„Docendus Est Populus“

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„Docendus Est Populus“ Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg HERIBERT SMOLINSKY „Docendus est populus“ Der Zusammenhang zwischen Bildung und Kirchenreform in Reformordnungen des 16. Jahrhunderts Originalbeitrag erschienen in: Walter Brandmüller (Hrsg.): Ecclesia militans : Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte. Paderborn: Schöningh, Bd. 2: Zur Reformationsgeschichte, 1998, S. [539] - 559 "Docendus est populus" Der Zusammenhang zwischen Bildung und Kirchenreform in Reformordnungen des 16. Jahrhunderts HERIBERT SMOLINSKY / FREIBURG i. Br. Der Ruf nach Reform, der in der Kirche seit den Konzilien von Kon- stanz und Basel nicht mehr unterdrückt werden konnte, wurde durch Martin Luther und die von ihm ausgelöste reformatorische Bewegung unüberhörbar. 1 Jede Gruppe in Kirche und Gesellschaft wurde von ihm erreicht, kaum eine religiöse Lehre oder Praxis blieb von ihm unberührt. Forschungen zur Kirchenreform des 16. Jahrhunderts ha- ben daher ein Ineinander der verschiedensten Komponenten zu be- rücksichtigen: das Weiterleben der alten Ideen, das Vordringen neuer Lehren und die Verstrickung der verschiedenen Gruppen, die sich den Gedanken der Kirchenreform zu eigen machten, mit der Zeitgeschichte.2 Im Umfeld der Römischen Kurie entstanden seit 1523 ebenso wie auf der Ebene der bischöflichen Kirchenpolitik, die z.B. in Süd- deutschland im Rahmen des Metropolitanverbandes Salzburg unter starkem Druck der Bayerischen Herzöge und Österreichs betrieben 1 Vgl. die Überblicke bei F. DrrnucH, Beiträge zur Geschichte der katholi- schen Reformation im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, in: HJ 5 (1884) 319- 398; H. JEDIN, Geschichte des Konzils von Trient, I Freiburg 21951, 1-132; G. ALBERIGO - P. CAMAIANI, Katholische Reform und Gegenreformation, in: SM (D) II (1968) 1078-1107. 2 Vgl. H. SMOLINSKY, Reformationsgeschichte als Geschichte der Kirche. Katholische Kontroverstheologie und Kirchenreform, in: HJ 103 (1983) 372-394. 540 Heribert Smolinsky wurde, erste Reformordnungen, zu denen die Entwürfe Johannes Ecks, des Mühldorfer Konventes u.a. zählen.3 Als bedeutendes Forum, das Reformvorschläge anregte und selbst hervorbrachte, erwiesen sich die verschiedenen Reichstage und die kaiserliche Politik der Religionsgespräche. Die Reformaufrufe von Augsburg 1530 und Speyer 1544 sowie die Admonitio Gasparo Con- tarinis, des päpstlichen Legaten in Regensburg 1541, regten intensive Aktivitäten in der Mainzer Kirchenprovinz an, trugen aber auch dazu bei, daß der Kölner Kurfürst und Erzbischof Hermann von Wied sei- nen Reformationsversuch begann. 4 Unter den auf Reichsebene erar- beiteten Texten erwies sich die den katholischen Ständen auferlegte "kaiserliche Reformation" des Augsburger Reichstages vom 14. Juni 1548 am wirksamsten, weil sie eine Fülle von Diözesan- und Provin- zialsynoden sowie Visitationen in Deutschland verursachte, deren konkreter Erfolg zwar gering war, aber die den Reformgedanken wachhielten. Wie hoch ihr Stellenwert zu veranschlagen ist, belegt die Tatsache, daß sie auf dem Augsburger Reichstag von 1559 in verbes- serter Fassung noch einmal herausgegeben wurde. 5 Gleichzeitig im- 3 Vgl. die Entwürfe bei G. PFEILSCHWEER (Hrsg.), Acta reformationis catholicae ecclesiam Germaniae concernentia saeculi XVI. Die Reformver- handlungen des deutschen Episkopats von 1520 bis 1570, I Regensburg 1959 (im folgenden zitiert als ARCEG); R.E. Mc NALLY, Pope Hadrian W (1522-23) and Church Reform, in: AHP 7 (1969) 253-285; R. BÄUMER, Johannes Cochlaeus und die Reform der Kirche, in: Reformatio Ecclesiae, Festg. f. E. Iserloh, hg. v. R. BÄUMER, Paderborn u.a. 1980, 333-354; H. SMOLINSKY, Die Reform der Kirche in der Sicht des Johannes Eck, in: Johannes Eck. Leben und Werk. Internatio- nales Symposion in Ingolstadt 1986, hg. v. E. ISERLOH ( = RGST), Münster (er- scheint demnächst). 4 Vgl. Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, 1747, Ndr. Osnabrück 1967, Zweiter Teil, 313 ff. 434. 510 ff.; ARCEG IV, 5-268; G. FRA- GNITO, Contarini, Gasparo, in: DBI 28 (1983) 172-192; K. GANZER, Contarini, in: TRE 8 (1981) 202-206. Zu Hermann von Wied vgl. A. FRANZEN, Hermann von Wied (1477-1552), in: Rheinische Lebensbilder III, Düsseldorf 1971, 57-77; DERS., Bischof und Reformation. Erzbischof Hermann von Wied in Köln vor der Entscheidung zwischen Reform und Reformation ( = KLK 31), Münster 1971; J.F.G. GOETERS, Der katholische Hermann von Wied, in: Monatshefte für Evan- gelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 35 (1986) 1-17. 5 Die "Kaiserliche Reformation" in: ARCEG VI, Nr. 20. Der Neudruck: Formula Reformationis Ecclesiasticae, in Comitiis Augustanis, Anno MDLIX quibusdam adiectionibus aucta, et locupleta, Moguntiae 1559. Bildung und Kirchenreform in Reformordnungen des 16. Jahrhunderts 541 plizierten die Religionsgespräche in den dort verhandelten dogmati- schen Fragen Probleme der Kirchenreform, die notwendig mit der Lehre zusammenhing, wenn sie über reine Äußerlichkeiten hinaus- kommen wollte.6 Parallel zu diesen Bemühungen im Reich liefen in je unterschied- licher Intensität die Aktivitäten der Landesherren, die sich auf Grund ihrer obrigkeitlichen Verantwortung und des Versagens der Bischöfe, aber auch längst gewohnter landesherrlicher Praxis um die Reform bemühten. Während die Bayerischen Herzöge seit 1522 in Abstim- mung mit der Päpstlichen Kurie und der Salzburger Kirchenprovinz erste reformerische und gegenreformatorische Maßnahmen ergriffen, fühlten sich andere Landesherren durchaus berechtigt, in eigener Verantwortung Reformordnungen zu erlassen, um die religiöse Ein- heit des Territoriums zu wahren. Dazu gehört der Entwurf, den Her- zog Georg von Sachsen im Frühjahr 1538 durch Georg Witzei erar- beiten, aber nie publizieren ließ.? Bekannter als diese kurzzeitige und wirkungslose Initiative des sächsischen Herzogs sind die Reforment- würfe von Jülich-Kleve-Berg, die eng mit der vermittelnden Kirchen- politik dieses Herzogtums verbunden sind und von denen weiter un- ten ausführlich die Rede sein wird. Konzeptionell reichte die Bandbreite der verschiedenen Vor- schläge von der wenig strukturierten Ansammlung einzelner Punkte bei Johannes Eck bis zum durchdachten, an den Kirchenvätern und dem Ideal der ecclesia antiqua ausgerichteten, Lehre und Disziplin eng miteinander verbindenden großen Reformentwurf, wie ihn z.B. die Kölner Synodalstatuten von 1536 eindrucksvoll darstellten, denen als Instrument der Lehre noch das "Enchiridion" Groppers beigege- ben wurde.8 6 Vgl. die Texte in: ARCEG III-VI; G. MÜLLER (Hrsg.), Die Religionsge- spräche der Reformationszeit ( = SVRG 191), Gütersloh 1980; M. HOLLERBACH, Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Auseinan- dersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts ( = Europäische Hochschul- schriften Reihe 3, Bd. 165), Frankfurt a. M. - Bern 1982. 7 Vgl. ARCEG I; SMOLINSKY, Reformationsgeschichte 389-393. 8 Vgl. SMOLINSKY, Reformationsgeschichte mit weiterer Literatur. Zu Grop- per vgl. J. MEIER, Das "Enchiridion Christianae institutionis" (1538) von Johan- nes Gropper. Geschichte seiner Entstehung, Verbreitung und Nachwirkung, in: ZKG 86 (1975) 289-328; R. BRAUNISCH, Gropper, Johannes, in: TRE 14 (1985) 266-270. Die Synodalstatuten in: ARCEG II Nr. 72. Vgl. auch ARCEG IV, 2 f; 542 Heribert Smolinsky Schon die Mitarbeit von humanistisch gesinnten Theologen wie Georg Witzei, Michael Helding u.a. bedingte es, daß zusammen mit einer ohnehin vorhandenen, auf Klerusbildung drängenden Reform- tradition die Forderung nach der Belehrung in diesen Vorschlägen eine große Rolle spielte. Die Erfolge der Reformation förderten zugleich die Erkenntnis, daß der Zusammenhang zwischen religiöser Bildung und praktischem Verhalten nicht auf den Klerus beschränkt bleiben durfte, wenn man den von allen Parteien umworbenen "Ge- meinen Mann" gegen die attraktiven Lehren der einzelnen evangeli- schen Gruppen immunisieren und ihn zu einer wirklich tiefgreifenden Reform bewegen wollte.9 Zunehmend wurde die Formel Docendus est populus ein Lieblingssatz der Reformentwürfe des 16. Jahrhun- derts, welcher Klerus und Volk in gleicher Weise in die Pflicht nahm: die einen als Träger der Belehrung in Predigt und Katechese, was eine Verbesserung ihres eigenen Bildungsniveaus voraussetzte; die anderen als Rezipienten, denen Dogma und religiöse Praxis zu ver- mitteln und einsichtig zu machen waren. Viele dieser Entwürfe kamen über den Status eines "Beratungs- objektes" nie hinaus oder blieben publiziertes Papier ohne Wirkung, so daß sie in der Forschung wenig Interesse weckten. Ihre stereotyp- formelhafte Sprache und Argumentation schreckte außerdem den Leser ab, sich näher mit ihnen zu befassen. Sie werden zwar im Zu- sammenhang mit der jeweiligen Religionspolitik oder bei der Biogra- phie ihres Verfassers erwähnt, aber es fehlen vor allem komparatisti- sche Studien, aus denen ihre formale und inhaltliche Entwicklung hervorginge. Ein erster Einstieg in vergleichende Studien soll im folgenden an- hand der Reformordnungen des Herzogtums Jülich-Kleve-Berg ver- sucht werden, die von 1532 bis 1567 entstanden und für die Frage- stellung Docendus est populus gut geeignet sind. Sie manifestieren ei- nerseits die schon im 15. Jahrhundert sich anbahnende landesherrli- che Kirchenpolitik in den niederrheinischen Territorien und das Zu- rückdrängen der geistlichen Jurisdiktion, aber auch die fortdauernde A. FRANZEN, Das Kölner Provinzialkonzil von 1536 im Spiegel der Reformations- geschichte, in: Die Kirche im Wandel der Zeit, Festg. Joseph Kardinal Höffner, hg. v. F. GRONER, Köln 1971, 95-110. 9 Zum propagandistischen
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