm auf. Bei der Untersuchung anhand des Portikus der Vil- la Foscari, konnte mit dem Verhältnis zwischen Säulendicke und Säulenzwischenraum ein umfassendes System von Proportionen erstellt werden. Der ausgemittelte Wert ergab ein Fussmass von 34.5 cm. Aus der Arbeit von Hans Litz geht hervor, dass beide Werte 34.7 cm und 34.5 cm beide als hypothetisch annehmbar sind, da es jedoch kein existierendes Bauwerk gibt, welches in allen Teilen nach den Regeln und Grundsätzen der modularen Masskoordi- nation gebaut worden wäre, kann keine definitive Aussage gemacht werden.

1 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 19 Abb. 15 Villa Foscari, moderner Ausdruck AHB-SpecialWeek | HS15|16 Paladischer Fuss «Piede vicentino»

Merkmale der Massordnung Palladio’s 19

Seine Massordnung wird von Palladio keineswegs in dem Mass gehandhabt, wie es die Diktion seines Theoriebuches stellenweise vermuten liesse. Das zeigt beispielsweise der Umstand, wie er sich über das theoretisch «richtige» Mass von 48 1/2 Fuss für die Länge des Hauptsaales hinwegsetzt und mit der Überlegenheit eines Meisters 46 1/2 Fuss anordnet, und diese „falsche“ Zahl sogar in sein Lehrbuch aufnimmt. Ein weite- res Merkmal der Massordnung Palladio‘s besteht in den unterschiedlichen Genauig- keitsanforderungen bei der Ausführung verschiedener Bauteile. Eine beinahe abstrakte Genauigkeit wird angestrebt zur Einhaltung der Regeln der Säulenordnung, während am übrigen Bau die Regeln der Proportionen mit der den handwerklichen Erforder- nissen entsprechenden Genauigkeit eingehalten werden. Eine These, die 1969 von Paul Hofer1 aufgestellt wurde lautet: „Das die tatsächlichen Verhältnisse am Bau von jenen der Holzschnitte von 1570 abweichen […] es handle sich dabei einfach um den durch Architekten und Baumeister der Ausführung zugestandenen largen Spielraum innerhalb der geplanten, durch die Quattro Libri bezeugten Proportionen […]. Palladio2 selbst schrieb im Libro secondo, 2. Kapitel: “[…] Wir setzten die schöneren Hauptteile an sichtbare Stellen und die weniger schönen Teile möglichst weit weg von unseren Augen, denn in diesen wird man allen Unrat des Hauses zusammentragen und all jene Dinge, die die schöneren Teile stören oder hässlich machen könnten“.

1 Paul Hofer, 1969, S. 33 2 A. Palladio, Libro secondo, S. 3, Übersetzung A. Feusi, 1982 Abb. 16 Wandstärken des tragenden Mauerwerks

Abb. 17 Stichprobenerhebung der Masse von verwendeten Backsteinen AHB-SpecialWeek | HS15|16 Paladischer Fuss «Piede vicentino»

Abweichungen 21

Palladio war als ausführender Architekt sehr gewissenhaft. Er hielt sich, wann immer er konnte, auf der Baustelle auf und kümmerte sich um das kleinste Detail. Er war über- zeugt davon, dass ein Projekt nur dann seine gültige Vollendung finden kann, wenn Baustelle und Arbeiter soweit irgend möglich unter laufender Kontrolle stehen. Die Maurer, Steinmetze und Stukkateure wussten, bei welchen Teilen des Gebäudes eine besondere Sorgfalt und Genauigkeit verlang wurde, und bei welchen Teilen der Archi- tekt den handwerklichen Erfordernissen entsprechenden Spielraum liess. Eine Frage kristallisiert sich aus der Arbeit von Hans Litz „Die Massordnung der Villa Foscari im Vergleich mit der modularen Mass-Koordination; 1982“ hervor. Weshalb bei den Raumabmessungen eine Herstellungstoleranz von +8.83 cm / -6.47 cm in Kauf genommen wurde, im Vergleich zu den Bauteilen des Portikus, bei denen eine Tole- ranz von ca. ±1.5 cm eingehalten wurde? Hans Litz, als ausführender Architekt, führt dies auf das Erstellen des Mauerwerks zurück. Mauerstärken, Raumabmessungen, Fenster- und Türbreiten sind Vielfache des Backsteinmasses. Die Baumeister haben darauf geachtet, dass die Masse der Steine im Verband aufgingen. Damit das möglich ist, braucht es neben ganzen Steinen auch halbe, Dreiviertel- und Einviertel-Steine. Für die Proportionen und das „Fugato“ der Räume sind die angegebenen Fussmasse die Leitlinie zur Erreichung idealer Architektur, gleichzeitig aber soll der Baumeister darauf achten, dass ein sorgfältig gefügtes Mauerwerk zustande kommt. Um dies zu errei- chen, hat beim Mauerwerk, und somit auch bei den Raumabmessungen, das Stein- mass als Modul gegenüber dem Fussmass Priorität. Ein Stein misst 28 x 13.5 cm und ist ca. 6.7 cm hoch. Gemäss den Massaufnahmen von Litz, geht das Mauerwerk, bei der Villa Foscari, lü- ckenlos in der „Stein-Massordnung“ auf.1

1 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 36 Abb. 18 Villa Foscari, Referenzobjekte von R. Venturi AHB-SpecialWeek | HS15|16 Auswirkungen in die Moderne

Auswirkungen in die Moderne

Die rückwärtige, dem Verkehrsstrom des Kanals abgewandte Fassade wirkt unschein- 23 barer und durch die Vielzahl der vorkommenden Fensterformate geradezu dissonant. Das durch zwei Steinpfosten vertikal unterteilte Rundbogenfenster des Mittelrisalites – bekanntes Element der Seitenfassade der Redentorenkirche in Venedig – hat einen geradezu irritierenden Effekt. Eigenartigerweise erinnert die Fassade an Postmodernes, etwa an das Guild House der Architekten Venturi und Rauch (Philadelphia 1963) oder an das Projekt "Meiss House" der Architekten Venturi und Short (1962). Die rückwärtige Fassade der Malcontenta scheint sogar geeignet, um den Begriff der Komplexität an- schaulich zu machen: ein Beispiel für das gelungene Zusammenklingen von Dissonan- zen. Das Innere wird dominiert durch die zentralsymmetrisch angelegte kreuzförmige Haupthalle.1

1 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 18 Abb. 19 Ionisches Kapitel AHB-SpecialWeek | HS15|16 Schlusswort

Schlusswort

In der Zeit des Humanismus gehörte die Kenntnis der Proportionen zum guten Ton. 25 Palladios mathematische Ergründung seiner Werke zeugte von grosses Können und ausgeprägten Geist, die einen Baumeister dieser Zeit auszeichnete. Es war eine Kunst die rationalen Zahlen in der Praxis, in einem empirischen Bauprozess umzusetzen. Dies forderte eine hohe Reife und Vernunft, die Abweichungen so anzuwenden, dass es der Venustas nicht schadete. Wir können festhalten, dass die Proportionen nicht absolut, sondern relativ sein müssen. Dies kommt der Erkenntnis zu Gute, dass zum glück das Auge „in Bezug auf die Proportion, nicht so feinfühlig [ist] wie das Ohr in Bezug auf den reinen Klang“.1

1 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, S. 122 Anhang 1 Bildverzeichnis

Abb. 1 Villa Foscari, G.F. Costa, Le Delizie del Fiume Brenta - 1750-62 II Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 53

Abb. 2 Umschwung der Villa Foscari 2 Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 51

Abb. 3 Situation 3 Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 50

Abb. 4 Grundiss Hochparterre, Mussmasse nach A. Palladio 4 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 28

Abb. 5 Querschnitt, Mussmasse nach A. Palladio 4 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 31

Abb. 6 Fassadenaufriss, richtung Brenta Canal 6 Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 72

Abb. 7 Fassadenaufriss, gartenseitig 6 Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 73

Abb. 8 Schema von elf Villen-Grundrissen Palladios 8 Rudolf Wittkower, Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus

Abb. 9 Schemata der Verhältnisse 10 Jonas Kissling, Schemadarstellung

Abb. 10 Berechnung Arithmetisches Mittel 12 Jonas Kissling, Skizze

Abb. 11 Berechnung Geometrisches Mittel 12 Jonas Kissling, Skizze

Abb. 12 Berechnung Harmonisches Mittel 12 Jonas Kissling, Skizze AHB-SpecialWeek | HS15|16 Schlusswort

Abb. 13 Villa Foscari 14 27 http://www.projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/arch_complete_ver- s/40-ren-barock-architektur/studieneinheiten/lektion_4/IV_0_1.htm, 02.11.2015

Abb. 14 Tabellen der Massergebnisse und Standardabweichungen 16 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 56

Abb. 15 Villa Foscari, moderner Ausdruck 18 Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 58

Abb. 16 Wandstärken des tragenden Mauerwerks 20 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 39

Abb. 17 Stichprobenerhebung der Masse von verwendeten Backsteinen 20 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 39

Abb. 18 Villa Foscari, Referenzobjekte von R. Venturi 22 Hans Litz, Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, S. 18

Abb. 19 Ionisches Kapitel Erik Forssman, Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, S. 61

AHB-SpecialWeek | HS15|16 Schlusswort

Anhang 2 Quellen

Literaturverzeichnis: 29

Erik Forssman: Visible Harmony - Palladio's Villa Forscari at Malcontenta, Sveriges arkitekturmuseum and Konsthögskolans arkitekturskola, 1973

Hans Litz: Teilbereich zum Nationsalfondsprojekt Nr. 1.943-0.79: Die Massordnung der VIlla Foscari im Vergleich mit der modularen Massordnung, 1982

Rudolf Wittkower: Grundlagen der Architektur im Zeitalter des Humanismus, München, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983

Internetadressen:

Schule des Sehens, Stand vom 02.11.2015 http://www.projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de

Potrait Palladio, Stand vom 30.10.2015 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mandsportr%C3%A6t_(Portr%C3%A6t_af_ arkitekten_Andrea_Palladio).jpg

Vitruvianische Figur, Stand vom 30.10.2015 http://www.braeuningcontemporary.com/blog/?p=1624

Hauptsfassade Villa, Stand vom 25.10.2015 https://en.wikipedia.org/wiki/Villa_Foscari